§rom fße fetßrarg of (profeßßor J)enrg (Breen QKequeafßcb ßp ßtm fo fße fetßrar^ of (prtncefon ^ßeofocjtcdf ^emtnarg DS 107 ,T6 I . Jv^uCc. LtVe- Aus dem heiligen Lande. 9 \ - - o v ; - ■' : , Digitized by the Internet Archive in 2019 with funding from Princeton Theological Seminary Library https://archive.org/details/ausdemheiligenlaOOtisc _ Die grossfürstliche Karavane im Gehirg Juda. h'iliircM (Jü o n a t a n t 1 it ®iscft?iutorf. .■ . 'ituv t',i: Mrf. Leipzig: }'. A. B r o c k h a u i . , 1 8 6 2. ’:A£^ . . 1 • . ■ . • j * , .T wC- '< ' ?£> ■ • ' • ;W *' vk . ■ • > — X •: » ' k : ■ / . - «•'% *.?v . . : •••' .... 4$ . :> ‘ • > .. .? V."? . .V, ■ ' V -V-V. &,• ; ■ .J M ■ T; ■ - - .■ ■ ‘ ■ ;-s stupst** : : ■ ■■■ -* ' V. . ' /• ' • r. ■ v* < ' •• ; • j ' ' , ' ' / ' ■ . • v f. • '»-v. • : . - , , A" ■ v I k ■ ■ .v- ■ ‘ r-' ■ ft , . 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Septembre) S. 583 — 586 Notizen über die chemische Natur des Manna vom Sinai und desjenigen von Kurdistan, nach Beobachtungen Herrn Berthelot’s. Es ergab die Analyse für das Manna vom Sinai : Sucre de canne 55, sucre inter- verti 25, dextrine et produits analogues 20 = 100. Für das Manna von Kurdistan: Sucre de canne 61, sucre interverti 16,5, dextrine et matieres analogues 22,5 = 100, o. Der Verfasser bemerkt dazu: D’apres les resultats precedents, on voit que la manne du Sinai et celle du Kurdistan sont constituees essentiellement par du sucre de canne, par de la dextrine et par les produits de l’alteration, sans doute consecutive, de ces deux principes immediats. Leur composition est presque identique, resultat d’autant plus singulier que les vegetaux qui produisent ces deux mannes, et dont elles renferment les debris tres-reconnaissables, appartiennent a deux especes extremement differentes. Cependant ce phenomene n’est pas sans analogue. On sait en effet que le miel recueilli par les abeilles sur des fleurs tres-diverses possede une composition a peu pres identique... Des insectes concourent egalement a la forma- tion du miel et ä celle de la manne du Sinai; cette manne, aussi bien que le miel, est constituee par du sucre de canne et du sucre interverti: la manne du Sinai renferme en outre la dextrine et les produits de son alteration. Si l’on se reporte maintenant au role historique qu’a pu remplir la manne du Sinai, il devient facile d’ex- pliquer l’emploi de cette substance comme aliment. En effet, c’est un miel veritable, complete par la presence de la dextrine. On voit en meme temps que la manne du Sinai ne saurait suffire comme aliment, puisqu’elle ne contient point de principe azote. Aussi les aliments animaux lui sont-ils associes, aussi bien dans les usages actuels des Kurdes que dans le recit biblique. Die letzte Bemerkung Berthelot’s lehnt sich an Exod. 16, 8 und 13 an, wo neben dem Manna als Morgenspeise die Wachteln als Fleisch für den Abend erwähnt werden. t* YII Seite mit der Kapelle des brennenden Busches. Die Moschee im Kloster. Die Bibliotheken und ihre Handschriften. Das Evangeliarium in Goldschrift . 72 — 82 TOI. Der Sinai. Besteigung desselben unter Benutzung des Strassenbau’s von Abbas Pascha. Die Namen Horeb und Sinai. Die Eliaskapelle. Die Felsenkuppe des Sinai. Aus¬ sicht. Fusstapfen vom Kamel Mohammed’s. Ueber die Aechtheit des traditionellen Sinai unter Berücksichtigung des Prokop’schen Berichts über Justinian’s Bauten, sowie der Nachrichten von Ammonius und von Nilus, von Cos- mas, von Eutychius (S. 91 — 101). Bestätigung des Resul¬ tats durch das Studium der Oertlichkeiten und des Schrift¬ textes (S. 101 — 104). Der Horebgipfel und Dschebel Musa. Raphidim . 83 — 107 IX. Der Bibelfund. Reisen von 1844 und 1853. Die Ueber- raschung am 4. Februar. Erster Ueberblick des Inhalts der Handschrift. Barnabas und Hermas. Verhandlüngen. Beschleunigte Abreise . 108 — 114 X. Kairiner Verhandlungen und Arbeiten. Der Eilbote. Die Abschrift . 115 — 118 XI. Erläuterung. Die Erhaltung des heiligen Textes durch Abschriften. Die Entstellungen des Urtextes bei diesen Abschriften im Laufe von 16 Jahrhunderten. Der übliche gedruckte Text und die angestrebte Reform desselben. Die bis jetzt vorhanden gewesenen Hauptfaktoren einer solchen Reform. Hervorragende Stellung der Sinaitischen Handschrift ihnen gegenüber. Ein Beispiel ihrer Wich¬ tigkeit für die Geschichte des Kanons . 119 — 124 XII. Die Pyramiden und der Sphinx. Die Pyramiden von Gizeh und das daneben ausgebreitete Todtengefilde. Der kolossale Sphinx . 125 — 131 XIII. Das Serapeum. Mariette’s Entdeckungen. Die Apis- Sarkophage. Die Verehrung des Apis. Die Ausgrabungen von Memphis. Der Ramses-Koloss. Die Ibismumien. 132 — 142 XIV. Heliopolis. Der Obelisk Sesurtesen des I. Der Sonnen¬ quell. Die uralte Sykomore im ehemaligen Balsam¬ garten . . . ' . 143 — 148 XV. Verlauf der Kairiner Verhandlungen. Die Wahl des neuen Erzbischofs vom Sinai . 149 — 150 XVI. Abreise und Quarantäne. Die Pestfurcht mit ihren 0 VIII Seite Folgen. Fahrt auf einem türkischen Dampfer nach Jaffa. Die Quarantäne in ihrer Unbehaglichkeit und Lächerlichkeit 151 — 155 XVII. Nach. Jerusalem. Grossfürst Constantin und sein Ein- zuo \ Ankunft des Grossfürsten zu Jaffa. Die Kunde vom o Sinaitischen Funde. Erlösung aus der Quarantäne und Abreise nach Ramleh. Die grossfürstliche Karavane. Die Ruinen von Latrun und von Nikopolis oder Emmaus. Das Waldsteinicht. Nachtlager zu Saris. Mustapha Abu Ghosch. Das Ruheplätzchen unterm Orangenbaume. Der Grossfürst über die Sinaihandschrift. Die ersten Begrüssungen des¬ selben durch den Patriarchen von Jerusalem und Surreya Pascha. Drei Empfangszelte. Das allgemeine Empfangs¬ publikum. Empfang beim Eintritt in die Kirche des hei¬ ligen Grabes. Schlussbetrachtung . 156 — 172 XVIII. Aufenthalt des grossfürstl. Paares in Jerusalem 173 — 287 Eindruck von Jerusalem. Abendstunde in der Grabes¬ kirche . 173 — 174 Den 13. Mai. Der Patriarch. Die via dolorosa. Der Ecce homo -Bogen und das Hochpflaster. Das Haus des Pilatus. Die S. Annenkirche und das Dogma von der un¬ befleckten Empfängniss der Maria. Der Teich Bethesda. Das Stephansthor. Die Grabkirche der Maria. Gethsemane. Der Oelberg und die Himmelfahrtskapelle. Die Aussicht vom Minaret . 175 — 197 Den 14. Mai. Russische Messe auf Golgotha. Die deutsch - anglikanische Christuskirche. Das armenische S. Jacobskloster. Die Kerkerstätten Christi. Die Hütten der Aussätzigen. Die christlichen Friedhöfe auf Zion. Das coenaculum. Das Grab David’s. Das syrische Kloster. 197 — 207 Den 15. Mai. Die Messhandlung des Patriarchen vor dem heiligen Grabe. Der Davidsthurm. Der Mamilla- Teich. Das Terrän für die russischen Bauten. Das Da¬ maskusthor. Die Jeremiasgrotte. Die wiederentdeckte Baumwollenhöhle. Die Höhen des Oelbergs. Das Kidron- thal. Die uralten kolossalen Mauersteine. Das goldene Thor. Die Gräber und Felsendenkmäler im Thale Josaphat. Die zwei Monolithe, benannt nach Absalom und nach Za¬ charias. Die Jacobshöhle und das Grab Josaphat’s. Die Quelle Siloah und der Siloahteich. Der Kanal, Der Maul¬ beerbaum des Jesajas. Der Blutacker. Birket es Sultan. 207 — 231 IX Seite Den 16. Mai. Ausflug nach San Saba. Unterhaltungen mit dem Patriarchen. Palimpsestenfund. Der heilige Saba. Die Märtyrer-Schädel. Johannes von Damaskus.. . 231 — 237 Den 17. Mai. Das Kloster der Kopten und das der Abyssinier. Besuch des Haram es Scherif. Die zahlrei¬ chen Begleiter. Die Tempelarea. Die Felsenkuppel -Mo¬ schee, aussen und innen. Der heilige Felsen, der merk¬ würdigste Stein der Welt, mit der edlen Höhle der Mos¬ lems. Die Moschee el Aksa und ihre Rückbeziehung auf Justinian’s Basilika. Der unterirdische Säulenbau. Die Wiege Jesu. Schlussbetrachtung . 238 — 254 Den 18. Mai. Nach Bethlehem. Das Eliaskloster. Ra- hel’s Grab. Anblick Bethlehem’s. Die kirchlichen Räume: das Schiff; der Chor; die Geburtskapelle; die Krippen¬ kapelle; Studirzelle und Grabstätte des Hieronymus. Die von ihm der heiligen Paula gesetzte Grabschrift. Der auf Helena und Constantin zurückgehende Kirchenbau. Die alte Verehrung der Geburtshöhle und ihr Verhältniss zum evangelischen Berichte. Geschichte der Baulichkeiten. Die Streitfrage über die heiligen Stätten. Die Frage von der Aechtheit der Geburtshöhle. Das Feld der Hirten. Das Städtchen Bethlehem, seine Geschichte und sein gegen¬ wärtiger Zustand . 254—279 Den 19. Mai. Gedächtnisstag der Kreuzeserscheinung. Bethanien. Das Lazarus-Grab . 279 — 282 Den 20. Mai. Mitternächtliche Andacht in der Grabes¬ kirche. Das Kloster zum heiligen Kreuze, eine Hochschule. Palimpsestentdeckungen in der dortigen Bibliothek. 282 — 285 Den 21. Mai. Nochmaliger Besuch des Oelbergs. Ab¬ schied von Jerusalem. Hieronymus vom Besuche der hei¬ ligen Stadt . 285—287 XIX. Die Kirche zum heiligen Grabe. Das heilige Grab. Beschreibung der Kirche nach ihren einzelnen Theilen (S. 288 — 295). Unmittelbare Prüfung der Oertlichkeiten vom Grab und von Golgotha (S. 296 — 298). Prüfung der¬ selben nach dem Laufe der alten Mauer. Das Thor Gen- nath. Der Name Golgotha. Der sogenannte Hiskiasteich. Die «Mauer der Makkabäer». Die jüngst aufgegrabenen Mauerreste (S. 298—305). Der Traditionsbeweis. (Anmer¬ kung über die Himmelfahrtsstätte auf dem Oelberg S. 306 — X Seite 307). Genaues Referat aus Eusebius. Unverkennbare im Spottbau ausgeprägte Tradition. Die « Wunderfügung» ohne Bezug auf die Oertlichkeit. Golgotha -niemals ver¬ gessen oder verborgen. Die Hadrian’schen Götzenbilder. Zusammengehörigkeit von Golgotha und Grab. Das neue Jerusalem ((gegenüber dem alten» bei Eusebius. Schluss¬ betrachtung . 288 — 317 XX. Nach Jaffa, Beirut, Ladakia und Smyrna. Nacht¬ quartier bei Abu Ghosch. Unsicherheit der türkischen Dampfer. Ankunft in Beirut. Beirut’s Alterthümer und ge¬ genwärtige Bedeutung. Ein Tag zu Ladakia. Irrthüm- liche Hochschätzung des Evangeliariums daselbst. Note über die fälschen Palimpseste des Simonides. Fanatische Verfolgungen der Christen durch die Türken in neuester Zeit, aus Consularakten belegt . 318 — 334 XXI. Ausflug nach Patmos. Ritt von Smyrna über Ephesus nach Scala nuova. Die Meerfahrt. Die handschriftlichen Schätze des Johannisklosters. Die Erinnerungen an Jo¬ hannes. Verhältnisse und Sitten der Insel . 335—346 XXII. Der glückliche Fund zu Smyrna. Ueber die Resul¬ tate meiner dokum entliehen Forschungen im Allgemeinen. Die Bilderhandschrift der griechischen Kirche zu Smyrna. Das tausendjährige Evangelienbuch . . 347 — 352 XXIII. Die Angelegenheit des Codex. Heise nach Con- stantinopel . 353 — 354 XXIV. Erinnerungen von der grossfürstlichen Reise nach Constantinopel. Besuch der Grossfürstin im Harem des Sultans. Reise nach Constantinopel und Ankunft. Die ersten Tage. Einladung zum Diner im grossherrlichen Harem. Gala. .Empfang zu Beschiktasch und Vorstellung im ThronsaaJ. Die Zimmerwanderung und die militärische Ueberraschung. Die Tafel. Die Oberhofmeisterin und ihr Compliment. Die Neugierde der Sklavinnen. Messer und Gabel. Tanz und Donnerschlag. Rückfahrt. Das ausserordentliche Sultansfrühstück. Gala-Theater. Der Sul¬ tan über die Vielweiberei. Der türkische Thronfolger. 355 — 368 XXV. Das erreichte Ziel. Die Wahlverwicklungen. Der Ausweg. Die Uebergabe der Handschrift. Ihre Veröffent¬ lichung und deutsche Bearbeitung . 369 — 373 Nachtrag zu Abschnitt VIII: Der Sinai . 374 — 375 Verzeicbniss der Abbildungen. 1. Das St. Katharinenkloster am Sinai. Zu S. 70. Das Bild entspricht dem Eindrücke, den Kloster und Gebirg auf den Ankömmling (vergl. S. 70) machen. 2. Die grossfürstliche Karavane im Gebirg Juda. Zu S. 63 und 64. 3. Der Einzug des Grossfürsten in Jerusalem. Zu S. 172. Yergl. S. 169. Beide Bilder sind nach Originalskizzen ausgeführt worden. 4. Jerusalem. Zu S. 196. Der Betrachtende steht auf der Höhe des Oelbergs. Das Bildchen gibt namentlich den Eindruck, den der Abhang des Moriah macht, vortrefflich wieder. Auf dem Moriah thront die Omarmoschee. Links davon im Süden ist der Zion, worauf das Minaret über dem Grabe David’s sichtlich. Ein wenig rechts hinter der Omarmoschee deutet die Doppel -Kuppel die Kirche des heiligen Grabes an. Die Flagge über der Westmauer im Hintergründe weht von der Citadelle mit dem Davidsthurme. 5. Patmos. Zu S. 346. Yergl. S. 339. 6. Kärtchen der Sinaihalbinsel mit Einschluss Jerusalem’s. Plan von Jerusalem. Grundriss der Kirche des heiligen Grabes. ' - ' C: ' ' . ' * ‘ . - ' ' ' ' , . ' ' ■S i ■ , ' J J . ✓ I. Ueberfahrt. Innerhalb acht Tagen aus der Temperatur des nor¬ dischen Jänner in die des deutschen Wonnemondes versetzt zu werden, das ist doch immer der Rede werth. Freilich gehört dazu, dass man den einen Welttheil mit dem andern vertauscht, dass man auf einem schnellen Dampfer das Mittelmeer überschreitet: aber dies vervollständigt nur die Thatsache selber und macht sie um so interessanter. Als ich in der Frühe des 9. Jan. 1859 die öster¬ reichische Hauptstadt verliess und am Abende desselben Tages in Triest eintraf, schien der Winter seinem deutschen Charakter entsprechen zu wollen. Lag auch auf den durch¬ reisten Strecken nur wenig Schnee, und zwar besonders auf den Höhen des Semmering, welche erst seit kurzem mit dem vollendeten Wunderbau einer unvergleichlichen Gebirgseisenbahn prangten, so hatten doch unsere Waggons sogar beeiste Fenster, und die sich über der grossen Porta orientalis erhebende wildschnaubende Bora liess es ganz vergessen, dass wir im Angesichte der italienischen Küste 1 Ti schendorf, Aus dem heiligen Lande. 2 weilten. Eben deshalb lag auch die Hoffnung auf eine glückliche Meerfahrt nicht sehr nahe ; sie trat um so fer¬ ner, als der zuletzt von dem afrikanischen Küstenlande heimgekehrte Kapitän dem freundlich besorgten Director des Lloyd auf seine Frage, was er für Wetter gehabt, die unerwünschte Antwort gab : « cattivissimo » . Am Morgen des 11. bestieg ich den Kalkutta, einen der grössten Lloyddampfer, bestimmt zur directen Ueber- fahrt nach Aegypten. Die Passagiere zählten noch mehrere Deutsche in ihrer Mitte; ausserdem war das deutsche Element auch dadurch vertreten, dass mit uns zugleich 100000 Stück neugeprägter Theresienthaler durch ein jüdisch-deutsches Bankhaus ins fremde Land hinüber¬ geführt wurden. Bei heiterem Himmel begannen wir die Fahrt auf dem adriatischen Meere. Der reizende Anblick der amphitheatralisch vor uns ausgebreiteten Stadt, links durch vereinzelte hübsche Landhäuser an den Höhen hin fortgesetzt, rechts von der Bergkette Istriens begrenzt, fesselte die Scheidenden noch lange. Aber noch lange über den Abschied hinaus blieb uns die Gunst des Him¬ mels treu; sogar bis Korfu, das wir in den Morgenstun¬ den des 13. erreichten, hatten wir einen klaren, nur sel¬ ten von stärkerer Strömung durchfurchten Meeresspiegel. Nachdem wir dicht vor dem griechischen Eilande Anker geworfen, gaben wir den an Gladstone, den englischen Commissar, gesandten Courier des Londoner Cabinets ab , wogegen wir treffliche Schnepfen nebst andern Delicatessen für unsere Tafel eintauschten. Wir versäumten aber auch nicht auf ein paar Stunden das schwanke Schiff mit dem sichern Boden der Insel zu 3 vertauschen. Die herbstlich angehauchte , doch noch immer sehr schmucke, selbst Palmen und üppig wu¬ chernde Cactusfeigen zur Schau stellende Landschaft war ganz dazu angethan, den Wandersleuten aus dem rauhen Norden den ersten Gruss des glücklicheren Südens zuzurufen. Daneben glänzte die vielbelebte Griechenstadt mit der auf diesen Tag fallenden Neujahrsfeier. In den ersten Nachmittagsstunden fuhren wir weiter, die so malerischen jonischen Inseln hindurch; noch ehe der Abendhimmel seine Sterne über der dunkelblauen Fluth leuchten liess, fuhren wir bei Sta. Maura jene Felsenwände vorüber, an deren röthlichem Kalk eine phantasiereiche Erinnerung das Blut der unglücklichen Dichterin Sappho zu erkennen gemeint. Aber bald breitete die Nacht drohende Wolken über unsern Häuptern aus: in ihnen begrub sich für alle die nicht an Sturm und Wetter Geschmack fanden der Reiz der Seereise, und erst am Morgen des 16. Jan. warfen wir im ersehnten Hafen von Alexandrien Anker. Die Entschädigung für die beschwerliche Seereise liess nicht lange auf sich warten. Hatten wir doch die alte berühmte Alexanderstadt in ihrer Verjüngung durch Mohammed Ali vor Augen; der Hafen wimmelte von flag¬ genden Schiffen, europäischen und orientalischen; selbst die ägyptische Kriegsflotte präsentirte sich. Unser Dampfer stand kaum still , als auch schon dienstfertige und, was da¬ mit zusammenfällt, backschisch- lüsterne Araber aus ihren Barken unser Verdeck bestiegen und das zur Disposition gelangende Gepäck, am liebsten zugleich mit den Passa¬ gieren selbst, in edlem Wettstreite an sich rissen und auf 1* 4 den Schultern davontrugen. Nachdem wir von demselben tumultuarischen Diensteifer an der Douane, die ihrerseits den wohlverdienten Backschisch mit einem «senza distur- barla» zu ehren versteht, umschwärmt worden waren, ge- ___ <► langten wir, die Einen zu Wagen, die Andern zu Esel, in ein arabisches ruinenhaftes Stadtviertel hinein und durch die engen Gassen desselben auf den grossen stattlichen europäischen Platz. Es war Sonntag; die in Festkleidern den Platz durchwandelnden Franken und die ringsum auf den platten Dächern der Consulargebäude von Thürmchen herabflatternden Nationalflaggen bezeugten es ; bald hörte ich sogar die Glocken der griechischen und der englischen Kirche: eine festliche Ueberrascliung, wenn man es weiss, dass der mohammedanische Fanatismus so viele Jahrhun¬ derte lang diese christliche Cultusäusserüng aufs Strengste verpönt hatte. Die Temper atur des Alexandriner Himmels konnte nicht verfehlen, den besten Eindruck auf die europäischen Ankömmlinge zu machen; der Thermometer zeigte am 16. Jan. 13° R. ; die Alexandriner selbst aber klagten über die Frische und Kühle ihres diesjährigen Winters. Als ich von den Fenstern des von einem Württem- berger gehaltenen grossen Hotel d’Orient den Platz über¬ sah, überraschte mich nichts so sehr als die fünfzig in der Mitte haltenden europäischen Kutschen und Droschken, grösstentheils mit schwarzen oder braunen Kutschern ver¬ sehen. Es lag darin das augenscheinlichste Zeugniss für den Fortschritt der europäischen Sitte, der in Alexandrien während zweier Jahrzehnde gethan worden. Als ich 15 Jahre früher zu denselben Fenstern hinausschaute , gehörte 5 eine solche Equipage zu den seltenen Bestandteilen eines Consularluxus; da hatten Kamel und Esel noch keine Concurrenz von dieser Seite zu fürchten. Schon 1853 war diese Concurrenz hervorgetreten ; aber eine solche Zahl europäischer Kutschen, wie sie jetzt wol täglich auf diesem Platze hält, reichte damals vielleicht für ganz Aegypten hin. Auch Kairo ist hierin hinter Alexandrien keineswegs zurückgeblieben; auch dort durchkreuzen alle Minuten das Franken viertel wenigstens elegante Zwei- und Einspänner. Dennoch ist kein Verkehrsmittel ungeeigneter für die mit wenig Ausnahmen engen und ohne alle Aus¬ nahme ungepflasterten Strassen Kairo’s, die, so lange der Tag währt, von Menschen aller Farben und aller Trachten, Weiber und Kinder nicht ausgeschlossen, von belasteten Kamelen, von zahllosen Eseln, deren viele Hunderte mit Wasserschläuchen belastet im Sold eines edlen Sanitäts¬ eifers fortwährend den Staub löschen, von Ziegen- und Lämmerheerden , von kleinen zweiräderigen Karren und andern Vehikeln, über die vielen herrenlos herumliegenden Hunde hinweg, durchzogen und durchwogt werden. Der jedem Wagen voranstürzende das Menschengewühl mit Stock und Peitsche trennende Läufer ist daher ein uner¬ lässliches Bedürfniss, und trotz desselben bleiben Unglücks¬ fälle nicht aus, zum Zeugniss dafür, wie rücksichtslos europäische Sitte orientalischen Verhältnissen sich auf¬ zudrängen weiss. r* II. Alexandrien. Soll ich nun von Alexandrien erzählen, ehe ich weiter eile? Für die meisten Reisenden, wenn sie nicht Handels¬ interessen verfolgen, die hier aufs Bedeutendste vertreten sind — zur lebendigen Erinnerung daran, dass die alte Welt zu Augustus und seiner Nachfolger Zeiten hier ihre grösste Handelsstadt, den Mittelpunkt europäischen Ver¬ kehrs mit Arabien und Indien besessen — ist Alexandrien nur der Vorposten von Kairo, dem grossartigen Centrum des ägyptischen Lebens. Daher genügt der Schaulust ge¬ wöhnlich ein Ritt nach der Pompejussäule und nach den Nadeln der Kleopatra, wozu etwa noch ein Besuch der Katakomben kömmt. Und in der That sind hiermit sehr merkwürdige Monumente genannt. Die Pompejussäule, laut ihrer griechischen Inschrift zu Ehren Diokletians vom Präfekten Publius wol gegen das Ende des 3. Jahrh. errichtet, also schwerlich in irgend einer Beziehung zu Pompejus, von dem sie gleichwol den Namen führt, steht vereinsamt auf wüster sandiger Höhe, zu ihren Füssen einen moham- % 7 medanischen Gottesacker, ungefähr in der Mitte der ehe¬ maligen mehrere Stunden grossen Stadt. Sie besteht aus dunkelröthlichem gesprenkelten Granit und hat eine Ge- sammthöhe von fast 100 Fuss, wovon 73 auf den Mono¬ lithen kommen, der den Schaft bildet. Ihresgleichen hat die Welt nur sehr wenige aufzuweisen. Dennoch steht ihr an Höhe und Stärke noch voran die prächtige aus finnischem rothen Granit gefertigte Alexandersäule vor dem Winterpalast zu St. Petersburg. Die beiden mit dem Namen der Kleopatra geschmückten Obelisken, gleichfalls von rothem Granit, prangten einst vor Cäsars Palast; doch war dies nur ihre zweite oder eine noch spätere Bestimmung, denn ursprünglich standen sie in Heliopolis, jener altberühmten, auch vom Propheten Jeremias ge¬ nannten Obeliskenstadt. Die Namen Thothmes des III. und Bamses des Grossen, die sie in Hieroglyphen -Bingen an sich tragen, versetzen sie in das 2. Jahrtausend vor Christus. Uebrigens haben beide schon längst europäische Eigenthümer erhalten, da Mohammed Ali den einen der noch aufrecht steht den Franzosen, den andern der zu Boden liegt den Engländern geschenkt; nichtsdestoweniger, gewiss ein seltener Fall, sind bis jetzt noch keine Schritte zur Heimführung dieser Schätze geschehen. Die Katakomben endlich , unterirdische Galerien von Felsengräbern, theil weise bewundrungs würdig durch ihre Anlage und Verzierungen, geben durch ihre noch uner- gründete mächtige Ausdehnung ein vollgiltiges Zeug- niss ab von der grossen Vergangenheit, aus der sie stammen. Aber auch noch ausser diesen wohlbekannten drei 8 Ueberresten von einer der prächtigsten und denkwürdig¬ sten Städte der Welt wachen von Zeit zu Zeit Erin¬ nerungen aus ihrer längstverklungenen Vorzeit auf. Wie nämlich schon die jetzt vorhandene Stadt aus dem Schutte der ehemaligen erwachsen ist, insofern kein grösseres Ge¬ bäude aufgeführt worden, ohne dass Massen alter aus¬ gegrabener Steine, Fragmente von Marmorsäulen, von Statuen, von Denkmälern, uralte Ziegel, ja auch ganze zusammenhängende Mauerstücke dazu verwandt worden wären : so tritt noch immer aus dem Schüttboden gar mancher monumentale Rest hervor, und selbst auf ganze alte Bauten trifft man, während der Grund für neue ge¬ graben wird. Von dieser Art sah ich 1859 umfängliche nur von leichten Sandschichten überdeckte Ruinen einer griechischen Kirche, deren Wände mehrfache bildliche Dar¬ stellungen zierten. Noch interessanter war mir aber der Fund, den ich sechs Jahre früher vor Augen hatte. Da waren nämlich beim Bau einer griechischen Schule zwischen dem griechischen Kloster und dem griechischen Consulate die vollständigen Fundamente eines der ansehnlichsten alten Bauwerke zu Tage gelegt worden. Die in beträcht¬ licher Tiefe ausgegrabenen Mauern aus Nilziegeln hatten ganz ungewöhnliche Dimensionen, und waren noch von solcher Festigkeit, dass sie nur durch Pulver gesprengt wrerden konnten. Innerhalb derselben lagen neben Capi- tälern, Friesstücken u. dgl. besonders grosse Reste von Marmorsäulen; eine Porphyrsäule darunter hatte 18 Fuss Länge bei 4 Fuss Durchmesser. Natürlich fragte man sich begierig, auf welchen alten Palast die Bauleute ge- stossen sein möchten, und man war vorzugsweise zur 9 Deutung auf die weltberühmte alexandrinische Bibliothek geneigt. War auch diese Deutung problematisch genug, so machte sie doch die starrenden Ruinen zur ehrwürdig¬ sten Erscheinung, und rief Alexandriens theuerste Erin¬ nerungen wach. Oder knüpfen sich diese nicht an jenen Cultus des Genius, der, von der freigebigen Gunst hoch¬ sinniger Fürsten getragen, zur Anlegung der grossartigsten Bibliothek, von der die Weltgeschichte weiss, und damit zur Erhaltung so viel edler Schöpfungen bevorzugter Geister geführt? Knüpfen sie sich nicfit an die Zeiten, wo diesen Cultus die christliche Offenbarung verklärte, und in ihrem Dienste begeisterte Forscher mit weithin leuchtender Fackel hervortraten? Diese Todten schweben nicht nur unvergänglich über allen in Schutt und Staub gesunkenen Prachtbauten , sondern sie erquicken auch noch heute empfängliche wissbegierige Geschlechter mit dem, was sie im Dienste der Wahrheit gedacht und geforscht und geschrieben. So überdauern die Helden des Ge¬ dankens mit ihren schlichten Gaben, ihren stillen Siegen Städte und Länder, so gross auch ihre Macht und Herrlichkeit. . o III. Nach Kairo. Am Morgen des 18. Jan. fanden sich die meisten deutschen und anderen Passagiere des Lloyddampfers auf der Eisenbahn nach Kairo wieder zusammen. Was an dem Maigenusse in Alexandrien noch gefehlt , das wurde jetzt völlig ergänzt. Je näher wir Kairo kamen, desto wolkenloser wurde der Himmel; und Nachmittags gegen 4 Uhr, eben als wir die Pyramiden, diese unverwüstlichen Denkmäler des altägyptischen Wunderlandes, mit glück¬ lichem Auge erfassten, brannte die Sonne mit der Gluth eines deutschen Juni auf uns; der Thermometer war fast auf 20° R. gestiegen. Fünfzehn Jahre früher legte ich denselben Weg auf einer bescheidenen Nilbarke zurück; bei sehr günstigem Winde hatte ich am Abende des vierten Tages das Ziel erreicht. 1853 brauchte ich mit dem Dampfschiffe bei niederem Wasserstande 24 — 30 Stunden. Jetzt würde der Dampfwagen in fünf Stunden zu demselben Ziele führen, nähme der Aufenthalt unterwegs, weil man in Aegypten 11 die Zeit nicht ängstlich nach dem Zeiger der Uhr bemisst, nicht noch einige Stunden in Anspruch. So lange uns die Schienen zwischen dem See Mareotis und dem Canal hinführten, war die Landschaft noch öde; nur zahlreiche Reiher und andere Seevögel belebten sie. Als wir aber bei Kafr-Sejat das linke Ufer des Nilarmes von Rosette betreten hatten, befanden wir uns mitten im duftenden und von dem mannigfaltigsten Geflügel belebten Friihlinge. Goldene Rübsenfelder und Fluren mit blühendem Flachse wechselten ab mit prangenden Wiesen und fettem Klee; die Baumwollenfelder mit wogenden Gersten- und Weizensaaten. An der eben genannten Station, die wenige Monate später die Vollendung des Nilbrückenbaues verherrlichte, hatten wir den Schauplatz jenes Eisenbahnunglücks, jener in den Nil zurückrollenden Waggons passirt, wodurch zwei Jahre vorher mehrere ägyptische Grosse des Reiches, auch ein Bruder des Vicekönigs, das Leben verloren. Ein wohl¬ unterrichteter Reisegefährte, der es erlebt, zweifelte wenig daran, dass böswillige Berechnung das Ereigniss herbei¬ geführt. Gehören doch auch dergleichen zum eigenthüm- lichen Colorit der Landesverhältnisse. Im Allgemeinen sind Unglücksfälle auf den ägyptischen Eisenbahnen, trotz einer gewissen Sorglosigkeit, die das ganze Institut um¬ schwebt, selten. Dafür fährt man auch mit sehr massiger Schnelligkeit. An derselben Station bei Kafr-Sejat befindet sich die privilegirte Restauration der Eisenbahn. Sie sei deshalb erwähnt, weil sie sich durch die, wie es scheint, gleichfalls privilegirte Unart des Wirtlies charakterisirt, trotzdem dass 12 er zum Theil deutsche Kellner und auch eine deutsche Frau hat. Für ein massiges Frühstück a la table d’hote, ohne ein Glas Wein oder Bier, beträgt nämlich seine Taxe 5 Schilling oder l2/3 Thlr. Auf solche Weise pflegen in Aegypten von den Europäern, den sogenannten Franken, die Privilegien ausgebeutet zu werden. Daher ist es freilich kein Wunder, dass manchem geschickten Speculanten die Entdeckung goldener Berge nicht nur vorschwebt, sondern wirklich gelingt: Doch gehört der angedeutete Weg zu den ehrenhaftesten ; die Schatzkammer des Vicekönigs kennt noch ganz andere Abzugskanäle. Wenden wir uns von der genossenen theuern Er¬ quickung wieder auf unsern Weg zurück, so wird die Umgebung desselben immer freigebiger mit ihrer Augen¬ weide. Bald nach Kafr-Sejat passirten wir die durch ihre Märkte wohlbekannte und auch berüchtigte Stadt Tanta; da sie eben damals einen ihrer Märkte hielt, so hatten wir von ihr aus beständig, zwischen den lehm¬ farbigen nur durch das Minaret inmitten der niedern Erdhütten dem Auge sich verrathenden Dörfer, ganze Züge wandernder Fellahs neben uns, theils zu Fuss, theils zu Esel, einzelne auch zu Kamel. Später fuhren wir beim viceköniglichen Palast zu Benha vorüber, dem der dort erfolgte plötzliche Tod des Abbas Pascha eine traurige Berühmtheit verschafft hat. Dass dieser Fürst, der, im Gegensätze zu seinen Vorgängern und seinem gegenwärtigen Nachfolger, seine eingebornen Unterthanen eben so hoch hielt als er dem Schwindel europäischer Rathgeher ab¬ geneigt war, durch die meuchelmörderische Hand zweier Mamelucken aus Konstantinopel gefallen, darüber kann t 13 kein Zweifel obwalten. Sein Palast wurde auf alle Weise ausgeraubt; er liegt noch jetzt verlassen. An den beiden Meuchelmördern selbst liess ein Sohn des Erdrosselten wenigstens dadurch Vergeltung üben, dass er ihnen einen sicher treffenden Dolch nach Stambul nachsandte. Gegen 5 Uhr des Abends hatten wir die Stadt mit den zahllosen schlanken Minarets erreicht; sie lag grössten- theils zu unserer Rechten, während wir zur Linken die bei Heliopolis angrenzende, nach Suez führende, aber jetzt gleichfalls von der Eisenbahn durchschnittene Wüste hatten. Zwischen Stadt und Wüste begrenzte den Blick der weiss- liche Mokattam, der da wo er die Stadt beherrscht die Citadelle sammt der Alabastermoschee Mohammed Ali’s trägt; unfern von seinem Fusse ragten aus der grossen Todtenstadt die runden turbanähnlichen Thürme der Kha- lifengräber hervor. \ c IV. Vorbereitung zur Sinai -Reise. Den Genuss von Kairo gönnte ich mir zunächst nicht, auch keinen Ausflug in eine seiner lockenden Nachbar¬ schaften: es drängte mich nach dem Sinai. War es mir . auch selber unklar, was mich forttrieb aus den stillen Ar¬ beiten der Heimath , auf die mich ausser den schon verar¬ beiteten manche Errungenschaft von früheren Forschungs¬ reisen mit Nachdruck hinwies, so war ich doch an diesen Drang dahingegeben wie an eine gebieterische Macht. Und vor allem stand mir der Sinai mit seinem Kloster, trotz des früheren zweimaligen Besuches, wie ein Ziel vor Augen, das mir winkte, das mich rief. Meine Sehnsucht, meine Erwartung war nur noch gewachsen, seitdem ich gelesen hatte, dass ein mir befreundeter Gelehrter zu Oxford, der zu ähnlichen Forschungen wie ich selber, im Aufträge der grossbritannischen Regierung, ins Morgenland ausgegangen war, gerade den Sinai unbesucht gelassen, indem er ausdrücklich auf die muthmasslich erschöpfenden früheren Nachforschungen hinwies.1 1 «at Mount Sinai, after the visit of so eminent a pa- laeographer and critic as Dr. Tischendorff, to say nothing of 4 15 N So rüstete ich mich denn nnverweilt zur Sinai -Reise. Die längere Wanderung durch die Wüste , die sie in sich schliesst, erheischt mancherlei Vorbereitungen; ich konnte dafür meine früheren Erfahrungen nützen. Ich nahm einen Dragoman und einen Koch in Dienst; ein stattliches Zelt wurde gekauft, desgleichen das nöthige Küchen- und Tafelgeschirr; dazu die Reisekost selber auf mehrere Wochen für mich und mein Geleit. Der russische Generalconsul stattete mich mit den offiziellen Papieren aus. Eine Unbequemlichkeit bot gerade dasjenige dar, was sich als eine wesentliche Förderung der Reise an¬ kündigte, die seit zwei Monaten zwischen Kairo und Suez hergestellte Schienen-Verbindung. Theils nämlich eignete sich eine so ansehnliche Reise -Ausstattung, wie ich sie bedurfte, wenig zu Passagiergut, zumal bei dem dortigen hohen Tarife; theils Hessen sich die eigentlichen Faktoren der Wüstenreise, die Kamele sammt Beduinen, die ich ge¬ wöhnt war vor der Thür des Hotels gelagert zu sehen, gar nicht in Kairo anwerben, sondern erst in Suez, der kleinen vom Kairiner Comfort zur Zeit noch gänzlich entblössten Küstenstadt des rothen Meeres. Um der Unsicherheit in Betreff der letzteren zuvorzukommen', ging zwei Tage vor mir eine telegraphische Mittheilung an den russischen Consularagenten zu Suez ab, während dem erstgenannten Uebelstande der Chef der ägyptischen Eisenbahnen Nubar- the visits of maiiy other literary men, there could be nothing which could justify the hope of discovering anything which had escaped their practised eyes.» Siehe: «Report to Her Majesty’s Government on the Greek Manuscripts yet remaining in li- braries of the Levant. By II. 0. Coxe.» (London 1858.) 16 * * Bey, den ich früher als ersten Dragoman des Vicekönigs kennen gelernt hatte, mit vieler Freundlichkeit begegnete. Noch ein anderer Uebelstand liess sich weniger beseitigen^ als dass er ertragen sein wollte. Der gemiethete Koch, ein Italiener, war durch den Anblick des ersten ihm zu Einkäufen anvertrauten Goldstücks dergestalt geblendet worden, dass er sich sofort betrank und aus Trunkenheit in Excesse gerieth, die ihn anstatt auf den Weg nach dem Sinai hinter feste Kairiner Mauern brachten. Die Folge davon für meine Reise war die möglichste Be¬ schränkung aller Gelüste, die auf die Kunst des Kochs Anspruch machten. Nach Suez und Ayun Musa. Am zweiten Sonntage nach Epiphanias hatte mich der Dampfer wieder nach Aegypten geführt; in der Frühe des dritten, am 23. Januar, trat ich meine neue Wanderung nach dem .Sinai an. So langweilig die Strecke zwischen Kairo und Suez auf dem langsamen Schiffe der Wüste gewesen, das nicht leicht weniger als fünf Tage brauchte, wenn sie auch ein schnelltrabender Esel zu 24 Stunden kürzte ' so anziehend ist sie nunmehr geworden, indem sie auf den Flügeln der Locomotive in fünf bis sechs Stunden durcheilt wird. Fehlt auch hierbei das Gefühl der Wüste, so lässt sich doch fürs Auge wenigstens der Eindruck, der Begriff der Wüste gewinnen. Die zur Rechten, von Westen nach Osten, den Horizont begrenzen¬ den Gebirge, besonders nach der ersten Hälfte des Weges, traten mit dunkler Gestalt und wülden Formen vor den Blick; sie bildeten einen schroffen Contrast mit den Sand¬ flächen der Ebene. Die Anlegung dieser Wüsteneisenbahn war von be- 2 Tisch endorf, Aus dem heiligen Lande. 18 sonderer Schwierigkeit, weniger dadurch, dass der Boden zuerst sehr merklich ansteigt und später gegen das Meer hin abfällt, als durch die Haltlosigkeit des weichen feinen Sandes, der überdies noch oft von Südwinden aufgewühlt und über die Bahn geworfen wird. Auch ist die Aufgabe nicht leicht, eine solche Wüstenbahn mit Wasser und Kohlen zu versorgen. Unsere Fahrt ging mit ziemlicher Präcision for sich, nur dass die Pausen, die ausschliesslich die Verproviantirung der Locomotive bezweckten, sehr willkürlich gehalten wurden. Nubar-Bey, der schon genannt worden, befand sich nebst mehreren Ingenieuren persönlich heim Zuge; alles hing an seinem Auge und Winke. Echt orientalisch lagen an mehreren Stellen die Kohlenhaufen nahe genug an den Schienen, um beim Darüberfahren gestreift zu werden. Bahnwärter gab’s noch nicht. Bei Suez trafen wir eine Masse arabischer Arbeits¬ leute damit beschäftigt, die Bahn eine Strecke weit durch die untiefen Wasser der Meeresküste zu bauen, wodurch ein unmittelbarer Ausladungsplatz für die Seefrachtgüter gewonnen werden sollte. Während diese armen Menschen ihre schwerbeladenen Körbe auf dem Kopfe dahintrugen — von andern Transportmitteln war wenig zu sehen — wurden immer je zehn bis zwanzig durch einen Aufseher begleitet, der jedem Säumigen mit schneller Hand seinen Stock fühlen liess. Dies wurde mir als die einzige Münze be¬ zeichnet, mit der solche eingeborene Arbeiter noch ausser der schmalen Kost bezahlt werden. Zur Ausgleichung des Conto verschlingen europäische Beamte Silber und Gold. Und so erneuert sich, im Gegensätze zu dem national- \ 19 freundlichen Systeme von Abbas Pascha, wenigstens nach einer Seite hin die Zeit Mohammed Ali’s. Der russische Consulatsverweser Constantin Costa, den ich schon auf meinen beiden früheren Reisen 1844 und 1853 im Hause seines Vaters als gewandten Vermittler der Zunge des Orients mit der des Fremdlings kennen gelernt, empfing mich an der Bahn mit der Nachricht, dass er mit Beduinen vom Sinai, die sich glücklicherweise in der Nähe befunden hatten, bereits erwünschte Verab¬ redungen für meine Wüstenwanderung getroffen. Ehe wir jedoch den Contrakt abschlossen, wonach jedes der sechs Kamele mit 150 Piastern, den Napoleond’or zu 116 ge¬ rechnet, bezahlt wurde — 1844 hatte ich 120 bezahlt, und zwar für den ganzen Weg von Kairo aus — , hielt es der Consul für gerathen, dem Beduinenschech, der mich führen sollte, durch den Gouverneur von Suez die strengste Pflichttreue einschärfen zu lassen. Am Vormittage des 24. Januar besuchten wir daher Selim Pascha, einen alten Kriegskameraden von Mohammed Ali und Ibrahim Pascha. Trotz seines hohen Ranges trug er, als er uns in seinem grossen Salon empfing, einen abgetragenen Soldatenrock, dem an mehreren Stellen die bessernde Hand vonnöthen war. In seiner Unterhaltung aber wusste er sogar von den Alterthümern in Syrien zu sprechen, von Petra der merkwürdigen Felsenstadt, auch von der heissen Quelle am See Tiberias. In Betreff des Durchstiches der Land¬ enge hatte er keine sanguinischen Hoffnungen. Er meinte, wenn es ja auch weder am Ferman noch am Gelde fehlen sollte, so werde es doch an Menschen zur Arbeit fehlen, wobei er auf die besorglich fortschreitende Entvölkerung 2* 20 Aegyptens hinwies. Als wir unseren Schech hatten rufen lassen, wurde er in beträchtlicher Respectsentfernung aber sehr eindringlich bedeutet, dass es sich um seinen Kopf handle , wenn mir ein Leid widerfahren sollte. « Bringst du», so sagte zu ihm der Gouverneur zuletzt wörtlich, «nicht einen Brief von deinem Herrn zurück, worin er seine Zufriedenheit mit dir ausspricht, so lasse ich deine Weiber und Kinder wegführen, und du kommst nicht wieder in die Mauern von Suez». Nach Empfang solcher Instructionen begreift es sich freilich, dass der Schech sowol hin- als rückwärts — denn auch zur Rückreise bediente ich mich seiner — nichts unterliess was er in den Kreis seiner Pflichten ziehen konnte. Uebrigens war der Wüstenweg vollkommen sicher; wir trafen ebenso wenig auf feindliche Beduinen als auf gefährliche Vier- fiissler der Wüste. Ich hatte die Absicht, um die Mittagsstunde zu Dro¬ medar1 durch die nördliche Meeresfurth zu reiten, wie ich dies bereits früher gethan; allein der ausnahmsweise wehende Südwind liess dies Unternehmen weniger sicher erscheinen. Ich beschloss daher den unbeladenen Kamelen diesen Weg zu überlassen und meinerseits, in Begleitung des freundlichen Consuls, in einer Barke auf das asiatische Ufer hinüberzufahren. Bei diesem kurzen Uebergange von 1 Der Unterschied des Dromedars vom Kamel beschränkt sich in Aegypten auf den schlankeren Bau des ersteren, wo¬ durch es zu flüchtigem Ritte geeigneter wird als zur Be¬ förderung schwerer Lasten. Unter den Kamelen meiner Karavane hatte ich immer ein oder zwei solcher Dromedare. Alle waren einhöckerig. einem Welttheile zum andern gab’s ein Abenteuer, das den übelsten Ausgang drohte. Die Beduinen, säumig wie sie sind, hatten sich nicht streng an die günstige Ueber gangs¬ stunde gehalten. Als wir um ein Uhr hinüberkamen, fan¬ den wir nur drei Kamele vor, während die andern in einiger Entfernung von uns mitten im Wasser standen und wegen der fortwährend zunehmenden Fluth immer tiefer liinein- geriethen. Die Führer sassen auf dem Rücken der Thiere, vermochten sie aber auf keine Weise vorwärts zu bewegen. Nach zwei Stunden war die Hoffnung fast aufgegeben, die bis an den Kopf ins Wasser versunkenen Kamele sammt Beduinen zu retten, als ein gewandter arabischer Bursche vorschlug, er wolle durch die Wogen hinzueilen und mit erfasstem Zügel den Kamelen voranschwimmen. Für je¬ des gerettete Kamel — der Führer wurde stillschweigend eingerechnet — wurde ihm ein Backschisch von 9 Piastern versprochen. Das Mittel half in der That, denn als die Kamele ihren Vorschwimmer hatten, folgten sie ihm und kamen glücklich ans Ufer. Und somit ging im letzten Stadium ein Miniaturbild der Pharaonischen Katastrophe für uns verloren. Bald darauf waren die Kamele beladen ; doch war an diesem Tage nur noch das wenig über zwei Stunden ent¬ fernte Ayun Musa zu erreichen. Consul Costa besitzt hier einen schönen, auch an Gemüsen reichen Palmengarten, dessen wohnliche Räume, seit ich sie 1853 zuletzt betreten hatte, von Abbas Pascha erweitert und verschönert worden waren. Der Vicekönig hatte sich hier nämlich, bei seiner schwärmerischen Vorliebe für die Wüste, die Stätte aus- erseheiv wo sein Harem, dem eine Entbindung bevorstand, 22 drei Sommermonate zubringen sollte. Er hatte deshalb mit dem Besitzer das lieber einkommen getroffen, dass nach dieser Zeit alle von ihm ausgefiihrten Verschönerungen als ein Geschenk an denselben verbleiben sollten. Die sämmtliclien Haremsfrauen trafen denn auch in vier¬ spännigen Wagen in Suez ein, um des folgenden Tages auf bebautem Wüstenwege die Sommerresidenz zu er¬ reichen. In derselben Nacht kamen aber Eilboten mit dem Befehle sofortiger Rückkehr an. Den Grund dieses Befehls erfuhren die überraschten Frauen erst später; Abbas Pascha war von zwei meuchelmörderischen Mame¬ luken erdrosselt worden. VI. Wanderung durch die Wüste. Die Sonne sank als wir Ayun Musa erreichten, das sich mit seinen Palmen, Tamarisken und Nebekbäumen fiir’s Auge des Ankömmlings wie ein schmaler grüner Waldstreifen vom bleichen Wüstensande lieblich abgrenzte. Den Namen «Mosis Quellen» führt diese durch mehrere hübsche Gartenanlagen neuerdings angebaute Oertlichkeit Ton den im Sande in engem Umkreise zahlreich auf- % gegrabenen und leicht noch vermehrbaren 1 Quellen, deren 1 Frühere Reisende haben deren bald mehr, bald weniger gezählt. 1853 zählte ich selber 19; aber noch an vielen andern Stellen verriethen Schilfrohrbüschel, dass die nachspürende Hand Wasser finden würde. Im Jahre 1483 schrieb Fabri davon: «Wir funden die Kamel in einem weiten Sandfelde, bei drey Brunnen, die im Sande da entspringen. Da hat man abgeladen, und tränket das Viehe. Das Wasser war ein wenig gesalzen und so warm als wäre es bei dem Feuer gestanden, darum wir sein nicht mochten trinken. Die Brunnen heissen Moyses- brunnen, weil er mit den Kindern von Israhel auch da gelegen ist bei den Brunnen». (1557. Bl. 158.) 24 Wasser wol grösserentheils einen starken Beigeschmack von Schwefelleber hat, dennoch aus den besseren Quellen Kamelen und Beduinen vortrefflich mundet. Die Tradition hat also diese Quellen mit Mose in Verbindung gebracht. Dieselbe Stätte mag es in der That gewesen sein, wo er mit seinem wunderbar aus der Feinde Arm und aus der Fluthen Gefahr geretteten Volke einen Halt gemacht vor der langen Wüstenreise, und mit begeisterten Lippen jenen Dank- und Freudenpsalm (2. Mos. 15) angestimmt über «die herrliche That des Herrn», «des rechten Kriegsmannes r , «der Ross und Wagen ins Meer gestürzt».1 Das unver- 1 Man hat sich in neuerer Zeit viel mit Beantwortung der Frage beschäftigt, an welcher Stelle das Volk Israel das rothe Meer durchschritten haben möchte. Es hangen damit zwei andere Fragen genau zusammen: die Bestimmung der Lage von Ramses , dem Ausgangspunkte des Zugs , und die der Wegesrichtung des ausziehenden Volks von Ramses bis ans Meer. Die Antwort, die ich auf diese drei Fragen zu geben versucht, zuerst 1845 in meiner Reisebeschreibung, sodann in einer besonderen Schrift («De Israelitarum per mare rubrum transitu», Leipzig 1847) würde ich, gegenüber anderen üblichen Auffassungen, der Hauptsache nach noch immer für die wahr¬ scheinlichste erklären, wenn nicht die Resultate der neuesten ägyptologischen Forschungen (von Lepsius und Brugsch; siehe besonders des Letzteren «die Geographie des alten Aegyptens » S. 265 fg.) gegen die Zusammenstellung von Ramses und He- liopolis Zeugniss ablegten. Auch die neulichst von Gust. Unruh gegebene Darstellung scheint mit ihrer wesentlichen Terrains¬ veränderung nicht ganz unberechtigt zu sein; nur steht neben dem Berechtigten des Bedenklichen sehr vieles. Gerade der Durchgang durch’s Meer gewinnt dabei eine sehr miss¬ liche Form; nicht weil Ebbe und Fluth in den Dienst des göttlichen Wunders treten, denn hierzu nöthigt uns der heilige 1 25 gängliche Gedachtniss dieser grossen That Gottes gibt denn auch jeder neuen Wanderung nach dem Sinai die Text selbst («der Herr liess das Meer hinwegfahren durch einen starken Ostwind die ganze Nacht» 2. Mos. 14, 21); wol aber wird der von zwei Meeresarmen gleich einer Sackgasse fast nur aus geologischen Schlussfolgerungen gebildete Winkel, in den das fliehende Volk geräth , nicht ohne Willkür ange¬ nommen und zu solcher Bedeutung erhoben. So berechtigt diese und die wichtigsten andern geologischen Folgerungen im Allgemeinen sein mögen, so führen sie doch schwerlich auf ein für die ägyptische Geschichte so junges Zeitalter wie das 14. Jahrh. vor Chr. zurück. Auch nach dieser neuen Ansicht bildet übrigens Ayun Musa den Ausgangspunkt für die weitere Wüstenreise zum Sinai. Es bildet ihn ebenfalls für diejenigen, welche gerade dort, wo das Meer eine Breite von 6 Stunden hat, den Ueber- gang Israels annehmen. Wäre diese Annahme richtig, so hätte im Mosaischen Berichte wol der Ausspruch stehen können: der Herr versetzte sein Volk durch seinen wundermächtigen Finger von einem Ufer aufs andere, aber nicht die Angabe, dass starker Ostwind durch nächtliches Wehen den Weg trocken gelegt, so dass ihn um die Morgen wache das grosse Heer glücklich überschritten hatte. Von den oben erwähnten neuesten ägyptologischen For¬ schungen ist gewiss das eins der interessantesten Resultate, dass mit grosser Wahrscheinlichkeit Menephthes I. (1341 — 1321 vor Chr.), wol zu Memphis residirend, als derjenige erscheint, unter welchem Mose den mit Pharao’s Untergang — 1321 — verbundenen Auszug bewerkstelligte. Der aus den Monumen¬ talinschriften sich ergebende Tod des Thronfolgers Merneptah stimmt aufs Ueberraschendste mit der heiligen Erzählung. («Und zur Mitternacht schlug der Herr alle Erstgeburt in Aegyptenland, von dem ersten Sohne Pharao’s an, der auf seinem Stuhle sass» etc.) Allerdings fällt auf diese Weise der Auszug etwa um hundert Jahre später als nach der ge- 26 erste Weihe , und das Bewusstsein , dass wir nach mehr als drei Jahrtausenden jenem merkwürdigen und folgenschweren Wanderzuge , so sichtlich gelenkt von der Hand des Herrn , nachzugehen im Stande sind, ist nicht die geringste Verherrlichung unserer eigenen Reise. Meine Beduinen, denen ohne Zweifel andere Gedanken näher lagen und auch viel wichtiger waren, versorgten sowol sich als ihre Kamele reichlich mit dem besten Wasser der Mosisquellen. Früher geschah dasselbe auch von mir; dies Mal aber begleiteten mich als kostbares Reisegut zwei Fässer Nilwasser, das die neue Eisenbahn Costa’s Vorräthen zugeführt. Als mir Costa’s Gärtner, zugleich Hüter seiner Be¬ sitzung, noch einen prächtigen duftigen Strauss hundert¬ blättriger Rosen am Morgen des 25. Januar aus der Gar¬ tenflora von Ayun Musa gereicht hatte, sass ich auf und ritt in die sich mächtig vor uns ausdehnende Wüste hinein. Zur Rechten, im Westen, hatten wir den tief¬ blauen Spiegel des rothen Meeres, hinter dem vom afri¬ kanischen Boden der Dschebel Atakah mit finsterer Stirn zu uns herübersah ; zur Linken beherrschte den Horizont in stundenweiter Ferne ein langgestrecktes weissröthliches wohnlichen Annahme. Allein che Thatsache scheint unwider¬ leglich festzustehen, dass der den Israeliten auferlegte Festungs¬ bau von Pithom und Ramses nur dem Vater des genannten Menephthes, d. li. Ramses dem Grossen (1407 — 1341 vor Chr.) zugeschrieben werden kann. Vgl. Brugsch: Histoire d’Egypte etc. P. I. S. 175fg. und desselben «Geographie des alten Aegyp¬ tens» an der schon angeführten Stelle. O Kalkgebirge, der Dschebel er Rahah. Hatte einst Israel dieselben Anschauungen, so besass es dort ein Bild seiner dunklen schweren Vergangenheit, von der es bereits die blauen Wogen trennten , während ihm aus Osten ein Morgenschimmer vom Lande der Verheissung zuwinkte. Sobald wir Ayun Musa aus dem Gesichtskreise verloren hatten, sahen wir vor uns und hinter uns nichts als den lockeren bleichen Sand der Wüste, dessen weite Flächen nur hie und da von niedrigen Hügeln und dürren Sträu- chern unterbrochen wurden. Der erste Tag führte uns nur durch eine öde, gross- tentlieils von feinem Kiesgestein bedeckte Ebene, deren vom östlichen Gebirg zum Meer laufende Wadis durch nichts als schmale mit niedrigem Gesträuch bewachsene Strecken ohne irgend eine Quelle bemerklich werden. Des Nach¬ mittags um 4 Uhr machte ich Halt und liess am Aus¬ gange des Wadi Saddr das Zelt aufschlagen. Gegen das Meer hin ist seine Vegetation weit voller als die der vorherigen Wadis, wie ich mich 1844 überzeugte, sogar ein Tamariskenwäldchen zeichnet ihn dort aus; doch ist er gleichfalls ohne Quelle. Zu der genannten Stunde zeigte der Thermometer 18° R. Ungefähr dieselbe Höhe, bisweilen noch etwas mehr, beobachtete ich in den näch¬ sten Tagen; doch nahm die Hitze merklich ab, je wei¬ ter wir in die Bergregion des Sinai vorrückten, und an den ersten beiden Februartagen hatte ich innerhalb der & Mauern des Sinaiklosters früh 7 Uhr nicht mehr als 2 und 3° R. Am 26. durchzog ich den breiten Wadi Ward an, dessen Abu Suweirah benannte Quelle weit von diesem 28 oberen Wege ab nahe am Meere liegt1, später den viel unbedeutenderen Wadi el Amarab. Bei anbrecbender Dämmerung befanden wir uns in einer öden Hügelland¬ schaft von weisslichem Aussehen. Nachdem wir kurz vorher bei einem rechts am Wege wie ein uraltes Merk¬ zeichen am Fuss eines Kalkhügels liegenden Felsblock, benannt der Reiterstein, vorüber gekommen waren, stieg ich ab um die merkwürdige Howaraquelle zu besuchen. Sie liegt wenig Schritte links vom Wege auf einem der vielen weisslichen Gypshügel, welche diese Gegend kenn¬ zeichnen, und bietet in einem breiten rundlichen Becken reichliches Wasser dar. Mehrere Stückchen Marienglas lagen nahe dabei. Unweit davon stehen ein paar volle Palmenbüsche, sowie mehrere kleine Schilfrohrbüschel. Ich kostete das Wasser, und war überrascht, seinen Ge¬ schmack weniger schwer und bitter zu finden als Ende Februar 1853. Wahrscheinlich hatte der vorher stark ge¬ fallene Regen, in Folge dessen das Wasser mehrere Fuss 1 Bei Fabri heisst der Wadi Warchday. Die grosse Karavane, mit der er zog, lagerte bei der Quelle. «Von dem Ort», schreibt er Bl. 155, «sahen wir durch einen sandigen Grund in das rothe Meer, und dünkte uns, es wäre kaum eine welsche Meile von uns». Durch diese scheinbare Nähe liess er sich nebst mehreren Reisegefährten, gegen die Mahnung der Araber, zu einem Ritt zu Esel ans Meer verleiten, wobei nach eingebrochenem Dunkel der Rückweg verfehlt wurde. «Alle meine Tage bin ich in grösseren Aengsten nie gewesen. Und also sprachen alle Ritter und Herren, die in der Irrunge waren.» So steht am Schlüsse seiner Erzählung davon. Wie oft haben sich seitdem auf den Wanderungen durch diese Wüsten ähnliche Scenen erneuert. Eine der neuesten beschreibt v. Schubert. 29 hoch stand, diese Geschmacksverbesserung bewirkt. Zu genauerer Analyse in der Heimath füllte ich eine Flasche davon. Nach meinen früheren Aufzeichnungen weicht die eigenthümliche unangenehme Schwere der Howaraquelle auffällig ab vom weichen Milchgeschmacke, der die meisten Quellen dieser Wüste charakterisirt. Auch die salzige Umgebung tritt bei keiner der folgenden Quellen so stark hervor wie hier. Wie 1853 zählte ich auch dies Mal nach dem sehr gleichmässigen Kamelschritte 15 bis 16 Stunden von Ayun Musa bis hierher. Dass nun diese Howaraquelle dieselbe Bitterquelle sei, welche Mose nach dreitägigem Zuge mit seinem grossen Volksheere als erste Quelle antraf, wie seit Burckhardt grösstentheils, doch nicht ohne Widerspruch, angenommen wird, das kann ich nicht bezweifeln. «Und sie wanderten drei Tage in der Wüste», so heisst’s im Texte (2. Mos. 15, 22 fg.), «dass sie kein Wasser fanden. Da kamen sie gen Mara; aber sie konnten das Wasser nicht trinken, denn es war sehr bitter». Sehr wahrscheinlich ging das Volk Israel denselben oberen Weg als den kürzesten durch diese Wüstenstrecke, und so kamen sie am Ende des 3. Tages zu dieser ersten bitteren und mit Murren be- grüssten Labung. Wie es Mose geglückt, durch einen hineingelegten Baum daraus einen willkommenen, einen süssen Trank zu machen, das hat sich freilich noch nicht mit Erfolg controliren lassen.1 1 Auch mir wie Dr. Graul (Reise II. 254) ist vom wohl- 4 bekannten Missionär Lieder zu Kairo mitgetheilt worden, es finde sich in der Nähe von Ain Howarah auf den Hügeln östlich davon, eine Quelle von noch grösserer Bitterkeit. Ist 30 Ohne längeren Aufenthalt eilt’ ich weiter, und schon nach 2 Stunden hatt’ ich den Anfang des Wadi Glia- randel erreicht, während bis zu seiner Quellenregion noch eine ganze Stunde Wegs ist. Dort übernachtete ich, um¬ rauscht von Palmen und Tamarisken. So oft ich dies rei¬ zende Thal gesehen und durchwandert, es geschah auf dieser Reise zum 5. und 6. Male, hatt’ ich den vollen Eindruck da¬ von, dass hier das Volk Israel nach «Elim» gekommen. «Da waren», lieisst’s im 2. Buche Mosis (15, 27), «zwölf Wasser¬ brunnen und 70 Palmbäume, und sie lagerten sich daselbst ans Wasser». Welch erquickenden Eindruck macht das Gharandelthal noch immer auf jeden, der die freud¬ lose Strecke von Ayun Musa bis hierher zurückgelegt hat. Ein paar Stunden weit dehnt sich das breite Thal, bisweilen von Kalkwänden romantisch umschlos¬ sen, mit einer für die Wüste wahrhaft üppigen Vegeta¬ tion von Kordost nach Südwest aus. Im Umkreise einer Stunde zählte ich daselbst mehrere dreissig Palmen, theils stattliche Bäume, theils Gruppen von Buschwerk. Die hohen und starken Tamarisken bilden an einigen Stellen kleine Wälder, deren Boden auch seine Elora hat; be¬ sonders fiel mir Ende Februar eine hübsche Lilienart auf. Das Wasser dieses Thals, das ich mehrmals in vollem Bache dahinfliessen sah, fand ich immer schmackhaft; als ich zum ersten Mal 1844 Mitte Mai den Sinai bereiste, trank ich es bei der drückenden Hitze von 30 ° R. sehr reichlich; sein milchweicher Geschmack machte es dies wirklich der Fall, so ist die Concurrenz wol zulässig; wahrscheinlich stehen aber dann beide Quellen gemeinsam unter dem Einflüsse derselben Oertlichkeit. 31 nur angenehm. Wollte man gar, wie in der That neulich versucht worden ist, aus diesem Gharandelwasser das Bitterwasser der Schrift machen, so bedürfte es dazu nothwendig des Talents, aus Bitter Süss, aus Süss Bitter zu machen. Eher lassen sich die beiden folgenden Thäler: Wadi Useit 1 und Wadi Taijibeh, mit Gharandel zu¬ sammenstellen, obschon keins von beiden einen ähnlichen Reichthum an Wasser und Vegetation darbietet. Und dazu bleibt für Gharandel entscheidend, dass mit ihm als der ersten herrlichen Oase die Grenze der wasserlosen uner¬ quicklichen Sandwüste gegeben ist. Wol aber scheint es als ob unter dem Mosaischen Elim nicht ausschliesslich der eine Wadi zu verstehen sei, da sogar «Elim und Sinai» als die zwei Hauptstationen des Sinaitischen Zugs einander gegen¬ übergestellt werden, und zwischen ihnen nur noch der Wüste Sin im 2. Buche Mosis (16, 1) Erwähnung geschieht. Dazu kommt, dass ohne Zweifel ein längerer Aufenthalt des nach der Schrift millionstarken Heeres auf Elim zu rechnen ist.2 1 Wenn Dr. Wilson (Lands of the Bible) Wadi Useit wegen seiner Palmen für Elim glaubte halten zu müssen, so geschah dies, weil derselbe nur den obersten Theil vom Wadi Gharandel gesehen, wo allerdings keine Palmen stehen. Schon früher hatte Leon de Laborde dieselbe Meinung wegen der geringen Entfernung der Bitterquelle zu Howara von Gharandel. Aber von Quelle zu Quelle sind 3 Stunden Wegs: fürs Volk Israel, das den dritten Tag in der Wüste wanderte ohne Wasser zu finden , war diese Entfernung gross genug , um nicht sofort von der erstem zur letztem fortzueilen. 2 Von besonderem Interesse ist es, dass schon zu Fabri’s Zeit, also 1483, Gharandel ohne Weiteres für Elim galt. Auch die Wasserkritik betrifft sein Bericht. So schreibt er davon (Bl. 154): «Da es nun um Vesper ward, da kamen wir in 32 Vom Wadi Gharandel zog ich am 27. durch die nächsten drei Hauptwadis : U s e i t , Thal und T a i j i - beh. Das letztere hat eine Stelle, ganz des Pinsels werth. Den Blick vor uns begrenzten nach drei Sei¬ ten terrassenförmige Bergwände von Sandstein , deren untere Schichten weissbräunlich, lichter und dunkler, die oberen dunkelbrau nrotli waren. Innerhalb derselben ruhte das Thal, von glizzernden Wasserstreifen auf seinem salzweisslichen Boden durchzogen, aber auch lieblich ge¬ schmückt mit einem kleinen Tamariskenwalde, den noch einige Palmen überragen mit ihren Kronen. Des Abends gegen Vier, nach achtstündigem Kitte, lagerte ich am Meere bei Ras Zelime. Auch diese Lager¬ stätte gehört in den Kreis der Mosaischen Erinnerungen; einen Grund, nicht ferne vom guten Wasser Horonden, da schlugen wir unsere Zelten auf und freueten uns des Wassers, denn da war kein Wasser mehr weder für Leute noch für Viehe. Als nun die Mucker» --- der Name Mucker ist jetzt noch im Oriente üblich für die den Reisenden begleitenden Pferde- und Eselverleiher — «die Esel zu dem Wasser trieben, und die Araber die Kamel, da liefen unser ein Theil Pilgri mit ihnen in die Wüsten, denn das Wasser von uns war bei einer welschen Meile ferne. Als wir an das Ort kamen, da funden wir an einem Rain herum viel aufwellender Brunnen mit süssem klarem Wasser, doch war es eben warm, da trunken wir und das Viehe, und nach dem zogen wir von da aus und badeten da und wuschen unsere Hemden, und war uns recht wohl an dem Ort. Unter dem Wasser abhin stehen viel Palmen oder Dattelbäume. In der Geschrift heisst das Ort Helim, und da Moyses mit den Kindern von Israhel durch das rotlie Meer kam an diess Ort, da schlugen sie ihre Zelten auf, und stunden hie XII Brunnen und LXX Palmen». denn, wie der genauere Bericht im 4. Buche Mosis (33, 10) aussagt, « von Elim zogen sie aus und lagerten sich ans Schilfmeer ». Wegen der schroffen Berge, die mit ihren felsigen Ausläufern bis ans Meer reichen, so dass sie, und nur zur Ebbezeit, nichts als einen schmalen Steg frei lassen, können die Israeliten kaum einen andern als den jetzt noch gewöhnlichen Weg eingeschlagen haben. Steht der Name des Ras Zelime, wie es den Anschein hat, in Abhängigkeit von dem alten Elim, so möchte sich’s da¬ durch bestätigen, dass die ganze Gruppe der fruchtbaren Wadis yon Gharandel bis Taijibeh als ein grösseres Ganze zu Mosis Zeiten den Namen Elim geführt. Obschon der Abend kühl war, so wagt’ icli’s doch, das Wiedersehen der einsamen Lagerstätte am Schilfmeer mit einem Bade zu feiern. Fahri that dasselbe in der Nähe von Ayun Musa; die Bemerkungen, die er daran in seiner Beschreibung knüpft, darf ich wol zur Kurzweil des Lesers hersetzen: «Nach dem Baden lasen wir auf am Land seltsam Ding von Muscheln und Schneckenhäuslein und weissen Korallen, dess viel da wächst, in mancherley Gestalt. Das rothe Meer ist ein Arm aus dem Meer, das zurings um die Welt gehet, aus dem streckt es sich durch das arabische Land, und ist eben Wasser als im grossen Meer, nur dass es versalzener ist. Berg und Erde um das rothe Meer ist rothfarben, davon es das rothe Meer heisst, es wächst auch roth Holz dabei»1 * 3, «aber das Wasser ist nicht roth».1 * 1 In demselben Jahre, 1483, wurde Raphael geboren, der bei einer frühen Jugendarbeit, dem Durchgänge der Is- 3 Tischendorf, Aus dem heiligen Lande. 34 Von hier aus, wo offenbar die Wüste Sin der Mosai¬ schen Erzählung ihren Anfang nimmt, führen zwei Haupt¬ wege zum Sinai, ein oberer und ein unterer, beide an alten Erinnerungen wie an wüstenlandschaftlicher Schön¬ heit reich. Der obere, östliche Weg führt durch den Wadi Taijibeh zurück und geht dann zunächst den Wadi Hamr entlang; der westliche dagegen führt von Ras Zelime aus weiter am Ufer hin und lenkt nach einigen Stunden wieder in die Bergregion ein, von wo aus die beiden so merk¬ würdigen Thäler Mokatteb und Feiran erreicht werden. Während den letzteren, den unteren, die eben genannten beiden Thäler nebst dem Serbal auszeichnen, zieht der Weg im Osten besonders durch Sarbut el Chadem an. 1853 ging ich ihm nach, und erkletterte mit meinem Freunde Graul vom Wadi Suwak aus über Schluchten und jähe Abhänge jenen Felsenberg, auf welchem Niebuhr sei¬ nen «prächtigen ägyptischen Todtenacker» entdeckte. In der That empfängt das Auge des unbefangenen Beschauers zunächst keinen anderen Eindruck; denn Denkmäler mit Hieroglyphenschrift, sogenannte Stelen, aufrechtstehenden Grabsteinen am ähnlichsten, 6 — 8 Fuss hoch, charakteri- siren den Ort vorzugsweise. Die Reste von einem Felsen¬ tempel und von Felsenkammern, Säulen und Säulenfrag¬ mente schliessen sich an. Und dies liegt, wenigstens zum grössten Theile, innerhalb eines länglichen Vierecks von Steinhaufen, die augenscheinlich von einer alten Mauer¬ einhegung übrig geblieben sind. Aus den Hieroglyphen- raeliten durchs rothe Meer , in der That das Meer roth malte. Das würde also der erfahrene Kaplan von Ulm nicht zugegeben haben. 35 inschriften haben nun Lepsius und andere der Aegyptologie kundige Forscher dargethan, dass hier die Verehrung der ägyptischen Göttin Hathor als der Herrin des Kupfer¬ landes ihren Ausdruck gefunden. Dies wird noch ausser¬ dem durch die zuerst von Lepsius hinter den Tempelresten bemerkten grossen Schlackenhügel bestätigt. Es ergibt sich daraus , dass diese ganze wunderbare Cultusstätte in Abhängigkeit vom Betrieb der benachbarten uralten Kupferminen gestanden, und dass auf den windigen Höhen des Berges das Schmelzen des Erzes stattgefunden haben mag. Die auf den Stelen gelesenen Königsnamen gehören dem dritten und zweiten Jahrtausend vor der christlichen Zeitrechnung an ; sie gehen also auf die Zeiten vor dem Mo¬ saischen Auszuge zurück. Wir standen demnach auf einem Boden, der in grauer Vorzeit der Schauplatz reicher Thätig- keit gewesen; seine Steine dienten viele Jahrhunderte lang Menschen und Göttern; sie erzählen’s noch in geheim- niSsvollen Schriftzügen, und doch hat sich schon seit mehr als zwei Jahrtausenden das Schweigen des Todes über sie gelagert. Einen geisterhaften Eindruck machte es auf uns, als wir mitten unter den grotesken Gestalten dieser Denkmäler weilten, während die schon gesunkene Sonne über die umliegenden, bald heller bald dunkler gefärbten Kupferberge, von wildromantischem, schauerlichem Aus¬ sehen, ihren tiefröthliclien Schimmer warf. Diesmal zog ich den unteren Weg vor. Bald nach dem Aufbruche von der Meerstation trat uns zur Linken der Dschehel Dhafary imposant entgegen, während wir rechts hinter dem blauen Meere die ägyptischen Gebirge aus purpurfarbigem Morgennebel hervorstarren sahen. So 3* 36 liegen sich Afrika und Asien gegenüber, mit Wüsten und Felsengebirgen, als ob sie sich nackt zum Iting- kampf fordern wollten. Aber die glatte prächtige Meeres¬ fläche liegt wie ein majestätisches Wort der Versöhnung dazwischen. Nachdem wir Dschebel Dhafary eine Zeit lang hinter uns hatten, bogen wir beim Ausgang des Wadi Nash wieder in einen Bergpfad ein, der sich lange zwischen wild hingeworfenen Felsblöcken, grösstentheils Sandgestein, hinschlängelt ; bei seinen mannigfaltigen Win¬ dungen bildet er oft kleine abgeschlossene Thalkessel, denen Strauch und Baum nicht fehlt; auch die Gummi- Akazie findet sich hier; Coloquinten, citronenfarbig aber ungeniessbar, ein täuschender Fund, lagen an manchen Stel¬ len des Weges. Die Felsengebilde aber und Felsengruppen, an Farbe und Gestalt von wahrhaft malerischer Schönheit, fesseln das Auge fort und fort; sie erscheinen wie kühne Produkte einer gewaltigen , ur schöpferischen Phantasie. Um die Mittagsstunde war Wadi Mokatteb erreicht. Das «beschriebene» Thal heisst es von den alten In¬ schriften, die sich an mehreren Stellen seiner Felsenwände in ganzen und grossen Gruppen vorfinden. Im Vergleich zu den vorherigen ist dieses einige Stunden lange Thal von sehr stattlicher Erscheinung ; es ist grösstentheils viel breiter als jene, und hat doch nach seinen beiden Seiten, der nördlichen und südlichen, abgrenzende Felsen¬ berge. Der Karavanenweg geht nahe an der rechten, der südlichen Seite hin. Während im Norden fast eine Stunde von uns höhere Berge die Mauern des Thaies bilden, haben wir zu unserer Rechten eine Kette niederer Sandstein¬ felsen, darunter öfters 20 bis 30 Fuss hohe Wände, die 37 dem Wanderer zur guten Stunde einen Ruheplatz mit sehr willkommenem Schatten bieten. Vereinzelte Felsblöcke liegen auch im Thale. An diesen einzelnen Felsen sowol wie an den Bergwänden finden sich nun die zahlreichen Inschriften, kunstlos in den weichen Sandstein eingegraben, untermengt mit Darstellungen von Kamelen und Eseln, auch von kleinen Kämpfen, z. B. einem zwischen zwei Bogenschützen, und mit ähnlichen rohen Zeichnungen. Als um das Jahr 530 Cosmas der Indienfahrer diese steinernen Schriftdenkmäler auf seiner Wanderung be¬ merkte, konnte er sie, ohne einen Schlüssel zu ihrer Lösung zu besitzen, kaum anders als auf den Durchzug der Israeliten deuten. Nach Empfang der mit den Ge¬ setzesworten beschriebenen Tafeln hatten nach seiner An¬ sicht die Kinder Israel ihre Müsse dazu- genützt , sich selbst im Schreiben zu üben. Juden, die er darüber befragte, sagten ihm dass nichts dastehe ausser Namen von Rei¬ senden mit Heimatlis- und Zeitangabe. Es schien darnach, als ob sich hier das auswandernde Volk ein Gedäclitniss gestiftet, wie es schon zu Cosmas1 Zeiten Wandersleute in den Herbergen thaten. Vom 17. Jahrhundert an haben viele, die den Sinai bereist, der Inschriften Erwähnung gethan; in neuerer Zeit, besonders seit 1755 der irische Bischof Clayton einen hohen Preis auf eine Copirung der¬ selben ausgesetzt hatte, sind ihrer viele auch abschriftlich veröffentlicht worden. Es schien damals als ob sie wich¬ tige Aufschlüsse über das Alte Testament enthielten; ebendeshalb veranlassten sie einen bischöflichen Preis von 500 Liv. St. In den letzten Jahrzehnten stieg das In¬ teresse noch ; genauere und vollständigere Abschriften V 38 wurden geliefert, die fremdartige Schrift näher geprüft. Trotzdem hat die Deutung auf die Mosaische Wanderung * noch immer ihre Vertreter behalten, in England wenig¬ stens, wo sich nun einmal die Pietät damit zu schaffen gemacht.1 Deutsche Gelehrte dagegen haben vom Ernste gründlicher Forschung ganz andere Resultate gewonnen. Auch nach diesen bleiben die Inschriften interessant ge¬ nug, obschon sie keinen Zusammenhang mit dem Mo¬ saischen Volkszuge haben, noch auch in solche Pharaonen- Zeiten hinaufreichen, aus denen die benachbarten hiero- glyphischen Denkmäler in Sarbut el Khadem und im Wadi Maghara stammen. Wie die Schriftfiguren zwischen dem syrischen Es- trangelo und dem Kufischen oder Altarabischen schwan¬ ken , so steht neben der Annahme eines arabischen Dialekts (von Credner 1841 und Tuch 1849) die eines aramäischen (von Beer 1840 und Levy 1860). Die letztere Annahme scheint die erstere an Geltung zu überwiegen. Bestimmter lautet sie dahin, dass .Nabatäer die Verfasser seien, die aus ihrem Heimathslande Mesopotamien schon i zur Zeit der Babylonischen Herrschaft, und noch mehr nach deren Untergange in grossen Massen nach dem Westen gezogen, wo sie sich zwischen dem todten Meere 1 Beispiele der Entzifferung durch einen englischen Geist¬ lichen Namens Förster sind: «Das Volk, stossend wie ein Esel, reizt Moses zum Zorn». «Das Volk, ein wilder Esel, gefüllt mit Wasser» u. s. w. Das ist allerdings eine höchst sonder¬ bare «Stimme Israels aus den Felsen am Sinai», wie sich das Forster’sche Buch nennt; doch der Geschmack ist auch in solchen Stücken verschieden. sammt dem Ostjordanlande und den beiden Busen des rotben Meeres niederliessen und schon im 4. Jahrhundert vor Christus zu fester Herrschaft gelangten. Als ihre Sprache brachten sie ein aramäisches Idiom mit, das im peträischen Arabien nicht ohne Einfluss der Landes¬ sprache blieb. Inschriften, wie sie Wadi Mokatteb mit seinen Nachbarthälern aufzuweisen hat, haben sie, wenn auch gewöhnlich mehr vereinzelt, in den verschiedenen von Ost und West zum Sinaitischen Gebirg führenden Pässen hinterlassen. Am meisten kommen nach denen des Wadi Mokatteb die am Serbal und am Schriftenberge bei Tor in Betracht. Fragen wir weiter, welche Veranlassung, welchen Zweck die Inschriften wol gehabt haben, so muss ich der von Tuch vertretenen Deutung beistimmen, wornach es vorzugsweise Erinnerungszeichen frommer Wallfahrer sind, nicht jedoch, wie Beer nach Burckhardt’s und An¬ derer Vorgang gemeint hatte, von nabatäischen Christen, die zum alten Gesetzesberge pilgerten, sondern von Wall¬ fahrern zu ihren nationalen, zu heidnischen Götterfesten. Es ist die grösste Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass am Serbal, der selber mit seinen fünf oder auch sieben majestätischen Gipfeln den Thron für Sonn’ und Mond und die fünf Planeten darstellen mochte, der Sterndienst ein heiliges Centrum besass. Am Fusse des Serbal liegt Wadi Feiran, der alte « heilige Palmenhain » ; mit ihm ist Wadi Mokatteb fast unmittelbar verbunden : daher gerade hier, wo die Tafeln dazu vom Schöpfer selber aufgestellt schienen, die zahlreichsten Gedenkworte der sabäischen Wallfahrer, der Serbalpilger. « Gedenkworte » sagen wir; 40 denn viel anderes steht in diesen Inschriften nichts als : « In gutem Gedächtniss bleibe», «In Segen bleibe» der und der. In Betreff der Zeit kommen die nächsten Jahrhun¬ derte vor und nach Christus in Betracht. Mehr könnte der Anfang als das Ende dieser Zeit bestritten werden, wenn sich nicht etwa aus der Schriftanalogie der neuer¬ dings zu Petra aufgefundenen nabatäischen Münzen aus dem 2. vor christlichen Jahrhundert gerade diese Zeit, wie Levy will, 1 als Anfangspunkt der Inschriften ergibt. Freilich lassen sich mit Münzaufschriften Inschriften auf Stein, zumal die Sinaitischen Felsinschriften, nicht allzu streng Zusammenhalten. Trotz des aus der Vergleichung geschöpften Beweises könnte immerhin das 3. Jahrhundert für das 2. gesetzt werden, wenn anderes noch für die frühere Zeit sprechen sollte. Der Endpunkt verräth sich auf den Felsen in eigenthiimlicher Weise dadurch, dass christliche Namen in griechischer Schrift den nabatäischen, die selber bisweilen griechisch, ja einige Male in beiden Sprachen zugleich verfasst sind, sich beizumischen anfangen. Ums Ende des 2. christlichen Jahrhunderts nämlich, wo die Macht der Nabatäer durch die Römer gebrochen wurde, oder doch zu Anfang des nächsten begann der christliche Name um den Sinai gehört zu werden ; verfolgte Christen flüchteten aus Aegypten hieher, in’s Asyl der Wüste, wo schon ein Jahrhundert später die christlichen Einsiedler eine ihrer blühendsten Wohnstätten besassen, ja sogar eine christliche Stadt vorhanden war. Wie sich beide Elemente, das christliche und das heidnische, feindlich 1 S. Zeitschr. der Deutsch, morgenl. Ges. 1860. III. S. 400. 41 begegneten, das stellt sieb uns auf den Steinen selber, besonders an einer Stelle im Wadi Mokatteb dar. Dort stehen mehrere christliche Namen, namentlich ein «Dia- konus Hiob». Daneben aber und in offenbarer Beziehung zu diesen christlichen Namen stehen die Worte: «Ein schlecht Oesindel das. Ich der Soldat schrieb’s ganz mit meiner Hand.» 1 Dem christlichen Elemente müssen ge¬ wiss auch solche Kreuze, die wirklich die christliche Form haben, sowie auch das monogrammatische Kreuz, so nahe verwandt dem ägyptischen Henkelkreuze und vielleicht sogar ägyptisch-christlichen Ursprungs, zugeschrieben wer¬ den. Es charakterisirt dieses später hinzutretende Ele¬ ment ganz besonders, wenn eine christliche Hand ein nabatäisches Schriftzeichen, unbekümmert um diese Schrift selbst, im Dienste frommen Eifers durch Hinzufügung eines Striches zu einem Kreuze umformte. Nach diesen Erörterungen darf ich nicht erst anzu¬ deuten versuchen, welchen Eindruck auf den heutigen Pil¬ grim Wadi Mokatteb macht. Das Naturwüchsige, das Ori¬ ginelle gibt diesen Aufzeichnungen noch einen besonderen 1 kclhov yevoö tovzoö öTQCcTLCorrjö syQa^cc ( to ?) Ttav 8{17] %LQL Levy (s. Zeitschr. der Deutsch, morg. Ges. 1860. III. 472 fg.) glaubt eine richtigere Abschrift in einem russischen fteisewerke (vom Archimandriten Porphyrius) gefunden zu haben, wornach er die erste Zeile kcckov ysvoö Xovitoö liest und übersetzt: Ich, Lupus der Krieger u. s. w.; freilich fügt er gerade nicht zur Empfehlung der neuen Lesung die Bemerkung -bei, «aus welchem Grunde unser Soldat die zwei ersten Worte («schlechtes Gesindel!») geschrieben, weiss ich nicht anzugeben». 42 Werth. Nicht der Griffel eines kunstgeübten Schreibers, wie anderwärts gewöhnlich, hat sich hier verewiget, son¬ dern die Hand des Wanderers selbst, so gut sie’s gekonnt. Und unsere Zeit, die so manchen Schleier gehoben, hat auch das Dunkel dieses Schriftenthals gelichtet. Da klingen uns die Namen eines Asu, Obeidu, Ambru, Go- zachu, Boreiu aus so weiter Zeitenferne entgegen; vor unseren Augen stehen sie, zu ihrem Gedächtniss einge¬ schrieben von ihrer eigenen Hand. Während die Geschichte des grossen Volkes, dem sie angehörten, in tiefem Dunkel liegt, haben sich diese Felsen der Wüste zu beredten Blättern der Geschichte belebt. Doch wir eilen von den redenden Steinen des Wadi Mokatteb zu der Erquickung des Feiranthales , das sich, wie schon erwähnt, in nächster Folge an sie anschliesst. Man könnte sagen: Dort labt die Vergangenheit mit ihren Erinnerungen, hier die blühende Gegenwart: nähme das Feiranthal nicht auch selbst seinen Platz im Gedächtniss der Vorzeit ein. Aber zunächst ist’s seine herrliche Ve¬ getation, seine reizende Lage, durch die es den Wanderer überrascht und seine Schritte hemmt. Ich hatte am 28. Januar des Abends den Ausgang des Wadi Mokatteb erreicht. Ein Sandsteinhügel hat sich zwischen ihm und dem die östliche Dichtung unseres Wegs nordöstlich fortsetzenden Wadi Feiran gelagert. Dieser Felssattel wehrte der unmittelbaren Verbindung beider Wadis; anstatt derselben biegt nun Wadi Feiran plötzlich nach Süden ab und läuft mit seinem Winter- Giesshache geraden Wegs in’s Meer aus. Nachdem wir Wadi Feiran betreten hatten, ritten 43 wir über eine felsige, da und dort mit Tamarisken und verschiedenem Strauchwerk, auch Gummi -Akazien, be¬ wachsene Ebene, zu deren beiden Seiten granitene BergeS- höhen sich hinziehen. Von früh Sieben bis zur ersten Nachmittagsstunde hatten wir zu Kamel gesessen, als wir eine Oase von Palmengruppen und ein mit hellem Bergwas¬ ser dahinrieselndes Bächlein begrüssten. Damit kündigte sich uns das Paradies dieser Wüste an, obgleich wir erst nach einstündigem Ritte zu ihm selbst gelangten. Nach¬ dem wir dort angekommen, liess ich unter dem Schatten hochragender Palmen und nicht fern vom Wasserbächlein das Zelt aufschlagen. Unweit davon waren Araberliütten, die noch mehr als die schattigen Palmengipfel meinen Schech Nazar gelockt hatten. Er besass hier nämlich theuere Freunde, sowie er auch mehrere Palmen sein eigen nannte, deren jährlicher Dattelertrag nicht zu seinen schlechtesten Einkünften zählte. Während der Koch Huhn und Reis zurichtete, erging ich mich im Thale. Gegen zwei Stunden dehnt es sich aus von West nach Ost, meistentheils kaum zehn Minuten breit. Da liegt es wie ein herrliches in Rahmen gefasstes Bild. Ein voller üppiger Palmenhain, der sich in sanften Windungen dahinschlängelt zwischen kolossalen Granit - und Porphyrwänden, deren dunkle Färbung, röthlichgrau und braun, bisweilen auch blutroth, ebenso wunderbar contrastirt mit dem grünen Teppich der Palmenkronen, wie mit dem azurblauen Himmelsbogen, der sich von Höhe zu Höhe darüber spannt. Der Palmengrund selber paart mit der Lieblichkeit die Hoheit ; aber die hochaufragenden Mauern die es umgürten, schroff und unerschütterlich, 44 bringen einen gebieterischen Ernst hinzu. Bei meiner Lustwandlung ergötzten mich auch, als der Abend heran¬ nahte, mehrere Sänger des Hains, deren einer unserer Nachtigall nahe kam. Er weckte mit seinem melancho¬ lisch lieblichen Schlage weniger die Sehnsucht nach den Mauern der Heimatli, als den Wunsch, die Lieben der Heimath zum Genuss einer unvergesslichen Stunde an meine Seite versetzen zu können. Die Kinder der Wüste, denen ein freundliches Ge¬ schick dieses Thal zum Heimathsherde gegeben, haben Grund noch Anderes an ihm zu schätzen als wir hervor¬ gehoben. Die ergiebigste Dattelkultifr ist nicht sein ein¬ ziger Reiclithum; auch Tabak und Hanf, der zur Bereitung des berauschenden Haschisch benutzt wird, werden in den Dattelgärten fleissig gezogen; dazu kommen noch Mandeln und Feigen, Granaten und Orangen, sowie insonderheit der Nebek- oder Sittere-Baum, dessen runde röthliche Früchte, ziemlich so gross wie eine kleine Haselnuss, schmakhaft und nahrhaft sind. Diese Fruchtbarkeit des Thaies soll nicht nur von seiner Wasserfülle herzuleiten sein, die es allerdings vor allen übrigen Wadis der Halbinsel auszeichnet; sondern man rechnet dazu auch, dass sein Boden einem eigen- thümlichen befruchtenden Niederschlage ausgesetzt ist, der sich besonders in zahlreichen , oft seltsam gestalteten, gegen hundert und mehr Fuss hohen Lehmhügeln zu er¬ kennen gibt, welche mehrere Stellen des Feiranthals in seiner östlichen Hälfte und des darauf folgenden Wadi Schech charakterisiren. . Interessanter freilich, vielleicht auch erbaulicher wäre es, wenn wir im Einklang mit der 45 uns aus dem 6. Jahrhundert berichteten Sage zu der Annahme berechtigt wären, dass der klare Gebirgsbach des Feirantliales seinen Ursprung Mose’s wasserspendendem Wunderstabe verdanke, und ebenso die ausserordentliche Fruchtbarkeit als Nachwirkung desselben Wunderwassers zu betrachten sei. Bewohnt wird Wadi Feiran von nicht wenig Araber¬ familien, die unter den Palmen in niedrigen Hütten hau¬ sen. Die letzteren sind von der einfachsten Ausführung, und beschränken sich meist auf Räumlichkeiten zu ebe¬ ner Erde, mit Wänden aus zusammengefügten hölzernen Stangen oder lose über einander gelegten Steinen, und Dächern von Flechtwerk und Palmenzweigen. Nur ein paar Anlagen erheben sich über diese urzuständliche Bau¬ art; Linant-Bey, der berühmte französische Ingenieur und Gelehrte, besitzt eine solche, die er wie einen Sommer- Landsitz von Kairo aus besucht. Auch das Sinaikloster hat mehrere Besitzungen hier; leibeigene Beduinen des Klosters bewohnen und bebauen sie. Aber mitten hinein in diese schöne Gegenwart, in diese Fülle des Lebens und Gedeihens ragen vergangene Jahrhunderte und Jahrtausende mit helleren und dunkle¬ ren Erinnerungen. Gleich beim Eintritt ins Thal von Westen her trifft das Auge des Ankömmlings auf viele Ruinen, die sich nördlich hinter den Palmen an den Auf¬ stieg zweier Anhöhen in mässiger Entfernung von einander anlehnen. Ebenso trägt ein isolirter Hügel, der vor der engeren Thalschlucht mit dem Palmenhaine liegt, Ruinen eines grösseren seine ganze Höhe umfassenden Gebäudes, und auch diesem Hügel gegenüber im Norden wie im c 46 Süden zeigen sich verfallene Baulichkeiten. Noch andere zahlreiche Ueberbleibsel frühzeitiger und längstverlassener Ansiedlungen, dabei auch Begräbnissstätten, finden sich in den Schluchten und auf den Bergen der Umgegend zerstreut. Fragen wir, auf welche Zeiten diese Ruinen zurück¬ weisen, so führen uns die Geschichtsquellen auf drei verschiedene Perioden , in denen hier eine Stadt Na¬ mens Faran gelegen. Zuerst berichtet uns Ptolemäus im 2. Jahrhundert von einer Stadt Faran. Sodann wis¬ sen wir aus mehreren Schriften und Dokumenten vom 4. Jahrhundert an, dass eine christliche Stadt Faran mit einem Rathe und einem Bischofssitze hier geblüht hat; mehrere ihrer Bischöfe vom 5. bis 7. Jahrhundert sind uns näher bekannt worden. Endlich erzählt der arabische Geschichtsschreiber Makrizi vor Mitte des 15. Jahrhunderts von einer « amalekitischen » — also mohammedanischen, wenigstens nichtchristlichen — Stadt Faran. Darnach hat es den Anschein, als ob die uns noch heute vor Augen liegenden Ruinen zunächst auf die Amalekiter - Stadt des 15. Jahrhunderts zurückzu¬ führen seien. Höchst wahrscheinlich haben aber diese jüngsten Faraniten, deren auch schon Edrisi im 12. Jahr¬ hundert gedacht, weit mehr die Vorgefundenen älteren Anlagen benutzt als neue ausgeführt, was auch die nähere Untersuchung einzelner Trümmer bestätigt. Die von ihnen Vorgefundenen übrigten aber von der christlichen Bischofs¬ stadt, wie sich denn auch heute noch ein Kirchen- und ein Klosterbau von den Wohnhäusern unterscheiden lässt. Das Kloster stand bei der östlichen Anhöhe mit der einen 47 der beiden Häusergruppen, auf einem dort hervorspringen¬ den Hügel. Ich bestieg ihn selbst, und genoss den präch¬ tigen Ueberblick, den er gewährt. Ausserdem lässt sich das oben angegebene noch grössere Gebäude auf dem vereinzelten Hügel beim westlichen Anfang des Thaies auf den ehemaligen bischöflichen Palast deuten. Er be¬ herrschte die von ihm nordöstlich ausgebreitete Stadt, und hatte gegenüber im Süden, nur zwei Stunden entfernt, den Serbal mit seinen riesigen , wie ein ungeheueres Unglück drohenden Gipfeln. Wie es gekommen, dass diese merkwürdige christ¬ liche Bischofsstadt, hier im Herzen der Sinai tischen Wüste so frühzeitig wie eine Leuchte im Schatten des Todes errichtet, schon nach wenig Jahrhunderten in Verfall ge- rieth, darüber ist uns nichts überliefert; es überrascht um so mehr, da das Katharinenkloster am Sinai seit seiner Stiftung im 6. Jahrhundert durch Kaiser Justinian treff¬ lich fortbestanden. Unwahrscheinlich ist es nicht, dass der zuletzt in den Kirchenannalen verzeichnete faranitische Bischof Theodoras durch die in den monotheletischen Streitigkeiten (d. h. denjenigen, wo über die Einheit des göttlichen und menschlichen Willens in Christo verhandelt wurde) von ihm gegen die byzantinische Kaiserkirche ein¬ genommene Stellung und die ihm daraus erwachsene Ver¬ dammung zum Falle des Bisthums beigetragen. Hass aber das Justinianische Sinaikloster das Bisthum von Faran gleichsam überflügelt und beseitigt habe, lässt sich ohne eine etwa eingetretene feindliche Zerstörung der Stadt selbst nicht annehmen, da ja bereits im 6. Jahrhundert die Prälaten Theonas und Photius zugleich vom Berg ft / 48 Sinai und von der Kirche zu Faran ihre Titel führten.1 Dagegen begreift sich’s leicht, dass nach dem Yerfall der letzteren das Sinaikloster in seinem kirchlichen An¬ sehen stieg. Noch weniger ist uns bekannt geworden, so auffällig die Thatsache ist, wie aus dem heidnischen Faran des Ptolemäus das christliche geworden. Die Verfolgungen der Christen in Aegypten und die Auswanderungen in Folge davon mögen daran einen wesentlichen Antheil ge¬ habt haben. Zudem war die angesiedelte heidnische Be¬ völkerung wahrscheinlich nicht eben stark, wie auch der Ausdruck des Ptolemäus2 verräth. Aber mit all diesen Erinnerungen stehen wir noch fern von der frühesten Geschichte des Palmenhains. In dieser Gegend war es, wo Mose mit Israel den Kampf gegen Amalek und sein Volk zu bestehen hatte. Was wäre wahrscheinlicher, als dass diese Völkerschaft hier einen ihrer Wohnsitze gehabt? Erscheint uns aber ein Jahrtausend später der faranitisclie Palmenhain mit dem majestätischen Serbal auf Grund der Nachrichten von Diodor (3, 42 fg.3) und Anderen, wozu dann noch die / 1 «Theonas, durch Gottes Erbarmen Presbyter und Legat des heiligen Berges Sinai und der Wüste Rhaithu und der allerheiligsten Kirche zu Faran» ( rrjg kcctcc <&ccQav ccyicotatrjg EKxkrjdLag) : so lautet eine der Unterschriften in den Acten des Concils zu Konstantinopel vom Jahre 536. Und gegen das Ende desselben Jahrhunderts heisst Photius «Bischof der Kirche zu Faran oder des Berges Sinai». 2 5, 17, 1. 7] OaQav Kca^ir]. 3 Diodor rühmt von dem « Palmenhaine » , umgehen von iner wasserlosen, sonnverbrannten Gegend, dass sein Reich- 49 sclion besprochenen Inschriften kommen, als Mittelpunkt eines heidnischen Cultus, namentlich sabäisclier Götter¬ verehrung, so hat er dieselbe Eigenschaft gewiss längst vor dem 3. Jahrhundert vor Chr. gehabt, ohne dass uns die spärlichen Geschichtsblätter jener Zeit Kunde davon geben. Welche Vergangenheit liegt also begraben unter dem Immergrün dieses Palmenhains. Die Nebel der frühesten Götzendienste, die auf ihm ruhen, durchbricht der helle Strahl zweier Offenbarungen. Von Fehden des Glaubens und Aberglaubens erzählen uns verwitterte Steine und Ruinen, wenn auch aus und über ihnen selber neues Leben spriesst und blüht. Aber wir dürfen von Feiran nicht scheiden, ohne dem Serbal, der hoch über seinen Palmen als der vom Schöpfer selbst erkorene Fürst der Wüste thront, einen Augenblick näher getreten zu sein. Zwischen ihm, im thum an Quellwasser, so kühl wie Schnee, das Land mit frischem Grün bekleide, und überaus reizend und fruchtbar mache. Seiner Herrlichkeit mitten in der menschenleeren Wüste halber werde er von den Barbaren für heilig gehalten. Ein Altar von festem Gestein stehe daselbst aus alten Zeiten und trage eine Inschrift in veralteten unbekannten Charakteren. Ein Mann und eine Frau seien lebenslänglich mit dem priester- lichen Dienste betraut. Den dort Wohnenden sei ein hohes Alter beschieden. Aller fünf Jahre werde im Haine ein Fest begangen , dem die Umwohnenden von allen Seiten zu¬ strömten, um wohlgenährte Kamele den Göttern des Hains als Hekatomben zu opfern, und zugleich Wasser aus seinen Quellen, das für heilbringend galt, mit in die Heimath zu nehmen. Tisch endorf, Aus dem heiligen Lande. 4 c 50 * strengeren Sinne des Worts, und dem Palmentliale liegen mehrere durch Schluchten getrennte gleichfalls granitene oder wenigstens urgebirgliche Vorberge des Serbal. Die breiteste und längste dieser Schluchten beginnt am Fusse jenes Hügels, auf dem wir uns den einstigen Bischofs¬ palast gedacht; sie führt den Namen Wadi Alejat. Durch diesen Wadi, der erst nach einer Stunde zur engen Schlucht wird, lässt sich in zwei Stunden der Fuss des Serbal er¬ reichen, und von ihm aus eine der höchsten Spitzen des Berges selber, der in seiner vollen Höhe in fünf kegel¬ förmige nackte schroffe Granit- oder Porphyrgipfel aus¬ läuft.1 Auch andere Spitzen sind für den geübten Fuss unerschrockener Wanderer erreichbar; namentlich ist die höchste von allen fünf, d. h. die zweite von Westen, die vierte von Osten her, durch Rüppell 1831 und Lepsius 1845 erstiegen worden. Die Grossartigkeit der wildzer¬ klüfteten und in die feurigsten Farben getauchten Ge- birgsmassen, die bei dieser Ersteigung vor’s Auge treten, ist schwer zu schildern. Ueberraschend dabei ist es, dass sich innerhalb der scheinbar öden aber keineswegs wasser¬ leeren Felsregion nicht selten eine vortreffliche Vegetation, wie «üppig wuchernde Feigenbäume», ja sogar eine Oase mit Palmen, blühenden Sträuchern und duftenden Kräu¬ tern findet. Diese Oase, ein Thalkessel zwischen hohen Felsen, besitzt auch ein altes christliches Klostergebäude. Der Uebergang von den Einsiedlerhöhlen, deren gleich¬ falls der Serbal aufzuweisen hat, zum behaglicheren Kloster 1 Nach Büppell’s Barometermessung beträgt die absolute Höhe des höchsten Punktes 6342 Par. Fuss. 51 war bei einer solchen Anlegung des letzteren in der That nicht schroff. Diese Stätte christlicher Andacht stand jedenfalls in Abhängigkeit von der Bischofsstadt Faran; sie kann wenigstens nicht dafür zeugen, dass der Berg selbst für christliche Augen ehrwürdig gewesen. Ent¬ schieden tritt dagegen der Charakter der Heiligkeit her¬ vor, den derselbe für die eingeborenen Wüstensöhne seit frühen Zeiten an sich getragen haben muss. Die so¬ genannten Sinaitischen Inschriften — das Beiwort stammt von ihrer ehedem vermeinten christlichen Bedeutung — stehen zahlreich an vielen Felsen, selbst auf den erreich¬ baren äussersten Spitzen; sie sind aber keineswegs die einzigen Merkmale der dem Serbal von nichtchristlicher Seite gewidmeten Anhänglichkeit. Sogar auf dem Gipfel der höchsten aus ungeheueren Porphyrblöcken gebildeten Spitze befindet sich noch jetzt «eine aus Feldsteinen kreis¬ förmig zusammengelegte Einfassung, und andere staffel¬ förmig aufgebaute», die zu ihr führen.1 Als Küppell mit dem ihn geleitenden Beduinen dort ankam, zog der letz¬ tere die Sandalen aus wie auf heiliger Stätte, näherte sich dem Kreise mit Ehrfurcht und verrichtete innerhalb des¬ selben sein Gebet. Später erzählte er Küppell, dass er dort zwei Schafe, eins bei der Geburt seines Sohnes, eins bei Genesung von einer Krankheit, als Dankopfer dargebracht habe.2 Gleicher Weise erzählt Burckhardt, der 1816 den «östlichsten» von unten nadelspitz er- 1 Siehe Kitter: Die Erdkunde. 14. Thl. 3. Buch. S. 704 aus Küppell’s Keisen. 2 Siehe Ritter a. a. 0. S. 704. 4* 52 scheinenden Gipfel erstieg, dass sich auf demselben in¬ mitten einer 50 Schritt umfassenden Plattform ein aus kleinen zwei Fuss hoch aufgehäuften Steinen gebildeter Kreis von etwa 12 Schritt Durchmesser vorfinde.1 Er gibt ferner an, dass einer der niederen Felsenberge «Ort des Gebets», el Monadsche, bei ihnen heisse und durch das Grabmal eines Schechs ausgezeichnet sei, zu dem öfters behufs feierlicher Opferungen Wallfahrten unternommen würden.2 Mehrere ähnliche Denkmale und bis jetzt in hohen Ehren gehaltene Oertliclikeiten finden sich sowol auf den Höhen des Serbal als auch in seinen tiefer ge¬ legenen Umgebungen. So reicht die Verehrung desselben bei den Beduinen bis auf die Gegenwart herab. In Zu¬ sammenhang damit steht der Widerwille , mit dem sie ihren heiligen Berg durch « Ungläubige » ersteigen lassen, wie namentlich Burckhardt aus eigener Erfahrung be¬ zeugt hat.3 1 Siehe Ritter a. a. 0. S. 698. 2 Ebendas. S. 700. 3 Nach Burckhardt’s ausführlichen Mittheilungen Bd. 2. S. 949 fg. S. 971 fg. erzählt Ritter a. a. 0. S. 701 darüber Folgendes: «Dass bei den heutigen Beduinen doch höchst wahrscheinlich noch ein mysteriöser Wahn hinsichtlich der Be¬ steigung des Serbal-Gipfels vorwalten musste, schien schon aus der Ablehnung der Führung jenes Sattala- Beduinen hervor¬ zugehen, dem doch nicht unbedeutende Belohnung dafür geboten war; noch mehr aber aus dem Widerspruch der am Grabe Scheikh Szalehs zu einem Feste versammelt gewesenen Araber, welche, sobald sie Kunde von Burckhardt’s Absicht erhalten, den Berg Serbal zu besteigen, sogleich Botschaft nach dem Wadi Feiran geschickt hatten, dem Fremdling dieses Unter¬ nehmen zu wehren. Burckhardt hatte aber sein Ziel schon 53 So interessant und lehrreich schon diese mannig¬ fachen Aufschlüsse sind , so bleiben doch gewiss noch genauere Forschungen thunlich und wünschenswerth. Sie werden allem Anscheine nach das Resultat nur noch fester begründen, dass wir im Serbal, wie auch trotz philolo¬ gischer Skrupel grosse Kenner der semitischen Sprachen seinen Namen deuten, den alten Baalsberg vor uns haben, den schon in grauer Vorzeit die fromme Phantasie kind¬ licher Naturvölker mit dem Gewand heiliger Geheimnisse, mit dem Schauer göttlicher Majestät umkleidete. Nach Osten hat Wadi Feiran seine bestimmte Grenz¬ marke an einem grossartigen Felsenthor, el Bueb; es entspricht jenem quer vor dem westlichen Beginn des Palmen thals gelegenen Hügel mit den Palastruinen: denn zwischen beiden entfaltet sich die herrliche Palmenkultur. Doch schon eine halbe Stunde bevor wir den östlichen Engpass erreichen, befinden wir uns am Ende der Palmen, und an ihre Stelle treten die bis dahin nur vereinzelt erschienenen gleichfalls immergrünen Tamarisken; sie ver¬ dichten sich hier zu einem üppig reichen Walde, der uns mit seinem Dufte und Schatten bis an den Ausgang des Thaies geleitet. Bei diesem Tamariskenwalde treffen wir auf jene schon genannten seltsamen Lehm- oder Thonbildungen, grotesk gestaltete Hügel von gelblicher Färbung, zwischen 100 und 200 Fuss hoch. Man ist beim ersten Anblick der- vor dieser erreicht, fand jedoch wegen des Verbots, ihn auf den Serbal zu führen, im Wadi Feiran alle Araber in Aufruhr gegen ihn und seine Führer» u. s. w. 54 selben geneigter sie für Ruinen von uralten Schlössern und Tempeln als für angeschwemmte Erdschichten zu halten. Bisweilen lehnen sie sich an röthliche Porphyr¬ wände oder graue blau- und braungeäderte Granitfelsen an, wodurch ein seltener Contrast der Farben entsteht. Auch hinter dem Bueb, wo Wadi Schech beginnt, setzt sich der schöne Tamarisken- oder Tarfawald mit starken kräftigen Bäumen noch eine kleine Strecke fort; darauf tritt er erst gegen die Mitte desselben Wadi, d. ln nachdem wir gegen fünf Stunden vom Bueb in nord¬ östlicher Richtung weiter geritten sind , in der über¬ raschendsten Fülle wieder hervor. Dort haben wir die Heimatli des Manna erreicht. Denn in diesem gegen eine Stunde langen Tamarisken walde des Wadi Schech wird noch jetzt alljährlich, wenn es nicht allzu sehr an Regen gefehlt hat, Manna geerntet. Dass es hier aus¬ schliesslich vorkomme, wie mir früher mitgetheilt worden, bestätigte wenigstens vom Feiranthale meine eigene Er¬ fahrung. Denn als ich Ende Mai und Anfang Juni des Jahres 1844 beide Tliäler besuchte, bemerkte ich gar wol bei den Tamarisken des Wadi Feiran den starken Manna- gerucli, aber es liess sich durchaus nichts von dem Er- zeugniss selbst auffinden, wogegen ich’s Tags darauf im Wadi Schech an vielen Zweigen wie glänzende Perlen, wie dickliche Thautropfen hängen sah. Jedenfalls kommen aber auch, schon nach Seetzen’s und Anderer Beobach¬ tungen, noch andere tamariskenreiche Wadis der Sinai¬ halbinsel für die Manna -Erzeugung in Betracht, obschon Wadi Schech damit am reichlichsten gesegnet ist, weshalb es sogar in seinem westlichen Theile mit dem Namen des 55 Wadi Tarfa belegt wird. Diesem Mannabesitze der Sinai¬ halbinsel gegenüber ist es eine überaus merkwürdige That- sache, dass wol auch anderwärts, z. B. nach Burckhardt’s Zeugniss in Nubien, in vielen Theilen Arabiens, am Eu¬ phrat, im Hedschas, dieselbe Tamariske vortrefflich gedeiht, ihre Mannaproduktion aber auf die Sinaitische Wüste sich beschränkt. Hier also erscheint das Manna als ein dicklicher honigartiger Saft, der gleich Thautropfen an den Zweigen der dem Lebensbaume ähnlichen Tamariske hängt, und zwar an den Stengeln, nicht am Laube. Bei lieissem Sonnenstrahle schmilzt es und fällt von den Zweigen auf den Boden, der gewöhnlich mit dürrem Laube, vergleich¬ bar den abgefallenen Nadeln der Nadelhölzer, bestreut ist. Sowol unmittelbar von den Zweigen als auch vom Boden weg wird das Manna von den Beduinen und den leibei¬ genen Halbbeduinen des Sinaiklosters während der Monate Juni und Juli in lederne Schläuche gesammelt. Aus diesen Schläuchen füllen es die Sinaimönche in kleine blecherne Büchsen, und in dieser Fassung wird es von den Sinai¬ pilgern, wie schon 1483 von Felix Fabri, häufig in die Heimath mitgenommen. 1 Da die Manna - Ernten nicht 1 Ich selbst brachte im Jahre 1844, wo ich das für Sinai¬ reisende seltene Glück hatte bei Beginn der Mannaperiode die Wüste zu durchreisen, mehrere Zweige mit ihren Mannaperlen in einer blechernen Büchse nach Hause. Das weissliche glän¬ zende Aussehen, das diese Perlen anfangs hatten, vertauschten sie bald mit einem bräunlichen. An den bis heute aufbewahr¬ ten Zweigen ist noch immer die klebrige braune Saftmasse bemerklich, sowie auch reichlicher Mannageruch vorhanden. 56 allzu reichlich sind,* 1 so gilt es für kostbar und wird ziem¬ lich hoch verkauft, wofern es die Beduinen nicht etwa selbst verzehren. Wenn dies letztere geschieht, so wird es zu dem täglich frischgebackenen flachen ungesäuerten Brot genossen, wozu es sich bei seiner dem Honig ähn¬ lichen Süssigkeit trefflich eignet. Woher dieses Manna sich erzeuge, darüber hat man sich in früheren Jahrhunderten sehr wenig beunruhigt. Felix Fabri, der Ulmer Kaplan, erzählt vom Jahre 1483, dass Manna das Himmelsbrot noch immer in den Klingen (Schluchten) und Thälern um die heiligen Berge falle, in den Monaten August und September. Es ist Thau, schreibt er (a. a. 0. Bl. 143 lg.), süsse, dicke und gefärbet wie Honig, und hanget an dem Laube und Gras, eben als Korianderkörnlein. Das lesen die Mönche zusammen und die Araber, und Avenn es zusammenkommt, so wird es eben als Harz, doch bleibet es süss. Er vergleicht es sodann mit dem Manna der Israeliten; dieses habe aber, obschon es gleichfalls gefallen und ebenso gestaltet Ausserdem nahm ich wiederholt vom Sinaikloster Blechbüchsen mit aufgesammeltem Manna mit. Dieses letztere, eine weiche dickliche Masse , die beim Umkehren der Büchse sofort in langsamen Fluss geräth, hat sich vollkommen erhalten. Auf meinen beiden späteren Sinaireisen kam ich zu frühzeitig durch’s Schechthal — 1853 Ende Februar, 1859 Anfang Februar — um neue Beobachtungen der Manna - Erzeugung anzustellen. 1 Burckhardt schätzte die Summe einer Jahreseinsammlung auf 500 bis 600 Pfund, was wol für die jetzigen Ernten, selbst wenn sie gut sind, zu hoch gegriffen ist; doch gibt Well¬ sted den jährlichen Ertrag im günstigen Falle sogar noch höher an, nämlich auf 700 engl. Pfunde. 57 gewesen sei , viel übernatürliche Eigenschaften gehabt, während das jetzige natürlich sei. Aller Thau in der Wüste sei nämlich entweder bitter wie Salz oder süss wie Honig; der Thau um die Sinaitischen Berge sei aber so dicke und substanzlicli , dass man ihn fassen und be¬ halten könne. Der französische Canonicus Morrison be¬ merkt vom Jahre 1697,1 der Gott Israel habe das frühere Wunder daselbst für alle Zeiten verewigen wollen; denn er lasse noch heute Manna regnen alljährlich in den heissesten Monaten Juli und August. Es sei weiss wie Schnee, bestehe in erbsengrossen Kügelchen, und werde wie Honig auf Brot genossen; kalt erhärte es wie Wachs. Er hielt es für dasselbe Manna, das Israel genossen; es schmecke ebenso, und sei nur aus Noth und Hunger da¬ mals noch begieriger als heutzutage genossen worden. Erst in neuester Zeit hat sich die Naturforschung genauer damit beschäftigt, und vor allen anderen ist Ehrenberg im Jahre 1823 in’s Geheimniss eingedrungen. Er entdeckte dass das Manna .von dem Stiche eines In¬ sekts herrühre. Das Insekt, eine wachsgelbe Schildlaus, von nur 3 Linien Länge, verwunde auf eine den blossen Augen unsichtbare Weise die zarten Zweiglein des Baumes oder Strauchs, und in Folge davon trete, nach vorange- gangenem Regen, der klare allmählig sich verdickende Saft hervor. Nach dieser Erklärung des Phänomens steht das Sinaitische Manna allerdings, wie schon Michaelis 1761 in den Fragen an Niebuhr und seine Begleiter vermutliet hatte, in Verwandtschaft mit dem Manna unserer Apo- 1 Siehe Ritter a. a. 0. S. 667. 58 theken, das in Folge eines Cicadenstiches ans der Manna¬ esche Südeuropa’s, besonders Calabriens, gewonnen wird. Manche Zweifel sind bei derselben wol übrig geblieben; aber die Hauptsache selbst, dass die Tamariske und das Insekt die beiden Faktoren der Manna -Erzeugung seien, steht nach der Gründlichkeit der Untersuchung Ehren- berg’s nicht in Zweifel. Fragen wir nun weiter, welche Analogie zwischen dem heutigen Manna und dem ehemaligen Himmelsbrote der Israeliten stattfinde, so hat die Antwort freilich ihre Schwierigkeiten. Ehrenberg selbst meinte, dass die Mo¬ saische Ausdrucksweise, es regne Manna, es falle aus der Luft,1 dadurch gerechtfertigt sei, dass es noch heutzutage von den obersten Spitzen der Zweige des bis zu 20 Fuss hohen Mannabaumes herab träufle. Auch abgesehen von allen den wunderbaren Einzelnheiten, die der Mosaische Bericht am Manna Israels rühmt, fragt es sich ob Ehren- berg’s Auskunft eine sichere Brücke von unserem Insekten- Manna zur Mosaischen Hjmmelsspeise schlage. An der Spärlichkeit der jetzigen Production dürfte dabei am we¬ nigsten Anstoss zu nehmen sein, da sie sich ohne grosse Mühe auf’s Vielfältigste und eben wunderbar gesteigert 1 S. 2. Mos. 16, 13. 14. «Und am Morgen lag der Thau um das Heer her. Und als der Thau weg war, siehe da lag es in der Wüste rund und klein, wie der Reif auf dem Lande.» 4. Mos. 11, 9. «Und wenn des Nachts der Thau über die Lager fiel, so fiel das Man mit darauf.» Nur vorher, d. h. 2. 16, 4. heisst es: Da sprach der Herr zu Mose: «Siehe, ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen», woran sich der Ausdruck des Psalters (78, 24) anlehnt: «Und liess das Man auf sie regnen». 59 denken lässt. Wollte man aber die Analogie zwischen damals und jetzt gänzlich ab weisen, so spricht dagegen entschieden der Umstand, dass eben da wo Israel sein Manna genossen — in der Wüste Sin, zwischen Elim und Sinai, worauf sie nach Rapliidim gekommen 1 — auch das heutige Manna gefunden wird, und zwar, wie schon oben bemerkt worden, in so vereinzelter Weise, und ohne dass viele andere tamariskenreiche Länder Aehnliclies aufzu¬ weisen haben.2 Ja sogar die Jahreszeit, in der das Mo- 1 S. 2. Mos. 16, 1 fg. 17, 1. 2 Dass überhaupt noch Aehnliclies vorkomme, lässt sich keineswegs läugnen, wie ja auch, nachdem Ehrenberg das Ge- heimniss entdeckt, das calabrische Eschenmanna vergleichbar geworden. Ritter stellt a. a. 0. S. 682 fg. mehreres hieher Gehörige zusammen, das zum Theil schon im Alterthume be¬ obachtet worden; ebenso bereits vor ihm Rosenmüller im Hand¬ buche der bibl. Alterthumskunde 4. 1, 316 fg., auch im alten und neuen Morgenlande 2, 34 fg. Den Vertretern des Insekten- mannas möchte vielleicht Jemand mit anderen überraschenden Naturerscheinungen, die in neuester Zeit beobachtet wurden, entgegentreten. Wir meinen diejenigen, die eine Aehnlich- keit mit einem wirklichen Mannaregen darbieten. Auch davon hat Ritter anhangsweise zum Kapitel über das Manna berichtet, siehe S. 692 fg. Wir haben es dabei mit einem nährenden Flechtengewächs, liehen esculentus, zu thun, das sich auf trocke¬ nem steinigten Boden bildet und freiliegend, nicht am Boden haftend, seinen Nahrungsstoff einsaugt. Bei heftigen Steppen¬ oder Wüstenstürmen in die Höhe geführt, fällt es in der Ferne dem Regen gleich wieder zu Boden, und hat bei einem solchen Niederfalle , dergleichen in Persien und anderwärts beobachtet wurden, aber nie in der Sinaiwüste, wo auch die Flechte selbst niemals vorkam, umfängliche Strecken Landes einige Zoll hoch be¬ deckt, so dass selbst Schafheerden reichliches Futter daran hatten. 60 saisclie Manna zu fallen begann, Anfang Mai,1 berührt sich auffällig nahe mit dem heutigen Beginn der Manna¬ periode. Der selige Bitter, ein Mann von ebenso gläubigem Gemüthe als hellem Geiste und grossem Wissen, hat vor¬ trefflich über diese Angelegenheit geschrieben. Er erklärt sich, unter Zusammenstellung vieler Einzelheiten,2 ganz dafür, dass das heutige Manna in bestimmtem Zusammen¬ hang mit dem ehemaligen stehe, dass bei Ausdrücken wie dem des Mannaregens zu bedenken sei, wie trotz aller Fortschritte der Naturwissenschaften doch erst seit kurzem für uns selbst ein genauerer Nachweis des Phänomens gewonnen wurde (S. a. a. 0. S. 679), während die Be¬ duinen noch immer das Manna regnen lassen und auch Flavius Josephus dieselbe Anschauung getheilt , indem er schreibt, durch Jehovali’s Gnade pflege noch immer dieselbe Speise in derselben Gegend der Gesetzgebung am Sinai herabzuregnen (S. 680 3); dass aber trotz aller Eine Vergleichung dieses Phänomens mit dem Mannasegen der Israeliten scheint uns sehr wenig berechtigt. Zum Ueberflusse sei nur noch bemerkt dass diese Flechte, von der mir selbst eine kleine Quantität aus Algier durch einen russischen Natur¬ forscher geworden, nicht das Geringste von der Honigsüsse unseres Manna besitzt. 1 Die Ankunft in der Wüste Sin fällt nach 2. Mos. 16, 1 auf den «fünfzehnten Tag des andern Monats, nachdem sie — zur Osterzeit — aus Aegypten gezogen waren». 2 S. a. a. 0. S. 681 fg. Ganz besonders in Betracht kömmt 2. Mos. 16, 31 «Und es war wie Koriandersamen, und weiss, und hatte einen Geschmack wie Semmel mit Honiff». o 3 Joseph. Ant. Jud. 3, 1. 6. heisst es ausdrücklich vom Manna, dass es noch jetzt herabregne ( vstccl ). Philo im Leben 61 Analogien und Erklärungen das uns überlieferte Wunder wunderbar genug bleibe.* 1 Dabei vertritt er zugleich, unter Benutzung von Hengstenberg’s Studien, eine massvolle Aus¬ legung des heiligen Textes, wornach weder ein auf 40 Jahre ausgedehntes tagtägliches Fallen noch auch die ausschliess¬ liche Ernährung des Volkes durch Manna berichtet werde. Diese umständliche, wenn auch bei weitem nicht aus¬ führliche Darlegung der Auffassung Ritter’s wird an sich schon beweisen, wie sehr sich der Verfasser dieser Wander¬ skizzen in Einklang damit weiss. Nur das Eine möchten wir noch beifügen, dass doch auch für denjenigen, dem Bedenklichkeiten darüber übrig bleiben, ob die jetzige Erzeugung des Manna auf das gefeierte, selbst vom Hei- Mosis 1, 36. gedenkt gleichfalls der himmlischen Mannagabe als eines ausserordentlichen wunderbaren Regens, doch sagt er nichts von einer Wiederholung der Thatsache. 1 S. a. a. 0. S. 677 fg. «Trotz des Nachweises des Natur¬ gesetzes durch den Menschen bleibt ihm nicht dasselbe Gesetz der Natur zuletzt doch selbst noch ein unerklärliches Wunder?» «Die Wunder Gottes bleiben uns Wunder, selbst wenn wir sie alle uns durch Naturkräfte sollten ausklären können, denn auch diese selbst sind und hleiben uns doch in ihrem Urgrund ein Wunder. Das, was wir bei ihnen Erklärung und Verständniss nennen, ist bei jedem wissenschaftlichen Denker nur der Nach¬ weis eines Hergangs auf einen noch tieferen, noch verborgenem allgemeinen Urgrund. Wenn unsere Kenntniss der natürlichen Kräfte ausreichen sollte, das specielle Wunder des Mannaregens zu lösen, so erhöht sich dadurch nur das Wunder Jehovah’s in der Erhaltung seines Volkes in der Wüste um so mehr, als auch die Wüste, die nach menschlichen Begriffen dazu un¬ fähig schien, durch ihren Organismus so vorgebildet war, um dennoch das Leben von Millionen fristen zu können». 62 land bedeutungsvoll erwähnte 1 Himmelsbrot vollkommen übertragbar sei, noch jene Morrison’sche Auffassung be¬ rechtigt bleibt. Das gegenwärtige Manna müsste doch immer als ein sinnvolles geweihtes Erinnerungszeichen für die wunderbare That des Herrn an seinem begnadigten Volke gelten, wenn wir die letztere, ihrer innersten Natur nach, auch nicht durch die Beobachtungen unseres eigenen Auges controliren könnten. Verfolgen wir nun den Weg zum Sinai durch Wadi Schech noch weiter, so überrascht uns etwa eine Stunde nach den mannareichen Tarfabäumen bei einer Verengerung des Weges der Anblick der zu unseren beiden Seiten meh¬ rere hundert Fuss hoch ansteigenden glatten Granitwände, . röthlichbraun und schwärzlichblau gestreift, glizzernd und glänzend. Die urgebirglichen Strecken zwischen Wadi Mo- katteb und dem Sinai führen uns wiederholt durch na¬ türliche Felsenthore von grossartiger Erscheinung; aber keines macht einen geAvaltigeren Eindruck als dieses. Hier überkömmt den Sinaipilger ein frommer Schauer; denn es ist ihm als ob sein Fuss einherwandele durchs Portal zum Sitze eines übermächtigen Herrschers, dem als dienst¬ bare Geister die Kräfte der Natur diese unvergänglichen Mauern aufgerichtet. Haben wir das Portal durchschritten, so öffnet sich ein wahres Amphitheater, fröhlich bewach¬ sen mit Gras, Kräutern und Sträuchern. Einige Felsblöcke liegen inmitten zerstreut, darunter einer der den Namen: Mosisstuhl, oder genauer: des Herrn Mose Ruhesitz, führt. Wenn für Mose’s Namen von den Beduinen bisweilen der 1 Evang. Joh. 6, 49. 50. 63 Name Mohammeds gesetzt worden,1 so berühren sich hier wahrscheinlich die christliche und die moslemitische Tradi¬ tion. Die erstere Bezeichnung hängt nämlich gewiss mit der Annahme zusammen, dass hier Rapliidim gewesen, sei es nun dass man beim Mosisstuhl an « des Hügels Spitze » dachte, auf dem Mose während der Amalekiter-Schlacht ge¬ standen, den Stab Gottes in seiner Hand,2 oder daran dass ihn dort bei längerem Verweilen sein Schwäher Jethro aus Midian heimsuchte, indem er ihm Weib und Kinder zurück¬ brachte und gute Rathschläge ertheilte.3 Wie auf dem Sinai, dem Dschebel Musa, der grosse Prophet durch den Tritt seines Dromedars in Concurrenz tritt mit den Mo¬ saischen Erinnerungen, so lässt der Beduine auch hier seinen Mohammed auf Mosis Stuhl sitzen. Merkwürdiger ist aber, dass diese auch im Munde der Beduinen vertre¬ tene Tradition von Rapliidim vor strenger wissenschaft¬ licher Forschung gar nicht unberechtigt erscheint, wie sich besonders Robinson4 derselben günstig ausgesprochen. Es sei dazu vorläufig nur bemerkt, dass das Terrän für mein Auge ganz den Eindruck eines für solche Wüsten¬ kämpfer geeigneten Schlachtfeldes gemacht hat. Der amphitheatralische Raum scliliesst sich nach etwa zehn Minuten wieder; das Urgebirge tritt zu beiden Seiten zurück ; aber die weiter führende Strasse stellt vor unsern Blick majestätisch aufragende Gipfelpunkte der Sinai ti- 1 S. Ritter a. a. 0. S. 648. 2 S. 2. Mos. 17, 9. 3 S. 2. Mos. 18, 1 fg. 4 S. Palästina etc. Bd. I, S. 198 fg. 4 64 sclien Felsengruppe. So liegt denn das Portal hinter uns, der Gottesberg, der Thron vor uns. Ungefähr zwei Stunden bevor wir an den Fuss dieser ehrwürdigen Felsen und damit zugleich zum Katharinen¬ kloster gelangen, treffen wir auf das grösste Heiligthum der Wüste, das Grabmal des Propheten oder Schech Saleh. Nach dem Mosisberge, den auch der Beduine noch und heilig hält, kommt bei ihm dieses alte Monu¬ ment; sogar führt der Wadi Schech davon seinen Namen, denn Saleh ist der Schech aller Schechs. Ist unter die¬ sem Heiligen nicht schon ursprünglich jener grosse mosle¬ mische, auch im Koran erwähnte Prophet Saleh zu verstehen gewesen, so ist er doch wahrscheinlich im Munde späterer Geschlechter allmählig dazu erhoben worden. Genug, sein Grabmal ist heutzutage gleichsam das Centralheiligthum der Beduinen; zu ihm wallfahrten sie alljährlich von nah und fern, und halten daselbst ihr grosses Fest. Da ich einer solchen Festfeier auf meiner ersten Beise persönlich beigewohnt, eine seltene Reiseerfahrung , so gestatt’ ich mir mit wenig Worten das Gedächtniss derselben zu er¬ neuern. Als ich am 23. Mai 1844 zur Mittagsstunde im Zelte lagerte, zogen mehrere Züge von Beduinen, Männer mit Frauen und Kindern, auf stattlich geschmückten Drome¬ daren, von Lämmerheerden begleitet und belebt durch weithin schallende Freudentöne, unfern von mir vorüber. Sie zogen zum Salehfeste. Einige Schechs traten in mein Zelt und luden mich dringend zur Theilnahme ein, worauf ich im Vorübergehen einen Augenblick zu halten versprach. Als ich aber kurz nachher auf das festliche Zeltgelage I 65 zuritt, da zogen mir die versammelten Schechs auf dreissig Schritte entgegen, und ihrer mit freundlicher Zudringlich¬ keit erneuerten Einladung liess sich kein Widerstand leisten. Ich zog mit der Schaar ins grosse gemeinschaftliche Zelt und fasste daselbst inmitten der vierzig bis fünfzig Häupt¬ linge Platz. Das Zelt war nur von zwei Seiten geschlos¬ sen; nach Norden bot es die Aussicht auf die Heerden, Dromedare und Kamele; nach Süden loderte ein Feuer, woran eitrigst Kaffee gekocht wurde. Hier sass als General- wirth der Fürst oder Oberste der Häuptlinge, eine hohe männliche Gestalt, von kräftigen Zügen, braunen Augen, dunklem Barte. Auf dem Haupte trug er einen weissen Turban mit rothem Fes; ein langes weisses Kleid von leichtem wollenen Stoff hing ihm bis auf die nackten Füsse herab. An dieses Hauptzelt reihten sich in gleicher Linie mehrere kleinere an, deren Eingang mit Teppichen ver¬ hangen war: darin weilten die Frauen mit den Kindern. Eine Tasse Kaffee und noch eine zweite wurde mir sowie allen die im Kreise sassen dargereicht; dazu dampf¬ ten die Pfeifen, und das Gespräch war lebhaft. Nach einem Stündchen wurde das Grabmal festlich umgangen. Es lag, ein kleines steinernes Haus, auf einem felsigen Hügel, vierzig Schritte hinter dem Zeltfeuer, und war für diese Feierlichkeit offenbar frisch übertüncht worden. Bei dem Umgänge schritten die sittsam ver¬ schleierten Frauen voran; indem sie in ihrem Munde die bekannte orientalische Musik ausführten, ging der Zug den Hügel hinauf, ums Grabmal herum und endlich in dasselbe hinein, wo die Frauen beim Sarge des Heiligen, den grüne Stoffe mit eingewirkten Gebetssprüchen über- 5 Tiscbendorf, Aus dem heiligen Lande. 66 kleideten, einige Minuten beteten. Von jungen Burschen wurden bei diesem Zuge die Opferlämmer geführt, etwa 50 an der Zahl, und noch oben auf dem Hügel wurden ihnen ein paar Haare von der Stirne geschnitten sowie die Stirne selbst blutig geritzt. Darauf wurden sie unten am Hügel abgeschlachtet, an den Zelten aufgehangen, ihres Felles entledigt und mit den grossen Schwertmessern in Stücke zerhauen.1 Während die Mahlzeit am Feuer zugerüstet wurde, eröffnete sich ein Wettrennen auf Dromedaren, das die Frauen hinter den Zeltvorhängen mit ihren jauchzenden Tönen zu verherrlichen suchten. Auf das Wettrennen, das zuletzt ein wilder Bergsturm mit seiner Musik be¬ gleitet hatte, folgte die Mahlzeit. Das Fleisch war ohne Ausnahme gekocht worden. Alle Gäste lagen im Kreise herum, gesondert in kleine Gruppen von vier bis sechs. In einer hölzernen Mulde wurde das Fleisch aufgetragen und inmitten der einzelnen Gruppen auf Lammfelle ge¬ schüttet. Jeder übernahm und verspeiste mit den Werk¬ zeugen, die ihm Mutter Natur verliehen, seinen Antheil; ich that dasselbe. Alles schien sich des besten Appetits zu erfreuen. Nach dem Fleische kam ein Bilav aus Gersten¬ mehl mit sehr geringen Zuthaten. Getrunken wurde da¬ bei ein Trunk vortrefflichen Wassers. So schmausten diese Herren der Wüste bei ihrem grossen Jahresfeste; kein Wunder dass keinen das Podagra nach Hause geleitete. 1 Die Bemerkung in meiner «Reise in den Orient» I, 212. dass die eigentliche Opferung der Lämmer vermittelst der Zähne und Mägen geschehen, hat bei Ritter a. a. 0. S. 654. ein selt¬ sames Misverständniss veranlasst. 67 Später hatte noch ein Tanz der Frauen folgen sol¬ len ; 1 da aber der Sturm immer heftiger geworden, musste er unterbleiben. Am nächsten Morgen schied ich von dem Festgelage. Wahrscheinlich hatte es aber noch einen längeren Verlauf, und die nach meinen Aufzeichnungen gerade 8 Tage später unternommene Wallfahrt der Beduinen auf den Sinaigipfel mag wol erst den Schlussstein des Festes gebildet haben. Nach diesen Abschweifungen in den Wadi Schech, zu seinen Mannatamarisken, seinem Felsenthore und seinem grossen Heiligen, kehren wir dahin zurück wo es im Westen beginnt. Denn erst bei meiner Rückkehr nach Aegypten — am 7. Februar • — nahm ich dies Mal den Weg durch Wadi Schech; dagegen schlug ich am 30. Januar den kürzeren wenn auch beschwerlicheren Weg nach dem Sinai ein. Dieser letztere führte uns , nachdem wir el Bueb, den Grenzfelsen des Wadi Feiran, hinter uns hatten, zu¬ erst heim westlichen Anfang des Wadi Schech vorbei, der von da aus eine nach Nordost weit sich ausdehnende Biegung macht, sodann aber in den südöstlich laufenden Wadi Selaf hinein. Dieser gegen 6 Stunden lange Wadi lässt sich den anziehendsten der Sinaitischen Wüste bei¬ zählen; an reizender Mannigfaltigkeit der Felsenwände steht er kaum einem anderen nach, und auch die Vege¬ tation, obschon ohne Palmen, ist so reich, dass sich zwei Beduinenstämme darin mit ihren schwarzen Zelten an¬ gesiedelt hatten. Als wir bei diesen Zeltdörfern, die sich 1 Einen solchen schilderte Schimper aus dem Jahre 1835 Siehe Ritter a. a. 0. S. 652. 5* * / 68 ohne allzu grosse Mühe aus dem einen Wadi in den an¬ dern versetzen lassen, vorbeiritten, war es schwer sich den freundlichen Einladungen ihrer Schechs zu entziehen. Da ich es aber für möglich hielt, an diesem Tage, einem Sonntage, noch das Kloster zu erreichen, so konnte ich auch meinen Begleitern nur flüchtige Begrüssungen ge¬ statten, die sie immer mit grosser Zärtlichkeit unter oft wiederholtem Bruderkusse vollzogen. Bevor wir die Hauptaufgabe dieses Tagemarsches, die Uebersteigung desNakb elHauwy, zu lösen begannen, hatten wir schon einen Vorgeschmack davon, indem wir einen mit Felsblöcken aufs reichste und störendste übersäeten schma¬ len Weg abwärts zu steigen hatten. Aber um 2 Uhr des Nachmittags standen wir am Fusse des berühmten «Wind¬ passes» oder «Windsattels» selbst. Umsonst hat man ihn für eine neuere, etwa dem Sinaikloster zu Gefallen angelegte Bergstrasse ausgeben wollen, da mehrere seinen Stein¬ blöcken eingegrabene Sinaitische Inschriften, zerstreut über den ganzen Weg, — 1853 zählte ich deren sieben — seinen Ursprung und Gebrauch um Jahrhunderte über die An¬ legung des Justinianischen Klosters hinaufrücken. Dass je¬ doch in der That die Hand der Kunst dazu mitgewirkt hat, diesen Uebergang über oder durch das Gebirge zu ermög¬ lichen, dafür zeugen mehrere wegsamer gemachte Stellen der rohen Felsenwildniss. Als eine solche erscheint der Pass aber sofort. Hechts und links thürmen sich imposante vielfach zerrissene urgebirgliche Felsmassen auf. Während wir zur Linken die bisweilen in beträchtliche Tiefe hinabreichende Felsspalte vor Augen haben, führt uns der Pfad über die unteren Vorsprünge der über 500 Fuss hoch trümmerhaft 69 aufgeschichteten Granitklippen zu unserer Rechten. Zwi¬ schen herabgestürzten Felsen steigt dieser Pfad steil und in vielen kühnen Windungen aufwärts. Die beladenen Ka¬ mele müssen eben so kräftig als geschickt sein, um ihre Ladungen glücklich hindurch und hinauf zu bringen; oft haben ihre Führer mit lenkender und schützender Hand einzugreifen. Gegen die Mitte des Passes wird der Weg leichter; der Abgrund zur Linken hat sich fast ausge¬ glichen; es ist nur noch das wildromantische Bett des Giessbaches, der da alljährlich von den Bergen herab¬ stürzt und befruchtende Wasser in die harrenden Thäler trägt. Als wir die Mitte seihst erreicht hatten, Nach¬ mittag y2 4, willfahrte ich dem Wunsche meiner Beduinen nicht weiter zu ziehen ; denn vom Dunkel durften wir aller¬ dings auf so schwierigem Wege nicht überrascht werden. Unser Lager wurde mitten in der hohen Felseneinöde durch eine kleine Sandfläche, gerade gross genug um das Zelt darüber aufzuschlagen, möglich gemacht. Auch fanden die Kamele an dem zwischen den Felsen wach¬ senden Gesträuche * einige Erquickung. Von menschen¬ feindlichen Insassen dieser Klüfte blieben wir unbehelligt; • nur zahlreiche Adler umkreisten die Höhen; war es doch auch als ob wir uns selbst mit solchem Nachtlager in die Region der Adlerhorste verirrt hätten. Am 31. Januar früh 7 Uhr setzten wir unseren Fel¬ senweg fort; er verlor auf der östlichen Seite mehr und mehr von seiner Schroffheit. Als sich aber vor uns das Thal zu öffnen begann, da ragten in naher Ferne vor unseren Blicken ins wolkenlose Blau des Himmels hinein jene majestätischen Granitberge, auf denen noch heute 70 Jude, Christ und Moslem das Gedächtniss der Gesetzes- offenbarung feiern. Von keiner Seite kann ihr Eindruck den nahenden Pilger mächtiger ergreifen. Bald stehen wir in der weiten Ebene Rahah selbst : von ihr aus er¬ hebt sich wol an 2000 Fuss in schroffster Gestalt der nördliche nackte Fels des Sinaigebirgs, gewöhnlich Horeb benannt. Rechts von ihm erblicken wir am Rande der Sandwüste vereinsamte freundlich grüne Stellen, es sind zwei Klostergärtchen. Links aber schaut uns bald darauf, kühn zwischen den Granitbergen in schmaler Schlucht festungsartig aufgebaut, das Katharinenkloster entgegen; seine Gartenmauern überragen in unverwelkliclies Grün gekleidete Cypressen: mit so lieblich ernsten Boten winkt es uns sein Willkommen zu. Nachdem wir die genannte Ebene Rahah durchmessen hatten, zur Linken an der weiten Oeffnung des Wadi Schech vorüber, betraten wir den schluchtartig in südöstlicher Richtung laufenden Wadi Schueib, und hielten gegen 10 Uhr am Katharinenkloster. Durch wiederholtes Rufen einiger dem Kloster als Leib¬ eigene zugehörigen Dschebelijeli öffnete sieh die 30 Fuss hoch angebrachte Pforte, und ein Seil wurde zum Empfang meiner Briefschaften herabgelassen. Die Aufnahme der Gäste selbst erfolgt gewöhnlich auf demselben Wege,1 in- 1 Zu Fabri’s Zeit, 1483, scheint diese Sitte noch nicht be¬ standen zu haben. Er schreibt Bl. 135: «Wir funden vor dem Kloster viel Araber sitzen, mit ihrer Wehr und Waffen. Also vor der Port des Klosters luden wir ab und Hessen uns all unser Bereitschaft in das Kloster tragen, in das Gasthaus da der Pilgrim Kammern stunden. Es kamen auch die Brüder aus dem Kloster zu uns und empfingen uns mit Ehren und » o ' , 'S . ' jt; te*-: . . •VI | i-vfc A fc « *? * ■ 71 dem sie sich auf ein am Ende des Seiles angebrachtes Querholz setzen und hinaufgewunden werden. Zu Ehren des mich geleitenden kaiserlichen Auftrags erschien aber unver weilt der den Prior vertretende Oekonom des Klosters und geleitete mich an seinem Arme durch eine selten be¬ nutzte Thür in das stille freundliche Asyl. Nur meinem Dragoman sammt Effekten blieb die übliche Luftfahrt Vor¬ behalten. lieblich, und hülfen uns mit dem Plunder hinweg, denn wir traueten den Arabern nichts guts». Die hierin enthaltene Angabe vom Gasthause mit Pilger - Kammern erhält durch den Bericht Fürers von Haimendorff einige Aufklärung, der 1565 den Sinai besuchte. In seiner Reisebeschreibung (Nürnberg 1646. S. 112) heisst’s nämlich : « Das Kloster liegt in einem engen Thal an den Bergen Sinai, viereckicht von Quaderstücken gebaut, ziemlich stark und hoch; es ist eine Seite 125 gemeiner Schritt lang, macht 500 Schritt in die Vierung, ohne das kleine dreyeckicht Vorhöflein, da man hinein gehet; es hat ein hölzern Thürlein gegen Südwest» u. s. w. «Nach Mittag kamen wir dahin, brach¬ ten unser Rüstung oder Geräthe in ihren Garten, in welchem sie etliche kleine Kämmerlein hatten, dahinein thäten wir’s». Also auch 1565 geschah der Einlass anders als durch die hohe Thür. Nach einer bildlichen Darstellung in der letztgenannten Reise wurde damals durch diese Thüröffnung aus einem wohl¬ vermauerten Brunnen vor dem Kloster Wasser hinaufgezogen. o VII. Im Sinaikloster. Die Aufnahme, die dem zum dritten Male im Laufe von 15 Jahren aus so weiter Ferne gekommenen Fremdling wurde, war von Seiten der alten Freunde, besonders vom gelehrten würdigen Kyrillos, eine wahrhaft herzliche. Der letztere erzählte mir dass er mit vieler Theilnahme seit meinem letzten Weggange meinem Wirken für die theolo¬ gische Literatur gefolgt sei und dass er oft durch englische und andere Reisende Genaueres darüber erkundet habe. Dionysios, der Vorstand (dlxacog) des Klosters, betrachtete meine jetzige Sendung durch den kaiserlichen Beschützer als eine Fügung des Herrn zum Heile der Kirche; er wünsche und hoffe — so sagte er wörtlich — dass es mir gelingen werde neues Licht und neue Stützen für die göttliche Wahrheit aufzufinden. Ich war von dieser Ansprache des würdigen Priors, mit der er wol mehr aus¬ sagte als er sich klar bewusst war, überrascht und gerührt. Nach solchem Empfange war es nicht schwer sich heimzufinden. In demselben geräumigen freundlichen 73 Fremdenzimmer, das ich schon wiederholt innegehabt, im zweiten Stocke des westlichen Flügels, gegenüber dem¬ jenigen mit der hohen Thüröffnung, nahm ich Quartier; andere Gäste, deren das Kloster sehr viele beherbergen kann, waren zu dieser Zeit nicht da. Trat ich aus meinem Zimmer hinaus auf die Galerie vor demselben, so hatt’ ich unmittelbar vor meinen Augen, über Hof und Mauer hin¬ weg, einen etwa tausend Fuss hohen Granitberg, auf dessen Scheitel mehrere Kreuze sichtbar sind. Er heisst Kreuz - oder Klosterberg; denn vor Zeiten soll seine Höhen ein * Klosterbau gekrönt haben. Die Grossartigkeit der Anlage des St. Katharinen¬ klosters, das ein längliches Viereck bildet, wird schon aus unserer bildlichen Darstellung ersichtlich sein. Seine 40 bis 50 Fuss hohen Mauern bestehen grösstentheils aus mas¬ siven Granitblöcken. Das labyrinthartige Innere ist in mehrere Höfe abgetheilt, um welche ringsum die Zellen, die Kapellen, die Vorrathskammern, die Bibliotheken, ver¬ schiedene Werkstätten, auch eine kleine Rüstkammer, die Fremdenzimmer und alle ähnlichen Baulichkeiten laufen, theils im Erdgeschoss, theils in den beiden Stockwerken. Die letzteren sind von ungleicher Ausführung; grössten- theils haben sie hölzerne auf den Hofraum gerichtete Pfeilergänge; einige Baulichkeiten überragen auch noch den zweiten Stock, sie sind unmittelbar wie Nester an die starken Klostermauern angesetzt. Oft stieg ich während meines Aufenthalts auf die breite nördliche Mauer hinauf, wo ich über den Garten hinweg eine schöne Fernsicht bis in die Sandebene Rahah und auf die benachbarten Felsenberge genoss. 74 In den Höfen befinden sich Anpflanzungen von Wein, einzelne Bäume, selbst Blumengärtchen, besonders aber zwei vortreffliche Brunnen, deren einer uralter Erinnerung zu Ehren der Mosisquell heisst. An der Nordseite ist mit diesem Klosterbau durch einen unterirdischen 20 bis 30 Fuss langen Gang der grosse Klostergarten verbunden. Er ist in Terrassen an¬ gelegt und mit dem frischesten Wasser reichlich versehen. Ausser seinen feierlichen Cypressen, die uns schon aus der Ferne gegrtisst, ist er reich an üppigen Fruchtbäumen, die dem Kloster Orangen und Citronen, Mandeln und Feigen, Granaten, Aprikosen, Aepfel, Birnen und anderes Obst liefern; neben und unter diesen Bäumen wird auch mancherlei Gemüse, wie Salat, der selbst Anfang Februar auf meine Tafel kam, und Bohnen gezogen. Mitten in diesem prächtigen Garten haben sich die Mönche ihre letzte Wohn- und Ruhestätte ausersehen. Dort befindet sich nämlich ein halbunterirdisches Gebäude zur Beisetzung der Gebeine aller entschlafenen Bewohner des Klosters, sowol der Priester als der Laienbrüder; und zwar sind diese Gebeine nach Armen, Beinen, Rippen, Schädeln u. s. w. geordnet und wurden nach dieser Ord¬ nung in zwei Gewölben aufgeschichtet. Nachdem wir aus dem Garten wieder ins Kloster zurück¬ gekehrt sind, müssen wir einen flüchtigen Blick ins Leben und Treiben der Klosterbrüder thun. Ihre Zellen sind eng und von allem Luxus entblösst. Sitz und Lagerstätte, die in eins Zusammenfällen, bildet ein 2 Fuss hoch in der Ecke aufgeführtes Gemäuer, gleichsam ein natürlicher Divan, mit einer Matte oder Decke überkleidet. Dazu kommt 75 etwa noch ein hölzerner Stuhl, aber kein Tisch, und eine Wand- oder Fensternische, doch ohne Fenster. Mit dieser Einfachheit der Behausung steht im Einklang die ganze Lebensweise, welche die strenge Kegel des heil. Basilius den Mönchen vorschreibt. Gekleidet sind sie in ein ein¬ faches, grobwollenes weiss und braun gestreiftes Gewand.1 Der Genuss von Fleisch ist ganz ausgeschlossen; Milch und hartgesottene Eier gehören schon zu den Ausnahmen; bei weitem der grössere Theil des Jahres erheischt eine solche Fastenkost, wie getrocknete Fische, Kräuter suppen, Oliven, * Bohnen, dass ihr Uneingeweihte auch ohne Verwöhnung schwerlich Geschmack abgewinnen. Ausser dem im Kloster in verschiedener Güte gebackenen Brote möchte der Dattel- liqueur dem Gaumen der Brüder die einzige regelmässige Erquickung gewähren, die auch feiner schmeckende Wan¬ dersleute nicht verschmähen, zumal wenn dazu ein Stück jenes Sinaibrotes aus zusammengepressten Datteln und Mandeln gereicht wird, mit dessen Bereitung sich gleich¬ falls der Hausfleiss des Klosters befasst. Dass gottesdienstliche Uebungen alltäglich und all¬ nächtlich die Bewohner des Klosters vorzugsweise in An¬ spruch nehmen, verräth dem Fremdlinge schon der fleis- sige alle Bäume feierlich durchklingende Kuf zur Andacht, der im Laufe der Woche durch klangreiches Anschlägen an einen Granitblock oder eine Holztafel erfolgt, an Sonn- und Festtagen durch Glockengeläute. Dasselbe be- 1 Nach Lepsius bei Ritter a. a. 0. S. 614 sollen diese Ge¬ wänder den Mönchen vom Vicekönig von Aegypten zukommen, und weil Mohammed der Prophet selbst eine solche Kutte ge¬ tragen, auch bei den Moslemim in Ansehen stehn. 76 weist auch die grosse Zahl der vorhandenen Kapellen, welcher seit einiger Zeit die Zahl der Brüder selbst, gegen zwanzig, nachzustehen pflegt. Von der Schmucklosigkeit der meisten dieser Kapellen unterscheidet sich wesentlich die in einem grösseren Hofraume befindliche nach alter Basi¬ likenform angelegte Hauptkirche. Ihr bleiernes Dach wird von einer doppelten Reihe Granitpfeiler getragen, zwischen denen die Chorstühle angebracht sind. Den marmornen Fussboden zieren musivische Arbeiten , desgleichen die Wände zahllose in Gold und bunte Farben gekleidete Heiligenbilder. In der Nische über dem Altar, der von vielen silbernen Lampen erleuchtet wird, ist die Scene der Verklärung des Herrn mit Mose und Elias in schöner Mosaik ausgeführt; ihr zu beiden Seiten stellen zwei Brust¬ bilder die beiden Stifter des Klosters dar, den Kaiser Justinian und seine Gemahlin Theodora. Nach Kenner- urtheil soll diese schöne Arbeit sammt dem Chor, wo sie sich befindet, ganz der Zeit der Stiftung des Klosters an¬ gehören, während andere Theile der Kirche spätere Re¬ staurationen erfuhren. Demzufolge mag wol ursprünglich das Kloster selbst ( oder etwa blos die Kirche ? ) nach der Verklärung benannt gewesen sein; an ihre Stelle ist aber nachweisbar schon seit vielen Jahrhunderten1 die heilige Katharina getreten, deren Name sogar auf den kleinen 1 So steht auch bei Fabri keine andere Bezeichnung. Selbst die Ueberschrift zur Ankunft im Kloster Bl. 134 heisst: «Wie die Pilgrim kamen zu S. Katharina » . Neuere abweichende Be¬ zeichnungen, wie die bei Quaresmius (Anfang des 17. Jahrh.): «Das Kloster S. Salvator», kommen daher wol auf Rechnung ungenauen Berichts. f 77 Abendmahlsbroten steht, dergleichen mir selbst wiederholt verabreicht wurden. Sehr wahrscheinlich reicht diese Aen- derung auf die Zeit zurück, wo die Gebeine dieser Heiligen in der Klosterkirche beigesetzt wurden; freilich fällt dies Ereigniss nach der Klostertradition mit dem Stiftungsjahre selbst zusammen. Noch jetzt werden dieselben Reliquien in hohen Ehren gehalten.1 Da sie dicht unter dem Ver¬ klärungsbilde ruhen, so wird das letztere unerwünschter Weise von den häufigen Räucherungen mit betroffen, die der Heiligen gelten. Fast wäre dieselbe Kirche auch zur 0 letzten Ruhestätte einer russischen Monarchin, der Kai¬ serin Anna, geworden; sie befindet sich wenigstens auf einem silbernen Sarkophag-Deckel lebensgross dargestellt, obschon ihr Leichnam dem vorausgesandten Sarkophage nicht nachgefolgt ist. Das grösste Heiligthum der Kirche bildet aber die hin¬ ter dem Altar angelegte Kapelle des brennenden Busches. Nur mit unbeschuhtem Fusse darf sie betreten werden, in Erinnerung jenes Mahnwortes, das einst an Mose er¬ ging: «Zeuch deine Schuhe aus von deinen Füssen; denn der Ort, darauf du stehest, ist ein heilig Land». Eben diesen heiligen Ort glaubt man in der Kapelle wieder¬ gefunden zu haben. Und diese Annahme ist nicht etwa ein Spätling der Mönchstradition ; sie hat vielmehr schon bei den frühesten Einsiedlern am Sinai eine verehrungs¬ volle Weihe derselben Oertlichkeit zur Folge gehabt. Denn nach dem Berichte des Mönchs von Canopus Ammonius 1 Ritter a. a. 0. S. 620 fg. führt aus Mabillon an, dass S. Simeon im Jahre 1027 etwas davon nach Frankreich zu Richard II. Herzog der Normandie brachte. 78 von jenem Blutbade, das ums Jahr 370 die Sarazenen unter den Sinaitischen Einsiedlern anrichteten, stand eben hier Kirche und Thurm als Yereinigungs- und Mittelpunkt für die Andacht der einsamen Frommen. Tritt der christliche Pilger aus der alten Verklärungs¬ kirche hinaus auf den Hof, so erwartet ihn hier eine Ueberraschung , die auch der Leser vollkommen theilen wird; der Kirche gegenüber steht nämlich eine ansehn¬ liche Moschee, deren Halbmond dicht neben dem Kreuze über die Klostermauer emporsteigt. Aus welcher Zeit sie stamme, steht nicht ganz fest; dass sie erst im 15. Jahr¬ hundert errichtet worden sei, um Sultan Selim, den Er¬ oberer Aegyptens, zu beschwichtigen, als sein Liebling, ein junger griechischer Priester, statt der Genesung den Tod im Kloster gefunden hatte, wird durch sichere Be¬ weise von ihrem Vorhandensein im 14. Jahrhundert wider¬ legt. Ebenso wenig möchte aber auch die Angabe glaub¬ lich sein, dass Mohammed selbst im Kloster gewesen und ihm als Gegengabe für die Errichtung der Moschee einen mächtigen Ferman verliehen habe, wennschon jedenfalls dies Denkmal der Toleranz dazu gedient hat, moham¬ medanische Bedrohungen vom Kloster abzuwenden. In neuester Zeit hat Abbas Pascha seine Gebete darin ver¬ richtet. Ausserdem steht das Kloster nicht nur in Be¬ ziehung zu den alljährlichen Mekka -Karavanen, sondern ♦ auch in beständigem Verkehr mit den mohammedanischen Bewohnern der Wüste, besonders mit denjenigen Beduinen- stämmen, die den Titel der Beschützer (Gliafire) des Klosters führen. Dazu kommen mehrere Hunderte von Leibeigenen, deren frühesten Besitz das Kloster auf eine 79 Schenkung des Kaisers Justinian zmiickführt. Sie stehen überall im Dienste des Klosters, wie sie z. B. die ver¬ schiedenen ihm zugehörigen Gärten in der näheren und ferneren Umgegend des Sinai bebauen; auch werden sie von ihm unterhalten. Christen, was sie früher gewesen, sind aber merkwürdigerweise die wenigsten unter ihnen geblieben ; die meisten sind längst zum Islam übergegangen. Unter den verschiedenen Bäumlichkeiten des Klosters haben wir oben auch Bibliotheken genannt. Darüber darf ich dem Leser etwas Näheres nicht schuldig bleiben. Drei von einander entlegene Zimmer machen auf diesen Titel Anspruch. Das kleinste darunter, im Erdgeschoss, früher eine Kapelle, enthält gegen hundert Bücher, grössten- theils Druckwerke, die auf Regalen in Ordnung aufgestellt sind. Unweit davon ist im ersten Stockwerke dasjenige gelegen, dem vorzugsweise der Name der Klosterbibliothek angehört. Eine alte Aufschrift an seinem Portale bezeich¬ net es als IciTQeiov tyvyrj g , d. h. Heilort der Seele, oder etwa: geistliche Apotheke. So wenig die andern Wüsten¬ bewohner hei ihrer vortrefflichen Gesundheit nach den Apotheken der Städter Verlangen tragen, ebenso wenig kommt unter den Klosterbrüdern die kranke Seele vor, die dieser geistlichen Apotheke bedürftig wäre. Aber Cy- i rill der Atliosmönch, der seit den ersten Vierzigerjahren als Professor und Bibliothekar im Kloster weilt, seine Chronik führt und als Poet viele Thüren und Wände mit Kindern seiner Muse ausgestattet hat,1 hat sich auch der 1 Nur ungern verzichte ich darauf, einige der meinen eige¬ nen wiederholten Besuchen gewidmeten Sprüche in Reimen als Proben der Klosterpoesie herzusetzen. 80 Ordnung der daselbst niedergelegten Bücher nach Kräf¬ ten angenommen und sogar einen Katalog über dieselben angefertigt. Der letztere zählt über 1500 Nummern, unter denen ungetrennt Druck- und Handschriften ver¬ zeichnet stehen. Die Zahl der Handschriften mag gegen fünfhundert betragen; ausser den griechischen, welche die Mehrzahl bilden, sind es arabische, syrische, armenische, georgische, slavonische. Ihrem Inhalte nach gehören bei weitem die meisten der theologischen Literatur an, theils als Abschriften des Bibeltextes, der oft in kirchlichen Vor¬ lesebüchern niedergeschrieben wurde, theils als patristische und liturgische Schriften. So wenig dergleichen gegen¬ wärtig zu den Liebhabereien der Mönche zählen, so sehr liegen sie uns als Vermächtnisse, als Zeugnisse einer Zeit vor, wo ernste Studien in den Klosterzellen eine heimische Stätte hatten. Doch Flögen manche der noch jetzt vor¬ handenen Handschriften nicht sowol im Kloster ange¬ fertigt, als von Pilgern geschenksweise dahin gebracht worden sein; wol hatten einen Antheil daran auch die verlassenen oder zerstörten Klöster der Umgegend. Wie viel ihrer freilich im Laufe der letzten Jahrhunderte von hier wie aus allen Klöstern des Orients nach Europa ge¬ wandert und wie viel andere in schnöder Vernachlässigung untergegangen sein mögen, liegt ausser Berechnung.1 1 Aus dem Kreise meiner eigenen Erfahrungen darf ange¬ führt werden, dass ich eine Handschrift in Händen hielt, die von zahllosen fetten weissen Molchen wimmelte, während eine andere, an der steinernen Wand anliegend, so compakt geworden war, dass sie den Versteinerungen beigezählt werden durfte. Da¬ zu kommt die üble Sitte, deren z. B. auch der englische Rei- 81 Die dritte der genannten Bibliotheken verwahrt zu¬ gleich Priesterornat und Kirchengeräth. Ausser alten kirch¬ lichen Yorlese- und ähnlichen liturgischen Büchern, woran sie reich ist, besitzt sie gleich der so eben besprochenen meistenteils biblische und patristische Handschriften; sie ist seit Jahrhunderten einem bestimmten Brauche gemäss aus den Hinterlassenschaften der Erzbischöfe bereichert worden. Hier wird auch jenes handschriftliche Prachtexem¬ plar der Evangelien auf bewahrt, von welchem öfters Rei¬ sende berichtet haben. Es enthält die mit dem Anfänge des Johanneischen Evangeliums beginnenden evangelischen Vor¬ lesestücke und ist auf dem schönsten weissen Pergament durchgängig in einer Goldschrift verfasst, deren Formen, zwischen der älteren und späteren Unzialschrift die Mitte haltend, das 7. oder 8. Jahrhundert verrathen. Dem Texte, der auf jeder Seite in zwei Columnen getheilt ist, gehen mehrere Blätter, wenn ich nicht irre sieben, mit präch¬ tigen Miniaturen voraus, die ausser den vier Evangelisten den Heiland, die Maria und Petrus darstellen. In An¬ sehung des letzten Bildes war der hochbetagte Skevo- phylax oder Schatzmeister anderer Meinung als ich; er mochte es nämlich nicht auf den Petrus der Schrift be¬ ziehen, sondern auf einen spätem Petrus, weil die Haltung, der Schnitt des Bartes nicht zu dem erstgenannten passte. Weniger als auf den Bart verstand sich der gute Alte auf die Schrift, von der ich ihm zu seiner Verwunderung sende Major Macdonald (bei Tregelles: Additions to the fourth volume of the Introduction to the Holy Scriptures etc. S. 775) gedenkt, alte unnütz scheinende manuscriptliche Reste dem F euer zu übergeben. Tischendorf, Aus dem heiligen Lande. 6 82 c einige Zeilen vorlas. Die Tradition des Klosters lässt diese Handschrift als Geschenk eines Kaisers Theodosius ins Kloster gekommen sein. Versteht man unter diesem Theo¬ dosius den dritten Kaiser dieses Namens, der zu Anfang des 8. Jahrhunderts kurze Zeit auf dem Throne säss, so kann die Tradition, wenn sie anders alt ist, vollkommen richtig sein; denn als ein Geschenk kaiserlicher Munificenz kündigt sich das Buch durch die seltene Pracht, die es auszeichnet, in der That selber an. Sein textkritischer Werth ist nach den geprüften Stellen äusserst gering; es geht darin mit den vielen derartigen Evangelienbüchern zusammen, die wir vom 7. Jahrhundert an noch jetzt be¬ sitzen. Nichtsdestoweniger bildet es, zumal da seine Gold¬ schrift sammt Miniaturen vortrefflich erhalten ist, ein wahres Kleinod des S. Katharinenklosters ; ja es wird für manches Auge eben so kostbar und heilig sein als die Re- liquien, von denen das Kloster seinen Namen führt. Aber von beiden tausendjährigen Reliquien, von der in die Pracht der Kunst wie von der in die Glorie des Märtyrerthums gehüllten, eilen wir zu einer andern, die den nackten Schmuck der Natur, den sie trägt, durch die Erinnerungen verklärt, die im Laufe von vier Jahrtausen¬ den Geschlecht um Geschlecht gefeiert haben. Der Berg, an dessen Fuss das S. Katharinenkloster steht, hat er seinesgleichen auf der weiten Erde? Hat sich ein anderer mit gleich bedeutungsvollen Zügen ins Buch der Welt¬ geschichte, wie in die Herzen der Völker eingeschrieben? Der Sinai. Am 3. Februar rüstete ich mich den Sinai zu be¬ steigen. Es geschah im Laufe von fünfzehn Jahren zum dritten Male. Das Ersteigen des Berges, wenigstens in seiner ersten grösseren Hälfte, war seit kurzem bequemer geworden. Dem vorigen Vicekönig von Aegypten, Abbas Pascha, hatte fromme Schwärmerei und leidenschaftliche Anhänglichkeit an die Wüste den kühnen Gedanken ein¬ gegeben, auf einem der Nachbarfelsen vom Gipfel des Mosisberges ein Sommerschloss anzulegen. Zu diesem Be- hufe liess er, unter Umgehung des schroffen Aufstiegs der Pilger, mit grossem Geschick und viel Kraftaufwand einen Weg anlegen, den ein Zweispänner sollte befahren können. Ueber 2000 Fuss weit oder gegen 1500 Fuss hoch dient nun dieser Weg zugleich den Wallfahrern zum Mosisgipfel. Der Schlossbau selbst blieb unvollendet. Als der Vice¬ könig eines Tags von dem heiligen Berge herabfuhr, schreckte ihn eine Vision von der Fortsetzung dessel¬ ben ab; die Mauern, so weit sie gediehen, stehen jedoch 6* 84 noch jetzt und sind von der Höhe aus mitten unter den Felsenspitzen sichtbar. Nach dem Visionsschrecken be¬ gann der Pascha unten neben dem Kloster einen neuen Bau; aber bald nach dem Beginn desselben überrasch¬ ten ihn im Schlosse zu Benha die Meuchelmörder. Das vorhandene reichliche Baumaterial fiel später dem Klo¬ ster zu. Mehrere aus tausendjähriger Vergangenheit ehrwür¬ dig gewordene Haltpunkte des früheren durch eine enge Schlucht steil aufwärts führenden Weges sind durch den jetzigen bequemeren Umweg dem Gesichtskreise entrückt worden. Dazu gehört die Quelle des heiligen Sangarius, etwa 20 Minuten über dem Kloster, und eine noch 25 Mi¬ nuten höher gelegene Kapelle, geweiht der Erinnerung an eine dem Ikonomos gewordene rettende Erscheinung der Jungfrau, als eben die Mönche im Begriffe standen ihr Kloster der Macht des Ungeziefers preiszugehen.1 Dazu kommen dann noch zwei steinerne den engen Pfad be¬ herrschende Portale, das erstere mit einem Kreuze, die als Stationsmarken der frommen Pilgerungen aus frühen Jahrhunderten übrigen mögen.2 Haben wir aber jene Höhe von fast 1500 Fuss über dem Kloster erreicht, so gelangen wir zu dem Vereinigungs¬ punkte des jetzigen Wegs mit dem früheren; wir gelangen 1 Im Jahre 1483 wurde Fabri dieselbe Erzählung gemacht. S. dessen Reisebeschreib uug Bl. 137. 2 Fabri gedenkt ihrer a. a. 0. Bl. 137 und 138. Es wurde ihm auch davon erzählt, wie das Portal mit dem Kreuze «etliche Jahre» früher einem jüdischen Pilger zum Anstoss geworden sei und ihn zum Gelöbniss der Taufe veranlasst habe. 85 auf eine Hochebene, die durch grüne Strecken mit reich¬ lichem, in ein grosses steinernes Bassin gefasstem Quell¬ wasser und einer dunkelbelaubten Cypresse eine überaus freundliche Oase in der hohen öden Felsengegend bildet. Die Cypresse, ein alter kräftiger und doch schlanker hoher Baum, steht seit langer Zeit als der einzige Baum des Sinai verzeichnet; nahe dabei liegt ein Felsen, welchen Pilgerhände mit zahlreichen, namentlich arabischen, In¬ schriften bekleidet haben. Wie von der unverwelklichen Cypresse schon mancher Pilger ein Zweiglein heimgebracht, so fügt jetzt auch der Granit Erinnerungszeichen dazu; denn durch jenen fürstlichen Strassenbau sind, besonders auf einer halbstündigen Strecke vor der Hochebene, zahl¬ lose prächtige Dendriten im röthlichen Granit blossgelegt worden, dergleichen mir früher nur sehr vereinzelt auf dem westlichen zum Ledscha-Thale hinabführenden Wege zu Gesicht gekommen. Die Hochebene bietet nicht nur eine angenehme Ruhe¬ stätte für den müden Fuss des Wanderers, sie bestimmt auch wesentlich das Bild des Sinaitischen Gebirgsstockes. Nach z\^ßi Seiten, der östlichen und der westlichen, bildet sie den Mittelpunkt zwischen den Wadis Schueib und el Ledscha, von denen jenes im Osten das S. Katharinen¬ kloster, dieses im Westen das Kloster der vierzig Mär¬ tyrer, el Arbain, besitzt. Nach Norden und nach Süden aber erheben sich von hier, wie von gemeinschaftlicher Wurzel auslaufend, die beiden granitenen Gipfelhöhen, von denen die nördliche als Horeb, die südliche als Dschebel Musa oder Mosisberg im engern Sinne benannt zu wer¬ den pflegt. 8G Wer von den Lesern mit den Streitfragen bekannt geworden, die sich in den letzten Jahrzehnten an den Sinai geknüpft, wird sich erinnern dass die genannten beiden Gipfel um den Rang streiten, der Mosaischen Ge¬ setzesoffenbarung zum Schauplatz gedient zu haben. Für den nördlichen Gipfel sprach sich vornehmlich auf Grund seiner Reise im Jahre 1838 der New -Yorker Professor Ed. Robinson aus, dessen Beobachtungen überall wo es Terränsfragen des heiligen Landes gilt mit Recht hoch gestellt werden; für den südlichen spricht die sehr alte Tradition, der viele neuere Beobachter beigepflichtet haben. Bei der nahen Beziehung, in der zwei Gipfel desselben Gebirgsstockes zu einander stehen, möchte man die Streit¬ frage mit einem Bruderzwiste vergleichen. Die Behaup¬ tung, dass die Tradition vollkommen genau zwischen ihnen zu unterscheiden weiss, setzt voraus dass sie von Anfang an ununterbrochen sich fortgepflanzt. Wie gewagt diese Behauptung sei, liegt am Tage; sollten sich daher aus den Oertlichkeiten selbst gegen den traditionellen Mosis- gipfel entscheidende Momente gewinnen lassen, so würde das Gewicht der Ueberlieferung kaum vermögend *sein ihre Berechtigung umzustossen. Allein solche Momente, wie wir voraus bemerken dürfen, finden sich schwerlich. Zu¬ nächst ist es jedenfalls billig der Tradition wenn auch mit prüfendem Auge zu folgen. So lenken wir denn von der Cypresse und dem Brun¬ nen unsere Schritte weiter nach Süden, wo wir nach etwa zehn Minuten ein unansehnliches Bauwerk mit zwei nie¬ drigen Felskapellen antreffen, geweiht dem Andenken der Propheten Elias und Elisa. Da die Schrift (l.Kön. 19,8) 87 ausdrücklich sagt, dass Elias vor der abgöttischen nach seiner Seele trachtenden Königin Isabel «an den Berg Gottes Horeb » geflohen sei, so muss die Oertlichkeit der Kapelle traditionell noch zum Horeb gerechnet werden. Und so geschieht’s im Munde der Mönche in der That; sie bezeichnen die ganze Hochebene als Horeb, zu der, wie Seetzen’s Führer 1807 sich ausdrückten, der nördliche Höhenzug nur als eigentlicher Horeb gehört. Da aber ✓ die Eliaskapelle am Fusse des Dschebel Musa liegt, so ergibt sich daraus die offenbare Willkür im heutigen Ge¬ brauche der Namen Horeb und Sinai. Zu Fabri’s Zeit hingegen hiess der Berg vom Kloster bis zur Hoch¬ ebene Sinai , und von da begann der Horeb , indem ihm nicht die nördliche, sondern die südliche Höhe zu¬ gerechnet wurde.1 Diesen Gebrauch bezeugt und fordert augenscheinlich die Lage der Eliaskapelle; nach Burck- hardt’s Angaben stimmt er auch mit den Traditionen der Muselmänner zusammen.2 Hiernach schwankt noch heute der Gebrauch beider Benennungen in ähnlicher Weise wie es in der Schrift geschieht, wo bald der Horeb (namentlich im 5. Buch Mosis), bald der Sinai als Schauplatz der Gesetzgebung hingestellt wird. So wenig jemals das gegen- 1 S. a. a. 0. Bl. 138. «Das Theil des Berges vom Kloster herauf heisst Sinai, als alle andere Berge der Gegend die Berge Sinai heissen, da die Wüste in der Art Sin heisset, davon die Berge Sinai genennt sind ; aber von der Port bis auf den hohen Spitz heisst der Berg Oreb. Also gingen wir von der Port die Weite aufwärts und kamen an den heiligen Berg Oreb. Da stehet eine schöne Kirche, genennt zu S. Helias» u. s. w. 2 S. Patter a. a. 0. S. 571 und 572. 88 seitige Verhältniss beider Namen sich bat feststellen lassen, so sehr begreift sich’s aus der eigentümlichen Beschaffen¬ heit dieses Gebirgs, dass die einzelnen Höhen bald selb¬ ständiger benannt, bald als Theile zum Ganzen gerechnet werden konnten. Ueber den Schauplatz der Gesetzgebung hat trotzdem die Tradition, so weit sie sich verfolgen lässt, nicht geschwankt; bei der früheren Benennung der Süd¬ spitze als Horeb bezeichnete man eben mit diesem Namen, und es war schriftgemäss , den Offenbarungsberg; später führte man sachgemäss die Bezeichnung des letzteren durch Dschebel Musa oder Mosisberg ein, und gerieth dadurch mit dem Namen Horeb in Verwirrung. Wir kehren hierauf zur Eliaskapelle zurück, die jetzt nichts mehr von der einstmaligen « schönen Kirche » an sich trägt. Dafür dass gerade die enge Felsenhöhle in derselben dem grossen Eiferer für den Gott Zebaoth als Zufluchtsstätte zugewiesen wird, fehlt natürlich jede be¬ sondere Berechtigung; aber die Naturumgebung derselben, wie schon öfter bemerkt worden, bietet einen wahren Com- mentar zu den Worten, mit welchen die Schrift (1. Kön. 19, 8fg.) die Scene der dem Propheten gewordenen Offen¬ barung beschreibt. Jener Zeuge vom Kommen des Herrn, der « grosse starke Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach», hat sein Gedächtniss in den zerrissenen zerbrochenen Felsen, die hier unsern Blick umgeben. In romantischer Wildheit emporstarrend, liegen sie umher gleichwie Ruinen einer riesigen Felsenburg, die der Wink des Allmächtigen zerschlagen. In 30 bis 40 Minuten erklimmen wir von der Ka¬ pelle aus die nackte Felsenkuppe des Sinai, deren Höhe 89 auf 700 Fuss berechnet worden.1 Was hier den ringsum schweifenden Blick umgibt, das wird kaum seinesgleichen auf Erden haben. Es ist die erhabenste, grossartigste Fel- senwildniss; viele Meilen weit und fast nach allen Seiten starren uns die zerklüfteten wildzackigen Granitberge ent¬ gegen, ohne dass die Vegetation mit einem Walde, einem Felde, einer Flur, oder der Silberstreif eines Baches ver¬ söhnend sich dazwischen drängte. Es ist ein Bild voll Schroffheit und zugleich voll Hoheit; ein Bild des erschüt¬ ternden Ernstes voll. Kein Blühen und Welken bezeichnet hier des Jahres Kreislauf; es ist als hätte die Zeit hier Still¬ stehen gelernt, als ragte die Vergangenheit in die Gegen¬ wart herein mit der ungebrochenen Gewalt eines grossen Weltereignisses, heilig und unantastbar. Hier also, so ru¬ fen wir unwillkürlich aus, hat der Herr unter Donner und Blitz sein Gesetz verkündigt ; es ist als ob das unerbittliche « Du sollst » und « Du sollst nicht » noch immer in diese Felsen mit eisernem Griffel eingegraben wäre. Fromme Hände haben auf dem Sinaigipfel zwei Kapellen errichtet, eine christliche und eine mohammedanische, von denen wenigstens noch Ruinen stehen. Aber die Andacht bedarf hier dieser Hilfe kaum ; der Berg selbst erscheint wie ein 1 Rechnen wir hierzu die Höhe bis zum Sattelpasse und wiederum bis zur Eliaskapelle , so ragt die Spitze des Sinai 2200 — 2300 Par. Fuss über das Kloster hinauf, das seinerseits schon mehr als 4700 Fuss über dem Meere hegt. Nach RüppeH’s Barometer -Messungen beträgt die absolute Sinaihöhe 7035 Par. Fuss, nach denen Russegger’s 7097. Die Höhe des Dschebel Ka- tlierin berechnete der Letztere auf 8168 Fuss. Die Höhe des Serbal siehe oben S. 50. / 90 Altar, zu einem unvergänglichen Merkzeichen vom Finger des Ewigen aufgerichtet. Haben doch auch im Laufe der Jahrtausende zahllose Pilger aus allen Zonen darauf ge¬ standen, gestaunt und gebetet; Jude, Christ und Moham¬ medaner haben hier über alle hemmenden Schranken hinweg eine gemeinsame Stätte der Andacht gefunden. Wunderbar! Die Stimme des Gesetzes mit ihren strengen Mahn- und Strafworten, wie sie allen erklungen, so ist sie auch allen klar und theuer geblieben, während die Stimme der himmlisch fröhlichen Verheissung, die der er¬ lösenden Erfüllung, zum unheilvollen Misverständniss , zur Spaltung unter den Völkern der Erde geworden. Nach Westen sah ich über alle grotesk aufgethürm- ten Felsmassen hinweg bis in die ferne weisslich umflorte Sandebene, die gegen Suez ausläuft; im Osten glänzte mit sanftem blauen Schimmer der Meerbusen von Akaba her¬ vor. So umrahmen Wüste und Meer die Zinne des Felsen¬ tempels, auf der wir stehen. Der noch höhere Katharinen¬ berg begrenzt mit seinem Felsenrücken den Blick nach Süden; aber von Süd nach Südost umgibt unsern Gipfel jenes Thal Sebaijeh, das mit seiner amphitheatralisch ab¬ geschlossenen Ebene dicht unter ihm ruht. Der Sinai wird hier gleichsam zu einer bestimmten Persönlichkeit, die sich anrühren lässt. Der Gipfel selbst, der aus einem grossen Granitblock besteht, bietet eine Fläche von beiläufig 60 Schritt Umfang. Auf der nordöstlichen Seite derselben steht die Mosis- kapelle, deren feste granitene Mauern ein schmuckloses Innere umschliessen; doch weisen manche dazu verwendete Marmorstücke, Beste von Ornamenten, auf einen früheren 91 stattlicheren Bau zurück. Einige zwanzig Schritte süd¬ westlich von der Kapelle, ein wenig tiefer, steht eine kleine Moschee mit einer im Felsen ausgehauenen Cisterne, in der selbst in den letzten Maitagen des Jahres 1844 das frischeste Wasser vorhanden war. Mit diesem moslemi- tischen Heiligthume steht in Verbindung ein in den Felsen eingedrückter Fusstapfen vom Kamel des Propheten, der sich einige hundert Fuss unter dem Gipfel, zwischen ihm und der Eliaskapelle befindet, und von den Arabern in gleicher Weise geküsst wird wie von den Lippen christ¬ licher Pilger der auf dem Oelberge an der Stätte der Himmelfahrt zurückgebliebene Fusstapfen des Herrn. Die Sage lässt seltsamerweise Mohammed den Sinai noch vor seinem Prophetenberufe in der bescheidenen Eigenschaft eines Kamelführers besteigen; als solcher habe er dem Kloster Lebensmittel zugeführt.1 Ehe wir aber den Berggipfel wieder verlassen, an den sich die Offenbarung des Gesetzes und damit eine der folgenreichsten Thaten Gottes auf Erden knüpfen soll, drängt sich uns die Frage auf: Stehen wir wirklich auf 1 Diese Sage bestätigt den Fusstapfen als den des Kamels des Propheten, worauf auch die Autopsie führt. Burckhardt setzt irrig für das Kamel den Propheten selbst. Auch ander¬ wärts, wie auf dem Gebetsberge (Arafat) bei Mekka, wird eine ähnliche Spur vom Kamel des Propheten verehrt. Dieselbe Art von Reliquien reicht über Christenthum und Mohammedanismus hinaus. Ein Fusstapfen von Herakles Sardo gab vor Zeiten der Insel Sardinien den Namen Ichnusa (Insel des Fusstapfen). Tar¬ sus rühmte einst einen Fusstapfen des Perseus; am Adamspik auf Ceylon wird noch jetzt ein Fusstapfen Buddha’s als Zeugniss seiner Himmelfahrt hochgehalten. 92 jenen Felsen, auf denen Mose gestanden, als der Herr seinen Bund mit dem auserwählten Volke schloss? Wir wissen, dass die Ueberlieferung diesen Glauben stützt; auch die einzelnen Erinnerungsstätten, die wir ins Auge gefasst, zeugen davon; aber es fragt sich wie alt diese Ueber¬ lieferung sei; denn von ihrem Alter ist ihre Geltung ab¬ hängig. Auf diese Frage haben wir zunächst zu antworten, dass zur Zeit des Kaisers Justinian die heutige Auffassung vom Sinai der Hauptsache nach vollkommen festgestanden. Denn der kaiserliche Vertraute und Geheimschreiber Pro- kopius bezeugt das worauf es uns ankommt entschieden in seinem Buche über Justinian’s Bauwerke.1 Er berichtet dass der Kaiser aus Wohlwollen gegen die Sinaitischen Mönche, die besser denn alle Menschen seien und ihr Leben zu einer beständigen Vorbereitung auf den Tod machten, eine der Gottesmutter geweihte Kirche erbaut habe; doch habe er sie nicht oben auf dem Berge an¬ gelegt, sondern um ein Beträchtliches tiefer,2 weil es ein immerwährendes Getöse und andere wunderbare Ereignisse für einen Menschen unmöglich machten oben auf dem Gipfel zu übernachten. Dort solle nämlich einstmals Mose die Gesetze von Gott empfangen haben. Am Fusse des Berges 3 habe derselbe Kaiser auch ein sehr festes Kastell 1 IJsql xr iö^iarcav lovönviavov 5, 8. Ed. Hoeschel. 1607. p. 51. 2 ov xara rov OQOvg r rjv 7t8QLßokr]V aX'ka TtccQa TtoXv 8V8Q&SV. 3 eg Öe rov oqovg rov TtQtjioda xai cpQOVQiov 8%vqc6- rarov axodo^irjöaro cpvÄvxir qlov re örQanarcjv a^cokoyco- rarov xareörffiaro. 93 v errichtet und eine ausgezeichnete Soldatenwache eingerich¬ tet, um Palästina gegen etwaige Beunruhigungen durch die Sarazenen der Wüste sicher zu stellen. Mag dieser Bericht auch zu der Annahme geneigt machen, die jetzige Klosterburg der Sinaimönche sei erst allmählig aus dem Kastell der kaiserlichen Soldaten her¬ vorgegangen,1 so steht doch die Lokalität selbst fest, und mit ihr zugleich die Tradition über den Mosisberg, an dessen Fuss der feste Bau errichtet worden. Die Kirche der Gottesmutter wurde allem Anscheine nach auf der . Hochebene des Horeb angelegt. Wie genau die schon betrachteten Oertlichkeiten des Sinai den Ausdrücken Pro- kop’s entsprechen, in denen die Lage der Kirche «weit unter dem Gipfel» (es sind beiläufig 700 Fuss) von der des Kastells «am Fusse des Berges» unterschieden wird, ist dem Leser wol schon von seihst aufgefallen. Nach diesem Zeugnisse kann offenbar in keiner Weise 1 Es ist aber weit glaublicher dass Prokopius die Be¬ stimmung des Baues nur nach der einen Seite näher erörtert habe. Die andere lässt sich damit ohne Schwierigkeit vereinigen; ja der Zusammenhang der Stelle und die gebrauchte Ausdrucks¬ weise lassen die Soldatenwache gar nicht als ausschliessliche Be¬ stimmung erscheinen, zumal da die angegebene Tendenz der Ab¬ wehr sarazenischer Gelüste von Palästina schwerlich richtiger ist als die der Beschützung der Mönche, die bei Eutychius verzeich¬ net steht. Haben wir hiermit recht, so wird durch die Bergkirche der Jungfrau auch nicht eine andere Kirche unten innerhalb der festen Mauern ausgeschlossen. Oder will man denn die Kloster¬ kirche, wie sie bis auf den heutigen Tag steht und mehrfach selbst für ihren Ursprung zeugt, als absichtlich verfälscht ver¬ dächtigen? Siehe nachher den Bericht des Eutychius. 04 davon die Rede sein, dass erst in Folge der Justinianischen Bauwerke von anderen Bergen der Sinai -Halbinsel die Tradition auf den Dschebel Musa übergegangen sei.1 Noch über die Zeit dieser Bauwerke hinauf2 führen uns aber an- 1 Hiernach ist auch zu beurtheilen was Lepsius in seinen «Briefen aus Aegypten, Aethiopien und der Halbinsel des Si¬ nai» etc. S. 450 niedergeschrieben: «Her Legat des Justinian fand es nun angemessen in jener sichern Position sein Kastell anzulegen und für die umherwohnenden Einsiedler eine Kirche ebendaselbst zu bauen. Hass dies allein schon hingereicht hätte, viele neue Einsiedler dahin zu ziehen, und eine neue Ansicht über die Lage des Gesetzesberges zu begründen, wenn diese nicht schon vorgefunden worden sein sollte, ist ganz begreiflich.» Has unumstössliche Zeugniss Prokop’s über den Mosisberg ist dabei unbegreiflicher Weise ganz übersehen worden. Ebenso vorher S. 426, wo die Worte stehen: «so sicher es ist, dass erst die Erbauung der Kirche am Gebel Musa im 6. Jahr¬ hundert durch den Glauben, dass sie am Orte der Gesetzgebung gegründet sei, allmälig, seit dem 10. Jahrhundert bewirkte, dass der geschichtliche Mittelpunkt der Halbinsel, der früher unbestreitbar mit der Stadt Pharan und seinem Palmenwalde als dem natürlichen geographischen Mittelpunkte zusammenfiel, von diesem getrennt und mehrere Tagereisen weiter südlich ge¬ rückt wurde» — — Aehnlicher Weise erging es Lepsius auch mit dem Nakb el Hauwi, über den er a. a. 0. S. 417 anmerkt: «Es kann nicht zweifelhaft sein, dass dieser kühne Pfad erst nach Erbauung des Klosters geschaffen wurde, um eine nähere Verbindung mit der Stadt Pharan zu erhalten, welche bis dahin nur auf dem weiten Umwege durch Wadi e’ Schech erreicht werden konnte». Aber gegen diese Ansicht legen die Sinaitischen Inschriften, die mehrere Stellen dieses Felsenpasses auszeichnen (zwei hatte schon Robinson bemerkt), ein vollgiltiges Zeugniss ab. 2 Justinian regierte von 527 bis 565. 95 dere Quellen, die am allerwenigsten in denjenigen Stücken, die für unsern Zweck in Betracht kpmmen, den Verdacht, ungeschiclitlicher Willkür oder der Erfindung rechtfertigen. Wir meinen die Erzählungen des Canopischen Mönchs Am- monius und des Eremiten Nilus von den blutigen Metze¬ leien der Sarazenen unter den Einsiedlern am Sinai, von denen die erstere ums Jahr 370, die letztere 20 Jahre später gesetzt wird.1 Aus ihnen ergibt sich, dass die Ein¬ siedler mit Vorliebe um den Dornbusch verkehrten, aus dessen Flammen Mose die göttliche Berufung geworden; sie werden geradezu die Heiligen am Dornbüsche2 genannt, zu deren Besuch Nilus vom Berge herabstieg. Zugleich ist von einer Kirche als gemeinsamer Andachtsstätte die Rede, sowie von einem festen Thurme in der Nähe der Kirche, die wol über dem Dornbüsche erbaut zu denken ist. Diese Angaben bieten nicht den mindesten Anhalts¬ punkt für die Annahme einer Erfindung.3 Sie gedenken 1 Die Schrift des Ammonius veröffentlichte Combefis, Pa¬ ris 1660, in: Illustrium Christi martyrum lecti triumphi, ve- tustis Graecorum monumentis consignati. S. 88 — 132. Die von Nilus steht in : Nili opp. quaedam, edirt von Possinus, Paris 1639. S. 1—126. 2 eTa6%8ipO[ievog t ovg Iv ry ßaxco ay'iovg heisst es bei Nilus. 3 Lepsius a. a. 0. S. 449 behauptet: a Auch die Erzählung des Nilus (der von Ammonius wird die Bedeutung einer Ge- schichtsquelle mit wenig Worten abgesprochen S. 445) gehört entweder nicht in die Zeit, in welche sie gesetzt wird, oder be¬ zieht sich auf den Serbal, denn es wird hier öfters eine Kirche erwähnt, welche damals am Gebel Musa noch nicht existirte, und Nilus geht noch in derselben Nacht, in welcher die zer¬ streut Ermordeten begraben worden waren, nach Pharan herab, 96 nicht etwa der Helena als Stifterin von Kirche und Thurm; noch suchen sie irgend einen Zusammenhang mit dem Justinianischen Bau durch nähere Bezeichnung der Lage vorzubereiten; sie finden sich nur ganz gelegentlich und durch den Gang des Ereignisses oder der Erzählung her¬ beigeführt. Wol aber erscheinen sie als die ersten Glieder in der Kette der Zeugnisse für den heutigen Sinai; denn die Lokalität des Dornbusches wird, wie schon ange¬ geben worden, noch heute im Kloster sehr heilig gehalten. Auch im abenteuerlichen Itinerarium des Antonin, dessen Versetzung vom 6. ins 11. Jahrhundert sehr zweifelhaft, wird die vom Kloster umschlossene Quelle erwähnt, hei welcher Mose den brennenden Busch gesehen.* 1 Koch vor Ammonius und Nilus wird uns über Sinai¬ tische Einsiedler in einzeln aufbewahrten Anekdoten be- was vom Gebel Musa aus nicht möglich gewesen wäre». Diese Behauptung theilt die Berechtigung der beiden anderen, die schon angeführt wurden. Die kurze Nacht Wanderung des Nilus vom Sinai nach Faran steht schwerlich in der Schrift, und die Versetzung des ganzen Blutbads vom Sinai nach dem Serbal, wo Faran blühte, läuft der Erzählung gänzlich zuwider. Oder stimmt dazu vielleicht, dass Nilus mit den Faraniten erst am fünften Tage zur Beerdigung der Leichen eintrifft, was hei der Versetzung des Ereignisses nach dem Serhal in ebensoviel Stun¬ den möglich war? 1 Es liegt ganz ab, die Erwähnung des Dornbusches bei Prokop zu suchen, der ebensowenig von irgend einer schon vor¬ handenen Baulichkeit am Sinai spricht, noch auch mit einer Silbe der Stadt Faran gedenkt, während er die Schenkung des Palmenhains durch den Sarazenenhäuptling an Justinian berich¬ tet, die doch erst durch den christlichen Charakter der dortigen Stadt ins rechte Licht tritt. 97 richtet,1 z. B. über Silvanus, über den Abt Joseph aus Pelusium, den Abt Netra oder Nater, der später zum Bi¬ schof von Faran erwählt worden. Wenn diese Erzählungen auch keine näheren Ortsbestimmungen enthalten, so ist doch unzweifelhaft, dass sie keinen anderen Sinai zur Vor¬ aussetzung haben als denjenigen, der uns von der letzten Hälfte des 4. Jahrhunderts an bezeugt ist. Von Interesse ist auch, dass schon aus diesen frühesten Zeiten der Eremiten - Ansiedlung am Sinai von den frommen Pil¬ gerungen zu ihm berichtet wird. Aber ein mit Prokop’s Schrift gleichzeitiges gelehrtes Buch scheint der von jenem so bestimmt bezeugten Sinai¬ tradition eine andere wenigstens zur Seite zu stellen. In diesem Buche, genannt « christliche Topographie», kommt Cosmas der Indienfahrer auf die Israelitische Wüsten¬ wanderung zu sprechen. Er lässt das Heer bei Klysma durchs Meer gehen und zählt dann als Stationen auf: die mit den Palmen (was sich mit Ayun Musa verträgt), die Wüste Sur, Merra, Elim. Das letztere erkennt er in Raithu wieder, das offenbar mit Tor zusammenfällt.2 Dort hat nach ihm das Volk Israel dem Meere, das es bis dahin immer zur Rechten gehabt, den Rücken gekehrt und sich landeinwärts gewendet, wo zwischen Elim und Sinai das Manna gefallen; darauf sei es nach Raphidim gekommen, das er in Faran wiederfindet. Daselbst habe Mose, weil es an Wasser gefehlt, mit den Aeltesten den Berg Choreb 1 Siehe Cotelier: Eccles. Graec. Monument. Tom. I. Apo- phthegmata Patrum S. 338 — 712. 2 Ein anderes mit Ritter anzunehmen, widerstreitet allen Zeugnissen. Tis c h en do r f, Aus dem heiligen Lande. 7 98 oder Sinai, 6000 Schritte von Faran, bestiegen und mit seinem Stabe die sprudelnde Quelle hervorgerufen. Eben¬ daselbst sei die Gesetzgebung erfolgt und die Stiftshütte erbaut worden. Endlich führt Cosmas als Beleg für die grosse Thatsache die vielen Felseninschriften an, worin sich die Israeliten, nach Empfang des geschriebenen Gesetzes, während ihres vierzigjährigen Aufenthalts ein Gedächtniss und ein Zeugniss gegen die Ungläubigen gestiftet.1 Demnach sah Cosmas ohne Zweifel den Serbal für den Sinai an; höchst zweifelhaft ist aber, ob er damit einer alten Tradition oder seinen eigenen Studien folgte, welche letzteren unbedingt in seiner Inschriftentheorie hervortreten. Hatte er für die seltsame Lage von Elim zu Raithu, d. h. Tor, eine Tradition zum Führer, — der Traktat des Ammonius bestätigt sie — so scheint er damit den Sinai um so mehr combinirt zu haben, als die Zu¬ sammenstellung Raphidims mit Faran nach den Angaben des Eusebius und des ihm folgenden Hieronymus bereits vorlag. Passte er doch auch seinem traditionellen Elim auf wunderliche Weise den bis dahin verfolgten Weg Is¬ raels an. Für diese Auffassung scheint zu sprechen, dass Prokop’s Zeugniss mit allen anderen schon erwähnten dem vereinzelten des Cosmas entschieden gegenübersteht, ohne dass Cosmas anderer Lokalitäten auch nur gedenkt. Wäre in der That die Tradition bis gegen die Mitte des 6. Jahr¬ hunderts dem Serbal mit Faran zugethan gewesen, so wäre ebensowenig begreiflich, dass sie seitdem durch einen in wüster Verlassenheit liegenden Berg gänzlich verdrängt 1 S. Montfaucon’s Collect. Nov. Patrum. II. S. 195 fg. u. 205# 99 worden,1 als sich absehen Hesse warum Justinian mit seinen Bauten, die durch seinen eigenen Geschichtsschreiber aus¬ drücklich an den heiligen Gesetzesberg angeknüpft werden, geradezu irregegangen , und zwar trotz seiner eigenen persönlichen Beziehungen zum faranitischen Palmenhaine. Nichts hingegen ist begreiflicher, als dass jener Alexan¬ driner, den Handelsinteressen nach Indien, frommer Eifer später ins Kloster geführt, durch unklare Traditionen ge¬ leitet, den grossartigen Serbal mit seinem Palmenhaine, den sogar die christliche Stadt auszeichnete, für den Sinai hielt, zumal da ihm die merkwürdigen Inschriftenfelsen das vollgiltigste Zeugniss dafür abzulegen schienen. Ja selbst die Entstehung einer älteren für den Serbal sprechen¬ den Tradition neben der anderen noch älteren würde sich aus denselben Verhältnissen völlig begreifen lassen.2 Was aber aus allen Zeugnissen vom 4. bis 6. Jahr¬ hundert ausser dem des Cosmas hervorgeht, das finden wir in einem arabischen' Geschichtswerke des 10. Jahr- hunderts, in den Annalen von Eutychius oder Said ben Batrik, aufs Klarste bestätigt.3 Nach Eutychius wandten sich die Sinaitischen Mönche an den Kaiser Justinian mit 1 Ebendeshalb suchte Lepsius die Verdrängung einzig aus der wachsenden Bedeutung der Justinianischen Bauten zu be¬ gründen, indem er verfass dass die Bauten aus der schon vor- handenen Tradition hervorgegangen. 2 Wir hätten dann für diese Doppelansicht über den Sinai eine Analogie an den Traditionen über Elim, da neben Raithu oder Tor auch Gharandel (« Surandela ») schon aus dem 6. Jahrh. durch Antonin’s Itinerar (XLI. Act. SS. Mai. II.) bezeugt wird. 3 Wir folgen hierin Robinson, der zuerst in neuerer Zeit die Stelle ans Licht gezogen. Siehe bei ihm Bd. I. S. 433. 7 * 100 der Bitte, ihnen zu ihrer Sicherheit ein festes Kloster zu bauen. Bis zu dieser Zeit lebten sie nämlich zerstreut auf den Bergen und in den Thälern um den Dornbusch, aus welchem Gott Mose angeredet. Aufwärts vom Dorn¬ büsche hatten sie einen grossen Thurm, der zu Euty- chius Zeit noch stand; darin befand sich die Kapelle Maria’s. Die Mönche flüchteten sich in diesen Thurm, sobald ihnen Gefahr drohte. Auf ihre Veranlassung, erzählt nun Eutychius weiter , habe der Kaiser durch einen Legaten eine Kirche zu Kolzum, ein Kloster zu Kay eh (wol Raithu oder Tor) und ein anderes auf dem Sinai bauen lassen. In Betreff des letzteren sagt er, dass es wegen Wassermangels gegen die ursprüngliche Absicht nicht oben auf dem Berge, sondern unten nahe heim Dorn¬ büsche, den Thurm mit einschliessend, in einem von zwei Bergen eingeengten Orte erbaut worden sei. Auf des Ber¬ ges Spitze aber, an der Stelle wo Mose das Gesetz em¬ pfangen, habe der Legat eine Kirche errichtet.1 Diese Nachricht des Eutychius darf gewiss ohne un¬ kritische Willkür zur Ergänzung des Berichts von Proko- pius herbeigezogen werden. Und somit haben wir die traditionelle Autorität des heutigen Sinai, soweit es mit dem Charakter dieser Beise- erinnerungen verträglich schidn, in das ihr gebührende 1 Zugleich gibt Eutychius auch Auskunft über die Sklaven- sclienkung Justinian’s ans Kloster. Hundert römische Sklaven mit Weib und Kind und andere hundert aus Aegypten sind nach ihm dem Kloster durch den Kaiser überwiesen worden; sie erhielten ausserhalb des Berges ihre Wohnungen und waren zum Schutze und Dienste des Klosters bestimmt. 101 Licht zu stellen gesucht. Es geschah namentlich unter Abwehr der neuerdings besonders durch Lepsius vertre¬ tenen Hypothese, dass dem Serbal der Mosaische Ruhm zugehöre. In dem gewonnenen Resultate muss uns aber zweierlei noch bestärken, das genauere Studium der Oert- lichkeiten und das der Schrift. Doch sei für beides nur ein geringer Raum beansprucht. Robinson sagt, dass er mit dem Gefühle der Täu¬ schung auf dem Gipfel des Sinai gestanden. Er blieb nicht der einzige der dies Gefühl hatte. Aber ganz an¬ dere Eindrücke haben sich vieler anderen bemächtigt, die gleichfalls ein prüfendes Auge mitgebracht hatten. Vor allem fragt sichs ob der Gipfel, auf dem wir stehen, einen geeigneten Platz unter oder vor sich habe, wo das Volk Israel dem erhabenen Schauspiele der Offenbarung, wie es das 2. Buch Mosis schildert, beiwohnen konnte. Ein solcher Platz ist in der That neuerdings in der Sebaij eh -Ebene erkannt worden, die früher noch nicht hinreichend für diesen Zweck untersucht worden war. Dass sie unmittel¬ bar unter dem mit Kapelle und Moschee gekrönten Gipfel liegt, ist wol längst bemerkt worden; ich selbst hob in der Beschreibung meiner Reise vom Jahre 1844 hervor, dass diese Ebene wie geschaffen sei zu einem solchen Fest¬ acte, dass sich auch der Ausdruck vom « Anrühren » des Berges ganz rechtfertige, weil der Sinai von hier so schroff aufsteigt, dass er vom Fuss bis zum Scheitel wie ein Gan¬ zes vor Augen steht. Auch die Worte: «und das Volk trat unten an den Berg» erläuterte ich dahin, dass man selten so eigentlich « unten an den Berg » trete wie in dieser Ebene an den Fuss des Sinai, mit dem Blicke auf den gegen 102 2000 Fuss hohen Granitgipfel. Was aber früher störend schien, ist erst durch neuere Beobachtungen erledigt wor¬ den.1 Es schien nämlich ein geeigneter Verbindungsweg aus der grossen Lagerstätte im Wadi es Schech zum Schau¬ platze der Gesetzgebung zu fehlen, der doch durch die Worte erheischt wird: «Mose führte das Volk aus dem Lager Gott entgegen». Dieser Verbindungsweg ist nunmehr im Wadi Sebaijeh gefunden worden; denn zwischen 5 bis 600 Fuss breit zieht er sich von der gleichnamigen Ebene bis in den Wadi Schech hinein, der von der Ebene aus in einem Stündchen erreicht wird. Längst vor der Ankunft in der Ebene tritt den aus dem Wadi Herannahenden der Sinai¬ gipfel vor Augen.2 Die Ebene selbst ist auf 12,000 Fuss Länge und 14 bis 1800 Fuss Breite ausgemessen worden. Bei der Aufstellung des Volkes, soweit es für den Act in Betracht kommen mochte, konnten ausserdem noch die anstossenden allmählig sich erhebenden Höhen benutzt 1 Vergl. hierüber besonders bei Ritter S. 596 fg. die hand¬ schriftlichen Mittheilungen aus F. A. Strauss Tagebuch. Auch Graul, mein Reisegefährte im Jahre 1853, widmete sich einer näheren Untersuchung der Ebene und des Wadi Sebaijeh. Siehe bei ihm S. 217 fg. Ich selbst besuchte wol wiederholt vom Kloster aus über den sogenannten Hutberg die Ebene Sebaijeh, doch nur flüchtig und ohne zu genaueren Terränsstudien zu kommen. 2 Strauss gibt an, dass im Wadi etwa noch 10 Minuten lang der Dschebel Musa im Gesicht bleibe. Aus Graul’s genauen Mittheilungen hierüber ergibt sich ein bei weitem längerer Zeit¬ raum dafür, nur dass da wo der Wadi den Klosterberg um¬ biegt, auf eine kleine Strecke die Spitze des Dschebel Musa sich verbirgt. 103 werden. Dass wir aber das grosse Volkslager selbst nicht eben da suchen wo die Offenbarung erfolgte , damit schliessen wir uns dem Wortlaute des heiligen Textes an, theils des Ausdrucks halber, dass Mose das Volk aus dem Lager Gott entgegenführte, theils deshalb weil Mose wäh¬ rend seines Verbleibens oben auf dem Berge den Augen des Volks entrückt zu denken ist; denn die Anfertigung des goldenen Kalbes verlangten sie, weil « sie nicht wuss¬ ten was diesem Manne Mose widerfahren» sei,1 und als Mose mit Josua vom Berge herabstieg, wurden sie des Kalbes und des tanzenden Volkes erst dann ansichtig, «als sie nahe zum Lager kamen».2 Nach alledem hat der traditionelle Sinai in den Oert- lichkeiten selbst eine wesentliche Stütze; die letzteren ent¬ sprechen so sehr dem Texte der Schrift, dass wir glauben möchten, die bis ins 4. Jahrhundert nachweisbare Tradition reiche in noch viel weitere Zeitfernen zurück und lehne sich an die Erinnerungen des wandernden Volkes, getheilt von den Midianitisclien in der Wüste sesshaften Freunden, selber an. Dies scheint um so mehr. berechtigt, je weniger wählerische Willkür gerade hieher gelenkt werden konnte. Erst wenn man auf dem Scheitel des Sinai steht (wie ich schon ander¬ wärts bemerkt), begreift man was ihn vor seinen Brüdern auszeichnet. Es ist kein alle seine Umgebungen überra¬ gender Höhepunkt, wodurch er etwa eine unstät irrende Forschung auf sich gelenkt und an sich gefesselt hätte: wol aber ruht und thront er zugleich inmitten der erha- 1 2. Mos. 32, 1. 2 2. Mos. 32, 15 fg. 104 benen Bergnatur wie ein der Alltäglichkeit entrücktes Heilig thum. Allerdings könnte der sogenannte Horebgipfel, im Nor¬ den des Mosisbergs, der Lage nach in Concurrenz treten. Hie Ebene er Rahah erscheint wie ein auserlesener Lager¬ platz des grossen Volkes, und die Stirn des Horeb, bei den Arabern es Sufsafeh genannt, beherrscht die Ebene mit hoher feierlicher Gestalt. Dagegen spricht aber dass diese Spitze über mehrere zackige Höhen hinweg weit mehr erklettert als erstiegen werden muss, und dass beim Verweilen daselbst Mose gar leicht jederzeit das Lager übersehen konnte. Da dennoch solche Gründe schwerlich Bedeutung gehabt hätten, wenn es vor Zeiten eine freie Wahl des Sinai gegolten hätte, so liegt darin, dass der imposante Schauplatz kein traditionelles Ansehen erlangt, ein neuer Beweis für uraltes Ueberkommen der herrschen¬ den Ueberlieferung. Der erörterten Terränsfrage steht bekanntlich am nächsten die in Betreff Raphidims. Man hat es neuer¬ dings mit Vorliebe, wie schon Eusebius und Hieronymus, ins Feiranthal gesetzt, während Robinson, wie schon oben (S. 63) erwähnt worden, eine Stelle im Schechthale dafür hielt. Die Frage ist sehr schwer zu entscheiden. Dass der Bach des Feiranthals das wunderbar aus dem Felsen geschlagene Wasser sei, ist eine sehr prekäre Behauptung. Gerade in dieser üppigen Palmenstation konnte das Volk schwerlich an einem Trunk Wasser verzweifeln, wenn man dabei auch an die erste westliche Palmen-Oase,1 El Hessue, 1 S. oben S. 40. * 105 denken wollte, wo freilich jetzt das Wasser nicht über¬ raschend hervorbricht, sondern in einer Felsenspalte ver¬ schwindet. Und wenn man geltend macht, dass es eben diese Perle der Wüste war, um welche Amalek als sein Besitzthum zum Kampfe gegen Israel schritt, so ist die Angabe im 5. Buch Mosis 25, 18 nicht zu übersehen, wo es von den Amalekitern heisst : « Gedenke wie sie dich angriffen auf dem Wege und schlugen deine Hintersten, alle die Schwachen die dir hinten nachzogen ». Aus die¬ sen Worten einen doppelten Angriff machen, heisst ent¬ schieden den Worten Gewalt anthun. Diese Stelle des 5. Buchs Mosis, verbunden mit der Voraussetzung des Amalekiter - Sitzes in Feiran, würde vielmehr einem Ra- pliidim im Schechthale, das auf Feiran folgt, ausnehmend günstig sein. Dazu kommt dass Raphidim als am Horeb gelegen bezeichnet wird, womit eine Entfernung desselben vom Schauplatz der Gesetzgebung, wie die F eirans von unserem Sinai, unverträglich ist. Ebendeshalb schien der Verlegung Raphidims nach Feiran auch die des Sinai nach dem Ser- bal folgen zu müssen, freilich ganz gegen die Mosaische Erzählung, wo es heisst: «sie waren ausgezogen von Ra¬ phidim und wollten in die Wüste Sinai, und sie lagerten sich in der Wüste daseihst gegen den Berg».1 Lag aber denn das amaleki tische Raphidim in Midian? Consequen- ter Weise sagt dies in der That Eusebius aus. Wie ver¬ trägt sichs aber dass Jethro der Priesterfürst in Midian ist und nun Amalek zu ihm stösst? Im ersteren wissen 1 2. Mos. 19, 1. 2. 106 wir einen treuen Hüter des Jehovaglaubens, des Glaubens seines Ahnherrn Abrabam; bei ihm bat Mose, sein Tochter¬ mann, den grossen heiligen Befreiungsplan gefasst; von ihm wird er in Raphidim mit den Worten begrüsst: Nun weiss ich dass der Herr grösser ist denn alle Götter. In Amalek dagegen tritt uns ein Erzfeind des Herrn entgegen, darum will ihn der Herr '« vertilgen unter dem Himmel». Wie das Wasser aus einem « Felsen im Horeb » durch Mose’s Stab geschlagen wird,1 so hatte auch Mose die Erscheinung des Engels im feurigen Busche, als er mit seines Schwähers Heerden an den «Berg Gottes Horeb» gegangen war."2 Dies alles wäre auf Amaleks Grund und Boden geschehen? Und wie der Serbal als des grossen heidnischen Sonnengottes, des Baal, Heiligthum erscheint, dessen Verehrung wahrscheinlich schon damals wie ein Jahrtausend später geübt wurde, so soll er zugleich zum Throne Gottes, des Gottes Abrahams Isaaks und Jakobs geworden sein? Was auch immer dunkel sein und nach der Natur der Sache bleiben mag in den Wegen, die der Herr Israel durch die Wüste geführt hat: diese Com- bination möchte, bei allem Scharfsinne des neuesten Ver¬ treters, zu den unglücklichsten gehören, die jemals zur Aufhellung des Dunkels gemacht worden sind. Setzen wir mit Robinson Raphidim in den Wadi Schech, etwa eine Stunde nach dem duft- und fruchtreichen Walde der Tarfabäume, so würde sich ohne sonderliche Schwierig¬ keit annehmen lassen, dass die dortigen Felsenberge so gut 1 2. Mos. 17, 6. 2 2. Mos. 3, 1. 107 wie die anderen der Nachbarschaft den Gesammtnamen Horeb geführt, während der Name Sinai von engerer Be¬ deutung war. Wie aber der Serbal im Lande Amaleks, so mochten schon damals auch Horeb und Sinai im Lande der Midianiter als heiliges Gebirg gelten. « Der Herr der grösser ist denn alle Götter» wurde in Midian angebetet; in Midian hat er sich seinen Boten an Israel auserwählt; in Midian hat er auch durch denselben treuen Knecht jene Gesetzesoffenbarung vollzogen, die zu einer unver- löschlichen Leuchte für die Völker des Erdkreises geworden. IX. Der Bibelfund. Als ich im Mai des Jahres 1844, nach vierjährigen dokumentlichen Forschungen auf europäischen Bibliothe¬ ken, zum ersten Male das S. Katharinenkloster besuchte, geschah es in der Hoffnung, innerhalb seiner alten Mauern, die seit ihrer Erbauung durch Justinian unzerstört ge¬ blieben, Schätze für die Bibelwissenschaft aufzuspüren. Diese Hoffnung blieb *nicht unerfüllt. In der Mitte der Bibliothek, deren Bücher und Handschriften ringsum auf Regalen aufgestellt waren, stand ein Korb mit Resten von verschiedenen alten theilweise verdorbenen Hand¬ schriften, dergleichen schon zwei Körbe voll als unbrauch¬ bar ins Feuer geworfen worden waren. In diesem Korbe fand ich zur grössten Ueberraschung mehrere Fragmente von einer griechischen Bibelhandschrift auf Pergament, in der ich sogleich eine der ältesten, die es gibt, 'er¬ kennen musste. Es gelang leicht die Abtretung eines Theils derselben zu veranlassen; die anderen umfäng¬ licheren Theile empfahl ich zu besserer Aufbewahrung, 109 indem ich ihre Erwerbung, die zunächst nicht möglich war, späteren Schritten vorbehielt. Jenen geringeren Theil gab ich nach der Rückkehr in die Heimath, geschmückt mit dem Namen des Königs Friedrich August von Sachsen, des hohen Beschützers meiner Forschungen, als die muth- masslich älteste aller auf unsere Zeit gekommenen grie¬ chischen Pergamenthandschriften, in lithographirtem Fac- simile heraus. Da indessen meine Bemühungen um die im Kloster zurückgebliebenen Fragmente keinen Erfolg hatten, so gedachte ich sie im Kloster selbst aufs Ge¬ naueste abzuschreiben und aus der Abschrift herauszu¬ geben, zu welchem Behufe ich 1853 eine zweite Reise in den Orient unternahm. Bei meinem zweiten Aufenthalte im Sinaikloster wurde mir aber wahrscheinlich dass der Schatz inzwischen nach Europa gekommen sei. Bei dem gänzlichen Schweigen darüber schien es mir jedoch an¬ gemessen, dasjenige, was ich schon 1844 davon abgeschrie¬ ben und zehn Jahre lang als Geheimniss gehütet hatte, einem grösseren aus ähnlichen Funden hervorgegangenen Werke einzuverleiben. Ich deutete dabei auf meinen An- tlieil an der Erhaltung jener anderen kostbaren Ueberreste hin, wohin sie auch immer gekommen sein mochten. Trotzdem drängte es mich zu einer nochmaligen Reise nach dem Sinai ; sie sollte den Anfang bilden von längeren Forschungen in den Ländern des Orients, die mir infolge gestellten Antrags von der kais. russischen Regierung über¬ tragen worden waren. Die besondere Protektion Alexan¬ ders II. und Ihrer Majestät der Kaiserin geleitete mich. Bei meinem dritten Aufenthalte im S. Katharinenkloster hatte ich bereits mehrere Tage dem Studium seiner Bibliotheken 110 gewidmet. Nachdem ich den 3. Februar den Sinai bestiegen hatte, schickte ich in der Frühe des 4. einen Kloster¬ diener vom Stamme der Dschebelijeh ab, um meine in der Wüste bei ihren Kamelen weilenden Beduinen aufzu¬ suchen und für den 7. behufs meiner Rückreise zu be¬ stellen. Am Nachmittage des 4. hatte ich bei einem Aus¬ fluge über den Hutberg zu der Sebaijeh-Ebene den wohl¬ unterrichteten Ikonomos des Klosters zum Begleiter; da ich einige Exemplare meiner Leipziger Ausgaben vom griechischen Texte des Alten und Neuen Testaments dem Kloster zum Geschenke gemacht, so kamen wir auf diese Bücher und besonders auf den Text des Alten Testaments zu sprechen. Nach unserer Rückkehr ins Kloster, in der Abenddämmerung, bat mich der Ikonom in seiner Zelle eine Erquickung anzunehmen. Als wir damit beschäftigt waren, bemerkte er, auch er habe hier eine Septuaginta,1 und holte aus einer Ecke des Zimmers ein in ein rothes Tuch eingeschlagenes Manuscript herbei, das er vor mich auf den Tisch legte. Ich öffnete das Tuch, und sah zu meinem grössten Erstaunen vor meinen Augen jene kost¬ baren Reliquien liegen, die ich im Jahre 1844 aus dem verhängnissvollen Korbe hervorgezogen. Der Umfang der Blätter, die vor mir lagen, — einen Einband hatten sie nicht — verrieth sogleich dass sie sich keineswegs auf jene Alttestamentlichen Fragmente beschränkten. Ein flüch¬ tiges Durchblättern vermehrte mein Erstaunen; denn ich 1 So heisst der übliche griechische Text des Alten Testa¬ ments, so benannt nach den berühmten 70 Dolmetschern zu Alexandrien. 111 bemerkte Anfang und Ende des Neuen Testaments, sogar den Brief des Barnabas. Mit dem Ikonom standen noch andere Klosterbrüder um mich; sie waren Zeugen meines freudigen Staunens, doch konnten sie schwerlich begreifen was hier vorging. Ich bat das Tuch mit seinem ganzen Inhalte zu näherer Prüfung auf mein eigenes Zimmer tragen zu dürfen; der gütige Ikonom, des Kyrillos geist¬ licher Sohn, wie er sich selbst nannte, gewährte es bereit¬ willigst. Als ich allein auf meinem Zimmer war, da erst gab ich mich dem überwältigenden Eindrücke dieser Erfahrung hin; ich wusste es, der Herr hatte einen unvergleichlichen Schatz, eine Urkunde von der höchsten Wichtigkeit für Kirche und Wissenschaft, in meine Hände gelegt. Meine kühnsten Hoffnungen waren weit übertroffen. In der tief¬ sten Rührung über die wunderbare Fügung beschlich mich der Gedanke: Könnte hier, neben dem Barnabas, nicht auch der Hirte enthalten sein? Schon schämte ich mich des undankbaren Gedankens mitten in solcher Fülle, als mein Blick unwillkürlich auf einem ziemlich verblichenen Blatte vor mir haftete. Ich las die Aufschrift, und er¬ schrak; denn ich las: der Hirte. Wie könnt’ ich schildern was ich dabei empfand. Ich übersah nun was die sämmtlichen Blätter, 346 an der Zahl und von grösstem Formate, wirklich ent¬ hielten. Ausser 22 Büchern des Alten Testaments, gröss- tentheils vollständig und namentlich aus den Propheten, den poetischen Büchern und den sogenannten Apokryphen, war es das ganze Neue. Testament ohne die geringste Lücke; darüber noch der vollständige Brief des Barnabas und der 112 erste Theil vom Hirten des Hermas. In der Unmöglichkeit zu schlafen, setzte ich mich, trotz trüber Lampe und kühler Temperatur, sofort daran, den Barnabas abzuschreiben, schwelgend in der Vorfreude, mit dem ehrwürdigen Schrift¬ stücke die christliche Welt zu beschenken. Ihr erster Theil war nämlich bis jetzt nur aus einer höchst mangelhaften lateinischen Uebersetzung bekannt geworden, der andere nur aus einigen jungen, also wenig zuverlässigen griechi¬ schen Handschriften. Und doch hatte die Kirche des 2. und 3. Jahrhunderts gar sehr die Neigung, diesem Lehrschr eiben, das allerdings eines Apostels Namen trug, gleichen Rang mit den Briefen der Apostel Paulus und Petrus anzuweisen. Ausser dem Barnabas schrieb ich im Kloster selbst auch noch die Fragmente des Hirten ab, einer Schrift von glei¬ chem Ansehen mit Barnabas, die im Originaltexte für gänzlich verloren gegolten hatte, bis ihn 1855 der viel¬ berufene Grieche Simonides, theils abschriftlich theils in drei Papierblättern des 14. Jahrhunderts, vom Berg Athos nach Leipzig brachte. Aus mehreren Gründen hatte ich diesen an vielfacher Verderbniss leidenden Text für eine mittelalterliche Rückübersetzung aus dem Latein ange¬ sehen; der uralte Sinaitext überzeugte mich bald, dass diese Ansicht, wenigstens in Bezug auf das Ganze, eine irrthümliche gewesen. Am nächsten Morgen, in der Frühe des 5. Februar, tlieilte ich dem Ikonomos meine Absichten auf das Manu- script mit. Bei der Scheu des Klosters, Handschriften zu veräussern, beschränkte ich meine Wünsche darauf, den gesammten Text von Anfang bis zu Ende aufs Genaueste abzuschreiben. Er umfasst gegen 120,000 kurze Zeilen, 113 deren Niederschrift im 4. Jahrhundert, wenn sie auch durch die gewandte Hand Alexandrinischer Schönschreiber geschah, mehr als Jahresfrist gekostet haben mag. Im Kloster selbst diese Arbeit unverweilt auszuführen, dazu fehlte es an- jeglicher Vorbereitung. Andererseits bean¬ standete die sofortige Mitgahe des Originals, in Wider¬ spruch mit den übrigen Brüdern, der hochbetagte Ske- yophylax, aus dessen Bibliothek — es ist jene mit den erzbischöflichen Hinterlassenschaften und dem Kirclien- geräth — die Handschrift in die Zelle des Ikonom ge¬ kommen war. In Folge der Tags nach meiner Ankunft im Kloster eingetroffenen Nachricht vom Ableben des hundertjährigen Erzbischofs Constantios zu Constantinopel war der Prior, dessen Verfügung entscheidend gewesen wäre, den 3. Februar nach Kairo ahgereist, um mit den übrigen Vorständen der Sinaitischen Brüderschaft von dort nach Constantinopel zur Wahl eines neuen Erzbischofs zu gehen. Unter diesen Umständen blieb mir nichts übrig als gleichfalls nach Kairo zu eilen, um die Klostervorstände wo möglich noch vor ihrer Abreise anzutreffen und von der Sache zu unterrichten. Für den Fall, dass die Sendung des Originals nach Kairo unthunlich sein würde, behielt ich mir schleunige Rückkehr ins Kloster zu einem Aufent- halte von einigen Monaten vor. Am 7. Februar lagerte in der That, der früheren Be¬ stellung gemäss, Schech Nazar sammt Leuten und Kamelen wieder unter den Klostermauern, zur neuen Führung be¬ reit. Die heftigen Winde, welche in den vorhergehenden Tagen und Nächten die Berge und selbst das Kloster durchbraust hatten, schwiegen an diesem Morgen; der 8 Ti schendorf, Aus dem heiligen Lande. 114 wolkenlose blaue Himmel verhiess eine glückliche Eeise. Die hoch über dem Kloster aufgezogene russische Flagge ehrte meinen Abschied. Die zu demselben Zwecke vom platten Klosterdache aus gelösten Salutschüsse fanden in den Bergen ein vielstimmiges Echo. Mehrere der Kloster¬ brüder, unter ihnen der gelehrte Kyrillos und der Ikonom, Hessen sichs nicht nehmen, in Person bis in die Ebene Bahah dem Scheidenden das Geleit zu geben. Und so trennte ich mich voll Führung und Dankbarkeit zum drit- . ten Male vom Sinai und seinem Kloster. \ X. Kairiner Verhandlungen und Arbeiten. Vom 7. bis 12. Februar, von Montag bis Sonnabend, gelang es den Wüstenweg vom Kloster bis nach Suez zurückzulegen. Vom Wadi Saddr hatt’ ich einen meiner Leute vorausgeschickt, um zur Ueberfahrt übers Meer eine Barke vom afrikanischen ans asiatische Ufer zu be¬ stellen. Kurz vor unserer Ankunft war sie eingetroffen; Nachmittags um 2 brachte sie uns nach Suez. Da die sofortige Abreise nach Kairo auf der Eisenbahn unthun- lich war, so genoss ich bis Sonntags Nachmittag die Gast¬ lichkeit des so dienstfertigen russischen Consuls. Aber erst gegen Mitternacht hatte uns die Lokomotive die ägyptische Wüste hinübergebraust. Des Montags früh besuchte ich das Mutterkloster der Sinaiten. Zu meiner nicht geringen Freude traf ich die Prioren noch anwesend ; in voller Bereitschaft zur Abreise hatten sie von den Brüdern zu Constantinopel die Meldung 8* 116 erhalten, dass der Wunsch obwalte die Wahl in Kairo zu vollziehen. Ich trug mein Anliegen vor. Wir werden’s überlegen, lautete die Antwort. Aber nach Lesung der Briefschaften, die Kyrillos und der Ikonom mitgeschickt, erfolgte die Zusage unverweilter Absendung eines ihrer zu¬ verlässigen Schechs zu Dromedar, um durch ihn so schnell als möglich die Handschrift herbeiholen zu lassen. Be¬ flügelt durch das Versprechen eines guten Bakschiscli, verliess der Schech am Abende desselben Tages die Mauern der Stadt. Was dieser wahre Eilbote in Aussicht gestellt hatte, das erfüllte er pünktlich, so unglaublich es scheint: inner¬ halb neun Tagen durchflog er zweimal die ägyptische und die arabische Wüste, so dass er am 23. Februar mit dem ihm anvertrauten Kleinode in Kairo zurück war. In der Frühe des 24. erschien der Prior nebst seinem Vicar auf dem russischen Generalconsulate , da er mich in meiner Wohnung nicht angetroffen hatte, um mir das Fracht¬ stück der Dromedarpost vorzulegen. Wir trafen die Ueber- einkunft, dass ich sogleich mehrere Hefte zu 8 Blättern — in dergleichen, genannt Quaternionen, war die alte Hand¬ schrift gleich ursprünglich abgetheilt — entnehmen und so nach und nach das ganze Manuscript behufs genauer Kopie in meine Hände erhalten sollte. Zwei Monate sass ich im Hotel des Pyramides, durch die Fenster in fortwährendem Verkehr mit allem was von der Esbekieli in die bunte lebensvolle Stadt sich be¬ wegte, in Person gefesselt an che grosse Arbeit. Zur leich¬ teren Bewältigung des materiellen Tlieils derselben gewann ich zwei deutsche Landsleute, einen Arzt und einen Apo- 117 theker, die unter meinen Augen schrieben; die Verant¬ wortlichkeit treuer Abschrift freilich war nicht übertragbar ; sie knüpfte sich ausschliesslich an meine eigene strenge Revision. Abgesehen von den zahlreichen im Laufe so vieler Jahrhunderte sehr verblichenen Seiten, ergab sich dabei bald als schwierigste Aufgabe die Bearbeitung aller derjenigen Stellen, die im ursprünglichen Texte von alten Correktoren geändert worden sind. Diese Stellen sind so massenhaft, dass ihre Zahl auf manchem der 346 Blätter mehr als hundert beträgt. Zugleich führt die Verschieden¬ heit der Schriftzüge in diesen späteren aber doch sämmt- lich über ein Jahrtausend alten Zuthaten auf die Unter¬ scheidung von wenigstens 6 Correktoren, von denen nicht selten einer den andern wieder in seinem Sinne verbes¬ sert hat. Die Hälfte der Abschrift war kaum vollendet, als auf eine flüchtige Bemerkung meinerseits ein zu Kairo mit Consulargeschäften betrauter deutscher Kaufmann einen jungen englischen Gelehrten ins Kloster führte, um ihm die Einsicht in das seltene Schriftwerk zu verschaffen. Als ich kurz darauf ebendahin kam, wurde mir berichtet dass man den Schatz feil zu machen gesucht, ja sogar ein Gebot gethan habe. Ich war nicht verlegen auf diese Mittheilung zu antworten ; der edle Prior selbst aber äusserte, das Kloster würde eher dem Kaiser Alexander, dem Hort und Schutz der rechtgläubigen Kirche, sein Bibelbuch zum Geschenke machen als es um englisches Gold veräussern. Es versteht sich, dass ich diese Gesin¬ nung nach Kräften zu nähren suchte. Ich behalte mir vor darauf zurückzukommen. Die so unerwartet hervor- 118 getretene Theilnahme an meinem Funde veranlasste mich aber, nicht länger mit der ersten öffentlichen Mittheilung darüber anzustehen.1 1 Sie geschah in einem Briefe « an den Staatsminister v. Falkenstein», datirt Kairo den 15. März, und wurde zuerst abgedruckt in Nr. 31 der wissenschaftlichen Beilage der Leip¬ ziger Zeitung vom Jahre 1859. XI. Erläuterung. Was ists aber denn was dieser Angelegenheit, was dieser Handschrift solch ausserordentliche Bedeutung gibt? Mit dieser Frage möchte leicht der eine und der andere meiner freundlichen Leser diese ausführlichen Mittheilungen über Auffindung und Bearbeitung derselben unterbrechen. Machte doch selbst ein griechischer Patriarch, als ihm 1844 die Wichtigkeit meiner Forschungen gerühmt wurde, die zwischen Ironie und Naivetät schwankende Bemerkung: Wir haben ja längst die Evangelien und die Apostel¬ schriften; was brauchen wir noch? Diese unsere heiligen Schriften haben wir allerdings schon längst; sie sind uns dadurch erhalten worden, dass ihr Text vom ersten Jahr¬ hundert an fort und fort abgeschrieben wurde. Indem aber Abschrift auf Abschrift gefertigt wurde, lief der Text begreiflicher Weise Gefahr, in manchen Stücken seiner ur¬ sprünglichen Gestalt entfremdet zu werden. Theils konnte dies durch Fahrlässigkeit, Misverständniss und Unwissen¬ heit beim Abschreiben geschehen, um so mehr als die alte 120 Schrift Buchstabe an Buchstabe anreiht, ohne Worttrennung und ohne Interpunktion; theils durch unberufenen Eifer in Verbesserungen des Ausdrucks, in Vervollständigung der Erzählungen, in Ausgleichung vermeintlicher Verschieden¬ heiten. Und dass dies keine blossen Möglichkeiten, keine leeren Besorgnisse geblieben, das lehrt uns der geschicht¬ liche Thatbestand. Denn da die Bibliotheken der christ¬ lichen Welt gegen tausend Urkunden von mehr oder we¬ niger Büchern des griechischen Neuen Testaments, um uns auf das letztere zunächst zu beschränken, noch heutzu¬ tage besitzen , desgleichen eine beträchtliche Anzahl Hand¬ schriften von den alten Uebersetzungen, wie der syrischen, der koptischen, der lateinischen, der gothischen, so hat sich daraus eine so grosse Mannigfaltigkeit der Textgestalt ergeben, dass nur eine geringe Minderzahl von Versen in völliger Uebereinstimmung vorliegt, mancher Vers aber wol zehn und noch mehr sogenannte Varianten darbietet, wenn sie auch weit mehr sprachlicher als sachlicher Art sind. Die seit dem 16. Jahrhundert an die Stelle der Ab¬ schriften getretene Vervielfältigung durch die Presse hat insofern den Zustand nicht geändert, als sich der Druck bald an einzelne bald an mehrere Handschriften anschloss, und zwar öfters unter der Leitung von Männern, die wenig zur Förderung der Sache befähigt waren, niemals aber unter der Gunst einer entscheidenden Autorität. Nachdem man im 16. und den nächstfolgenden Jahrhunderten, mehr aus Unkenntniss als aus Ueberzeugung, denjenigen Text bevorzugt hatte, der sich in der Mehrzahl der neueren allmählig zu grösserer Gleichförmigkeit gelangten Hand¬ schriften vorfindet, hat die jüngste Zeit den Vorrang der 121 älteren Urkunden anerkannt, und in den letzten Jahr¬ zehnten begann die Verbreitung des Textes, den sie ent¬ halten. Der Verfasser dieser Reiseskizzen selbst hat seit dem Jahre 1839 in diesem Sinne gewirkt; durch sieben auf einander folgende Ausarbeitungen hat er mit fast zwanzigtausend Exemplaren des griechischen Neuen Testa¬ ments, ausgestattet mit mehr oder weniger ausführlichen kritischen Noten, seinen Grundsätzen Billigung zu gewin¬ nen versucht. Es leitete ihn dabei die Ueberzeugung, dass bei dem heiligsten und einflussreichsten Buche der Welt, demjenigen worin die Christenheit die höchste Norm ihres Glaubens und Lebens besitzt, nichts, auch nicht sprach¬ liche Formen und Wendungen, gleichgiltig oder des erns¬ testen Studiums unwerth sei.' Das Ziel, das es bei dem text- kritischen Geschäfte gilt, kann offenbar kein anderes sein als das, den Text der Schrift von allen Entstellungen und Zutha- ten zu reinigen und zu derjenigen Gestalt, in der derselbe aus den Händen der heiligen Autoren kam, so viel als möglich zurückzuführen. Als hauptsächliche Leiter dabei sind drei Handschriften, muthmasslich vom vierten und fünften Jahr¬ hundert, anerkannt worden: die berühmte Vatikanische, eine Londoner, genannt die Alexandrinische, und eine Pariser, die als Palimpsest 1 Ephräm des Syrers bekannt geworden. 1 Palimpsest ist eine Handschrift, deren ursprünglicher Text auf dem Pergamente vermittelst Abwaschens, Abschabens u. dergl. vertilgt und durch einen andern auf der neugeglätteten Fläche ersetzt worden ist. Die Pariser Handschrift wurde im 5. Jahrhundert mit dem biblischen Texte beschrieben; im 12. aber traten an dessen Stelle Werke Ephräm des Syrers. 1840 und 1841 entzifferte icli den alten im 12. Jahrhundert ver- 122 Aber keine dieser drei Handschriften ist vollständig: die Pariser enthält nur die grössere Hälfte des Neuen Testa¬ ments ; der Londoner fehlt fast das ganze erste Evangelium mit zwei Kapiteln des vierten, sowie grösstentheils der 2. Brief Pauli an die Corinther; und von der Vatikani¬ schen, der ältesten und wichtigsten, sind vier ganze Briefe nebst den letzten Kapiteln des Hebräerbriefs und die Apo¬ kalypse verloren gegangen. Da erfolgt nun nach wunderbarer Fügung die Ent¬ deckung einer Handschrift, die nicht nur wenigstens von gleichem Alter mit der ältesten, der Vatikanischen, ist, sondern auch die einzige vollständige unter den genannten dreien sowol als unter allen, die wir noch ausserdem von tausendjährigem Alter besitzen. Dem Texte nach be¬ rührt sie sich gleichfalls am nächsten mit der Vatikani¬ schen ; oft aber auch hat sie im Widerspruch mit ihr und mit den meisten oder allen anderen solche Lesarten getreu auf bewahrt, die uns aus dem höchsten Alterthume durch Zeugnisse der Kirchenväter oder der frühesten Uebersetzer verbürgt sind. Welche Autorität sich hieraus für den gan¬ zen Text derselben ergibt, ist klar. Obschon er keineswegs von Fehlern der Abschreiber frei ist, noch auch von solchen, die aus der unkritischen Behandlung der Schrift in den ers¬ ten Jahrhunderten herflossen, so eignet er sich doch einzig, unter Hinzuziehung der ihm nächstverwandten Urkunden, zur bestbeglaubigten durchgängigen Grundlage für alle wischten Text, mit Ausnahme sehr weniger Stellen, nachdem er 8 Jahre früher durch chemische Mittel aufgefrischt worden war. Bei vielen andern Palimpsesten erreichte ich dasselbe Ziel ohne chemische Beihilfe. 123 wissenschaftlichen Forschungen über den heiligen Text. Den durch die neuesten Forschungen in den Vordergrund getretenen Grundsätzen gewährt sie die bedeutsamste Stütze; an Tausenden von Stellen wird sie denjenigen Les¬ arten, die bereits auf die wenigen ältesten Zeugen hin neuerdings aufgenommen worden sind, dauernde Sicherheit verleihen; an vielen anderen wird erst durch sie die rich¬ tigste Lesart zur Geltung gelangen. Dass trotzdem kein Lehrsatz der evangelischen Wahrheit oder des seligmachen¬ den Glaubens eine Beeinträchtigung erfährt, wenn auch immer manche wichtige Stelle von den Verschiedenheiten betroffen wird, das zählt für alle, die neben dem frommen Glauben der Väter auch das prüfende Auge ernster For¬ schung für berechtigt halten, nicht zu den gleichgiltigsten Resultaten der Auffindung einer so gewaltigen Waffe der kritischen Wissenschaft. So viel vom Neuen Testamente. Dem sei nur noch beigefügt dass sichs ähnlicher Weise mit dem kritischen Bestände des griechischen Textes des Alten Testaments verhält, dessen hohe christliche Bedeutung vor allem in dem Gebrauche liegt, den die evangelischen und apostoli¬ schen Autoren davon gemacht. Vom Barnabasbriefe und den Hermasfragmenten, die allein hingereicht haben würden die Sinaitische Hand¬ schrift unvergänglich tlieuer zu machen, ist schon oben gesprochen worden. Von der Bedeutung der Sinaitischen Handschrift auch ausser ihrer Beziehung auf die Herstellung des wahren Schrifttextes ein einziges Beispiel. Bekanntlich herrschen über das Alter unserer Evangelien und das ihrer kircli- 124 liehen Anerkennung verschiedene Ansichten; vorzugsweise macht man es von den ältesten christlichen Schriften ab¬ hängig, worin sich ein aus den Evangelien entnommenes Zeugniss findet. In demjenigen Theile vom Briefe des Barnabas, der bis jetzt nur lateinisch vorhanden war, erregte schon längst die Stelle: «Viele sind berufen, aber wenige auserwählt», besondere Aufmerksamkeit. Auch bei Verwerfung der Abfassung des Briefs durch Barnabas den Apostel erschien sie als das früheste Zeugniss für das erste Evangelium, obgleich sich nicht läugnen liess, dass ein solcher Ausspruch des Herrn recht gut auch aus mündlicher Ueberlieferung geflossen sein konnte. Diese Annahme wurde freilich dadurch beeinträchtigt, dass dem Spruche die Worte voranstehen : «wie geschrieben stehet»; allein diese Worte setzte man mit grosser Wahrscheinlich¬ keit auf ausschliessliche Rechnung des Uebersetzers. Wie konnte denn auch schon im ersten Viertel des 2. Jahr¬ hunderts, in welchem der Brief geschrieben sein muss, eine Stelle des Matthäus mit derselben Formel angeführt werden, die in des Heilands und der Apostel Munde nur dem alten Offenbarungskanon zukam. Dennoch bringt nun die Sinaitische Handschrift die Entscheidung, dass die be¬ anstandeten lateinischen Worte in der That vom Verfas¬ ser der Schrift selbst, nicht vom späteren Uebersetzer stammen. Und hiermit ist auf unvergleichliche Weise dar- gethan, dass schon im ersten Viertel des zweiten Jahr¬ hunderts, wider alles Erwarten negativer Forscher, unser Matthäus -Evangelium nicht etwa nur vorhanden und be¬ kannt war, sondern in der Kirche für kanonisch galt. XII. Die Pyramiden und der Sphinx. Etwas Schöneres und Imposanteres entdeckt in Kairo, der alten erinnerungsreichen Kalifenstadt, das Auge des Wanderers nicht als die Aussicht, die ihm die Cita- delle gewährt. Sie selber liegt auf einer der äusser- sten Höhen des sandfarbigen Mokattam , im Südosten der Stadt, und besitzt am Jussufsbrunnen neben den Ruinen vom Palaste Salaheddins einen uralten Felsen¬ bau, ihr schönstes Kleinod aber an der prächtigen Ala¬ baster - Moschee Mohammed Ali’s. Unter ihr zunächst breitet das «Meer der Welt» sich aus, dieses Gewühl von düsterfarbigen Bauwerken, durchbrochen durch zahlreiche Plätze und Gärten mit prangenden Palmenkronen und durch die alle Umgehungen weit überragenden bunten Mi- narets. Hinter der Stadt treten die Ufer des heiligen Stro¬ mes mit ihrem feurigen Grün hervor; sie umgürten nach dieser Seite die altersgraue Stadt mit der ewigen Hoff¬ nung; sie bilden aber auch die Grenze zwischen Lehen und Tod: denn gleich hinter ihnen ziehen sich in weitem 126 Umkreise die bleichen Sandhügel der Wüste hin, jene Sandhügel, die im Laufe der Jahrhunderte des blühenden Lebens so viel in sich eingesargt. Aber mitten aus dieser Region des Schweigens, des Todes, heben ihre kühnen Häupter zu der dunklen Aetherbläue empor die unver¬ gänglichen Pyramiden, schweigsame und doch so beredte Zeugen einer längst verklungenen Vorzeit. Sie sind es, an denen das Auge am längsten haftet. Treten sie so aus der Ferne, umwoben vom feinen Schleier der Wüsten¬ luft, vor den Blick, so ists als sähe man in die Geheim¬ nisse der Vergangenheit hinein; es ist als müsste man auf ferne Töne lauschen, man fühlt sich zauberisch gefesselt. Und darum bleibt ihnen der Gedanke noch immer treu, sind sie auch längst dem Auge entschwunden. Niemand, den ein Schiff aus der Heimath der For¬ scher und Denker nach Aegypten hinübergetragen, wird Kairo gemessen ohne einen Ausflug zu den Pyramiden zu machen. Gruppenweise ziehen sie sich am Saume der Wüste, unfern von den Ufern des Nils, von Norden nach Süden hin. Vor denjenigen Gruppen die nach den Dör¬ fern Abusir, Sakara, Daschur und anderen benannt wer¬ den, zieht seit langer Zeit den Fremdling die bei Gizeh an. Dort stehen brüderlich neben einander jene drei Riesenbauten, als deren Erbauer schon Herodot im fünf- ten Jahrhundert vor Chr. Cheops, Chephren und Mykerinos (nach den Monumenten: Schufu, Schafra, Menkera) ge¬ kannt hat. Die des Cheops ist die grösste; sie erhebt sich über ihren natürlichen Felssokkel, der zum grossem Theile im Sande ruht, noch jetzt, bei abgeplatteter Spitze, 421 Fuss, so dass sie ursprünglich mit dem Sokkel gegen 127 500 Fuss Höhe hatte und folglich Europa’s höchsten Thurmbau, den Strassburger Münster, 438 Fuss hoch, hei weitem überragte. Fast gleicher Höhe ist die Py¬ ramide Chephrens, die des Mykerinos hingegen um die Hälfte niedriger. Alle drei sind in ihrem Innern zugäng¬ lich gemacht worden; doch beschränken sich die Besuche meistentheils auf die grösste. Und auch bei ihr führt der schwierige schachtartige Weg zu nichts anderem als öden Felsenkammern, deren schwüle Luft nur Fledermäusen zu behagen scheint. Die tiefste dieser Kammern rechnet man 600 Fuss unter dem Gipfel der Pyramide; zwei andere viel höher gelegene werden als die der Königin und des Königs bezeichnet. In der letzteren, gegen 20 Fuss hoch und breit, bei einer Länge von 30 Luss, steht noch jetzt der granitene Sarkophag, in welchem des Cheops Mumie gegen 4000 Jahre geruht hatte, als sie der Kalif Mamun im Jahre 820 anstatt der umsonst gesuchten Königsschätze aufstörte. Viel lohnender als ein Gang ins Innere dieses auf 90 Millionen Kubikfuss berechneten Steinungeheuers ist eine Wanderung auf die schwindlichte Höhe. Die vor Jahrtausenden mit glattem Marmor überkleideten, aber jetzt nach gänzlicher Beseitigung des Marmorkleides über¬ all mehr als einen Luss breit hervorspringenden Quader¬ steine von Nummulitenkalk, deren man von unten bis oben 206 gezählt hat, bilden ebenso viel steile Stufen, auf denen man zu einer Plattform mit einer Quadratfiäche für 20 Per¬ sonen hinaufsteigt. Von diesem Standpunkte aus geniesst man eine der seltensten Aussichten: nach Norden und Nordost auf das üppige Nilthal und die Kalifenstadt, an- 128 geleimt an die breite gelbliche Wand des Mokattam, nach Osten hinterm Nil und noch mehr nach dem ganzen Westen auf die blendende hellröthliche Sandwüste, nach Süden auf den dunkelgrünen Palmenwald von Mitrahenny, unter wel¬ chem die Ruinen von Memphis ruhen, daneben auf die zahlreichen südlicheren Pyramiden, die der königlichen Mutterstadt näher als die von Gizeh geblieben. Sind wir wieder herabgestiegen vom Gipfel des rie¬ sigen Grabdenkmals, dessen Erbauung den neuesten For¬ schungen zufolge ins vierte Jahrtausend vor Chr., also über tausend Jahre vor Abrahams Zeiten fallen mag, so wartet unser eine Wanderung durch das unmittelbar am Fusse der Pyramide ausgebreitete Todtengefilde. Die «ewi¬ gen Wohnungen» der Aegypter, die es enthält, sind bald in Hügeln aus Quadersteinen mit pyramidalen Wänden angelegt, so dass sich die inhaltsreichen Grabkapellen über der Erde und nur die eigentlichen Todtenkammern unterhalb, bisweilen in beträchtlicher Tiefe befinden ; bald sind sie in den natürlichen Felsen wagerecht hineingebohrt. Den Zugang haben alle nach Osten, wo der Sonnengott sich erhebt, während der Todte selbst dorthin liegt wo der Sonnengott untergeht. Ein Blick in diese Gräber ist ein lehrreicher Blick in die ägyptische Vorzeit selbst. Während sich in den Pyramiden die hohen Herrscher mit dem Schweisse vieler Tausende ihrer Unterthanen und im Verlaufe einer langen Regierung eine solche Grabstätte für unabsehlich lange Zeiten gründeten, haben sich um dieselben in stattlichen Felsenhütten, die gleichfalls der Zeit getrotzt, diejenigen geschaart, die ihnen im Leben als Priester und Propheten, als Rathgeber und Gelehrte, V 129 als Freunde und Diener nahe gestanden. «Auserlesene des Königs», das ist ihr gemeinsamer Ehrentitel; so sind sie denn auch ihren Herren bis in den Tod getreu geblieben. Die oft in bunten Farben ausgeführten Inschriften der Grabkapellen nennen die vielfachen Titel der Entschla¬ fenen. Es hat demnach der ägyptische Hofstaat vor fünf und sechstausend Jahren schon ebenso viel Geschmack am Titelwesen gefunden als irgend ein deutscher der Gegenwart. Ausser den Inschriften finden sich an der glatten Granitwand in erhabener Arbeit die Todten selbst dargestellt; dazu werden in Schrift und Bild die Opfer¬ gaben verzeichnet, die ihnen an bestimmten Festtagen darzuhringen waren. Endlich entfalten sich an denselben Wänden vor unseren Augen die mannigfaltigsten Lebens¬ bilder jener grauen Vorzeit, indem sie Ackerbau, Jagd, Fischfang, die Gewerke des industriellen und die Geschäfte des häuslichen Lebens, die Vergnügungen und die Künste darstellen. Nur eins dieser Gräber sehen wir ein wenig genauer an, dasjenige das die Engländer als das Grab der Zahlen benannt haben. Ein «Gelehrter des Palastes », der eine « Prophetin und Auserlesene des Königs » zur Gattin, auch drei «Schriftgelehrte» zu Söhnen hatte, hat es für sich und seine Familie errichtet. Von den ver¬ schiedenen Darstellungen an den schmucken Wänden in- teressirt besonders die, wo er selbst in erhabener Figur erscheint, gestützt auf einen Stab, neben sich einen Hund, und umgeben von seinem patriarchalischen Reichthume. Der Sicherheit halber ist den einzelnen Heerden ihre Zahl beigeschrieben, und so erfahren wir, dass dieser Gelehrte des Palastes, Namens Schafraanch, 835 Ochsen, 220 Kühe, Tischendorf, Aus dem heiligen Lande. 9 / / 130 2235 Ziegen, 760 Esel und 974 Schafe besessen. Die Sitte, die Gelehrten mit dergleichen Gütern heimzusuchen, hat sich bekanntlich nicht erhalten; fehlt doch manchem jene einzige Kuh, «die ihn mit Butter versorgt». Südöstlich von unserer Pyramidengruppe und ihrem Todtenfelde stehen wir von neuem gefesselt vor einem vielbewunderten altägyptischen Felsenmonumente, einem Zeitgenossen der Pyramiden selbst, da der Name Schafra’s, des Erbauers der zweiten Pyramide, an ihm gelesen worden ist. Leider ruht es für die meisten Beschauer zum gröss¬ ten Theile im Sande begraben; nur Caviglia (1817), später Lepsius und zuletzt Mariette haben die Sandberge um dasselbe ab tragen lassen und sind dadurch, namentlich der französische Gelehrte, dem Geheimnisse des Bauwerks näher getreten. Was ich selbst davon gesehen, beschränkt sich auf Kopf und Hals des Sphinx, des abbildlichen Son¬ nengottes. Die berühmte Schönheit des Biesenantlitzes ist durch den Verlust der Nase wesentlich beeinträchtigt. Bei dem ganzen Monumente haben Natur und Kunst sich die Hand gereicht. Der natürliche Felsen ist dazu benutzt worden, einen ungeheueren Sphinx zu bilden. Während der Leib mit dem Halse nur wenig Zurichtung erfuhr, war es besonders der Kopf der die Kunst des Meiseis erheischte. Zwischen den nach Osten ausgestreckten Vordertatzen fand sich bei der ersten Befreiung des Kolosses von den Sandmassen ein kleiner Tempel vor, vor welchem zwei Lö¬ wen auf Postamenten lagen , sowie ein dritter, der zwischen beiden nach dem Eingänge hinschaute. Von den Tatzen¬ spitzen des Sphinx bis zur Schwanzwurzel ergab sich nach den neuesten Messungen eine Länge von 172 Fuss. Nach Ma- i 131 riette’s Entdeckungen zieht sich südwärts vom « Löwen der Nacht», wie ihn die Araber nennen, noch ein prächtiger Tem¬ pelbau hin, Galerien und Kammern, die, wie sich Brugsch als Augenzeuge ausdrückt, von cyclopischen Mauern aus Syenit und Alabaster umschlossen werden. Hier wahr¬ scheinlich war der Mittelpunkt für den Cultus der so kolossal verbildlichten Gottheit. 9* XIII. Das Serapeum. Die Schau des Sphinx hat uns bereits mit dem Manne zusammengeführt, an dessen Namen sich seit einem Jahr¬ zehnt die wichtigsten monumentalen Entdeckungen auf ägyptischem Boden anknüpfen. Die herrlichste von allen gelang ihm im November 1851 in der Nähe von Sakara, das gegen zwei Stunden südlich von den grossen Pyra¬ miden hei Gizeh liegt. Anstatt meiner spätem Besuche daselbst erlaub’ ich mir denjenigen zu beschreiben, den ich anderthalb Jahr nach der Entdeckung, im April 1853, in Begleitung des berühmten Aegyptologen Brugsch machte. Früh halb 8 ritten wir zu Esel von der Esbekieh weg. Als wir an den hohen Schutthaufen des ägyptischen Babylon vorüberkamen, wurde es uns aus den aufgewühlten Staubwolken immer klarer, dass wir einen sehr unwill¬ kommenen Begleiter am Chamsin hatten, an jenem süd¬ lichen Winde, der in unseren Frühlingsmonaten zu den Plagen Aegyptens gehört. So lange wir jedoch noch inner¬ halb der Culturgrenzen waren, blieb er erträglich. Nach- 133 dem wir über den Nil gefahren und das Dorf Gizeh im Rücken hatten, ritten wir durch einen langen schönen Palmen wald. Von ihm aus ging unser Weg durch grüne blumige Wiesen; in dem hochgewachsenen Klee sahen wir Esel und Pferde, Ziegen und Kamele schmarotzen; die Felder, besonders mit Gerste und Weizen besäet, standen bereits im Golde der Ernte. Nach fast 4 Stunden Wegs hatten wir den Saum der Wüste erreicht. Auf der Strecke, die uns von da noch bis zu den Ausgrabungen übrig war, etwa 3/4 Stunde lang, begriffen wir vollkommen, wie der gierige Sand der Wüste kolossale Monumente und selbst ganze Städte verschlingen kann. Wir ritten bei schwüler drückender Luft durch ein Meer von Sandstaub und sahen immer nur wenig Schritte weit vor uns; selbst mehrere Pyramiden wurden zeitweilig unsichtbar. Wie froh waren wir, nach einem so ermüdenden Ritte endlich den Rücken unserer Thiere zu verlassen und ihn mit Mariette’s Haus zu vertauschen. Dieses in der Wüste improvisirte Haus ist selbst eine Merkwürdigkeit; es ist aus lauter alten Back- und Kalksteinen erbaut, die ehedem dem Serapeum angehörten. Mariette empfing uns aufs freundlichste; Brugsch war bereits durch wiederholte lehrreiche Besuche sein stets willkommener Freund geworden; mich selbst hatte er früher zu Paris im ägyptischen Museum, zu dessen Di¬ rektion er gehörte, kennen gelernt; zu meiner Ueber- raschung und unverdienten Ehre präsentirte er mir jetzt aus seiner auf wenig Bücher beschränkten Wüstenbiblio¬ thek die englische Uebersetzung meiner «Reise in den Orient», Fast den ganzen Nachmittag waren wir durch 134 den fortdauernden Chamsin an den Schutz der steinernen Mauern gebunden; nur krochen wir in einige der unter¬ irdischen Gräber , deren Marmorwände mit ihren Dar¬ stellungen in zierlichen Figuren und Hieroglyphen von meinem kundigen Begleiter schon früher studirt worden waren, sowie wir auch die in alten Felsengemächern an¬ gelegten Magazine Mariette’s mit ihren Herrlichkeiten be¬ suchten. Nach Sonnenuntergang aber war mir der Genuss der interessantesten Entdeckung Mariette’s zugedacht. Wir betraten einen schräg abwärts führenden Gang, dessen Felsenbasis dichter Sand überdeckte, während die aus Kalkfelsen gebildeten Mauern zu unseren beiden Seiten offen lagen. An ihren Wänden wurden Hunderte von Stelen (kleine Gedenktafeln von länglichter Form) mit hie- roglypliischen und demotischen Inschriften aufgefunden. Bald standen wir vor einem nach Osten sich öffnenden Portale aus Quadersteinen, reichlich in demotischer Schrift mit schwarzer und rother Dinte beschrieben. Dies Portal führt zu einem grossartigen unterirdischen Felsenbau. Zu¬ erst betraten wir einen Vorhof, an dessen jetzt nackten Wänden ähnliche Stelen mit Inschriften wie die schon ge¬ nannten aufgefunden worden sind. Aus dem Vorhofe führen zwei Eingänge zu langen Galerien, 16 Fuss breit und fast ebenso hoch. Nachdem wir in die zur rechten Hand einge¬ treten und eine kurze Weile darin fortgegangen waren, lag vor uns inmitten des Wegs ein roher Granitblock, wie es schien; bei näherer Betrachtung wies er sich als ein grosser viereckiger Sarkophag aus, 7 Fuss hoch und gegen 6 Fuss breit, vor welchem der abgehobene 3 Fuss hohe Deckel gelegt war. Bald darauf aber bemerkten wir zu beiden J 135 Seiten der langen Galerie gewölbte Kammern oder Nischen mit riesigen Sarkophagen. Da Mariette diese Räume mit reichlichem Kerzenlichte erleuchtet hatte, so machten sie einen magischen, geisterhaften Eindruck; wir fühlten es, dass wir in ein altägyptisches Mysterium eingetreten waren. Die Seitengewölbe, gegen 20 Fuss hoch und 16 Fuss breit, sind um mehrere Fuss tiefer als die Galerie, so dass man zu den Sarkophagen hinabsteigen muss. Die Zahl aller, die hier gefunden worden, beträgt 31; sie sind meistentheils aus dunkelgrünem Granit gefertigt und haben eine spiegel¬ glatte glänzende Fläche; nur einer, der grösste, ist aus röthlich gesprenkeltem Granit. Ihre Höhe beträgt gegen 7 Fuss; ebenso viel ihre Breite; ihre Länge 12 Fuss. Jeder Sarkophag, mit Ausnahme einiger aus Mauerwerk, besteht aus einem einzigen Blocke; ebenso der 3 Fuss hohe Deckel, der bei den meisten Sarkophagen um 2 Fuss von seiner ursprünglichen Stelle abgerückt gefunden wurde, weshalb er einen Blick ins Innere thun lässt. Es ist damit eine Spur von früheren und wahrscheinlich vorchristlichen Nachforschungen geblieben, wozu auch noch die darüber und daneben, jedenfalls zum Ausdrucke der Verachtung, gesetzten Steinhaufen kommen. In Folge von diesen Nach¬ forschungen, denen guter Erfolg nicht gefehlt haben mag, ist in den meisten Sarkophagen ausser ^pisknochen nichts von Belang gefunden worden; nur in zweien, die uneröff- net geblieben waren, war Mariette so glücklich den Schatz an altem Schmuckwerke zu heben. Wir selbst sahen nichts davon; es war bereits nach Paris gesandt worden, wohin auch zwei der schönsten Sarkophage nachfolgen sollten. Mit hieroglyphischen Aufzeichnungen sind nur wenige # 136 Särge geschmückt , wie z. B. an einem der Name des Cambyses gefunden worden; den lehrreicheren Theil der Entdeckung bilden daher die Stelen, aus deren reichem Texte es möglich sein soll, von Ramses dem Grossen im 15. Jahrhundert an bis herab zu den Ptolemäerzeiten die vollständigen Apisperioden festzustellen. Da auf jede der letzteren ein Zeitraum von 25 Jahren zu rechnen ist, so umfassen die aufgefundenen 31 Särge beinahe 800 Jahre. W as es für eine Bewandtniss habe mit diesem Apis¬ grab, das nach so viel Jahrhunderten sich plötzlich wieder und mit so beredtem Munde geöffnet hat, ergib^ sich aus der Kenntniss des alten dem Apis gewidmeten Cultus. Der in göttlichen Ehren gehaltene Stier galt als Repräsentant des Osiris selber, einer der verehrtesten Gottheiten, des ((Herrn der Gräber», wie er vorzugsweise heisst; man dachte sich wol dass die Seele des Osiris in einem solchen Stiere wohnhaft geworden sei. Er war der Auserlesene seines Geschlechts, musste von schwarzer Farbe sein, ein weisses Viereck auf der Stirn und noch verschiedene an¬ dere wichtige Zeichen zu seiner Beglaubigung haben. Um seine Geburt schwebten Mythen; vom Monde sollte die Kuh, die ihn geboren, befruchtet worden sein. Seine Auf¬ findung war ein grosses Nationalereigniss , an das sich glänzende Feierlichkeiten anknüpften. In seinem Tempel wurde er voll heiliger Scheu gepflegt und beobachtet; besonders mit Opfern von rothen Stieren geehrt; nach 25 Jahren aber, die sein Alter nicht überschreiten durfte, im Zusammenhänge mit der fünfundzwanzigjährigen Mond¬ periode, in einem heiligen Brunnen von den Priestern er¬ tränkt. Hierauf fand nun die feierliche Beisetzung des % 137 vielbetrauerten Todten statt; der Herrscher Aegyptens er¬ richtete ihm in dem unterirdischen Heiligthume den pracht¬ vollen Sarkophag. Wie sich hieraus vermuthen lässt, dass die Grabstätte in Verbindung mit dem Tempel gestanden, wo der Apis (Osir-Apis) verehrt wurde, so beschränkt sich auch der Fund Mariette’s nicht auf das Apisgrab; es bildet viel¬ mehr nur einen Theil des von ihm entdeckten Serapeums. Eine grosse viereckige Mauer, die sogar schon vor Ma~ riette, wenn auch nicht als das was sie wirklich war, recht wohl bemerkt worden, umgränzt gemeinsam Tempel und Grab. Eine Allee von Sphinxen führt zum östlichen oder Haupteingange derselben. Schon Strabo fand diese Allee grossentheils vom Sande verschüttet; nach fast 1900 Jahren ist seine Notiz darüber für Mariette ein Schlüssel zu dem verborgenen Schatze der Wüste geworden. Ausser den Sphinxen wurden auch Panther mit reitenden Kindern gefunden, sowie begreiflicherweise des Kostbaren und In¬ teressanten zur Bereicherung ägyptischer Museen noch sehr vieles. Zu den schönsten Reliquien rechnete Mari¬ ette eine von sehr kunstfertiger Hand aus Kalkstein ge¬ formte Statue des Apis. Schwarz gemalte heilige Insignien schmückten noch ihren Leib; auch war sie mit demoti¬ schen Inschriften versehen. Schon vor unserem Besuche hatte sie die Wanderung nach Paris gemacht. Von den Räumlichkeiten des Serapeums, die ich selbst sah, erwähn’ ich noch das «blaue» Zimmer, an dessen Wänden eine dem Apis gewidmete Opferprocession dargestellt ist. Die dabei angewandten Farben, namentlich Schwarz, Roth und Blau, haben sich so vortrefflich erhalten, dass sie keinem 138 Beschauer die Vermuthung nahe legen, der Pinsel habe sie schon vor Jahrtausenden aufgetragen. Am nächsten Tage unseres Aufenthalts bei Mariette war zu unserer grossen Freude die Macht des Chamsin gebrochen. Wir machten daher am frühen Morgen einen Ritt nach dem Dorfe Mitrahenny, das über den im Sande begrabenen Ruinen von Memphis erbaut ist. Eine halbe Stunde vom Serapistempel, der übrigens näher bei Abusir als hei Sakara liegt, gelangten wir nach dem letztgenann¬ ten Dorfe, dessen Name vom Beinamen des Osiris «Sakar» abstammt. Eine Mauer, an der wir vorbeiritten, — sie gehörte zum Hause des Schechs von Sakara — war ganz aus alten schönen Steinen mit hieroglyphischen Inschriften und bildlichen Darstellungen zusammengesetzt, wovon mein Begleiter Einiges sogleich copirte. In dem Palmen- und Akazienwalde von Mitrahenny, gegen 3/4 Stunde von Sa¬ kara, trafen wir auf Ausgrabungen, die im Aufträge der geologischen Gesellschaft zu London unter der Leitung des gelehrten Armeniers Hekekyan-Bey stattfanden. Um die englische Zeltniederlassung waren galeriemässig aus¬ gegrabene Statuen und Statuenreste, Säulenstücke, Posta¬ mente und dergleichen aufgestellt, meistentheils von Granit ; auch ein schöner Rest einer Alabasterstatue machte sich bemerklich. Sehr viele trugen hieroglyphische oder demo¬ tische Inschriften; auf dem Schoosse der Statue eines Priesters oder, wie er auf dem Monumente selbst heisst, eines königlichen Schriftgelehrten, bemerkte Brugsch einen Festkalender von überraschender Vollständigkeit. Sämmt- liche Statuen setzt Brugsch in die Zeiten um Ramses den Grossen, um dessen Koloss diese Ausgrabungen ge- schaben. Vor diesem Kolosse selbst, entdeckt vor einigen Jahrzehnten von Caviglia und Sloane, bleibt man immer von neuem bewundernd stehen. Er liegt hier im Palmen¬ haine, in derselben geringen Vertiefung des Bodens wo er gefunden worden, mit der einen Hälfte des Gesichts zur Erde gekehrt. Aus einem einzigen Stücke feinkörnigen Kalksteins ist er gearbeitet, und hat jetzt noch, obschon die Fiisse fehlen, eine Länge von 40 Fuss. Ausser der Grösse fesselt den Beschauer das ausdrucksvolle Gesicht. Dass es wirklich der grosse Ramses, der berühmte Krieger¬ könig Sesostris der Griechen sei, der hier liegt, darüber lassen die auf dem Gürtel und Brustschilde in Hierogly¬ phen gelesenen Namen keinen Zweifel. Und merkwürdiger¬ weise gibt Herodot, sowie später auch Diodor, von dem wiedergefundenen kolossalen Standbilde selbst Kunde. Da nämlich die beiden Historiker davon berichten, dass der König Sesostris zu Memphis vor dem Tempel des Ptah, den sie Hephästos nennen, zwei steinerne Bildsäulen von je 30 Ellen Höhe und vier andere, 20 Ellen hoch, die ersteren von sich und seiner Gemahlin, die letztem von seinen vier Söhnen errichtet habe, so ist die grösste Wahr¬ scheinlichkeit vorhanden, dass uns einer der sechs Kolosse, und zwar einer der beiden grössten, vor Augen liegt. Auch von anderen sind in der Nähe Fragmente gefunden worden; sie mögen gleichfalls den Denkmälern des dem Ptah ge¬ weihten Tempels zuzuzählen sein. Der nachforschende Eifer wird sich aber damit noch keineswegs begnügen; gilt es doch den ältesten Tempelbau der Welt, von dem die Geschichte weiss, da Herodot selbst den in den Nebeln frühester Vorzeit schwebenden Namen des Menes, den 140 unsere Aegyptologen ins fünfte Jahrtausend vor Christus setzen, an seine Gründung geknüpft hat. Sollte übrigens die mit der Erlaubniss des Vicekönigs ins Auge gefasste Ueberführung der Ramsesstatue nach England zur Wahr¬ heit werden, so würde London um ein Wunderwerk reicher werden. Nach unserer Rückkehr zu Mariette’s Haus nahmen wir selber eine kleine Ausgrabung vor, wenn auch nicht nach Kolossen sondern nur nach Ibismumien. Bei Abusir befinden sich nämlich ausser vielen anderen Mumiengräbern auch die mit den heiligen Vögeln. Das Geschäft, nach der¬ gleichen Mumien zu suchen, ist nicht eben angenehm. Wir beide, Brugsch mit einem Lichte voraus, ich hinterdrein, krochen in den unterirdischen Gang hinein , wo die irdenen Krüge mit den Ibismumien in unabsehlicher Ausdehnung aufgeschichtet sind. Es ist nicht schwer noch ungeöffnete Krüge zu finden, obgleich die ganze dunkle Räumlichkeit, in der kaum ein Kind aufrecht stehen kann, von den Scherben der zerschlagenen Krüge reichlich angefüllt ist. Aber unter zwanzig bis dreissig Krügen, die man zer¬ schlägt, ist. kaum einer, dessen Inhalt sich transportiren lässt. Was die allermeisten enthalten, zerbröckelt in schwar¬ zen Mumienstaub, so dass die spärlich mit dem Kerzen¬ lichte erhellte Höhle durch unsere Arbeit sehr bald in eine rusige Esse verwandelt wurde. Nach einigen Stunden hatten wir dennoch mehrere gefunden, die des Transports fiihig und werth waren.1 Die Bedeutung dieser Ihismumien 1 Im Jahre 1859 war die Lagerstätte der Ibismumien nicht mehr Jedermann zugänglich. Sie stand wie alle ähnlichen 141 führt uns auf eine altägyptische fromme Sitte, die sich mit dem Gebrauche der katholischen Seelenmessen ver¬ gleichen lässt. Man bestellte nämlich bei den Priestern eine den Göttern, wol namentlich dem Osiris, für geliebte Todte darzubringende Opfergabe. Diese Opfergabe bestand darin, dass die Priester einen Krug mit einer Ibismumie in den Katakomben beisetzten. Die leinenen Einhüllungen, welche die Mumie zunächst umschliessen, erinnern durch ihre Verschiedenheit, ihre ungleiche Kostbarkeit, an den verschiedenen Rang derer, für die sie geopfert wurden, oder auch an die ungleiche Liberalität der Hinterbliebenen. Ausserdem hat man die Beobachtung gemacht, dass in man¬ chen Krügen innerhalb der Leinwandhülle, die gewöhnlich die Form eines Zuckerhuts mit abgestumpfter Spitze hat, ein Stäbchen die Stelle des Ibis vertritt. Anfangs hielt man dergleichen für falsche, nachgemachte Ibismumien. Aber eine solche Nachbildung wäre gewiss für die Beduinen weit kostspieliger und mühsamer als die Auffindung äch- ter Originale. Die Unächtheit daran kommt vielmehr auf Rechnung der ägyptischen Priester, die öfters solche Opfer¬ gaben mochten darzubringen haben, ohne den nöthigen Vogel zu besitzen. Wenn sie nun wagten, anstatt des Vogels ein Stäbchen zur Mumie zu machen und als solche in dem wohlverschlossenen Kruge beizusetzen, so konnten sie ruhig darüber schlafen. Erst jetzt, nach einer Verjährung von Jahrtausenden, kommt der fromme Betrug zu Tage. Nachdem Mariette meine kleine Sammlung von Alter- Lokalitäten unter der Oberaufsicht Mariette ’s, der den Titel eines Direktors der historischen Denkmäler in Aegypten führt. 142 thümern durch eine Anzahl griechischer Papyrusreste, die in der Umgegend unlängst gefunden und ihm gebracht worden waren, mit seltener Freigebigkeit vermehrt hatte, ritt ich desselben Tages noch nach Kairo zurück, wohin mich der unermüdliche Esel bei fortwährendem Trabe oder Galopp schon in viertehalb Stunden brachte. XIV. Heliopolis. Den gemachten Kairiner Ansflügen nach Westen müs¬ sen wir noch einen, wenn auch in aller Kürze, nach Nordost beifügen. Wir kommen von Memphis, seinen nach¬ barlichen Wunderbauten und Denkmälern, und müssen nach Heliopolis. Wie dort Mitrahenny mit seinen Hütten und seinen Palmen über den im Sande versunkenen Ruinen von Tempeln und Palästen steht, so hier Matarieh; doch hat das letztere noch ein engeres Band mit der üppigen Vegetation Aegyptens festzuhalten gewusst. Von Kairo liegt Matarieh kaum zwei Stunden entfernt; der Weg dahin fuhrt uns an der Abbassijeh vorbei, jenem schönen Schlosse, das sich Abbas Pascha nahe beim rothen Berge zwischen der Wüste und einer duftigen Flora erbaut hatte. Haben wir den anmuthigen Weg durch die mit Alleen von Akazien und Tamarisken prangenden Auen und die mit Früchten reich gesegneten Felder hinter uns, so steigen wir zunächst bei dem Garten ab, in dessen Umzäunung der vielgenannte 144 Obelisk von Heliopolis steht. Alle vier Seiten dieses Mo¬ noliths, der sechzig Fuss Höhe hat, sind mit Hieroglyphen belegt; nur haben zwei derselben so eindringliche Insekten- Ansiedlungen erfahren, dass sie unter ihrem dichten Ge- spinnste die alten Schriftzeichen völlig begruben. Die noch sichtbaren Theile des Textes nennen als Erbauer des Mo¬ numents Sesurtesen I., den die neueste Aegyptologie ins dritte Jahrtausend, Wilkinson ins 18. Jahrhundert vor Chr. setzt. Das ist also der einzige Zeuge von der Herrlichkeit jener Stadt geblieben, die viele Jahrhunderte, ja Jahrtau¬ sende lang als der Hauptsitz ägyptischer Wissenschaft, Weisheit und Gottesfurcht geglänzt, zu deren Mauern trotz der Zerstörungen durch die Vollstrecker prophetischen Strafworts, Nebukadnezar und Cambyses, noch Plato und Eratosthenes lernbegierig gewallfahrtet. Gerade mit diesem Obelisken hat sie ein Denkmal, würdig ihres Namens, auf die Nachwelt gebracht. Allem Vermuthen nach stand er einst vor dem berühmten Sonnentempel , dem grössten Heiligtliume und Glanzpunkte der Stadt, zu dessen Dienst auch jener Potiphera als Priester bestellt war, der seine Tochter Asnath Joseph dem Lieblinge Pharao’s zum Weibe gegeben. Da noch im Mittelalter, nach Abd-Allatif’s Zeug- niss, neben vielen anderen Monumenten selbst das in¬ schriftenreiche Portal des Tempels vorhanden war, so steht sicherlich dem ganzen untergegangenen Bauwerke eine ähnliche Auferstehung bevor, wie sie dem Serapeum ge¬ worden. Vorläufig sind wenigstens vereinzelte schöne Mar¬ morreste zu Tage getreten, darunter zwei Thürpfosten mit Inschriften aus dem 17. vorchristlichen Jahrhunderte nebst einem kunstreichen Architrav, sowie eine Löwenklaue von 145 einem der vielen Sphinxe, die ehedem den Weg zum Tem¬ pel schmückten. g Aber doch noch eine andere, eine lebendige Reliquie bewahrt Matarieh von den verfallenen Heiligthümern des alten Sonnengottes. Das ist der berühmte «Sonnenquell», der vielleicht ursprünglich Tempel und Stadt veranlasste. Im Mittelalter, wie aus Edrisi im 12., aus Abulfeda im 14. Jahrhundert erhellt, hiess nach ihm die ganze Ort¬ schaft Ain- Scherns, ein Name, der schon längst an die Stelle des von Jeremias genannten: Beth-Schems, «Sonnen¬ haus », getreten sein mochte.1 So sehr diesen Quell der Cultus des hohen ägyptischen Alterthums verherrlichte, so hat sich doch frühzeitig die christliche Sage seiner bemäch¬ tigt; denn die Erzählung, dass sie aufs Geheiss des gött¬ lichen Kindes zur Erquickung der dürstenden Eltern her¬ vorgesprudelt, ist schon im syrisch-arabischen Kindheits¬ evangelium angedeutet.2 Erst neuerdings ist auf die viel- 1 An « Ain - Scherns » lehnt sich auch der Name Matarieh (frisches Wasser?) an. Da dieser jetzt gebräuchliche Name schon im syrisch - arabischen Kindheitsevangelium gelesen wird («ad sycomorum illam digressi sunt, quae hodie Matarea vocatur», Kap. XXI Y. S. meine Evangg. apocrypha, S. 184), so reicht er über das 12. Jahrhundert zurück. Wahrscheinlich aber wurde anfangs nur die Sykomore in Rücksicht auf den Quell daneben damit benannt. 2 Am angeführten Orte heisst’s unmittelbar weiter : « et pro- duxit dominus Jesus fontem in Matarea, in quo hera Maria subu- culam (Brustlatz) eius lavit». Die gemüthliche Beschreibung dieses Wunders lautet bei Fabri (Bl. 162): «Da Joseph mit dem Kind Jesu und mit seiner Mutter Maria war aus dem heiligen Lande geflohen von Herodes wegen, und durch die Wüsten war kom- Tischendorf, Aus dem heiligen Lande. 10 146 hundertjährige Verehrung seines erfrischenden und segens¬ reichen Wassers, welcher frühere Reiseberichte den vollsten Ausdruck gaben,* 1 die Prosa ägyptischer Industrie gefolgt; man begnügte sich nicht mehr, wie früher (und zwar schon 1483), nahe beim Wasser Schöpfräder durch Büffel treiben zu lassen, man dehnte vielmehr diese Schöpfräder bis zum Quelle selbst aus. Vom Quell haben wir nur wenig Schritte zu der an¬ dern in gleichem Ansehen und im engsten Zusammenhänge mit ihm stehenden Reliquie des christlichen Sagenkreises, zu jener Sykomore, unter welcher die heilige Familie auf ihrer Flucht nach Aegypten Ruhe und Sicherheit gefunden haben soll. Auch dies deutet das genannte apokryphische Evangelium nur an, während sich anderwärts und in der lebendigen Ueberlieferung reiche Ausschmückungen davon men bis hieher in das Dorf, in dem Egyptenland anhebet, da zog der gute Joseph mit dem Kinde und der Mutter von einem Haus zu dem andern, und hätte gern einen Trunk Wassers gehabt für sich und seine Gesellschaft)) - «Da hat sich Maria mit dem Kinde in dem Dürsten niedergesetzt, hie an diesem Ort, und Joseph mit grossem Mit leiden stund da. Also ist in der Stund der Brunn da entsprungen , Marie der Mutter Gottes an ihrer Seiten. Aus dem trank sie und das Kind und Joseph, und kochten draus». 1 Bei Fabri Bl. 163 lieisst’s unter Anderem: «Unsrer Frauen Brunn, der hat sein Wasser unter dem Erdreich her aus dem heiligen Nil, der aus dem Paradeis kommt. In dem heiligen Brunnen badeten wir mit grossem Lust». «Nach dem Essen zogen sich unsere Siechen aus und badeten in dem Brunnen, und hofften, sie würden von dem Bad gesund, als auch geschah. Die Heiden waschen sich viel und oft aus dem Wasser, dass ihnen vergehe der böse Geschmack». 147 erhalten haben.1 Dieser Maulbeerfeigenbaum, der noch immer alljährlich seine Früchte, eine besondere Art Feigen, trägt, ist in der That eine grosse Merkwürdigkeit. Aus drei gewaltigen Wurzeln steigen fünf starke Aeste auf, von denen sich jetzt nur noch zwei fortsetzen2 und dem- ungeachtet einen Baum von seltener Grösse bilden. Der Umfang der fünf Wurzeläste beträgt zehn Fuss. Dass er Jahrhunderte alt ist, verräth seine ganze Erscheinung. Da ihn aber schon Fabri als einen «sehr grossen dicken » und «sehr alten Feigenbaum» beschreibt, in dessen hohlem Stamme «zwo Ampeln» brannten, «unserer Frauen zu Ehren angezündet», so kann er jetzt ebenso gut das doppelte und ein noch höheres Alter haben ; setzt doch schon das syrisch - arabische Kindheitsbuch die Sykomore als be- 1 Fabri erzählt davon Bl. 164: «Die gemeine Sage der Christen und der Heiden ist, da Maria an dem Ort war und ihr Kind Jesum auf ihrem Arm trug und da im Garten um¬ ging, als sie unter diesen Baum kam und da niedergesessen wollt sein zu ruhen, da spilt der Baum auf und ward innen hohl. Da verstund Maria, dass ihr Gott den Baum zugerich¬ tet hatte, und ging mit dem Kinde in den Baum, und satzte sich drinne nieder und ruhete da. In den Baum gingen wir Pilgrin auch und thaten unser Gebet da. Der Baum hanget voll grosser Feigen, nicht der gemeinen Feigen, sondern Fei¬ gen Pharaon, von denen assen wir und nahmen Holz darvon, das soll gut für das Fieber sein, wenn man darvon trinkt.» Andere Beisende erzählen, dass sich der Baum geöffnet habe, um Maria mit dem Kinde vor verfolgenden Räubern sicher zu stellen. 2 Thevenot’s Bericht zufolge ist die andere Hälfte des seit Jahrhunderten als hohl bezeichneten Stammes im Jahre 1656 zusammengebrochen. 10* 148 kannt voraus, von der sich nicht gerade ein ebenso glück¬ licher Doppelgänger annehmen lässt. Wie derselbe Baum zu Fabri’s Zeit in dem vielgeprie¬ senen Balsamgarten stand, dessen Ursprung lange vor den mittelalterlichen Reisebeschreibungen schon unser orien¬ talisches Märchenbuch gleichfalls auf die Wunderkräfte des Gotteskindes zurückgeführt,1 so umgibt ihn heutzutage wenigstens noch ein prächtiger Garten, worin Mitte Fe¬ bruar anstatt der Balsamstauden Pfirsiche und Aprikosen, Orangen und Limonen, auch die schönsten Centifolien blühten und dufteten. 1 A. a. 0. steht: «Ex sudore autem domini Jesu, quem illa ibi sparsit, balsamum in illa regione provenit». XV. Verlauf der Kairiner Verhandlungen. Es ist der edlen Gesinnungen gegen Kaiser Alexander Erwähnung geschehen, die mir im Kloster der Sinaiten ausgesprochen worden waren. Im Verlaufe meines Verkehrs mit demselben wurde mir in der That die lebhafteste Hoff¬ nung erregt, es werde eine solche Schenkung der Hand¬ schrift heim neuen Erzbischöfe, sobald er nur ernannt sein werde, und bei den Deputirten zum Antrag kommen. In der Osterwoche fand die Wahl statt; trotz gewisser von hoch¬ geistlicher Seite versuchter Gegensätze, fiel sie einstimmig zu Gunsten eines von Constantinopel eingetroffenen Arclii- mandriten Namens Cyrill aus, eines Mannes, der die ihm vom verstorbenen Erzbischöfe gewidmete Empfehlung durch seine Talente, seine Erfahrungen, seinen Charakter, seine Energie zu rechtfertigen schien. Als ich bald nach vollzoge¬ ner Wahl die Ehre hatte, ihn und mehrere Prioren hei mir zu sehen, wurde mir die überraschende Eröffnung gemacht, dass an die angeregte Schenkung nicht eher ernstlich ge¬ dacht werden könne, als bis der Erzbischof seine Weihe 150 durch den Patriarchen von Jerusalem, sowie seine Aner¬ kennung seitens der hohen Pforte und des Yicekönigs von Aegypten erhalten haben werde. Es lag darin ein Beweis, wie streng sich der neue Erzbischof daran hielt, dass seine von fremder höherer Gewalt unabhängigen Befugnisse in Betreff des Klostereigenthums erst von seiner vollendeten öffentlichen Anerkennung datiren würden. Da mir zugleich gesagt wurde, dass höchstens drei Monate erforderlich wären um alles zu erreichen was noch rückständig, so war schnell mein Entschluss gefasst, die nächsten Ziel¬ punkte der mir anvertrauten Mission unverweilt zu ver¬ folgen. Allerdings war meine Revision der fertigen Abschrift noch nicht ganz vollendet ; aber zu besonderer Beschleuni¬ gung reizte mich der Wunsch an, den Grossfürsten Con- stantin in Jerusalem zu treffen. Als er mich im October vorher auf dem Schlosse zu Altenburg empfangen und die huldreichste Theilnahme an meinem Unternehmen ausge¬ sprochen hatte, hatte er die Ausdehnung seiner Reise bis aufs gelohte Land wenigstens für möglich gehalten. Seit einiger Zeit brachten nun die öffentlichen Blätter Andeu¬ tungen in demselben Sinne. Noch eh’ ich aber Kairo verliess, machte mir der Patriarch von Alexandrien, ein durch seine Bildung hervorragender Prälat, als er meinen Besuch erwiederte, die Mittheilung, dass der Sultan dem Patriarchen von Jerusalem ein Dampfschiff zur Verfügung gestellt habe, um zum Empfange Sr. Kaiserl. Hoheit in die heilige Stadt zu eilen. Darnach konnte ich, allem An¬ scheine nach, leichter zu spät als zu früh kommen. XVI. Abreise und Quarantäne. Zu den grössten Plagen des Orients gehört nicht nur die Städte und Länder verwüstende Pest, sondern auch die zu ihrer Abwehr erfundene Quarantäne. Dieses zur rechten Zeit ohne Zweifel heilsame und nöthige Institut wird nämlich, und zwa||in seiner ganzen Schroffheit, auch zu solchen Zeiten gehandhabt, wo selbst der Gedanke an Epidemie ungerechtfertigt ist und nur bei medicinischen Charlatans vermöge ihrer Vertrautheit mit den Begriffen orientalischer Speculation Vertretung findet. Den Charak¬ ter einer solchen Zeit trug die damals an den asiatischen Küsten des Mittelmeeres über alles was aus Aegypten kam verhängte Quarantäne. Während Kairo und Alexandrien sammt ihren Umgebungen einer seltenen Gesundheitsfrische sich erfreuten, musste sich doch alles was daher stammte, Menschen Güter und Vieh, an den türkischen Küsten als pestverdächtig behandeln lassen. Die Folge dieser wider¬ sinnigen Massregel war die grösste Lähmung des Verkehrs zwischen Aegypten und der Türkei; weder der österrei- 152 chische Lloyd noch andere europäische Schiffahrtsgesell¬ schaften vermittelten wie gewöhnlich diesen Verkehr; er blieb vielmehr nur einigen von Zeit zu Zeit gehendem türkischen Schiffen überlassen, deren Unsicherheit durch zwei schreckliche Katastrophen ausser allen Zweifel ge¬ stellt war. Da ein solches Verfahren der türkischen Sa¬ nitätsbehörden zumeist europäische Interessen beeinträch¬ tigt, namentlich alle aus europäischen Ländern kommende Reisende, so lässt sich wol mit Recht fragen, ob denn die Gesandtschaften zu Constantinopel allzu beschäftigt oder zu lässig sind, um ihre Landsleute vor dergleichen Unbill türkischer Willkür zu schützen. Die Hoffnung auf die Aufhebung der syrischen Qua¬ rantäne war schon in den Monaten März und April in Aegypten verbreitet; eine Rücksichtnahme auf die so zahl¬ reich aus allen Ländern nach Jerusalem wandernden Oster¬ pilger war sehr nahe gelegt. Nijofetsdestoweniger dauerte das Liebei fort; nur erschien Ende April der Generalin¬ spector der Quarantäne von Constantinopel in Alexandrien und stellte, da er alles in so herrlichem Zustande fand, die Beseitigung in nahe Aussicht. Unter diesen Umständen suchte ich in Alexandrien anfangs Mai umsonst nach einem für die Fahrt nach Jaffa bestimmten Schiffe. Da sich jedoch noch drei Reisegefährten zu mir fanden, ein russischer General, ein preussischer Hu¬ saren - Lieutenant und ein amerikanischer Gentleman, so i stellte uns die türkische Dampfschiffgesellschaft ein Schiff zur Disposition, allerdings gegen hohe Preise und zugleich in der Erwartung, dass die gebotene Gelegenheit auch noch manche andere anlocken werde. Diese Erwartung trügte 153 nicht. Denn als wir am Morgen des 5. Mai unser Schiff bestiegen, fanden wir es von nicht weniger als fünfzig Passagieren bereits besetzt. In ihrer Zahl befanden sich jüdische und mohammedanische Priester, sowie griechische und lateinische Mönche. Der Capitän, Hassan -Bey, ein vollblütiger Türke, hielt nach seinen Erfahrungen dieses Zusammentreffen für das Vorzeichen einer bösen Fahrt. Das Meer, auf dem wir fuhren, musste uns ohnedies an Jonas erinnern; denn gerade zu Jaffa hatte der Prophet sich eingeschifft, als er von den Schiffsleuten zur Besänf¬ tigung der empörten Wogen ausgeworfen wurde. Dennoch hatten wir eine glückliche Fahrt; selbst den verrufenen Hafen von Jaffa fanden wir in völliger Buhe, so dass wir schon am 6. des Nachmittags die türkische Kajüte ver¬ lassen konnten. Da die Sonne dem Untergange nahe war, so drängte sich alles auf die Ausschiffungsbarken. Die unsrige war übervoll beladen. Ihre Mannschaft verstand sich so gut auf ihr Handwerk, dass wir, die drei Christen und Franken — der General blieb auf dem Schiffe — genöthigt wurden durch wenigstens dreifache Bezahlung die türkische Gesellschaft freizuhalten; auch fuhren sie uns nicht eher wirklich ans Land, als bis wir ihnen die blanken Thaler hingeworfen. Es war eine Erinnerung daran, dass wir in einem barbarischen Lande waren; denn wir waren der Willkür dieser Menschen in ihrem schwanken Fahrzeuge im Augenblicke hereinbrechender Dunkelheit völlig preisgegeben. Dazu mussten wir uns auch noch ebenso wie unsere Bagage auf den Schultern der Schiffs¬ leute durch das seichte Ufer ans Trockene tragen lassen. Nachdem wir endlich Land unter den Füssen fühlten, 154 stand uns zu gastlichem Empfange nur das Thor der Quarantäne offen. Dieses trostlose Gebäude bildet ein Viereck; inmitten ist ein Hofraum mit einigen spärlichen Anpflanzungen und einem Brunnen; um denselben herum liegen die grossem und kleinern Gemächer, die jedoch mehr Aehnlichkeit mit Ställen als mit Wohnungen haben. Von Hausgeräth fehlt in den meisten jede Spur; nur in dem meinigen, vom Guardian als la piu bella bezeichnet, stand ein hölzerner Ecktisch. Die sonstige bellezza be¬ schränkte sich auf die Kleinheit des Zimmers, auf die Ausstattung mit drei sogenannten Fenstern oder vielmehr Luftlöchern, auf eine Wandnische und eine hölzerne an der einen Seite erhöhte Diele. Die in unserer Schiffgesell¬ schaft befindlichen Damen, einige Griechinnen, Russinnen, Jüdinnen, geriethen in besonders beklagenswerte Lage. Die Quarantäne- Wächter hatten geradezu das Aussehen von Bettelbuben; sie trugen auf dem blosen Leibe einige Lumpen, von denen sie sich unbedenklich einen Fidibus abreissen liessen, und führten als offizielle Waffe einen Knittel. Erst in den letzten Tagen erschien der hinkende Oberwächter, welcher besser als seine Gehilfen angethan war. Aller Verkehr nach aussen war an lächerliche Förm¬ lichkeiten gebunden. Die Möglichkeit, sich satt zu essen, war wol jedem einzelnen gewahrt; sie vertrat aber zugleich auch den Luxus der Tafel. Fast eine Woche sollten wir in dieser Gefangenschaft verbringen; zweimal während dieser Zeit zeigte sich der Arzt, ein Franzose; das zweite Mal zugleich, um uns die Rechnung zu machen. Käme in der That Jemand mit Krankheitsdispositionen an einen solchen Ort, und wie leicht geschieht dies nach beschwer- 155 licher Seefahrt, so könnte er schwerlich in eine ungünsti¬ gere Lage versetzt werden; gesunde Reisende hingegen müssen sich glücklich preisen, aus so unreinlichen wider¬ lichen Räumlichkeiten mit heiler Haut davon zu kommen. Als ich auf einer früheren Reise in solch eine orientalische Quarantäne gerieth, drohte ich dem Arzte mit einer Be¬ schwerdeführung bei der höchsten Behörde. Er antwortete darauf dass ihm das ganz recht sei, und noch mehr, wenn die Beschwerde Erfolg haben sollte; aber, fügte er hinzu, man hat sich schon oft beschwert ohne den geringsten Erfolg. Noch eines komischen Zwischenfalls sei gedacht. Ein Schottländer ging bei Sonnenuntergang, da er die Thür offen und unbewacht fand, hinaus ans Meeresufer und wandelte eine Viertelstunde auf und ah. Dann bemerkten es die Wächter und holten ihn herein. Der Vorfall wurde dem Gouverneur von Jaffa berichtet; er schickte sofort einen Trupp Soldaten in die Quarantäne zur Untersuchung des Vergehens. Oh nun schon der Offizier des Trupps das Lächerliche der Sache zu begreifen schien, so wurden doch von da ab die sämmtlichen Thore mit Militär besetzt, zu¬ mal da schon vorher, als ein Jude einem der oben charak- terisirten Wächterbuben eine Unart mit einem Schlage ver¬ wiesen hatte, an dieselbe hohe Stelle von « Gewalttätig¬ keiten» der Quarantäne -Insassen berichtet worden war. i XVII. Nach Jerusalem. Grossfürst Constantin und sein Einzug. Doch gehen wir von dem freudlosen Bilde zu einem freundlicheren über. Bald nach der Mittagsstunde des 10. Mai erspähten wir am Horizonte die Masten zweier Fregatten, die aus Norden, allem Anscheine nach aus Griechenland kamen. Da ihr Erscheinen sogleich von der russischen und allen anderen Consulatsflaggen zu Jaffa be- griisst wurde, so blieb kein Zweifel darüber, dass sie den lange erwarteten hohen Gast, den Grossfürsten Constantin, ans Gestade des heiligen Landes führten. Die beiden Fre¬ gatten, zu denen später noch ein Linienschiff kam, hatten noch nicht lange Anker geworfen, als sich die aufgeregten Wogen hindurch eine Consularbarke an Bord derjenigen mit der Admiralsflagge wagte. Es waren die Consuln von Jerusalem und von Jaffa und der Generalconsul von Syrien, welche sich beeilten, den hohen Ankömmlingen das erste Willkommen entgegen zu bringen. Trotz der unruhigen See, die freilich vor Jaffa selten fehlt, fuhren nur eine Stunde später der Grossfürst und die Grossfürstin mit ihrem die 157 erlauchten Eltern begleitenden ältesten Sohne Nikolaus ans Land. Als sie den Kai betraten, wohin die Bevölkerung massenhaft zusammengeströmt war, wurden sie durch den Erzbischof von Petra, als Yicar des Patriarchen, sowie durch den Caimakam von Jaffa und den Commandanten der dortigen Besatzung empfangen. Sie begaben sich, von einer wogenden Menge umringt, in die griechische Kathedrale zu einem Te deum, und betraten darauf die für sie bereit gehal¬ tenen Gemächer im griechischen Kloster, an dessen Eingang Bischof Cyrill, der Vorstand der erst unlängst von Russland in Jerusalem gestifteten geistlichen Mission, zu feierlicher Begrüssung harrte. Dort, im Kloster, wurden des Abends nach eingenommener Mahlzeit, ausser den russischen, auch die übrigen Consuln und Notabein von Jaffa empfangen. Mit der festlich bewegten Stadt contrastirte die Quaran¬ täne. Unser Unmuth darüber, dass wir noch immer hinter ihren Mauern sassen, steigerte sich begreiflicherweise durch das Schauspiel vor unseren Augen. Wir hatten nicht unter¬ lassen, unter russischer, englischer und preussischer Consu- latsvermittlung der Sanitätsbehörde das Widersinnige ihres Verfahrens begreiflich zu machen; dennoch erreichten wir erst am Morgen des 11. als besondere Gunst das Ende unserer Haft. Trotz dieser Haft nämlich hatte auch ich bereits am 10. des Abends den Grossfürsten im heiligen Lande bewillkommnet. Aus Alexandrien hatte ich ein an denselben gerichtetes Schreiben mit der Nachricht vom Sinaitischen Funde nach Jerusalem gesandt. Der dortige Consul überreichte dieses Schreiben beim Abendempfange im Kloster; es erregte des Grossfürsten lebhafteste Freude. War es doch auch eine herrliche Fügung, dass derselbe 158 gerade zum Willkommen im heiligen Lande mit der Kunde überrascht wurde, dass die von seiner eigenen hohen Gunst getragene wissenschaftliche Mission die Auffindung der äl¬ testen und wichtigsten Bihelurkunde zur Folge gehabt. Da der bei Oeffnung des Schreibens anwesende russische Viceconsul zu Jaffa zugleich meinen Aufenthalt in der Quarantäne meldete, so erschien derselbe in der Frühe des 11. Mai mit einer Botschaft des Grossfürsten an mich, und nur eine Stunde später kam der Quarantäne- Arzt um uns unsere Freiheit zu schenken. Dank der freundlichen Fürsorge des preussisclien Viceconsuls, eines wohlhabenden Armeniers, erhielten wir vier, d. h. ich und der preussische Lieutenant mit dem Amerikaner und dem Schottländer, sogar noch ein Pferd, vier Maulthiere und einen Esel zum sofortigen Aufbruche nach Jerusalem. Nach reichlich gespendetem Backschisch an alle uns dienstbar gewordenen Geister ritten wir gegen 9 Uhr bei fast 20° R. hinaus auf die lachenden Fluren von Jaffa. Zwischen endlosen zu lebendigen Mauern ge¬ wordenen Hecken von Cactusfeigen, hinter denen in feuri¬ gem Roth blühende Granaten und von goldenen Früchten strotzende Orangen- und Citronenbäume überall hervor¬ sahen, gelangten wir in die berühmte, vom Propheten Jesaja und im Hohenliede gefeierte Ebene Saron. Ihre Rosen und auch ihre Lilien hatten freilich schon abge¬ blüht; aber das Auge weidete sich ringsum am frischen blumigen Grün und an üppigen Getreidefeldern; bei den Dörfern am Wege und in der Ferne, freilich fast nur von Hütten aus Lehm oder Stein gebildet, fehlte es auch nicht an Oliven- und Feigenbäumen. Yazur, wol Ueberbleibsel 159 der alten kriegsberühmten Königsstadt Gaser, Beit Ded- schan, mit seinem Namen an den alten Philistergötzen Dagon erinnernd, Sarafend, im 6. Jahrhundert ein Bischofs¬ sitz, lagen nahe an unserem Wege; dagegen grösste uns nur aus der Ferne, von einer Anhöhe nördlich von uns, jenes Lydda, wo Petrus den kranken Aeneas geheilt und der heilige Georg, der Drachenbändiger, unter Diokletian geblutet. Yon seinen vielen Erinnerungen zeugen noch jetzt einige Ruinen. Um die Mittagsstunde erspähten wir vor uns die Spitze des berühmten alten Thurmes bei Ramleh; fünfzehn Jahre früher bestieg ich ihn, um von seiner Höhe den ersten Blick auf das im Osten schroff und öde hervortretende Gebirg Juda zu werfen. Bald winkten uns auch, inmitten dunkelgrüner Haine, die schimmernden Minarets der Stadt entgegen, jener auch von tausend Christen bewohnten Stadt, in der, seit den Kreuzzügen wenigstens, das biblische Ari- mathia, die Heimath dessen der in seinem Felsengrabe den Herrn bestattet, von frommen Augen wieder erkannt wird. Gegen 1 Uhr hielten wir am Portale des lateinischen nach Nikodemus benannten Klosters. Nachdem wir in den stillen freundlichen Räumen des¬ selben einige Stunden gastliche Aufnahme genossen, zogen wir weiter. In den Strassen der Stadt trafen wir Gruppen schmucker Leute, die einem festlicheren Auszuge galten als der unsrige war; und kaum hatten wir das freie Feld erreicht, so sahen wir in geringer Entfernung vor uns die grossfürstliche Karavane desselben Weges ziehen. Sie war früh um 7 Uhr von Jaffa aufgebrochen, hatte die heissen Mittagsstunden im griechischen Kloster zu Ramleh ge- 160 rastet, wo ein grosses Zelt für die seltenen Gäste auf- geschlagen worden war, und hatte nun kurz vor uns, gegen 4 Uhr, die Stadt verlassen. Den Anfang der Karavane bildete ein sehr stattlicher Reiterzug. Voraus ritten der Erzbischof von Petra in geistlicher Tracht, der Caimakam von Jaffa und der Commandant der dortigen Garnison, gefolgt von einer in ihren Waffen und bunten Uniformen glänzenden Truppe regulärer Soldaten und Baschi-Bozuks. Der Grossfürst ritt einen Schimmel von edler arabischer Race, den der Pascha-Gouverneur von Jerusalem nach Jaffa entgegen geschickt hatte. Die Grossfürstin bediente sich eines gleichfalls vom Pascha geschickten türkischen Trag¬ sessels, kutschenartig gebaut und getragen von zwei Maul- thieren, deren Leitung zwei Arabern anvertraut war, wäh¬ rend noch ausserdem 14 Mann von der Garde -Equipage des Grossadmirals die Leib-Escorte der hohen Frau bil¬ deten. Die Damen in ihrer Begleitung bedienten sich gewöhnlicher Sänften, mit Ausnahme der jungen Gräfin Kamarofsky, die beritten war. Der zehnjährige Prinz, Grossfürst Nikolaus, ritt ein Pferd, dessen Sattel — ein Geschenk der Königin von Griechenland — nach Art eines Armstuhls , eingerichtet war. Das grossfürstliche Gefolge mochte gegen hundert Reiter zählen. Wir nennen davon den wirkl. Staatsrath Mansuroff, der mit der Oberleitung der Reise beauftragt war, den Leibarzt Haurowitz, einen der treuesten Diener seines erlauchten Herrn, den Geheim¬ rath Golownin, eine ernste Persönlichkeit, den Hofmarschall Tschitscherin, den seine Gemahlin begleitete, den Contre- admiral Istomin , Schiffskapitän Baron Taube nebst acht andern Offizieren von der Escadre, die drei Adjutanten 161 Lissianski, Likhatschoff, Baron Boye, die beiden Gouver¬ neure des jungen Prinzen Baron Mirbach und Gorkovenko, den sprachkundigen atheniensischen Legationssekretär Ku- mani, die russischen Consuln von Syrien, von Jerusalem, von Jaffa. Ein grosser Theil dieser Reiter trug leichte weisse Sommerkleidung, auch weisse Seemanns -Mützen, gleich dem Grossfürsten, dem noch ein weisser Burnus — ein Andenken von seiner früheren Reise nach Algier — um die Schultern flatterte. Den Schluss der Karavane bildete ein Trupp Fussvolk; es waren 300 Mann von der Escadre, sämmtlich von Kopf bis zu Fuss in weisser Seemannstracht, mit den Miniebüchsen über der Schulter, einen Tambour in ihrer Mitte. Zu Fuss ging aber auch, einem getlianen Gelübde zu Folge, während der ganzen Pilgerfahrt durchs heilige Land der brave Hausgeistliche des Grossfürsten. Wie nun diese Karavane vor unseren Augen in langer Linie durch die Felder dem Wege entlang zog, gewährte sie einen reizenden Anblick. Ihresgleichen mag die grosse Pilgerstrasse, obschon sie alljährlich Tausende aus naher und weiter Ferne demselben theueren Ziele entgegenfuhrt, schwerlich seit den Kreuzzügen gesehen haben. Die Er¬ innerung an die letzteren, an jene wunderbaren Regungen eines grossartigen christlichen Patriotismus, stieg unwill¬ kürlich in meiner Seele auf. Wir hatten gegen 3 Stunden Ramleh verlassen, als wir an zwei sehr merkwürdigen Oertlichkeiten vorbeikamen, deren eine dicht an unserem Wege, die andere 20 Minuten davon entfernt lag. Die auf imposanter Höhe gelegenen ansehnlichen Ruinen tragen seit Jahrhunderten den Namen % Tischendorf, Aua dem heiligen Lande. 11 162 Latrun oder castellum latronis, da hier die Mönche des Mittelalters die Heimath des am Kreuze begnadigten Schä¬ chers wiedererkennen wollten. Mit mehr Grund machen sie aber auf die Ehre glorreicher Makkabäischer Er¬ innerungen Anspruch; ja selbst die sieben Grabpyrami¬ den des Simon , « sichtbar vom Meere aus » , mögen hier gestanden haben. Und zu so altem Ruhme fügten die Kreuzfahrer unter Gottfried noch den hinzu, dass sie hier zum letzten Male lagerten, bevor sie unter den Mauern Jerusalems ankamen. Nicht Geringeres knüpft sich aber an die anderen weniger hervortretenden Ruinen. Da sie nämlich auf die gleichfalls durch die Makkabäer bekannte Stadt Emmaus, das spätere Nikopolis, von umsichtiger Forschung zurückgeführt werden, so fällt ihnen nach der ältesten Tradition, bezeugt durch Eusebius und Hierony¬ mus, auch die Erinnerung an jene wunderbare Begegnung des Auferstandenen mit den beiden wandernden Jüngern zu. Obschon hierbei die beträchtliche Entfernung von Je¬ rusalem auffällt , so stimmt es doch vielleicht sogar mit dem ursprünglichen Texte des Lucas selbst zusammen.1 1 Robinson (Palästina, 1841. III, 282) bemerkt hierüber, nachdem er angeführt dass Eusebius und Hieronymus dieselbe Ansicht, die von der Identität beider Ortschaften, vertreten: «Man ist fast versucht zu argwöhnen, die gewöhnliche Lesart bei Lukas 24, 13 möge 160 statt 60 Stadien gewesen sein, welches alsdann auf Nikopolis führen würde. Aber es findet sich keine Variante zur Begründung einer solchen Ansicht; siehe die Ausgaben von Wetstein und Griesbach». Der textkritische Bestand liegt nunmehr ganz anders vor. Denn sowol mehrere sehr alte griechische Handschriften als auch Versionen (siehe mein Nov. Test. Ed. VII. crit. maj. 1859) bieten in der That die 163 • \ Endlich kam zu den grossen Erinnerungen, in deren Kreis wir eingetreten waren, die an jenen Ausruf des siegreichen Heerführers Josua hinzu: «Mond, steh still im Thal Ajalon » ; denn dieses Thal mit seinem Dorfe Yalo war nur unfern nordöstlich von uns gelegen. Dass wir nunmehr das Gebirg Juda erreicht hatten, bewies unser eigener Weg, der immer unebener und rauher wurde. Bei hereinbrechendem Dunkel hatten wir ein so beschwerliches lang ausgedehntes Steinicht bergauf und bergab zu durchreiten, dass man hatte glauben mögen, dies sei unmöglich der rechte, alljährlich von so viel Tau¬ senden von Pilgern betretene Weg.* 1 Bald brachte wildes über den Weg laufendes Strauch - und Wurzelwerk ein Hinderniss, bald kreuz und quer liegende Felsblöcke und Steingeröll; bald war der Boden von den Gebirgswassern zerrissen und verlangte Vorsicht bei jedem Schritt und Tritt. Galt dies schon für den einzelnen Beiter, so galt es noch viel mehr für diese grosse und so mannichfach zu¬ sammengesetzte Karavane. Der Mond war aufgegangen, aber er spendete mit seiner schmalen Scheibe nur ein schwaches Licht. Zur Ergänzung desselben loderten zahl- Lesart 160 Stadien dar. Am wichtigsten und überraschendsten ist aber, dass für dieselbe Lesart jetzt auch noch die Autorität der Sinaitischen Handschrift eintritt. 1 Erst im Herbste des Jahres 1859 ist die Verbesserung dieser grossen Pilgerstrasse, worauf Jahrhunderte lang gewartet worden, zur Ausführung gekommen. Wahrscheinlich wirkte hierzu wesentlicli der Umstand, dass, nachdem bereits das österreichische Generalconsulat zu Jerusalem die Concession zu dem so nöthigen und so wohlthätigen Unternehmen erlangt hatte, auch noch von russischer Seite darum nachgesucht ward. 11* 164 reiche Fackeln, wodurch ein höchst malerischer Effekt erzielt wurde. Wo die Karavane ein wenig stockte, und daran konnte es nicht fehlen, da sprengten Baschi-Bo- zuks hinzu, das Dickicht an den Seiten des Wegs durch- , brechend. Die Grossfürstin hatte beim Auszug aus Ramlelf einen türkischen Schimmel bestiegen; als sie ihn später wieder nebst dem jungen Prinzen mit dem von Maulthieren ge¬ tragenen Kutschsessel vertauschte, wurde dieser bei der Un¬ sicherheit des Wegs von vier Mann gehalten und gestützt. Der Grossfürst selbst ritt nahe dabei; er bewunderte die Unerschrockenheit seiner Gemahlin bei den schwierigsten Stellen dieses abschreckenden Pilgerpfades.1 Nach 9 Uhr endlich war das Ziel des Tages gewonnen. * Inmitten des Walds teinichts hatten wir eine Bergfläche, den höchsten Punkt dieses Gebirgs, erreicht, wo einige Hütten den alten, schon von den 70 Uebersetzern erwähn¬ ten Namen Saris tragen. Hier war eine beträchtliche An¬ zahl grösserer und kleinerer Zelte aufgeschlagen worden, um der Karavane als Nachtquartier zu dienen. Von den Hütten des Dorfes, das freilich vor fast 30 Jahren Ibrahim Pascha zerstörte, sah ich nichts, wahrscheinlich standen sie nicht in unserer unmittelbaren Nähe; wol aber lagerten bereits daselbst zahlreiche Kamele und Maulthiere, die mit der umfänglichen Bagage vorausgeschickt worden waren. Bald war auch für leibliche Erquickungen der sehr ermüdeten Wanderer gesorgt; nur war noch erquicken¬ der die Ruhe selbst, wenn schon die Ruhestätte, wenig- 1 Siehe das diese Wanderung darstellende Bildchen. 165 stens die meinige, die in der Quarantäne verlassene in den Ruf der Bequemlichkeit bringen konnte. Aber einer besondern Ueberraschung muss ich noch gedenken. Der Grossfürst war kaum in sein nächtliches Zelt eingetreten, so erschien vor ihm plötzlich Mustapha Abu Ghosch, dessen Name vor Zeiten der Schrecken aller Wandersleute in dieser Gegend gewesen. Er kam in blan¬ kem Waffenschmuck, doch begreiflicher Weise nur zur Bezeigung seines unterthänigen Respekts. Als der Morgen anbrach, sahen wir dass wir in recht romantischer Gegend gelagert waren. Runde, mit Oliven, mit Bäumen und Sträuchern des Johannisbrots, mit nie¬ deren Stacheleichen, mit Wachholdergebüsch und anderem Laubwerke bewachsene Hügel, deren einer neben dem andern sich erhob, charakterisirten die Landschaft. Den- noch verliessen wol alle sehr gern zu guter Stunde die Zelte; stand doch allen Aug’ und Herz nach Jerusalem gerichtet. Schon um 6 brach der grosse Pilgerzug wieder auf. So freundlich auch die Landschaft war, unser Weg wurde dem Charakter, den er des Abends vorher angenommen, nicht ganz untreu. Bald nach unserem Aufbruche kam nochmals der schon als nächtlicher Gast empfangene Mu¬ stapha Abu Ghosch dem Grossfürsten entgegengeritten, und zwar in der Absicht, ihn um die Ehre eines Besuches in seiner Veste, seinem Schlosse zu bitten. Gegenwärtig ist derselbe das Oberhaupt der Beduinen Palästina’s, und als solcher nach den Verhältnissen dieses barbarischen Landes immerhin ein Mann von fürstlichem Ansehen. Vater und Grossvater haben ihren Namen zum gefürch- V. 166 tetsten des Landes und zum Schrecken aller Pilger zu machen gewusst. Auch Mustapha, noch jetzt ein Mann vom stattlichsten Wüchse, den Ausdruck der Energie in seiner Haltung wie in seinen Zügen, wandelte eine Zeitlang in ihren Fusstapfen; seinen Vater erlöste er von der Galeere durch tausend Mann Hilfsvolk, die er Ibrahim Pascha stellte; später traf ihn selbst Gefangenschaft und Exil, bis er 1851 im Triumph heimkehrte, und es nun vorzog das angeerbte Strassenhandwerk mit den Künsten des Friedens, das Schwert mit dem Spaten zu vertauschen. Davon überzeugten wir uns später mit eigenen Augen, als wir seine Residenz passirten. Diese Residenz zeichnet sich nämlich durch vortreffliche Anpflanzungen von Oliven, Feigen und Wein und andere ähnliche aus; auch hat sie eine ansehnliche Moschee und mehrere steinerne Häuser, eine seltene Erscheinung in dieser Gegend. Uebrigens ver¬ schmähte es der Grossfürst mit seiner Gemahlin nicht, eine Viertelstunde bei dem Beduinen chef abzusteigen, der seiner¬ seits, dem Brauche der orientalischen Salons gemäss, Kaffee, Pfeifen und Confitüren präsentiren liess. Vom hochgelegenen Castell führt der Weg in ein Thal nieder, wo noch ansehnliche Mauer -Ruinen einer mittel¬ alterlichen Kirche übrig sind. Aus dem Thale führt der Weg wieder auf die Höhe, und, auf ihrer Spitze angelangt, hatten wir wieder einen schroffen steinigen Bergpfad ab¬ wärts zu steigen. Ehe wir ihn betraten, wurde mir mit- getheilt, der Grossfürst, benachrichtigt dass ich bei der Karavane sei, wünsche mich zu sprechen. Dies zu be¬ werkstelligen war nicht leicht, da ich mit meinem wenig regelrecht aufgezäumten Gaul, der freilich vollkommen 167 mit dem beduinenmässig angethanen Reiter selbst har- monirte, im Nachtrabe war, während der Grossfürst auf seinem feurigen Araber an der Spitze der Karavane ritt. Der Versuch, meinem Thiere gerade auf so bösem Wege einen aussergewöhnlichen Eifer beizubringen, gelang aber zu meiner Verwunderung so sehr, dass ich fast gleichzeitig mit dem Vortrab in Kulonieh eintraf. Kulonieh liegt am Fusse des genannten Bergpfades in einem reizenden Thale, bepflanzt mit Granaten und Orangenbäumen, und durch¬ flossen von einem Bache, woraus David der Hirtenknabe die Steine in seine Schleuder für die Stirn des Philister- Riesen geholt haben soll. In diesem Thale bot ein grosser neben dem rieselnden Bache in voller Blüthe stehender Orangenbaum ein schattiges lockendes Plätzchen, worauf der Grossfürst mit seinem Leibarzte und dem Erzbischof von Petra sich niederliess. Ich kam zu derselben Stelle und wurde von ihm aufs Huldreichste empfangen. Bald kam auch die Grossfürstin in die Nähe; der Grossfürst rief ihr aufs Liebreichste zu, wie die Karavane sich ver¬ mehrt habe; sie nahm hierauf gleichfalls unter dem Schat¬ ten des duftigen Blüthenbaumes Platz. Eine der ersten Fragen des Grossfürsten war, jvie es in der Sinaibibel mit dem Schlüsse des Marcus stehe. Diese Frage überraschte mich aufs Höchste; sieben Monate früher hatte ich auf dem Schlosse zu Altenburg dem Gross¬ fürsten die Marcusstelle mit mehreren anderen zur Charak- terisirung meiner kritischen Textarbeiten genannt. Ich durfte jetzt erwidern, dass die Handschrift vom Sinai meine Auffassung völlig bestätige, woran seinerseits der Gross¬ fürst ein Urtheil knüpfte, das dem berühmten englischen 168 Kritiker des vorigen Jahrhunderts, dem Master des Tri- nity College zu Cambridge, näher als einem russischen Prinzen anzugehören schien. Nachdem sich die Karavane, von Neuem auf steinige bergige Pfade angewiesen, kaum V2 Stunde wieder in Be¬ wegung gesetzt hatte, da erschienen zum Empfang des grossfürstlichen Pilgerpaares der griechische Patriarch von Jerusalem, ein würdiger Greis im Silberhaar, und der Gou¬ verneur der Provinz Surreya Pascha, beide mit Gefolg. Mit dem Patriarchen .stieg auch der Grossfürst ab; der erstere segnete den letzteren, .und rief die Worte aus: Gesegnet sei der da kommt im Namen des Herrn. Darauf begrüsste und segnete er auch die Grossfürstin. Ein wenig später erwarteten die hohen Pilgrime der armenische Pa¬ triarch, der syrische Bischof, die koptische und die abys- sinische Geistlichkeit. Unter diesen Begrüssungen kamen wir der Mittags¬ stunde nahe, und der Tag war heiss. Als wir schon die grauen westlichen Mauern der heiligen Stadt, im Hinter¬ gründe den Oelbergsgipfel, im fernen Osten vom blau¬ umhüllten moabitischen Gebirgszug überragt, vor unseren Augen hatten, trafen wir auf drei Zelte, die zu Empfangs¬ feierlichkeiten errichtet worden waren. Als der Grossfürst in russischer Admiralsuniform mit dem blauen Andreas- Cordon, seine hohe Gemahlin am Arme und hinter sich den jungen Prinzen, von seinem Gouverneur geleitet, das grosse offene Zelt des Pascha betrat, das vom Schmucke der Uniformen funkelte, donnerten die daneben aufgestell¬ ten kleinen Kanonen, die paradirende Truppe präsentirte das Gewehr, die Trommeln wirbelten, die Hörner schallten. 169 Hier stellte der Pascha das diplomatische Corps vor, be¬ stehend aus den Consuln von England, Frankreich, Oester¬ reich, Preussen und Spanien, desgleichen die ersten Ulemas von Jerusalem. Mit dem diplomatischen Corps war zugleich der anglikanische Bischof Gobat erschienen. Näher an der Stadt hatte sich mit einem kleinen aus golddurchwirkten Stoffen gefertigten Zelte die jüdische Geistlichkeit aufgestellt ; bei diesem ausserordentlichen * Anlasse wollte auch sie ein feierliches Willkommen nicht schuldig bleiben. & Aber das zahlreichste Empfangspublikum war nicht das offizielle, nicht das in den Zelten. Schon seit einer halben Stunde war unsere Karavane durch viele entgegen¬ gekommene Osterpilger, besonders russische, ansehnlich vermehrt worden. Es war rührend, die verklärten, oft von Thränen glänzenden Augen der letzteren zu sehen; wie glücklich mögen sie gewesen sein, hier auf ihrer frommen Pilgerfahrt, das grossfürstliche Paar, vom gleichen Drange des Herzens bewegt, zu sehen, zu begrüssen. Viele Frauen wetteiferten der Grossfürstin Blumen durch die Fenster zuzu werfen und auf den Weg zu streuen. Aber dazu fehlte nunmehr der Raum; denn nach dem Aufbruche aus den Zelten waren wir zu beiden Seiten von dichten Schaaren umringt, gekleidet in Trachten aller Art. Die Turbane aller Formen und Farben, christliche, jüdische, mohamme¬ danische, darunter auch der fränkische Hut und die pol¬ nische Zobelmütze, bildeten ganze geschlossene Flächen. Viele Gruppen von Frauen, in langen weissen Gewändern und nach Gebühr verschleiert, hatten die Höhen zu un¬ serer Linken eingenommen. Jubelrufe durchbrachen oft 170 •V die nach Kräften versuchte Militärmusik; denn von den Zelten an bis ans Jaffathor bildeten türkische Soldaten Spalier. Innerhalb desselben umgab aber auch noch als Escorte die russische Schiffsmannschaft die hohen Pil¬ grime, die jetzt sämmtlich zu Pferde sassen. Am Thore angelangt, stieg trotz des ausserordentlichen Zudrangs der Bevölkerung der Grossfürst mit seiner Ge¬ mahlin und dem jungen Prinzen ab, um nach altem from¬ men Gebrauch die heilige Stadt zu Fuss zu betreten, wo¬ bei der Weg mit Rosenblättern bestreut und mit duftenden Wassern besprengt wurde. Das grossfürstliche Paar war von tiefer Rührung ergriffen; beiden standen die Augen in hellen Thräpen. Beim Eintritt ins Thor wurden sie vom russischen Bischof, der von Jaffa nach Jerusalem zurückgeeilt war, umgeben von seiner Geistlichkeit, mit dem Kreuze und Weihwasser empfangen. In der Stadt selbst, soweit sie nur vom Zuge betroffen wurde, war jedes Plätzchen, jede Mauer und jedes Dach, jede Thür und jedes Fenster, dicht be¬ setzt; aus allen Gesichtern strahlte die Freude, und des Freudengeschreies war kein Ende. Auch eine Salve von der Citadelle, dem alten «Davidsthurme», hatte den Ein¬ tritt der hohen Gäste in die Mauern Jerusalems bezeich¬ net; sie wiederholte sich beim Eintritte derselben in die Kirche des heiligen Grabes. Denn dem Wunsche des Gross¬ fürsten gemäss ging der Zug unverweilt in diese Kirche, die jetzt Lichter und Lampen tausendfältig durchschimmerten. Am Portale stand bereits der griechische Patriarch im vollen von Gold und Edelgestein blitzenden Ornate, sammt der hohen Geistlichkeit in ihren Prachtgewändern. i 171 Der ehrwürdige Greis hiess voll Rührung die drei Glieder der kaiserlichen Familie, «der Beschützerin der heiligen durch den Glauben an die göttliche Trinität gekennzeich¬ neten Kirche», hier nochmals willkommen; er gedachte zu¬ gleich der Wohlthaten, welche die orthodoxe Kirche, beson¬ ders auch zu Jerusalem, dem hochseligen Kaiser Nikolaus verdanke. Nach dieser Begrüssung geleitete er die erlauch¬ ten Pilgrime an die zwei heiligsten Stätten der Welt, dahin wo der Erlöser am Kreuze erblasst, und zum heiligen Grabe, während dessen die griechische Hauptkirche ein feierliches Te deum ertönen liess. Als es verklungen war, führte der Pa¬ triarch seine Gäste ins Patriarchat, in dessen weiten Bäumen fürstliche Gemächer für sie bereitet waren. Ebendaselbst, sowie in den zunächst gelegenen griechischen Klöstern, fand der grösste Theil des Gefolges sein Unterkommen. Soll ich noch ein Wort zu diesem Einzuge sagen? Dass er so festlich, so grossartig ausfiel, wie ihn schwer¬ lich seit den Kreuzzügen ein europäischer Fürst in die alte Stadt Gottes gehalten, das hatte um so grösseres Ge¬ wicht, je mehr es dem Zusammenwirken vielfacher und so verschiedenartiger Kräfte zu verdanken war. Vom Gross¬ fürsten selbst war keine Veranlassung dazu gegeben. «Mit Gebet und in der Stille einziehen», das würde weit mehr nach seiner Stimmung, nach seinem Herzen gewesen sein, wie er sich noch Tags darauf im engsten Kreise darüber äusserte. So wurde aber dem Herzen Anderer mehr als seinem eigenen Rechnung getragen, und der Einzug des dem Czaren aufs Engste verbundenen kaiserlichen Bruders wurde zu einer schönen Kundgebung der lebhaftesten Sym¬ pathien. Dass er in manchen Herzen den Wunsch rege 172 gemacht : Möchte er doch einen anderen Einzug von dauernder Wichtigkeit vorbedeuten: davon bin ich über¬ zeugt. Und auch das weiss ich, dass viele andere den gehaltenen Einzug, mit allem was sich daran noch knüpfte, schon als bedeutungsvoll für die Zukunft der heiligen Stadt aufgefasst. Eben damit mag aber auch die Zurückhaltung Zusammenhängen, die wenigstens von Einer Seite dem all¬ gemeinen Jubel gegenüber versucht wurde. Hätte doch der vielhundertjährige christliche Bruderzwist am heiligen Grabe bei diesem Festeinzuge auf jeglichen, auch einen stummen Ausdruck verzichten wollen ! Es würde der Mos¬ lem selber an seiner Zukunft verzweifelt sein. « Einzug' des Grossfürsten in Jerusalem, - / :• • >; , . ' - ■ ■ ... ' , * ' r' - - - , * \ XVIII. Aufenthalt des grossfürstlichen Paares in Jerusalem. Dass der feierliche Einzug, der in den heissen Mittag fiel, bei allen seinen erbaulichen Seiten in hohem Grade ermüdend war, das mochte jeder fühlen, der daran theil- gehabt. Nachdem der Erschöpfung einige Stunden der Ruhe gefolgt waren, gewann das Bewusstsein: Wir sind in Jerusalem, erst seine volle Gewalt. Wer vermöchte dieser Gewalt sich zu entziehen, wenn er anders ein Herz mit¬ gebracht für diese Stadt des Heils und der Schmerzen, voller Gnade und Herrlichkeit wie keine andere auf Erden, aber auch getroffen vom schwersten Fluche, vom tiefsten Herzeleid. Bis zum Himmel hat sie erhoben der schöne Glanz Gottes, der angebrochen aus Zion; aber in Sack 1 Ich darf voraussetzen, dass es dem Interesse meiner Leser entsprechen wird , wenn ich diesem Aufenthalte Schritt für Schritt nachgehe. Da ich während dieser Zeit täglich in der Begleitung der hohen Pilger war, so finden in diesen Auf¬ zeichnungen zugleich meine eigenen Erinnerungen einen Ausdruck. 174 und Asche sitzt sie gehüllt, seit sie die Thränen dessen verachtet, der so oft ihre Kinder hatte versammeln wollen wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel. Seine Erniedrigung wie seine Erhebung, beide haben glei¬ cherweise Jerusalem geheiligt und emporgehoben über alle Städte der Welt; seine Steine sind zu unvergänglichen Zeugen der Heilsthaten und der Strafgerichte Gottes ge¬ worden; von Gottes Wegen zur Beseligung der Menschheit erzählen sie seit Jahrtausenden, erzählen sie fort und fort jedem kommenden Geschleckte. Und wem gälte dies mehr als einem frommen christlichen Herzen. Ist auch der Schall ausgegangen in alle Lande von der Predigt des Kreuzes, das gestanden auf Golgotha, von den Worten des ewigen Friedens, die in diesen Mauern den göttlichen Lippen entströmt: immer doch jubeln wir, wie einst der heilige Sänger, dass unsere Füsse stehen sollen in deinen Thoren, Jerusalem! Immer doch ergreift1 s mit unbeschreib¬ licher wunderbarer Gewalt, mit eigenen Augen die Stätten zu schauen, wo David der Gesalbte des Herrn geherrscht, wo die Propheten voll Gotteseifer geweissagt, wo der Hei¬ land unter den Menschenkindern gewandelt, wo er die Er¬ lösung der Welt vollbracht und versiegelt mit seinem Blute. Solche Eindrücke mochten es sein, die desselben Tages noch, in der Stille des Abends, das grossfürstliche Paar von Neuem in die Bäume der Grabeskirche drängten. Hatten sie in der Mittagsstunde geistliches und weltli¬ ches Gepränge zum Geleite, so geschah es jetzt ohne alles Geleit. Wie könnte auch anders das volle gebets¬ freudige Herz innerhalb dieses Heiligthums seine Gnüge finden. 175 Den 13. Mai. Es ist schon früher erwähnt worden, dass der Pa¬ triarch von Jerusalem aus Constantinopel, seiner gewöhn¬ lichen Residenz, auf einem Dampfschiffe des Sultan zum Empfange der erlauchten Pilger nach der heiligen Stadt geeilt war. Daher kam es dass derselbe Ueberbringer eines Schreibens des Sultan war, das er Sr. Kais. Hoheit am 13. Mai Mittags überreichte. Es bot demnach dem russischen Grossfürsten, der auch die byzantinischen Kaiser zu seinen Ahnen zählt,1 zu Jerusalem durch die Hand des orthodoxen Kirchenfürsten .der türkische Padischah ein Willkommen in seinen Staaten. Der Grossfürst sprach dem Patriarchen seinen Dank aus für die zu Ehren seiner Gäste ausgeführte vortreffliche Herrichtung der Gemächer des Patriarchats ; auch drückte er ihm seine Genugthuung darüber aus, dass zwischen Sr. Heiligkeit und der rus¬ sischen geistlichen Mission zu Jerusalem ein so gutes Ein- verständniss herrschte. Die beim Empfange anwesende Grossfürstin erfreute sichtlich den würdigen Greis, in¬ dem sie ihn von den lebhaften Sympathien ihres Gemahls für die Griechen des Orients unterhielt. Eine Viertelstunde nach dem Weggange des Patriar¬ chen beehrten ihn Grossfürst und Grossfürstin mit ihrem Gegenbesuche; zugleich überreichte ihm der Grossfürst im 1 Bekanntlich vermählte sich Iwan Wassilje witsch 1472 unter Vermittlung des Papstes Sixtus IV. mit der Prinzessin Sophia, dem einzigen übriggebliebenen Spross aus dem Hause Constantin’s Paläologus, des letzten byzantinischem. Kaisers. 176 Aufträge des Kaisers Alexander ein mit den kostbarsten Edelsteinen reichbesetztes Brustkreuz. Nachmittags um 2 empfingen Ihre Kais. Hoheiten im Patriarchat den Bischof von Melitopolis sammt den Mit¬ gliedern der russischen Mission. Zwei Stunden später unternahmen sie mit ihrem Ge¬ folge, und zwTar zu Fuss, die erste Wanderung durch die Stadt. Es galt zunächst den vielgenannten und in Europa so oft nachgebildeten Schmerzensweg. Altberühmt lässt er * sich für Jerusalem nicht nennen; denn erst während der Kreuzzüge scheint man die Erinnerungen an den Weg, der den verurtheilten König der Juden nach Golgotha führte, mit so besonderem Eifer erneuert zu haben. Aus dem fünfzehnten Jahrhundert treten uns aber mit den ersten Berichten darüber auch schon Messungen der Schritte von einer Station zur andern entgegen: zuerst bei Gumpen- berg vom Jahre 1449 und bei Tücher vom Jahre 1479. 1 Seit dieser Zeit wurde die via sancta oder via crucis oder, wie sie vorzugsweise benannt wurde und noch jetzt all¬ gemein .heisst, via dolorosa eine der besuchtesten und verehrtesten Oertlichkeiten, wie sie z. B. im 17. Jahrhun¬ dert, nach dem Zeugnisse des Pater Surius vom Jahre 1647, von den Franziskanern regelmässig jeden Freitag barfuss und in Procession durchschritten wurde. Da wir vom griechischen Patriarchat nahe bei der Grabeskirche ausgingen, so verfolgten wir die Richtung von Westen nach Osten, und hatten abwärts zu gehen, 1 Siehe Tobler’s Topographie von Jerusalem I. S. 236 fg., wo ein reichhaltiges Verzeichniss solcher Messungen gegeben ist. 177 während der Weg selbst mit seinen Stationen von Osten nach Westen läuft und öfters ansteigt. Den Ausgangs¬ punkt im Osten bildet das Richthaus oder das Haus des Pilatus, woran sich zunächst der Bogen des Ecce homo anschliesst. Ausserdem werden die Stellen unterschieden, wo der Kreuzbelastete zum ersten, zum zweiten, zum dritten Male gefallen; wo Maria das dorngekrönte Haupt erblickte; wo die fromme Veronika gewohnt und des Herrn Schweiss mit ihrem Tuche getrocknet, wodurch auf dem letzteren das berühmte wunderthätige Bild entstand ; 1 wo der Hei¬ land die weinenden Töchter Jerusalems tröstend vermahnte; wo Simon von Cyrene mit dem Kreuze beschwert wurde, und noch andere, so dass im Ganzen zwölf oder, unter Hinzurechnung der Abnahme vom Kreuze und der Grab¬ legung, vierzehn Stationen gewonnen werden. Ein besonderes Interesse knüpft sich an die beiden zuerst genannten, zu denen wir zuletzt kamen: an den Ecce homo-Bogen und an das Haus des Pilatus. Jener Bogen spannt sich quer über die via dolorosa; die alten Steine, die seine Wölbung bilden, maskirt neueres \ Tiinchwerk, sowie auch im Maueraufsatze darüber ein Gemach angebracht ist, von welchem zwei vergitterte Fenster nach Osten schauen. Es begreift sich leicht, dass 1 Viel älter als die Sage von diesem Hause der Veronika ist die von ihrem Schweisstuche mit dem Abdrucke des Antlitzes Christi. Meiner Ausgabe der Evangelia apocrypha (Leipzig 1853) hab’ ich aus lateinischen Handschriften eine darauf bezügliche Er¬ zählung unter dem Titel Vindicta Salvatoris beigefügt, die auch angelsächsisch bearbeitet worden ist. Vgl. a. a. 0. S. LXXXI. Sie reicht nachweislich über tausend Jahre zurück. Tische ndorf, Aus dem heiligen Lande. 12 178 gerade über einen solchen Rest des Alterthums die ver¬ schiedensten Ansichten hervortraten. Während die einen meinten, dass einst Pilatus durch dieselben Gitterfenster sein Ecce homo 1 dem stürmischen Yolkshaufen zugerufen, liess andere die Kritik nichts darin sehen als eins jener an sich sehr gleichgiltigen Objekte, woran sich erst ein spätmittelalterlicher Mönchswitz angeklammert. Die kurze Zeit nach unserer Schau ganz unerwartet gewonnenen Aufschlüsse haben aber die absprechende Verneinung eines hohen Alters durchaus nicht bestätigt. Durch einen von französischen Katholiken nördlich vom Bogen unternom¬ menen Bau wurde nämlich nach Entfernung unförmlicher Trümmer die Nordseite des Bogens blossgelegt, und hier¬ bei trat «in dem unzweifelhaft römischen Mauerwerke », wie sich Rosen2 ausdrückt, ein zweiter Rundbogen von geringerer Höhe zu Tage. Dass ein gleicher Rundbogen auch südlich vorhanden gewesen, versicherte demselben trefflichen Beobachter der Imam der dort angelegten klei¬ nen Moschee ; weil er aber den innern Raum der Moschee beeinträchtigte, so wurde er vor 40 Jahren abgebrochen. Wird schon hierdurch die Ansicht gerechtfertigt, dass der Ecce homo-Bogen von einem römischen Triumphbogen 3 in 1 «Sehet, welch ein Mensch!» Joh. 19, 5. 2 S. Zeitschrift der Deutsch-morgenl. Gesellsch. 1860. XIY. S. 605. 3 Rosen a. a. 0. S. 606. «Wir können uns hiernach ver¬ sichert halten, dass der Ecce homo-Bogen ein römischer Triumph¬ bogen gewesen, welcher, was ich aus der sorgfältigen Glättung der Quadern an der dem Norden zugewandten Schmalseite schliesse, einen ringsum freien Standpunkt gehabt haben muss.» S. 607. 179 Hadrian’s Aelia Capitolina * 1 herstamme, so hat die bei der¬ selben Gelegenheit ausgeführte nähere Untersuchung des Bodens um den Bogen noch weitere Schlussfolgerungen hervorgerufen. 4 bis 5 Fuss unter dem Niveau der Strasse wurde nämlich ein aus mächtigen Kalksteinplatten — durchschnittlich 4 Fuss lang, 2 J/2 breit und 2 dick — bestehendes Piaster aufgefunden, das nordwärts von der Strasse gegen 36 Fuss weit vorspringt, während seiner südlichen und sonstigen Ausdehnung nicht weiter nachge¬ spürt wurde. Möglicher Weise ist dieses stattliche Piaster erst für den Triumphbogen angelegt worden, obschon die hierbei anzunehmende Ausdehnung, die doch im Süden derjenigen im Norden gleichkommen müsste, befremden könnte. Hat aber nicht auch die Deutung auf das Hoch- plaster oder Gabbatha des Johannes,2 das für die Anlegung des Triumphbogens benutzt werden konnte , ihre Be¬ rechtigung? Auch ohne diese Deutung zu theilen, muss man dem Vorgefundenen Piaster jenes Gabbatha analog «dagegen glaube ich in dem auf einer Art Forum angelegten Triumphbogen einen Rest des Hadrianischen Jerusalem , der Aelia Capitolina, zu sehn, in welcher die Niederwerfung der aufständigen Juden durch Severus zur Errichtung eines sol¬ chen Denkmals einen nahe liegenden Anlass bot». 1 Schon Krafft bemerkte mit Scharfblick in seiner Topo¬ graphie Jerusalem’s 1846, S. 229: «Mit dem von Hadrian theil- weise an der Stelle der alten Burg Antonia errichteten Dode- kapylon ist ohne Zweifel der Ecce homo-Bogen der Tradition, ein colossales isolirt stehendes römisches Thor, erbaut worden». 2 «Da Pilatus diese Worte hörete, führte er Jesum heraus und setzte sich auf den Richtstuhl an der Stätte die da heisst Hochpiaster, auf Hebräisch aber Gabbatha». Joh. 19, 13. 12* denken.1 In der That aber finden wir dieses selbst schon bei dem italiänischen Reisenden Sigoli im Jahre 1384 und beiFabri 1483 2 hierher verlegt; wahrscheinlich hatte längst vorher das noch zu Tage liegende Steinpiaster darauf ge¬ führt. Es stimmt damit dass das Prätorium nach der Tradition sowol als auch nach historisch-topographischen Forschungen nur unweit davon gelegen. 3 Wer wollte frei¬ lich in solchen Fragen entscheiden? Wenigstens wer¬ den diese jüngsten Nachgrabungen besonnene Zweifler an Jerusalem’ s traditionellen Alterthümern noch vorsichtiger machen; wollte aber jemand wirklich die erbauliche Fol¬ gerung wagen, es sei uns dadurch eine neue Einsicht in jerusalemische das Leben des Herrn berührende Verhält¬ nisse vergönnt worden, so hat dies leicht ebenso viel Recht als die entgegengesetzte Ansicht. Vom Ecce homo-Bogen gelangten wir in etwa 50 Schrit¬ ten zum Flause des Pilatus. Das weitläufige den Ein¬ druck der Verödung machende Gebäude enthielt früher die Wohnung des Pascha; seit 20 Jahren ist es zu einer Caserne geworden. Am lohnendsten ist der Besuch sei¬ nes platten Daches, das einen von keiner anderen Seite gebotenen Blick auf das grosse nach Omar benannte, in 1 So geschieht’s von Rosen a. a. 0. indem er beifügt: «ich selbst finde diese Hypothese zu dürftig unterstützt, als dass ich sie mir aneignen möchte». 2 A. a. 0. Bl. 52: «Fürbass sind wir gegangen ein wenig eine Höhe auf die Gassen einhin, und kamen an das Ort ge- nennt Gabatha» — — «an dem Ort hat Pilatus gerichtet» - « an dem End stehet ein Schwibbogen über die Gassen, als wäre es ein hohes Thor». 3 Siehe weiter unten. 181 bunten Farben erglänzende, mit prächtiger Kuppel ge¬ krönte Heiligthum des Islam gewährt, sowie auf den wei¬ ten mit Bäumen, besonders herrlichen Cypressen, und Brunnen , mit Kapellen und Grabmonumenten verzier¬ ten Hofraum , der es umgibt. An der nordwestlichen Ecke des letzteren liegt das Gebäude selbst. Mit welchem Rechte der Name des Pilatus daran geknüpft wird, darauf lässt sich eine doppelte Antwort geben. Was uns nämlich jetzt vor Augen tritt, hat ganz gewiss nichts mit jenem Landpfleger -Palaste zu schaffen. Dass aber gerade hier, wenn auch in viel weiterer Ausdehnung, die Burg Antonia mit der Residenz des römischen Statthalters gestanden, dafür liegt die grösste Wahrscheinlichkeit vor.1 Die Tra¬ dition hat sich am Ende des 12. Jahrhunderts für die¬ selbe Oertlichkeit erklärt, wie aus der merkwürdigen aufs Jahr 1187 zurückgehenden Schrift: La citez de Jerusa¬ lem2 hervorgeht; ob nicht auch schon der Pilger von Bor¬ deaux 334 eben darauf sich bezieht, lässt sich aus dem unklaren Texte seines I tinerar 3 nicht hinlänglich darthun. 1 So nach Anderer Vorgang — siehe z. B. Krafft S. 163 — ganz neuerdings Gust. Unruh in seiner mit vielen Plänen aus¬ gestatteten Schrift: «Das alte Jerusalem und seine Bauwerke» (Langensalza 1861). Gabbatha denkt sich Unruh als eine auf 50 bis 60 Stufen zu ersteigende Plattform vor dem Burgthore, mit freier Aussicht auf die Stadt und den unten liegenden Burgplatz (S. 226). 2 Vgl. darüber Tobler I, 226. Bei Schultz: «Jerusalem» (1845) steht die ganze Schrift mit lehrreichen Noten abgedruckt: S. 107—120. 3 Die betreffende Stelle des Itinerar heisst: Inde ut eas foris \ murum de Sion euntibus ad portam Neapolitanam ad partem 182 Allerdings wäre es vollkommen begreiflich, wenn damals, trotz der inzwischen eingetretenen Umwandelungen, ein so hervorragendes Bauwerk, wie Burg und Besidenz, noch in gutem Gedächtniss gewesen wäre. Nachdem wir mit dem traditionellen Prätorium auch die gegenüber gelegene Franziskaner-Kapelle der Geisselung gesehen hatten, betraten wir die erst unlängst aus langer Verwahrlosung wieder erstandene uralte S. Annenkirche. dextram deorsum in valle sunt parietes , ubi domus fuit sive praetorium Pontii Pilati: ibi dominus auditus est antequam pa- teretur; a sinistra autem parte est monticulus Golgotha, ubi dominus crucifixus est. Abgesehen von den ersten höchst wahr¬ scheinlich verderbten oder mangelhaften Worten («inde ut eas foris murum»), entspricht die Angabe, dass man auf dem Wege von Zion nach dem Nablus- (Damaskus-) Thore Golgotha zur Linken, das Prätorium zur Rechten habe, vollkommen unseren Oertlichkeiten ; denn auch die Worte: «unten im Thale», sind mit dem Eindruck des Terräns nicht unvereinbar. (Tobler I, 223 veranlasst dieser Text, das Landpflegerhaus des Pilgers «west¬ lich von der Tempelarea» zu setzen.) Cyrill, der vor der Mitte des 4. Jahrhunderts Bischof von Jerusalem geworden und schon lange vor 334 heimisch in derselben Stadt gewesen, bestätigt mit der Bemerkung (catech. 13, 39), der Palast des Pilatus sei durch Machtfügung des unter ihm Gekreuzigten nun verödet, nicht nur die im Itinerar angedeutete Verfallenheit des Gebäudes, sondern eben damit auch das Vorhandensein alter Tradition. Wenn aber in mittelalterlichen Reisebeschreibungen, namentlich des 12. Jahrhunderts, ganz im Widerspruch mit der Citez de Jerusalem das Prätorium auf Zion gesetzt wird — siehe Tobler I, 224 — so kommt damit wenigstens der Pilger von Bordeaux nicht überein. An der offenbaren Verwirrung hatte ihren Theil wahrscheinlich die Dreizahl der Verhörlokale Christi, von denen das Haus des Annas und das des Caiphas wol immer nach Zion verlegt worden sind. 183 Eine reiche zum grösseren Tlieil unerbauliche Vergangen¬ heit liegt hinter ihr. Wahrscheinlich fällt ihre Gründung bald nach den Zeiten der Helena; lag es doch sehr nahe, der Mutter Mariens, an deren Verherrlichung bereits das sogenannte dem Jacohus zugeschriebene Protevangelium im zweiten Jahrhundert gearbeitet,1 im christlich gewor¬ denen Jerusalem einen Kirchenbau zu weihen. Seit den Kreuzzügen erscheint sie regelmässig in den Aufzeich¬ nungen der Pilger, und zwar als eine sehr hoch gehaltene Basilika. Nachdem Balduin’s Gemahlin, vom königlichen Gatten zum Schleier gezwungen, in das Kloster zu S. Anna eingetreten war, vereinigte sich mit dem Ruhm der Kirche eine blühende Benediktiner Schwesterschaft. Diese Blüthe von Kloster und Kirche hatte aber nur kurze Dauer; denn bald nach dem Einzuge Salaheddin’s im Jahre 1187 trat an ihre Stelle eine Moschee mit einer angesehenen mos- lemitischen Schule. Dies geschah unter Benutzung der christlich heiligen Räumlichkeiten, ohne dass die letztem selbst zerstört wurden; trotz der Umwandelung blieb na¬ mentlich die tiefe unterirdische Kapelle, betrachtet als Geburtsstätte der Jungfrau, ein theueres Wallfahrtsziel der Pilger in den folgenden Jahrhunderten. In ihren Be¬ richten treten aber gar sehr die Klagen über die Ent¬ weihung der ehemaligen S. Annenabtei hervor, wie z. B. im Jahre 1522 nach dem französischen Reisenden Saligniac ein alter Mohammedaner mit seinem Harem von 60 Frauen darin hauste. In neuerer Zeit scheint nicht einmal eine 1 Siehe in meinem schon angeführten Werke: Evangelia apocrypha, S. 1 — 49 und Prolegomena S. XII — XXV. 184 solche Benutzung stattgefunden zu haben, so dass der Schutt ringsum mehr und mehr sich thürmte. Um so leichter musste es dem vorigen Sultan fallen, in Folge des Krimkriegs daraus ein Objekt seiner Generosität gegen seinen christlichen Bundesgenossen an der Seine zu machen. Es war damals, im Jahre 1854, durch die Verkündigung jenes Dogma’s, wornach bereits die Mutter des Herrn auf wunderbare Weise empfangen worden, der Name der hei¬ ligen Anna, an der dieses so spät von Rom öffentlich an¬ erkannte Wunder geschehen , in den Vordergrund der katholischen Heiligen getreten.1 Hie Lebhaftigkeit seiner Mitfreude daran beurkundete Napoleon III. dadurch, dass er dem Sultan die Zurückgabe der alten S. Annenkirche in Jerusalem, um welche die fränkischen Kreuzfahrer sich wesentlich verdient gemacht, nahe legte. Der Sultan seiner¬ seits erfüllte diesen Wunsch mit aller Zuvorkommenheit durch einen Ferman vom 29. October 1856, und nur we¬ nige Tage darauf erfolgte durch den französischen Consul die feierliche Besitzergreifung , wobei auf tragbaren Altären nach siebenhundertjähriger Pause das erste Messopfer wieder dargebracht wurde. 1 Dass dieses Dogma wol am frühesten in einem alten apokryphischen lateinischen Evangelienbuche vorgebildet wor¬ den, das ist meines Wissens noch nicht zur Sprache gekommen. Vgl. darüber meine Evangelia apocrypha S. 59, wo erzählt steht, dass Anna den mit den Heerden von den Bergen nach langer Trennung heimkehrenden Joachim am goldenen Tliore mit den Worten empfängt: Vidua eram, et ecce iam non sum ; sterilis eram, et ecce iam concepi. (Von 4 Handschriften hat nur eine das letzte Wort mit concipiam vertauscht.) 185 Der französische Consul, Herr von Barrere — in seiner Erscheinung fast mehr Künstler als Diplomat — machte dem Grossfürsten bei diesem Besuche der Kirche die Honneurs. Die aus Quadersteinen erbauten und ge¬ wölbten Kirchenräume, Mittelschiff, Seitenschiffe und Chor, erinnern jetzt noch daran dass sie ehedem einem christ¬ lichen Prachthau angehört. Die Architektur im Spitzbogen¬ stil beschäftigte das kundige Auge des Grossfürsten. An den Wänden, namentlich in der Höhe, sind manche Spuren von den alten Malereien übrig, in denen nach mittelalter¬ licher Beschreibung die auf Maria’s Geburt bezüglichen Erzählungen dar gestellt waren. 1 Auch in das grösste Heiligthum der Kirche, die Grotte oder Höhle wo Ma¬ ria geboren worden, stiegen wir hinab, und der Consul bot sogar kleine von der Wand sich abbröckelnde Stück¬ chen als Erinnerungszeichen dar. Ein wenig höher als diese Grotte liegt eine andere, in welcher Pilger des Mittel¬ alters, wie Fabri (Bl. 54), Joachim und Anna begraben sein Hessen. Die ganze Kirche bietet der Munificenz des neuen kaiserlichen Besitzers eine treffliche Gelegenheit dar; gewiss wird die Restauration des interessanten alten Bauwerks nicht verabsäumt werden. Von der S. Annenkirche hatten wir nur wenig Schritte bis zum Stephansthor. Bevor wir es durchschritten, wandten wir uns noch einige Schritte südlicher zum sogenannten Teich Bethesda. Er befindet sich an der nördlichen Mauer der Tempelarea und stösst fast auch an die östliche 1 Diese Darstellungen scheinen ganz dem Inhalte des oben genannten Evangelienhuches entsprochen zu haben. 186 Mauer der Stadt, von welcher ihn nur eine schmale Gasse trennt. Seine Mauer wände im Norden und Westen haben Häuser über sich. Die grösste Ausdehnung hat er von Osten nach Westen, nämlich 360 Fuss englisch, bei 130 Fuss Breite von Norden nach Süden. Seine Tiefe beträgt gegen 80 Fuss. In der Südwestecke zeigen sich unten zwei gewölbte Bogen von 12 und von 19 Fuss Breite. In ihnen sowie im ganzen Vierecke selbst liegt hoher Schutt auf¬ gehäuft, über welchem nicht nur Gras und Gesträuch, sondern auch niedere Granatbäume wachsen, deren einer jetzt eben schöne Blüthen trug. Wir standen hier vor einem der streitigsten Objekte der Topographie Jerusalem’s. Der Grossfürst, den das gründliche Studium vieler Werke über Jerusalem, besonders deutscher und englischer,1 mit allen solchen Fragen näher bekannt gemacht hatte, hielt entschieden daran fest, dass der Neutestamentliche von den vielen Kranken sehnsüchtig umlagerte « Gnadenort » — das bedeutet Bethesda — vor unsern Augen lag. Meine Deu¬ tung auf einen ehemaligen Festungsgraben liess er um so weniger gelten, weil die an einigen Stellen sichtbare Be¬ kleidung der Wände mit Wassermörtel und kleinen Steinen es ausser Zweifel stellt, dass hier ein Wasserbehälter ge¬ wesen, obschon dies bei der Ansicht vom Festungsgraben nicht ausgeschlossen wird. Bekanntlich sind auch schon sehr frühzeitig die angegebenen Bogenwölbungen in der 1 Er zeichnete unter den letzteren mit Recht das Werk von Williams aus. Sogar auch Mislin hatte er nicht ungelesen gelassen, trotz der darin vom katholischen Prälaten den frem¬ den Confessionen so reichlich gespendeten Invektiven. 187 Südwestecke, die doch wol nur der Aufführung der Häuser darüber gedient, nachdrücklich für das biblische Bethesda geltend gemacht worden; sie sollen sogar von den ehe¬ maligen fünf Hallen des Wunderteiches hei Johannes 1 übrig sein. Hiergegen zeugt aber bestimmt die bis auf hundert Fuss ausgemessene Ausdehnung der einen dieser Hallen, wobei noch lange nicht das Ende erreicht schien,2 sowie nicht minder der Umstand, dass diese Hallen vom Wasser des Bassins durchströmt werden mussten, was doch nicht zu der biblischen Darstellung passt. Ausserdem ver¬ ringert sich das Gewicht der Tradition für dieses Bethesda wesentlich durch die Gewissheit, dass in früheren Jahr¬ hunderten ein anderer Teich dafür gegolten, wobei nament¬ lich der vor der Annenkirche von den Franken zu Anfang des 12. Jahrhunderts wieder aufgefundene in Betracht kömmt,3 der wahrscheinlich mit dem unsrigen an der Tempelarea schon im 4. Jahrhundert (beim Pilger von Bordeaux,4 wie auch im Onomastikon bei Eusebius und Hieronymus) in gewissem Sinne5 zusammengerechnet wurde, 1 Joh. 5, lfg. 2 Siehe Robinson II, 75, dem wir auch vorzugsweise bei den übrigen Messungen gefolgt sind. 3 S. besonders Krafft 178fg. Tobler I, 58 fg. 4 «Interius vero civitati sunt piscinae gemellares, quinque porticus habentes, quae appellantur Betsaida». (Betsaida für Bethesda lesen viele der ältesten Zeugen im Johannes.) 5 Im Sinne einer Duplicität ist übrigens von den Alten der Text des Johannes selbst gedeutet worden, indem man übersetzte: Es liegt beim «Schafteiche» (nicht «beim Schafthor») der sogenannte oder, nach dem Sinaitischen Codex, das so- 188 und als der «blutröthlich gefärbte» gegenüber dem «Regen¬ wasserteiche» (im Onomastiken) auch schon damals für den biblischen Heilsort angesehen werden mochte. Nach flüchtiger Schau des jetzigen traditionellen Be¬ thesda wandten wir uns zurück zum Stephansthor, an dessen Aussenseite zwei Löwenpaare, in halberhabener Ar¬ beit in Stein ausgehauen und orientalischen Geschmack verrathend, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Nach einer Tradition sind sie von Soliman angebracht worden, zum An¬ denken an ein Gesicht, das ihn von der beabsichtigten Ver¬ tilgung der heiligen Stadt abschreckte.* 1 Der angegebene Name des Thors, der noch viele andere christliche und mohammedanische neben sich hat, hängt damit zusammen, dass der erste Märtyrer durch dasselbe zur Steinigung soll geführt worden sein, deren Schauplatz unweit davon an dem zum Thal Josaphat niederführenden Wege gezeigt wird. Als wir diesen Weg zurückgelegt hatten, wurde das grossfürstliche Paar vom Patriarchen von Jerusalem sammt hoher Geistlichkeit empfangen und von demselben in die tief neben dem Garten Gethsemane grottenartig angelegte Grabkirche der Maria zu einem festlichen Te deum auf 47 breiten Marmorstiegen hinabgeleitet. Dass die Ma¬ ria an diesem Orte des Thals Josaphat ihr Grab, d. li. ein Kenotaph, besitze, ist jedenfalls schon aus hohem christ¬ genannte Bethesda (Bethsaida, Bethzatha). Siehe mein Nov. Test. Graece. Ed. VII. crit. maj. 1859. Wie sehr übrigens unter den heutigen Forschern die Ansichten über Bethesda auseinander gehen, beweist Barclay, der es in seiner City of the great King ins Thal Josaphat verlegt, südlich von Gethsemane. 1 Siehe Tobler I, 150. 189 liehen Alterthume überliefert worden.1 Das hoch verehrte Grab selbst, in Sarkophagform, bedeckt von einer weissen schwarzgeäderten Marmorplatte, befindet sich in einer klei¬ nen viereckigen Kapelle im östlichen Theile der kreuz¬ förmigen Kirche, da wo die Wand vom natürlichen Felsen gebildet wird. Ausser ihm werden auch die Gräber der Eltern Maria’s und das des Joseph in derselben verehrt, nämlich in zwei Nischen oder Kapellen, die an der östlichen und der westlichen Seite der Marmorstufen, ungefähr mit¬ ten, angelegt sind. Die Kirche, mit einem schönen in mässigen Spitz¬ bogen gewölbten Portale, verräth eine frühzeitige Anlage. Im siebenten Jahrhundert gedenkt ihrer bestimmt der fran¬ zösische Bischof Arculf; in wie weit sich die noch früheren Erwähnungen einer «Kirche zu Gethsemane)), deren erste sich schon bei Hieronymus findet, auf dieselbe beziehen, ist zweifelhaft. Zerstörungen hat sie überdies seit ihrer 1 Von der durch Wunderereignisse unterbrochenen Bestat¬ tung der Jungfrau handelt eine alte griechische Schrift, deren er¬ ste Veröffentlichung aus vielen in den europäischen Bibliotheken zerstreuten Handschriften im 3. Bande meiner libri Novi Testa- menti apocryphi erfolgen wird. Die schon bekannte Behandlung desselben Stoffs im Lateinischen und Arabischen verhält sich sehr untergeordnet zum griechischen Texte. In dem letzteren heisst’s nach einer Münchener Urkunde, dass die Apostel den Leichnam zu Gethsemane in einem neuen Felsengrabe beisetzten. Hierauf erklangen daselbst drei Tage lang die Stimmen unsicht¬ barer Engel von dem Lobpreise des göttlichen Sohnes der Jung¬ frau. Als diese Stimmen verstummt waren, fanden die Apostel dass der heilige Leib ins Paradies entrückt worden war. Bei mehreren Kirchenvätern finden sich dieselben oder ähnliche Ueber- lieferungen. 190 ersten Gründung öfters erfahren; am nachhaltigsten be¬ währte sich der im 12. Jahrhunderte von der fränkischen Königin Melesendis ausgeführte Bau, und sogar der heutige Bestand scheint grösstentheils auf ihn zurückzureichen. Was aber der Kirche eine ganz besondere Merkwürdigkeit ver¬ leiht, das ist die Verehrung, die ihr auch von den Mos- lemim gezollt wird. Vor mehreren Jahrhunderten haben sie einen Theil derselben sogar zur Moschee geweiht. Heut¬ zutage besitzen sie zwar auch noch eine Gebetsnische darin, doch ist das Schauspiel, in demselben Heiligthume Christen und Mohammedaner anbeten zu sehen, zur Selten¬ heit geworden. Nach beendigtem Te deum, das in der That die vollen lichterhellen Räume herrlich durchdrang , 1 besuchten wir den Garten Gethsemane. Als ich ihn 1844 sah, wo den ziemlich viereckigen, gegen 150 Fuss nach jeder Seite langen, grossentheils öden Raum nur eine niedere Steinumliegung einschloss, machte er meines Bedünkens einen besseren Ein¬ druck als jetzt. Die Franziskaner haben nämlich seit einem Jahrzehnt die Hauptstelle mit den acht Oelbäumen durch eine hohe starke Mauer abgeschlossen und dadurch zu ihrem besonderen Eigenthume erklärt; auch haben sie diese acht ehrwürdigen Bäume mit einer blumenreichen Garten¬ anlage umgeben. Die guten Väter beschenkten die Gross- 1 Schon der sangeskundige Ulmer Kaplan schrieb davon 1483: «Ich hab all mein Tage nie keine Kirche gesehen, die besser Resonanz oder Thon hatte denn diese». Deshalb sang er auch noch allein «was er wollt und könnt von unserer Frauen mit Lust», «denn Singen thut da nicht weh als in andern Kirchen». 191 fürstin mit prächtigen Sträussern , während Zweiglein von den Oelbäumen mit gerechtfertigter Mässigung dargeboten wurden. Gethsemane gehört zu denjenigen heiligen Oertlich- keiten Jerusalem’s, über deren Aechtheit kaum ein Zweifel obwalten kann, mochte man auch Lage und Umfang nicht bis aufs Schrittmass bestimmen können. Der Pilger von Bordeaux vom Jahr 334 erwähnt wenigstens den am Fusse des Oelbergs neben Weingärten gelegenen Felsen, bei wel¬ chem Judas Ischarioth Christum verrieth.1 Ebenso erwäh¬ nen es Eusebius und Hieronymus als am Fusse des Oel¬ bergs gelegen. Auch ohne die Oertlichkeit noch näher zu beschreiben, wozu gar keine Veranlassung vorlag, konnten sie nur dieselbe, die seit Helena und Constantin in den Gesichtskreis der Pilger getreten, im Auge haben. Und dass diese zu Anfang des 4. Jahrhunderts noch aus alter Tradi¬ tion bekannt gewesen, dafür spricht alle Wahrscheinlichkeit, wie denn auch die Angaben der Schrift darüber in keinem Widerspruche mit dem traditionellen Gethsemane stehen. Von Gethsemane aus stiegen die grossfürstlichen Pil¬ ger und wir mit ihnen zu Pferde und ritten auf den Oel¬ berg, das heisst auf den mittleren vorzugsweise mit diesem Namen belegten Gipfel, gegen 200 Fuss höher als Jeru¬ salem und gegen 500 über dem Flussbette des Kidron gelegen. Das nächste Ziel war die in uralter Verehrung stehende Oertlichkeit der Himmelfahrt Christi. Ihre früheste 1 Ein besonderer Steinblock wird auch jetzt noch als jener verhängnisvolle Ort bezeichnet, wie überhaupt alle einzelnen aus Gethsemane von den Evangelisten berichteten Ereignisse örtlich fixirt worden sind. 192 Nennung geht auf den Anfang des 4. Jahrhunderts zurück,1 und ihre früheste Verherrlichung durch einen Kirchenbau erhielt sie durch den ersten christlichen Kaiser und seine Mutter, so dass sie seit mehr als 1500 Jahren durch die Andacht christlicher Pilger gefeiert worden ist. Von den verschiedenen Baulichkeiten, die im Laufe dieser langen Zeit die Auffahrtsstelle mit ihren Mauern und ihrem Schmucke umgaben, sind jetzt noch einen Hofraum um- schliessende Mauerwände übrig, die wahrscheinlich gröss- tentheils dem in einem Achteck ausgeführten Tempelbau der Kreuzfahrer zugehört haben. Innerhalb dieser Mauern oder inmitten des Hofraums steht eine kleine gleichfalls achteckige schmucklose Kapelle. In ihr liegt unweit von der Tlmre, durch die sie ihr Licht erhält, ein gelblichweisser Kalkstein mit einer Vertiefung, die einen rechten nach Mittag gerichteten menschlichen Fuss darstellt. In dieser dem harten Stein eingedrückten Spur eines F usstritts glaubt man eine Reliquie von der Auffahrt des Herrn zu besitzen, und hält sie deshalb in höchsten Ehren. Die in den alten bis aufs Ende des 4. Jahrhunderts zurückreichenden Be¬ richten über diese heilige Stelle2 hervortretenden Verschie¬ denheiten, wornach am frühesten im Sande (« arena ») oder Erdreich (« calcati deo pulveris perenne documentum») die Spur des Tritts gesehen worden ist, während sich erst aus dem 12. Jahrhunderte eine in Stein gefundene nachweisen 1 Sie findet sich nämlich schon in der Demonstratio evan- gelica (6, 18) des Eusebius, muthmasslich um 315 verfasst. 2 Siehe Tobler: Die Siloahquelle und der Oelberg S. 87 fgg., wo eine ausführliche Geschichte der Oertlichkeit und der über derselben aufgeführten Bauwerke steht. 193 / lässt, 1 machen es mindestens sehr zweifelhaft, ob die heutzu¬ tage vorliegende Reliquie schon der Helena und ihren Zeit¬ genossen vor Augen gelegen. Es kann also damit für das kritische Auge nur eine Versinnbildlichung des wunderbaren Ereignisses vorliegen; arglose Pietät dagegen hält an der vielhundertjährigen Gewöhnung fest und berührt fort und fort die dem göttlichen Fusse zugeschriebene Vertiefung des Steins mit frommer Lippe. Dies geschah auch von Seiten der Glieder der griechischen Kirche, der in derselben für heilige Reliquien geltenden Sitte gemäss, heim grossfürst¬ lichen Besuche, dem der Erzbischof von Petra das Geleite gegeben.2 Nachdem wir die Kapelle, die lange auch als Moschee gedient und noch immer neben der christlichen auch der moslemitischen Andacht angehört, wieder verlassen hatten, stiegen wir aufs Minaret daneben, das von einem be¬ sonderen neben der Kapelle ausgeführten Moscheenbau übrig sein soll. Die Aussicht, die dieses Minaret als höchster Punkt des Oelbergs nach allen Seiten der Um¬ gegend gewährt, haben es längst für die Pilger berühmt gemacht. Da liegt vor uns das Alte und Neue Testament sammt der Geschichte des heiligen Landes wie ein auf¬ geschlagenes Buch voll der bedeutungsreichsten Bilder; 1 Die erste Hindeutung darauf weist Tobler beim Mönch Epiphanius nach. Obschon auch er von den eingedrückten Fuss- spuren selbst nichts anmerkt, so sagt er doch dass der inmitten der Kirche liegende Stein «der heilige Stein» heisse. Siehe Allatii Uv^iiKta S. 60. 2 Wir kommen später nochmals auf den Oelberg als Schau¬ platz der Himmelfahrt zurück. Tiachendorf, Aua dem heiligen Lande. 13 194 Aug’ und Seele können sich nicht satt daran sehen. Die alten Zeiten dämmern vor uns auf in feierlicher Gestalt; wir sehen im Geiste die Kämpfe, die Gottes Heilige mit Gottes Feinden gekämpft im Laufe der Jahrtausende; aber wir suchen noch immer umsonst nach der unverwelklichen Palme des Sieges, des Friedens. Der Blick nach Westen umfasst die ganze heilige Stadt, wie sie mit ihren Kup¬ peln und platten Dächern, mit ihren Minarets und Thür¬ men, auf Zion und auf den Höhen im Westen und Norden friedlich lagert hinter der grossen den Vordergrund be¬ herrschenden Tempelarea auf Morjah,. wo sich auf Grund und Boden des Salomonischen Gotteshauses die schönfar¬ bige Felsenkuppel -Moschee gleichwie das Denkmal eines Triumphs stolz erhebt. Neben ihr im Süden, von dunklen Cypressen beschattet, steht jene andere Moschee, el Aksa, deren Erscheinung sogleich die ehemalige christliche Ba¬ silika Kaiser Justinian’s verräth. Bald findet das forschende Auge aber auch die ihm näher befreundeten Heiligthümer der Stadt heraus. Die hohen Thürme der Davidsburg, uns gegenüber im Westen, können unsere Führer sein. Ein wenig nördlich davon steht mit der doppelten Kuppel, den verstummten trauernden Glockenthurm zur Seite, die Kirche des heiligen Grabes, ziemlich inmitten zweier Minarets, von deren einem die Gebetsstimme des Muezzin die schwei¬ gende Stadt treufleissig durchklingt. Wenden wir von diesem ältesten und grössten der christlichen Heiligthümer Jerusa¬ lem^ den Blick wieder zurück zur noch älteren Davidsburg, so treffen wir sehr nahe östlich davon auf das jüngste und in vieler Augen kleinste derselben, auf die in edler Ein¬ fachheit erbaute protestantische Christuskirche. Hinter den 195 Mauern der Stadt ziehen sich im Westen vor dem Jaffa- thore unbedeutende Höhen am Horizonte hin, über die der Pilger den Weg zur fernen Heimath sucht. Nach Süden schweift der Blick bis zu den Bergen um Thekoa und Beth¬ lehem ; besonders tritt der isolirt sich erhebende sogenannte Frankenberg hervor, seit dem 15. Jahrhundert als letzter Haltpunkt der fränkischen Krieger betrachtet, nach neueren Forschungen des tyrannischen Herodes Festungsberg und Grabstätte, etwa eine Stunde südlich hinter Bethlehem; während ungefähr in derselben Entfernung nördlich von Bethlehem auf niederem Höhenzuge das S. Eliaskloster liegt. In nächster Nähe haben wir den Berg des Aerger- nisses, selbst die äussersten Häuser von Siloam. Im Nor¬ den fesselt uns vor allem der höchste Berggipfel der Gegend, der von den Erinnerungen an den Propheten Samuel den Namen Nehi Samwil trägt, wol identisch mit Mizpa, jenem Sammelorte für das gegen heidnische Unterdrückung zum Himmel aufschreiende Volk zu Anfang der Makkabäer- Erhebung.1 Zuletzt stehen wir nach Osten gerichtet. In der nächsten Umgebung können wir den Weg nach Be¬ thanien, der Stadt des Lazarus, nicht bis zu seinem Ziele verfolgen, da es Hügel verdecken ; um so offener und wei¬ ter dehnt sich die östliche mit ihren öden Hügelreihen immer tiefer sich senkende Wüste vor unseren Blicken aus, in welcher nördlich von unserem Standpunkte Jericho die gepriesene Palmenstadt gelegen und südlich das alte der Zeit trotzende Felsenkloster San Saba an der schauer¬ lichen Schlucht des Kidron liegt. Aber in der fernen Tiefe 13 * 1 1. Makk. 3, 46fg. 196 erspähen wir ein für alle Zeiten unverrückbares Merk¬ zeichen göttlicher Fügung in frühester Bibelzeit, das todte Meer, dessen äusserstes nördliches Ende blau hervorschim¬ mert, während noch nördlicher ein schmaler grüner Strei¬ fen auf weisslichem Wüstenboden den Lauf des Jordan andeutet. Hinter Jordan und Meer ragen kahl und farblos die hohen moabitischen Gebirge auf. Dort liegt auch Pisga,1 auf dessen Gipfel Nebo der Herr einst Mose seinem treuen Knechte das verheissene Canaan zu schauen und dann zu sterben gebot, « darum dass er sich versündigt.»2 So haben wir im Osten die Verheissung, im Westen die Erfüllung. Aber auch über diese letzte ist längst der Fuss des Richters hinweggeschritten: «darum dass sie sich versündigt.» Und wie viel Spuren göttlichen Strafgerichts selbst über das neue Israel drängen sich gleichzeitig auf dieser Stätte an uns heran. Wahrhaftig, an keinem Orte der Welt treten die Gerichte Gottes leben¬ diger vor die Seele als auf dem Oelherge, auf welchem gewaltiger Propheten Geist sogar der Tage letzten er¬ glühen sah. Denn « des Herrn Füsse werden stehen zu der Zeit auf dem Oelherge,» so ruft Sacharja aus,3 «und der 1 5. Mos. 34, 1. 2 5. Mos. 32, 49 fg. «Gehe auf das Gebirge Abarim auf den Berg Nebo, der da liegt im Moabiter Lande, gegen Jericho über, und besiehe das Land Canaan, das Ich den Kindern Israel zum Eigenthume geben werde ; und stirb auf dem Berge — gleich¬ wie dein Bruder Aaron starb auf dem Berge Hör — darum dass ihr euch an mir versündigt habt — denn du sollst das Land gegen dir sehen, das Ich den Kindern Israel gebe, aber du sollst nicht hineinkommen». 3 Sacharj. 14, 4. t Jerusalem. 4# % : ' ' : ■ ■ . - > • ’7;- ' ■ : j’ - ^ 197 Oelberg wird sich mitten entzwei spalten vom Aufgang bis zum Niedergang.» Ob denn gerade diese Eindrücke beim grossfürstlichen Besuche des Minarets so lebhaft gewesen, das wird der Leser schwerlich fragen. Die Feder fasste hier zusammen, wozu wiederholter Besuch gedrängt. Als die erlauchten Pilger am 13. Mai dem seltenen Schaugenusse nachge¬ gangen, kürzte ihn ein heftiger Luftzug, der auf der Höhe herrschte, zumal da die Sonne dem Untergange nahe war. Das Dunkel ruhte schon auf der Stadt, als wir sie wieder erreichten. Den 14. Mai. Der Vormittag, von 10 Uhr an, wurde einer feierlichen Messe in den Räumen der Kirche des heiligen Grabes ge¬ widmet. Sie wurde auf Golgotha von Cyrill dem Bischof von Melitopolis und den der russischen Mission angehören¬ den Geistlichen gehalten, und trug demnach einen russisch¬ nationalen Charakter, der sich auch durch die wohlklin¬ genden Stimmen der russischen Sänger bemerklich machte. Grossfürst und Grossfürstin, beide durch musikalische Bil¬ dung ausgezeichnet, wussten dies sehr wohl zu schätzen. Der auf Golgotha unter der marmornen Ueberkleidung hervortretende natürliche Felsen machte grossen Eindruck auf den Grossfürsten und bestärkte ihn in seiner Ueber- zeugung von der Aechtheit dieser Oertliclikeit.1 1 Es wird später der Terränsfrage in Betreff Golgotha’s und des heiligen Grabes ein besonderer Abschnitt gewidmet werden. 198 Nach dem Gottesdienste empfingen Ihre Kais. Hoheiten sämmtliche Erzbischöfe und Bischöfe des Patriarchats von Jerusalem, desgleichen den Metropoliten Agathangelos von Cephalonien, der lange das Kloster von Balaklawa in der Krim verwaltet hatte. Den Griechen folgten die Lateiner, d. h. die Franziskaner -Mönche, jene seit den Kreuzzügen dort ansässigen treuen Vertreter des christlichen, wenig¬ stens des römisch-katholischen Occidents in Jerusalem. Im Laufe des Nachmittags wurden Kirchen und Klö¬ ster mehrerer nicht griechischen Confessionen besucht. Zuerst begaben sich die hohen Pilger in die deutsch - anglikanische Christuskirche. Ehe wir dem be¬ scheidenen schmucken Gotteshause näher treten, muss ich es als eine wichtige Thatsache bezeichnen dass sie über¬ haupt dasteht. Wol hatte schon seit 1820 die so thätige Londoner Judenmission fortwährend vereinzelte Sendboten nach Jerusalem abgeordnet, auch hatten nordamerikanische Missionäre, welche Glaubenseifer nicht mit Bekehrungs¬ sucht verwechseln, das Wort der Schrift daselbst verkün¬ digt: aber von jenen Anfängen einer Thätigkeit und Ver¬ tretung des Protestantismus in der Stadt David’s bis zum Bau der protestantischen Kirche auf Zion war noch ein weiter schwieriger Weg. Erst nachdem in der Seele des hochherzigen Friedrich Wilhelm des Vierten der Gedanke eines anglikanischen Bisthums zu Jerusalem erwacht, von England’ s Theologen und Königin unter Bunsen’s Ver¬ mittlung mit Eifer ergriffen, und von beiden Seiten, der deutschen wie der englischen, mit freigebiger Hand und friedfertiger Gesinnung zur Ausführung gebracht worden war, gelang es den Bau einer protestantischen Kirche auf 199 dem schon 1838 auf Betrieb des unermüdlichen Nicoiayson (eines geborenen Schleswiger) erworbenen Platze ernstlich in Angriff zu nehmen. Der erste anglikanische Bischof, Namens Alexander (Alexander Wolf aus dem Grossherzog¬ thum Posen), zog im Januar 1842 in Jerusalem ein und und legte den 28. Februar darauf den Grundstein zur Christuskirche auf S. Jacob.1 Nach mehrfachen unfrei¬ willigen Unterbrechungen steht sie seit Anfang des Jahres 1849 vollendet; den 21. Februar des genannten Jahres vollzog der neue Bischof Gobat, dem der alte verdiente Missionar Nicoiayson noch wacker zur Seite stand, ihre Weihe. Mit dieser Kirche hat denn der Protestantismus, in deutsch-englischer Gestalt, zum ersten Male festen Fuss in der heiligen Stadt gefasst; die Kirche, die das lautere Evangelium ohne Hierarchie und Satzungswesen bekennt, hatte, so scheint es, ein doppeltes Recht sich dort hei¬ misch zu machen, wo dasselbe Evangelium seine erste und wahre Heimath hat. Der Bau, kostspielig genug — man nennt die Summe von ungefähr 150,000 Thlr. — ist einfach aber würdig im gothischen Stile ausgeführt. Auf 4 bis 500 Menschen berechnet, hat die Kirche in der Form eines lateinischen Kreuzes eine Länge von 65 Fuss bei 55 Fuss Breite. Ihre Mauern bestehen aus Quadern von weissem Kalkstein ; das Dach, dem ein Thurm mangelt, bedecken grosse Schiefer¬ steine, worüber noch Blechplatten liegen. Die Decke über 1 Diese Benennung der den Armeniern und Syrern zuge¬ hörigen Stadtgegend kömmt von der Annahme her, dass dort Jacohus (der Aeltere) auf Befehl des Herodes enthauptet worden. 200 dem Schiffe besteht aus schönem braunen Gebälk von Nuss¬ baum; der Chor dagegen ist gewölbt. Unter der Empor¬ kirche mit der Orgel ist der Eingang. Das Auge des Ein¬ tretenden fällt sogleich auf den Chor im Hintergründe und die Kanzel daneben. Bedeutungsvoll treten vor allem die auf beiden Seiten über dem Altartische angebrachten glänzenden Tafeln von schwarzem Granit hervor, auf denen die zehn Gebote, das Glaubensbekenntniss und das Vater- * unser hebräisch in Goldschrift stehen. Bedeutungsvoll nen¬ nen wir diesen Schmuck der Kirche; denn mit ihm ist zugleich die Tendenz der Judenmission ausgedrückt; ausser geborenen Juden möchten sich wenig andere Kirchgänger daran zu erbauen verstehen. Bischof Gobat, ein geborener Schweizer, der ein an Erfahrungen und Verdiensten so reiches Leben hinter sich hat, nach zwei aufopferungs¬ vollen abyssinischen Missionsreisen und einer mehrjährigen vorzugsweise gelehrten Wirksamkeit an den englischen Missionsanstalten zu Malta, seit 1846 durch die Wahl Friedrich Wilhelm des Vierten Nachfolger des früh ver¬ storbenen Alexander zu Jerusalem, ein Mann von ebenso duldsamer Gesinnung als christlichem Takte und gründ¬ lichen Studien, war ganz geeignet das Interesse des Gross¬ fürsten zu gewinnen. Der letztere vermied es nicht auch dogmatisch-kirchliche Fragen, wie die über den protestan¬ tischen Abendmahlsbegriff, an den anglikanischen Bischof zu richten. Von der Christuskirche zu S. Jacob begab sich der Grossfürst ins nahe armenische S. Jacobskloster. Dies Kloster mit allem Zubehör ist jedenfalls das grösste Jerusalem’s, wol auch das reichste. Der Patriarch, der 201 seine Vorgänger in diesem hohen Amte bis auf den An¬ fang des 14. Jahrhunderts zurückführt, in seinem Sprengel unabhängig von anderer geistlicher Autorität ausser dem Katholikos,1 wohnt hier einem Fürsten gleich; mit ihm wohnen ebendaselbst 5 Bischöfe und noch eine zahlreiche Geistlichkeit. Die für Pilger bestimmten sauberen Woh¬ nungen sind von solchem Umfange, dass, wie man ver¬ sichert, mehrere Tausende darin Unterkommen finden. Die Gärten des Klosters sind eben so schön als ausge¬ dehnt; einen derselben zeichnen ausser einem Olivenhaine \ hohe Pinien und Cypressen aus. Die Kirche bietet den grössten Gegensatz zu der eben verlassenen. An prunk¬ voller Ausstattung ist sie schwer zu übertreffen; dem nüchternen Abendländer scheint dadurch die Andacht eher gestört als gefördert zu werden. Schon die Vorhalle ist aufs Reichlichste mit Freskomalereien aus der biblischen Geschichte geschmückt. Wie David, der König und Sänger vom Berg Zion, seine eigene Gedächtnissfeier in diesem Zionskloster hat, so fehlt er mit Krone und Harfe auch unter diesen Bildern nicht. Auch das Kloster selbst ist bildlich dargestellt. Eine wahre Galerie von Oelgemälden überrascht uns aber im Schiffe der Kirche, dessen Wände sie zieren; grösstentheils sind sie Darstellungen von blu¬ tigen Märtyrerscenen gewidmet. An Geschmack werden sie ohne Zweifel von mannigfaltigen anderen der Kirche mit verschwenderischer Hand einverleibten Werken der Kunst übertroffen, von den prächtigen Arabesken reich 1 Dies ist der Titel des Oberhauptes der armenischen Kirche, der seine Residenz zu Edschmiadzin hat. 202 vergoldeten Gitterwerks , von den bunten Mosaiken in Marmor, sowie den ähnlichen Arbeiten in Perlmutter und Schildkrot. Die beiden letzteren verzieren namentlich die zur Schatzkammer und zur Grabkapelle des Jacobus füh¬ renden Thüren. Im Chore, von hoher Kuppel überragt, sind die früheren Oberhäupter der Kirche lebensgross dar¬ gestellt, und zwar von Jacobus an, welchem bekanntlich die gesammte armenische Kirche eine ähnliche Verehrung zollt wie die römisch-katholische dem Petrus. Für ihn als unsichtbaren Patriarchen steht daher auch zwischen » Chor und Schiff ein stark vergoldeter Thronsessel, neben welchem bescheidener der sichtbare den seinigen hat. Die vor dem Altar an rothseidenen Schnüren schwebenden Strausseneier erinnern an den Gebrauch der Moscheen. Die Reliquien des Jacobus, als grösster Schatz des Klosters betrachtet, bestehen namentlich im Kopfe des Enthaupte¬ ten und in der Hand; beide, in goldener Ueberkleidung, wurden den grossfürstlichen Pilgern zur verehrungsvollen Schau dargeboten. Nachdem Ihre Kais. Hoheiten auf einige Minuten in die reichen Gemächer des Patriarchen eingetreten wa¬ ren, der ihrem Besuche die grössten Aufmerksamkeiten widmete, nahmen sie noch die von den Armeniern in Ver¬ wahrung 'und Verehrung genommenen Kerker Stätten Christi bei Annas und Kaiphas in Augenschein. Beide gehören den benachbarten zwei kleineren armenischen Klöstern an; die bei Annas dem Nonnenkloster, dessen Kirchlein an dem « Messiaskerker » sein ausschliessliches Heiligthum besitzt. In der andern nach dem Erlöser be¬ nannten Kirche beansprucht neben dem zweiten Messias- 203 kerker auch noch ein mit Kalk und Porzellan überkleide- ter und zum Altar benutzter Stein Beachtung und Ehr¬ erbietung; er soll vor Christi Grab gelegen haben, also der vom Engel abgewälzte Stein der Grabesthüre sein. Ebendeshalb wird er auch Engelstein genannt. Im Hofe desselben Klosters befinden sich die Grabmonumente der *- armenischen Patriarchen von Jerusalem. In diesem angeblichen Hause des Kaiphas standen wir bereits auf dem Zion ausserhalb des Thores, obschon das noch innerhalb desselben gelegene Nonnenkloster vom anderen nur gegen 200 Schritte entfernt ist. Der Weg vom armenischen Nonnenkloster zum Thore führte nahe bei den Hütten der Aussätzigen vorüber. Das ist eine traurige Colonie, traurig von innen wie von aussen. Man glaubt zunächst auf einen Winkel mit hin¬ geworfenen rohen Bausteinen gestossen zu sein, bis man die zum Wohnen getroffenen Vorrichtungen merkt. Sech¬ zehn neben und hinter einander liegende Hütten bilden diesen gewissermassen abgeschlossenen Winkel. Mannshoch oder ein paar Fuss höher sind sie aus Steinen schlecht zusammengefügt und überdeckt mit Erde und Reisig; nach der Stadtmauer zu sind sie offen. Die Unglücklichen die sie bewohnen, gegen dreissig an der Zahl, mehr Männer als Frauen, sowol Christen als Moslems, haben keinen andern Verkehr als den unter sich; er mag an wenig Regeln gebunden sein, doch gilt einer ihresgleichen für ihren Schech. So sehr man sich vor jeder Annäherung an diese armen von ärztlicher Pflege ganz verlassenen Kranken in Acht nimmt, so sind sie doch für alle ihre Bedürfnisse auf den Bettel angewiesen. Uebrigens soll 204 sich das Uebel, das sich bald mehr bald weniger stark ausprägt, keineswegs auf die hier Zusammengepferchten be¬ schränken ; auch bleiben die Juden, nach Dr. Tobler’s des Arztes Erfahrungen,1 nicht davon verschont, wie man öfters glauben gemacht; nur birgt man sich lieber, wenn irgend möglich, hinter den Mauern des Familien geheim- * nisses als hinter denen des trostlosen Asils. Indem wir wieder auf die Höhe des Berges Zion zurückkehren, bietet sich uns im nächsten Gesichtskreise des Interessanten manches dar, das Kunde und Zeugniss gibt von naher und ferner Vergangenheit. In ersterer Be¬ ziehung werfen wir einen Blick auf die vielen hier ange¬ legten christlichen Friedhöfe. An einander gereiht, doch ohne Verzicht auf trennende Mauern, liegen dort der armenische, der lateinische, der griechische Friedhof. Unweit südlich vom griechischen kam 1838 ein amerika¬ nischer hinzu, sowie zehn Jahre später der deutsch-angli¬ kanische, der trotz seines kurzen Bestandes schon Grab¬ stätten mit wohlbekannten Namen enthält. Ausser Bischof Alexander gedenk’ ich namentlich eines ernsten deut¬ schen Forschers, des unglücklichen Dr. Schultz, ersten preussischen Consuls zu Jerusalem. Während die erst¬ genannten vier Friedhöfe die nordwestliche Ecke des Ber¬ ges vom Grabe David’s bis zur Stadtmauer einnehmen, liegt der deutsch - anglikanische in geringer Entfernung südwestlich von dem angeblichen alten Königsgrabe. Die hohe Verehrung, die dem letzteren von den Moslems zu Theil wird, lässt es als eine überraschende Toleranz er- 1 Siehe Denkblätter aus Jerusalem S. 413. 205 scheinen, dass alle christlichen Confessionen davor und dahinter ihre Todten bestatten dürfen. Und nicht blos Verehrung, sondern auch besondere Zurückhaltung wird von moslemitischer Seite für dieses Davidische Heiligthum beobachtet; nur in äusserst seltenen Fällen wurde Christen gestattet es zu betreten. Dies geschah aber zu Gunsten 4 der grossfürstlichen Pilger. Das weitläufige Gebäude, worin es sorgsam verborgen gehalten wird, geht auf eine der frühesten christlichen Kirchen zurück, deren Ursprung sogar über die Zeiten der Helena hinaufreicht, obschon sie später der frommen Kaisermutter selbst zugeschrieben wurde.1 Man hatte damit jenes Gemach verherrlicht, wohin sich die Apostel nach ihrer Rückkehr vom Oelberg nach der Auffahrt des Herrn zurückgezogen, jenen « Söller, wo sie alle bei einander waren einmüthig mit Beten und Flehen»,2 und wohin spätere Eingebungen noch viel andere * heilige Erinnerungen verlegten, wie das Abendmahl, die Fusswaschung, die Ausgiessung des heiligen Geistes, Ma¬ riens Sterbestunde. Nach den mancherlei Schicksalen der « heiligen Zions - » oder christlichen « Mutterkirche » ist jetzt noch das sogenannte coenaculum oder der Abend¬ mahlssaal übrig, ein öder zwischen steinernen Mauern unter einem von Säulen getragenen Gewölbe befindlicher Raum, in welchem eine Mauernische nach Osten zu ge¬ wissen Zeiten den Christen zum Messaltare dient und eine andere nach Süden mohammedanischen Betern die Ge¬ sichtsrichtung nach Mekka regelt. 1 Vergl. Tobler IT, 100 flg. 2 Apostelgesch. 1, 13. 14. 206 Unterhalb dieses Betsaals, an dessen westlicher Seite ein Minaret sich erhebt, befindet sich das geheimnissvolle Davidsgrab. Eine eiserne vergitterte Doppelthür führt zu einem raumbeschränkten aber prachtreichen Gemach. Hier steht ein grosser steinerner Sarkophag, dessen Form ganz passend katafalkähnlich genannt worden.1 Den Stein überkleiden schwere grünseidene Stoffe mit vielen Gold¬ stickereien und einer sammtenen Tafel, worauf grosse goldgestickte arabische Schriftzüge stehen. Ueber dem Sarkophage hängt von der gewölbten Decke herab ein Bal¬ dachin, gleichfalls von schwerer Seide und buntgestreift. Die Wände bekleiden blaue Porzellansteine mit Blumen¬ arabesken, den Fussboden ein farbiger Teppich. Dass hier¬ mit nun die wahre Grabstätte David’s geschaut werde, da¬ ran lässt sich selbstverständlicher Weise nicht denken; eher noch könnte es Jemand für das Herodianische Süh¬ nungsdenkmal2 halten. Man hat wol auch mit dem Kata¬ falk selbst nur ein Grabmonument zu errichten gemeint, wenn es auch von mosleini tischen Frommen, die sich ein selt¬ sames Anrecht darauf anmassen, für das Grab selbst gehal¬ ten werden mag. Möglicher Weise bildet aber dies Gemach nur die Kapelle zum unterirdischen Grabe; denn an einer Seite desselben befindet sich eine -mit silbergesticktem Sammet überkleidete und durch zwei davor brennende silberne Candelaber ausgezeichnete Thür, welche abwärts 1 Siehe Tobler II, 15-5 aus den Mittheilungen « Ali Bey’s» eines Spaniers. Yergl. auch in Barclay’s City of the Great King S. 209 fg. die von Miss Barclay gegebene Schilderung, die aus unseren Aufzeichnungen wiederklingt. 2 Siehe Tobler II, 146. 207 führen soll. Mit dem Blicke auf diese Thür war wenig¬ stens die Illusion gerettet, dass das königliche Todtenhaus in nächster Nähe, wenn auch ein wenig tiefer, liege. Bei der Räthselhaftigkeit, die Jahrhunderte lang darüber ge¬ schwebt,1 wäre an dieser Nähe vorläufig immer schon genug. Als Anregung zu weiteren Nachforschungen muss aber doch jene durch die Herrichtung des protestantischen Friedhofs und des daran stossenden bischöflichen Schul¬ hauses, wobei man tiefen Schutt aufgrub, veranlasste Auf¬ findung einer nach oben und nach unten weiter führenden steinernen Treppe betrachtet werden, sollte auch das Un¬ erwartete dabei statt des Gesuchten zu Tage treten.2 Die rechte Zeit zu solchen freilich immer schwierigen Nach¬ grabungen wird gewiss nicht ausbleiben. Auf dem Rückwege durchs Zionsthor wurde auch noch dem syrischen mit einem Kreuze überm Portal bezeicli- neten Kloster und seinem mit dem heiligen Georg ge¬ schmückten Kirchlein ein kurzer Besuch geschenkt. Es soll da erbaut worden sein, wo Maria, die Mutter des Jo¬ hannes Marcus, gewohnt und Petrus hei sich aufgenommen, als ihn des Nachts ein Engel aus dem Gefängnisse ge¬ führt hatte.3 Den 15. Mai. Bereits früh um 9 begaben sich Ihre Kais. Hoheiten in die heilige Grabeskirche zur feierlichen Messhandlung, 1 Siehe Tobler II, 146 fg. 2 Siehe darüber die genaueren Mittheilungen Rosen’s in der Zeitschr. d. Deutsch, morgenl. Ges. Bd. NIV. S. 614. 3 Apostelgesch. 12, 12 fg. 208 doppelt feierlicli da sie der Patriarch in Person vollzog, nebst dem Metropoliten von Petra, den Erzbischöfen von Lydda und von Bethlehem und dem russischen Bischöfe von Melitopolis. Die von ungewöhnlich grossen Kerzen auf vergoldeten Candelabern und von unzähligen bunt¬ schimmernden Lampen erhellten Räume überstrahlte noch bei weitem die Pracht, welche die genannte höchste Geist¬ lichkeit bei dieser Sonntagsmesse entfaltete. Die Mitra des Patriarchen schien an Kostbarkeit mit Königskronen wetteifern zu können; auf seiner Brust prangten zahl¬ reiche handgrosse Insignien in Brillanten und Emaille, darunter auch das jüngste kaiserliche Geschenk. Nach ihm erschien am reichsten in seinem Ehrenkleide der rus¬ sische Bischof. Einen eigenthümlichen Contrast mit all diesem Glanze bildete gerade über unsern Häuptern die vielberufene Kuppel, die mit ihren klaffenden Lücken die ungelöste grosse orientalische Frage darstellte, und halb anklagend halb drohend auf die Versammlung hernieder¬ sah. Vielleicht sagte ich richtiger: bittend und mahnend, da die Hilfe so nahe war. Grossfürst und Grossfürstin — der erstere fortwährend in seiner einfachen Reisetracht — standen dicht beim Eingang zur Engelskapelle des heiligen Grabes und hielten in ihren Händen goldene Kreuze, in denen Stückchen vom Kreuze Christi, Geschenke für die hohen Träger, verborgen waren. Bei der kirchlichen Hand¬ lung traten die Gebete für die kaiserliche Familie merk¬ lich hervor. Die Consekration der Abendmahlselemente und die Communion des Patriarchen und der Bischöfe in der Grabeskapelle bildeten nach fast zwei Stunden den Schluss. 209 Im Laufe des Tags empfing der Grossfürst den römisch- katholischen Patriarchen Valerga. Der hohe Würdenträger, der noch Gele Jugend in seiner Erscheinung verräth, hatte keineswegs vergessen dass auch sechs Millionen seiner Glaubensverwandten unter dem russischen Scepter leben. Nachmittags um 4 wurde ein Umzug um die Stadt unternommen. Doch vor dem Austritt aus der Stadt be¬ stiegen wir die Davidsburg oder den Davidsthurm. Mit diesem Namen wird nicht sowol die ganze Citadelle als vielmehr einer ihrer viereckigen starken festen Thürme bezeichnet. Er liegt nahe bei der Nordostecke der Cita¬ delle und zeichnet sich vor den andern vier Thürmen, die aus vielfacher Zerstörung sich immer wieder neu mögen erhoben haben, durch die grossen Quadersteine mit Fugen¬ rändern von 8 bis 12 Fuss Länge bei ungefähr 4 Fuss Breite und Höhe aus, welche seine unteren Werkstücke 40 bis 50 Fuss hoch bilden. Diese alten Construktionen haben nicht nur den vom siegreichen Titus zum Zeugnisse für die römischen Waffen geschonten Hippikus des Herodes wiedererkennen lassen, sondern sie machen es sogar wahr¬ scheinlich dass schon Herodes ältere vielleicht Davidische Bauten benutzt habe, zumal da die Berg und Stadt be¬ herrschende Lage der ganzen Citadelle keinen Zweifel lässt, dass hier von Anfang an Jerusalem’ s festester Punkt gewesen, also auch die Burg David’s gelegen. Wer in dieser Ueber- zeugung den Thurm besteigt, dem neueres Mauerwerk die doppelte Höhe von dem vorhandenen alten Steinquader¬ bau gegeben, bedarf nicht noch zweifelhafter Curiositäten, um sich im Geist in diejenige Vergangenheit der heiligen Stadt zu versetzen, aus welcher uns mit der Kunde heiliger Tisch endorf, Aus dem heiligen Lande. 14 210 Kriege des aus erwählten Volkes zugleich die unvergäng¬ lichen Denkmale frommer Begeisterung seiner Könige und Propheten geblieben sind. Die bekannte geheime Kammer des Davidischen Thur- mes wurde auch bei unserem Besuche nicht erschlossen; es war, wie in dergleichen Fällen im Oriente so oft, der Schlüssel nicht sofort zur Hand, und der Grossfürst war¬ tete die Nachforschungen nicht ab. Oben aber auf der Terrasse genossen wir der herrlichen Aussicht auf die Stadt und die umliegenden Berge. Jerusalem ist reich an Punkten mit lohnender Aussicht ; selbst viele seiner platten Dächer gewähren sie ; doch möchte nach dem Oelberg die Citadelle den schönsten Ueberblick bieten ; reicht doch ihre Fernsicht, wenn auch nicht bis auf den von kühner Phantasie geschau¬ ten Horeb und Tabor, in südöstlicher Dichtung sogar bis zu einem Streifchen des todten Meeres am Fusse des Moa¬ biter Gebirgs. Mich zog zumeist an was am nächsten liegt, wie der Hiskias- oder Patriarchenteich mit seiner ruhigen Spiegelfläche zwischen den steilen Häuserwänden. Vor dem Jaffathore, das nur wenig Schritte nördlich von der Citadelle liegt, stieg die Pilger -Gesellschaft zu Pferd und wandte sich nördlich dem Damaskusthore zu. Die Strecke zwischen diesen beiden Thoren ist bis jetzt ziemlich verödet; links von uns oder im Nord westen, vom Tliore über 900 Schritte entfernt, liegt der Mamilla- oder obere Gihon- Teich, da wo das Thal Hinnom beginnt, das sich dem Abhänge des Zion entlang zieht. Von Osten nach Westen beträgt seine Länge gegen 300 Fuss bei einer Breite von fast 200; seine steinernen Wände, mit Mörtel aufgemauert und in den Ecken mit schlecht er- 211 haltenen Stufen versehen, haben eine Höhe von 20 Fuss. Sehr wahrscheinlich ist es der von Jesajas genannte «obere Teichö, wogegen der ein wenig südlich unterhalb des Jaffa¬ thors in demselben Thale Hinnom gelegene, jetzt mit dem Namen Birket es Sultan belegte als «Unterteich» erscheint. Seine Wasser gewinnt er, soweit sich’s bis jetzt ergründen lässt, ausschliesslich vom Regen, den die umliegenden Hö¬ hen dort zusammenströmen lassen. Durch einen Canal speist er den Patriarchen- oder Hiskiasteicli zwischen dem Jaffa - thore und der Kirche des heiligen Grabes. Rings um den Ma- milla-Teich haben die Mohammedaner Begräbnisse angelegt. Eine kleine Anhöhe, auf die wir ritten, näher dem Jaffa- als dem Damaskusthore, bezeichnete mir der Gross¬ fürst als das Terrän für die damals eben entschiedenen Bauunternehmungen Russlands. Eine andere näher dem Damaskusthore mit einem Olivenhaine kam noch dazu. Der Sultan selbst schenkte zuvorkommend zu der gekauften Landschaft ein Stück vom Exercierplatze der Besatzungs- Truppen. Dass sich nun dort vor den Thoren und Mauern Jerusalem’ s eineNeustadt erbaut, gleichfalls hinter schlitzen¬ den Mauern, ist seitdem in Europa vielfältig bekannt ge¬ worden. Zur Alexanderkirche wurde 1860 am Geburts¬ tage des Kaisers Alexander II. der Grundstein gelegt; ein bischöflicher Palast, umfängliche Pilgerwohnungen und an¬ dere nützliche Baulichkeiten erheben sich daneben. Solche Erlichte trug als erstes Samenkorn das muthige begeisterte Wort der Tochter jenes Speransky, an welchem Russland’s Annalen eine ihrer denkwürdigsten Gestalten besitzen, ebenso hervorragend durch Talent Charakter und Ver¬ dienst, wie ihn die Intrigue, die Mordwaffe des Neides, 14* 212 zum Helden der Geschichte gemacht. Als in der Folge aus allen Kreisen der russischen Kirche eine solche Opfer¬ freudigkeit für die Interessen des russischen Pilgers «qui s’en va deposer humblement au pied du Golgotha ses souffrances, ses douleurs, ses esperances et sa foi»1 2 her¬ vorgetreten war, dass dem Grossfürsten Constantin Mil- i Honen Rubel zur Disposition gestellt werden konnten, so musste diese Thatsache gar wol eines Denkmals von so dauernden Formen werth erscheinen, wie der Bau einer Pilgerstadt unmittelbar neben den Heiligthümern von Zion und Golgotha. Das Damaskusthor der nördlichen Mauer war der nächste Punkt, der die Aufmerksamkeit fesselte. Bezeich¬ nender ist sein arabischer Name: Säulenthor, da er auf die schmächtigen Säulen hinweist, die den Spitzbogen tragen , über welchem sich der Maueraufsatz mit Zinnen erhebt. Es gilt mit Recht für das stattlichste der Thore Jerusalem’s, und hat gewöhnlich die Ehre dem neuen Pascha zum Einzug zu dienen. Wenn es auch, so wie es jetzt vor Augen steht, auf kein besonders hohes Alterthum zurückreichen mag, so hat doch gewiss das schon im 4. Jahrhundert erwähnte Nahlustlior, ein Name der auch jetzt noch von ihm gebraucht wird, und das in den darauf folgenden Jahrhunderten öfter genannte Stephansthor - keine andere Lage gehabt. Die Rückbeziehungen über das 4. Jahrhundert hinauf haben ihre grosse Schwierigkeit 1 Les pelerins Russes ä Jerusalem. Par Mme de Bagreef- Speransky. I, 77. 2 Die ältere Tradition verlegte also in diese Gegend die Steinigung des ersten Märtyrers. 213 darin, dass gerade im Norden der Stadt der Lauf der alten Mauern so vieldeutig ist. Dennoch ist zwischen dem Damaskusthore und der Nordostecke der heutigen Mauern an vielen Stellen der bis zu 20 und 30 Fuss aufragende Felsengrund dieser letzteren so auffällig, dass- hier von der Natur selbst die Bahn der Mauer vorgezeichnet war. Dieser Umstand, zusammengehalten mit den kolossalen Besten uralter Anlagen in der Nordwestecke nahe beim lateinischen Salvatorkloster, einige hundert Schritte vor dem Damaskusthore, geben der Annahme,1 dass die heu¬ tige Nordmauer der dritten Mauer des Josephus, d. h. der von Herodes Agrippa unternommenen, in der Hauptsache entspricht, keinen geringen Flalt. Zu unserer Linken hatten wir beim Damaskusthore, ' in einer Entfernung von etwa 10 Minuten nach Norden, jenen berühmten und bewundrungswürdigen alten Felsen¬ gräberbau, der den Namen: Gräber der Könige führt, wahrscheinlich identisch mit den Gräbern der Herodiani- schen Königsfamilie, von denen im ersten christlichen Jahrhunderte Erwähnung geschieht.2 Aus der Ferne sind sie nicht sichtbar, da der Fels selber, in dem sie angelegt sind, nicht über seine Umgebungen hervortritt. Viel näher, nur ein paar hundert Schritte entfernt, hatten wir in derselben Dichtung einen anderen Felsen¬ bau, der nach seiner ursprünglichen Bestimmung und seinen späteren Schicksalen viel räthselhafter ist als die Königsgräber, die sogenannte Jeremiasgrotte. Sie ver- 1 Siehe darüber besonders Krafft, S. 39 fgg. 2 Siehe Tobler II, 298 fgg. 214 * räth sich entschieden als ein uralter Steinbruch, und hat wol Steine zu den frühzeitigsten Maueranlagen und anderen Bauten geliefert. Ebenso wenig lasst sich verkennen dass sie zu Gräbern gedient, weshalb vermuthet worden ist dass hier das Grab des Herodes oder das des Alexander Jannäus gelegen. Die Nützlichkeit des Steinbruchs mag sich später von Neuem wieder geltend gemacht und der Erhaltung etwaiger Grabdenkmäler geschadet haben. Die Legendenverknüpfung der Höhle mit dem Propheten Je¬ remias, der in ihr seine Klagelieder verfasst haben soll, ist erst aus den Jahrhunderten nach den Kreuzzügen nach¬ weisbar. Nach Jahrhunderten schlugen aber auch von Neuem die Todten ihre Wohnungen hier auf, und zwar folgte auf fromme Christen, deren im 15. Jahrhunderte gedacht wird, der Moslem, der noch heute, besonders über oder hinter den hohen nicht selten durch Scenen der An¬ dacht belebten Felsenräumen, an diesem Gebrauche festhält.1 Beinahe gegenüber dieser Grotte, über 100 Schritte östlich vom Damaskusthore, öffnet sich im Felshoden der i Stadtmauern jene ungeheuere Höhle, deren Auffindung vor zehn Jahren die den Boden aufscharrende Dogge eines Amerikaners herbeigeführt.2 Man hat in ihr die im Mittel- alter — im Jahre 1101, desgleichen im 15. Jahrhundert — gekannte sogenannte Baumwollenhöhle wiedererkannt. Sie ist vorläufig ein vortrefflicher Beleg zu der von Taci- 1 Vergl. Tobler II, 191 — 202. 2 Notizen darüber gibt Tobler: Dritte Wanderung etc. S. 264. Ebendaselbst S.255 — 265 ist eine genaue Beschreibung des gan¬ zen Fundes gegeben. \ 215 tus 1 gegebenen Nachricht, dass Jerusalem auf unterhöhlten Bergen stehe. Ohne Zweifel stellt sie ein Produkt mensch¬ licher Kunst dar, wenn auch immer natürliche Andeutungen zu dem Baue können Vorgelegen haben. Die ausgehauenen Felsengänge laufen in verschiedener Richtung weiter, vor¬ zugsweise südöstlich; in gerader Linie wird ihre Länge auf 644 Fuss angegeben, und dabei eine Senkung von un¬ gefähr hundert Fuss. Die durch den Abbruch des reichen Baumaterials gewonnenen Räume sind bald enger bald weiter; damit die untergrabene Decke die darüber errich¬ teten Bauwerke der Stadt nicht gefährde, liess'man na¬ türliche Stützpfeiler stehen. An einer der Felswände be¬ findet sich ein Brunnenbassin, wohin das nicht eben zu einem Labetrunk geeignete bittere Wasser ab tröpfelt. Mit der Basis des Haram es Scherif oder mit dem Moriah, wie man wol vermuthen könnte, liegt keine Verbindung vor; vielmehr ist das östliche Ende der Felsengänge noch um Hunderte von Schritten von cRm Nord westwinkel des Ha¬ ram entfernt. Einen mächtigen Eindruck macht es, in diese uralte unterirdische Werkstätte für die Stadtbauten, für den Tempel, für die Festungswerke, mit düsterem Kerzen¬ lichte einzutreten; es ist als träte man einem Geheimnisse der Vorzeit näher, von dem doch immer noch mehr ver¬ borgen bleibt als zu Tage tritt. Ausserordentliche Einzel¬ reliquien giebt’s darin natürlich nicht; doch finden sich Knochenreste, unter denen auch menschliche Gerippe er- 1 Tacit. histor. 5, 12 «cavati sub terra mofites», was aller¬ dings zunächst in Bezug auf den Tempel gesagt, aber doch nicht auf ihn beschränkt zu werden scheint. 216 kenntlich sind, wahrscheinlich in tiefe Nacht gebettete Zeugnisse dunkler Verbrecherthat. Wie die königlichen Grabkammern der Pyramiden bei Gizeh, so werden auch diese Felseneinöden unter Jerusalem von keinem anderen le¬ benden Wesen, Avie es scheint, als von Fledermäusen bewohnt. Haben wir durch den engen Ausgang die Baumwollen¬ höhle wieder verlassen und unseren Weg, beim längst ver¬ mauerten Herodes- oder Blumenthore vorbei, nach der Nordostecke der Stadtmauern fortgesetzt, so wartet unser daselbst mit einem überaus fröhlichen und lieblichen An¬ blicke der Oelberg, jener treueste Zeuge der vergangenen Jahrtausende Jerusalem^ und vor allem der Erinnerungen aus dem Leben des Herrn. Darum hängt auch an ihm das Auge des Pilgers unersättlich. Die vereinzelten, selten dichter stehenden Oelbäume, die er noch immer trägt, untermischt mit Feigenbäumen, auch Terebinthen und anderen Bäumen, wozu Strecken mit Getreidefeldern kom¬ men, schmücken ihn noch mehr als die Baulichkeiten an seinem Fusse und auf seiner Höhe, auf welcher immer¬ hin das Minaret für viele eine wdllkommene Andeutung der Himmelfahrt bieten mag. Wir sehen von unserem Stand¬ punkte genauer seine Gestalt ab, wie er sich in seine drei Gipfel theilt; namentlich scheidet sich sichtlich der mittlere Hauptgipfel von der nördlichen Kuppe, Rarem es Sejad, bekannter unter der christlichen Bezeichnung als Galiläa oder Viri Galiläi, wodurch man des Heilands Verkehr mit seiiüen galiläischen Jüngern, Erscheinungen des Auferstandenen, die nach der Auffahrt den galiläischen Männern erschienenen Engel in weissen Kleidern auf ihn übertrug, offenbar mit wenig Geschick. Weiter nördlich 217 von dieser Kuppe, hinter den Gräbern der Könige und denen der Richter, trifft das Auge auf den Scopus, der zum wahren « Luginsland » durch die dortigen Lagerungen von Cestius und Titus geworden, sowie auch schon Alexan¬ der, der grosse Macedonier, auf seinem Streifzuge nach Jerusalem von dieser Höhe die Stadt erschaute. Das Thal Josaphat oder, wol von seinem Schatten¬ reich thume so benannt, Kidronthal (Dunkelthal, Schwarz¬ thal) hat seinen nordwestlichen Anfang schon hinter den Gräbern der Könige, und zieht sich von dort bis zum nord¬ östlichen Ausgange des Hinnom -Thals beim Hiobsbrunnen gegen drei Viertelstunden hin. Auf derselben Strecke haben wir den «Bach Kidron» zu suchen; aber als Bach kennt ihn nur die Geschichte. Es gibt wol noch jetzt von starken Regengüssen abgespülte Stellen, und das Bett des Giess¬ bachs, zum Theil sogar zu Ackerfeld benutzt, ist auch noch kenntlich; zu keiner Jahreszeit jedoch fliesst ein Bach. Die beiden vorhandenen Kidronsbrücken, die obere bei Gethsemane, die untere heim Absaloms- Denkmale, kürzen jetzt nur den Weg über die Thalschlucht. Wir nahmen bei diesem Ritte um die Mauern Ge¬ legenheit das Material der letztem selbst genauer ins Auge zu fassen. Gerade zwischen dem Stephansthore, gegen an¬ derthalbhundert Schritte von der Nordostecke, und dem goldenen Thore machen sich an den unteren Theilen der Mauer, die hier zugleich der Tempelarea und der Stadt angehört, kolossale Steine bemerklich, die ein ausserordent¬ lich hohes Alter verrathen und gewiss über die Zeit Christi weit hinaufreichen. Der Grossfürst mochte diese Annahme nicht gern gelten lassen; das Wort des Herrn, das er im 218 Angesichte der Tempelgebäude an die Jünger gerichtet: Es wird hier kein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde,1 schien ihm damit zu streiten. Für mein Auge ist dieses prophetische Wort in der ergreifend¬ sten Weise erfüllt worden, wenn auch diese Steine von der Zerstörung aller jener bewunderten Herrlichkeit und Pracht übrig geblieben sind. Sie sind übrig geblieben gleich einem verschont gebliebenen Schlachtboten des Alter¬ thums, um noch den spätesten Geschlechtern Zeugniss davon zu geben, welch ungeheuere Werke menschlicher Kraft und Kirnst vor dem Fluche des Herrn zerstoben sind. Es liegen unweit südlich vom Stephansthor Mauer¬ steine von 10 bis 20 Fuss Länge; der grösste hat sogar über 22 Fuss Länge bei 5 Fuss Breite und fast 3 Fuss Höhe. Das¬ selbe wiederholt sich in noch stärkerem Masse an der Süd¬ ostecke, bis zu welcher die Mauer, wegen der Ungleichheit des Bodens auf dem sie steht, von 44 Fuss (beim Stephans- thore) bis zu 88 Fuss ansteigt. Dort sind nicht weniger als fünfzehn Lagen so riesenhafter Steine übrig ; ihre Länge beträgt von 16 bis 23 Par. Fuss bei 3 und 4, ja sogar 6 Fuss Höhe. Wir halten einen Augenblick beim goldenen Thore, das seinen Namen wahrscheinlich von dem Golde erhielt, womit es ehedem bekleidet sein mochte, vielleicht zur Er¬ innerung an das gleichfalls goldbekleidete frühere Tempel¬ thor an derselben Stätte.2 Denn dass das jetzt vorhandene 1 Matth. 24, 2. Marc. 13, 2. (Luc. 19, 44.) 2 Vergl. Joseph, de bell. Jud. 5, 5, 3. wo es von 9 Thoren heisst dass sie «von Gold und Silber ringsum bedeckt» gewesen. 219 über Hadrian’s Aelia Capitolina hinaufreiche, ist sehr un¬ wahrscheinlich, wie auch der an demselben befolgte rö¬ mische Baustil beweist.1 Trotz der Vermauerung, die bald nach den Kreuzzügen erfolgt sein mag, ist die Schön¬ heit der Anlage noch sichtlich genug, namentlich an den äusseren Doppelbogen und an Säulenknäufen, deren Säulen nicht mehr vorhanden sind, sowie an den prächtigen Säulen im Innern, die uns später beim Besuche der Omarmoschee gezeigt wurden. Christliche Tradition lässt den Heiland am Palmsonntage durch dieses Thor seinen Einzug in die Stadt halten', wobei er allerdings nach den evangelischen Berichten2 von Bethanien und dem Oelberge her ankam und sofort den Tempel betrat. Unter den fränkischen Königen bewegte sich daher auch zum Gedächtnisse dieses Einzugs die grosse Procession des Palmsonntags durch dasselbe Thor.3 Dem Moslem sagt man nach, dass er das goldene Thor , von ihm « das ewige » und « das Gnaden¬ thor» genannt, deshalb für immer unzugänglich gemacht habe, weil er vor einem feindlichen Einzuge durch dasselbe, namentlich am Freitage während der Gebetsversammlung in der Moschee, eine abergläubische Furcht hege. 1 Die früheste Erwähnung dieses Thors möchte sich im lateinischen Evangelium des Pseudomatthäus (S. 59 in meiner Sammlung), sodann auch im Evangelium de nativitate Mariae (S. 108 a. a. 0.) nachweisen lassen, wo die Begegnung des heim¬ kehrenden Joachim mit der vom Engel gesegneten Anna ans goldene Thor verlegt wird. Das griechische Protevangelium aus dem 2. Jahrh. (S. 9. a. a. 0.) lässt hingegen das Thor der Begegnung ohne nähere Bezeichnung. 2 Matth. 21, 12. Marc. 11, 11. Luc. 19, 45. 3 Vergl. Tobler, Golgatha 447. 220 Sehen wir vom goldenen Thore aus zu den christ¬ lichen Heiligthümern des Thaies nieder, so haben wir zu unserer Linken im Norden die Grabkirche der Ma¬ ria und Gethsemane. Uns gegenüber erhebt sich auf dem Oelbergsgipfel die Himmelfahrtskapelle. Zu unseren Füssen sehen wir einen mit ansehnlichen Grabsteinen und Grabdenkmälern ausgestatteten mohammedanischen Be- gräbnissplatz. Einen anderen viel ausgedehnteren, aber be¬ scheidener mit flachen Steinen belegten treffen wir weiter unten am Abhange und am Fuss des Oelbergs, der süd¬ östlichen Mauerecke gegenüber: das ist der grosse jüdische Friedhof. Sinnig haben sich dort die jüdischen Epigonen zwischen die uralten Todtenhäuser ihrer Altvordern hin¬ gebettet. Denn hinter und über diesem Friedhofe, etwa 200 Schritte südöstlich, liegen die sogenannten Propheten¬ gräber, offenbar eine altjüdische Begräbnisstätte, im Her¬ zen eines wreichen hellgrauen Kalkfelsens in Kammern und Galerien, welche natürliche Pfeiler von einander trennen, kunstreich angelegt, vermehrt auch noch durch einen we¬ niger regelrechten, doch gleichfalls in Gängen und Kam¬ mern labyrinthisch ausgeführten Gräberbau. Unmittelbar vor und bei dem Friedhofe aber zieren die Thalschlucht jene seit anderthalbtausend Jahren oft genannten und beschriebenen vier merkwürdigen F e 1 s e n d e n k m ä 1 e r , von denen die zwei monolithisch erbauten am gewöhnlich¬ sten nach Absalom und Zacharias benannt werden, wäh¬ rend die beiden anderen, als Grabhöhlen in der Fels¬ wand angelegt, die Namen Josaphat’ s und Jacob’s tragen. Doch nicht nur um dieser doppelten Nachbarschaft willen drängt die Judengemeinde gerade hier ihre Todten zu- 221 sammen; weit mehr noch geschieht’ s im Festhalten an jenen Worten des Propheten Joel (3, 7. 17.), wornach ins Thal Josaphat der Herr alle Völker zum Gericht ver¬ sammeln wird. Wie in so vielen Stücken hat auch hierin der Moslem den jüdischen Glauben adoptirt, in¬ dem er auf einer Säule, die aus der Mauer zwischen dem goldenen Thore und der Südostecke, an der Grenze des oben genannten mohammedanischen Gottesackers, ziemlich hoch um 3 Fuss hervorragt, dereinst seinen Propheten als Richter aller Seelen sitzen lässt. Die schon genannten mit alten biblischen Namen be¬ legten Felsendenkmäler fesselten in hohem Grade die Auf¬ merksamkeit des Grossfürsten ; namentlich die beiden mono¬ lithisch angelegten, von denen das auf David’s rebellischen Sohn gedeutete am eigenthümlichsten ist. Nach drei Seiten, der nördlichen östlichen und südlichen, wird es vom na¬ türlichen Felsen begrenzt, der nach Osten und Süden nur acht bis neun Fuss vom Denkmal absteht. Aus diesem Felsen wurde der untere Theil des Denkmals selbst in der Form eines Würfels ausgehauen; er ist gleich dem Felsen zwanzig Fuss hoch und hat neunzehn Fuss ins Gevierte. An jeder Seite sind zwei Halbsäulen und zwei an Eck¬ pfeiler sich anlehnende Viertelsäulen mit jonischen Ivapi- tälern ausgeführt. Diese Säulen tragen einen mit Drei¬ schlitzen (Triglyphen) Rosen und Tropfen verzierten Fries. Auf dem monolithischen Würfel ruht zunächst ein aus wenigen Werkstücken gebildeter quadratischer Aufsatz, et¬ wa fünf Fuss hoch; auf diesem ruht wieder ein anderer cylinderförmiger von fast gleicher Höhe, oben mit einem nach Art des Turbans gewundenen Kranze geschmückt. Ueber dem Cylinder endlich erhebt sich ein Kegel, der \ unten aus einer doppelten Mauerlage, dann aber aus einem einzigen gegen zehn Fuss hohen, fast glockenförmigen, ziemlich schmächtigen Steine besteht, dessen Spitze, mit einem Kranze umlegt, eine gleich einer Krone sich öffnende Blume trägt. Das ganze Denkmal, gegen 45 Fuss hoch, macht trotz mehrfacher Beschädigung und des an einigen Stellen hervorwuchernden Strauchwerks noch immer einen sehr guten Eindruck, den Eindruck, dass es das Andenken einer fürstlichen Person in würdiger Weise verherrlichte. Die ins Innere führenden Oeffnungen oder Löcher, deren jetzt drei vorhanden, führen nur zu Steinhaufen, dergleichen auch aussen liegen, in Folge der schon seit mehreren Jahr¬ hunderten nachweisbaren Sitte, der Moslems besonders, dem Andenken des ungerathenen Sohnes durch einen Stein¬ wurf auf oder ins Denkmal zu fluchen. Wer nun aber die fürstliche Person gewesen, deren Gedächtniss dies Monument erhalten sollte, wird Niemand mehr darthun können. Dafür dass es wirklich « die Hand Absalom’s» sei, jene «marmorne Denksäule », die sich derselbe « im Königsthal e » « zwei Stadien von Jerusalem » unter diesem Namen errichtete,1 lässt sich immerhin die entsprechende Lage und Entfernung von der Stadt2 geltend machen; sowie der Umstand, dass dieses Denkmal Absa¬ lom’s noch zu Josephus Zeiten (allem Anscheine nach) ge¬ standen, anderer Denkmäler aber von ihm gar nicht ge- 1 Siehe Joseph. Ant. Jud. VII. 10, 3. Die erste Nachricht davon steht schon 2. Sam. 18, 18. 2 Der Oelberg liegt nach Josephus «5 Stadien» von Jeru¬ salem. dacht wird, wogegen schon 334 — kaum 250 Jahre nach Josephus — keine anderen Denkmäler als die unsrigen, und zwar als sehr alt, vorhanden waren. In der ausser- ordentlich schwankenden Tradition erscheint als erster Vertreter dieser Ruckbeziehung der Jude Benjamin von Tu- dela nach der Mitte des 12. Jahrhunderts, während der Pilger von Bordeaux die zwei von ihm zuerst angeführten prächtigen Grabdenkmäler, von denen er das eine als einen wahren Monolithen bezeichnet, auf den Propheten Jesajas und den König Hiskias deutete. Diese Deutung vom Jahre 334, wobei die auf Jesajas wahrscheinlich unserem Absa- loms- Denkmale zukommt, beweist wenigstens, dass man schon damals ein tausendjähriges Alter der Monumente annahm, obgleich die Kunstkenner die griechisch-römischen Elemente des Baustils nicht ganz in Einklang damit finden.1 Im Baustil ist mit dem Absaloms- Denkmale in der Hauptsache einig das südlichste der Gruppe, das nach Zacharias benannte. Anstatt des letzteren nennt der Pilger von Bordeaux den König Hiskias; vielleicht schon im 7. Jahrhundert (bei Gregor von Tours) trat Zacharias, ((er¬ schlagen zwischen Tempel und Altar» und bald als Baruch’s bald als Jojada’s Sohn aufgefasst,2 die Erbschaft an; nichts¬ destoweniger fehlt jeder sichere Anhalt für diese Bestim¬ mung. Das Denkmal ist seinem ganzen Bestände nach Monolith und massiv. So hoch die dasselbe nach Norden 1 Ausführlich handelt von diesem und den andern Denk¬ mälern Tobler: Die Siloahquelle und der Oelberg, 266 fgg. 2 Luc. 11, 51. Matth. 23, 35. 2. Chrom 24, 21 fg. Protevang. Jac. 23. 24. Joseph, d. bell. Jud. IV, 5, 4. 224 Osten und Süden umgebende Felswand ansteigt, ebenso hoch, d. h. 31 Fuss, ist es aus dem Felsen ausgehauen. Sein Unterbau ist dem beim Absaloms- Denkmale sehr ähnlich. Er hat die Gestalt des Würfels, misst nach jeder Seite 17 Fuss und ist 19 Fuss hoch. Alle vier Seiten sind durch Halbsäulen sowie durch Viertelsäulen und Eckpfeiler ausgezeichnet; die Kapitaler gehören der jonischen Ord¬ nung an. Schmuckloser dagegen als bei jenem Denkmale ist das Gesimse, und über dem ganzen Unterbau erhebt sich statt des Kegels eine vierseitige 12 Fuss hohe Py¬ ramide mit stumpfer Spitze. An der nördlichen Felswand neben diesem Pyramiden- Denkmal befindet sich das dritte der Denkmäler, als Ja- cobsgrab oder Jacobshöhle benannt. An jener Felswand selbst, also an der südlichen Grenzwand der Jacobshöhle, führt eine Oeffnung in einen 24 Fuss langen nach Norden gerichteten Gang, und aus diesem Gange wird über drei Stufen eine geräumige viereckige Halle betreten, die sich nach Westen gegen zwanzig Fuss über der Felsbasis öffnet und durch zwei 7 Fuss hohe, mit dorischen Kapitälern versehene Rundsäulen nebst zwei Eckpfeilern ein statt¬ liches Portal erhält. Aus dieser Halle gelangt man in drei nach Osten gelegene Kammern, von denen die mitt¬ lere auch noch eine nördliche und eine südliche Seiten¬ kammer hat. Die in diesen Kammern vorhandenen Schieb¬ gräber lassen keinen Zweifel über den ursprünglichen Zweck des Felsenbaues; ihrerseits lässt die Tradition vorzugsweise den Apostel Jacobus nach des Meisters Gefangennehmung daselbst eine Zufluchtsstätte finden. Am nördlichsten endlich, aber gleich hinter dem Ab- 225 saloms -Denkmale, nämlich, nahe bei der nordöstlichen Ecke der das letztere begrenzenden Felswand, liegt diejenige Fel¬ senhöhle, die als Grabmal Josaphat’s bezeichnet wird. ' Der Eingang, der einen dreieckigen alterthümlich verzierten Giebel über sich hat, ist des anfgehäuften Schuttes halber fast unzugänglich. Er führt zu einem unregelmässigen Bau von Felsenkammern, an deren Wänden noch Spuren alter Freskomalereien übrig sind. Die daselbst befindlichen Grabsteine und Todtengebeine gehen jedoch nicht aufs Alterthum zurück; vielmehr haben noch jetzt die Juden den Gebrauch, Todte hinein zu begraben. Dagegen ist es sehr wahrscheinlich gemacht worden,1 dass hier vor Alters eine christliche Kapelle bestanden, deren unter dem Namen der Jakobskapelle zur Zeit der Kreuzzüge ausdrücklich gedacht worden.2 Freilich kann dies doch nui; die sekun¬ däre Benutzung einer älteren Anlage gewesen sein, welche ihr zu Gefallen eine Umgestaltung erfahren haben mag. Bald nachdem wir die Gräber mit ihrer öden stei¬ nigen Umgehung verlassen hatten, begrüssten wir, indem wir der Kidronsschlucht entlang nach Süden gingen, die freundliche unterhalb des Dorfes Siluan gelegene Land¬ schaft. Ziemlich beim Anfänge des Dorfes, unterhalb der äussersten nördlichen Häuser, gegenüber dem westlich ge¬ legenen alten, jetzt seiner ursprünglichen Bestimmung zu¬ rückgegebenen Mistthore, das die Grenze der für Stadt und Tempelarea gemeinsam dienenden Mauer bildet, befindet sich die Quelle Siloah, die seit langer Zeit am gewöhn- 1 Siehe Tobler: Die Siloahquelle etc. S. 307 fg. 2 Siehe Tobler a. a. 0. S. 301 feg. \ Tischendorf, Aus dem heiligen Lande. 15 226 liclisten Quelle der Jungfrau Maria genannt wird, weil diese nach alter Tradition die Windeln Jesu darin ge¬ waschen.1 Auf zwei steinernen, gegen die Mitte durch einen ebenen Platz getrennten Treppen von 18 und 14 Stufen steigt man zu der etwa 20 Fuss tief gelegenen Quelle, und einige Schritte durch einen kurzen im Kalk¬ felsen ausgehauenen Kanal führen zu ihrem eigentlichen Becken. Dass wir hier an der wahren altberühmten -Si- loahcjuelle standen, nahm auch der Grossfürst an; die nach Piobinsoirs Vorgang namentlich von Tobler darüber geführten Untersuchungen schienen zu dieser Annahme vollkommen zu berechtigen. Seit Jesajas (8, 6) von dem «Wasser zu Siloah, das stille geht >> , geschrieben, ist es unendlich oft genannt und gefeiert worden. Hat es doch auch der Prophet von Mekka zu einer der Paradieses¬ quellen erklärt. Von der heissen Temperatur, die sich auf unserer Maiwanderung fühlbar machte, unterschied sich auffällig diejenige unten an der Quelle. Doch ging auch der Grossfürst bis zur letzteren selbst hinab, und kostete mit uns vom Siloaliwasser, das sich als mässig frisch und angenehm weich bezeichnen liess. Die grösste Merkwürdigkeit an dieser Quelle ist jeden¬ falls das neuerdings wiederholt beobachtete,2 wenn auch nicht erklärte plötzliche Wachsen und Abnehmen ihres 1 Tobler fand diese Tradition zuerst hei Sigoli vom Jahre 1384 verzeichnet. S. Die Siloahquelle etc. S. 5. Die späteren apokryphischen Kindheitsevangelien, so reich an dergleichen Er¬ zählungen, melden noch nichts davon. 2 S. besonders Robinson II, 156 fgg. und Tobler: Die Si¬ loahquelle 43 fgg. 227 Wassers, das sogar geneigt gemacht, die im Evangelium des Johannes 1 vom Teiche Bethesda berichteten heilkräf¬ tigen Vorgänge davon herzuleiten. Indem wir das Dorf Siluan, das mit seinen alten ehe¬ dem zu Gräbern benutzten Felsenhöhlen und steinernen plattabgedachten Häusern malerisch am Hügel hängt, fort¬ während zur Linken hatten, gelangten wir nach einigen hundert Schritten auch zu dem Siloahteiche. Dieser wird zunächst aus einem Wasserbecken gespeist, das am Ausgange des Käsemacherthales und dem südlichen spitzen Ausläufer des Moriah unter dem gehöhlten Felsen liegt und durch einen 12 Fuss langen unterirdischen Kanal, über welchen der Weg wegführt, mit dem Teiche verbun¬ den ist. Dieses vielbesuchte Wasserbecken ist lange Zeit für die Siloaliquelle selbst gehalten worden; der Irrthum erhellt 1 Beiläufig sei bemerkt, dass die gewöhnlich im 5. Kap. Vers 3 und 4 gelesenen Worte: «die warteten wenn sich das Wasser bewegete. Denn ein Engel fuhr herab zu seiner Zeit in den Teich und bewegete das Wasser. Welcher nun der erste» etc. den ältesten Dokumenten zufolge nicht von der Hand des Johan¬ nes geschrieben sind. Zu den schon früher gekannten Urkunden, die gegen ihren johanneischen Ursprung zeugen (darunter der Va¬ tikanische und Cambridger Codex, der Pariser Palimpsest, syri¬ sche ägyptische lateinische Uebersetzungen, mit welchen letzteren Augustin stimmt) kommt nun auch die Sinaitische Handschrift, so dass meine seit 1841 unternommene Entfernung dieser Worte aus dem heiligen Texte völlig gerechtfertigt erscheint. Der jeden¬ falls sehr frühzeitige Interpolator mag damit eine Erklärung dessen, was der Kranke im 7. Verse aussagt, in volksthüm- licliem Sinne beigeschrieben haben; aber es ist von Wichtigkeit, dass nicht Johannes selbst und in seinem eigenen Namen eine solche Erklärung gegeben hat. 15* 228 aber daraus, dass dasselbe den Endpunkt eines durch den Felsen gehauenen Kanals bildet, dessen Ausgangspunkt die vorher betrachtete Siloah - oder Marienquelle ist. Den merkwürdigen lange wenig beachteten Kanal haben Robin¬ son und Tobler nicht ohne besondere Beschwerden durch¬ gangen und durchkrochen; bei den vielen Windungen, die er hat, ergab sich für seine Ausdehnung 1750 Fuss englisch,1 während die über der Erde gemessene Entfernung der Quelle vom Teiche zwischen 11 und 12,00 schwankte. Wir selbst fanden, wie es oft geschieht, nur wenig Wasser im Teiche; es schien vorzugsweise zur Bewässerung der nahen Gartenanlagen verwendet zu seih. Dennoch musste uns im Geiste jener Blindgeborene gegenwärtig sein, der auf des Heilands Geheiss in diesem Teiche die dunklen Augen wusch und sehend heimkehrte.2 Dass dieses Wun¬ der für immer eine vertrauensvolle Pietät der Christen gegen die Wasser von Siloah zur Folge gehabt, braucht nicht erst gesagt zu werden. Gleich hinter dem Teiche, also südlich von ihm, breiten sich die durch denselben getränkten lieblichen bäum- und fruchtreichen Gärten aus, die als jüngste Nachfolger der an gleicher Stelle gelegenen Königsgärten betrachtet werden. Dabei steht auch, auf einer Terrasse und von Steinen gestützt, der grosse prächtige Maulbeerbaum, unter welchem nach der Sage der Prophet Jesajas den Märtyrertod erduldet. 1 Doch hat Robinson die Richtigkeit seiner Messung vom Jahre 1838 in seinen «Neueren biblischen Forschungen« vom Jahre 1852 (Berlin 1857) S. 247 in Zweifel gezogen. 2 Joh. 9, 7. 229 Schon seitdem 16. Jahrhundert 1 wird er bestimmt erwähnt und auch schon sehr alt genannt; viel weiter scheint jedoch sein Ruhm nicht hinaufzureichen, wenngleich bereits aus frü¬ hen christlichen Jahrhunderten die Sage auf uns gekommen, dass Jesajas unter einer Eiche hei der Quelle Itogel («unter der Eiche Rogel»), nachdem er zersägt worden, sein Grab gefunden habe.2 Die hierbei genannte Quelle Rogel darf in dem gewöhnlich nach Nehemia oder Hiob (bei den Juden nach Joab) benannten Brunnen wieder erkannt werden. Dieser tiefe und sehr wasserreiche Brunnen, von älteren und neueren Baulichkeiten umgeben, befindet sich gleich hinter den Gärten, d. h. da wo sich das Kidronthal zwischen dem Berge des Aergernisses und dem Berge des bösen Raths fortzu winden beginnt. Wie an den erstgenannten Berg die Erinnerung an jene von Salomo dem Moloch ge¬ brachten Opfer sich anknüpft, so hat auf den letzteren, * welcher der Zionshöhe mit dem Davidsgrabe südlich gerade gegenüber liegt, die Tradition das Haus des Kaiphas und damit die gegen den Heiland gefassten bösen Rathschläge verlegt. Sicherlich weit mehr Grund hat die Annahme; dass am nordöstlichen Abhänge desselben Berges oder an der Südseite des unteren Hinnomtliales jener von den 1 Siehe Tobler II, 206. 2 Siehe darüber in meinen Anecdotis sacris et profanis 1861 (1855) S. 113 fg. die aus (Pseud-) Epiphanius mitgetheilte Tradition, wobei auch eine Erklärung von «Siloam» gegeben wird. Dem im Sterben dürstenden Propheten sei nämlich auf sein Gebet durch göttliche Fügung Wasser daraus «gesandt» worden. Auch diese Erzählung von der Nähe Siloam’s stimmt zu der traditionellen Lokalität; zugleich scheint aber Rogel nur als Eiche, nicht auch als Quelle aufgefasst zu werden. 230 30 Silberlingen angekaufte und zum Begräbniss der Fremd¬ linge bestimmte Töpfer- oder Blutacker liege. Ganz nabe dabei wird noch heutigen Tages Töpfererde gegraben. Das daselbst an einer Felswand angelegte und mit älteren Grabhöhlen im lebendigen Felsen verbundene grosse Todten- haus hat, wenn nicht schon früher, wenigstens in den letzt- vergangenen Jahrhunderten manchem Pilger, der in dem irdischen Jerusalem den Weg zum himmlischen gefunden, zur Grabstätte gedient.1 An demselben Bergesabhange un¬ mittelbar vor Hakeldama, und von da weiter nach Westen, an den dem olivenreichen Thale Hinnom entlang aufragen¬ den Felswänden, liegen aber auch noch viele zum Theil wo! schon ins jüdische Alterthum hinaufreichende Felsen¬ gräber. Als wir auf ein paar hundert Schritte dem Jaffathore nahe gekommen waren, führte uns der Weg bei einem völlig ausgetrockneten Teiche vorbei, der unter Benutzung der westlichen und östlichen Felswand des Thaies und unter Beifügung eines steinernen Querdamms im Norden wie im Süden, in einer Ausdehnung von 230 Schritt bei 100 Schritt Breite angelegt worden ist. So schwer sich auch der älteste Name dafür bestimmen lässt, so bleibt doch seine Rückbeziehung aufs hohe Alterthum sehr wahr¬ scheinlich. Jetzt heisst er Birke t es Sultan, zu Ehren des Sultan Soliman Ibn Selim, welcher nach dem Zeug- niss einer arabischen Inschrift in den Jahren 1520 bis 1526 zuletzt den Teich wieder lierstellen liess. Im Jahre 1177 dagegen wurde er nach Germanus, einem um die Wasser- 1 Ausführlich handelt davon Tobler II, 260 fgg. 231 Versorgung Jerusalem’ s verdienten Franken, als Teicli $es Germanus benannt.1 Den 16. Mai. Der anfänglich für diesen Tag beabsichtigte Besuch Bethlehem’ s wurde in Folge des Unwohlseins, das die Gross¬ fürstin des Abends vorher befallen hatte, mit einem Aus¬ fluge nach San Saba vertauscht. Wegen der zu treffenden neuen Anordnungen wurde dieser Ausflug erst Vormittags um 9 unternommen. Der dreistündige Ritt fiel dadurch in die volle Gluth des heissen Maitags, welche in der öden, grösstentheils nur durch nackte Berge, Gestein und Sand sich charakterisirenden Wüste ihre volle Gewalt auf uns äusserte. Die Karavane', von zahlreichen Kawasseil des Pascha escortirt, nahm sich sehr stattlich aus. Auch der zehnjährige Prinz war bei uns auf seinem Rosse; er hat damit eine gute Probe seines Muthes und seiner ritter¬ lichen Begabung abgelegt. Trotz des vollen Wüstencharakters der Landschaft, durch welche unser Weg ging, nachdem wir hinter den Was¬ sern von Siloah und Rogel die Grenzen des cultivirten Land¬ strichs erreicht hatten, bot sich doch bei dem öfteren Wechsel von Berg und Thal mancher das Auge labende Punkt dar; zweimal trafen wir auch auf schwarze Zeltdörfer von Bedui¬ nen, bei deren einem uns ein Trunk erquickender Milch zutheil wurde; vor allem aber hatte die wild zerrissene grauröthliche tiefe Kidronsschlucht , deren südliche steile Felsenhöhen, eine Strecke lang durch eine Mauer geschützt, 1 Siehe Ausführliches darüber bei Tobler II, 69 fgg. 232 unsere Pferde mühsam erklommen, mit all ihrer Schauer- lichkeit einen ganz eigenthümlichen Reiz. Aus einer nie¬ deren Höhle an den nördlichen Klippen wandelte vor unseren Blicken eine Schakalsfamilie hervor, und unweit davon sahen wir noch andere ähnliche Thiere von schwar¬ zer Farbe: dies gehörte zum Colorit der Gegend. Löwen und Bären freilich, mit denen seiner Zeit David der Hir¬ tenknabe in den Schluchten dieser Wüste siegreich ver¬ kehrte,1 möchten sich jetzt umsonst dort suchen lassen. Mitten unter den Eindrücken abschreckender Wild- niss erklang plötzlich Glockengeläute; es war von einer tiefergreifenden Wirkung. Bevor wir noch eines Thurms, einer Mauer vom Kloster ansichtig wurden, rief es uns durch die Stille der Wüste sein feierliches Willkommen mit hellen reinen Glockentönen entgegen. Nach wenig Minuten jedoch hatten wir den merkwürdigen Klosterbau selbst vor Augen, der wie ein kolossales Felsennest un¬ mittelbar neben und über dem jähen Abgrunde angelegt worden, und sich mit seinen festen Mauern, an den beiden höchsten Ecken von aufragenden Wartthürmen gekrönt, in vielfachen Abstufungen den Berg hinunterzieht. Der ehrwürdige Patriarch von Jerusalem war mit seinen beiden Vicaren und mit dem russischen Bischöfe von Melitopolis dem Grossfürsten vorausgeeilt; er kam ihm nun mit weihevollem Segensspruche entgegengezo¬ gen und geleitete ihn, die breiten steinernen Stufen hinab, durch das selten geöffnete Hauptportal hinein in dies alte grossartige und durch seine Erinnerungen ehr- 1 Siehe 1. Sam. 17, 34 fgg. Sirach 47, 3. 233 würdige Asil heiliger Andacht, geistlicher Beschauung, be¬ harrlicher Studien. Wir betraten sogleich die Hauptkirche des Klosters, die bei aller Einfachheit doch einen reichen Schmuck an Bildern in griechischem und griechisch-rus¬ sischem Geschmacke besitzt. Für den grossfürstlichen Be¬ such waren die im Besitze des Klosters befindlichen Reliquien ausgestellt, namentlich mehrere Märtyrer- Schädel, denen sogar wunderthätige Kräfte zugeschrieben werden. Als sich der Grossfürst in die wohnlichen Räume des Felsenklosters zurückgezogen, deren Nettigkeit überraschte, nahm er einen geeigneten Augenblick wahr, um mich dem Patriarchen vorzustellen und ihm die mir von Sr. Kaiserl. Majestät übertragene wissenschaftliche Mission zu empfeh¬ len. Aufs Wohlwollendste theilte er ihm dabei den Sinai¬ tischen Fund mit. Der Patriarch entgegnete uns darauf mit der Mittheilung von einer anderen angeblich noch kostbareren uralten Handschrift der Evangelien zu La- dakia, an die sich selbst der Name des Barnabas knüpfte, insofern sie in dessen Grabe aufgefunden sein sollte. Für ihre Erwerbung sollten englische Reisende Tausende von Pfunden geboten haben. Obschon ich keine genauere Kennt- niss von dem ausserordentlichen Schatze hatte, so konnte ich doch nicht umhin meine Ungläubigkeit bemerklich zu machen und die Yermuthung zu äussern, dass hierbei ein Mangel an Sachkenntniss, die in Betreff alter griechischer Handschriften so selten sei, obgewaltet haben möchte. Beim festlichen Diner, das bald folgte, gab ich dem Patriarchen Nachricht von drei auf seine Veranlassung und seine Kosten in Leipzig studirenden jungen talentvollen Diakonen. Auf die Frage des Grossfürsten, wie es komme 234 dass der Patriarch solche Leipziger Studien junger grie¬ chischer Geistlichen veranlasse, entgegnete er dass er es dabei vorzugsweise auf ihre philosophische Ausbildung ab¬ gesehen habe. Es schien dem Grossfürsten ein besonderes Vergnügen zu gewähren, wenn es mir noch während seiner Anwesen¬ heit im Kloster gelänge unter den alten Manuscripten des¬ selben einen guten Fund zu thun. Trotz der ungünstigen Stunde, es war unmittelbar nach Tische und eine hohe Temperatur, ging ich sogleich an die Lösung dieser Auf¬ gabe, indem ich, vom russischen Bischof begleitet, in der Hauptkirche auf einer Leiter zu einem kleinen Seitenge¬ mache hinaufstieg, wo ich schon bei meinem ersten Besuche 1844 eine Anzahl griechischer Handschriften, freilich unter¬ mengt mit allerlei Drucksachen, aufgespeichert gesehen hatte. Nach halbstündiger Durchsicht hatte ich drei pa- limpsestisclie Handschriften gefunden, die ich mit meinem Begleiter dem Grossfürsten zu seiner grossen Freude aufs Zimmer trug. Der Grossfürst hatte palimpsestisclie Frag¬ mente bereits gesehen, doch nahm er sammt seinem Gefolge mit Interesse die Erläuterungen auf, die ich an die Vor¬ lage der drei Handschriften knüpfte.1 Am interessantesten darunter war diejenige, die zwei Jahre früher auch der 1 Als ich ein Halbjahr später die Ehre hatte Ihren Kaiserl. Majestäten die merkwürdigsten Manuscripte meiner in Aller- höchstihrem Aufträge im Orient unternommenen Sammlung zu Tzarsko-Selo vorzulegen, interessirte sich Kaiser Alexander so lebhaft für die 12 Palimpsesten darunter, dass er jeden einzeln zur Hand nahm und den theilweise sehr verblichenen Schrift¬ zügen mit eigenen Augen nachforschte. i 235 gelehrte Oxforder Bibliothekar Coxe bemerkt und in sei¬ nem «Report to Her Majesty’s Government)) mit einigen Worten erläutert hatte.1 Auf meinen Wunsch wurde sie mir zu genauerer Untersuchung mit nach Jerusalem gegeben.2 Später wurden die mannigfachen Räumlichkeiten des Klosters in Augenschein genommen. Das Centrum des langgestreckten Gebäudes bildet eine geräumige mit breiten Steinen belegte Plattform, die sich mehrere hundert Fuss unter den hochgelegenen Wartthürmen befindet. In ihrer Mitte steht eine achteckige Kapelle mit einer Kuppel; es ist die Grabkapelle des heiligen Saba, die jedoch seine Gebeine selbst nicht mehr enthält. Trotz dieses Mangels besitzt das Kloster an seinem Stifter ein herrliches Vorbild charaktervoller Frömmigkeit, zu deren öffentlicher 1 Siehe darüber meine Anecdota sacra et profana. 1861. S. 224. 2 Das Resultat dieser Untersuchung steht in meinen Anec- dotis sacr. et prof. 1861. S. 222 fgg. Die von Coxe angedeu¬ teten 3 oder 4 Schriftstücke haben sich dadurch auf 9 ver¬ mehrt. Auf einer Anzahl Blätter liegt eine dreifache Schrift vor: im 8. Jahrhundert war zuerst eine Unzialschrift aufs Per¬ gament gesetzt worden; nach ihrer Vertilgung im 10. Jahr¬ hundert folgte darauf eine Minuskelschrift; nachdem auch diese im 12. Jahrhundert wiederabgewaschen worden, trat an ihre Stelle die noch jetzt vollständig vorhandene. Auch Fragmente aus den Dramen des Euripides sind darunter, sie umfassen 15 Blätter in einer Minuskelschrift des 10. Jahrhunderts. Der sonstige Inhalt ist patristisch, auf einigen Blättern philosophisch. Die über alle vertilgten 8 älteren Schriften, in denen Bestand¬ teile 6 verschiedener Handschriften übrig sind, zuletzt ge¬ schriebene enthält einen Commentar zu den Propheten, wovon nur eine Lage von 8 Blättern (der 3. Quaternio) zu fehlen scheint.. 236 Betliätigung die dogmatischen den byzantinischen Kaiser¬ staat selbst so nahe berührenden Verwirrungen zu Anfang des 6. Jahrhunderts dem unerschrockenen Eiferer vortreff¬ liche Gelegenheit boten. Durch ihn wurde das Kloster zum Sitze der kirchlichen Orthodoxie, die sich damals zu¬ nächst im Festhalten an der doppelten Natur Christi aus¬ prägte; auch des Kaisers Justinian freigebige Gunst gegen dasselbe hing eng hiermit zusammen. Unter der Plattform sind Begräbnisshöhlen für Kloster¬ brüder angelegt. In einem Kirchlein neben der S. Saba-Kapelle liegen hinter eisernem Gitter Schädel von Märtyrern dieser Ge¬ gend aufgehäuft. Bekanntlich hat keine andere Wüste die Einsiedler-Begeisterung während der frühesten christ¬ lichen Jahrhunderte in höherer Blüthe gesehen; aber auch keine andere sah öfter blutige Scenen über die Schaar ihrer Frommen hereinbrechen. Und dies gilt nicht nur von den Einsiedlern im strengeren Sinne des Worts, son¬ dern auch von den Mönchen die ihnen gefolgt, nur dass sie die Höhlen der Felsenschlucht mit den schützenden Mauern des Klosters vertauschten. Denn trotz des festungs¬ artigen Baues, den San Saba vorzugsweise dem Kaiser Ju¬ stinian verdankte, war es keineswegs allen feindlichen An¬ griffen gewachsen. Die beiden heftigsten Stürme, die viele seiner Bewohner in ihrem Blute begrub, fallen ins Jahr 614, als die Perser unter Chosroes verheerend in Palästina ein¬ gefallen waren, und ins Jahr 812, als unter den zwieträch- tigen Söhnen Harun er Raschid’ s der arabische Fanatis¬ mus so zahlreiche Opfer im heiligen Lande suchte. Noch manche andere Erinnerung ist im Kloster an ♦ 237 #> frühere Märtyrer und heilige Männer erhalten. Unter den letzteren ist vor allen Johannes von Damaskus auszuzeich¬ nen, der sich, nachdem er unter dem Namen Al Mansur in des Khalifen hohem Dienste gestanden, seit 730 in eine Zelle dieses Klosters zurückgezogen, wo er unter an¬ dern gelehrten Arbeiten seine berühmte und noch immer vielgenützte Schrift über den rechten Glauben verfasste. Seine Zelle wird noch jetzt gezeigt, und auch seine Gebeine bewahrt das Kloster. Hätte es zugleich die Bibliothek . des gelehrten Heiligen oder auch nur ein einziges Buch daraus, nämlich seine Handschrift von des Irenäus grossem Werke gegen die Häresien, zu bewahren gewusst, so würde es damit der christlichen Wissenschaft eine der kostbarsten Beliquien gerettet haben. Der Geschmack der Zeit hat sich freilich seitdem bis zur Unkenntlichkeit geändert». Auf einigen Terrassen sind hübsche Gärtchen ange¬ legt, für die das Erdreich erst aus der Ferne geholt werden musste. Eins derselben prangt sogar mit einer immer¬ grünen Palme. Welch liebliche Erscheinung inmitten der Felsenwildniss. Um die letztere wenigstens als Augenlust ganz zu gemessen, müssen wir einen der Thürme besteigen, von dem der Blick weithin die schauerliche Einöde, diesen Vorhof des todten Meeres beherrscht, ganz dazu angethan, düsterer weit- und menschenfeindlicher Schwärmerei eine heimische Stätte zu bieten. Unser Kückweg machte es wünschenswerth dass die Sonne ihre Strahlen milderte, doch durfte er auch nicht ins Dunkel der Nacht fallen. Gegen 5 schieden wir vom Kloster ; um 8 war bei schwachem Mondlicht die heilige Stadt wieder erreicht. 238 Den 17. Mai. Während der Frühstunden besuchte der Grossfürst zwei Klöster, denen vor allen anderen Empfängern, wie z. B. den Wächtern des Haram es Scherif, denen vom Davidsgrabe und von der Citadelle , das nach seinem Ab¬ schiede von Jerusalem durch das russische Consulat sehr reichlich gespendete Geschenk willkommen sein musste, das der Kopten und das der Abyssinier. Das er stere, unansehnlich und ärmlich , geweiht dem heiligen Georg, . der in der ganzen koptischen Kirche in hohem Ansehen steht, besitzt eine traurige Merkwürdigkeit an einer für Wahnsinnige bestimmten Zelle, wo Kette und Halseisen den Unglücklichen erwartet.1 Das abyssinische Kloster, m einzelnen Zellen oder Häuschen um einen offenen Hof¬ raum angelegt, grenzt an den nordöstlichen Theil der Kirche des heiligen Grabes oder ans Katholikon und die Helena¬ kapelle. Sowol Mönche als auch einige Nonnen, die letz¬ teren als Hausverwalterinnen, halten sich dort auf. Diese dunkelfarbige Brüder- und Schwesterschaft bildet mit der augenscheinlichen Nothdürftigkeit ihres Klosters und Klo¬ sterlehens den stärksten Gegensatz zu den griechischen, armenischen und lateinischen Klöstern. 1 In ähnlicher Weise werden Verrückte zuweilen auch bei den Mohammedanern behandelt. So begegnete mir eines Tages zwischen Kairo und Bulak ein solcher, dem schrecklicher AVeise die Kette über den Mund ging. Man motivirte diese Behand¬ lung dadurch, dass er in seinem Wahnsinne dem Propheten ge¬ flucht habe und vor ähnlichen Au sh rächen sichergestellt werden musste. 239 Nachmittags beschenkte der Grossfürst den Metro¬ politen von Petra und den Erzbischof von Lydda, beide \icare des Patriarchen, mit kostbaren Brustkreuzen oder sogenannten Panhagien. Auch überreichte derselbe Sur- reya Pascha den kaiserlichen Stanislausorden 1. Klasse. Um 5 fand unter dem persönlichen Geleite des Pascha der Besuch des Haram es Scherif statt, welcher bei der noch immer obwaltenden fanatischen Abschliessung dieses nach den Gotteshäusern zu Mekka und Medina grössten mos- lemitischen Heiligthums ein Ereigniss für Jerusalem bildete. Tags zuvor hatte mir Dr. Busch aus Leipzig den Wunsch ausgesprochen, heim Grossfürsten die Erlaubniss dazu aus¬ zuwirken, dass er sich dem Gefolge anschliesse. Der Gross- * \ turst gab nicht nur diese Erlaubniss bereitwilligst, sondern wünschte auch dass wer sich sonst noch anschliessen wolle, unbehelligt bleibe: eine Liberalität die um so an- erkennenswertlier war, da bei früheren fürstlichen Besuchen des Haram eine ängstliche Beschränkung solchen Geleits beobachtet worden war. In der That wurde auch ein sehr ausgedehnter Gebrauch davon gemacht; es mochten meh¬ rere Hunderte sein, sowol christliche Pilger als einhei¬ mische Christen, die im Gefolge des grossfürstlichen Paares ihren Fuss in die geheimniss vollen Bäume setzten. Aller¬ dings erwuchs daraus auf engen Stellen des Wegs und beim Eintritt in die Omarmoschee der lästigste Zu¬ drang, der mit dem Bewusstsein des Genusses einer ver¬ botenen Frucht oder auch mit der Besorgniss Zusammen¬ hängen mochte, dass mohammedanische Wächter im ent¬ scheidenden Augenblick doch noch Abwehr üben könnten. Das Letztere lag wenigstens ganz ausser den Intentionen 240 der höchsten Behörde; ich sah wiederholt wie der Pascha persönlich jede Unziemlichkeit der soldatischen Wächter, dergleichen schon die einfache Wahrung des allgemeinen Anstands herbeiführen musste, angelegentlichst beseitigte. Ich selbst hatte mich dem schützenden Arme des russischen Bischofs anvertraut, der nicht nur durch sein priesterliches mit Brustkreuzen geschmücktes Gewand, sondern auch durch seine zwei in voller Uniform voranschreitenden Ka- wasse Kespekt einflösste. Nichtsdestoweniger waren wir einmal dergestalt in den Knäuel verwickelt worden, dass wenigstens für die Heilerhaltung des Schmuckes meines Begleiters zu fürchten war. Als wir aus einem dunklen Gange an der Nordwest¬ ecke des Haram, durch welchen ungeschickter Weise der festliche Zug geleitet worden, ins Freie traten, so befanden wir uns plötzlich leibhaftig auf der Tempelarea. Dieser Platz, ein längliches Viereck, mit einer merklichen Sen¬ kung nach Südost, dehnt sich von Norden nach Süden über 1500 Fuss aus, auf der westlichen Seite fast noch 100 Fuss mehr als auf der östlichen; wogegen die Breitseite von Westen nach Osten ungefähr 1000 Fuss beträgt, wobei wiederum die nördliche gegen hundert Fuss mehr als die südliche zählt.1 Im Norden und Westen bilden die Grenzen des Platzes verschiedene arabische Baulichkeiten, steil an¬ steigend, doch von ungleicher Höhe; sie enthalten die 1 Barclay’s Messung ergab 15231/2 im Osten, 1600 im Westen; 1038 im Norden, 916 im Süden. Catherwood hatte 1833 gefunden: 1520 im Osten, 1617 im Westen, 1020 im Norden, 932 im Süden. Siehe noch anderweitige Messungen zusammengestellt hei Barclay S. 485. 241 Wohnung des Bascha, Behausungen für Derwische und Beamtete der Moschee, Schulen und Pilgerherbergen; im Nordwestwinkel tritt jedoch jener natürliche Fels, 25 Fuss hoch, als Mauer ein, der einst einen Theil der vorzugs¬ weise zum Schutze des Tempels angelegten Burg Antonia getragen. Im ganzen Osten dagegen und auch zum gros¬ sem Theile nach Süden bildet die gerade dort mit den uralten Werkstücken noch ausgestattete Stadtmauer zu¬ gleich die Mauer des Haram, die hier von innen gesehen weit weniger Höhe verräth als auf der äussern Bergseite. Zugänge hat der grosse Platz von Norden, Westen und Süden; die meisten, nämlich acht, von der Westseite. Die zwei an der Ostmauer noch bemerklichen, von denen eins das berühmte goldene Thor ist, sind längst durch Vermauerung ausser Gebrauch gesetzt. Auf der Area erhebt sich eine mit bläulichen Mar¬ morplatten belegte Plattform, und auf der Plattform, ziem¬ lich auf ihrer nordwestlichen Hälfte, die Felsenkuppel-Mo¬ schee; im Süden steht ihr gegenüber die andere Moschee, genannt el Aksa. Der ziemlich unebene Baum rings um die marmorne Plattform ist reichlich wenn auch keines¬ wegs üppig bewachsen; aus Schutt und Gras blühen be¬ sonders viele rothe Mohnblumen heraus; Cactusbüschel, Oliven und Cypressen stehen zerstreut; die letztem, alt und hoch, zieren besonders die Umgebung der Aksa-Mo- schee. Dazu kommen mehrere überbaute Brunnen, eine Kapelle und zahlreiche Grabdenkmäler, unter denen das der Fatime, der Tochter des Propheten, sich auszeichnet. A*us dem weiteren Bereiche des Haram, der trotz seiner Heiligkeit Kindern aus den benachbarten Schulen 16 Tisch endorf, Aus dem heiligen Lande. 242 häufig als Spielplatz dient, steigen wir nun auf die Platt¬ form, die von Norden naph Süden 550 Fuss misst, von Westen nach Osten 450. Acht breite steinerne Treppen, deren Stufenzahl beträchtlich schwankt, führen ringsum zu ihr hinauf. Diese Treppen sind oben durch freistehende auf Pfeilern ruhende ziemlich abgerundete Spitzbogen ver¬ ziert, eine Art Eingangshallen. Schon beim Ersteigen des geweihten Platzes verlangt die Moscheen -Etikette, dass der fränkische Stiefel oder Schuh entweder entfernt oder mit türkischen Lederschuhen überkleidet werde. Auch das grossfürstliche Paar liess sich die letzteren anlegen; ebenso genügte der Sitte in der einen oder andern Form die Schaar der Begleiter; doch blieben diejenigen, die sich nicht dazu bequemten, ohne Behelligung. Die Moschee selbst ist ein prächtiger und trotz ein¬ zelner Spuren des Alters bewunderungswürdiger Bau. Er setzt sich aus zwTei Stockwerken oder Theilen, einem Un¬ terbau und einem Oberbau zusammen. Der erstere bildet ein vollkommenes Achteck, in einem Umfange von 536 Fuss englisch, wornach jede der acht Seiten 67 Fuss er¬ hält. Den unteren Theil der Wände bilden hellfarbige Marmorplatten; über ihnen sind hohe in Spitzbogen aus¬ laufende Fenster aus buntfarbigem Glase ausgeführt; die Wandpfeiler dazwischen mit schwarzblauen und grünen, auch rothen und weissen Fayence -Ziegeln belegt. Jede Achtseite hat sieben oder, da für jedes Thor eins ausfällt, sechs solcher Fenster, der ganze Unterbau also zweiund¬ fünfzig. Koransprüche, in grosser schöner Goldschrift über den Fenstern verfasst, laufen ringsum; sie verzieren den Fries der acht Wände. Dieser Fries, zugleich Brustwehr, m 243 überragt um einige Fuss das Bleidach des Achtecks, das von den äussersten Kanten gegen die Mitte allmählig ansteigt. Hier erhebt sich der Oberhau der Moschee, eine auf cylinderförmiger Unterlage ruhende graziöse mit schwarzen Bleiplatten gedeckte Kuppel, über welcher auf einer fa^onnirten Stange ein goldener durch die Endstreifen der Hörner sich schliessender Halbmond weithin funkelt. Die Höhe der ganzen Moschee wird über hundert Fuss geschätzt, wovon beinahe die Hälfte auf den Unterbau kommt; der Durchmesser der Kuppel beträgt ungefähr 40 Fuss. Besonderen Glanz gewinnt das Aeussere der Moschee, wenn die Sonnenstrahlen auf ihre Wände fallen und von den glasirten Ziegeln in buntem flimmernden Widerscheine zurückgegeben werden. Nach dieser Schau des Aussenwerks betreten wir den mit Teppichen belegten Marmorhoden des Innern. Nur ist vorher noch anzumerken, dass die Moschee vier nach den vier Himmelsgegenden gerichtete Thore hat, die sich durch geschmackvolle auf Marmor- und Porphyrsäulen ruhende Vorhallen auszeichnen. Das von uns benutzte östliche Thor wird nach David benannt; das im Norden mit besonderer Ehrfurcht behandelte heisst das Himmels¬ thor. Die Moschee macht in der That den Eindruck eines Gotteshauses; das ausschliesslich durch die bunten Fenster gebotene aber magisch gedämpfte Licht erinnerte mich an das ähnliche Halbdunkel im herrlichen gothischen Münster zu Freiburg. Um den runden mittleren Raum laufen zwei Säulengänge, ein äusserer und ein innerer. Den ersteren begrenzen nach aussen die weissen Marmorwände, nach der Innenseite sechzehn schmucke farbige Marmorsäulen 16* 244 mit korinthischen Kapitalem und acht den Wandecken ge¬ genüber stehende Pfeiler. Ueber dem leichten zierlichen Gebälk, das sie tragen, sind überraschender Weise un¬ merklich zugespitzte Rundbogen ausgeführt, den Räum¬ lichkeiten zwischen den einzelnen Säulen und Pfeilern ent¬ sprechend. Den inneren Gang begrenzen nach dem Mit¬ telpunkte zwölf ähnliche korinthische und zwar antike Säulen nebst vier Pfeilern, deren je einer zwischen drei Säulen steht. Darüber wölben sich rothgestreifte Rund¬ bogen, unmerklich spitz wie jene ersteren in der Wan¬ dung. Die Decke über dem etwa zehn Schritt breiten Raume zwischen der äusseren und der inneren Säulenreihe ist eben, aber in viele verschiedenartig geformte Felder mit reicher Goldverzierung abgetheilt; auch hangen von oben Leuchter und bunte Laternen herab. Ueber der inneren kreisförmigen Säulenreihe und ihren Rundbogen erhebt sich der Dom, der aus Holzwerk besteht. Er prangt auf grünem Grunde mit einem Reichthum an über¬ goldeten Zierathen aus arabischer Stuccaturarbeit, sowie auch Koransprüche in grossen goldenen Lettern innen um die Kuppel laufen. Unter dieser Kuppel nun ruht der Hauptschatz der Moschee, wovon sie selber den Namen führt, der heilige Felsen. Aus den beiden Säulencorridoren treten wir vor ein übergoldetes Eisengitter. Innerhalb dieses Gitters ragt der natürliche Fels empor, etwa 5 Fuss über den Mar- morfussboden, was eine Erhöhung von 10 — 15 Fuss über dem Grundfelsenboden der Moschee ergibt. Die Länge des aufragenden Blockes von hellgrauem Kalkstein mag 30 bis 40 Fuss betragen; seine Breite ist um einige Fuss 245 geringer.1 Seine ganze Form ist ziemlich unregelmässig; der Obertheil macht mehr den Eindruck eines roh zuge- hauenen kolossalen Werkstücks als dass er eine ebene Fläche darböte. Gewöhnlich ist er von schwerem Seiden- stoff, karmoisinroth und grünschillernd, überhangen; bei unserem Besuche war diese Decke der besseren Schaustel¬ lung wegen zur Hälfte beseitigt. Aber mit dem zu Tage tretenden Felsstücke ist das Heiligthum noch nicht erschöpft. Unter ihm nämlich be¬ findet sich «die edle Höhle der Moslems», zu der an der süd¬ östlichen Seite mehrere steinerne Stufen hinabführen. Diese Höhle, unregelmässig viereckig, nach jeder Seite 15 bis 20 Fuss lang, 7 bis 8 Fuss hoch, wird nach aussen durch Wände begrenzt, die theilweise nicht aus dem harten Fel¬ sen, sondern aus Mauerwerk bestehen, weshalb der Mos¬ lem seiner Ueberlieferung gemäss noch immer behauptet dass der Felsblock selber ohne seine künstlichen Stützen in der Luft schwebe. An den Wänden befinden sich meh¬ rere hohen Namen geweihte Gebetsnischen; zwei darunter, durch kleine Marmorplatten bemerklich gemacht, werden nach David und Salomo benannt. Eine runde Oeffnung in der Mitte der Felsendecke, von 3 Fuss Durchmesser, reicht bis in den Dom hinein. Endlich treffen wir inmitten der Höhle eine dem Felsboden eingefügte Platte von bun¬ tem Marmor, die, wird sie mit einem Stabe berührt, durch ihren dumpfen Klang beweist dass unter ihr ein ander¬ weiter hohler Baum befindlich ist. Dieser tief unterirdische 1 Barclay’s Schätzung (S. 497) von 60 Fuss Länge und 55 Fuss Breite ist jedenfalls zu hoch gegriffen. 246 Raum heisst bei den Moslems Bir aruah, Seelenbrunnen; er soll den Zugang zur Unterwelt bilden und den Verkehr mit abgeschiedenen Seelen vermitteln. Nachdem wir ein Bild von dem grossen moslemitischen Heiligtliume gewonnen, so übrigt die Frage, ob wir es hier mit einem neueren Produkte der Kunst oder mit einer Reliquie der Vorzeit zu tbun haben. Ohne allen Zweifel liegt uns damit eine uralte Reliquie vor, ja viel¬ leicht der merkwürdigste und heiligste Stein der Welt, der nicht nur durch überschwängliche Sagen des Orients ver¬ herrlicht worden, sondern auch eine inhaltsschwere Ge¬ schichte besitzt. Es lässt sich nämlich kaum verkennen, dass dieser Stein vor drei Jahrtausenden jene Tenne Ara- fna’s (Arnan’s, Orna’s) des Jebusiters gebildet, welche, nachdem sie der Strafengel des Herrn betreten, von Da¬ vid zur Errichtung eines Brandopferaltars erkauft 1 und von Salomo, nach seines Vaters Vorgänge, zum Aus¬ gangs- oder Mittelpunkte für den Tempelbau gemacht worden ist.2 Dass sich eine noch frühere heilige Erin¬ nerung an ihn knüpfe, spricht wenigstens der jüdische Geschichtsschreiber Josephus aus, wornach Abraham an derselben Stätte die Opferung seines Sohnes Isaak unter¬ nommen.3 Diese auf den ersten Anschein nur in alt- 1 S. 2. Sam. 24, 16 fgg., 1. Chron. 22, 15 fgg. 2 S. 2. Chron. 3, 1. «Und Salomo fing an zu bauen das Haus des Herrn zu Jerusalem, auf dem Berge Morija, der Da¬ vid seinem Vater gezeiget war; welchen David zubereitet hatte zum Raum auf dem Platz Arnan’s des Jebusiters.» 3 S. Joseph. Antt. 7, 13, 4. I 247 jüdischer Sage wurzelnde Angabe wird dadurch auf ge¬ schichtlichen Boden versetzt, dass uns die Schrift 1 in der That den Berg Moriah als Schauplatz jener Opferungs¬ scene nennt, so dass sogar durch dies Ereigniss der ge¬ nannte Berg die erste Weihe zum einstigen Tempelberge erhalten zu haben scheint. In Betreff der Tenne Arafna’s hat man in neuester Zeit durch die Wiedererkennung derselben2 nur dasjenige erneuert, was die Kreuzzugspilger, wie Balduin’s Kaplan Fulcher, in ihren Schriften aufgezeichnet.3 Die letzteren hatten ihrerseits die allem Anscheine nach fortwährend streng festgehaltene jüdische Ueberlieferung zum Führer. Denn wenn der Pilger von Bordeaux 334 des durchlöcher¬ ten oder durchbohrten Steins nicht weit von Hadriairs auf dem Tempelplatze errichteten Statuen gedenkt, zu wel¬ chem die Juden alljährlich wallfahrteten um ihn zu salben unter Jammergeschrei und dem Zerreissen ihrer Kleider,4 so hat er damit offenbar denselben Stein bezeichnet, der den von der heimischen Erde so schmerzlich verbannten Juden als heiliges Merkzeichen ihres Tempels galt, und bei welchem ihnen, doch wahrscheinlich erst seit Constan- 1 1. Mos. 22, 2 fgg. 2 Besonders entschieden und ausführlich sprach sich Ro¬ sen a. a. 0. S. 617 fgg. darüber aus. 3 Siehe mehrere Stellen bei Tobler I, 541. 4 Die Stelle heisst : Est et non longe de statuis lapis per- tusus, ad quem veniunt Judaei singulis annis et unguent eum et lamentant se cum gemitu et vestimenta sua scindunt et sic recedunt. 248 tin’s Regiment, für Geld gestattet war des Tempels Zer¬ störung zu betrauern und zu beweinen.1 Zweifelhaft bleibt nur, ob gerade das Allerheiligste selbst von Salomo auf der ehemaligen Tenne errichtet gewesen, wofür allerdings Wahrscheinlichkeit vorhanden.2 Die frühzeitige Anlegung der Höhlen darunter, wahrschein¬ lich durch den ursprünglichen Cisternenbau veranlasst, erhält ein überraschendes Licht durch die Nachricht des Josephus,3 dass nach dem Falle Jerusalem’s der tyranni¬ sche Simon, nachdem er umsonst durch unterirdische Gänge zu entfliehen gesucht hatte, weiss und purpurn ge¬ kleidet plötzlich an der Tempelstelle aus der Erde her¬ vorgekommen sei: wenn anders bei der Tempelstelle (mit Rosen a. a. 0. S. 618) an den Hochplatz des eigentlichen Heiligthums gedacht werden muss. Zu Constantin’s Zeiten wurde dem Steine von Seiten der Christen, für welche die Zerstörung des jüdischen Tempels gemäss der Weissagung 1 Vergl. besonders Hieron. in Zeplian. I, 15. Bei Robin¬ son I, 394. Uebrigens musste das interessante Privilegium, nachdem der Stein als neues Centralheiligthum in die Moschee verbaut worden war, auf andere Oertlichkeiten verlegt werden. Und zwar ist schon seit geraumer Zeit der heutige jüdische Klageplatz an der Westmauer der Tempelarea, zweihundert Schritte von der Südwestecke und kaum doppelt soviel von der Felsenkuppel -Moschee, in Gebrauch gekommen. Auf diesem Platze, uralte kolossale Mauersteine vor Augen, schütten noch jetzt jeden Freitag und auch an anderen Tagen die Juden Je¬ rusalem’s in wehmiithigen ergreifenden Klagepsalmen ihr Herz aus vor dem Gott ihrer Väter. 2 Siehe Rosen a. a. 0. S. 619. Note. 3 Joseph, de bell. Jud. 7, 2, 2. 249 des Herrn eine so hohe Genugthuung bot, gewiss keine Auszeichnung zutheil. Dagegen scheint ihn bereits Omar (seit 636) in seinen grossen im Viereck ausgeführten Moscheenbau aufgenommen zu haben, und aus diesem ging er in den beschränkteren aber ungleich schöneren Bau des Khalifen Abd el Melik (von 686 bis 693) über, in jenen Bau, welcher noch heute Gegenstand unserer Be¬ wunderung ist. An diese historischen Erörterungen sei nur noch die Bemerkung geknüpft, dass die gegenwärtige Gestalt des Felsens die ehemalige Tenne mit hoher schiefer Felsen¬ fläche und einer Cisterne darunter noch recht wol wie¬ dererkennen lässt, wenn auch dabei mehrfachen Verän¬ derungen Rechnung zu tragen ist, die sich aus der späteren Bestimmung und aus noch späteren willkürlichen Entstel¬ lungen1 ergeben haben.2 Wollten wir aber zugleich daran noch alles dasjenige anknüpfen, was die Sage in abenteu- i- erlicher Verherrlichung auf ihn gehäuft, so hätten wir aus jüdischen, christlichen und mohammedanischen Quellen einen überreichen Stoff zu schöpfen. Soll doch nach dem Talmude die Welt aus ihm geschaffen worden sein, wone¬ ben es bescheiden klingt dass er die Bundeslade getragen. Die mohammedanische Sage lautet in der Hauptsache da- ♦ 1 hin, dass der betende Prophet auf dem Steine gen Himmel 1 Vergl. Tobler I, 539. Man schlug zur Zeit der Franken zum Entsetzen der Moslems Stücke davon ab und verschleppte sie. Ein Stück soll nach Constantinopel , ein anderes nach Russland gekommen und im eigentlichen Sinne des Worts mit Gold aufgewogen worden sein. 2 Vergl. Rosen a. a. 0. 618. 1 250 gefahren sei. Als dieser aber in der Nähe des Paradieses zu jubeln angefangen habe, sei ihm vom Propheten Schwei¬ gen und Rückkehr anbefohlen worden. Hierbei sei er je¬ doch nicht völlig zur Erde gefallen, sondern habe sich einige Fuss hoch schwebend über dem Boden erhalten. Sowol die Fusstapfe des Propheten als auch Spuren von Engelsfingern, die ihn hielten, beglaubigen das Wunder dieser mit dem Propheten getheilten Wallfahrt. Später sei die freischwebende Gestalt des Felsens für erschreckte Frauen unheilbringend geworden, daher habe Sultan Selim Stützen darunter anhringen lassen. Gegenüber diesem orientalischen Sagengewebe ist der merkwürdige Stein nüchternen Abendländern insofern zum Steine des An- stosses geworden, als sie mit vermeintlichem Scharfblick aber unkritisch genug alle Historie preisgegeben. Erst jetzt verlassen w7ir die Felsenkuppel- Moschee, um auch noch zu gemessen was ausserhalb derselben die Liberalität der türkischen Regierung dem Grossfürsten und seinen zahlreichen Begleitern zu schauen gestattete. Ohne uns bei der sogenannten Kettenkuppel im Osten der grossen Sakhra-Moschee aufzuhalten, die auf einer doppelten Reihe schöner schlanker Säulen ruht und als ein Abbild des ge¬ feierten Nachbars erscheint, gehen wir die südlichen Mar¬ morstiegen hinab und bei einer Gruppe prächtiger Cy- pressen vorüber zu der Moschee el Aksa. Ihr Name : die entfernteste, bezieht sich auf die Entfernung von Mekka und Medina, und gehörte ursprünglich dem ganzen Haram es Scherif an. Wir betreten nicht sowol die sämmtlichen hier zu einem gewissen Ganzen vereinigten Moscheen, sondern nur die im Besonderen mit dem Namen der Aksa-Moschee I 251 belegten Räume, welche die Basilikenform charakterisiren. Ihre Länge von Norden noch Süden beträgt 280 Fuss, ihre Breite 180. Gemäss der Eintheilung des Innern in ein Mittelschiff und in drei Nebenschiffe zu jeder Seite desselben ist die durch Vorhallen ausgezeichnete Nordseite mit sieben Thüren ausgestattet. Imposant ist der Reich¬ thum an marmornen Säulen und Pfeilern, über denen sich hohe Spitzbogen wölben, worauf die platte hölzerne Decke ruht. Die Verschiedenartigkeit der Säulen macht es wahr¬ scheinlich, dass sie zum Theil aus älteren Bauten herstam¬ men, zum andern Theil von sarazenischer Kunst ergänzt sind. Am Ausgange des Mittelschiffs erhebt sich auf vier Pfeilern mit reichgeschmückten Bogen der Dom, der ausser mehreren Mihrabs eine kunstreiche Kanzel und auch eine Art Altar von buntem Marmor besitzt. Die buntfarbigen Fenster der Kuppel lassen auf den Chor ein sanftes schö¬ nes Licht fallen. . / .... :;i Die Frage, ob diese Räume auf eine christliche Kirche, und zwar auf die nach Prokop’s Bericht1 von Justinian an einer hervorragenden aber erst durch Stützungsgewölbe ausgedehnten Stätte zu Ehren der Gottesmutter errichte¬ ten prachtvollen Kirche zurückzuführen sei, ist neuerdings zwischen den beiden um die Topographie des heiligen Landes verdientesten Forschern zur Streitfrage geworden. Denn nachdem sich Robinson für die Zurückführung aus- 1IJ£Qi %Uöfidrc3V Iovötlv. 5, 6. Der ganze Text steht bei Williams 1. Ausg. S. 496 fgg. 2. Ausg. II, 607 fgg. (mit der Uebersetzung S. 369 fgg.) 252 gesprochen, bestritt sie entschieden Tobler.1 Ohne mir hierüber eine Stimme anmassen zu können, sei doch be¬ merkt, dass ich mich von der erstem Ansicht nicht tren¬ nen kann. Bei dem schon von Baronius2 hervorgehobenen Mangel an Klarheit trotz aller sonstiger Ausführlichkeit in Prokop’s Berichte ist um so mehr an den zutreffenden Berührungspunkten festzuhalten, als schon die mittelalter¬ liche christliche Tradition in derselben Auffassung wur¬ zelt, wol auch sogar mit der Marien -Basilika bei Antonin von Piacenza (ums Jahr 600) mit Kecht3 in Verbindung gebracht wird, und selbst die frühzeitige von jüdischer Seite für dasselbe Gebäude aufrecht erhaltene Bezeichnung der «Vorhalle Salomo’s» zur Bestätigung dient. Als wir die Aksa verlassen hatten, wobei die fränkische Beschuhung wieder in ihre Hechte eingesetzt wurde, veran- lasste uns der mit der Führung betraute Moscheen-Schech im Osten der Moschee in eine Oeffnung des Bodens hin¬ abzusteigen , welche zu den berühmten unterirdischen Stützungsgewölben führte. Wir staunten über die kolos¬ salen viereckigen aus grossen Quadern zusammengesetzten Pfeiler, überwölbt mit römischen Bogen, natürlich ohne dadurch mehr als andere, die auch noch weiter vor dran¬ gen, ins Geheimniss des grossartigen Baues eingeweiht zu werden. Seltsamer Weise wird der alte schlechte Witz 1 Dies geschieht auch noch in der «Dritten Wanderung». Vergl. S. 306 fg. 2 Vergl. Tobler I, 581. 3 von Williams, der besonders in der 2. Aufl. seines Werks die ganze Streitfrage sehr sorgfältig behandelt. 253 von Salomo’s Pferdeställen noch immer wiederholt. Da sich die Gewölbe ohne Zweifel unter die Aksa- Moschee ausdehnen, so ist die Vermuthung gewiss berechtigt, dass hier ein that sächlicher Beleg vorliege für Prokop’s Angabe über den so eben berührten merkwürdigen Kirchenbau Justinian’s, wogegen die Comhination, dass die Bauleute des Kaisers diese offenbar zur Herstellung der Bergfläche unternommenen Substruktionen schon vorgefunden und nur für ihren Zweck benutzt haben möchten, wenigstens dem Texte Prokop’s zuwiderläuft. Ehe wir aus der Gegend schieden, machte der Schech auch noch auf eine Mauernische im Südostwinkel auf¬ merksam, die als Wiege Jesu bezeichnet wird. Man darf dem Moslem nicht vorwerfen, dass er dem mährchenhaften Reliquiengeschmack der orientalischen Christen den Tribut schuldig geblieben sei. Auch ins vermauerte goldene Thor wurden wir noch veranlasst den Fuss zu setzen. Darauf schieden wir vom heiligen Platze mit einem Blick auf den Oelberg, der über seine Mauern freundlich hineinschaut. Flüchtigkeit und Drang des Besuchs sowenig als die Mannigfaltigkeit und Neuheit der Schaustücke, denen er galt, waren dazu geeignet alle die ernsten Erinnerungen in der Seele aufkommen zu lassen, die sich aus drei oder vier Jahrtausenden an diese Stätte knüpfen. So strahlend auch die Herrlichkeit gewesen, die seit Salomo geruht auf diesem Hause des Herrn, und die von ihm ausgegangen über ein reichbegnadigtes Volk: grösser doch waren die Schrecknisse, die seine so oft aus Schutt und Ruinen wie¬ dererstandenen Mauern gesehen, die das Gotteshaus selber wiederholt zur Blutlache gemacht. Und welche Wände- 254 hingen erfuhr der Gottesdienst auf diesem Berge, seit ihn Abraham auf göttliches Geheiss zum Opferaltar erkoren. Noch ehe sich christliche Dome auf seinem Scheitel er¬ hoben, hatten die Hände heidnischer Eroberer über den zertrümmerten Cherubim, über den vermoderten Priester¬ leichen dem Jupiter einen Tempel erbaut. Den christ¬ lichen Dom aber ersetzte gar bald die Moschee, und nach kurzer Verdrängung durch das siegreiche Kreuz des Mit¬ telalters hat sie sich im ungestörten Besitze sechs Jahr¬ hunderte lang bis heute erhalten. Mit den verwaisten Kindern Israels haben wir kein Hecht betend auszurufen : Ach Herr, wie lange noch? wenigstens nicht mehr seit dem Kanonendonner von S. Jean d’ Acre und seit dem Krimkriege. Aber doch konnte heim Abschiede vom Ha¬ ram der Gedanke nicht fehlen: Wie wird das Kreuz einst glänzen, wo jetzt der Halbmond funkelt. Den 18. Mai. Bereits zur siebenten Morgenstunde war das gross¬ fürstliche Paar nebst dem Prinzen Nikolaus reisefertig. Es galt an diesem Tage einen der anziehendsten Ausflüge von Jerusalem, den wol kein christlicher Pilger des hei¬ ligen Landes verabsäumt, den nach Bethlehem. Dass von diesem Städtlein der Stern Jacoh’s aufgegangen, das grosse Licht, zu erleuchten alle Völker im Schatten des Todes : welches Kind wüsste es nicht. Aber längst schon vor der Geburt des Herrn war Bethlehem reich an selte¬ nem Ruhm; längst schon war es mit nichten die kleinste unter den Fürsten Juda; denn es hatte dem Volk Israel 255 \ seinen Helden und König, seinen Weisen und Psalmsänger gegeben, es war tausend Jahre früher David’s Geburtsstadt geworden. Und noch ein Jahrtausend früher wanderte Jacob der Patriarch nach Bethlehem: da gebar nur «ein F eldweges » von demselben die schöne Rahel ihrem Gatten den Freuden-, sich selbst den Schmerzensohn, und Jacob richtete ihr an derselben Stätte ein Grabmal auf.1 Diese Erinnerungen geben uns das Geleit nach Bethlehem ; gäbe es dort auch keine Klöster und keine Kirche zur Rege¬ lung der Erbauung: die Erinnerungen sind gross und er¬ haben genug, um für jegliches fromme Auge über Beth- lehem’s Mauern und Fluren einen heiligen Dom zu wölben. Durchs Jaffathor, das auch nach Bethlehem benannt wird, verliessen wir die Stadt. Aus dem Gihonthale, wo uns beim trockenen Sultansteiche die noch vorhandenen niederen Bogen der alten über Bethlehem hieher geführ¬ ten Salomonischen Wasserleitung beschäftigten, gelangten wir, beim Berge des bösen Raths vorüber, auf eine breite Ebene, El Bakah (das Feld) benannt, in der man die durch David’s Kämpfe mit den Philistern berühmte Ebene Rephaim2 wiedererkennen wollte; doch lag die letztere wahrscheinlich ein wenig westlicher.3 Durch die noch immer fruchtbare und da wo sie beginnt durch neuere Gartenanlagen und Landhäuser ausgezeichnete Ebene El Bakah läuft unser Weg bis zum Eliaskloster, das uns von seiner Hügelhöhe mit seinen hohen weissen Mauern, 1 1. Mos. 35, 16 fgg. 2 Yergl. 2. Sam. 5, 18 fgg. 3 Siehe Tobler II, 401 fgg. unter El Bakah. v 256 kaum fünfzig Schritte östlich vom Wege, freundlich ent¬ gegenschaute. Die Stiftung dieses Klosters reicht ins hohe christliche Alterthum, wenn auch nicht bis auf die Helena zurück; doch ist nicht völlig klar, woher es seinen Namen führt. Die Tradition leitet ihn unbedenklich vom Propheten Elias her, wie sich schon aus der Zeit der Kreuzzüge nachweisen lässt; später knüpfte sie sogar allerlei persönliche Erinnerungen aus dem Leben des Pro¬ pheten daran. Dagegen zeigte man noch vor zwei Jahr¬ hunderten in der Klosterkirche das Grab eines Metropo¬ liten von Bethlehem, Namens Elias, als das des Stifters, so dass wahrscheinlich die Benennung nach dem Propheten nicht die ursprüngliche ist, wenn nicht etwa der Erbauer demjenigen, von dem er selbst den Namen führte, das Kloster geweiht hat.1 Reiche schöne Olivenpflanzungen schmücken die Umgebung des Klosters. Bald darauf, wodurch wir den Rückblick auf Jerusalem verlieren, senkt sich der Weg und ist meist öde und steinig, bis wir unserem Ziele näher kommen, wo wir neue Baum¬ gruppen treffen. Dies geschieht schon beim Grabe der Rahel, eine Viertelstunde vor Bethlehem, zur Rechten an unserem Wege. Dies Grabmal ist ein kleines im Viereck auf¬ gemauertes weiss übertünclites Gebäude mit einer Kuppel, das seit 1841 auf Veranlassung Moses Montefiore’s noch durch den Anbau einer fast gleich hohen ziemlich lang gedehnten Vorhalle vergrössert wurde. Im Innern des Gebäudes befindet sich ein aus mehreren grossen Steinen 1 Genauere geschichtliche Erörterungen über das Elias¬ kloster gibt Tobler II, 547 fgg. 257 zusammengesetzter Sarkophag, 3J/2 Ellen lang, 2l/2 hoch und 2 breit.1 So wenig dieser Denkmalsbau ins graue Alterthum hinaufreicht, so . entsprechend ist doch seine Lage derjenigen, wo wir uns das von Jacob errichtete Grabmal zu denken haben. Und da die im Onomastikon des 4. Jahrhunderts angegebene Entfernung desselben: 5 Meilen von Jerusalem, 1 Meile von Bethlehem, vollkom¬ men zustimmt, so muss dieselbe Oertlichkeit schon sehr frühzeitig durch ein Monument fixirt gewesen sein, wenn auch das ursprüngliche im Laufe der Jahrtausende durch manche Wandelungen gegangen sein wird. Uebrigens gehört das jetzige, in dessen Verehrung sich beson¬ ders Juden und Mohammedaner theilen, seit zwei Jahr¬ zehnten den erstgenannten wieder, die zur Beglaubigung ihrer Erbansprüche keines Dokuments bedurften; wenig¬ stens erhielten sie einen Schlüssel zu seiner Gitterthüre.2 Ein Zeugniss von der besondern Verehrung der Moslems geben die um das Grabmal liegenden türkischen Grab¬ steine. Als wir die letzte Anhöhe vor der lieblichen Hügel¬ stadt hinabschritten, drängten sich dem Grossfürsten, der abgestiegen war und seine Gemahlin am Arme führte, die Erinnerungen seiner Kindheit auf; er freute sich herzlich, jetzt mit den leiblichen Augen Bethlehem zu schauen, das ihm so oft zur fröhlichen seligen Weihnachtszeit vor 1 Siehe Schwarz: Das heilige Land, 1852. S. 81. Derselbe gibt auch an, dass man vor etwa 40 Jahren in einer kleinen Entfernung vom Denkmal in der Erde eine ausserordentlich tiefe Höhle gewahr wurde. 2 Vergl. über das Rahelsgrab Tobler II, 782 fgg. 17 Tisch endorf, Aus dem heiligen Lande. 258 - der Seele gestanden. Der Anblick des Städtchens wird auf Niemand, der fromm genossene Kinderjahre hinter sich hat, verfehlen einen ähnlichen Eindruck zu machen. Mitten im Jahre ist’s als ob plötzlich die Weihnachtsglocken erklängen, und mit der Kunde vom « ktindlich grossen Geheimniss», vom ewig neuen Feste der begnadigten Menschheit, die Erinnerungen des eigenen Herzens an vergangene selige Stunden zusammenklingen Hessen. Gerade bei der Ankunft von Jerusalem lässt sich ein bestimmtes Bild von Bethlehem gewinnen, obgleich die Ankömmlinge von Hebron noch ein schöneres haben. Da liegt es vor uns auf seinen zwei durch einen kurzen Sattel verbundenen Hügeln, dem westlichen und dem östlichen. Der erstere macht eine Wendung nach Norden, woher wir selber kommen. Auf dieser Seite bilden Haine von Oliven- und Feigenbäumen den Vordergrund des aus grauen Kalksteinen ohne Kuppeldächer erbauten Städt¬ chens. Nach Osten und Süden grüssen aus der Ferne nackte Wüstenberge. Der ‘östliche Hügel trägt auf sei¬ nem nördlichen Vorsprung die Klostergebäude sammt dem grossen kreuzförmigen Kirchenbau. Während die Stadt selbst keine Mauern mehr hat, haben sie diese wie ein geschlossenes Ganze ihr östlich gegenüber liegenden burg¬ artig gestalteten Gebäude. Am stattlichsten erscheinen sie nach Norden, wo das lateinische Kloster mit seinen terrassenförmigen massiven Strebepfeilern den Bergabhang beherrscht, unter sich ein fruchtbares Thal. Als sich die grossfürstliche Karavane der Klosterburg - näherte, empfing sie feierliches Glockengeläute. Bald darauf erschienen der Patriarch von Jerusalem und der russische Bischof Cyrill, von ihren Geistlichen gefolgt, zum Empfange der erlauchten Pilger. Sie wurden sogleich in die kirchlichen Räume geleitet, wo die genannten ho¬ hen Geistlichen vor dem den Griechen gehörigen Hoch¬ altäre die Messhandlung vollzogen. Während dieser kirchlichen Feierlichkeit, die hei ihrer Ausdehnung un¬ mittelbar nach dem zweistündigen Morgenritte sehr an¬ greifend war, überkam den Grossfürsten ein plötzliches Unwohlsein; glücklicherweise dauerte es nicht an. Der schon genannte Hochaltar, wo die Messhandlung stattfand, befindet sich im Chor der Basilika, auf dessen obere und untere Räume seit langer Zeit der gottesdienst¬ liche Gebrauch der ganzen Kirche beschränkt ist, nur dass auch der im Schiffe befindliche Taufstein von rothem Marmor benutzt wird. Das verlassene Schiff ist geräu¬ mig und von grossartiger Anlage; vom Chore, den eine neuere Querwand abschliesst, bis zur Vorhalle misst es 170 Fuss; ungefähr halb so viel beträgt seine Breite. Zu beiden Seiten hat es je zwei Reihen röthlich gesprenkelter Marmorsäulen mit korinthischen Kapitälern, achtzehn F uss hoch. Diese Säulen, deren je zwölf eine der vier Reihen bilden, tragen einen Oberbau, dessen untere Flächen nach neuerdings unternommener Reinigung noch reichliche Spu¬ ren alter schöner Darstellungen und Inschriften, vorzugs¬ weise griechische,1 darbieten. Ueber diesen Flächen be- 1 Die griechischen Unzialbuchstaben dieser Inschriften sind schöner und altertümlicher als die auf dem marmornen Tauf¬ stein befindlichen. Fine genauere Prüfung aller einzelnen In¬ schriften wird nicht nur die Verschiedenheit der Zeit ihrer Ab- 17 * 260 sitzt jede der beiden Langseiten, die nördliche und die südliche, zehn helle Bogenfenster. Auch an den Fenster¬ wänden tritt jetzt die alte Goldmosaik wieder hervor. Auf dem Oberbaue ruht die aus hölzernem Gebälk, wol Cypressenholz, gebildete Decke, die trotz ihrer Schmuck¬ losigkeit kein unschönes Bild gewährt. Das gleichfalls hölzerne Dach darüber ist mit Blei gedeckt. Aus dem Schiffe kehren wir in den nach Morgen ge¬ legenen Chor zurück. Der in griechischem Besitz be¬ findliche Hochaltar inmitten desselben macht den ganzen Raum zu einer mässigen aber sehr schmuckreichen grie¬ chischen Kathedrale. Die beiden Nebenchöre scheinen ausser Gebrauch zu stehen; aus dem südlichen, wo ein Altar der Beschneidung steht, führt eine Treppe ins grie¬ chische Kloster hinauf; der nördliche mit einem Altar der heiligen drei Könige hat eine Thür zur lateinischen Ka¬ tharinenkirche, die auf der andern, ihrer eigenen nörd¬ lichen Seite unmittelbar ans lateinische Kloster grenzt, von dem es auch nach Westen nur der Kreuzgang trennt. Aus dem Haupt- oder Mittelchor nun führen zwei Marmortreppen, eine südliche und eine nördliche, jene von dreizehn, diese von sechzehn Stufen, zu den gefeierten Heiligthümern Bethlehem’s hinab, zur Grotte der Geburt und den übrigen daran angeschlossenen unterirdischen Erinnerungsstätten. Zunächst führen beide Stiegen in die Geburtskapelle,, die ziemlich den Mittelpunkt unterm fassung darthun , sondern auch zur Bestimmung dieser Zeit selbst, woran sich weitere Folgerungen von selbst knüpfen, wesentlich beitragen. 261 Chore einnimmt. Sie ist 38 Fuss lang, von Ost nach West, 12 Fuss breit, 9 Fuss hoch. Ihren Boden bedecken weisse schöngeaderte Marmorplatten, wie auch die Wände durch Marmor und Seidenstoffe maskirt sind. Grosse von der Decke herabhängende Lampen erhellen den Raum. Gerade zwischen den beiden Treppen an der Ostseite der Kapelle stehen wir vor einer 8 Fuss hohen und 4 Fuss breiten Nische mit einem unten ausgerundeten Altartische; unter diesem Altäre liegt eine weisse Marmorplatte, auf "welcher eine vierzehnstrahlige Sonne von Silber und Jas¬ pis glänzt, mit der Umschrift: Hic de virgine Maria Jesus Christus natus est. Nur wenig Schritte südlich davon stützt eine einzelne Marmorsäule das Gewölbe und bildet die Nordostecke der Krippenkapelle, d. h. eines drei Stufen tiefer gelegenen viereckigen fast gleichseitigen Raumes mit einer nachgebildeten marmornen Krippe, dritthalb Fuss lang, einen Fuss breit, einen halben Fuss tief. Schräg, d. h. südwestlich gegenüber der Krippen¬ kapelle, vor welcher bedeutungsvoll drei grosse silberne Leuchter brennen, steht ein Altar der Anbetung der Wei¬ sen gewidmet. Oelgemälde, bezüglich auf die heiligen Thatsachen denen die Kapellen gewidmet sind, schmücken die Wände derselben. Die anderweiten unterirdischen Räumlichkeiten liegen im Norden vom Centrum. Zuerst betreten wir von der Geburtskapelle aus, die wir an der Westseite durch einen lampenhellen Felsengang verlassen, die Josephskapelle mit einem Altar nach Osten, sodann die Kapelle der unschuldigen Kindlein mit einem Altar nach dersel¬ ben Gegend, gegenüber einer das Felsengewölbe stützen- 262 den Säule. Unter diesem Altäre gestattet eine niedrige Gitterthür den Blick in eine natürliche auf zwölf Schritt ausgemessene Höhle, die man die Grabstätte der gemor¬ deten Kindlein andeuten lässt. Diese beiden hintereinander hegenden Kapellen las¬ sen sich als ein zusammengehöriges Paar betrachten, während die übrigen auf die Kapelle der Kindlein folgen¬ den gleichfalls zusammengehören und einen westlichen Flügel oder Ausläufer bilden, zu welchem auch von Nor¬ den ein direkter Gang aus der lateinischen Kirche der heiligen Katharina herleitet. Hier treffen wir zunächst einen bescheidenen dem Eusebius von Cremona gewid¬ meten Altar, unter welchem, freilich erst nach später Tradition, der Heilige selbst begraben sein soll. Darauf folgen noch weiter westlich zwei einander als nördlicher und südlicher Tlieil gegenüber hegende Felsenkammern, namentlich den Erinnerungen an St. Hieronymus den gelehrten Bibelforscher und Textkritiker des vierten Jahr¬ hunderts gewidmet. Die nördliche bezeichnet man als sein «studorium» , seine Studirzelle; die südliche als seine Grabstätte. Dem Altar der Grabstätte (östlich) gegenüber hegt ein ähnliches Denkmal, benannt als die Gräber jener edlen frommen Römerinnen, Mutter und Tochter, die in dem herrlichen Verkehre mit dem grossen Meister aus Stridon gestanden und in Folge davon Pracht und Luxus der römischen Paläste verliessen, um in einer Bethlehe- mitischen Zelle dem ernsten Studium der Schrift, den Uebungen der Frömmigkeit, dem Dienste der Kirche, den Erinnerungen des heiligen Landes zu leben und im Herrn zu sterben. Oelbilder über den Altären beleben sinnig 263 diese Felsengrotten; namentlich gelungen ist die Dar¬ stellung der beiden verklärten von Engeln umschwebten Frauen, deren Gedächtniss ihr heiliger Freund und gefei¬ erter Lehrer unvergesslich gemacht.1 Auf unserer Rückkehr aus diesen nordwestlichen Ka¬ pellen, den äussersten Nachbarn der Geburtsstätte, steigen wir über dreiundzwanzig Stufen zur lateinischen Katha- 1 Auf meine Veranlassung hat ein junger mir befreundeter Theolog, Martin Schubart, die Grabschrift, die Hieronymus der heiligen Paula gesetzt, durch folgende Verse übertragen: Siehst du im schroffen Fels das enge Grab? hier ist die Herberg welker Leibeshülle, die eines hohen, nun zur höchsten Fülle emporgedrungnen Weibes Geist umgab. Paula, der Gracchen herrlichem Geschlecht und Agamemnon’s hohem Stamm entsprossen, ruht hier von Bethlehem’s Gestein umschlossen, fern von dem Vaterland ins Grab gelegt. Der Armutli Christi folgend, Gottgenehm, stieg sie herab aus fürstlich hohem Stande, und zog vom reichen mächt’gen Vaterlande, vom stolzen Rom zum armen Bethlehem. 0 heil’ge Stätte, die so hochgesinnt zur ird’schen Herberg Paula sich erkoren: hier ward in Niedrigkeit der Christ geboren, hier ward der Gottessohn ein Menschenkind. Hier funkelte der helle Stern herab, die Männer aus dem Morgenland zu führen, hier brachten sie dem Heiland Gold und Myrrhen, hier, wo im schroffen Fels das enge Grab. 264 r inen kir ehe hinauf, 100 Fuss lang (von Osten nach Westen) und 20 breit, welche ausser vortrefflichen Bil¬ dern auch eine Orgel auszeichnet. Hiermit haben wir die sämmtlichen kirchlichen Räume anzudeuten versucht, die das Interesse des christlichen Pilgers in Bethlehem in Anspruch nehmen, nachdem er in eins der drei mit dem Basilikenbau eng verbundenen Klöster, ins griechische, armenische oder lateinische, sei¬ nen Fuss gesetzt hat. Wie das grossfürstliche Paar andächtig hieher ge¬ pilgert und mit Rührung diese Oertlichkeiten geschaut, an die sich das grösste Ereigniss der Weltgeschichte, die Menschwerdung des Sohnes Gottes auf Erden unmittelbar anknüpft, so haben im Laufe der beiden christlichen Jahr¬ tausende unzählige Pilger, hohe und niedere, gelehrte und einfältige, zu demselben Zwecke ihre Schritte nach Beth¬ lehem gelenkt. Das Bewusstsein solch reicher Genossen¬ schaft wird für viele hinreichend sein, um ihre Andacht durch die Ueberzeugung zu begründen und zu erhöhen, dass die Oertlichkeiten durch die erhabenen Thatsachen selbst ihre unvergängliche Weihe empfangen haben. Scheint doch eine genügende Bürgschaft hiefür schon der Name des Hieronymus zu sein, jenes scharfsichtigen und für die Wahrheit unermüdlich kämpfenden Forschers, der vor fast fünfzehnhundert Jahren nach allen grossen Erfahrungen seines vielbewegten Lebens kein grösseres Glück als das kannte, im Anschauen der Geburtsstätte seines Heilandes zu beten und zu arbeiten; auch sein Grab liess er dicht neben derselben Stätte im F eisen aushauen , um ihre dreissig Jahre lang genossene Nähe selbst im Tode noch 265 festzulialten. Um so weniger haben aber auch diese Oert- lichkeiten einen geschichtlich prüfenden Rückblick zu scheuen. Die neue Sonne, die mit der Bekehrung des Kaisers Constantin über den Orient aufging, verklärte bekannt¬ lich durch ihre Strahlen ganz besonders die an dem Bo¬ den des heiligen Landes haftenden Erinnerungen aus dem Leben des Herrn. Die Geburtsstätte zu Bethlehem und die Himmelfahr ts stelle auf dem Oelberge, damals schon die Zielpunkte der eifrigsten Wallfahrten, erhielten durch Constantin’s fromme Mutter ums Jahr 326 die erste Ver¬ herrlichung durch einen Kirchenbau; der Kaiser selbst, der bald darauf die Prachtbauten auf Golgotha und über dem heiligen Grabe ausführen liess, fügte den Schöpfungen seiner Mutter, die unterdessen hochbetagt verstorben war, Verschönerungen bei.1 Fragen wir aber nach der frühesten 1 So berichtet der Augenzeuge Eusebius in seiner Bio¬ graphie Constantin’s III, 42. 43, womit auch das Vorhergehende, besonders III, 41 zu vergleichen. Wider seine Gewohnheit hat sich Tobler in dieser Angelegenheit geirrt, indem er schrieb: (Bethlehem S. 102. N. 3.) «Der gewöhnliche Tross der Schrift¬ steller, denen sich diesmal auch Robinson anschloss, will, dass Helena den Bau stiftete.» «Ich bemerke ausdrücklich, dass die ältesten Schriftsteller Konstantin als Urheber angeben, und erst spätere Schriftsteller, wie Sokrates und Sozomenus, erweisen der Helena die Ehre der Stiftung». Diese Angabe Tobler’s läuft entschieden dem ausführlichen Berichte des Eusebius (a. a. 0.) zuwider, den Robinson in seiner Topographie II, 208 vollkommen richtig ausgeschrieben und daher auch noch später festgehalten. (Vergl. Tobler, Dritte Wanderung S. 457 «Ro¬ binson, der mit den neuesten Forschungen nicht überall Schritt i 266 Beglaubigung der hochverehrten Stätte zu Bethlehem, so reicht die Tradition über das Zeitalter der Helena weit hinauf. Denn als ihre ersten Vertreter erscheinen Justin der Märtyrer und der Verfasser des Protevangeliums, 1 beide um die Mitte des zweiten Jahrhunderts. Indem Justin die «Geburtshöhle nahe beim Flecken Bethlehem» erwähnt, während das Protevangelium eine ausgesponnene Schilderung der Vorgänge in der Höhle gibt, lassen sie darüber, dass schon damals eine bestimmte Oertlichkeit ins Auge gefasst wurde, um so weniger Zweifel übrig, als der Evangelist Lucas von einer Höhle gar nicht geschrie¬ ben. Auf Justin’s Zeugniss folgt das des Origenes, der nicht nur angibt dass zu Bethlehem die Geburtshöhle und zwar sammt der Krippe zu seiner Zeit gezeigt wurde, sondern dass selbst die nichtchristlichen Bewohner der » Gegend mit der Berühmtheit derselben wohl bekannt waren. Wie nun von Justin bis Origenes keine Wandelung der Tradition über die Lokalität angenommen werden kann, so ist auch gewiss, dass die Kaisermutter ein Jahrhundert nach Origenes keine andere Stätte verherrlichte als die zu des Letztem Zeit schon gekannte und verehrte. Ergibt sich hieraus die ausserordentliche Thatsache, dass die Stätte der Geburt des Herrn zu Bethlehem mit hält und dann früher begangene Irrthümer wiederholt, sagt: Helena (!) built here a church, which appears to have been the same tliat still exists».) Der Panegyrikus Constantin’s (9, 8) steht als Geschichtsquelle der Biographie offenbar nach. 1 Der Letztere ging vielleicht dem Ersteren voran. Das sogenannte Protevangelium ist spätestens um die Mitte des 2. Jahrhunderts verfasst. Vergl. meine Evangg. apocr. S. XII fgg. 267 ilirer traditionellen Beglaubigung bis auf die erste Hälfte des zweiten Jahrhunderts zurückreicht, so ist uns noch die Frage übrig, ob die Geburtshöhle des zweiten Jahrhun¬ derts mit dem beiläufig 60 bis 70 Jahre vor Justin’s erster Apologie (139) verfassten Evangelium des Lukas vereinbar ist, wo (2, 7) nur davon berichtet wird, dass Maria zu Bethlehem aus Mangel an Raum in der Herberge ihren erstgebornen Sohn in eine Krippe legte. Obschon das Moment der Höhle im Texte des Lukas nicht liegt, und ebensogut die Höhle als der Stall hervorgehoben werden konnte, so haben wir doch kein Recht die erstere vom letzteren auszuschliessen, da Felsengrotten in Palästina oft genug mit Ställen zusammenfallen mochten, wie es noch jetzt geschieht. Auch verbindet bereits Justin Höhle und Krippe, ohne das Zusammentreffen mit einer Silbe zu begleiten.1 Der Evangelist schrieb ebensowenig das Wort Stall hinzu, doch ergibt sich aus seinem Texte, dass an den Stall der Herberge zu denken ist. Die Angabe, dass das Wickelkind in die Krippe gelegt werden musste, reichte dem Evangelisten zur Bezeichnung der Situation 1 Das apokryphische Protevangelium sieht dagegen von der Krippe ganz ab und hat überhaupt eine freiere Gestaltung des Hergangs. Erst in den späteren lateinischen Ausflüssen derselben Schrift treten «Ochs und Esel» anbetend auf. Yergl. namentlich Pseudo -Matthäus Kap. XIV (in meinen Evangg. apocr. S. 77), wo übrigens, wahrscheinlich nach abendländischer Auffassung, Höhle und Stall getrennt erscheinen. Denn erst am dritten Tage nach der Geburt verlässt Maria die Höhle und, wie es weiter heisst, ingressa stabulum posuit puerum suum in praesepio, quem bos et asinus adoraverunt. 268 völlig aus. Dazu kommt der Zusammenhang der Krippen¬ scene mit den Hirten auf dem Felde. Uebrigens war auf die spätere Hervorhebung der Felsenhöhle gewiss die Je¬ sajanische Weissagung 33, 16 von Einfluss, die bei den Siebzig lautet: «er wird in hoher Felsenhöhle wohnen.» Schon Justin stellt sie ausdrücklich damit zusammen. Ueberblicken wir hierauf die Geschichte der Baulich¬ keiten über der Geburtsgrotte seit der Helena, so hat ihr Erstlingsbau allem Anscheine nach auf lange Zeit hinaus seine Spuren gelassen. Dass er nach zweihundertjährigem Bestände auf Befehl Justinian’s zerstört und durch ein anderes nach den Absichten desselben Kaisers noch glän¬ zenderes Bauwerk ersetzt worden sei, steht allerdings in den arabischen Annalen des Eutychius, die vierhundert Jahre nach Justinian datiren. Diese Angabe, begleitet von seltsamen Nachrichten,1 ist aber um so weniger glanb- 1 II, 158 — 159 fgg. (Oxon. 1658) wird wörtlich erzählt: «Auch befahl der Kaiser seinem Legaten die Kirche zu Beth¬ lehem, die klein war» (? Der Augenzeuge Eusebius hatte sie aber als ein «bewunderungswürdiges Denkmal» bezeichnet und geschildert) «zu zerstören und eine andere weite grosse schöne zu errichten, so dass kein schönerer Tempel zu Jerusalem wäre». Später heisst’s , der Legat habe wirklich die Kirche zerstören lassen und dafür diejenige erbaut, die zu des Verfassers Zeiten stand. Als aber der Legat vor dem Kaiser erschienen sei und ihm das Bauwerk beschrieben habe, da sei der Kaiser höchst ungehalten gewesen, als seien die kaiserlichen Gelder vom Le¬ gaten veruntreut worden. «Du hast», heisst es zuletzt, «ein schlechtes Bauwerk, eine finstere Kirche aufgerichtet, ganz und gar nicht nach meinem Sinne; du hast meinen Plan nicht aus¬ geführt. Und darauf liess ihm der Kaiser den Kopf abschla- 269 würdig,* 1 als Prokopius in seinem Werke über die Bauten seines kaiserlichen Herrn weitläufig genug von den auf seine Kosten allerwärts im heiligen Lande errichteten Kir¬ chen und Klöstern berichtet, auch von Bethlehem selbst erzählt, dass der Kaiser die Mauer wiederhergestellt habe sowie das Kloster des Abts Johannes, aber kein Wort von einem Kirchenbau über der Geburtsstätte niedergelegt hat, während doch der letztere vor allen anderen hätte erwähnt werden müssen, zumal da der Ermöglichung desselben ein hochgepriesenes Denkmal der Munificenz des ersten christ¬ lichen Kaisers und seiner Mutter soll geopfert worden sein.2 Ob man dennoch auf Grund der Eutychianischen Annalen berechtigt sei anzunehmen, dass Justinian der Kirche des vierten Jahrhunderts wenigstens eine nachbessernde und verschönernde Hand angedeihen liess, wage ich nicht zu entscheiden. Nachdem bis ins 7. Jahrhundert nichts von einem besonderen Namen der Kirche zu Bethlehem berichtet gen». Dem Schlussakte läuft parallel die gleich darauf gegebene Erzählung vom Bau auf dem Sinai. Auch dort wird dem Ge¬ sandten der Kopf abgeschlagen, weil er «den Berg nicht hatte abtragen lassen». Doch wird anstatt des Enthaupteten ein anderer Gesandter zur Nachhilfe des Baues gesandt, was beim Bethlehemitischen Bauunternehmen nicht geschieht. (Die letz¬ tere Stelle hat Robinson I, 433 fgg. ausgeschrieben, wie schon oben erwähnt worden.) 1 Ganz anders urtheilt Tobler: Bethlehem 104. Topogra¬ phie II, 474. 2 Von den bei Prokop bezeugten und möglicherweise in der christlich arabischen Tradition verwechselten Bauten Justi- nian’s erwähnen die Annalen des Eutychius nichts. 270 worden, weder von Eusebius noch von Sokrates und Sozo- menus,1 erfahren wir durch den Bischof Arculf aus der zweiten Hälfte des genannten Jahrhunderts, dass die Kirche den Namen der Maria führte. Neben dieser auch später oft wiederholten Benennung finden wir sie aber auch, wo sie überhaupt mit einem besonderen Namen belegt wird, als die unserer lieben Frau oder der Gottesmutter, bis¬ weilen auch als die Kirche der Krippe bezeichnet. Während der Zeit der Frankenherrschaft wurde dem¬ selben Gotteshause die Auszeichnung, dass am Weihnachts¬ tage 1101 Balduin I. in seinen Mauern gekrönt wurde. In demselben Jahrhundert, 1169, war die freigebige Hand des Kaisers Emanuel Komnenus, dem griechischen Mönche Phokas zufolge,'2 der Kirche zu Bethlehem zugewandt. Indem dieser Berichterstatter bemerkt, dass der Kaiser den ganzen Tempel mit Goldmosaik verziert habe, und dass die Lateiner aus Dankbarkeit in mehreren Räumen der Kirche des Kaisers Bild aufgestellt, beweist er wol selbst zur Gnüge, dass die ((Wiederaufrichtung)) der Kirche keinen Neubau bedeutet, der ohnehin zu dieser Zeit, 68 Jahre nach Balduin’ s Krönung unter fortwährendem ruhi¬ gen Bestände, gar nicht motivirt erscheint. In wie weit bei der Wieder eroberung des heiligen Lan¬ des durch die Sarazenen die Kirche zu Bethlehem gelitten hat, lässt sich aus der Notiz im Chronikon Otto's von S. 1 Die im Epitaphium der Paula von Hieronymus gebrauchte Bezeichnung der ecclesia speluncae salvatoris enthält doch wol auch nicht einen eigentlichen Kirchennamen. 2 Siehe Allatii 2Jv[i[u%rcc S. 39 fgg. I 271 Blasien1 schwer beurtheilen ; gegen eine stattgehabte Zer¬ störung zeugen aber die Pilgerschriften des 14. und 15. Jahrhunderts, ohschon sie Klagen über verschleppte Mar¬ morsteine und über ähnliche Benachteiligungen des ehr¬ würdigen Gebäudes enthalten. Hingegen wird uns aus dem Ende des letztgedachten Jahrhunderts von einer be¬ deutenderen Reparatur berichtet, wozu die grossherrliche Erlaubniss eingeholt werden musste. Sie galt vorzugsweise einer vollständigen Erneuerung des baufällig gewordenen Daches, zu welcher Herzog Philipp von Burgund das Holz und König Eduard (IV.) von England das Blei übersandte, während Handwerker von Venedig den Bau ausführten.2 Nach fast zweihundert Jahren wurden neue Klagen über gewaltsame Beschädigungen laut, gleichfalls beson¬ ders auf die Bedachung bezüglich; leider fiel auf die Mönche selbst grobe Schuld, da sie z. B. die Bleiplatten des Daches den Türken zu Kugeln im Kriege gegen Kandia (seit 1645) geliefert hatten. Diesmal erfolgte die Heilung des Schadens auf griechische Kosten, und auch die Ein¬ weihung der wiederhergestellten Räume vollzog der grie¬ chische Patriarch Dositheus im Jahre 1672, als die ortho¬ doxe Synode gegen Cyrillus Lukaris, den Freund calvi- nistischer Dogmen, zu Jerusalem tagte. Die neueste Ausbesserung ging in Folge eines Fermans 1 Siehe Tobler: Dritte Wanderung, S. 457. 2 Wir folgen hierin wie in vielen der gegebenen Einzeln- heiten der vortrefflichen Monographie Tobler’s , die derselbe 1849 unter dem Titel erscheinen Hess: Bethlehem in Palästina. Topographisch und historisch nach Anschau und Quellen ge¬ schildert. Mit Karte und Tempelplan. 272 von 1842 gleichfalls von griechischer Seite ans. Es hängt damit zusammen, dass der Besitz des ganzen Heiligthums schon lange weit mehr in griechischen als in lateinischen Händen ist, wobei die Armenier den Griechen noch näher als die Lateiner stehen. Bekanntlich war die Kirche zu Bethlehem sehr tief in die Streitfragen verflochten, die zwischen Kussland und der Hohen Pforte vor dem Aus¬ bruche des Krimkriegs verhandelt wurden. Die darüber vom Sultan unterm 5. Mai 1853 ausgestellte Urkunde entschied wesentlich zu Gunsten der russischen Ansprüche, indem darin unter Anderem festgesetzt wurde, dass der den Lateinern kurz vorher gewordene Kirchenschlüssel nur Durchgangs- aber nicht Eigenthumsrecht in sich schliesse. In Betreff der Geburtsgrotte sollte es streng heim alten Herkommen belassen werden, was gleichfalls den griechi¬ schen Ansprüchen gemäss war, wie denn auch jetzt die Griechen mit den Armeniern Herren der Grotte sind, und die Lateiner nur die wenig Schritte davon gelegene Krip¬ penkapelle besitzen. Mit der letztgenannten Entscheidung verbindet der Ferman die Erwähnung des oben beschrie¬ benen Sternes unter dem Altar der Geburtsgrotte. Von ihm heisst es, er sei nach dem Muster des 1847 plötzlich verschwundenen gefertigt und der christlichen Nation von Seiten des Padischah als ein feierliches Andenken gegeben worden, ohne dass dadurch die frühere Stellung der Con- fessionen dazu die geringste Veränderung erfahren habe. Begreiflicher Weise ist aber, wie in andern Stücken, so namentlich in Betreff der sogenannten heiligen Stätten, mit denen nun einmal seit Jahrhunderten das Verhältniss der europäischen Christenheit zur Türkei aufs Engste ver- blinden ist, bis auf den heutigen Tag die orientalische Frage noch ungelöst, folglich der Unfriede zwischen Grie¬ chen und Lateinern an diesen Stätten selbst nach wie vor geblieben. Dieser Unfriede ist um so unerfreulicher, je mehr er sich durch die täglichen persönlichen Berührun¬ gen der Parteien offenkundig macht. Die türkische Re¬ gierung ihrerseits, wenn man sie anders überhaupt als berechtigt im alten christlichen Orient ansehen will, trägt offenbar die geringste Schuld daran; wie sehr sie nach Frieden trachtet, hat sie neuerdings wieder durch die Ge¬ währ und Begünstigung der russischen Bauunternehmun¬ gen zu Jerusalem gezeigt. Ihre Willfährigkeit hierin fällt in der That um so mehr ins Gewicht, als solche Bauten einen der Hauptpunkte (Artikel 5) in jenem Menschi- koff sehen Vertragsentwürfe gebildet, dessen beanstandete Unterzeichnung die Abreise des kaiserlichen Gesandten und damit die Eröffnung der Feindseligkeiten herbeige¬ führt. Das historische Recht aber hat im Laufe von an¬ derthalbtausend Jahren zu viele thatsächliche Wandelungen erfahren, um zwischen europäische Grossmächte einen ent- / scheidend bindenden Buchstaben hinstellen zu können. Nur eins ist in der Verwirrung klar, dass die unermüdete Befehdung der Christen gerade an denjenigen Stätten, woran sich der Christenheit heiligste Erinnerungen knü¬ pfen, vor den Augen der Moslems der Glaubenszerrissen¬ heit des christlichen Europa einen überaus betrübenden Ausdruck gibt. Die erlauchte Pilgerin, in deren Geleit ich war, hatte sich ganz mit dem Gedanken befreundet, dass Jerusalem zu einer christlichen Bundesstadt erho¬ ben werden sollte. Wie fern stellt aber die Gegenwart Tischeudorf, Aus dem heiligen Lande. 18 274 einer solchen christlichen Grossthat, einem solchen christ¬ lichen Patriotismus.1 Ich verlasse die unwillkürliche Abschweifung; sie hatte an dieser Stelle insofern keine Berechtigung, als der grossfürstliche Besuch im heiligen Lande die Klänge der Kriegstrommete weit hinter sich hatte und, wohin er auch führte, nur Grüsse des Friedens brachte. Aber die Frage blieb noch unbeantwortet, ob denn die Geburtsgrotte wirklich den Eindruck der Aechtheit 1 Ich kann hierzu nur wiederholen was meine «Reise in den Orient» II, 142 enthält: «Ausser Zweifel hleibt’s, dass es heute kaum so vieler Federn bedarf als es ehedem Schwerter bedurft hat , um zu erreichen was die Kreuzfahrer gewollt. Aber, so lautet die bedenkliche Frage, wem soll Jerusalem zu¬ fallen? Nun vielleicht ist’s in der Schmach das Aergste, dass persönliche Eifersucht über die heilige Sache der Gesammtheit triumphirt. Das Eine ist klar: Jerusalem muss christlich sein. Um aber alle Familienzwiste um dieses gemeinsame Erbtheil zu vermeiden, so lässt sich Jerusalem zur christlichen Bundes¬ stadt oder zur freien Stadt unter dem Schutze der christlichen Mächte erklären. Das wäre eine schöne That des Jahrhunderts; das wäre eine Bundesthat, die jenes so oft gewechselte Wort vom grossen herzlichen Einverständnisse zur Wahrheit machte. Welche Zukunft könnte daraus für die gesammte Kirche er¬ wachsen. Die traurige Beschränktheit der christlichen Con- fessionen, wie sie jetzt im Oriente waltet, würde zurückfliehen vor den Strahlen des neuen christlichen Lebens, das die be- « geisterten Schaaren der europäischen Pilgrime ausbreiten müss¬ ten. In Jerusalem gälte es eine neue Einheit des Christen¬ thums; wie zerstreute Heerden fänden sich dort die Völker zusammen; dort erklänge das Evangelium eines neuen grossen Kirchenfriedens ». 275 maclie. In wie weit sie sich mit dem massgebenden Aus¬ drucke der Schrift verträgt, wurde bereits betrachtet, auch das hohe Alter der Tradition. So fragt sich’s nur ob die Oertlichkeit seit dem zweiten Jahrhunderte treu bewahrt geblieben. Neuere Untersuchungen haben es zweifelhaft gemacht, ob noch jetzt eine natürliche Felsengrotte vor¬ liege;1 andrerseits wurde behauptet dass zur Zeit Ibrahim Pascha’ s der Fels aufgedeckt worden sei.2 Jedenfalls ist zu bedauern dass mit der Ehrfurcht vor der Heiligkeit der Stätte nicht das Bestreben Hand in Hand ging, ihre einfache natürliche Erscheinung zu bewahren und eben darin ihre wahre Schönheit zu finden. Da man sich im Gegentheil von Anfang an in der baulichen Verherrlichung, im Prunke der Ueberkleidung so wohlgefiel, so mag schon frühzeitig aus falschem Eifer der ursprüngliche Bestand beeinträchtigt worden sein; die Nachrichten aus dem 7. Jahrhundert von einer Halbhöhle, aus dem 8.- von einem viereckigen Felsenhause3 bestätigen dies. Daraus erwächst aber noch keine Berechtigung daran zu zweifeln, dass die Oertlichkeit in der Hauptsache dieselbe sei, die von An¬ fang an dem Auge frommer Verehrung Vorgelegen, wenn auch immer die einzelnen Cultusstätten der Freiheit der Anordnung unterliegen mussten, und nebensäch¬ liche Erinnerungen, wie selbst die an S. Hieronymus,4 1 Siehe Tobler: Bethlehem, S. 150 fgg. 2 yergl. Tobler: Dritte Wanderung, S. 84 und Note 245. 3 Siehe Tobler: Bethlehem, S. 149. 156. 4 Siehe Tobler: Bethlehem, S. 192 fgg. 18* 276 nicht mit voller historischer Gewissenhaftigkeit beobachtet zu sein scheinen. Unter den auswärtigen christlichen Erinnerungsstätten von Bethlehem steht obenan das Feld der Hirten, wo¬ hin sich der Grossfürst Nachmittags begab. Es liegt ungefähr 20 Minuten östlich unterhalb der Klostermauern und ist von einer weiteren und einer engeren Mauer um¬ geben, innerhalb welcher als freundlichster Schmuck des Feldes Oelbäume stehen. Die engere Mauer umschliesst die unterirdische Grotte der Hirten, 30 Fuss lang und 20 breit, zu welcher 21 Stufen hinabführen. Die dort ange¬ legte Kapelle mag wol vor Zeiten reicheren und besseren Schmuck als schlechte Bilder auf Holz besessen haben. Der griechische Führer machte uns auf Mosaikreste auf dem Fussboden aufmerksam; sie waren aber so verwittert, dass sie sich schwer als solche wiedererkennen liessen. Dieser heiligen Stätte, dem Hirtenfelde, lässt sich nicht nachsagen, dass sie gleich anderen durch Ueberschweng- lichkeiten der Kunst oder des Cultus von der Erinnerung abziehe, der sie geweiht ist. Wie mancher fromme Pilger mag hier ein gerührtes Auge zum Himmel erhoben haben, dorthin woher in der geweiheten Nacht zum ersten Male jenes Gloria in excelsis von den Lippen der ‘Engel auf die Erde hernieder gerufen ward, jenes Gloria in excelsis, das seitdem Millionen gläubiger Christen im Herzen ge¬ tragen und bewahrt, das seitdem von Jahrhundert zu Jahrhundert zu allen Weihnachtsfesten der Christenheit als lieblichster Lohgesang der begnadigten Gemeinde von Erden wieder zum Himmel steigt. Die Madonnen- oder Milchgrotte, eine zum Gottes- I t / 277 dienst eingerichtete lehmige graue feuchte Kalksteinhöhle mit abtropfender Mond- oder Bergmilch, deren wunder¬ tätige Heilkraft, auf Maria’s Namen zurückgeführt, weit und breit berühmt geworden, blieb unbesucht; sie liegt nur gegen hundert Schritte vom östlichen Ende des Städt¬ chens entfernt. Dieses Städtchen selbst aber darf neben seiner Kir¬ chen- und Klosterburg nicli ausser aller Acht bleiben. Seinen alten Namen « Brothausen » (Bethlehem) hat es bekanntlich im Laufe der Zeit mit « Fleischhausen » (Beth- lahem) vertauscht. Wie bedeutungsvoll sind diese Namen geworden. Der Gottgleiche, der von sich gesagt: Ich bin das Brot des Lebens, derselbe von dem geschrieben steht: Und das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns, wurde in diesem Städtchen geboren. Aber auch abgesehen von dieser christlich - gnostischen Deutung, ist der Wohlstand, auf den beide Namen zielen, bis heute nicht ganz von ihm gewichen, wenn auch Behaglichkeit und Gemüthlicli- keit zu mancher Zeit gestört gewesen, da nicht selten schwere Gewitterwolken des Kriegs über ihm sich entlu¬ den, am nachhaltigsten in den Jahren 1099 und 1489, und die Bethlehemiten selbst ihren unfriedfertigen Charakter nicht nur gegen ihre Nachbarn zu Hebron, sondern auch innerhalb ihrer eigenen Mauern durch blutige Fehden kundgaben.1 Und zwar geschah dies trotzdem dass schon seit vielen Jahrhunderten die christliche Bevölkerung ent¬ schieden vorherrschte. Während diese früher meistens aus orientalischen Christen, Syrern und Armeniern, be- 1 Vergl. Tobler: Bethlehem, S. 33 fgg. 0 278 stand, so bilden gegenwärtig Lateiner und Griechen die Mehrzahl, die mit einander über dritthalbtausend Seelen zählen, neben 200 Armeniern. Die Zahl der Moslems da¬ gegen, die unter Ibrahim Pascha gänzlich vertrieben waren, wird gegenwärtig auf 300 geschätzt. Ringmauern mit Thoren, die Bethlehem schon zur Zeit der Ruth der Ahn¬ frau David’s gehabt — denn Boas ging hinauf ins Thor und schloss im Thore vor den Aeltesten der Stadt die Heirath ab — gibt’s heutzutage nicht mehr. Mit um so grösserem Rechte führen die Bethlehemiten, Leute von kräftigem Schlage, zum Schutz ihrer Stadt, die nur un¬ fern von den Grenzen der Wüste mit den Beduinen liegt, regelmässig Waffen. Dennoch blühen in nicht geringem Masse Arbeiten und Künste des Friedens unter ihnen. Ausser zahlreichen Gewerben treiben sie Feld- und Wein¬ bau, Vieh- und Bienenzucht. Zum Behufe der Brot¬ bäckerei dienen unzählige neben den Wohnhäusern ange¬ legte Backhäuschen. Die Ausstattung, mit der ehedem David der Hirte zu seinen Brüdern ins Lager zog, wo er den Kampf mit dem Philister-Riesen aufnahm: geröstete Aehren, zehn Brote und zehn Käse, die letzteren für den Hauptmann,1 würde sich jetzt leicht vervollständigen las¬ sen. Dass auch schon damals die Rebe gepflegt wurde, sagen uns die Geschenke, mit denen derselbe Jüngling als Saitenspieler zum König Saul geschickt wurde.*2 Eins gilt es aber von den Beschäftigungen der Bethlehemiten noch besonders hervorzuheben; vom Fleisse ihrer Hände stam- 1 S. 1. Sam. 17, 17 fgg. 2 S. 1. Sam. 16, 20. 279 men nämlich die meisten jener zierlichen Andenken, die seit Jahrhunderten der Pilger aus Jerusalem mit in die Heimath nimmt, die mit biblischen und ähnlichen Darstellungen aus¬ gestatteten Perlmutt er schalen, die Rosenkränze, die Kreuze, und was sie sonst noch aus Perlmutter, Fraueneis, Ko¬ rallen, Asphalt, Olivenholz zu bilden verstehen. In den späteren Nachmittagstunden bildete ein russi¬ sches Te deum, gehalten in der Grotte der Geburt, den fei¬ erlichen Abschied der grossfürstlichen Pilger von der Mari¬ enkirche und von Bethlehem. Nachdem sie unterwegs vom Glockengeläute des Eliaskloster begrüsst worden und einige Minuten in seine Mauern eingetreten waren, zogen sie nach angebrochenem Dunkel in Jerusalem wieder ein. . Den 19. Mai. Früh um 10 hielt der Patriarch unter Theilnahme von sechs Bischöfen und zwölf Priestern eine feierliche Messhandlung in der Auferstehungskirche ab. Daran knüpfte sich eine Seelenmesse für den hochseligen Kaiser Nikolaus. Die griechische Kirche feiert an diesem Tage das Andenken an die Constantin dem Grossen, dem ersten christlichen Kaiser, gewordene himmlische Erscheinung des Kreuzeszeichens. Hierdurch war dem Bischof Cyrill, der mit seinem Namen das Gedächtniss jenes Bischofs von Jerusalem, Constantin’s Zeitgenossen, erneuert, ein beson¬ derer Weihe- und Segensspruch an Constantin den gross - fürstlichen Jerusalemspilger nahe gelegt. Am Abende versammelte seinerseits der Grossfürst zur Feier des Tages die hohen geistlichen Würdenträger, darunter auch den armenischen Patriarchen, um sich im Patriarchate. 280 Vorher aber unternahm er noch den Besuch Betlia- nien’s. Auf einem südöstlichen niederen Ausläufer des Oelbergs gelegen, ist es vom Gipfel desselben eine Viertel¬ stunde, von den Ostmauern der Stadt eine halbe Stunde entfernt. Die grosse Begebenheit, die das Dörflein erlebt, und die ihm einen Platz in der Lebensgeschichte des Er¬ lösers angewiesen, überragt seine ganze Vergangenheit; sie hat ihm nicht nur seit mehr als tausend Jahren1 einen neuen Namen sondern auch eine unvergängliche Weihe gegeben. Diese Weihe hat alle Zeiten überdauert, wenn schon die Kirchen und Klöster, welche christliche Ver¬ ehrung erbaut und geschmückt hatte, längst verschwunden oder in Ruinen zerfallen sind. Jetzt ist es vorzugsweise Dreierlei, was dem Auge des Pilgers in der Heimath des Lazarus (Lazarium, El Asarijeh)*zur Erinnerung an ihn und an den, der ihn von den Todten wieder auferweckte, gezeigt wird. Auf einer felsigen Anhöhe, im Südwesten des Dorfes, stehen hohe Mauerruinen, deren grosse ge¬ ränderte Quadersteine von sechs bis sieben Fuss Länge auf ein beträchtliches Alter zurückweisen und wahrschein¬ lich dem von der fränkischen Königin Melesendis zu ihrer Klosberstiftung 1138 angekauften Bauwerk angehörten.2 Wie es schon damals zum Schlosse der Lazarusfamilie gestempelt worden, so werden noch heute diese Ruinen darnach benannt. Ehe wir hierauf die Grabhöhle des Lazarus betrach¬ ten haben wir des östlich vom Dorfe, gegen hundert 1 Siehe Tobler II, 422. 2 Siehe Tobler II, S. 433 fgg. 281 Schritte vom Grabe entfernt gelegenen Steines zu geden¬ ken, wohin die Sage die Begegnung des Heilandes mit der Martha und ihr Zwiegespräch (Joh. 11, 20 fgg.) ver¬ legte. Auch dieser Stein hat seine Geschichte; schon aus den Kreuzzügen ist er nachgewiesen worden.1 Das Grab endlich liegt im Westen des Dorfes. Es hat einen nach Norden gerichteten viereckigen offenen Eingang. 26 Treppenstufen führen zu einem ziemlich hohen Felsengewölbe hinab, wo ein unscheinbarer in einem Winkel angebrachter Maueransatz zum Altäre dient. Aus diesem Gewölbe führen zwei ihrer Höhe halber sehr un¬ bequeme Stufen noch tiefer in einen anderen kleineren Baum hinab, der nach allen vier Seiten ungefähr sieben Fuss lang ist. Hier soll der todte Lazarus gelegen haben. Christen und Mohammedaner theilen sich in die Verehrung der Stätte. So wie nun die Oertlichkeit jetzt erscheint, ist sie weit entfernt den Eindruck des ursprünglichen Lazarusgrabes zu machen; die Johanneische Erzählung von dem Ereignisse stimmt augenscheinlich dagegen.2 Es ist aber nicht zu vergessen, dass der jetzige Eingang sammt Treppe erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts angelegt worden ist, und dass vorher ein anderer im Osten vor- 1 Siehe Tobler II, 445. 2 Vergl. Joh. 11, 38 fgg. «Jesus... kam zum Grabe. Es war aber eine Kluft (Höhle), und ein Stein darauf gelegt. c Jesus sprach : Hebet den Stein ab. Spricht zu ihm Martha : Herr, er stinket schon . . . Da hoben sie den Stein ab, da der Verstorbene lag . . . Da er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazare, komm heraus. Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern» u. s. w. 282 handen war. Eine seit dem Jahre 1187 zur Moschee ge¬ wordene Kirche enthielt das Grab als unterirdische Ka¬ pelle. Diese Kirchen-Moschee grenzt jetzt noch unmittelbar an die Höhle. Als die mohammedanischen Besitzer immer schwieriger wurden die christliche Verehrung innerhalb derselben zuzulassen, wurde der gegenwärtige Zugang als Nothbehelf angelegt.1 In wie weit nun die jetzt verehrte Höhle, deren unterste Räume mehr Mauerwerk als natür¬ lichen Felsen, den es jedoch nur überkleiden könnte, vor Augen stellen, ehedem in Verbindung mit dem kirchlichen Bauwerke gestanden, ist noch nicht genauer untersucht worden.2 Aus einer solchen Untersuchung wird sich aber erst ergeben, oh das schon vom Pilger von Bordeaux er¬ wähnte Lazarusgrab mit dem jetzigen völlig identisch sei. So wie es damals vorlag, kann es immerhin auch den biblischen Nachrichten entsprechender gewesen sein. Das ganze Dorf gewährt durch die vielen Bäume, be¬ sonders Oliven- Feigen- und Mandelbäume, die seine ärm¬ lichen Häuser beschatten und in der Ferne dem Auge verbergen, ein freundliches liebliches Bild. Den 20. Mai. Nur wenig Stunden nach dem Patriarchen-Diner ging das grossfürstliche Paar einer nächtlichen Andacht nach, einer Messe, die der Patriarch von Jerusalem in der zweiten Stunde nach Mitternacht im heiligen Grabe ab¬ hielt. Als sie beendet war, führte derselbe die andäch- 1 Siehe Tobler II, 456 fgg. 2 Vergl. Tobler: Dritte Wanderung, S. 357 fgg. 283 tigen Pilger ins Sanktuarium der Kathedrale, wo die Re¬ liquien der Maria Magdalena, des heiligen Constantin, des heiligen Basilius und der heiligen Alexandra aufbewahrt werden. Die Ergebenheit des Kirchenfürsten gegen das erlauchte Paar ging so weit, dass er ihnen Stücke von diesen Reliquien verehrte, die der Grossfürst später in kostbarer Fassung zu einem Familienheiligthume vereinigen liess. In den Nachmittagsstunden unternahm der Grossfürst einen Ausflug in die westliche Nachbarschaft Jerusalem’s. In gerader westlicher Richtung vom Jaffathore aus führte unser Weg über eine breite felsige Höhe, so dass die vielbetretene Pilgerstrasse von Jaffa zu unserer Rechten d. h. nördlich blieb. Nach einer halben Stunde trat uns aus einem tiefen fruchtbaren Thalgrunde ein grossartiger Klosterbau entgegen, der in seiner Mitte eine ansehnliche Kirche hat, über welcher sich ein russischer durchbroche¬ ner Glockenthurm erhebt. Es war das Kloster zum heiligen Kreuze, vordem in den Händen der Georgier, jetzt im Besitze des griechischen Patriarchats. Auf Ver¬ anstaltung des Letzteren wurde es in der neuesten Zeit auf eine so durchgreifende Weise umgehaut, vergrössert und verschönert, dass es an die vernachlässigte Gestalt, in der ich es 1844 gesehen, gar nicht mehr erinnert. Selbst die Strasse, die zu ihm führt, ist mit grossen Kosten nach europäischer Art hergestellt worden.1 Nach- 1 Unlängst berichteten öffentliche Blätter, dass diese Strasse sogar mit einer hohen Mauer eingefasst worden sei. Dies kann doch wol nur von dem Theile derselben gelten, der dem Klo¬ ster zunächst liegt. 284 dem es früher und lange Zeit hindurch ein fast verlasse¬ ner Posten war, dem sogar die Erträgnisse seiner um¬ fänglichen Olivenpflanzungen zum grössten Theile verküm¬ mert wurden, hat es jetzt eine hohe Bestimmung erhalten; denn es bildet den Sitz einer geistlichen Akademie der griechisch -orientalischen Kirche, wenn man anders ein Seminar und mit demselben verbundene Schulen so nennen darf. Das Patriarchat von Jerusalem hat mit der Stiftung dieser Pflanzstätte des Wissens angefangen den Forderungen der Gegenwart, die ihm namentlich von russischer Seite, d. h. durch die russische Synode näher gebracht wurden, Rechnung zu tragen. Dieses schmucke, mit den wohn¬ lichsten Räumen und mit schönen Terrassen ausgestattete Kloster konnte nicht verfehlen auf den Grossfürsten den besten Eindruck zu machen. Vor allem bemerkenswert!! ist die dortige Bibliothek, die nicht nur mit vielen älteren und neueren Druckwerken versehen ist, sondern auch eine Sammlung oder besser einen Rest alter Handschriften aufzuweisen hat. Diese Handschriften waren den beiden jungen wohlunterrichteten Professoren, die zugleich der Bibliothek vorstehen, noch ziemlich fremd geblieben. Eine Nachricht von ihrem Bestände gab im Jahre 1858 der kundige Oxforder Bibliothekar Coxe; 1 doch scheint man ihm nur einen geringen Theil der Manuscripte vorgelegt zu haben, da er nur neun verzeichnet hat; allerdings la¬ gen die georgischen, die mit den griechischen zusammen¬ stehen, ausser seiner Controle. Meine eigene Untersuchung, 1 Siehe seine schon angeführte Schrift: Report to Her Majesty’s government etc. S. 53 fgg. 285 so flüchtig sie war, fiel weit ergiebiger aus; besonders freute ich mich der Entdeckung mehrerer Palimpseste, sowol griechischer als altgeorgischer, wovon ich schon anderwärts eine Notiz gegeben.1 Da das Kloster ein Gedenkbuch für seine Besucher angelegt hat, so schrieb der Grossfürst den gelehrten Herren zur Erinnerung seinen Namen mit arabischen Schriftzügen ein. Schwerlich wird dies oft von der Hand eines russischen oder eines andern europäischen Prinzen geschehen sein. Noch weniger aber wird ein anderer gleich ihm eine gewandte türkische Zunge gehabt haben. Surreya Pascha war wol des französischen Ausdrucks nicht un¬ kundig; doch schien der Grossfürst wenigstens ebensogut türkisch mit ihm zu sprechen. Den Abend vor dem Abschiede von Jerusalem hatte der Grossfürst dazu ersehen, das diplomatische Corps nebst dem Bischöfe Gobat hei sich zu sehen, sowie auch der lateinische Patriarch Valerga geladen war. Zu den will¬ kommensten Gästen zählte Consul Bosen, der das deutsche Vaterland ebenso taktvoll als kundig in der heiligen Stadt zu vertreten weiss, weshalb er auch von den verschie¬ densten Seiten eines grossen Vertrauens geniesst. Den 21. Mai. Zu früher Morgenstunde wiederholten die grossfürst¬ lichen Pilger die Wanderung auf den Oelberg. Von dort 1 Siehe meine Anecdota sacra et profana. Ed. II. 1861 S. 224 fgg. / 286 wollten sie am Tage des Abschieds von der heiligen Stadt noch einmal Aug’ und Herz laben an dem herrlichen Ueberblicke. Nachdem sie die Heiligthümer der Stadt, selbst den Haram.es Scherif mit seinen geheimnissvollen Moscheen, kennen gelernt, nicht minder die erinnerungs¬ reichen Stätten ausserhalb seiner Mauern, dazu auch ent¬ ferntere theuere Nachbarschaften, wie Bethlehem, Betha¬ nien, San Saba, genossen sie jetzt mit noch vollerem Be¬ wusstsein diese inhaltsreiche Umschau von jenem Berge, der selber Zeuge gewesen von so viel grossen und schwe¬ ren Ereignissen seit den Tagen Abraham’s, von Ereignis¬ sen, denen Heil und Fluch für die Menschheit gefolgt. Als sie ins Gefilde von Gethsemane hinabgestiegen waren, betraten sie nochmals die Grabgrotte der Maria, wo Bischof Cyrill Messe hielt und die russischen Sänger noch einmal die wunderbar klangreichen Hallen mit erhebenden Accorden erfüllten. Nachmittags nach 4 begaben sie sich in die Kirche des heiligen Grabes, wo ein feierliches Te deum dem Hankpsalm ihrer eigenen Herzen Ausdruck lieh. In tief¬ ster Rührung traten sie aus den geweihten Räumen und verliessen sofort durch’s Jaffathor die Stadt. Hie Kano¬ nen der Festung donnerten zum Abschiede, und die tür¬ kische Garnison bildete weithin auf der Strasse nach Jaffa Spalier. Zwei Patriarchen, der griechische und der ar¬ menische, gaben das Geleit; ebenso der Pascha -Gouver¬ neur, mit dem grossen russischen Bande geschmückt. Gleichfalls begleitete die Scheidenden derselbe Zudrang der Bevölkerung, der zehn Tage früher die Ankömmlinge empfangen hatte. 287 Das erste Nachtquartier bot das Haus von Abu Ghosch, das zweite das griechische Kloster zu Jaffa. Yon dort bestiegen die hohen Reisenden am 23. die mit der Admiralsflagge geschmückte Fregatte Gromoboi. Vortrefflich schrie]? Hieronymus an Paulinus, der nicht nach Jerusalem kommen konnte und ihn selbst um seines heiligen Wohnorts willen nicht für besser halten sollte: Ueber Britannien und über Jerusalem steht die Himmelspforte gleicherweise offen. Dennoch wird der Schatz unvergleichlich tlieuerer Erinnerungen, der from¬ men Gemiithern von einer Wallfahrt nach Jerusalem bleibt, unbestritten bleiben. Non Hierosolymis fuisse sed Hiero- solymis bene fuisse laudandum est («Wie man in Jeru¬ salem war, darauf kommt’s an»): das schreibt in dem¬ selben Briefe derselbe heilige Mann, der sich glücklich fühlte, der Geburts- Felsengrotte zu Bethlehem wie im Leben so im Tode noch nahe zu bleiben. XIX. Die Kirclie zum heiligen Grabe. Das heilige Grab. Ueber mancherlei wünscht’ ich vor meinem Abschiede yon Jerusalem ein Wort hier anzufügen, wie über die Verhältnisse des anglikanischen Bisthums und die vor¬ trefflichen Anstalten, die es ins Leben gerufen. Der Drang des Augenblicks nöthigt mich darauf zu verzichten; nur dem Mittelpunkte der christlichen Heiligthümer der hei¬ ligen Stadt gestatt’ ich mir noch eine kurze Betrachtung zu widmen. Betreten wir Jerusalem durch’s Jaffathor, so haben wir zwei Stadttheile zur Bechten im Süden, zwei andere zur Linken im Norden. Die beiden ersteren sind der armenische und der jüdische, von denen jener westlich, dieser östlich liegt; die beiden anderen der christliche im Westen und der mohammedanische im Osten.1 In der 1 Die Bevölkerung Jernsalem’s mag sich etwa in folgenden Ziffern ausdrücken lassen: Juden zwischen 8 und 9000; Mo¬ hammedaner (Civil und Militär) 6 bis 7000; Griechen über 289 Mitte des christlichen, das heisst also im nordwestlichen Theile der Stadt, steht die Kirche des heiligen Grabes oder, wie sie besonders die Griechen nennen, die Aufer¬ stehungslärche. Aus der ihr zunächst gelegenen von Westen nach Osten laufenden Südgasse treten wir durch eine niedere Pforte auf den Vorplatz der Kirche, der tie¬ fer liegt als die genannte Gasse. Dieser Platz, ehedem eine Säulen- Vorhalle, wovon noch Keste übrig sind, bil¬ det ein Viereck und ist mit breiten Steinplatten belegt. Westlich neben dem Kirchen -Eingänge steht die Kuine vom mittelalterlichen Glockentliurme. Vor unseren Augen haben wir zw’ei in leichten Spitzbogen ausgeführte Por¬ tale, es sind die einzigen der Kirche; doch ist das öst¬ liche vermauert, und nur das westliche öffnet zwischen zierlichen Säulenbündeln von Verde antico und von Por¬ phyr seine zwei schweren hölzernen Thürflügel. Nach unserem Eintritte führen uns wenig Schritte in gerader Richtung zu einer länglichen hellröthlichen Marmorplatte, umgittert und umleuchtet, dem sogenannten Salbungssteine. Thun wir noch einige Schritte, so stehen wir im Mittelpunkte des ganzen Kirchengebäudes, soweit es über der Erde angelegt ist, und zugleich, wie eine selt¬ same alte Tradition will, im Mittelpunkte des Erdkreises. Das eben bezeichnete Gebäude bildet ein längliches Vier¬ eck, dessen Langseiten von Westen nach Osten laufen 2000; römische Katholiken mit Einrechnung einer geringen Zahl unirter Griechen gegen 1000; Armenier und andere orientalische Christen 6 bis 700; Protestanten gegen 200. Die Gesammtzahl stellt sich hiernach auf 19 bis 20,000. 19 Tisch endorf, Aus dem heiligen Lande. 290 und im Westen wie im Osten durch Halbkreise geschlossen werden. Beide Halbkreise haben eine Kuppel über sich; die im Westen, die grössere, wölbt ‘sich über dem heiligen Grabe; die im Osten über der den Griechen zugehörigen Kathedrale, das Katbolikon genannt. Das längliche durch die Halbkreise wie ein doppeltes Hufeisen geschlossene Viereck hat im Süden wie im Kor¬ den einen Anbau, ein gestrecktes Viereck. Das nördliche, fast ganz der westlichen Hälfte des Hauptgebäudes ange¬ setzt, enthält nichts als die lateinische Kirche. Das süd¬ liche hingegen, links und rechts von unserem Eingänge und ziemlich die Mitte des Hauptgebäudes haltend, ent¬ hält auf der rechten d. h. östlichen Seite den Felsen¬ hügel Golgotha, der ein plattes Dach über sich hat, wäh¬ rend die linke Seite dem besonderen armenischen Gottes¬ dienste und Gebrauche angehört. Endlich ist dem Hauptgebäude noch ein östlicher langgestreckter Flügel angesetzt, das ist der unterirdische Kirchentheil ; er ist namentlich der Kreuzesauffindung und der Erinnerung an die fromme Kaisermutter Helena ge¬ widmet, gekrönt durch eine mässige doch das Plattdach von Golgotha übersteigende Kuppel.1 Aus diesen Angaben wird zur Gnüge erhellen, dass das berühmte und gefeierte Gebäude kein symmetrisches Ganzes ausmacht, dass es vielmehr aus der mühsam künst¬ lichen Vereinigung verschiedener Oertlichkeiten zu einem 1 Die Anschauung, die wir hiermit von der Grabkirche zu vermitteln gesucht, wird der beigefügte Grundriss vervoll¬ ständigen. 291 Ganzen geworden ist. Es ist damit zugleich bewiesen, dass man es vorgezogen hat die seit Constantin’s Bauten geschichtlich gegebenen Oertlichkeiten festzuhalten und sie trotz des Mangels an Einheit und Ebenmass mit ge¬ meinsamen Mauern zu umschliessen, als mit Hintansetzung topographisch - geschichtlicher Treue einen in harmoni¬ schen Formen vollendeten Kirchenbau auszuführen. Und zwar geht dieser Gesammthau, diese Vereinigung der ein¬ zelnen heiligen Stätten zu einem einzigen Kirchengebäude bis auf die Kreuzzüge zurück. Denn wie in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts das Heiligthum dastand, so ist’s in der Hauptsache, trotz der inzwischen eingetretenen Zerstörungen und des schrecklichen Brandes vom Jahre 1808, bis auf den heutigen Tag wiederhergestellt worden. Was vor den Kreuzzügen an derselben Stätte aufgebaut war, hatte seit Constantin wiederholte Zerstörungen und Veränderungen erfahren. Der ursprüngliche Bau Con¬ stantin’s aber, von wahrhaft kaiserlicher Pracht getragen, bestand in einem doppelten oder dreifachen Bauwerke. Eine Kirche erhob sich im Halbkreise über dem heiligen Grabe, um welches ringsum zwölf Säulen zur Darstellung des Apostelkreises gesetzt waren. Eine andere Kirche von viel grösseren Dimensionen und vom grössten Reicli- thume an prächtigen Marmorsäulen war dem seligmachen¬ den Zeichen des Kreuzes oder Golgotha geweiht. Endlich war zwischen beiden Tempeln, dem Dome und der Basi¬ lika, ein grosser freier spiegelglatt gepflasterter Platz, den auf drei Seiten Säulengänge umgaben. Ein Blick auf den Grundriss des heutigen Gebäudes wird sogleich er¬ kennen lassen, dass der Grabdom im Westen und die 19 * t 292 Kreuzbasilika gegenüber im Osten gelegen. Dass die zwei wichtigsten Stätten der Verehrung, denen diese beiden Kir¬ chen gewidmet waren, seit jenem Erstlingsbau wesentlich verlegt worden seien, ist sehr unwahrscheinlich.1 Nach der allgemeinen Umschau in der heutigen Grab¬ kirche werfen wir noch einen flüchtigen Blick in die drei Haupttheile derselben. Indem wir unsere Schritte zuerst nach Westen lenken, stehen wir vor der dem heiligen Grabe insbesondere gewidmeten Domkirche, da wo sie sich nach Osten, gegen¬ über der griechischen Basilika öffnet. In einem nur nach Osten offenen Kreise stehen sechzehn grosse Pfeiler, welche mit Ausnahme der vier östlichen, deren zwei links zwei rechts von uns stehen, durch doppelte über einander ge¬ setzte Arkaden verbunden sind. Darüber ist der Kuppelbau ausgeführt, der an den unteren Wänden durch fenster¬ artige Nischen die Arkaden fortsetzt, und aus der Mitte der kupfergedeckten Kuppel durch eine runde mit feinem Drahtgitter versehene Oeffnung das Licht aufs heilige Grab fallen lässt, das sich gerade darunter befindet. In¬ nerhalb der Pfeilerrotunda nämlich steht vor uns eine längliche Kapelle, von aussen mit Säulen und Halbpfeilern 1 Eine genaue Beschreibung des Constantin’schen Baues hat uns Eusebius in seiner Biographie dieses Kaisers im 3. Buche hinterlassen. Siehe 3, 33 fgg. Unmittelbar vorher (3, 30 — 32) steht Constantin’s eigenes Schreiben über den Bau an Bischof Makarius zu Jerusalem. Eine ganze Geschichte der Bauten über Grab und Kreuzesstätte ist wiederholt niederere- Ö schrieben worden; Tobler hat ihr einen grossen Theil seiner Schrift: «Golgatha. Seine Kirchen und Klöster» (1851) gewidmet. 293 schön geziert, über sich ein knppelartiges Dachthürmchen. Vor dem Eingänge sind zu beiden Seiten Marmorbänke angelegt; neben ihnen brennen dicke Wachskerzen auf grossen silbernen Kandelabern. Darüber spannt sich vom Kapellendache schräg in die Höhe ein tuchenes Schutz¬ dach aus, ein doppeltes Panier darstellend. Es wird da¬ durch eine Vorhalle der Kapelle gebildet. Aus ihr treten wir durch die erste Thür in einen geschlossenen Kaum von 17 Fuss Länge und 10 Fuss Breite ein, dessen Mitte ein ‘Stück Felsen auszeichnet, nach der Tradition Ueber- bleibsel des Steines vor dem Grabe Christi, den der En¬ gel abgewälzt.1 Hiervon hat der Raum den Namen der Engelskapelle. In ihren Wänden befinden sich Oeffnungen, aus denen das berühmte griechische Osterfeuer der har¬ renden Menge hinausgereicht wird. Aus der Engelska¬ pelle, die dem Vorderraume eines altjüdischen Grabes entspricht, gelangen wir durch einen niedrigen und schma¬ len Eingang (4 Fuss hoch, 2 Fuss breit) in die Grabgrotte oder Grabkapelle im engsten Sinne. Sie ist ungefähr 7 Fuss lang, 6 Fuss breit, 8 Fuss hoch. Ihre Wände sind mit weissem Marmor überkleidet. Auf der Nordseite, zur Rechten des Eintretenden, liegt, die Hälfte der ganzen Grotte einnehmend, das Grab selbst, von dem jedoch nur die Marmorüberkleidung aussen und oberhalb sichtbar ist. 1 Schon aus dem Jahre 348 haben wir bei Cyrill von Jerusalem die erste Erwähnung dieses Steins, von dem jedoch nach mancher Ungunst des Schicksals (Siehe Tobler: Golgatha, S. 171 fgg.) der vorhandene Block offenbar nur als ein Frag¬ ment betrachtet werden kann. 294 Die den Deckel bildende Marmorplatte ist in zwei Theile gespalten. Von der Decke, in der Mitte offen, hangen zahlreiche goldene und silberne Lampen herab, Weihge¬ schenke von hoher Hand. In kleinen Wandnischen stehen Leuchter mit Kerzen sowie zierliche Gefässe mit Blumen. An der westlichen Aussenseite dieses Heiligthums ist o eine kleine dürftige Kapelle für die Kopten angebracht. Dieser Kapelle gegenüber, also noch weiter westlich, liegt die noch dürftigere Kapelle der Syrer, aus der wir durch eine gegen Süden angebrachte Thür in einen engen Raum treten, wo uns mit Ausnahme der östlichen zur Pfeiler¬ rotunda gehörigen Wand ringsum und auch über uns der natürliche Fels umgibt. In diesem Felsen befinden sich zwei horizontal in der Wand angelegte Grabnischen und zwei senkrechte Gräber auf dem Boden. Während die Senkgräber dem altjüdischen Gräberbau weniger entspre¬ chen, gilt dies von den Schiebgräbern, die eine Länge von 5*4 Fuss neben l3/2 Fuss Breite und 2*4 Fuss Höhe haben. 1 1 Schultz der erste preussische Consul zu Jerusalem schreibt darüber: «Die senkrecht in die Erde gehenden mögen einer späteren, vielleicht der Zeit der Kreuzfahrer angehören. Die horizontal in die Felswand gearbeiteten Nischen sind aber ge¬ nau den Nischen ähnlich, wie sie in der, Jerusalem umgeben¬ den Nekropolis zahlreich zu finden sind. Mir scheint es un¬ zweifelhaft, dass hier ein altes Felsengrab war, lange vor der Erbauung der Grabeskirche, und ein altjüdisches Felsengrab, also noch vor der Zerstörung Jerusalem’s durch die Römer.» Siehe «Jerusalem. Eine Vorlesung» (1845), S. 97- Anders ur- theilt Tobler, der zunächst anmerkt (Golgatha, S. 355), dass die normale Länge der altjüdischen Gräber 6 Fuss betrage. 295 Auf Golgotha führt uns eine aus der Nähe des Salbungssteines, also südwestlich, aufsteigende Treppe von 18 Stufen; eine andere von 13 Stufen ist im Nordwesten angelegt. Da stehen wir auf einer 40 Fuss langen und 21 Fuss breiten überwölbten Plattform, getheilt in zwei von Marmorsäulen getragene und durch einen offenen Bogen verbundene Kapellen, eine nördliche und eine süd¬ liche. Die nördliche ist die Kreuzigungskapelle. Unter ihrem Hochaltäre im Osten wird hinter Gitterwerk der natürliche Fels mit den drei Kreuzeslöchern gezeigt, von denen das mittlere eine Silberplatte mit griechischer In¬ schrift auszeichnet. Daneben ist nach Entfernung einer schmalen länglichen Marmorplatte ein tiefgehender von West nach Ost gerichteter Felsenriss sichtbar. Die süd¬ liche Kapelle soll den Raum einnehmen, wo vor der Auf¬ richtung des Kreuzes der Herr ans Holz befestigt wurde. Gerade unter Golgotha oder der Kreuzigungskapelle ist ein nach dem Urvater Adam benannter Raum: dort sehen wir einen unteren Theil des Golgothafelsens mit demselben Felsenriss, der hier mehr horizontal erscheint. Vor der Adamskapelle bezeichnen zwei steinerne Bänke die Stät¬ ten, wo ehedem Gottfried’s und Balduin’s Särge gestanden. Zuletzt steigen wir hinter dem Griechen -Chore auf 28 Marmorstufen zum unterirdischen Kapellenbau hinab. Zwölf Fuss unterm Boden der griechischen Kathe¬ drale finden wir den Altar der Helena und den des reui¬ gen Schächers. Südöstlich von beiden fuhren noch andere 13 Stufen zu der Stätte hinunter, wo die Kreuzesauffin¬ dung ihren Altar hat; er befindet sich 22 Fuss unter der Griechenkirche. 296 Diese Oertlichkeiten nun, vorzugsweise die als Gol- gotha und als heiliges Grab benannten, lassen sieb un¬ mittelbar prüfen in Ansehung ihrer Aechtheit. Man hat zu diesem Bebufe die Grabeskapelle darauf angesehen, ob sie nach Entfernung der marmornen Bekleidung in der That aus natürlichem Felsen bestehe; ebenso fragt man ob wol unter der Marmorgrabplatte wirklich ein Fel¬ sengrab gefunden werde, worin der Herr gelegen haben könne. Beide Fragen haben ihr Becht und können durch genaue Lokaluntersuchung jedenfalls gelöst werden. Sollte aber die Untersuchung wenig zu Gunsten der Aechtheit ausfallen, sei es dass sich das Felsenhaus nicht mehr vor¬ fände (obschon dies keineswegs nachgewiesen) oder das Grab altjüdischen Mustern nicht entspräche (was ebenso wenig entschieden ist), so darf nicht vergessen werden, dass die wiederholten fanatischen Zerstörungen,1 die dar¬ über gegangen sind, nach ausdrücklichen alten Zeugnissen die Felsenstätte selbst betroffen haben. Dies ist um so mehr in Anschlag zu bringen, als bei den verschiedenen Bauverherrlichungen, schon von der ersten an, viel weni¬ ger auf die Erhaltung des natürlichen und offenbar ge¬ sichertsten Bestandes Bedacht genommen worden, als auf verschönernde Zurichtungen. Auch werden die sich aus einer heutigen strengen Prüfung möglicherweise ergeben- 1 Fs werden deren vor dem grossen Brande von 1808 nicht weniger als fünf gezählt, die in folgende Jahre fallen: 614. 936. 969. 1010. 1244. Die erste unter Chosroes sowie die vierte unter dem ägyptischen Khalifen El Hakem und die fünfte unter den Charismiern sind als die gewaltsamsten über¬ liefert worden. 297 den Mängel durch die Beschreibungen des früheren und frühesten Bestandes ausgeglichen, wie z. B. die von Ar- culf aus dem Ende des siebenten Jahrhunderts1 das in¬ mitten der Rotunda stehende und nur aussen mit Marmor bekleidete enge2 Felsenhäuschen ausser Zweifel stellt.3 Und das Eine ist doch jetzt noch völlig klar, dass die Oertlichkeit eine felsige und zu Gräbern geeignet gewe¬ sene ist; denn nur wenig Schritte davon treten wir noch jetzt in die schon betrachtete enge Felsengrabhöhle der Syrerkapelle. Die Meinung, man habe sich im vierten Jahrhunderte gleich daneben ein Felsengrab ausgedacht und aus Spekulation ausgehauen, ist doch wol noch Nie¬ mand im Ernste beigekommen. Aber auch bei einer abweisenden Kritik des heutigen Golgotha bleibt nur eine ähnliche Meinung und kein bes¬ serer Ausweg übrig. Hier, wo feindliche Zerstörungs¬ sucht ein ungünstigeres Feld vorfand, obgleich auch über Zertrümmerungen desselben berichtet wird, liegt uns noch heute ein felsiger Hügel vor Augen. Der Einfall, dass er vielleicht von Menschenhänden aufgesetzt worden sei, i 1 Yergl. darüber Tobler (Golgatha, S. 181 fgg.), der ausser der Druckausgabe Mabillon’s in Act. SS. ord. S. Bened. II. auch handschriftliche Quellen benutzte. 2 Die Lesart terni verdient doch wol vor der andern ter terni den Vorzug. Vergl. Tobler a. a. 0. S. 182. 3 Es darf nicht erst betont werden, dass im Allgemeinen die alten Reiseberichte mit vorsichtiger Kritik behandelt wer¬ den müssen. So kostbar solche Aufzeichnungen sind, so dür¬ fen sie doch gewiss nicht ohne Weiteres mit dem Thatbestande identificirt werden. 298 verräth, wenn er anders ernstlich gemeint sein kann, ein Uebermass an Liebhaberei der Verneinung. Da trotz aller Verheerungen der Augenschein für’s Gegentheil zeugt, so hätte eine solche Kritik ein kolossales Meisterstück from¬ men Betrugs zur Voraussetzung; es liesse sich darauf an¬ wenden was von gewissen rationalistischen Wundererklä¬ rungen gesagt worden ist, sie seien wunderbarer als das. Wunder selbst. 1 Hat man aus der Verschiedenheit der Angaben über die Grösse des Felsenspalts2 geschlossen, dass wenigstens dieser künstlich sei — wogegen gleich¬ falls, soweit meine Augen ein Urtheil gestatten, der Augen¬ schein zeugt — , so betrifft dies doch wol schwerlich die Frage von der Aechtheit des Felsenhügels, bei welcher ebenso wenig ein Gewicht auf die drei Kreuzeslöcher gelegt werden kann. Eine andere Berechtigung hat es, wenn man die Frage von der Aechtheit derselben Oertlichkeiten darnach beurtheilt, ob sie zur Zeit Christi ausserhalb des Thors, ausserhalb der Stadtmauer, wie die Schrift verlangt, ge- 1 Wenn der Pilger von Bordeaux das Golgatha -Berglein ( « monticulus Golgatha») erwähnt, Hieronymus den Kreuzes¬ felsen («crucis rupes»), Rufin den Golgatha - Felsen («Golga- thana rupes»), so hätte sie natürlich alle der Baukünstler berückt. 2 Aber aus demselben 16. Jahrh. findet sich (nach Tobler’s Angabe: Golgatha, S. 287) bei Tschudi vom Jahre 1519, der Spalt sei so gross «das ein Mensch darein schlieffen mag», und bei Ecklin vom Jahre 1552, dass man eine Hand darein stossen könne. Aus einer solchen Verschiedenheit lässt sich auf nichts als auf die Flüchtigkeit der Beobachtung oder die Ungenauigkeit der Darstellung schliessen. 299 legen haben. Auch diese Untersuchung hat freilich grosse Schwierigkeiten. So oft jetzt bei neuen Bauten zu Jeru¬ salem nach dem alten Felsengrunde gegraben wird, weist sich’s aus, dass Trümmer über. Trümmer, Schutt über Schutt lagert in der unverwüstlichen und doch so oft verwüsteten Stadt David’s. Wer mag da noch unzweifel¬ hafte Reste einer Mauer auffinden, die schon seit 1800 Jahren in die Stadt und die Stadthauten hineingezogen worden sind. Nichtsdestoweniger liegen uns vortreffliche Anhaltspunkte zur Bestimmung des Laufs dieser Mauer vor, obgleich sie bis jetzt mehr dazu gedient, den Wider¬ streit der Meinungen zu begünstigen als zu lösen. Unsere Hauptquelle für die Kenntniss der alten Mauern Jerusalem’s ist Josephus in seinen Büchern über den jüdischen Krieg, dem er selbst als Begleiter des Titus beigewohnt, und über die jüdischen Alterthümer. 1 Zur Zeit der verhängnissvollen Römerangriffe hatte Jerusalem drei Mauern. Da aber die dritte erst einige Jahre nach Christi Tod vom König Agrippa hinzugefügt worden, so bleiben für die Zeit des Todes Christi nur die beiden älteren. Die erste, ein Werk der frühesten Könige, um- 1 Eine dankenswerthe Zusammenstellung alles dessen was sich in diesen Büchern auf die Topographie Jerusalem’s bezieht, freilich nur in lateinischer Uebersetzung aber mit vortreff¬ lichen Erläuterungen, gab der schwedische durch seine eigenen Reiseforschungen über Jerusalem (in den Jahren 1821 und 1822) wohlbekannte Probst Dr. Berggren heraus, unter dem Titel: Flavius Josephus, der Führer und Irreführer der Pilger im alten und neuen Jerusalem. Mit einer Beilage, Jerusalem des Itinerarium Burdigalense enthaltend. 1854. 300 schloss südlich und nördlich Zion und die Zionsstadt, als eine kurze Quermauer im Norden und eine weitausge¬ schweifte Rundmauer im Süden. Die zweite betraf nur die nördliche Stadtregion. Da nun im Norden von Zion Golgotha mit dem Grabe liegt, so lässt sich die Frage, die uns beschäftigt, bestimmter dahin fassen: Lief diese nördliche Mauer, die zweite des Josephus, westlich oder östlich von Golgotha. Gilt das Erstere, der westliche Lauf, so schloss sie das heutige Golgotha in die Stadt ein; dieses verlöre dadurch seine Ansprüche auf Aecht- heit. Lief sie aber östlich, so blieb Golgotha ausserhalb; es bewährte dadurch seine Aechtheit. Josephus sagt dass sie von der nördlichen Quermauer auslief, und bezeichnet die betreffende Stelle genauer als das Thor Gennath (Genath), wogegen er die erste und die dritte Mauer vom Thurme Hippikus auslaufen lässt. Da der Hippikus zu einem guten Theile jetzt noch vor¬ handen , 1 so fragt sich’s wie weit östlich davon das ge¬ nannte Thor lag. Dass es in nächster Nähe vom Hippi¬ kus gewesen sei, wird schon dadurch ganz unwahrschein¬ lich, dass Josephus darauf mit keinem Worte hindeutet; eine solche Hindeutung würde sich fast von selbst ergeben haben, da er daneben sagt: Die erste Mauer lief vom Hippikus aus, die dritte Mauer lief vom Hippikus aus. Wir erfahren ferner aus Josephus, dass Herodes in der nördlichen Mauer neben seinem Hippikus noch zwei andere Thürme erbaute, «an Grösse Pracht und Festigkeit aus- 1 Siehe oben S. 209. Auf unserem Plane ist die nördliche Spitze der Citadelle neben dem Jaffathore dafür anzusehen. 301 % gezeichnet vor allen in der Welt».1 Da Herodes bei die¬ sen Thiirmen offenbar die Sicherheit der Stadt, insbe¬ sondere den Schutz seiner eigenen unweit südlich davon gelegenen Residenz berücksichtigt hat, so können die bei¬ den Thürme nicht da in *der alten Mauer angelegt wor¬ den sein, wo sie bereits von der zweiten Mauer umschlos¬ sen war. Haben aber diese Thürme westlich vom Anfang der zweiten Mauer gelegen, was auch mit dem Gange der Belagerungsarbeiten unter Titus harmonirt, 2 so muss das Ausgangsthor dieser Mauer von Golgotha südöstlich und nicht südwestlich gewesen sein. 3 Ob der Name dieses Thores richtig hei Josephus Gennath (Genath)4 gelesen werde, ist mehrfach in Zweifel 1 De bell. Jud. 5, 4, 3. 2 Vergl. darüber Berggren a. a. 0. S. 47 ; auch S. 45. 3 Berggren verbreitet sich, in strengem Anschlüsse an die Beschreibung des Josephus, ausführlich über die ganze Frage. So schreibt er S. 35: «Will man sich die zweite Mauer ober¬ halb des Golgatha, d. h. im Westen desselben ursprünglich ge¬ zogen und die Kirche des heiligen Grabes demnach als in die ünteraltstadt eingeschlossen denken» ... «so wird zwar die Unteraltstadt sammt ihrer Mauer grösser, grösser aber als es mit den Angaben des Josephus sich vereinigen lässt» . . . Vergl. ferner besonders S. 43. S. 26. Zusammenfassend schreibt er S. 36: «Nein, die vorhin ausgesprochene, mit der Geschichte in völliger Harmonie stehende Ueberlieferung, sowie der Um¬ stand, dass für die Ziehung der zweiten Mauer östlich von der Grabeskirche sowohl aus Josephus als aus der Beschaffenheit des Bodens unwidersprechliche Gründe sich beibringen lassen, sprechen hinlänglich und genügend für die Echtheit des Grabes Christi. » 4 Dieser Name bedeutet «Gartenthor». Als solches kann 302 gezogen worden. 1 Die von Krafft versuchte Umsetzung in Goath bewährt sich jedoch wenigstens nicht durch do~ kumentliche Autorität.2 Ebenso wenig möchte sich die Vermuthung desselben' Gelehrten 3 bewähren, dass der bei Jeremias 31, 39 Goatha genannte unreine Hügel («Hügel des Sterbens » ) mit dem Golgotha des Neuen Testaments Zusammenfalle,4 wornach das letztere seit frühen Zeiten für Hinrichtungen in Gebrauch gewesen sein müsste. Dass übrigens der Name Golgotha auf die Schädel¬ form des Hügels zurückgeht, ist nach der Ausdrucksweise es zu Gärten im Norden von Zion geführt haben, wogegen nichts einzuwenden. 1 Yergl. besonders Krafft: Die Topographie Jerusalem’s, S. 28. 2 Krafft hatte irriger Weise im kritischen Apparate zu Josephus yvcc& statt ysvad' gelesen. 3 Siehe a. a. 0. S. 158. 4 Berggren sagt dazu S. 32: «Dass der Goata-Hügel Je- remia’s mit dem Golgata - Hügel der Evv. identisch sei, und dass das Genatli-Thor des Josephus dasselbe bezeichne, als wenn er das Goata-Thor oder Golgata -Thor geschrieben hätte, ist mehr als wahrscheinlich.» Er merkt dann noch an wie leicht Genat und Goat in hebräischer Abschrift verwechselt werden konnten, da es sich dabei nur um 2 und 1 handelt. Krafft hat sich aber besonders mit der für diese Hypothese benutzten Autorität des Hieronymus geirrt. Denn der von Hieronymus (adv. Jovinian. I. im Vol. IV. 2, 164 bei Mar- tianay) angeführte mons Gaas ist kein anderer als der Jos. 24, 30 und Rieht. 2, 9 als Josua’s Begräbnissstätte genannte Theil des Gebirgs Ephraim. Dass diese Stätte typisch von Josua auf Jesum und also vom Gebirg Ephraim auf eine gleichna¬ mige Gegend zu Jerusalem zu übertragen sei, davon sagt Hie¬ ronymus nichts. 303 des Lukas, der den Hügel geradezu und ausschliesslich den «Schädel» nennt,1 und der von den übrigen Evan¬ gelisten beigeschriebenen Erklärung : Stätte des Schädels, kaum zweifelhaft. Wahrscheinlich hat dies auch zu der alten vom 2. Jahrh. an niedergeschriebenen und verschie¬ denartig ausgesponnenen Tradition geholfen, dass auf der Grabstätte des « zweiten Adam ». der Schädel des « ersten Adam» begraben liege.2 Der südwestlich von der Grabkirche gelegene Teich, der unter seinen vielen Benennungen (wie Patriarchen¬ teich, Teich des h. Grabes, Badeteich) seit zwei Jahr¬ hunderten auch die nach Hiskias erhalten hat, und neuer¬ dings noch lieber für den alten Mandelteich angesehen wird, kann bei so grosser Unsicherheit über seine Be¬ ziehung zur vorchristlichen Zeit in dieser Angelegenheit kein Gewicht beanspruchen. Wol aber verdient alle Be¬ achtung die neulichst3 geltend gemachte Beobachtung, dass die zweite Mauer des Josephus, die Nordmauer, kei¬ neswegs identisch sei mit der alten4 Hiskias - Mauer , die den wahren Hiskias -Teich eingeschlossen haben muss, 1 Luc. 23, 33 : btl tov xotcov tbv %cdov{isvov xQavtov. 2 Thenius sprach in Illgen’s Zeitschr. f. hist. Theol. 1842. 4, 10 die Vermuthung aus, der Schädelfelsen sei in der Fels¬ kuppe über der sogenannten Jeremiasgrotte wieder zu erkennen. Aber diese so eigenthümliche und hervorragende Lokalität hätte niemals verwechselt werden können. 3 Wir meinen die Schrift von Gustav Unruh: Das alte Jerusalem und seine Bauwerke. Ein Beitrag zur biblischen Alterthumskunde. Mit 8 Plänen und 36 Abbildungen. 1861. 4 S. 2. Chron. 32, 2 fgg. 304 s sondern mit derjenigen, welche nach Zerstörung der frü¬ heren im zweiten Jahrhundert vor Christus unter Berück¬ sichtigung besonderer Zwecke von den Makkabäern auf¬ geführt wurde.1 Durch die genauere Erörterung dieses Mauerbaues, namentlich nach den Angaben des Josephus, ist eine neue Bestätigung dafür gewonnen worden, dass das heutige Golgotha zur Zeit Christi ausserhalb der Mauer gelegen.2 Zuletzt darf hier noch angemerkt werden, dass beim Grundgraben für die russischen Bauten im Osten der Grabkirche Reste eines jüdischen Mauerwerks zu Tage gekommen sind, dessen Werkstücke von kundigen Augen¬ zeugen mit den vielbewunderten der Einfassungsmauer des Tempelplatzes zusammengestellt werden konnten. Ist damit nicht sehr wahrscheinlich die so angelegentlich ge¬ suchte zweite Mauer des Josephus wirklich aus ihrem Schuttgrabe hervorgetreten, um auch ihrerseits ein Wort in den gelehrten Meinungsstreit hineinzurufen? Hoffentlich 1 1. Macc. 10, 10 fgg. Joseph. Ant. Jud. 13, 2, 1. 5, 11. 2 Unruh S. 164 schreibt darüber: «Eine zuverlässige Ermittlung dieser «mitten in der Stadt» erbauten neuen Mauer, der wir hiermit den Namen «Mauer der Makkabäer» beilegen, hat um deswillen eine besondere Wichtigkeit, als sie geeignet ist, den alten Streit über die Aechtheit des h. Grabes endlich zu einer definitiven Entscheidung zu bringen.» Und S. 166: «Da nach dem später erfolgten Abbruch der Bezetha- mauer die Mauer der Makkabäer bis auf den König Agrippa II. die einzige Mauer war, durch welche Jerusalem auf der Nord¬ westseite begrenzt wurde, so lag der Hügel Golgatha zu Christi Zeit ganz unzweifelhaft ausserhalb der damaligen Stadt¬ / mauern.» 305 haben genauere Beobachtungen bei dem wichtigen Funde nicht gefehlt. Von der topographisch-historischen Betrachtung wen¬ den wir uns zur Tradition. Das ist jene ebenso mächtige als zweideutige Instanz. Ihre überreiche und so oft jeder gesunden Kritik und Wissenschaft Hohn sprechende Aris- und Verbildung hat sie in schlechteren Huf gebracht als sie verdient. Man vergisst dass so weniges in demjenigen, was wir Geschichte nennen, etwas anderes ist als Tradi¬ tion. Man übersieht auch dass es viel leichter ist histo¬ rische Thatsachen zu bezweifeln als zu begreifen. Selt¬ samer Weise sieht man schon die Vorliebe für Zweifel und Verneinung als einen Beweis des Scharfsinnes an, während doch wol gleiche Beschränktheit, gleichen Mangel an Urtheil verräth wer über den Zweifel am Zuverlässi¬ gen nicht hinauskommt, als wer dem Ungereimten Glau¬ ben schenkt. Es sei ferne von mir gelehrten Forschern, die zu anderen Resultaten als ich gelangt, mit diesen Worten zu nahe treten zu wollen, aber ausser der ern¬ sten Forschung bleibt noch ein weiter Spielraum für ihre Anwendung. Dem Traditionsbeweise für’s heilige Grab scheint von vielen Seiten dadurch Unrecht geschehen zu sein, dass man sich weit mehr mit solchen Stücken zu schaffen ge¬ macht, deren Beweiskraft äusserst leicht wiegt, als mit einer sorgfältigen Prüfung des Eusebianischen Quellen¬ textes. Seitdem vollends Chateaubriand an die Spitze der Traditionshelden getreten, hat seine französisch -katholi¬ sche Behandlungsweise verführt und augesteckt. Da schwerlich daran gezweifelt wird, dass die heiligen Oert- 20 Tischendorf, Aus dem heiligen Lande. 306 lichkeiten, wie sie heute vorliegen, eben so acht seien als die von der Munificenz des ersten christlichen Kaisers verherrlichten, oder mit andern Worten, dass die Aecht- heit der heutigen Heiligthümer von der Frage abhängig sei, ob das ächte Grab und das wahre Golgotlia durch Constantin’s Bauwerke ausgezeichnet worden, so haben wir vor allem und aufs Sorgfältigste die authentische Be¬ richterstattung des Eusebius darüber zu prüfen.1 1 Zum Voraus noch eine Bemerkung. Den Werth einer etwaigen sehr alten Tradition über das heilige Grab glaubt Robinson durch die Zusammenstellung mit den Traditionen über die Geburtshöhle zu Bethlehem und die Auffahrtsstätte auf dem Oelberge abschwächen zu können, indem er diese beiden unter allen ähnlichen für die nachweisbar ältesten und doch wegen ihres Widerspruchs mit dem Schrifttexte für entschieden yirrig hält. Ueber das Verhältnis der Bethlehemitischen Felsenhöhle zur evangelischen Geburtsstätte mit der Krippe ist das No¬ tlüge schon gesagt worden, ein Widerspruch liegt in der Ver¬ schiedenheit beider nicht vor. Aber auch die Himmelfahrts¬ stätte beweist nicht was sie beweisen soll. Robinson meint, die Stelle auf dem Oelberge widerstreite dem Texte bei Lukas 24, 51. (Siehe H, 283 fgg. und gleichfalls die Neueren Bibi. Forschungen 337 fgg.) Dagegen ist zunächst zu erinnern, dass sie dem Texte des Lukas in der Apostelgeschichte 1, 12 ent¬ spricht; denn die nach der Auffahrt angegebene Rückkehr vom Oelberge, einen Sabbather-Weg von Jerusalem, lässt sich ohne Künstelei nicht anders als so auffassen, dass auch die Auffahrt vom Oelberge aus erfolgt ist. Sollte nun ein Widerspruch mit dem Evangelium desselben Verfassers vorliegen, weil 24, 51 gesagt ist: «er führte sie hinaus bis gen Bethanien», so konnte die früheste Tradition doch nur entweder dem einen oder dem anderen Berichte folgen. Denn obgleich neuerdings ein Stand¬ punkt auf den Höhen des Oelbergs gefunden worden, von wel- Eusebius erzählt in seiner Biographie Constantin’s (3, 25 fgg.), der Kaiser habe ein denkwürdiges Werk in ehern Bethanien sichtlich ist, so lässt sich doch dieser Stand¬ punkt nicht für den Ausdruck des Lukas « bis gen Bethanien » nützen, wie auch neben diesen Worten der Oelberg gar nicht erwähnt wird. Ebenso wenig lassen sich Bethanien und Oel¬ berg zusammenrechnen , wenngleich das erstere auf einem südöstlichen Ausläufer des letzteren gelegen. Dies verbietet hier schon die Angabe der Entfernung eines «Sabbather-Wegs», die vortrefflich auf den Oelberg, aber nicht auf Bethanien passt. Allein im Evangelium ist der Zusatz: «und er fuhr auf gen Himmel» von gewissenhafter Textkritik für unächt zu erklären, d. h. Lukas hat ihn nicht hinzugeschrieben, obgleich es früh¬ zeitig von anderer Hand geschehen. Abgesehen von Bedenk¬ lichkeiten die im Zusammenhänge liegen, ist der Sinaitische Codex und der berühmte Cambridger, sowie fünf der ältesten lateinischen Urkunden zugleich mit dem h. Augustin (diese Genossenschaft sichert hoffentlich vor frommer Verdächtigung) gegen die Aeclitheit. Vergl. mein N. T. Ed. VII. Die plötz¬ liche Entrückung des Heilands aus dem Kreise der Jünger, wie sie demnach an der Lukasstelle vorliegt, steht in strenger Harmonie mit der Art des persönlichen Verkehrs des Aufer¬ standenen, soweit wir diesen Verkehr überhaupt aus den Evan¬ gelien kennen lernen. Offenbar verliert abör dadurch die Orts- angabe «bis gen Bethanien» das Recht, die Angabe der Apostel¬ geschichte von der Himmelfahrt auf dem Oelberge zu beein¬ trächtigen. Da ausser der Lukasstelle auch der Schluss des Markusevangeliums von der Kritik verworfen werden muss (vergl. mein N. T. Ed. VII.), so ergibt sich als Thatsache, dass keins unserer Evangelien ein vor der Jünger Augen erfolgtes Aufgehobenwerden zum Himmel überliefert hat. Steht somit die Apostelgeschichte mit ihrem Berichte allein, so ist die Auf¬ fahrtsstelle des Oelbergs auf Grund des Schrifttextes nicht an¬ zufechten. 4 20* 308 Palästina unternommen, indem er’s für Pflicht erachtet, die Stätte der Auferstehung des Herrn für Jedermann herrlich und ehrwürdig herzustellen. Er habe dies nicht ohne, göttliches Zuthun (oü% sondern vom Hei¬ lande selbst dazu getrieben beschlossen. Gottlose Men¬ schen nämlich, so fährt er fort, oder lieber das ganze in ihnen thätige Geschlecht der Dämonen hatte sich bemüht der Finsterniss und der Vergessenheit anheimzugehen jenes göttliche Denkmal der Unsterblichkeit. Sie hatten unter¬ nommen jene Heilandshöhle (oder Heilshöhle: xo öcoxrjQiov ccvxqov) dem menschlichen Gesichtskreise gänzlich zu ent¬ rücken ( acpavsg ccv&qcqticov n OLrjöccö&cu), indem sie un¬ verständig genug die Wahrheit selbst dadurch zu ver¬ graben vermeinten. Unter grossem Kraftaufwande hatten sie daher die ganze Stätte mit hochaufgefüllter Erde ver¬ schüttet und ein Steinpflaster darauf gelegt, endlich aber darüber ein wahres Seelengrab, einen Schlupfwinkel iv%ov ) für den unreinen Opfer dienst der Aphrodite errichtet. Denn dann erst hatten sie geglaubt ihres Zweckes ge¬ wiss zu sein, wenn sie mit solcher Schmach die Heilands¬ höhle überdeckt hätten. Trotzdem dass der Heiland längst mit seinem Lichte die Herzen des Erdkreises erleuchtet hatte, hatten in der That jene gottlosen Machwerke eine lange Zeit hindurch Bestand. Kein Präfekt, kein Feld¬ herr, auch kein früherer Kaiser ist als Vertilger der Schmach erfunden worden. Erst dem gottgeliebten Kaiser war ihre Beseitigung Vorbehalten. Von göttlichem Geiste erfüllt (nvtv^axi xccxo%os &dcp) konnte er’s nicht ertragen (ov TtaQidcbv ), dass die genannte Stätte durch Feindes- 309 hinterlist so entweiht, so geschändet war, und der Ver¬ gessenheit, der Verkennung überliefert; auch mochte er nicht vor der Bosheit der Anstifter zurückweichen : darum rief er Gott zum Helfer an und befahl die Reinigung. Denn eben die von der Schändung betroffene Stätte, meinte er, müsse durch ihn verherrlicht werden. Sobald des Kaisers Befehl erfolgt war, wurden jene Werke der Täu¬ schung aus der Höhe in die Tiefe hinabgestürzt (avGo&sv acp v^rjlov xcitsQQLTtTETo), die betrügerischen Bauten wur¬ den vernichtet sammt Götzenbildern und Dämonen. Aber dabei blieb des Kaisers Eifer nicht stehen, er liess viel¬ mehr die Trümmer aus Gestein und Holz soweit als mög¬ lich fortschaflfen. Und auch damit noch nicht zufrieden, liess er voll göttlichen Zuges (EJCid'Euxöag) die Erde sehr tief aufgraben und als dämonisch entheiligt hinwegbringen. Als man nun immer tiefer kam, wurde der untere Boden sichtbar, es wurde zugleich damit wider alles Erwarten (7taQ hlrddcc jiaöav) die allheilige Zeugnissstätte der Auf¬ erstehung des Heilands sichtbar. Nach diesen Erfolgen schritt der Kaiser sogleich zu den nöthigen Anordnungen, um die Heilandshöhle durch ein gottes würdiges Bethaus mit kaiserlicher Pracht zu schmücken. Aus diesem Berichte geht unverkennbar hervor, dass die Grabstätte eben dadurch in aller Gedächtniss fest¬ stand, dass sie unter einem Schuttberge vergraben lag, der auf seiner Höhe dem Venusdienst geweihte Baulich¬ keiten hatte. Mit unberechtigter, dem Texte völlig zu¬ widerlaufender Willkür hat man gesagt, es ergebe sich daraus nur dass ein Götzenbild auf der Stelle, die Con- stantin zu der des Grabes erklärt habe, hinterdrein als 310 auf dem Grabe stehend erwähnt worden sei. 1 Hätte Eu¬ sebius, nachdem er so bestimmt und so ausführlich die in der Verspottung ausgeprägte Tradition berichtet, noch ein ausdrückliches Wort von einer Tradition beischreiben sollen, so hätte er ein so arges Missverständnisse seiner Worte, wie es wirklich eingetreten, geradezu voraussehen müssen. Es hängt mit dem heidnischen Spottbau offen¬ bar zusammen, dass die Christen schon vor Constantin’s Zeitalter zur Geburtshöhle nach Bethlehem und zur Auf¬ fahrtsstelle auf dem Oelberge wallfahrteten , aber nicht zum Grabe in Jerusalem, während doch schon seit dem dritten Jahrhunderte auf den Gräbern der Märtyrer An¬ dachtsübungen gehalten wurden. Der Bau hatte seinen Zweck erreicht: die Stätte war dem Besuche, der Andacht der Christen gänzlich verleidet worden. Uebrigens unter¬ stützt das Zeugniss des Eusebius der Wortlaut des kai¬ serlichen Schreibens an Makarius,2 indem es von dem langen Zeiträume spricht, den die Bergung des Denkmals (Kennzeichens) des heiligsten Leidens3 unter die Erde durchdauert, und des hinzugefügten schmachvollen Götzen¬ bildes gedenkt, das er auf göttliches Geheiss entfernt. 1 Vergl. Robinson II, 280. Auch in den Neueren Bibi. Forschungen S. 336. 2 lieber den Ausdruck siehe S. 312, Note 1. 3 Dies scheint Robinson entgangen zu sein, da er schrieb: «Auf welchem Zeugnisse beruht sie?» (Die Thatsaclie der Er¬ richtung Hadrian’sclier Götzentempel auf Golgotha und auf dem Grabe.) «Der früheste Zeuge ist wiederum Eusebius, der nach dem Tode Constantin’s schrieb, und nur erzählt» etc. Siehe II, 279. 311 Hat man gegen das damalige Vorhandensein einer Tradition die von Constantin in seinem Schreiben und von Eusebius hervorgehobene Wunderfügung und gött¬ liche Eingebung geltend gemacht, so wurde dabei über¬ sehen dass sich das Wunder, dem deutlichen Ausdrucke x des Textes gemäss, auf die Erhaltung und Wiederauffin¬ dung des Denkmals der Auferstehung selbst bezieht, mit keinem einzigen Worte aber auf 'die Wiedererkennung der Oertlichkeit bezogen wird. Dies gilt vom Schreiben des Kaisers so gut wie von der Erzählung des Eusebius. Die Oertlichkeit wird in der letzteren augenscheinlich voraus¬ gesetzt (3, 25) und ausdrücklich des Kaisers Absicht, sie wieder zu Ehren zu bringen und mit einem Bethause zu schmücken, auf die Mahnung des Heilands bezogen. Ausserdem ist es höchst bemerkenswerth, dass bei Eusebius kein Wort von einer Auffindung Golgotha’s steht. Der heidnische fanatische Eifer hatte sein Hauptziel an der jedenfalls von Anfang an bei den Christen in hoher Verehrung gehaltenen Grabstätte gefunden. Diese galt es durch Schutt und Steinpflaster und den hoch darüber angelegten Götzenkultus in die Nacht der Vergessenheit zu begraben. In Ansehung Golgotha’s, mochte es auch als Vorplatz des Grabes, geschichtlich und lokal, von der Verspottung mitbetroffen werden, konnte man eine ähn¬ liche Absicht wol gar nicht hegen. Auch als Gegenstand der Verehrung und Verherrlichung scheint es zunächst viel weniger als das Grab in Betracht gekommen zu sein. Nur eine einzige Stelle bei Eusebius, die im Panegyrikus 9, 7, lässt sich darauf beziehen dass Golgotha selbst in Constantin’s Bau hineingezogen wurde. Aber auch piop 312 heisst es nur, es sei ausser dem grossen Bethause um das Heilandsgrab 1 ein Tempel zu Ehren des Kreuzes, des Heilszeichens (ticorrjQiov örj^ieiov) errichtet worden. Ebendeshalb liegt auch darin, dass Hieronymus von zwei Götzenbildern spricht, einem über dem Orte der Auferstehung und einem über Golgotlia, kein Widerspruch mit Eusebius. Er könnte nur darin gefunden werden, dass er die Statue der Venus auf Golgotha und die des Jupiter über dem Grabe stehen lässt, während nach Eu¬ sebius der Venusdienst über dem verschütteten Grabe stattfand. Dass mehrere Götzenbilder vorhanden waren, deutet aber auch Eusebius an (3, 26 am Ende), da wo er von der Zertrümmerung der heidnischen Bauten spricht. Berichtet Sozomenus 2, 1 mit Becht, dass bei der An¬ legung derselben Golgotha und Grab nach der Schutt¬ aufhäufung mit einer gemeinsamen Mauer umschlossen wurden, so lag für einen späteren auf die Quelle münd¬ licher Erzählung angewiesenen Berichterstatter die Ver¬ wechslung der innerhalb der Mauer befindlich gewesenen Götzenbilder nahe genug.2 Wenn ausserdem Hieronymus 1 Der Ausdruck heisst : xcct avro dr] r o tfcorrjQLOV {laQTVQiov , ganz wie de vita Const. 3, 30. Wie aber dieser Ausdruck ohne allen Zweifel aufs Grab geht, so kann auch rb yvoiQLöiia rov ayicDtdrov exdvov Tta&ovg dem ganzen Contexte gemäss auf nichts anderes bezogen werden. Wollte man diese Worte aufs Kreuz deuten, so verlöre die ganze Er¬ zählung des Eusebius ihren Zusammenhang mit dem mitten hineingestellten kaiserlichen Schreiben, das doch sein Text commentiren soll. 2 Krafft hat angemerkt (S. 235), dass diese Angabe von Hieronymus selbst in seiner Schrift gegen Jovinian verbessert 313 sagt, dass seit Hadrian’s Zeiten bis auf Constantin in einem Zeiträume von ungefähr 180 Jahren der heidnische Cultus geübt worden, so ist dies eine einfache Vervoll¬ ständigung des Eusebianischen Berichts, in welchem die wiederholte Hervorhebung des langen Bestandes der Götzen wohl zu beachten ; ihre Errichtung konnte dem Geschichts¬ verlaufe gemäss auf eine andere Zeit als die der Roma- nisirung Jerusalem’s durch Hadrian, auch ohne dass sie genannt wurde, kaum gedeutet werden. Ganz dem Eusebius entsprechend ist die Art wie sich ,der erste Berichterstatter nach demselben, der Pilger von Bordeaux, über Grabstätte und Golgotha ausspricht. Er schreibt nämlich: Linker Hand (auf dem Wege von Zion zum Nablusthore) ist der Hügel Golgotha, wo der Herr gekreuzigt worden. Einen Steinwurf davon ist die Höhle, wo er begraben war und am dritten Tage wieder auferstand. Ebendaselbst ist auf Kaiser Constantin’s Be¬ fehl so eben eine Basilikenkirche erbaut worden von wun¬ derbarer Schönheit. Es ist im höchsten Grade unglaubwürdig, dass jemals in den ersten Jahrhunderten das geringste Schwanken, die geringste Unklarheit über die Lage von Golgotha worden sei. Er hat dabei dieselbe schon in Betracht ge¬ zogene Stelle über Josua vor Augen. Allein wenn die Worte des Hieronymus: Quia apud Judaeos gloria erat in partubus et parturitionibus , et maledicta sterilis . . . idcirco sepulcrum eius positum in valle describitur contra domum idoli- quod proprie libidini consecratur, wirklich auf diese Angelegenheit zu deuten sein sollten , so konnte er sich schwerlich unklarer und seltsamer ausdrücken. 314 geherrscht habe, ohne dass es dazu einer ununterbroche¬ nen Bischofsfolge oder irgend eines anderen glücklichen Umstandes bedurft hat, oder noch heute einer geschickten Beweisführung dafür bedarf. Mit Golgotha war aber zu¬ gleich die Oertlichkeit des Grabes gegeben : beide bedingten und ergänzten sich gegenseitig, wie auch die Nachricht des Sozomenus von der gemeinsamen Mauer bestätigt. Wenn man bisweilen ausgesprochen hat, wenigstens die eine der beiden Lokalitäten, das Grab oder Golgotha, müsse wegen des nahen Beisammenseins unächt sein, so genügte zur Belehrung ein Einblick in die Stellen der Evangelien, wo des Grabes gedacht wird. Johannes sagt wörtlich 19, 41: «Es war aber an dem Orte, wo er ge- s kreuzigt worden, ein Garten, und in dem Garten ein neues Grab. » Dagegen können Geschmackseinwendungen nicht aufkommen. Diese Nähe des Felsengrabes von der Richt¬ stätte gibt Johannes unmittelbar nach den angeführten Worten als Grund der Beisetzung in demselben an, « um des Rüsttags der Juden willen. » Hierdurch wird zugleich die Bedenklichkeit ausge¬ schlossen, des vornehmen Joseph’ s Grab an den « Raben¬ stein » zu verlegen. Wäre Golgotha wirklich in einem engeren oder weiteren Sinne Rabenstein gewesen, wogegen schon gesprochen worden ist, so fiele die Taktlosigkeit, wenn wir eine solche darin finden wollten, auf den rei¬ chen Rathsherrn von Arimathia selbst, da er das Grab dort angelegt, nicht auf die Urheber des Kirchenbaus. . Ohne auf spätere Ausbildungen oder auch Ergän¬ zungen des Eusebianischen Berichts und auf weitere alte Traditionen, wie namentlich die von der Kreuzesauffindung 315 durch Helena, unsere Erörterungen hier auszudehnen, sei nur noch auf die der Mittheilung des kaiserlichen Schrei¬ bens bei Eusebius zunächst folgenden Worte hingewiesen, in welchen gesagt ist, dass um’s heilige Grab das neue Jerusalem gebaut worden sei, «gegenüber dem alten», «im Angesichte des alten».1 Es ist billigerweise vorauszusetzen, dass die schriftkundigsten Männer der damaligen Zeit, ein Eusebius, ein Cyrill, ein Hieronymus, so gut wie wir wussten dass Golgotha mit dem Grabe daneben ausser¬ halb der alten Stadt gewesen. Auch muss die damalige Wiedererkennung der alten Nordmauer um so mehr an¬ genommen werden, als die beim Ausgangspunkte derselben gelegenen drei gewaltigen Festungsthürme des Herodes von der Zerstörung durch Titus verschont geblieben. Aber auch der hier von Eusebius gebrauchte Ausdruck erhält erst dadurch sein Recht, dass hinter Golgotha die Mauer¬ grenze der alten Stadt befindlich und sogar noch sicht¬ lich war. Da seitdem in derselben Gegend wol mehr als an irgend einer Stelle in ganz Jerusalem gebaut und zerstört worden ist, so sind dadurch erst die Reste der¬ selben Mauer für unsere Zeit so schwer auffindbar ge¬ worden. Dies sind die Resultate unserer wiederholten Prüfung der Frage von Aechtheit und Unächtheit des heiligen Grabes. Wir übergeben sie dem geneigten Leser zur eigenen Prüfung. Es gab eine Zeit wo es bedenklich, wo es ein sehr undankbares Geschäft war, über diese un- 1 CCVTLTtQOÖCOTCOg X7] TtdhcCL ßoCO^LSVy Ulld TCiVty

■ 1 ■ XXTT. Der glückliche Fund zu Smyrna. Die handschriftlichen Schätze, die es mir abgesehen von der Sinaitischen Urkunde auf dieser Reise aufzufinden und nach Petersburg zu bringen gelang, machen zu einem guten Theile Anspruch darauf, zu den glücklichsten Re¬ sultaten solcher Forschungen gezählt zu werden. Dem Urtheile der Sachkenner liegt die öffentliche Rechenschaft darüber vor. 1 Weit entfernt diese Resultate meinem Ver¬ dienste zuzurechnen, muss ich im Staube die Hand ver¬ ehren, die diese Vermächtnisse des hohen christlichen Alterthums in stillen Winkeln bewahrt und jetzt dem Lichte der Wissenschaft bestimmt hat. Von den glück¬ lichen Fügungen, die ich dabei erfahren, wünsch1 ich ein Beispiel zu geben. Es führt uns nach Smyrna, woher bekanntlich die schönsten und süssesten Früchte alljähr- 1 Die Schrift trägt den Titel: Notitia editionis codicis bibliorum Sinaitici auspiciis imperatoris Alexandri II. susceptae. Accedit catalogus codicum nuper ex Oriente Petropolin perla- torum etc. Lipsiae 1860. 348 lieh zu uns her überkommen, meines Wissens aber seit Jahrhunderten keine Bereicherung unseren Bibliotheken zu Theil geworden ist. Mein erster Ausgang in Smyrna vor der Patmischen Reise sollte dem hochbetagten russischen Generalconsul gelten, den ich schon 1844 kennen gelernt. Irriger Weise betrat ich statt des russischen das österreichische General- consulat. Als sich der Irrthum aufklärte, befand ich mich bereits in Gesellschaft des Herrn von Steiridl. Im Laufe des Gesprächs theilte mir derselbe jnit, dass sich in den Räumen einer dortigen griechischen Kirche eine alte Hand¬ schrift befinde, über deren Inhalt und Werth noch Nie¬ mand Auskunft habe geben können. Sein Anerbieten, mich Tags darauf zur Schau und Prüfung dahin begleiten zu lassen, nahm ich dankbar an. Bei dieser Prüfung er¬ gab sich’s, dass es eine griechische Handschrift des 11. Jahrhunderts war, die den Pentateuch enthielt, mit An¬ schluss, wenn ich mich recht erinnere, der nächstfolgenden historischen Bücher. Besonders zeichneten sie aber zahl¬ reiche hübsche Malereien aus, wie sie nur auf wenigen Pergamenten der genannten Zeit gefunden werden. Es waren bei dieser Schau Vorstände der betreffenden grie¬ chischen Gemeinde zugegen, und ich gab ihnen jede Aus¬ kunft, die sie wünschten. Nachdem ich vierzehn Tage später von Patmos zu¬ rückgekehrt war, geleitete mich der gütige Geistliche der jungen deutsch-evangelischen Gemeinde zu Smyrna in die vortrefflich geleitete, emsig gesuchte und sichtlich geseg¬ nete Pensions- und Lehranstalt des evangelischen Dia¬ konissenhauses, wo eben die Jahresprüfungen der weib- / 349 liehen Zöglinge abgehalten wurden und manche Leistun¬ gen, besonders die musikalischen, auf drei doppelt besetz¬ ten Pianos ausgeführt, Anerkennung und Bewunderung verdienten. Der Rückweg führte uns hei derselben Kirche vorbei, wo jene griechische Handschrift lag. Beim Vor¬ übergehen trat mir einer der genannten Kirchenvorstände in den Weg, um mich über eine andere Handschrift zu befragen, die er unterm Arme trug. Als ich sie aufschlug, erkannte ich zu meinem Erstaunen einen griechischen Unzialcodex der vier Evangelien aus dem neunten Jahr¬ hunderte. Die Verwunderung darüber, dass eine so sei- tene und kostbare Bibelurkunde auf einem Spaziergange durch Smyrna so plötzlich ans Licht treten konnte, be¬ gleitete mich nach Hause, zugleich aber der Wunsch, sie sofort wissenschaftlich zu nützen und, wenn es irgend möglich wäre, für meine in hohem Aufträge unternom¬ mene Sammlung zu gewinnen. Am nächsten Morgen that ich in Begleitung eines deutschen Kaufmanns, dessen Zuverlässigkeit mir verbürgt war, Namens Louis Meyer, den ersten Gang darnach. Hierbei erfuhr ich dass die Handschrift in Privatbesitz war; um so mehr schien ihre Erwerbung möglich. Ich entlieh sie zunächst zu näherer Untersuchung. Durch diese Untersuchung in meiner ersten Auffassung vom hohen Werthe der fast vollständigen Handschrift bestärkt, liess ich durch Freundesvermittlung weitere Schritte thun. Ich war bereit eine anständige Summe auf den Aükauf zu verwenden; sollte jedoch das Metall seiner Anziehungs¬ kraft ermangeln, so wollt’ ich zu einer Darbringung an den hohen kaiserlichen Herrn veranlassen , in dessen 350 Dienste meine Reiseforschungen standen. Bald zeigte sich’ s, dass auf dem ersten Wege nichts erreichbar war; der Besitzer zählte zu den reichen Griechenfamilien Smyrna’s. Die Aussicht des Erfolgs, die der zweite Weg bot, wurde dadurch geschmälert, dass sich die Handschrift seit einem Jahrhunderte als Familieneigenthum nachweisen liess und dadurch für die fromme Frau vom Hause, so wenig sie sich um ihren Inhalt kümmerte, zu einer theueren Reliquie geworden war; als solcher war ihr sogar eine Stelle über ihrem Gebetstische angewiesen worden. Die fromme Frau hatte das entscheidende Wort im Familienrathe, und es fiel nicht zu Gunsten meines Antrags aus. Aber dieselbe Frau war auch Mutter, sie hatte einen einzigen Sohn. Das Mutterherz war zur Hingabe des Schatzes entschlos¬ sen, vorausgesetzt dass der Erbbesitzer der Handschrift als der Darbringende an den hohen Herrn erscheinen könnte, auch für den Fall dass das Opfer der Pietät durch kaiserliche Gnade geehrt werden sollte. Der junge Mann, der allgemein des besten Rufes genoss, weilte da¬ mals in England. So viel ich meinestheils absehen konnte, lag in diesem Vorschläge nichts Ungeeignetes ; seine Ver¬ wirklichung wurde aber noch an die ausdrückliche Ein¬ willigung des Entfernten gebunden. Da diese Einwilligung vor drei Wochen nicht eintreffen konnte, und das Sprich¬ wort: Interim fit aliquid, bei einem solchen Verzüge gar zu leicht zu unerwünschter Anwendung kommt, so fiel es mir schwer am Abende desselben Tages, wo diese Uebereinkunft angebahnt worden, es war der vierte Tag nach der Begegnung auf der Strasse, den Hafen von Smyrna zu verlassen. 351 Noch nachtragen muss ich, dass einige Jahre früher ein griechischer Gelehrter über dieselbe Handschrift be¬ fragt worden und dass sein Urtheil ganz gegen einen wissenschaftlichen Werth ausgefallen war. Dies ist die andere Seite des Mangels an paläographischem Wissen. Zu Ladakia hat die Unkenntniss zur Verehrung des Werthlosen geführt, hier zur Missachtung der Perle. Die letztere Form ist die vorzugsweise vertretene; sie hat lei¬ der oft schlimmere Folgen als hier gehabt. Der Gang meiner Angelegenheiten zu Kairo veran- lasste mich wider Absicht und Berechnung am 10. August nach Constantinopel abzureisen. Als wir am 13. im Hafen von Smyrna vor Anker gingen, konnte der Termin für jene Antwort aus England eben abgelaufen sein. In der That traf an demselben Tage, einem Sonntage, die er¬ wartete Antwort bei der Familie ein, und am nächsten Morgen wurde ich aufs Angenehmste durch die Nachricht überrascht, dass die Handschrift zu meiner Empfang¬ nahme bereit liege. Am Abende verliess das Dampfschiff Smyrna wieder; es zählte unter seinen Passagiergütern auch das tausendjährige Evangelienbuch, das wenig Mo¬ nate später huldreichst entgegengenommen wurde und seitdem die handschriftlichen Schätze der kaiserlichen öffentlichen Bibliothek zu St. Petersburg vermehrt hat. Unter den Urkunden für den Originaltext der Evan¬ gelien, deren Gesammtzalil gegen achthundert beträgt, besass vorher die christliche Literatur Handschriften von ähnlicher Vollständigkeit und ähnlichem Alterthume nicht mehr als acht, zerstreut in den europäischen Metropolen der Wissenschaft, während nur vier desselben Umfangs 352 in eine noch um Jahrhunderte frühere Zeit hinaufreichen. Unter den letzteren glänzt an erster Stelle der Sinai tische Codex; die achte unter den ersteren ist gleichfalls erst durch meine morgenländischen Forschungen bekannt ge¬ worden. XXIII. Die Angelegenheit des Codex. Reise nach Constantinopel. Bei meinem Weggange von -Kairo in den ersten Tagen des Mai war mir die Aussicht eröffnet worden, dass nach Verlauf von drei Monaten die beabsichtigte Schenkung der Sinaitischen Handschrift zur offiziellen Verhandlung unter den stimmberechtigten Mitgliedern des Klosters reif sein werde. 1 Demgemäss war ich vor Ablauf des Mo¬ nats Juli in Kairo zurück. Die Verhältnisse hatten sich aber unterdessen wider Wunsch und Erwartung gestaltet. Von Seiten desjenigen Kirchenfürsten, der nach altem Brauche die Weihe des Erzbischofs vom Sinai vollziehen sollte, waren Einwendungen gegen die Giltigkeit der von den Klosterbrüdern vollzogenen Wahl hervorgetreten. In Folge davon war die offizielle Anerkennung des Neu¬ erwählten weder seitens der Hohen Pforte noch durch den Vicekönig von Aegypten erzielt worden. Ein Bück- 1 Vergl. oben Abschnitt XV. S. 150. Tisch endorf, Aus dem heiligen Lande. 23 354 schlag davon musste die Angelegenheit der Schenkung treffen; den Verhältnissen des Klosters fehlten die Vor¬ bedingungen einer legalen Verhandlung darüber. Fünf Abgeordnete des Klosters, darunter auch der Prior der mich am Sinai empfangen,1 weilten seit Monaten in Con- stantinopel, um bei der Hohen Pforte wie beim dort residirenden Patriarchen die völlig regelrecht vollzogene Wahl ihres Erzbischofs zur Anerkennung und Geltung zu bringen. Der Neuerwählte selbst war zu edel gesinnt, um zu anderen Mitteln als seinem guten Rechte seine Zuflucht zu nehmen. Bei so bewandten Umständen erschien es mir am ge¬ ratensten, auch meinerseits nach der türkischen Haupt¬ stadt zu gehen, um mit eigenen Augen zu sehen welche Aussicht daselbst die gerechte Sache der Sinaiten gegen die ihr gewordene Beeinträchtigung habe. Von den besten Wünschen und Segnungen des Klosters geleitet, reiste ich zum zweiten Male von Aegypten ab und traf am 17. August in Constantinopel ein. Desselben Tages noch führte mich ein türkischer Dampfer durch den Bosporus, die herrlichste Seestrasse der Welt, nach Bujukdere, wo ich wenige Tage später als Gast des Fürsten Lobanow, der mit der Liebenswür¬ digkeit des Charakters und der Gewandtheit des Diplo¬ maten grossen Geschmack und Eifer für Kunst und Wis¬ senschaft vereinigt, im Sommerpalais der russischen Ge¬ sandtschaft meinen Aufenthalt nahm. 1 Vergl. oben S. 72. 1 XXIY. Erinnerungen von der grossfiirstlichen Reise nach Constantinopel. Besuch der Grossfürstin im Harem des Sultans.1 Anstatt der lockenden Versuchung zu folgen, die vie¬ len Beschreibungen und Schilderungen Constantinopel’s, des. unerschöpflichen, durch eine neue zu vermehren, füg’ ich den Erinnerungen der grossfiirstlichen Beise nach dem gelobten Lande noch einige Andeutungen von den Erfah¬ rungen der erlauchten Beisenden am Hofe des Sultans bei; nur muss ich auf Nachsicht für meine flüchtige Skiz- zirung rechnen. Nach der Abfahrt von Jaffa, am 23. Mai,2 besuchte die Flotille des Grossfürsten Beirut und Smyrna. Zwi¬ schen beiden berührte sie Bliodus, zweihundert Jahre lang Sitz der edlen Bitter von St. Johann, Patmos die lieb¬ liche stille Johannisinsel, Samos die Heimath des Pytha- 1 Es wurden hierzu Aufzeichnungen von hoher Hand benutzt. •2 Vergl. oben S. 287. 23* r 35(3 goras, wo auch noch Ruinen von der Burg jenes allzu glücklich gepriesenen Polykrates stehen, Chios, berühmt durch seinen Wein, unsterblich durch seinen Homer. Nach diesen schönen und glücklichen Wanderungen im griechi¬ schen Archipelagus gelangte sie, die Gestade von Troja vorüber, durch die Strasse der Dardanellen am 6. Juni in die Gewässer von Constantinopel. Hier .zeichnete vom ersten Augenblicke an bis zum letzten der Padischah seine hohen Gäste durch solche Aufmerksamkeiten aus, wie sie schwer¬ lich jemals früher am türkischen Hofe vorgekommen sind. Es schien als ob die Etikette des Grossherrn für diesen Besuch völlig aufgehoben worden sei. Nachdem das Geschwader vom Kanonendonner der Batterien und der Kriegsschiffe begrüsst, auch der Mi¬ nister der auswärtigen Angelegenheiten Fuad Pascha und der Admiral Mehemet Ali Pascha am Bord des Gromoboi erschienen waren, stiegen Ihre Kaiserlichen Hoheiten für wenig Minuten am Kiosk von Tophana aus, wohin sich der Sultan zu ihrer Bewillkommnung verfügt hatte. Er empfing seine Gäste am Fuss der Treppe des Pa¬ villons. Derselbe Kiosk sowie der von Therapia und das an den Ufern des Bosporus gelegene Schloss Emir- ghian war dem Grossfürsten während seines Aufenthalts zu Constantinopel zu ausschliesslichem Gebrauche überlassen. Erst am nächsten Morgen vertauschte der Grossfürst die Fregatte mit dem genannten Schlosse, dessen Räume prachtvoll hergerichtet worden waren; Kiamil Bey der Einführer der Gesandten und der Admiral Mehemet Pa¬ scha empfingen ihn daselbst und blieben seiner Person attachirt. Aber schon an diesem ersten Tage des Nach- 357 v mittags überraschte auch der Sultan selbst das gross¬ fürstliche Paar. Nachdem er sich bei der Grossfürstin erkundigt, ob sie die getroffenen Einrichtungen nach ihrem Geschmacke finde, kündigte er ihr im Voraus eine Ein¬ ladung zu einem Diner in seinem Harem an. Das besondere Musikcorps des Sultans war zu regel¬ mässiger Tafelmusik in Emirghian angewiesen; sein Re¬ pertoire war zwischen europäischen und türkischen Stücken getheilt. Am nächsten Tage, Mittwochs, empfingen Ihre Kaiser¬ lichen Hoheiten den Grossvezir und andere der höchsten türkischen Würdenträger, sowie das diplomatische Corps; Tags darauf die drei griechischen Patriarchen von Con- stantinopel, von Jerusalem und von Antiochien, sammt den bischöflichen Mitgliedern des heiligen Synod; desgleichen die hohe armenische Geistlichkeit, ihren Katholikos an der Spitze. Eine Stunde später, nachdem inzwischen dem Grossfürsten die diamantenen Insignien der Medschidie und der Grossfürstin ein diamantenes Armband mit einem grossen Smaragd in der Mitte, geziert mit der Inschrift: Jadigiar («Andenken»), im Aufträge des Sultans über¬ reicht worden war, folgten die Damen des diplomatischen Corps. Der erste Ausflug nach Stambul galt der Aja Sofia, jener Krone der Justinianischen kirchlichen Prachtbauten, die noch immer der Bewunderung eines jeden Auges ge¬ wiss ist. Die jüngsten nachbessernden Arbeiten daran haben ihren überwältigenden Eindruck nur noch ge¬ hoben. Am Donnerstage fand die Erwiderung des Besuchs 358 des Grossherrn statt; kostbare für diesen Zweck erst an¬ gefertigte Equipagen waren der Grossfürstin zur Ver¬ fügung gestellt. Gleich darauf unternahmen die hohen Reisenden auf reichgeschmückten Rossen einen Ritt durch die Stadt; ein Bataillon Garde gab ihnen dabei auf bei¬ den Seiten des Wegs das Geleit. Am Freitag überbrachte Kiamil Bey der Grossfürstin für den nächsten Tag die Einladung zum Diner im kai¬ serlichen Harem. Es war wahrscheinlich die erste Ein¬ ladung dieser Art seit dem Bestände eines grossherr¬ lichen Harems zu Constantinopel. Seit 1718, wo Sultan Achmed für die geistreiche und von ihm selbst ge¬ schätzte Lady Montagu eine Ausnahme machte, ist dieser Harem wol überhaupt von keinem fremden Fusse betreten worden. Am Sonnabend Nachmittags um 6 leistete Ihre Kai¬ serliche Hoheit der Einladung Folge, während sich zu gleicher Zeit der Grossfürst mit seinem Gefolge zu einem Diner, zu dem auch das diplomatische Corps gezogen war, in die Gemächer des Sultans begab. Der Sultan selbst war dabei der Sitte gemäss durch den auswärtigen Mi¬ nister Fuad Pascha vertreten. Die ausserordentliche Ehre, welche der Sultan durch diese Einladung der Grossfürstin Alexandra erwies, er¬ heischte ihr eigenes Erscheinen in voller Gala. Empfing doch bei dieser Gelegenheit der kaiserliche Harem, für welchen luxuriöser Glanz und Hoheit unzertrennlich schei¬ nen, den ersten Begriff von einer europäischen, von einer kaiserlich russischen Prinzessin. Sie erschien daher in der reichsten Toilette, mit Diamanten Rubinen und Per- 359 len bedeckt, und noch überdies mit dem grossen Bande des St. Katharinen- Ordens geschmückt. 1 Ein heftiges Gewitter hatte sich eben entladen, als die hohen Gäste des Sultans in einem zierlichen Kajik, einem Geschenke desselben, von Emirghian nach der gross¬ herrlichen mit dem grössten Luxus ausgestatteten Resi¬ denz Beschiktasch fuhren. Seine türkische Majestät war¬ tete unten an der Treppe des Palastes; die russische Na¬ tionalhymne klang den Ankömmlingen entgegen, Fuad Pascha und andere Minister gingen bis zum Kajik. Die genannte Treppe führt zunächst zu einer auf Säulen ru¬ henden Halle, deren ganze Kuppel mit Rubinglas gedeckt ist. Das Licht, das sie auf die Marmorstufen und auf 1 In der Voraussetzung, dass es manchen Leserinnen eine willkommene Vervollständigung des Bildes, das wir versuchen, bieten wird, füg’ ich, wenn auch nur französisch, die genauere Beschreibung dieser Toilette bei. S. A. I. portait une robe avec une grande jupe en dentelles blanches recouvrant une jupe bleue relevee ä la Pompadour, qui tombait sur une autre jupe blanche formant des colonnes de dentelles, posees sur des rubans bleus claires. Chaque couture de corsage etait recou- verte de rubis, turquoises et diamants. Des etoiles en tur- quoises et diamants , posees ä petite distance sur une large tresse de cheveux, formaient une aureole, clerriere laquelle etait pose en forme de couronne un diademe en rubis et diamants. Sur le chignon de la tresse etait pose encore des branches de rubis et de diamants retombant comme en pluie sur la nuque. Sur le cou S. A. I. portait de gros chatons et quatre longs rangs de perles qui retombaient jusqu’ä la ceinture du cor¬ sage, qui tout entier etait couvert de broches de rubis, dia¬ mants et turquoises. Les noeuds de la jupe Pompadour etaient retenus par de gros chatons. 360 die glänzendweisse Halle fallen lässt, macht einen magi¬ schen Effekt. Der grosse aufs Reichste und Geschmack¬ vollste ausgestattete Audienzsaal, von dessen Decke der vor wenig Jahren zu Paris bewunderte, in zehntausend Lichtern flammende Kronleuchter herabhängt, war bereits vom diplomatischen Corps besetzt. Nach kurzem Ver¬ weilen daselbst führte der Sultan die Grossfürstin, be¬ gleitet von ihrem zehnjährigen Sohne Nicolaus, von der * Gräfin Kamarofsky und Frau von Tschitscherin, in den Thronsaal, wo sich die hohen türkischen Frauen um den Thron versammelt hatten. Der Sultan stellte zuerst seine Schwester und Töchter vor, die geborenen Sultaninnen, dann seine eigenen den Titel der Kadinen führenden Frauen und seine vier Söhne. Auf eine Thür zeigend, sagte er hierauf: Voici, Madame, le Harem! und ver¬ schwand. Er ging seinerseits zu seinem einsamen Diner, wozu ihn alltäglich die Etikette verurtheilt; selbst keine seiner Frauen hat je sein Mahl getheilt oder ihn auch nur speisen sehen. Auf das Wort des Sultans waren die geheimnissvollen Räume ihres unverletzlichen Siegels entkleidet, die Gross¬ fürstin betrat den Harem. Die Oberhofmeisterin, die Vorsteherin des ganzen Heiligthums,1 schritt voraus, die Sultanin-Schwester mit der Grossfiirstin folgte ihr. Zwei Armenierinnen, ebenso gewandt im französischen wie im türkischen Ausdrucke, verdolmetschten alle Gespräche. Mit dem Eintritt in den Harem begann eine Wanderung durch zahllose Zimmer, denen das blaue Glas der Fenster 1 Das Wort Harem seihst bedeutet heilig'. O 361 einen mysteriösen Anstrich gab. Die auf zweitausend Köpfe geschätzte Bevölkerung des Harems, zum guten Theile Griechinnen und Armenierinnen, mochte fast voll¬ zählig in diesen ächtorientalischen Gemächern versammelt sein; es konnte nicht fehlen dass sie den Eindruck einer fabelhaften Feenwelt auf die fremden Gäste machten. Nicht minder merkwürdig und erstaunlich war aber ihre eigene Erscheinung in den Augen dieser von Welt und Leben so streng abgeschlossenen Lieblinge und Sklavinnen des Sultans; ihre Neugierde stritt fortwährend mit ihrem Respekte; der letztere konnte jedoch nicht verhindern dass sie sich allenthalben um die hohe Frau drängten, die gleicherweise durch ihre Schönheit wie durch ihren fürstlichen Glanz imponiren musste. Endlich gelangte man in einen grossen prächtigen Saal, wo das Unglaubliche zur Wirklichkeit geworden: es war daselbst die stattlichste Truppe Militärmusik auf¬ gestellt. Ihre Uniform bestand aus rothen reich mit Gold verbrämten Waffenröcken und weissen Hosen; auf dem Kopfe trugen sie das rothe Fes mit herabhängender gol¬ dener Quaste. Der ersten Ueberraschung, inmitten dieses abgeschlossenen Frauenheiligthums ein munteres Soldaten¬ corps zu finden, folgte die zweite, als sich’s ergab, dass die schmucken Musikanten kunstgeübte Mägdlein des Harems waren. An den grossen Musiksaal stiess ein anderer kleinerer, in welchem eine elegante Tafel ganz nach europäischer Art gedeckt war. Die Grossfürstin nahm zur Rechten der Sultanin -Schwester Platz, der junge Grossfürst zu ihrer Linken. Zur Rechten der Grossfürstin setzte sich 362 die erste Kadine, eine schöne Circassierin, deren blühende Erscheinung nicht entfernt ein Alter von „vierzig Jahren verrieth. Ihre Schönheit machte sich um so bemerklicher, da in der grossen Zahl der anwesenden Frauen und Mäd¬ chen, ausser der einen Tochter des Sultans, keine einzige mit ihr wetteifern konnte; dagegen war vielen der Mai des Lebens mit seinem Bliithenschmelze sichtlich fern ge¬ hliehen, oder er hatte ihnen bereits abgeblüht. Die zweite Frau des Sultans, die Mutter Murad Effendi’s des ältesten Prinzen, setzte sich neben den Grossfürsten Nicolaus. Die Oberhofmeisterin und die vier Töchter des Sultans nah¬ men gleichfalls an der Tafel Platz, sowie auch die beiden Damen der Grossfürstin. Die türkische Toilette hatte den grössten Reichthum an Diamanten entfaltet; besonders strahlte am kleinen Finger der Fürstinnen ein immenser Solitär. Die Oberhofmeisterin bekleidet zwei hohe Aemter in diesem Kreise: sie hat die Aufgabe den ganzen kleinen Staat zu regieren und eintretende Vacanzen auszugleichen. Die erstere Aufgabe ist trotz des Mangels an Demokraten nicht leicht ; Blüthenbäumchen, einander so nah gepflanzt, zerschlagen sich allzu gern die Aeste. Die zweite Auf¬ gabe ist mit offenbarer Verantwortlichkeit verknüpft; denn die Frauen, die sie für den Sultan aus wählt, hat sie doch auch höchsten Orts zu vertreten. Trotz dieser Verant¬ wortlichkeit sagte sie durch Dolmetscher- Vermittlung keck zur Grossfürstin, sie sei sehr unglücklich dass die Gross¬ fürstin schon verheirathet sei; denn andernfalls würde sie dieselbe als die schönste der Frauen, die sie je gesehen, unfehlbar für den Sultan erkoren haben. Die Gross- 363 fürstin, um die Antwort nicht verlegen, entgegnete ihr, sie sei im Gegentheil sehr glücklich schon verheirathet zu sein; denn sie besitze einen Gatten, den sie sehr liebe. Das gute Wort fand eine gute Aufnahme. Begreiflicher Weise bot die Grossfürstin selbst den entzückten Frauen, bei ihrer Sicherheit vor Concurrenz, das schönste und liebste Thema. Ihre Nachbarin, die Circassierin , nannte sie die Perle der Fürstinnen, und pries sich mit den anwesenden Prinzessinnen glücklich, dass der Sultan gerade ihr so ausser¬ ordentlicher Weise den Besuch seines Harems gestattet habe. Während der Tafel kamen die vielen Sklavinnen, vor¬ zugsweise so genannt, obschon in ihrem Hofrange sehr verschieden und der höchsten Aufriickung fähig, abwech¬ selnd in den Speisesaal; sie waren alle weiss gekleidet; manche unter ihnen, wol um das Bild des Harems zu vollenden, trugen ganz kleine Kinder auf dem Arme. (Ländlich, sittlich.) Sie begnügten sich aber keineswegs mit der Schau aus respektvoller Entfernung ; vielmehr kam eine nach der andern an die Grossfürstin heran, mit der Frage ob sie gestatte, dass man sie nach Belieben an¬ sehe. Weiter ging ihr Muth gegen die begleitenden Da¬ men der Grossfürstin; diese gestatteten sie sich, wol um sich von ihrem Fleisch und Blut zu überzeugen, mit den Fingerspitzen zu berühren. Die mitspeisenden hohen Damen selbst gewannen während der Tafel ihre volle Heiterkeit. Das Diner war zugleich ein Examen für sie; vierzehn Tage lang hatten sie sich geübt mit Gabel und Messer zu speisen, was ganz ausser ihrer Gewohnheit lag. Mit kindischer Freude zeigten sie daher die neuen funkelnden Waffen der Tafel 364 den Dienerinnen und Zuschauerinnen im Hintergrund. Aber das Examen selbst hatte einen abfälligen Ausgang; die angespiessten Köstlichkeiten fielen fast ohne Ausnahme un¬ ter den Tisch. Dennoch bedurfte es vieler Bitten seitens der Grossfürstin, um die Damen zu bewegen anstatt der fremd¬ artigen Neuerung ihre eigene Sitte walten zu lassen. Als dies endlich geschah, war ihr Geschick im Gebrauche der einfachen Naturmittel für die russischen Gäste ebenso bewundrungswürdig , als ihr Misgeschick im Fache der Kunst offenkundig geworden war. Der gastronomische Charakter des Diners theilte sich zwischen Ost und West; es hatte eine europäische und eine türkische Folge von Gerichten. Auch an den letz¬ tem liess sich die Schmackhaftigkeit rühmen, mit Aus¬ nahme der mancherlei süssen Gerichte. Von der mannigfaltigsten Art “waren die bei der Tafel den hohen türkischen Damen von ihren Untergebenen geleisteten Dienste. Sie zogen ihnen die Handschuhe aus, befächelten sie mit dem Fächer, wuschen ihnen die Hände; sie waren fortwährend jedes Winkes gewärtig. Die Tafelmusik fiel zu grosser Befriedigung der eu¬ ropäischen Kritik aus; auch Stücke aus der Mozart’schen Oper: Die Entführung aus dem Serail, kamen zur Aus¬ führung. Sie dauerte ohne eine einzige Pause, so lange die Tafel währte. Doch war sie es nicht allein, die den Blüthenhain klangreich machte; es fehlte ihm auch an den eigenen mehr als zwitschernden Stimmen nicht. Nachdem schon eine Zeit lang nur noch servirt, nicht auch gegessen worden war und das gegenseitige Schau¬ gericht entschieden die Oberhand gewonnen hatte, fragte 365 die Oberhofmeisterin bei der Grossfiirstin an, ob sie nicht mehr serviren lassen solle. . Da diese Frage sehr erwünscht kam, so erhob sich die fürstliche Tischgesell¬ schaft nnd begab sich in den umfangreicheren Musiksaal. Hier eröffnete ein Chor von weissgekleideten Mädchen vor der Grossfürstin, die sich mit den Fürstinnen ans Fenster gesetzt hatte, nationale Tänze. Während dieser Tänze fiel plötzlich ein gewaltiger Donnerschlag, der Fen¬ ster und Herzen erzittern machte. Der Blitz hatte un¬ mittelbar unter den Fenstern in den kleinen ganz von Eisen gebauten russischen Dampfer Pruth geschlagen, auf welchem die Offiziere der Fregatte zum kaiserlichen Diner gekommen waren. Das Ereigniss stimmte zum Ausser¬ ordentlichen des Tages; zum Glücke fiel ihm unter der Mannschaft des Schiffes kein Leben zum Opfer. Eine halbe Stunde später kam die Botschaft, der Sultan werde bald erscheinen um seinen hohen Gast ab¬ zuholen. Se. Majestät kam wieder bis in den Thronsaal, wohin die Fürstinnen der Grossfürstin mit ihrem Sohne das Geleit gaben. Sie verabschiedete sich und ging am Arme des Sultans in den Audienzsaal zurück, wo die sämmtliehen Gäste des Tages versammelt waren. Der Sultan geleitete das grossfürstliche Paar die Treppe hinab, das die Rückfahrt nach dem Bosporus antrat. Der nächt¬ liche Gewitterhimmel hatte sich aufgeklärt; ein silber¬ heller Mond spiegelte sich in den stillen tiefblauen Flu- then und beleuchtete zauberisch die vielbesungenen Ufer des Bosporus. Da die Fahrt stromaufwärts ging, so wurde erst nach anderthalb Stunden gegen Mitternacht das Schloss Emirghian erreicht. Den Montag darauf hatte der Sultan im unermüd¬ lichen Eifer für seine hohen Gäste zu einer neuen in den Annalen des Serails unerhörten Ausnahme von der Regel ausersehen. Das grossfürstliche Paar nebst dem jungen Prinzen fuhr ohne alles Gefolge im Kajik nach den «Süssen Wassern» von Asien. Dort erwartete sie der Sultan im Garten vor dem Kiosk; er war gleichfalls ohne Begleitung. Auch eines Dolmetschers bediente er sich nicht, da er des französischen Ausdrucks vollkommen mächtig war. Nachdem er ihnen das reizende kleine Pa¬ lais, das die Grossfürstin einer bonbonniere verglich, in seinen Einrichtungen gezeigt hatte, führte er sie zu einem Frühstück. Es war für vier Personen gedeckt; der Sul¬ tan speiste demnach mit seinen drei grossfürstlichen Gästen ganz allein. Es soll das erste Mal in seinem Leben gewesen sein, dass er Glied einer Tischgesellschaft war. Auch die europäische Gabel wusste er zu hand¬ haben, wenngleich ersichtlich war dass sie nicht zu sei¬ nem alltäglichen Gebrauch gehörte. Als ihm die Gross¬ fürstin bemerklich machte dass seinen Gästen recht wohl bekannt sei welche grosse Ausnahmen er für sie mache, erwiderte er: J’en suis heureux; cela sera un Souvenir pour la vie pour moi. Für den Abend hatte er ein Gala-Theater angeordnet. Das Theater, nicht weit von Beschiktasch, stimmt bei allem guten Geschmack zum Luxus des kaiserlichen Ho¬ fes. Der Sultan sass mit dem grossfürstlichen Paare allein in seiner grossen Loge. Damen waren ausser der Grossfürstin und Frau von Tschitscherin im ganzen Theater nicht zu sehen. Als die Grossfürstin fragte ob 367 die Sultaninnen nicht erscheinen würden, befahl er so¬ gleich ihr Erscheinen; doch war von ihnen hinter dem dichten Goldgitter ihrer Logen kaum mehr als die her¬ vorschimmernden Brillanten zu bemerken. Die Vorstel¬ lung bestand aus einem Potpourri; ein Act aus Hernani machte den Anfang, eine türkische Pantomime den Be¬ schluss. Der Sultan war äusserst heiter und gesprächig; zur grössten Verwunderung seiner Türken, die in diesem Ausnahmszustande ihre Blicke neugierig nach der Loge zu richten wagten, lachte er mehrmals laut auf. Als im Gespräche die türkische Sitte der Vielweiberei berührt worden war, hielt er ihr nichts weniger als eine Lobrede. Er sagte wörtlich zur Grossfürstin: Voilä le Grand Duc- est heureux; car il n’a qu’une femme qui est belle et bonne. Nous autres Turcs nous avons beaucoup de femmes, mais elles sont toutes laides. Auch pries er die europäische Sitte, dass die Frauen ihre Männer auf Reisen begleiten dürfen, und sagte zur Grossfürstin: Vous etes heureuse, Madame, parce que Vous avez pu accom- pagner Votre auguste mari dans ses voyages. Unter den guten Wünschen, die er für seine Gäste äusserte, war auch der, dass ihre Kinder gedeihen möchten. Nach dem Theater stellte er der Grossfürstin noch¬ mals die Prinzessinnen vor, wobei er in Ermangelung der dolmetschenden Armenierinnen selbst den Dolmetscher machte. Bei der letzten Verabschiedung des grossfürst- * liehen Paares, die Tags darauf in Beschiktasch stattfand, stellte er ihnen auch seinen Bruder vor, der nach ihm den Thron zu besteigen hatte. Da der Grossfürst im Theater nach demselben gefragt hatte, so wollte der Sultan % 368 auch diesen hinter der Frage vermutheten Wunsch nicht unerfüllt lassen, obschon bekanntlich ein türkischer Thron¬ folger vor Aller Augen verborgen bleibt. Er stellte ihn dem Grossfürsten mit den Worten vor: Je suis heureux de Yous presenter mon frere, avec lequel je suis aussi lie que Fest Yotre Altesse Imperiale avec Son frere FEm- pereur de Russie. / An demselben Tage noch, den 14. Juni, verliessen die hohen Reisenden den Bosporus; der Dampfer Wladi¬ mir führte sie durchs schwarze Meer in drei Tagen nach Nikolajeff, wo sie nach neunmonatlicher Abwesenheit, nach einer erfahrungsreichen herrlichen Reise, den heimath- lichen Boden wieder betraten. XXV. Das erreichte Ziel. Die lieben Deputierten der Sinaitischen Brüderschaft hatten sich in ihrem Filialkloster im Fanar häuslich nie¬ dergelassen; sie harrten seit Monaten von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Seiten des Grossvezirs und Fuad Pascha’s, in deren Händen ihre Angelegenheit vor¬ zugsweise ruhte, auf eine gerechte Entscheidung ihrer ge¬ rechten Sache. Der dagegen von hoher geistlicher Seite geltend gemachte Widerspruch war mit so grossem Nach¬ drucke verbunden, dass die ganze Sache, je weniger sie unbemerkt bleiben konnte, desto peinlicher für die tür¬ kische Regierung werden musste. So sehr dieselbe die auf geschichtlichen und wohlverbrieften Rechten beruhen¬ den Ansprüche der Sinaiten zu würdigen wusste, so wagte sie doch nicht dem Proteste des betreffenden in hoher Achtung stehenden Patriarchen zuwider einen endgiltigen Ausspruch zu thun. Sie hielt dafür, wie einst der kluge Gallio, römischer Landpfleger in Achaja, in den Verwicke- Tischendorf, Aus dem heiligen Lande. 24 370 lungen des grossen Heidenapostels mit den jüdischen Oberen, dass es nicht gerathen sei die weltliche Ober¬ herrlichkeit in den geistlichen Conflikt entscheidend hin¬ eintreten zu lassen. 1 Ein eigenthümliches Schauspiel, charakteristisch nach mehr als einer Seite und in ver¬ schiedenem Sinne zeugnissvoll. Bei der Verknüpfung, in die allmählich mein eigenes Anliegen mit der Herstellung des Klosterfriedens gera¬ then war, konnte ich kein gleichgiltiger Zuschauer sein. Nach fünf Wochen schien nichts mehr im Interesse des Klosters zu liegen, als dass der angefeindete edle Prälat persönlich in Constantinopel erschiene, um an die Ge- sammtheit des Heiligen Synod, aus Patriarchen Erz¬ bischöfen und Bischöfen bestehend, die Schlichtung der Differenz anzulehnen. Dieser Rath, dieser Weg eröffnete für mich selbst nicht die Perspektive schneller Entschei¬ dung. Was ich am 15. März nach Deutschland zur öffent¬ lichen Kundgebung geschrieben hatte2: «Im Vertrauen auf die dem Unternehmen zugewandte hohe kaiserliche Gunst glaub’ ich schon jetzt der gelehrten Welt die bal¬ digste und des* Objekts würdigste Veröffentlichung der Handschrift in Aussicht stellen zu können,» mit dem Zusatze dass man drei Jahrhunderte auf die Herausgabe der Vatikanischen Handschrift zu warten gehabt, auf die der Sinaitischen aber statt so vieler Jahrhunderte viel¬ leicht nur ebenso viele Jahre zu warten haben werde: dies 1 Vergl. Apostelgesch. 18, 15. 2 Siehe Wissenschaftliche Beilage zur Leipz. Zeit. 1859. Nr. 31. 371 stimmte wenig zur Aufgabe des Stillehaltens und Ab¬ wartens. Da kam mir der Gedanke eines Auswegs. Er be¬ stand darin, dem Kloster die sofortige Uebergabe der Urkunde an mich vorzuschlagen, zu dem doppelten Be- bufe, sie nach Petersburg zu überbringen und unter kai¬ serlicher Protektion zur Herausgabe zu nützen. Fürst Lobanow billigte und unterstützte diesen Plan. Das zu dem Zwecke ausgefertigte Papier ging von der verlaut¬ barten Absicht der Schenkung aus, trug aber den einge¬ tretenen Verhältnissen volle Rechnung, indem es aus¬ sagte, dass das Original, als unbehelligtes Eigenthum des Klosters, in dem Falle dass unvorhergesehene Umstände die Ausführung der Schenkung beeinträchtigen sollten^ nach stattgehabtem Gebrauche an dasselbe zurückzuge¬ ben sei. So verliess ich den 22. September Constantinopel und war am 27. in Kairo zurück. Am Abende desselben Tages begrüsst’ ich die Freunde im Kloster. Der neue Erzbischof hatte sich kaum von schwerem Krankenlager erholt. Mit vielen Briefschaften überreicht’ ich auch das auf mein Anliegen bezügliche Papier. Es fand die er¬ wünschte Aufnahme, und schon am Morgen des 28. leg¬ ten die versammelten Prioren und Brüder die Hand¬ schrift in meine Hände. Ein von meiner Seite vollzogenes Dokument stellte fest, dass diese Uebergabe die Ver¬ öffentlichung des Textes in der schon näher bezeichneten Weise zum Zwecke habe. Das Erreichbare war somit erreicht. Der gehobene Schatz konnte nun sofort, wie es die Pflicht gebot, in 24 * 372 zuverlässigster Weise dem Lichte der Wissenschaft ge¬ schenkt werden. Meine Dankbarkeit für das Vertrauen des Klosters musste um so lebhafter sein, da nunmehr allerwärts, auch zu Constantinopel und zu Kairo, be¬ kannt worden war, welche Bedeutung nach meinem Ur- theile die Sinaitische Handschrift beanspruchte. Indem das Kloster so bereitwillig und rückhaltslos zur unver- weilten und genauesten Bekanntgebung des ältesten uns gebliebenen Zeugen für das ewige Wort des Heils die Hand bot, bewies es die edelsinnigste Achtung und För¬ derung christlicher Wissenschaft. Eine so genaue Darlegung des Verlaufs der Sache war aus mehr als einem Grunde geboten. Sie enthält den Nachweis, dass der noch unbestätigte Erzbischof nicht entfernt eine seine Befugniss überschreitende Con- nivenz zur etwaigen Förderung eigenen Interesses geübt hat, wie denn auch wenige Monate nach seinem persön¬ lichen Erscheinen zu Constantinopel sein volles Recht durch die vom Heiligen Synod selbst vollzogene Weihe zu glänzender Anerkennung gelangte. Einen Monat nach der Abreise vom ägyptischen Bo¬ den, am 19. November, hatte ich die Ehre zu Zarsko Selo Ihren Kaiserlichen Majestäten die Handschrift vor¬ zulegen. Noch vor Ablauf desselben Jahres ging ich un¬ ter allerhöchster Protektion an die Vorbereitungen einer so genauen typographischen Nachahmung des alten Ori¬ ginals, wie sie noch niemals unternommen worden ist. Dieser diplomatisch -kritischen Herausgabe, deren grösste in den vielen Tausenden alter Correkturen gegebene Schwierigkeit eine fortwährende Einsicht in die Hand- 373 sclirift selbst unerlässlich macht, soll sobald als möglich auch eine deutsche Bearbeitung des Neutestamen tlichen Theiles folgen. Einer getreuen Uebertragung der Offen¬ barungsurkunde nach der ältesten Handschrift, die uns die Vorsehung aufbewahrt, wie könnte ihr das allgemeine Interesse fehlen. Es soll damit zugleich ein Masstab geboten werden, um die in den verschiedenen Kirchen verbreiteten Texte daran zu prüfen. Hat bisweilen Partei¬ eifer von verfälschten Bibeln in der Hand des Volkes gesprochen, so wird sich dieser Vorwurf nach der höch¬ sten historischen Autorität, nach dieser goldenen Bulle der Textwissenschaft, unschwer bemessen lassen. Der Wahrheit, die allein ihres Sieges gewiss, wird sie nach links und rechts ein unbestochenes Zeugniss geben. Nachtrag zu Abschnitt VIII: Der Sinai. (S. 83 fgg.) Der Druck des Buches hatte bereits den Sinai über¬ schritten, als den Verfasser der Erzbischof vom Sinai mit einer Schrift beschenkte, die sich über die Geschichte des Berges und seines Klosters ausführlich verbreitet. Sie trägt den Titel: IlBQLyQacpr] lzqcc tov ccylov xai frsoßa- diörov öqov$ Ztva etc. etc. und wurde 1817 zu Venedig gedruckt. Zunächst wird darin die dem Gottesseher Moses gewidmete alljährliche Erinnerungsfeier beschrieben, mit Beifügung der Lebensgeschichte desselben. Darauf folgt die Gedächtnissfeier der heiligen Katharina, gleichfalls mit einem Lebensabrisse derselben. Nach vorausgeschick¬ ter Lobrede des Patriarchen von Alexandrien Gerasimos steht an dritter Stelle eine Abhandlung über den Namen, die Geographie und die Bewohner des Sinai, über den Bau des Klosters durch den Kaiser Justinian, über die arabischen Leibeigenen des Klosters, über die Gefahren die dasselbe im Laufe der Zeit zu bestehen gehabt. Hier¬ auf wird das Kloster mit seinen Baulichkeiten und Ein- 375 richtungen beschrieben, desgleichen die heiligen Stätten des Berges und der Umgegend. Weiter folgen geschicht¬ liche Aufzeichnungen über die Erzbischöfe des Klosters, die bis auf das Jahr 869 zurückreichen, mit einer Synodal¬ schrift des Patriarchen Jeremias über das Sinaitische Erz- bisthum, ferner Notizen über einzelne heilige Männer des Sinai. Aus dem letzten Theile der Schrift (S. 173 fgg.) ist ersichtlich, dass das Andenken der Märtyrer vom Sinai und von Raithu, gemäss der Beschreibung des h. Nilus, noch heutzutage mit besonderen Festandachten im Klo¬ ster gefeiert wird. Von besonderen Einzelnheiten sei nur erwähnt, dass S. 111 die Anlegung eines Thurmes am Eusse des Horeb und einer Marienkirche, die auch die Stätte des Busches und den Mosisbrunnen umfasste, auf die Kaisermutter Helena zurückgeführt wird, sowie dass S. 148 die Annahme vertreten wird, es sei zu Tor, dem ehemaligen Raithu, das israelitische Elim gelegen. Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig. SINAI - HALBINSEL. ßvA-bun . !s Zu fort Oliuzzol^c v.\. t \w vS\\y,T,ii« nvS. , ^ at el -ufluxbaJi JERUSALEM V « 1? Gräber der: Grotte '"l X)aiuas^ii^pi( - Gra.de/ tet "INTamilln 1 Tiirdie d. heil. Grab. 2 Gr. Zeit ein h'l oster 3 Casa Si/ora 4 Griech.tc.Kopt.Kl. 5 Teich Biskia G 3s. et. Erneut. Bisdiofs 7 RviiL.d. Johanniter Talastes. 8 Eräug el ■ Ezrche .9 freass. ffospiial ‘‘ri’/umii /< 'vSrlo/ih. 10 Englisch. .. fk 11 drmenisch .Kloster il . däcobus Järche 12 Treuss. Consulect 13 Franz . ,, . 14 Gestern „ 15 Res. d. Türk. Paschas 16 St ■ Atuul Eirchc. 17 Teich BeBtesda y 18 Moschee Omars $ 19 elJksa. J// 20 Bauenm. Bohle G tmSi 21 Jiid. Klageplalz GRUNDRISS' DER KIRCHE DES H. GRABES. JJorden, Jtesden Süden ISEincjajix/. S. 2. GoZcfot/rn.S . 3. Stätte, der Treue esatcffindu 7Up . 0. \.'a.J)as heil. Grab (tt) mit. der F7n - geZsTcnpelLe (o) HZ 6.7. Mite FeLsengräBer, nach Josephe ic. ZVicodemus benannt. V. 8.9. Gottfrieds ic, Balduins ehctnaZ.. Grober. S. Osten 10. Grosse Rif che der Griechen JTtttplpujiJd: . 1 1 . Born . kaih . KürcRie . ZV. 12. Jliar der Armenier. S. 7 tZ 13 . -d7tar der JCopten, . HZ l\.Mliar der Syrer. HZ TarrscrTusi r =i o et 20 30 90 Zu C. TiscTiendorfs .Aus dem heiligen Lande’ E d. Brockhaas'Geogr - artist. dnstall, Leipzig- ' 1 . • A ■ ' ' * V ■ . ■ »A( • ' . . _ _ - . . . : k ; \ *