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RD684.Un31889 Zur pathologieundi
RECAP
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http://www.archive.org/details/zurpathologieundOOunge
Zur
PatMop iM TlieraniB fler Spina ventosa.
INAUGURAL-DISSERTATION
WKLCHE
ZUR ERLANGUNG DER DOCTORWURDE
IN DER
MEDICIN UND CHIRURGIE
MIT ZUSTIMMUNG
DER 31EDICINISCHEN FACULTAT
DEK
FRIEDRICH-WILHELMS-UNIVERSITAT ZU BERLIN
am 23. August 1889
NEBST DEN ANGEFUGTEN THESEN
OFFKXTLICII VERTHEIDIGEN WIRD
DER VERFASSER
Edxtard linger
aus Berlin.
OPPOJJENTEX :
Hr. Dr. med. Julius Steinthal.
- Dr. med. Martin Bloch.
- Dr. med. Max Rothmann.
BERLIN.
Buckdruckerei von Gustav Schade (Otto Fran eke).
Liuienstrasse 158.
. tin 3
Dem
Andenkeu an meinen Vater
gewidmet.
In den letzten Decennien sind, wie in der gesam-
ten Chirurgie, so audi besonders in der Behandlung der
Knochenkrankheiten grosse Umwalzungen vor sich ge-
gangen. Unter dem Schutze der Antiseptik wagt man
heute Operationen, welche noch vor wenig Jahren als
unnioglich gegolten haben, neue Methoden werden er-
funden, urn die Krankheitskerde moglichst vollkommen
aus dem Korper zu entfernen.
Hand in Hand mit diesen Fortschritten in der
Technik hat sich auch eine grosse Litteratur iiber die
Knochenerkrankungen und deren Behandlung angesam-
melt. Bei der Durchsicht derselben muss es auffallen,
dass bei der Behandlung der Knochentuberculose fast
nur von den Affectionen der Epiphysen und der Ge-
lenke 1 ) gesprochen wird. 1st doch die tuberculose
Osteomyelitis der Diaphysen, die sogenannte Spina
ventosa, in ihren Folgen durchaus nicht zu unter-
schatzen; denn wenn auch nur kleine Knochen davon
befallen werden, so gehoren diese doch zu denjenigen
Organen, welche fiir die Gewinnung des Lebensunter-
haltes die grosste Bedeutung haben, namlich zu Hand
und Fuss. Es kann uns doch keineswegs gleichgultig
sein, ob die Phalanx eines Fingers und dadurch die
ganze Hand rnehr oder weniger verkriippelt und fiir
feinere Arbeiten, wie z. B. das Schreiben, unbrauchbar
wird 7 wenn wir imstande sind, dies zu verhindern. Und
l ) Konig: Die Tuberculose der Knochen und Gelenke.
dock liest man auch noch in neueren Arbeiten, dass die
Diaphysentuberculose eine geringfiigige Erkrankung sei,
welche entweder spontan ausheilen konne oder aber,
wenn es erst zur Notwendigkeit einer Operation gekom-
men sei, stets eine Yerkriippelung des betroffenen Glie-
des zur Folge habe.
Diese Anschauungen beruhen zum grossen Teil
darauf, dass man die Gefahrlichkeit der Krankheit unter-
scbatzt und erst, wenn es zu spat geworden ist, sich zu
einem operativen Eingriff, der Resection, entschliesst;
dann darf man naturlich keine guten Resultate in kos-
metiscber und functioneller Beziehung erwarten, und
ebenso wie die Prognose fur die Localaffection, ist auch
die fur das Allgenieinbefinden eine schlechtere.
Durcb die Giite des Herrn Dr. Karewski ist es mir
nun ermoglicht worden, von den 80 Kranken, welche
in den letzten 6 Jahren in der Poliklinik des jiidischen
Krankenhauses zu Berlin wegen Ostitis centralis tuber-
culosa der Diaphysen (Spina ventosa) zur Behandlung
kamen, jetzt nach Verlauf von mindestens einem Jahre
seit dem Ende der Behandlung, 51 wieder zu sehen.
Auf diese Falle gestiitzt, will ich nun in dieser Arbeit
zu zeigen versuchen, dass man bei der Behandlung der
Diaphysen -Tuberculose ebenso wie in alien anderen
Fallen von Localtuberculose moglichst friih operativ vor-
gehen soil, um gute Resultate sowohl fur das von der
Krankheit befallene Glied wie fur das Allgemeinbefinden
zu erhalten.
Die Diaphysen-Tuberculose befallt hauptsachlich die
kurzen Rohrenknochen an Hand und Fuss und ist hier
keineswegs so selten, wie es von manchen Autoren 2 )
dargestellt wird. Sind doch allein von uns bei einem
2 ) R. v. Volkmann: Chirurgische Erfahrungen iiber die Tuber-
culose. 1886.
verhaltnismiissig kleinen Material in 6 Jahren 80 Fiille
mit 104 Knochenafl'ectionen beobachtet worden. [In den
letzten 3 Jahren kamen unter ca. 12000 Kranken 232
Fiille von Knochencaries zur Behandlung, und hiervon
waren 60 mal die Diaphysen befallen.]
Die Kranklieit stellt sich so dar, dass der befallene
Knochen eine spindelformige Auftreibung zeigt, welche
in der Mitte am starksten ist, nach beiden Enden zu
abnimmt. Bei den kleinen Rohren knochen nimmt die
Anschwellung den ganzen Knochen ein, wfihrend in den
viel seltneren Fallen von Diaphysen-Tuberculose langer
Rohrenknochen, welche atiologisch und pathologisch-
anatomisch nicht von der eigentlichen Spina ventosa zu
trennen sind, die Geschwulst in der Mitte des erkrankten
Knochens sitzt, wahrend oben und unten noch gesunde
Partieen vorhanden sind.
Friiher verstand man unter der Spina ventosa ein-
fach eine gleichmiissige, spindel- oder flaschenformige
Auftreibung des Knochens, ohne darauf Riicksicht zu
nehmen, durch welchen anatomischen Prozess dieselbe
entstanden war. Man bezeichnete so mit demselben
Namen sowohl durch tuberculose, wie durch syphilitische
Prozesse hervorgegangene Yeranderungen, ebenso wie
Enchondrome etc. Dass diese ungenaue Nomenclatur
fur die Therapie von hochst nachteiligen Folgen war,
bedarf wohl kaum der Erwahnung. Als ein grosser
Fortschritt musste es daher angesehen werden, als Vir-
chow in seiner Lehre von den krankhaften Geschwiilsten
den Namen der Spina ventosa nur der Tuberculose zu-
wies. Ich fiihre die Beschreibung des anatomischen
Bildes, wie sie in dem eben angefiihrten Werke 3 ) ge-
geben ist, dem Wortlaute nach an:
„Wenn man einen solchen Knochen nach derMacera-
3 ) R. Virc'how: Die krankhaften Geschwiilste Band II.
8
tion betracktet, so siekt es aus, wie wenn man in eine
weicke Masse Luft eingeblasen kiitte. Es sind Locker
darin; das Ganze ist blasig aufgetrieben und hat allerlei
stachlige Fortsatze nack aussen. Untersucht man da-
gegen die Spina ventosa im frischen Zustande, so stellt
sie sick in der Regel so dar, dass fistulose Offnungen
von der Hant bis in das Innere des Knockens kinein-
fiihren; der Knocken selbst ist in seiner Rinde durck-
brochen, und durck diese Durckbriicke kommt man direkt
in eine rundlicke Hokle oder in einen langeren Kanal
kinein. Sowokl Hokle als Kanal liegen da, wo vorker
spongioses Gewebe oder Mark sick befand. In dei
Hokle trifft man in der Regel nekrotiscke Knockenstiicke,
eine Art von Necrosis centralis: aber urn diese kerum
ist der Knocken aufgesckwollen und zuweilen sekr dick.
Der Prozess stellt sick meist als Osteomyelitis tuber-
culosa dar; indes giebt es, namentlick bei jungen Kin-
dern, auck eine einfacke Tuberculose, welcke direkt in
dem nock roten Knockenmarke auftritt. — Bei kleinen
Kindern, wo die Rokrenknochen nock kurz und fast ganz
spongios sind, gesckiekt es wokl, dass der ganze Knocken,
z. B. eine Pkalanx, in eine solcke Masse verwandelt er-
sckeint."
Durck Yirckows Untersuckungen war so die tuber-
culose Natur des Prozesses festgestellt worden; um aber
auck den neueren Anforderungen zu geniigen, welcke
zum Nackweis der Tuberculose nickt nur Tuberkelerup-
tionen, sondern auck den specifiscken Bacillus verlangt,
stellte Remken 4 ) Impfversucke an, welcke samtlick ein
positives Resultat ergaben. Er fand namlick in jedem
einzelnen untersuckten Falle Tuberkelbacillen und impfte
ferner versckiedene Meersckweincken mit exstirpierten
4 ) H. Eemken: Die Beziehungen der Spina ventosa zur Tuber-
culose. Dissertat. inaug., Munchen.
Stiicken. Von diesen totete er einige nach 7 Wochen
und fand Tuberkeleruptionen an der Iinpfstelle sowie
verkiiste Lyniphdriisen. Die iibrigen starben alle na
?
6 „
11.
-16. „
5 „
11
Auf die einzelnen Jahre verteilt sich diese Ziffer
folgenderniassen :
Im 1. Lebensjahr 1 Pat.
2 18
n &. „ 11 „
4 7
» ^- J? & »
n O. „ 5 „
Wenn also audi das friiheste Kindesalter vom ersten
Lebensjahre ab bevorzugt ist, so sehen wir doch 7 dass
auch tiltere Kinder in nicht geringer Anzahl von der
Krankheit befallen werden.
Die Frage, ob die meisten der an Spina ventosa
erkrankten Kinder aus tuberculos belasteten Familien
stammen, ist durch die Untersuchung in der Poliklinik,
■wie sie mir nur zur Verfiigung stand, sehr schwer zu
beant\A'orten. Es ist naturlich nicht moglieh, Eltern
und Geschwister zu sich kommen zu lassen, urn die-
selben einer genauen Untersuchung zu unterziehen; man
muss vielmehr meist schon sehr zufrieden sein, wenn
die Eltern sich entschliessen, die Kinder noch einmal
deni Arzte vorzustellen, nachdem eine lange Zeit seit
der Behandlung verstrichen ist. Daher muss man sich
darauf beschranken, durch Fragen, welche man an die
Kinder oder deren Angehorige stellt, zu eruieren, ob
Lungenkrankheiten in der Familie vorgekommen sind,
ob irgend ein Familienglied hustet u. s. w. Wenn nun
auch die auf diese Weise gewonnenen Zahlen durchaus
nicht den Anspriichen geniigen konnen, welche man an
eine genaue Statistik zu stellen berechtigt ist, so glaube
ich doch, sie hier anfiihren zu diirfen, weil sie zu er-
heblich von dem abweichen, was andere Autoren ge-
funden haben.
Wahrend niimlich v. Wahl gemeinsam mit v. Volk-
12
mann angeben, die Krankheit komme fast ausschliess-
lich bei Kindern tuberculoser Eltern vor, habe ich unter
den 51 Fallen, welche ich jetzt zu untersuehen Gelegen-
Leit hatte, nur 16 Falle gefunden, bei denen eine kere-
ditare Belastung nachvreisbar war:
Summe der untersuchten Patienten . . 51
Davon hereditar nicht belastet ... 35
Yon tuberculosen Eltern stammend . . 10
Andere Yerwandte waren tuberculos . 6.
Diese Zahl mag ja wegen der ziemlich niangelhaften
Untersuchungsmethode (welche sich hauptsachlich auf
Fragen beschranken ruusste) zu niedrig gegriffen sein;
jedenfalls aber stammt eine grosse Zahl von an Spina
rentosa erkrankten Kindern aus gesunden Familien.
Und dies ist auch nicht wunderbar, da unsere heutige
Anschauung von der Infectiositat der Tuberculose die
fruher behauptete Hereditat far viele Falle iiberhaupt in
Frage stellt.
Auch dariiber. in welchem Haufigkeitsverhaltnis die
einzelnen Knochen von der Krankheit ergriffen werden,
scheinen noch die verschiedensten Meinungen zu herr-
schen. So giebt Yolkmann s J an, dass fast in alien
Fallen die Phalangen der Finger oder Zehen, nur in
Ausnahmefallen die Metacarpal- oder Metatarsalknochen,
am seltensten das untere Ende der Ulna von der Krank-
heit ergriffen werden. Im Gegensatz hierzu ergeben die
von uns gefundenen Zahlen, dass am haufigsten von
alien Knochen die Metacarpi erkrankt waren, namlich
40mal, dann folgen der Haufigkeit nach die Phalangen
der Finger 38, die Metatarsi 13, die Phalangen der
Zehen 3, Ulna und Tibia je 3mal, Radius und Unter-
kiefer, ein Knochen, in dem die Tuberculose in analoger
Form auftritt, je 2 mal.
s , t. Pitha u. Billroth: Handbuch. der speciellen Chirurgie.
13
Ilaufigkeitsscala dcr befallenen Diaphysen:
Metacarpi 40mal
Metatarsi 13 „
Phalangen der Finger . . 38 .,
Phalangen der Zehen ... 3 „
Tibia 3 „
Ulna 3 „
Radius 2 „
Unterkiefer 2 „
104mal.
Meistens war imnier nur ein Knochen erkrankt;
nur in 18 Fallen zeigten sich Complicationen mit an-
deren tuberculosen Knochenerkrankungen; diese sassen
entweder an anderen Diaphysen, so class mehrere Spinae
ventosae gleichzeitig bestanden, oder in Epiphysen und
Gelenken, im Proc. mastoideus oder in Rippen. In
2 Fallen fand sich auch tuberculose Osteomyelitis im
Unterkiefer, einmal mit Spina ventosa an einem Knochen
der Hand compliciert.
Wenn nun auch die von uns gewonnenen Zahlen
entsprechend dem Umfange des Materials nur klein sind,
so darf man aus ihnen doch wohl den Schluss ziehen,
dass nicht die Phalangen am haufigsten erkranken, son-
dern im allgemeinen die Knochen der oberen Extre-
niitat, von diesen wieder am haufigsten die Metacarpi.
Die Knochen der unteren Extremitat werden im allge-
meinen seltener ergriffen, doch stehen auch hier die Er-
krankungen der Phalangen denen der Metatarsi an
Hiiufigkeit nach.
Der klinische Verlauf der Krankheit ist in den
typischen Fallen folgender: Entweder aus unbekannter
Yeranlassung oder, was meistens angegeben wird, nach
einem geringfiigigen Trauma, wie Schlag, Stoss u. dgl.
fiingt das betroffene Glied, z. B. eine Fingerphalanx,
langsam spindelformig zu schwellen an. Die kleinen
14
Patienten klagen dabei rneist nicht iiber irgend welche
Schmerzen, und das Krankkeitsbild entwickelt sich so
schleichend, dass die Eltern oft erst spat durch die Be-
hinderung der Beweglichkeit oder eine starkere Schwel-
lung aufmerksam geniacht werden. Einige Autoren,
z. B. Hueter 9 ), sind der Ansicht, dass sich der Prozess
in diesem Stadium noch spontan zuriickbilden konne,
ohne eine Spur zu hinterlassen; wir selbst haben dies
niemals beobacktet. Wird vielmehr der Prozess sich
selbst iiberlassen, so wird zuerst die Schwellung starker,
der ganze Finger und eventuell, wenn der Metacarpus
erkrankt war, die Hand, werden von derselben ergriflen.
Dann rotet sich an irgend einer Stelle die Haut, sie
verdiinnt sich und wird schliesslich von Granulationen
durchbrochen. Fiihrt man in die so entstandene Fistel
eine Sonde ein, so kommt man nicht auf Knochen, son-
dern in eine verhaltnismassig grosse, mit weichen Massen
erfullte Hohle. Aus dieser entleert sich zuerst eine
triibe, blutig serose Fliissigkeit; lange jedoch bleibt
dieser Zustand meist nicht bestehen, denn durch die
Fistel ist eine penetrierende Wunde geschaffen, welche
alien ausseren Infectionskeimen leicht Ein gang gewahrt.
So kommt es, dass das zuerst gutartige Secret fruher
oder spater, meist schon in wenigen Tagen, in eitriges
und jauchiges \ r erwandelt wird. Zugleich mit dem Eiter
konnen kleine, necrotische Knochenstiickchen durch die
Fistel entfernt werden, und nach deren Ausstossung soil
es unter moglichst giinstigen ausseren Yerhaltnissen,
d. h. vor allem bei moglichster Sauberkeit, in einzelnen
Fallen zur Spontanheilung gekommen sein. Wenn diese
nun auch wirklich eintreten kann, so erstreckt sie sich
stets iiber "Wochen und Monate.
In den allermeisten Fallen tritt aber dieser ver-
9 ) C. Hueter: Grundriss der Chirurgie, Band II. 4. Abteil.
L6
luiltnissmiissig giinstige Vcrlauf niclit ein, sondern der
tuberculose Prozess kriecht unter der Haut durch die
Weicliteile auf die benachbarten Gelenke, Sehnen und
Sehnenscheiden fort, urn auch diese zu zerstoren.
Das Allgenieinbefinden kann im ersten Stadium der
Krankheit ein vollig ungestortes sein, sofern es nicht
durch andere Verhaltnisse beeinilusst wird. Das Bild
wird jedoeh sofort ein ganz anderes, sowie Fistelbildung
uud Eiterung eingetreten ist. Denn wenn auch. der ur-
spriingliche Eiterherd nur klein ist, so kann er sich doch
vergrossern und durch die lange Dauer seines Bestehens
sowie durch Metastasen in inneren Organen die kind-
lichen Kriifte aufreiben.
Die Diagnose der Spina ventosa ist im allgemeinen
nicht schwer zu stellen; man findet eine gleichmassige,
nach den Seiten zu langsam abfallende, spindelformige
Anschwellung eines Fingergliedes, oder wenn ein Mittel-
handknochen befallen ist, eiue ziemlich gleichmassige
Schwellung der Mittelhand; durch die Schwellung hin-
durch fiihlt man meistens den verdickten Kriochen. Die
Diagnose ist kaum zu verfehlen, wenn die Haut bereits
von Fisteln durchbrochen ist.
Aber auch bei noch intakter Haut kann man nur
zwischen einer tuberculosen oder syphilitischen Affection
schwanken. Von vornherein spricht das viel hitufigere
Vorkommen der Spina ventosa auf tuberculoser Basis
viel mehr fiir diese Art der Erkrankung; jedoeh darf
man sich hierdurch natiirlich nicht davon abhalten lassen,
jeden einzelnen Fall genau auf Spuren hereditiirer
Syphilis zu untersuchen. Man beschranke sich dabei
nicht darauf, die Eltern auszufrageu, von denen man nie
vor wissentlich oder unwissentlich falschen Angaben
sicher ist, sondern man lasse der Anamnese stets eine
genaue Untersuchung folgeu. Hierbei ist hauptsachlich
auf Condylomata lata in der Analspalte zu fahnden,
16
welche sehr leicht iibersehen werden konnen. Findet
man nun irgendwelche Spuren kereditiirer Syphilis, so
versaume man selbstverstandlich nicht, eine specifische
Kur vorzunehmen. Im andern Falle aber, weiin durch
Anamnese und Untersuchung keine Anhaltspunkte fiir die
Annahme einer syphilitischen Erkrankung gefunden wer-
den konnen, dann kann man sicher sein, es mit einer
tuberculosen Entziindung zu thun zu kaben.
Eine allerdings im Vergleich zur Haufigkeit der
Spina ventosa sehr seltene Affection ist aber bei der
Diagnose auch noch zu beriicksichtigen, namlich die
primare Tuberculose der Sehnenscheiden. Diese bringt
ebenso wie die Spina ventosa eine spindelformige An-
schwellung des betreffenden Gliedes hervor und, da sie
meist auch einen ganz ahnlichen Verlauf hat, so kann
sie zu Verwechslungen sehr leicht Veranlassung geben.
Doch ist hierbei zu bemerken, dass die Sehnenscheiden-
tuberculose, welche meist an der Volarflache der Finger
vorkommt, an dieser Seite auch eine grossere An-
schwellung hervorbringt, wahrend bei der Spina ventosa
die ganze Dicke des Fingers gleichmassig aufgetrieben
erscheint. Immerhin ist es uns selbst in eineni Falle
vorgekommen, dass wir erst nach der Incision den Irr-
tum in der Diagnose entdeckten. Es handelte sich um
einKind, welches neben einer Caries desProc. mastoideus
und einer Spina ventosa am Fuss eine spindelformige Auf-
treibung an der Volarflache eines Fingers zeigte; haupt-
sachlich aus der Analogie mit den anderen Knochen-
affectionen wurde auch hier eine Spina ventosa ange-
nommen. Bei der Incision zeigte sich aber, dass die An-
schwellung des Fingers durch einen circumscripten Soli-
tartuberkel der Sehnenscheide hervorgerufen war, wahrend
der Knochen vollstandig unversehrt erschien. Eine grosse
Bedeutung hat ein solcher Irrtum jedenfalls nicht, da die
Therapie in beiden Fallen die gleiche ist.
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Bei der Prognose muss man eine strenge Schei-
dung zwischcn der des Localprozesses und derjenigcn
fur das Allgemeinbefinden machen. Uberliisst man den
Prozess sich selbst, so wird, selbst wenn wir den
giinstigsten Fall, die Spontanheilung, annehmen, das
betroffene Glied immer mehr oder weniger verkriippelt.
Meist ist diese Verstiirnmelung so hochgradig, dass das
erkrankte Glied zu jeder feineren Arbeit kaum noch
brauchbar ist. Der Grund hierfiir liegt ja auf der Hand:
Durch die Eiteruug und Granulationswucherung wird
ler Knochen erweicht, er giebt dem Zuge der Muskeln
aach und wird verkriimmt oder umgeknickt. — Und
doch ist dieser Fall der Spontanheilung noch der relativ
^iinstigste; tritt dieser nicht ein, so kriechen die Granu-
^tionen zuerst unter dem Periost in die benachbarten
jeleuke, uni diese zu zerstoren; haben sie erst die
Sehnenscheiden ergriffen, dann gelangen sie, alles, was
sie erreichen, zerstorend, schliesslich auf den Handrucken
und es kann hier zu einer ausgedehnten Tuberculose des
Bindegewebes und Caries der Knochen neben den ur-
spriinglichen Sehnenscheidenerkrankungen kommen. In