BT 21 .B38 1858 Baur, Ferdinand Christian, 1792-1860. Lehrbuch der christlichen Honmorirfficirhi rhto Digitized by the Internet Archive in 2019 with funding from Princeton Theological Seminary Library https://archive.org/details/lehrbuchderchris00baur_0 Jj e It 1 * 1» ii c Ii <1 e r clir istliclieu jr Dogmenges chi elite, von Dr. Ferdinand Christian Baur, ordentlicliera Professor der evangelischen Theologie an der Universitat Tubingen. S Zweite neu bearbeitete und erweiterte Ausgabe. Tubingen, V e r 1 a g ii ii d 1) r u c k v o u L. F r. Foes, 1858. ***>; ifflj II Vorrede der ersten Ausgabe. Von der gewohnlichen Bevorwortung eines Lehrbuchs, dass dem Verfasser seine Vorlesungen das Bedurfniss eines eigenen Lehrbuchs nahe gelegt haben, will ich ? um die Er- scheinung des vorliegenden zu rechtfertigen, keinen Gebrauch machen. Zwar hoffe ich gleichfalls, es werde mir fur die Vorlesungen, welche ich fiber die Dogmengeschichte zu hal- ten pflege, niitzliche Dienste leisten, besonders wenn ich, um bei dem stets wachsenden Stolfe fiir Anderes Zeit zu gewinnen, auf einzelne, weiter ausgefuhrte Abschnitte ver- weisen kann. Es wiirde mich jedoch die blosse Biicksicht auf den Gebrauch fur Vorlesungen zur Ausarbeitung und Heraus- gabe dieses Lehrbuchs nicht bestimmt haben, wenn ich nicht annehmen diirfte, es sei an sich geeignet, die theologische Dis¬ cipline welche der Gegenstand desselben ist. in ilirer wissen- schaftlichen Ausbildung einige Schritte weiter zu iuhren. Lehrbiicher, wenn sie so abgefasst sind, wie ihr Beg rill' und Zweck es erfordert, sollten hauptsachlich der Maasstab sein, nach welchem der jedesmalige Stand der Ausbildung einer Wissenschaft bemessen werden kann. Da sie den Zweck haben, die Wissenschaft, welche sie betrelfen, nach Lmfang und Inhalt so iibersichtlich ais moglich darzustellen, so konnen sie in materieller Hinsicht grdsstentheils nur Re- sultate geben, um so mehr aber sollte ihr Bestreben darauf gerichtet sein, durch genaue Darlegung der Methode, welche der Behandlung im Ganzen zu Grunde Jiegt, und der allge- meinen Grundsatze und Ansichten, auf deren Grundlage der A 2 IV Vorrede der ersten Ausgabe. Aufbau ties Ganzen beruht, in den geistigen Organismus der Wissenscliafi, welche dargestellt werden soli, so klar als moglich hineinsehen zu Jassen. Nach diesein leitenden Gesichtspunkte ist das gegen- wartige Lehrbuch ausgearbeitet. In seinem materiellen Theile gelit es zwar in alle spe- ciellen Fragen ein, aber immer nur soweit als noting ist, lira die Hauptmomente, welche bei jedem einzelnen Dogma in jeder Periode der Dogmengeschichte festzuhalten sind, so viel moglich auf ihren klaren und bestimmten Ausdruck zu bringen. Um Alles, was dahin gehort^ in eine kurze Uebersicht zusainmenzudrangen, sind sebr oft, besonders bei bekannten Materien, blosse Andeutungen gegeben. Das Lehr¬ buch beschrankt sich somit in dieser Deziehung, mit gerin- ger Ausnahme, auf die Zusammenfassung der Ilesultate. liesultate kann aber freilich nur geben, wer die speciellen Untersuchungen, auf welchen die Resultate beruhen, selbst vorgenommen hat, und durch eine sorgfaltige Durcharbeitung der ganzen Ouellenliteratur seines Stolls so machtig ge- worden ist, dass er ihm die einem solchen Zwecke ent- sprechende Form geben kann. in dieser Lage glaube ich zu sein; sowohl die Vorlesungen, welche ich nun schon seit zwanzig Jaliren regelmassig uber die Dogmengeschichte gehalten babe, als aucli die seitdem von mir herausgegebe- nen, beinahe auf das gauze Gebiet der Dogmengeschichte, wenigstens alle wichtigeren Theile derselben, sich erstre- ckenden Schriften, mdchten wohl von selbst zu der Krwar- tung berechtigen, ich werde in diesem Lehrbuche keine andere, als eine schon gereiftere Frucht meiner Forschun- gen und Studien geben. Man wird es daher auch ganz na- tiirJich linden, dass ich hauptsachlich nur auf meine friiheren Schriften zuriickgewiesen babe. Andere Schrfiten babe ich selten angefiilirt. und immer nur solche. welche mir beson- ders erwahnungswerth zu sein schienen. Ich halte es fur sehr unzweckmassig, den ohnediess fur ein Lehrbuch so Vorrede der ersten Ausgabe. V kurz zugemessenen Raum grossentheils auf Biichertitel einer mehr oder minder yeralteten Literatur zu verwenden. Der Hauptzweck eines Lehrbuchs der Dogmengeschichte ist jedoch nicht eine solche Zusammenstellung der den spe- ciellen Untersuchungen entnommenen Resultate, sondern dieses Materielle soli nur der gegebene aussere Stolf sein, an welchem der innere Entwicklungsgang, welehen das christliche Dogma in seinem geschichtlichen Verlaufe ge- noinmen hat, dargestellt werden muss. Diesen geschicht- lichen Process, wie er in dem ganzen Zusammenhang sei¬ ner Momente von Periode zu Periode sich entwickelt, und dem Dogma immer wieder seine bestimmte, in charakteri- stischen Ziigen ausgepragte Gestalt gegeben hat, in einer, so viel moglich, gedrangten und klaren Uebersicht darzu- legen, betrachtete ich als meine Hauptaufgabe. Fiir diesen Zweck habe ich sowohl in der allgemeinen Einleitung in die Dogmengeschichte, als auch in der der Geschichte je- der Periode vorangehenden, die den Gang des Dogma be- dingenden, allgemeinen Momente genauer und ausfuhrlicher entwickelt, und uberall A lies hervorzuheben gesucht, was zur allgemeinen Charakteristik einer bestimmten Periode dient und die ganze Gestalt des Dogma in ihr in einem klaren und anschaulichen Gesammtbilde erscheinen lasst. Auch in dieser Reziehung konnte ich grosstentheils nur auf die Darstellungen zuriickgehen, welche ich in meinen frit— heren Schriften gegeben habe, wenn aber diese allgemeinen Momente in meinen bisherigen Darstellungen nur an einzel- nen Dogmen, und fiir den Zweck einzelner, zum Theil sehr specieller Untersuchungen durchgefiihrt werden konnten, so stellen sie sich hier erst in ihrer reinern Form und in dem ganzen Zusammenhang ihrer vielseitigen Beziehungen dar, und es lasst sich demnach auch erst aus einer solchen Dar- stellung bestimmter ersehen, wie alle diese Momente sich zu einander verhalten, sich gegenseitig bedingen und vor- aussetzen, und in dieser Einheit und Totalitat die bewe- VI Vorrede der ersten Ausgabe. gende Macht des ganzen dogmengeschichtlichen Processes sind. Audi hier musste es, ungeachtet der grossern Aus- fuhrlichkeit, mein Hauptbestreben sein, Alles so ubersicht- licli als moglich zusammenzufassen. Nur in einem Punkte erlaubte ich mir, die Grenzen. eines Lehrbuchs etwas freier z 11 tiberschreiten, bei der in der allgemeinen Einleitung (§.6. ) gegebenen Uebersicht fiber die Geschichte der Doginenge- schichte. fell that diess, theils, weil iiberhaupt fur diesen Theil der allgemeinen Einleitung noch sehr wenig gesche- ben ist. theils, weil diess in der unmittelbarsten Beziehung zu dem wesentlichen Zwecke dieses Lehrbuchs steht, den gegenwartigen Stand der wissenschaftlicben Ausbildung der Dogmengescbichte klar vor Augen zu stellen. Je mehr so das gegenwartige Lehrbuch seinen Werth darin haben soil, von einem hoheren Standpunkt geschicht- licher Betrachtung aus eine zusammenhangende, das Ganze umfassende, Uebersicht der Entwicklung des christlichen Dogma zu geben, desto mehr muss ich nun freilich auch darauf gefasst sein, die bekannten Einreden gegen ineine Methode wieder hervorzurufen. Es mag diess sein, nur be- rede man mich nicht, die Sache stehe einfach so, wie kiirz- lich einer meiner geehrten scharfsinnigen Kritiker sie fest- stellen wollte, dass nainlich, wahrend ich nur nach den vorgefassten Ansichten eines speculativen Systems, nur nach einem voraus fertigen Schematismus, welchem alles Ein- zelne sich fiigen niiisse, die Geschichte construire, dagegen in der mir als Muster wahrer Geschichtschreibung vorgehal- tenen Schrift‘) und andern dieser Art ^eine Objectivitat, eine 1) Der Verfasser derselben fand meine Schrift in materieller Hinsicht ganz brauchbar, nur glaubte er ihr, unter Protest gegen meine Mefhode, ihre wis- senscliaftliche Form abstreifen zu mlissen. Es ist diess eine Praxis, welche ich neuestens mehrfach wahrzunehmcn Gelegenheit hatte. Je brauchbarer man die Arbeit eines Andern, ihrem materiellen Inhalt nach, findet, um so mehr sucht man ihr dafiir, in Ansehung ihrer Methode und Richtung, Schlimmes anzu- hangen. Fiigt man sodann auch noch die Versicherung hinzu, man habe lilngst Vorrede der ersten Ausgabe. VII wirkliche Hingabe an den Stoff sich finde, die ihre eigentliche Leistung darin suche, den Fortschritten des Dogma nachzu- forsehen, wie sie die Geschichte gibt.“ Ich wiirde diess nicht erwahnen, vvenn es nicht ein sehr gevvbhnliches IJrtheil ware, aber auch nur ein solches, in welchem sich der grosste Man¬ gel an Sachkenntniss ausspricht. Nur der roheste Empiris- inus kann meinen, dass man den Dingen sich schlechthin hingeben, die Objecte der geschichtlichen Betrachtung nur gerade so nehmen konne, wie sie vor uns liegen. Seitdem es auch eine Kritik des Erkennens, eine kritische Erkennt- nisstheorie gibt (eine solcbe gibt es bekanntlich in jedein Falle wenigstens seit Kant), muss auch Jeder, der nicht ohne alle philosophische Bildung zur Geschichte herankommt, wissen, dass man zwischen den Dingen, wie sie an sich sind, und wie sie uns erscheinen, zu unterscheiden hat, und dass sie zu Erscheinungen fiir uns ehendadurch werden, dass wir nur durch das Medium unseres Bewusstseins zu ihnen gelangen konnen. Hierin liegt der grosse Unterschied zwischen der rein empirischen und der kritischen Betrachtungsweise, und die letztere, welche ebendarum die kritische heisst, weil es ihre Aufgabe ist, was an den Gegenstanden des geschicht¬ lichen Erkennens entweder objectiv oder subjectivist, streng zu scheiden und auseinanderzuhalten, will so wenig an die Stelle des Objectiven etwas bios Subjectives setzen, dass ihr vielmehr Alles daran gelegen ist, nichts, was nur sub- jectiver Natur ist, fiir die reine Objectivitat der Sache selbst scbon dieselben Studien gemacht, sei nicht erst durcli die Arbeit des Vorgan- gers zu der seinigen veranlasst worden, stehe somit auch im Materiellen ganz nur auf eigenen Fiissen, so ist ja jedes Bedenken gegen eine solche Meister- schaft gehoben. Anderes, was ich hier etwa nocli beriihren konnte, wie na- mentlicli die absprechenden Urtheile der beiden Berliner Repertorien, dieser gleich ebenburtigen Sprosslinge des Rhein wALD’schen Stammes, tragt neben dem auffallendsten Mangel an der nothigen Sachkenntniss, zu sehr das Gepriige der, jenem Kreise aus bekannten Ursachen eigenen, theologischen Verdachti- gungsucht an sich, als dass ich es der Miihe werth achten konnte, irgendwie darauf Rucksicht zu nehmen. Alii Vorrede der ersten Ausgabe. zu halten; sie wi 11 nur mit gescharfterem Auge der Sache auf den Grund ihres Wesens sehen. Auf so einfachen Prin- cipien, bei welchen freilich Alles davon abhangt, Avie man sie auf den geschichtlichen Stoff anzuwenden Aveiss, beruht die kritische, oder wenn man will, speculative Methode. Man sollte kaum glauben, dass ein ernstlicher Widerspruch da- gegen erhoben werden kann, und doch mochten jene Empi- riker am liebsten selbst jede philosophische Ausdrucksweise A^erbannen, damit niemand es sich beigehen lasse, von einer objectiven und subjectiven Seite des Dogma zu reden, und endlich sogar noch, Avas freilich vollends das Allerschlimmste ist, beide Momente in Hegel auslaufen zu lassen. Es diirfte ihnen diess schwerlich gelingen, muss man doch auch in an- dern, die Theologie und die Kirche betrelfenden Dingen mehr und mehr die leidige Erfahrung machen, dass es keine so leichte Sache ist, Avie Manche sich vorstellen, gegen den Strom der Zeit und der Geschichte zu schAA r immen. Vorrede der zweiten Ausg-abe. Die zweite Ausgabe des zuerst im Jahr 1847 er~ schienenen LehrbuchS der christlichen Dogmengeschichte ist, was Anlage und Methode betrifft, nach denselben Grund- satzen undGeschichtsanschauungen bearbeitet, wie die erste, welche in der fur diesen Zweck bier wieder abgedruckten Vorrede sich naher dariiber erklarte. Demungeachtet sind die Veranderungen, durch die sich die zweite Ausgabe von der ersten unterscheidet, in materieller und formeller Hin- sicht nicht unbedeutend. Die materielle Erweiterung fallt bei der Vergleichung der beiden Ausgaben von selbst in die Augen. Es war nicht nur die Geschichte des Dogma urn ein voiles Decennium weiter fortzufuhren, sondern auch so Vieles zu beachten, was seitdem durch die neuesten For- schungen zur Bereicherung des Jnhalts der Dogmenge- schichte im Ganzen neu hinzugekommen ist. Ausserdem aber schien es mir auch zweckmassig, die in der ersten Ausgabe sehr eng gezogenen Grenzen der Darstellung fur eine eingehendere Behandlung soweit auszudehnen, als es mit dein Zwecke eines Lehrbuchs sich vereinigen liess, das eine so viel moglich gedrangte Uebersicht iiber die ganze Entwicklungsgeschichte des Dogma geben sollte. Die aus- fiihrlichere und motivirtere Darstellung erforderte von selbst, dass ihr auch die Angabe der wichtigsten Beweisstellen in den Quellen und die hauptsachlich zur Begriindung des Inhalts dienenden Werke der dogmenhistorischen Literatur beige- geben wurde. Es ist diess jedoch iiberall nur mit der Aus- wahl des Bedeutendsten und mit moglichster Vermeidung Vorrede der zweiten Ausgabe. eines nicht zur Sache selbst gehorenden und wenigstens fiir den Zweck des Lehrbuchs als entbehrlich erscheinenden Apparates geschehen. Neben dieser Erweiterung des Inhalts wird das Lehrbuch in seiner neuen Gestalt, wie ich hoffe, auch in formeller Hinsicht die verbessernde Hand einer zwei¬ ten Ausgabe nicht yerkennen lassen. In dieser Beziehnng war mein Bestreben vorziiglich darauf gerichtet, nicht nnr uberhaupt eine soviel inoglich klare und pracise, auch durch die Gleichmassigkeit der Behandlung die Uebersicht erleich- ternde Darstellung zu geben, sondern auch iiherall insbe- sondere die Punkte hervorzuheben, die vor allem aufgefasst werden miissen, um dem innern Gang und Zusammenhang der Entwicklung mit richtiger Einsicht zu folgen, dem ur- spriinglichen, die dogmatischen Bestimmungen aus sich er- zeugenden Gedanken in seiner Entstehung und Fortbildung denkend nachzugehen, und voraus schon die Resultate im Auge zu haben, in welche die einmal genommene Richtung, der Natur der Sache nach, zuletzt auslaufen muss. Im Zu- j sammenhang damit ist es dem Lehrbuch ganz besonders auch darum zu thun, die Geschichte des Dogma durch alle Perio- den hindurch bis zu seiner neuesten Gestaltung in der Ge- genwart mit demselben Interesse an seiner geschichtlichen Entwicklung herabzufiihren. Vergleicht man die neuesten dogmengeschichtlichen Darstellungen, so mochte man bei- nahe glauben, sie rechnen die neuere und neueste Zeit, je naher sie ihr koinmen, um so weniger zum eigentlichen Gebiet der Dogmengescliichte. Entweder bleiben sie schon an der Schwelle der Reformationsperiode stehen, wie diess bei den neuesten dogmenhistorischen Werken von Gieseler und Neander der Fall ist, oder wenn sie liber sie bis in die neueste Zeit herabgehen, wird wenigstens die Darstellung allmahlig immer kiirzer und summarischer, indifferenter, matter und farbloser, wie wenn sie sicli scheute, die Spitze der Fragen, um die es sich in der Gegenwart handelt, zu beriihren, sic lieber umgehen und auf die Seite schieben, Vorrede der zweiten Ausgabe. XI als ihnen entgegentreten mochte. Die DarsteJlung bewegt sich so grossentheils in Ausdriicken mid Wendungen fort, die absichtJich nor dazu gewahlt zu sein scheinen, um zwi- schen den Gegensatzen in einer sie neutralisirenden, das Concrete and Specitische verwischenden nnd zu einer ab~ strakten Allgemeinheit verflachenden Mitte, rait Vermeidung eines bestimmten und entschiedenen, in die Sadie selbst eingehenden UrtheiJs und mit der leeren Vertrostung auf eine fur die Zukunft in Aussicht gestellte Lbsung so vor- sicbtig und glucklich als moglich bindurchzusteuern. Sehr zu Statten kommt dabei die beliebte, in der neuesten Zeit hauptsachlich von der Schleiermacher’schen Glaubenslehre entlehnte, aber gerade auf geschicbtliche Darstellungen am wenigsten anwendbare JVIethode, einem moglichst kurz ge- fassten Text Amnerkungen und Erlauterungen beizugeben, in welchen man in deinselben Verhaltniss, in welchem man in jenem nur an das Allgemeinste sich halt, sich um so inehr in Einzelnheiten ergeht, eher zu viel als zu wenig gibt, und in einem bunten Aggregat von literarischen und kirchen- historischen Notizen, Citaten aus neueren Schriften, jeden nach Belieben vvahlen Jasst, was ihm gefallt. Das vorlie- gende Lehrbuch macbt es sich zur Aufgabe, nicht nur in einer zusaminenhangenden, alle wesentlichen Momente zur Einheit verkniipfenden, in sich vollstandigen und alles Fremd- artige ausschliessenden Darstellung ein so concretes und anschauliches Bild der verscbiedenen Gestalten des Dogma, als es in der Kiirze geschehen kann, zu geben, sondern auch in die Gegensatze, (’ont’^oversen und schwebende Fragen der Gegenwart so einzugehen, dass das aus der gesammten Entwicklung iiber den neuesten Stand des Dogma sich ergebende Urtheil von selbst sich klar genug heraus- stellt. Die gegenwartige Zeit hat, hei alien abstossenden Er- scheinungen auf dem Gebiete der Kirche und Wissenschaft, wenigstens das Gute, dass es ihr nicht an Sinn und Inter- XII Vorrede der zweiten Ausgabe. esse fiir geschichtliche Wahrheit und die reine und unbe- fangene Erforschung derselben fehlt. In diesem Vertrauen iibergebe ich hier das anfs Neue mit keinem andern An- spruch als dera der einfachen geschichtlichen Wahrheit er- scheinende Buch deni Publicum, als das kurzgefasste Er- gebniss vieljahriger Studien in einer Wissenschaft, welche an alle Parteien die gleiche Aufforderung ergehen lasst, aus ihr das belehrende und richtende Wort der Vergangenheit zu yernehmen und es zur priifenden Selbsterkenntniss nicht unbeachtet zu lassen. Tiibingen, im Juni 1858. I n h a 11. E i n 1 e i t u n g. §. 1. Die Aufgabe tier Einleitung ...... §. 2. Das Verhaltniss derDogmengeschichte zurKirchengeschichte und Dogmatik ......... §. 3. Das Object der Dogmengeschichte . ... . §. 4. Die Methode der Dogmengeschichte . . . . . §. 5. Das Verhaltniss der Dogmengeschichte zur Geschichte der Philosophic ......... §. 6. Die Geschichte der Dogmengeschichte . I. Die Periode vor der Reformation . II. Die Periode seit der Reformation ..... 1. Die dogmatisch-polemische Periode . 2. Die pragmatische und rationalistische Periode . 3. Die wissenschaftlich methodische Periode . §. 7. Das Interesse an der Dogmengeschichte . Erste Hauptperiode. Von der apostolischen Zeit bis zum Elide des sechsten Jahrhunderts. Das Dogma der alten Kirche oder die Substanzialitat des Dogma ...... §. 8. Einleitung ......... Brute Hauptperiode. Erster Abschnitt. Von der apostolischen Zeit bis zur Synode in Nicaa . Einleitung . .. §. 9. Judaismus, Ebionitismus, Paulinismus . . . . §. 10. Die Gnosis .. Seite 1—60 1 1—3 3—8 8—15 16—19 19—58 22—28 28—58 30—37 37—45 46—58 58—60 61 — 197 61 —62 63—140 63—86 63—67 67—72 XIV I n h a 1 t. Die drei Hauptformen ...... §.11. Die Bedeutung der Gnosis fur das Dogma. Die Hiirese §. 12. Glaube und Wissen. Das System .... §. 13. Die Logos-Idee ........ §. 14. Die Synoden ........ §. 15. Die Kirchenlehrer ....... 1. Die apostolischen Vater ..... 2. Die Apologeten ....... 3. Die iibrigen Kirchenlehrer ..... GeschichtederApologetik . §. 16. BegrifF der Apologetik ...... §. 17. Apologetik gegen das Judenthum .... §. 18. Apologetik gegen das Heidenthum .... 1. Die Gegner ........ 2. Die Einwendungen und ihre Widerlegung 3. Die positiven Beweisgrtinde ..... 4. Die Angriffe der Apologeten auf das Heidenthum . §. 19. Lehre von Tradition und Schrift .... §. 20. Kanon und Inspiration ...... Gescliichte der einzeluen Dogmen . §.21. Lehre von Gott ........ 1. Die gnostische Idee Gottes ..... 2. Die alexandrinische Idee Gottes .... 3. Der realistische GottesbegrifF .... Die Eigenschaften Gottes ..... §. 22. Lehre von der Dreieinigkeit ..... §. 23. Lehre von der Welt, ihrer Schopfung und Regierung . §. 24. Lehre von den Engeln und Damonen .... §. 25. Lehre vom Menschen. 1. Die Natur des Menschen iiberhaupt 2. Der Sundenfall ....... 3. Die Siindhaftigkeit des Menschen .... §. 26. Lehre von der Person Christi ..... §.27. Lehre von der Erlosung und Versohnung . §. 28. Lehre vom Glauben und der subjectiven Aneignung des Er losungsheils ........ §. 29. Lehre von der Taufe und dem Abendmahl als den ausseri Mitteln zur Aneignung des Heils .... §. 30. Lehre von der Kirche ...... §. 31. Lehre von den letzten Dingen ..... 1. Der Zustaud zwischen dem Tod und der Auferstehung Seite 70—72 72—74 75—77 77—79 79— 80 80— 86 80—83 83— 84 84— 86 86—99 86 87 — 88 88 — 94 88— 89 89— 92 92—94 94 94—97 97—99 99—140 99 — 104 100—101 101 101 — 103 103 — 104 104—112 112 — 118 118—121 121 — 123 123— 124 124— 126 126 — 130 130—132 132—134 134—136 137 — 138 138—140 138—139 I n h a 1 t. XV 2. Lehre von der Auferstehnng ...... 3. Weltgericht, Seligkeit und Verdammniss Erste Hauptperiode* Zweiter Abschnitt. Von der S y n o d e in N i c a a bis zum E n d e d e s s e e h s t e n Jakrhun derts Einleitung §. 32. Die Fortentwicklung des Dogma .... §. 33. Der Arianismus und die Homousie .... §. 34. Der Gegensatz der antioclienischen und der alexandrini schen Theologie ....... §. 35. Der Augustinismus ....... §. 36. Die Philosophie und das Dogma. Glaube und Wissen §. 37. Das System der Theologie ...... §. 38. Die Kirchenlehrer und ilire Schriften .... 1. Die griechischen ....... 2. Die lateinischen ....... Geschichte der Apologetik .... §. 39. Der Fortschritt der Apologetik ..... §. 40. Lehre von der Schrift und Tradition .... Geschichte der Dog men §. 41. Lehre von Gott ....... §. 42. Lehre von der Dreieinigkeit ..... I. Die Lehre vom Sohn in seinem Verhaltniss zum Vater 1. Der arianische Lehrbegriff .... 2. Der nicanisch-athanasianische Lehrbegriff 3. Der semiarianische Lehrbegriff .... II. Die Lehre vom heiligen Geist .... III. Der Begriff des Trinitatsverhaltnisses liberhaupt IV. Weitere Momente der Geschichte der Trinitatslehre 1. Marcellus von Ancyra und Photinus von Sirmium 2. Augustin ........ 3. Joh. Philoponus ...... §. 43. Lehre von der Schopfung und Vorsehung . §. 44. Lehre von den Engeln und Damonen .... §. 45. Lehre von der Person Christi ..... §. 46. Lehre vom Menschen, von der Siinde, der Freiheit und del Gnade .......... A. Die Natur des Menschen uberhaupt .... B. Der Ursprung der Siinde u, die Siindhaftigkeit des Menschen Seite 139—140 140 141- 141- 141- 143- 144- 146- 149- 151- 153- 153- 154- 155- 155- 157- 160- 160- 163- 163- 163- 164- 165- 166- 168- 168- 169- 170- 172- 173- 178- 178- 179- -197 -155 -143 -144 -146 -149 -151 -152 -155 -154 -155 -160 -157 -160 -197 -163 -170 -166 -164 -165 -166 -167 167 -170 168 -169 -170 -172 -173 -178 -188 ■179 •188 XVI I n li a 1 t. I. Die Lehrbegriffe des Pelagius und Augustin . • 1. Die Lehre von der Siinde nach Pelagius und Augustin 2. Die Lehre von der Freiheit und Gnade nach Pelagius und Augustin. II. Der Semipelagianismus .. §. 47. Lehre von der Erlosung ....... §. 48. Lehre vom Glauben ........ §. 49. Lehre von den Sacramenten ...... 1. Die Taufe ......... 2, Das Abendmahl ........ §. 50. Lehre von der Kirclie ....... §.51. Lehre von den letzten Dingen ...... Zwefte Hauptperiode. Vom Anfang des siebenten Jahrhunderts bis zur Reformation. Das Dogma des Mittelalters, oder das Dogma des in sich reflectirten Bewusstseins §. 52. Der Charakter der zweiten Hauptperiode . Kweite Haiiptperiode* Erster Abschnitt. Vom Anfang des siebenten Jahrhunderts oder Gregor I. bis zum Anfang der Scholastik odei Anselm von Canterbury Einleitung §. 53. Die Uebergangsperiode .... §. 54. Johannes Scotus Erigena und der Platonismus §. 55. Das System ...... §. 56. DasSchisma der orient, griechischen und der Occident, schen Kirche ...... §. 57. Die Kirchenlehrer und ihre Schriften §.58. Geschichte der Apologetik . , Geschichte der Dogmen §. 59. Lehre von Gott ..... §. 60. Lehre von der Dreieinigkeit §. 61. Lehre von der Schopfung und Vorsehung §. 62. Lehre von den Engeln und Damonen §. 63. Lehre vom Menschen .... §. 64. Lehre von der Person Christi , , von b i s romi Seite 179—185 179—183 183—185 185—188 188—190 191— 192 192— 195 193— 194 194— 195 195— 196 196— 197 198—271 198—200 201 — 220 201—206 201—203 203 — 204 204 204— 205 205— 206 206— 207 207— 220 207 207 — 208 208 — 209 209 209— 210 210— 213 I n h a 11. xvn 1. Der Monotheletismus ..... 2. Der Adoptianismus ..... §. 65. Lehre von der Erlosung mid Versohnung §. 66. Lehre von der Gnade und Predestination . 1. Die Lehre Gottsclialk’s .... 2. Die Lehre Hinkmar’s und des Rabanus Maurus 3. Die Lehre des Joh. Scotus Erigena §. 67. Lehre von den Sacramenten .... §. 68. Lehre von den letzten Dingen .... Seite 210—212 212 — 213 213 — 214 214— 217 215— 216 216 * 216 — 217 217 — 220 220 Zweite Maitptperiode. Zweiter Abschnitt. Vom An fang der Scholastik bis zur Reformation E inlei tun g . §. 69. Das Wesen der Scholastik .... §. 70. Die erste Periode der Scholastik. Ihre Methode §. 71. Die zweite Periode. Die Systeme der Scholastik §. 72. Die dritte Periode. Der Yerfall der Scholastik . §. 73. Der Gegensatz des Nominalismus und Realismus, das Ver- haltniss der Scholastik zur Philosophie §. 74. Die Mystik ...... §. 75. Die systematisirende Tendenz der Scholastik §. 76. Dogmatiker der griechischen Kirche §. 77. Die Hauptwerke der Scholastiker Geschichte der Apologetik . §. 78. Die Hauptmomente der Apologetik. Vernunft und Offen- barung ........ §. 79. Schrift und Tradition ..... Geschichte der Dograen §. 80. Lehre von Gott ...... §. 81. Lehre von der Dreieinigkeit .... §. 82. Lehre von der Schopfung und Regierung der Welt §. 83. Lehre von den Engeln und vom Teufel §. 84. Lehre vom Menschen ..... §. 85. Lehre von der Person Christi .... §. 86. Lehre von der Erlosung und Versohnung §. 87. Lehre von der Gnade, von dem Glauben und von den 221 — 271 221—240 221 — 223 223 — 225 225—229 229—232 232—234 235 — 236 236—237 238 238—240 240—245 240—243 243—245 245—271 245 — 250 250—253 253—255 255— 256 256— 258 258— 259 259— 262 Werken . ... . §. 88. Lehre von den Sacramenten §. 89. Lehre von der Kirche §. 90. Lehre von den letzten Dingen . 262 — 266 266—269 269— 270 270— 271 Baur, Dogmengeschichte. B XVIII I n h a 1 t. Dritte Ifauptperiode. Von der Reformation bis in die neueste Zeit. Das Dogma der neuern Zeit, oder das Dogma und das freie Selbs tbewusstsein . Einleitung. §. 91. Die Reformation und das Princip des Protestantismus in seinem Gegensatz zum Katholicismus . Britte ffaiiptperiode# Erster Abschnitt. Von der Reformation bis zum Anfang des achtzehnten Jabrhunderts Einleitung . §. 92. Der Unterscbied des lutlieriseben und des reformirten Lehr- begriffs .......... §. 93. Der Socinianismus ........ §. 94. Die Entwicklung des protestautischen Princips innerhalb der lutherischen Kirche ....... §. 95. Die Entwicklung des protestantischen Princips innerhalb der reformirten Kirche ....... §. 96. Die Construction des Systems ...... §. 97. Theologie und Philosophic ...... §. 98. Hauptquellen fur die Geschichte des Dogma GeschichtederApologetik §. 99. Vernunft und Offenbarung ...... §. 100. Das protestantische Schriftprincip . . . . . §. 101. Die Inspiration der Schrift ...... Geschichte der Dogmen §. 102. Lehre von Gott §. 103. Lehre von der Dreieinigkeit ...... §. 104. Lehre von der Schopfung und Vorsehung §. 105. Lehre von den Engeln und vom Teufel . §. 10G. Lehre vom Menschen ....... I. Lehre vom urspriinglichen Zustand des Menschen II. Lehre von der Siinde und Gnade . . . . 1. Der Gegensatz des Katholicismus und Protestan¬ tismus ......... 2. Weitere Entwicklung in der protestantisch lutheri¬ schen Kirche ....... Seite 272 — 396 272 — 278 272 — 278 279—342 279—294 279—284 284—285 285 — 289 289—291 291 — 292 293 293—294 295—302 295—297 297 — 299 299—302 302—342 302 — 304 304—308 308—309 309 — 310 310 — 319 310 311— 319 311 — 312 312— 313 I n h a 11. XIX Seite 3. Entwicklung der Lehre in der reformirten Kirche . 313—319 4. Lehre der Socinianer und Arminianer . . . 319 §. 107. Lehre von der Person Christi ...... 319—325 §. 108. Lehre von der Yersohnung ...... 326—330 §. 109. Lehre von der Rechtfertigung und vom Glauber. . . 330—335 §. 110. Lehre von den Gnadenmitteln ...... 335 1. Das Wort Gottes ....... 335—337 2. Die Sacramente ........ 337—340 a. Die Taufe ........ 338 b. Das Abendmahl ....... 338—340 §. 111. Lehre von der Kirche ....... 340—342 §. 112. Lehre von den letzten Dingen ...... 342 Dritte Haiiptperiode* Zweiter Abschnitt. Vom Anfang des achtzehnten Jahrhunderts bis zur neuestenZeit Einleitung. §. 113. Der Umschwung des protestantischen Bewusstseins . §. 114. Der Pietismus und der Rationalismus . . . . §. 115. Der Deismus und der Naturalismus . §. 116. Die Kritik ......... §. 117. Die Philosophic ........ §. 118. Kant, Fichte, Schelling ....... §. 119. Der Gegensatz des Rationalismus und Supranaturalismus. Schleiermacher ........ §. 120. Die speculative Tlieologie ...... §. 121. Die Gegensatze der Gegenwart . §. 122. Werke aus der dogmatischen Literatur zur Bezeichnung der verschiedenen Richtungen ...... GeschichtederApologetik §. 123. Die Apologetik als Religionsphilosophie . §. 124. Lehre von der Offenbarung ...... §. 125. Lehre vom Kanon und der Inspiration . Geschichte der Dogmen §. 126. Lehre von Gott ........ §. 127. Lehre von der Dreieinigkeit ...... §. 128. Lehre von der Schopfung und Vorsehung §. 129. Lehre von den Engeln und vom Teufel . §. 130. Lehre von der Natur des Menschen, oder von der Siinde . 343—396 343—358 343— 344 344— 346 347 347—349 349— 350 350— 351 351— 354 354—356 356—357 358— 359 359— 367 359— 360 360— 363 363—367 367—396 367— 368 368— 370 370— 371 371— 372 372— 376 XX I n h a 1 t. Seite §. 131. Lehre von der Person Christi . • • • • 377—385 §. 132. Lehre. vom Werke Christi • • • • 385—388 §. 133. Lehre von der Rechtfertigung . • • • • 389—390 §. 134. Lehre von der Gnade, den Gnadenwirkungen und der Pra- destination ..... • t • • 391—393 §. 135. Lehre von der Kirche • • • • 393—394 §. 136. Lehre von den Gnadenmitteln . • • • • 394—395 §. 137. Lehre von den letzten Dingen . • • • • 395—396 *siire.ETo:7 O LO ( .> j \v ^ * '■■ ^■Viry^ ,._ 0 «, V * » u~-' ' . y ,-,' fc) Vi ^ - -ii « E i n 1 e i t u n g. §. l. Die liifgabe der Kinleittiug’* Die Einleitung in die christliehe Dogmengeschichte hat vor allem iiberhaupt den Begriff derselben zu entwickeln und festzii” stellen. Hire Aufgabe ist es daher, vorerst iiber die Stellung zu orientiren, vvelche die christliehe Dogmengeschichte, als Theil der christlichen Theologie, in dem Organismus der theologischen Disci— plinen einnimmt, sodann sowohl das Object, mit welchem sie sich beschaftigen muss, als auch die Methode, nach welcher sie es be- handeln soli, zu bestimmen. Yeranlasst dadurch zur weitern Aus- dehnung ihres Gesichtskreises kann sie die Frage nicht umgehen, vvie sich die christliehe Dogmengeschichte, als Theil der allgemeinen Entwickelungsgeschichte des menschlichen Geistes, zu der ihr ver- wandlen Geschichte der Philosophic verhalt. Endlich hat sie auch noch naher darzulegen, auf welcher Stufe der wissenschaftlichen Ausbildung die Dogmengeschichte als Wissenschaft in der neuesten Zeit steht, was sie nur durch einen Riickblick auf ihre Entstehung und die verschiedenen Formen, durch welche sie seitdem hindurch- gegangen ist, so wie durch eine Kritik der wichtigsten Bearbeitun- gen, sei es des Ganzen, das sie umfasst, Oder einzelner bedeu- tenderer Theile, thun kann. In alien diesen Momenten zusammen besteht sowohl der BegrifT der Dogmengeschichte, als auch das geistige Interesse ail derselben. §. 2 . Das Verlialtiiiss der Dogmeiigescliiclate zwr Dirclien* gescliicltte ttml Dogriiiatik. Die christliehe Dogmengeschichte ist ein integrirender Bestand- theil des Organismus der theologischen Disciplinen, und zwar nimmt Baur, Dogmengeschichte, i 2 Einl eitung. §. 2. sie in demselben eine um so vvichtigere Stelle ein, je grosser die Bedeutung ist, die ihr Object hat, als die substanzielle Grundlagp, auf welcher Stadien und jede endet zuletzt mit einem alle einzelnen Kichtungen in sich auflbsenden Synkretismus und einem allgemeinen Zusammcnsinken. 56 Einlcitung. §. 6. mer noch unvollkommen gelbste Aufgabe vor sich. Sie kann, wenn die Methode ihrer Behandlung die rein wissenschaftliche sein soil, nur dadurch ihrer endlichen Ldsung naher gebracht werden, dass man von der Aeusserlichkeit und Zufalligkeit der Erscheinungen zu dem Begriffe der Sacbe sclbst, von der empiriscben Betrachtungs- weise zu der speculativen, die Sacbe, wie sie an sich ist, in’s Auge fassenden, oder von den particularen Geistesrichtungen, wie sie nur Gegenstand der psychologischen Beflexion sind, zum Wesen des Geistes selbst fortzugehen sicb bestrebt. Sehen wir auf den Gang zuriick, welclien die Dogmengeschicbte seit der Reformation ge- nommen bat, so kbnnen wir mit Recbt sagen, die beiden Richtun- gen, in welche sie sich als katholische und protestantische getheilt hat, haben sich noch nicht vollkommen zur organischen Einheit durchdrungen und zusammengeschlossen. Auch die katholische An- sicht von der Geschichte des Dogma hat ilire im Wesen der Sache selbst gegriindete Wahrheit. Es muss ein Allgemeines geben, des- sen mit sich identische Einheit das substanzielle Princip allerGestal- tuimen des Domna ist. Darum muss nun auch Alles, was sich aus dem Dogma entwickelt haben soli, als eine der Einheit des Dogma immanente Bewegung begrilfen werden konnen. Auf der andern Seite aber ist es eine nicht minder im Wesen der Sache begrtindete Forderung, dass es in der Einheit des Dogma auch zu einem Unter- schiede kommt, welcher weit genug ist, um nicht nur der Indivi¬ dualist der Subjecte freien Raum zu gewahren, sondern auch jedes Moment des sich selbst bewegenden Begritfs zu seinem Recbt und zurRealitat seines Daseins kommen zu lassen. Hierin liegt der Grund der Einseitigkeit und Beschranktheit, welche die katholische Ansicht von der Geschichte, der protestantischen gegeniiber, an sich hat, dass sie so Vielem, das auch aus dem substanziellen Grunde des Dogma hervorgegangen ist, die Freiheit seiner Bewegung nicht ge- stattet, und ihm die Bereclitigung seiner Existenz abspricht, oder es fiir haretisch erklart. Die Grenze ihres o-eschichtlichen Beoreifens o o ist da, wo sie dieMbglichkeit nicht mehr vor sich sielit, das, was sich von der Einheit der katholischen Kirche losgetrennt hat, auf wel- chem Wege es auch sei, in sie wieder zuruckzudrangen. Gibt es daher Erscheinungen, welche trotz des Widerspruchs der katholischen Kirche die Realitat ihrer Existenz behaupten, so kann sich der ka¬ tholische Geschichtschreiber im besten Fall nur schweigend und igno- Die Geschichte der Dogmengeschichte. 57 rirend verhalten, er hat mit derEpoche der Reformation einen Punkt erreicht, wo ihm in dem Geg-ensatz des Protestantismus eine jedes weitere geschichtliche Verstandniss hemmende Schranke gesetzt ist, die es ihm immoglich macht, dem Gang der Geschichte noch weiter nachzugehen Wie die katholische Geschichtsanschauung in Ge- 1) Hierin liegt der Grand, warum die katholisclien Dogmenhistoriker sich auch schon einer Periodisirung der Dogmengeschichte enthalten, sie beschrei- ben ihr Gebiet nur nacli der dogmatischen Folge der einzelnen Leliren, wie schon Petau, so neuestens auch Klee in dem Lehrbuch der Dogmengeschichte in 2 Bdn. 1837 — 38, das iiberhaupt in Vergleichung mit dem Werke Petau’s einen sehr anschaulichen Begriff von der stets sich gleich bleihenden katholi- schen Behandlung der Dogmengeschichte geben kann. BeiManchen, sagt Klee 1. S. 7, habe die Dogmengeschichte einen iibeln Klang, als Averde damit die Ursprdnglichkeit und Stabilitat der christlichen Doctrin verlaugnet, allein die Nothwendigkeit der Dogmengeschichte sei so klar, wie ihre Moglichkeit, die Wissensehaft konne es sich nicht erlassen, der Entwicklung derDogmen nach¬ zugehen, die Dogmen mit ihrer Geschichte zu erfassen, so nur sei das wissen- schaftliche Bewusstsein von den Dogmen ein wahrhaftiges, mit seinem Object ubereinstimmendes. Diess lautet so wissenschaftlich, als es der Protestant wiinschen kann, aber man sehe nun auch, wie der katholische Dogmenhisto- riker, um seinem wissenschaftlichen Bewusstsein zu geniigen, der Entwicklung des Dogma nacligeht. Der Entwicklung des Dogma nacligehen heisst alle das Dogma betreffenden Erscheinungen in ikrem Verhaltniss zu einander so auf- fassen, dass man das Zufallige, Veranderliche, Vergangliche an dem Dogma von seinem wahren substanziellen Wesen unterscheidet, und es ebendadurcli seinem Wesen nacli begreift. Auf diese Weise gelit man der Entwicklung des Dogma in der ganzen Periode vor der Reformation nach, wenn man sieht, wie gegen das als kirchliche Lehre geltende Dogma nichts Anderes aufkommen kann, wie alles, was davon abAveicht, und sich in Gegensatz zu ihm setzen will, der iiberwiegenden, alles bewaltigenden Einheit des Dogma unterliegen muss, so dass alles dieser Art, wie es entstandcn ist, auch Avieder in sich zer- fallt. Kann aber auch der Protestantismus unter derselben Anschauung der alle Haresen in sich zurucknehmenden Einheit des Dogma begriffen werden? Hier ist die Ivlippe, an welcher diese ganze Geschichtsbetrachtung scheitert. Auf der einen Seite ist der Protestantismus eine zu bedeutende Ersclieinung, als dass nicht auch der katholische Dogmenliistoriker in ihm einen epocliema- chenden Entwicklungspunkt der Geschichte erblicken mtisste, und doch konntc auf der andern das Epochemaehende eben nur darin erkannt werden, dass der entstandene Gegensatz die Einheit des Dogma durchbrochen hat. Darum ver- meidet man es am liebsten, uberhaupt der Geschichte so weit nachzugehen, und spricht, soweit man den Protestantismus nicht ganz ignoriren kann, Avenig- stens nur A r on einzelnen Lehren, Avie von andern liingst verschollenen Haresen, um sich auch lerner der Illusion seines wissenschaftlichen Bewusstscins a on 58 Einleitung. §. 7. massheit Hires Princips liber die substanzielle Einheit des Dogma nicht hinwegkommen kann, so konnte die protestantisclie sich nur auf der entgegengesetzten Seite daliin verlieren, dass sicli ihr die substanzielle Einheit des Dogma in die unendliche Vielheit indivi— dueller Vorstellungen und Meinungen auflost, und die gauze Ge- schichte des Dogma der Subjectivitat anheimzufallen scheint. Die objective Geschichtsanschauung kann dahernur diejenige sein, welche von der Einseitigkeit der beiden Extreme gleich fern bleibt, und die beiden divergirenden Richtungen in ihrer innern Einheit als die bei¬ den zusammengehorenden Seiten desselben geistigen Processes zu begreifen weiss. Je mehr cs den weitern Bearbeitungen der Dog- inengeschichte gelingt, in dem geschichtlichen Yerlaufe des Dogma diesen im Wesen des Geistes gegrfindeten Process nachzuweisen und zur klaren Anschauung herauszustellen, desto mehr vollzieht sie dadurch ihren wissenschaftlichen Begriff. §. 7 . SBias Suteresse an der Dogmeeageseliiclite. Nach allem demjenigen, was in dem Voranstehenden fiber den Begriff und das Wesen der Dogmengeschichte enthalten ist, ware es iiberflfissig, die Frage fiber ihren Werth und ihre Bedeutung noch zumGegenstande eincr besondern Erorterung zu machen. Unstreitig lasst sich nach verschiedenen Seiten hin und von verschiedenen Ge- sichtspunkten aus fiber den Werth und Niitzen, welchen dogmen- geschichtliche Studien theils ffir den allgemeinen Zweck derBildung, theils ffir den besondern Beruf des Theologen und namentlich auch in praktischer Beziehung haben, unendlich vielWahres und Schemes sagen O, aber das hochste und unmittelbarste Interesse kann immer der Einheit des Dogma hinzugeben. Wall rend dalier fiir die protestantisclie Geschichtsanschauung erst mit der Reformation die GescliiclitC in ihre lebens- vollste und inhaltsreichste Bcwegung eintritt, begegnet uns dagegen in jeder aclit katholischen Dogmengeschichte nur die geistlose Monotonie eines ewigen Einerlei von Satzen, in welchen alleLehrer derKirche nur mit andern Worten immer wieder dasselbe sagen und mit gleicher Verachtung alles, was nicht in denselhen Ton einstimmt, als heillose lliirese von sich weisen. 1) Man vgl. hieruber besonders Iuluen, der Werth der christlichen Dog- mengeschichtc. Lcipz. 1817. Das Interesse an dcr Dogmengeschiclitc. 59 nur aus ihrem Begriffe im Ganzen hervorgehen. 1st es das Wesen des Geistes selbst, das in der Geschichte desDogma sich aufschliesst imd darlegt, so kann auch das Interesse an ihr nur darin bestehen, dass man in ihr den Wegen nachgebt, welche der Geist selbst, in seiner Entwickelung im Grossen, in den verschiedenen Richtungen seiner stets fortschreitenden Bewegung gegangen ist, inn zum Be- wusstsein liber sich selbst und liber die hochsten Interessen, die das geistige Leben bedingen, zu kommen. Was die Geschichte iiberhaupt ist, als der ewig klare Spiegel, in welchem der Geist sich selbst anschaut, sein eigenes Bild betrachtet, um was er an sich ist, auch fur sich, fiir sein eigenes Bewusstsein zu sein, und sich als die bowegende Macht des geschichtlich Gewordenen zu wissen, das concentrirt sich in dem engern Gebiete der Dogmengeschichte zu einer um so intensivern Bedeutung. Dieses allgemeine geistige In¬ teresse, wie an der Geschichte Iiberhaupt, so besonders an der Ge¬ schichte des Dogma, kann sich auf doppelte Weise modificiren, je nachdem es vorzugsweise entweder auf den allgemeinen, stets sich gleich bleibenden substanziellen Inhalt der geschichtlichen Bewe¬ gung, oder auf den nie ruhenden Wechsel geschichtlicher Formen, in welclien jenes Allgemeine vollig unterzugehen scheint, gerichtet ist. Es ist die Aufgabe der geschichtlichen Betrachtung, das eine Interesse immer wieder zu dem andern in das der Natur der Sache entsprechende Verhaltniss zu setzen. Muss in einer Zeit, in welcher das Dogma in dem Zerfall seiner zeitlichen Form sich in sich selbst aufzulosen scheint, das besondere Zeitinteresse um so mehr auf das Allgemeine, liber den zeitlichen Wechsel Hinausliegende gehen, so wird dagegen eine andere Zeit, in welcher Bestrebungen sich her- vorthun, die das Vergangliche am Dogma, das schon Entschwundene und der Yergangenhcit Anheimgefallene als das an sich Unverander- liche, fiir alle Zeiten unverriickt Feststehende festhalten wollen, das zum besondern Gegenstande ihres Interesses zu machen habeu, was auch an dem Bleibenden und Stehenden nur als ein Moment der Be¬ wegung und als die Macht cines immer weiter fiihrenden Fortschritts erkannt werden kann. Denn vergeblich ist es, — diese Lehre gibt der Geschichte des Dogma in einer Zeit, wie die gegenwartige ist, immer wieder ihr besonderes Zeitinteresse, — was eimnal in der innern Werkstatte des denkenden Geistes, in deren Betrachtung das tiefere Studium der Dogmengeschichte einfiihren soil, von dem den- 60 E in lei tun g. §. 7. kenden Bewusstsein sicli abgelost lvat, durcli welche Macht cs aucli geschehen mag, inFormen festhalten zu wollen, zu welchen der in ihnen sich selbst ausserlich gewordene Geist kein inneres Selbst- vertrauen mehr liaben kann; vergeblich, dem denkenden Geist den Gedanken nehmen zu wollen, der einmal ausgesprochen, zu einer Macht fiir ihn selbst geworden ist, und durch die Nothwendigkeit des Denkens zu einem Princip des Zeitbewusstseins sich erhebt, in welchem Alles, was in den aussern Formen des zeitlichen Daseins Bestand haben soil, seinen letzten Haltpunkt liaben muss. Erste Haiiptpcriode. Von der apostolischen Zeit bis zum Ende des sechsten Jahrliunderts. Das Dogma der alien Kirche, Oder die Substanzialitat des Dogma. §. 8 . Einleitun^. Der Gesichtspunkt, aus welchem die erste Hauptperiode zu betrachten ist, ist das erst werdende, sicli aus sich entwickelnde, sich selbst bestimmende Dogma. Indem das Dogma seinen substan- ziellen Inhalt erst aus sich herausstellt und zum Bevvusstsein bringt, ist es Gegenstand verschiedener moglicher Auffassungen, und die Formen, durch welche sein an sich noch unbestimmter Inhalt erst seine nahere Bestimmung erhalt, konnen nur aus dem Kreise des Denkens und der religiosen Vorstellungen genommen sein, in welchem das Bewusstsein der Zeit uberhaupt sich zu bewegen ge- wohnt war. Judenthum und Heidenthum, jiidische Beligionslehre und griechische Philosophie wirkten sehr machtig auf das sich bil- dende christliche Dogma ein; sie waren, obgleich das Christenthum nur im Kampfe init diesen herrschenden Machten der Zeit den Boden seiner selbststandigen Existenz gewinnen konnte, die Elemente, aus welchen sein Dogma sich gestaltete, und je heterogener diese Ele¬ mente waren, desto grosser musste die hieraus sich erzeugende Mannigfaltigkeit so weit auseinander gehender, sich vielfach durch- kreuzender Lehren und Meinungen sein. In diesem Conflict ent- wickelte sich in dem von der Idee der katholischen Kirche getrage- nen Dogma immer mehr der Trieb, Alles von sich abzuwehren und abzuschneiden, was zu iiberwiegend auf die eine oder die andere der beiden einander gegenuberstehenden Seiten zu fallen schien, Einleitnng. §. 8. (52 und es gait sclion friih alsPrincip, dass nur die in derMitte zwisclien den Extremen sich bevvegende, das gemeinsame Bewusstsein in einem so viel moglich weiten Umfang bestimmende Richtung als die Wahrheit des christlichen Dogma angeselien werden konne. Oft genug aber konnte es in einer Zeit, in welcher das christliche Be¬ wusstsein einen festen Mittelpunkt erst gewinnen musste, nur nacli einem langen Kampfe der entgegengesetzten Interessen hieriiber zur Entscheidung kommen. Die drei grossen okumenischen Synoden zu Nicaa, Constantinopel, Chalcedon, sodann die den pelagianischen und semipelagianiscben Streit betreffenden, sind die Hauptpunkte, um welche sicli die Entwickelung des Dogma in dieser an theolo- gischen Streitigkeiten und Synodalverhandlungen so reichen Zeit bewegt. Mit dem Elide des sechsten Jabrhunderts ist dieBewegung, welche den Inhalt der ersten Hauptperiode ausmacht, in der Haupt- sache sclion ganz abgelaufen und Gregor der Grosse, mit welchem man gewohnlich die Reihe der das Dogma erzeugenden Vater schliesst, stelit an der Grenzscheide der beiden ersten Hauptperio- den so, dass er ebensogut zu der einen als der andern gerechnet werden kann. Erste llauptperiode. Erster Abschnitt. Von der apostolischen Zeit bis zur Synode in Nicaa. Einleitung. S. 9. J 8itliii.miiiis«, Ebiointi§niiis 9 Faulinisinus. Wie das Christenthum dem Judenthum und Heidentlium geo-en- iibertrat, und nur im Unterschied von beiden eine neue eigenthum- liche, den Gegensatz beider zurEinheit in sich aufhebende Form des religiosen Bewusstseins in sich darstellen konnte, so musste auch die erste innerhalb des Christenthums sich entwickelnde Yerschie- denheit der Richtungen durcb das Verhaltniss bestimmt werden, in welchem es auf der einen Seite zum Judenthum auf der andern zum Heidentlium stand. Da es aus dem Judenthum hervorgegangen in ihm die naturlicheWurzel seinesUrsprungs hatte undin dem engsten Zusammenhang mit ihm stand, so lag es ganz in der Natur der Sache, dass es auf der ersten Stufe seiner Entwicklung selbst noch den Charakter des Judenthums an sich trug, es war nur der Glaube an den nicht erst kiinftigen, sondern schon jetzt in der Person Jesu von Nazaret erschienenen Messias, was die ersten Christen als An- hanger Jesu von ihren bisherigen Glaubensgenossen unterschied. Je enger aber dieser Glaube an das Judenthum sich anschloss, um so mehr hing ihm auch noch der jtidische Partikularismus an; die erste eine Differenz hervorrufende Frao-e konnte daher nur die auf den Umfang des christlichen Heilsprincips sich beziehende sein, ob das messianische Heil nur gebornen Juden, oder auch glaubigen Heiden zu Theil werde. Es ist diess der Gegensatz des Judaismus und Paulinismus, des Partikularismus und Universalismus. Sobald. fiir den Apostel Paulus mit seinem Glauben an Chrislus das Geselz 04 Erste Hauptpcrioile, erster Absclmitt. §. 9. aufgehort hatte, absolute Geltung zu haben, war er es, in welchem zuerst die dem Heidenthum zugekehrte Seite des Christenthums her- vortrat. Mit dem Gesetz fiel auch die Juden und Heiden trennende Schranke, beide standen in der Grundanschauung des Apostels, dass Gott nicht bios der Juden sondern auch der Heiden Gott sei, in Hinsicht des Antheils am messianischen Heil einander vollig gleicli. Wenn aber gegen diese Erweiterung des christlichen Ileilsprincips auch vom Standpunkt des Judaismus aus an sich niclits eingewendet werden konnte, so drangte sich doch im Interesse des Judentlnims immer noch dieFrage auf, ob es bei der Zulassung der Heiden auch auf alles zu verzichten habe, was es bisher als Yorrecht und Heils- bedingung geltend gemacht batte. Wie schon in der Frage liber die Beschneidung die altern Apostel dem Apostel Paulus gegeniiberstan- den, so wurde iiberhaupt die Frage iiber das judische Heilsprincip in seinem Unterschied von dem christlichen die den Geo-ensatz des Judaismus und Paulinismus betreffende Principienfrage und der Ju¬ daismus nahm in seiner schroffen Form und principiellen Bedeutung den Charakter desEbionitismus an, dessenEigenthiimlichkeit, soweit er vom Judaismus zu unterscheiden ist, nicht bios in der Bestrei- tung des paulinischen Universalismus, sondern auch in der Oppo¬ sition gegen die apostolische Auctoritat des Apostels Paulus bestand. An demNamen desEbionitismus hat daher der urspriinglich zwischen Paulus und den altern Aposteln hervorgetretene, auf die fortdauernde Geltung des jiidischen Heilsprincips sich beziehende Gegensatz sei- nen geschichtlichen Yerlauf. Ebioniten hiessen urspriinglich die an Jesus als den Messias glaubenden Juden iiberhaupt 1 ). Den den Begriff der Armuth ausdriickenden Namen leiteten die Kirchenlehrer, welche wie Origenes und Eusebius in den Ebioniten schon eine von der katholischen Kirche zuriickgedrangte Partei sahen, theils von ihrer geringen Yorstellung von der Person Christi, sofern sie ihm nicht gottliche Wiirde im Sinne der Logoslehre zuschrieben, theils von ihrer fortdauernden Anhanglichkeit an das mosaische Gesetz ab. Da sie, wie ausdriicklich gesagt wird 2 ), sich selbst so nannten, und die Armuth als den bezeichnenden Ausdruck fur ihre Anschau- 1) Vgl. Origenes c. Cels. 2,1: 'E( 3 twvaioi ^pyjixaTt^ouatv ot az'o ’Iouoauov t'ov 'Irj; exuysv £ 7 r\ (j.vvjp.7jv eXGouat xai p-^xs xfj xaijei p.?|xE xrj cppaaEi 8taxexa0app.^vots, 0 i£ar 7 :app.EV 0 i? os e^txrjos?, avap.\£ rj xajv -xptoaax^wv fjp.iv ■jzoz'Jziogk; Xeip.6jvo; 8'!x7jv 7tE7ror/.iXxai. Yergl. 4, 2. 7, 18. 86 Erste Hauptperiode, erster Abschnitt. §. |1G. zu rechtfertigen und auf gewisse Gnmdsatze zu bringen. Unler seinen zahlreiclien Schriften, welche grosstentheils exegetischen In- lialts mit geringer Ausnahme nur in der lateinischen Uebersetzung auf uns gekommen sind, nelimen, da auch die Schrift tie principiis unter Rufin’s Hand eine wenigstens theilweise unsichere Quelle ge- worden ist, die im Urtext noch vorhandenen aclit Bucher gegen Celsus die erste Stelle fur die Dogmengescbichte ein. Auch in ihrer jetzigen Gestalt geben seine Werke den urkundlichen Beweis, dass er als der eigentliche Yertreter der alexandrinischen Theologie, als das Haupt einer weit verbreiteten einflussreichen Schule, als der erste durch acht wissenschaftliche Gelehrsamkeit und bei aller Yor- liebe fur die Allegoric durch kritischen Geist sich auszeichnende Schriftsteller die hervorragendste Erscheinung der Periode ist In die Reihe der (ibrigen Schriftsteller, Minucius Felix, Arno- bius, Lactantius, Cyprian, Noyatian, tritt nun auch der Yerfasser der erst in der neuesten Zeit entdeckten Philosophurnena ein, wel- cher, sei er der Presbyter Cajus, Oder der Bischof Hippolytus, je- denfalls der romischen Kirche angehort. Die Schrift gibt sovvohl liber die Geschichte der Gnosis, als auch liber dieEntwicklung des Dogma in der romischen Kirche neue wichtige, specielle Aufschliisse 1 2 ). Geschichte der Apologetik. §. 16. Met* BegrifS* tier Die Apologetik hat sowohl eine negative als eine positive Seite, und kann auf der erstern sowohl defensiv als olfensiv verfahren. Zu der die positiven Griinde fur die Wahrheit und Gottlichkeit desChri- stenthums aufstellenden Apologetik gehort auch die Lehre von der Tradition und der Schrift, von dem Kanon und der Inspiration, als den Erkenntnissquellen des christlichen Glaubens. Die in der ersten Periode besonders wichtige Apologetik war sowohl gegen das Ju- denthum, als gegen das Heidenthum gerichtet. 1) Vergl. Redepenning , Origenes, Darstellung seines Lebens und seiner Lehre. Zwei Abth. 1841 u. 1846. 2) Erste Ausgabe von Emm. Miller aus einer Pariser Handschrift: ’Qpi- Yevou; cptXoaocpoup-sva. Oxon. 1851. Zweite von Dunker und Schneidewin : S. Hippolyti Episc.et Mart, refutationis omnium liaeresium librorum decern quae supersunt. Fascicul. 1. 1856. Apologetik gegen das Judenthum. 87 §• 17. * Apologetik gegen das «Kiideiitlnim» Den Juden gegeniiber batten die christlichen Apologeten das Christenthum gegen zwei Haupteinwendungen zu vertheidigen; die cine betraf die Person des Messias, die andere die Auctoritat des Gesetzes. Da die Juden Jesum nicht als Messias anerkannten, mit den Christen aber darin iibereinstimmten, dass der Messias im Allen Te¬ stament vorherverkiindigt sei, so musste sich ihr Widerspruch ge¬ gen das Christenthum vor allem auf das Missverhaltniss grunden, das sie zwischen der ganzen Erscheinung Jesu und alien jenen Pra- dikaten fanden, welche die prophetischen Schilderungen des Alten Testaments dem Messias gaben. Verstarkt wurde diese Einwendung O o noch besonders durch die unmittelbare Beziehung, welche die Stelle 5 Mos. 21, 23. mit ilirem verdammenden Ausspruch auf den Kreu- zestod Jesu zu liaben schien Den Finch des Gesetzes wollte Justin nur davon verstanden wissen, dass die Juden und die andern Volker durch ihren todtlichen Hass gegen die Christen Jesum zu einem Gegenstand des Finchs machen. Wie die Juden schon in dieser Beziehung die Person Jesu mit ihrer Idee des Messias nicht in Einklang bringen konnten, so hatten sie auch fur alle Vorstellun- gen, welche die Christen mit der Person Jesu verbanden, keinen Anknupfungspunkt in ilirem Bewusstsein. Indem nach ihrer Ansicht der Messias nur als Mensch von Menschen geboren werden konnte, sahen sie in einer Menschwerdung Gottes nur elwas Unglaubliches und Unmogliches, wahrend Justin sich besonders bemuht, sie gegen den Schein einer heidnischen, der griechischen Mythologie entlehn- ten Fabel in Schutz zu nehmen * 2 ). Mit der gottlichen Auctoritat des Alten Testaments kommt das Christenthum in der Ansicht der Juden durch die Nichtachtung aller jener Gebote in Widerstreit, deren Beobachtung das Alte Testament fur so unbedingt nothwendig erklart, wie diess insbesondere bei dem Gesetz der Beschneidung der Fall ist. Der Jude Tryphon bei Justin sieht auch darin einen fur sein Bewusstsein unaufloslichen Widerspruch, wclchen Justin durch die Unterscheidung einer ab- ]) Justin, Dial, cum Jud. 'Pryph. c. 14. 32. 49. 96. 2) Justin a. a. 0. c. 68. f. 88 Erste Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 18. soluten und einer bios relativen, fiir eine bestimmte Zeit geltenden Nothwendigkeit und durch die Behauptung zu heben sucht, dass das Alte Testament selbst sowohl ausdriicklich, als auch nocli besonders in dem geistigen Sinn, mit welchem es aufzufassen sei, iiber sich selbst hinausweise und seine erfullte Wahrheit erst im Christen- tlium habe x ). Da auch den Christen das Alte Testament als der Inbegrilf aller objectiven Wahrheit gait und die allegorische Erklarung im weite- sten Umfang auf das Alte Testament angewandt wurde, so konnte es nie schwer werden, alle von dieser Seite erhobenen Einwiirfe zu beseitigen. §. 18. Apologetik gegeu das Bleideutltiini. I. Die Gegner. Eine ungleich grossere Bedeutung hatte diese Seite der Apolo- getik nicht bios wegen des politischen Interesses, sondern auch weil die Aufgabe hier die doppelte war, das Christenthum sowohl gegen die griechische Philosophic, als die heidnische Volksreligion zu verlheidigen. Die Ilauptgegner, welche das Christenthum mit alien Waffen der einen und der andern Art angrilfen, waren Celsus und Porphyrius. Wer der von Origenes widerlegte Celsus war, ob der aus Lucian’s Schriften bekannte Epikureer Celsus, oder ein an- derer, ist schwer zu bestimmen, da schon Origenes selbst liber die Person seines Gegners vollig im Unklaren war, und selbst sagt (4, 360, er wisse nicht, ob jener Epikureer ausser den ihm beigeleg- ten Schriften auch nocli zwei andere Biicher gegen die Christen ge- schrieben habe, d. h. ob es eben der Celsus sei, gegen welchen er schreibe, da dieser Celsus nacli der von Origenes widerlegten Schrift auch noch eine andere zu schreiben wenigstens beabsichtigt hatte Cc. Cels. 8, 76.). Der Celsus, gegen welchen Origenes schrieb, zeigt sich in seinen philosophischen Ansichten und Grundsatzen als einen so entschiedenen Platoniker, dass kaum wahrscheinlich ist, er sei gleiclnvohl Epikureer gewesen, der uns sonst bekannte Celsus. Wer er auch war, jedenfalls kennen wir ilm aus seiner Schrift ’AVoO'/i; Xoyo?, Worte der Wahrheit, soweit Origenes uns mit 1) Justin a. a. 0. c. 10. f. 18. f. 27. 46. u. s. w. Apologetik gegen das Heidenthum. §. 18. 89 ihr bekannt macht, als einen der scharfsinnigsten und vielseitigsten Bestreiter des Christenthums. Der zweite Geg-ner lasst uns zwar keinen Zweifel liber seine Person, von der beriihmten Streitschrift aber, die er in fiinfzehen Biichern gegen die Christen schrieb, sind so wenige Bruchstiicke vorhanden, dass wir sie weit weniger kennen, als die des Celsus. Auch er war ein sehr scharfer und heftiger Gegner des Christenthums, hatte aber doch als Neuplatoniker eine andere Stellung zu demselben als Celsus, da er es nicht schlechthin verwarf und fur Betrug erklarte, sondern in dem achten und ur- spriinglichen Christenthum etvvas Wahres und Gottliches anerkannte ! ). Neben diesen beiden ist Hierokles, der Statthalter von Bithynien, mit seinem nur aus der Widerlegungsschrift des Eusebius bekannten X6yo; (AVortederWahrheitsliebe) nur wegen derzwischen Christus und Apollonius von Tyana gezogenen Parallele bemer- kenswerth. II. Die Einwendungen und ihre Widerlegung. Sie betrafen theils den Ursprung, theils den Geist und Inhalt des Christenthums, theils die Person Jcsu, theils die Wirkungen des Christenthums. 1. Der Haupteinwurf gegen den Ursprung des Christenthums war, dass es uberhaupt etwas Neues sei, das man nicht annehmen konne, ohne dasAlte, den von denVatern uberliefertenGlauben, auf- zugeben und gegen den Grundsatz zu handeln, auf welchen die Neu¬ platoniker das grdsste Gewicht legten, das Gottliche zu ehren xoctoc toc T^dcTpca, wogegen die Apologeten erinnerten, dass dieser Grund¬ satz nicht schlechthin gelten konne, es komme auf den Inhalt und Wertli des Glaubens an, man miisse zwischen Wahrheit und Ge- wohnheit unterscheiden 1 2 ). Das Zufallige und Particulare, das an sicli im Wesen derOffen- barung liegt, griff Porpiiyrius an, wenn er nicht begreifen konnte, warurn eine seligmachende Religion, wie das Christenthum, erst so lange nacli Adam und Moses erschienen sei, Celsus, wenn er fragte, warum gerade in diesemWinkel derErde? 3 ) Gegen die moralische 1) Die drei ersten Jalirhunderte. S. 368. f. 406. f. 2) Clemens Rom. Horn. 4, 7. 8. Clem. Al. Cob. ad gentes e. 10. Obigenes e. Cels. 5,32. 3) Augustin Ep. 102. Hieronymus Ep. 135. Olio. c. Cels. 4, 7. 6, <8. 90 Evste Hauptperiode, erstcr Ahsclmitt. §. 18. und metaphysische Mdglichkeit einer OfFenbarung waren schon die Einwiirfe des Celsus gerichtet, wenn er die Art und Weise, vvie Gott im Christenthum sich oiTenbarte, als ein Herabsteigen Gottes, urn zu sehen, wo es fehle, als eine Nacbbesserung des von Anfang an Geschaffenen, als eine Veranderung des gottlicben Wesens aus deni Guten in’s Schlechte, als eine mit deni Begriffe des Weltganzen slreitende Bevorzugung des Menschen vor andern Wesen betrachtet wissen wollte und sicli auf einen Standpunkt stellle, welcbein Om- genes die teleologische Weltansiclit und den theistischen Gottesbe- griff des Christenthunis entgegensetzle *)• Auf den Begriff der Of- fenbarung bezog sicli der Vorwurf der tcigtis aXoyo;, welclien man dem Christenthum machte, und der Widerspruch, in welclien die Offenbarung durch so Yieles, was das Alte Testament ganz anders lehre, als das Neue, mit sich selbst kommen sollte 1 2 3 ). 2. Seinem Geist und Inhalt nach hatlen die christlichen Apo- logeten das Christenthum vor alleni zu vertheidigen gegen den Vor- wurf der Irreligiositat und llnsittlichkeit, oder die drei Anklage- punkte, die als aGsoTYjc, d. h. Laugnung der heidnischen Cotter, als OuscteTo. ^ctTTva und ObWo&stoi [uiziq bezeichnet werden ;i ). Eben- dahin gehort so Yieles, was den heidnischen Gegnern in der alt— testamentlichen Religionsgeschichte, in dem jiidisch — christlichen Gottesbegrilf, in der evangelischen Geschichte und in Lehren des christlichen Glauhens unglaublich und sich selbst widersprechend, ungereimt und einer auf reineren Begrilfen beruhenden Religion un- wlirdig zu sein schien 4 ). In Betreff des Alten Testaments begegnete man solchenEinwiiifen durch die allegorischeErklarung, die jedoch Celsus nicht gellen liess 5 6 ). Der Yerfasser der clementinischen Ho- milien hielt das nach seiner Ansicht Irrige und Gottesunwiirdige im Alten Testament fur spatere Zusatze und Textesverfalschungen 3. Anfang und Ende des Lebens Jesu waren die Hauptpunkte der Bestreitung der Gegner. Wie man an die Stelle der ubernatur- 1) c. Cels. 4, 3. f. 14. 74. 81. 99. 2) c. Cels. 1, 9. 7, 18. 3) Justin Apol. 1, 5. Dial. c. 10. Tati an Or. c. Gr. c. 25. Athkxag. Leg. 4. 31. Tertull. Apol. c. 7. Minucius Felix, Octav. c. 9. Oiug. c. Cels. 0 , 40. 4) Orig. c. Cels. 1, 19. 4, 36. 41. 43. 71. 6, 52. 58. f. 5) Orig. c. Cels. 4, 48. 6) Horn. 2, 38. f. Apologetik gegen das Ileidenthum. 91 lichen Geburt die niedrigste Herkunft setzte (schon Celsus kennt den Talmudischen Ben-Panthera, die jiidisclie Schmahung, dass Jesus der Sohn einer Buhlerin sei) *), so sollte die Auferstehung nur ein betriigerisches Yorgeben scin, wie aus der innern Unwahrschein- lichkeit der Sache, der schlechten Bezeugung derselben und beson- ders aucb daraus erhelle, dass Jesus nach seiner Auferstehung sich nicht offentlich seinen Feinden gezeigt babe. Das letztere erklart sich Origenes aus seiner eigenthiimlichen Vorstellung von derLicht- substanz des Leibes Christi, jenes erstere widerlegt er aus seiner Lelire von der Praexistenz der Seelen, vermoge welcher die Be- schaffenheit des Leibes durch die der Seele bedingt ist, demnach aucb nicht angenommen werden kbnne, dass die edelste Seele nait einem Leibe so unreinen Ursprungs verbunden worden sei. Dabei nimnit aber Origenes von solchen und andern ahnlichen Einwen- dungen auch Veranlassung, die Griinde genauer zu entwickeln, die uns an der Glaubwiirdigkeit der Jiinger Jesu in ilirer Darstellung der evangelischen Geschichte nicht zweifeln lassen 1 2 ). Unter den- selben Gesichtspunkt gehort die Parallele, die man zwischen Christus und Heroen des hellenischen Glaubens zoo-. Auch diesen Punkt be- riihrte sclion Celsus, um damit darzuthun, wie unberechtigt es sei, wenn die Christen ihren Jesus um derWunder willen, die er gethan haben sollte, als Gott Oder Gottessohn verehrt wissen wollen 3 ). In demselben Sinn erinnerte Hierokles an Apollonius von Tyana, um das Urtheil, dass ein soleher Wunderthater kein Gott, sondern nur ein von den Gottern geliebter Mensch sei, als das vveit vernunfligere der Leichtfertigkeit der Christen gegenuberzustellen. Wahrend deni Origenes und Eusebius der sittliche Charakter der Wunder Jesu eine solche Parallele gar nicht zuzulassen schien, nalim sie in der eklek- tischen und synkretistischen Anschauungsweise des dritten Jahr- hunderts die Wendung, dass man auf heidnischer Seite selbst das Interesse liatte, einen Apollonius von Tyana als Weltreformator im Lichtreflex der Personlichkeit Jesu erscheinen zu lassen, eine An- sicht, welche sodannNeuplatoniker, wie Porpijyrius und Jamblichus, weiter dahin ausbildeten, dass sie den gdttlichen Pythagoras in ih¬ ren Beschreibungen seines Lebens als einen mit der heilbringenden 1) Orig. c. Cels. 1 , 32. Vgl. Nitzscii Theol. Stud. u. Krit. 1840. S. 115. f. 2) C. Cels. 1, 28—3. 2, 15. f. 26. 55. 63. 7, 53. 3) C. Cels. 3, 26. 92 Erste Hauptperiode, erstor Abschnitt. §. 18. Philosophie unter den Menschen erschienenen guten Damon dar- stellten. Ein soldier gottlicher Weiser sollte auch Christus gewesen sein, nur kein Gott im Sinne der Christen, dafur haben ihn nur seine das urspriingliche Christenthum verfalschende Jlinger ausge- geben *)• 4. Die Wirkungen des Christenthums fand man seinem gdttli- ehen Charakter nicht entsprechend, da nicht nur seine Bekenner nur den untersten Schichten der Gesellschaft angehorten, sondern auch die grossen Ungliicksfalle der Zeit nur auf seine Rechnung zu kommen schienen, als die verdiente Strafe fur die Vernachlassigung der alten Goiter. In der Weltansicht der Apologetcn waren dagegen gerade die Christen die denWeltruin hemmenden deprecat ores Dei, und es schien ihnen nichts bedeutungsvoller als das gleichzeitige ZusammentrefFen der Erscheinung des Christenthums mit der Epoche der Regierung des Kaisers Augustus 1 2 ). III. Die positiven Beweisgriinde. Die christlichen Apologeten widerlegten nicht bios die von den heidnischen Gegnern erhobenen Einwurfe, sie fuhrten auch die positiven Griinde aus, auf welchen ihre Ueberzeugung von der Wahrheit und Gottlichkeit des Christenthums beruhte. Die wich- tigsten sind folgende: 1. Die Vernunftmassigkeit des Christenthums. Seitdem das substanzielle Wesen des Christenthums in der Logosidee ausgespro- chen war, Christus als der fleischgewordene Logos betrachtet wurde, gait den Apologeten, an deren Spitze Justin stand, als hochster Grundsatz, dass alles Yernunftige christlich und alles Christliche verniinflig sei. Was in der vorchristlichen Zeit die noch unvoll- kommeneOlfenbarung des uberall nur in Partikeln und Bruchstucken sich mittheilenden ko yo? c7rep(/.aTtic6? war, ist im Christenthum die absoluteOffenbarung des in seiner Einheit und Totalitat erschienenen Logos 3 ). Zugleich sollte aber auch, was man bei griechischen Fhilosophen Wahres fand, nur aus den Schriften des A. T. entlehnt 1) Ygl. meine Schrift Apollonius von Tyana und Christus oder Pythago- reismus und Christenthum. Tub. 1832. Die drei ersten Jahrh. S. 401 f. 408 f. 2) Orig. c. Cels. 3, 44 f. Tert. Apoll. c. 40. Eusebius IT. E. 4, 26. Arnobius adv. nationes 1, 2 f. Ygl. die drei ersten Jahrh. S. 359. 3) Justin Apol. 1 ? 46. 2, 8. 10. 13. Apologetik gegen das Heidenthum. 93 sein Insbesondere glaubte man die Grundlehre von der Einheit Gottes bei Dichtern und Philosophen in einer Reibe grossentheils schon von altern Hellenisten untergescbobenen Stellen nachweisen zu konnen 1 2 ). Ohne diesen Umweg dnrch die heidnische Literatur berief sich Tertullian einfach auf das unmittelbare testimonium animae naturaliter christianae 3 ). 2. Anf die Weissagungen des A. T. wurde das grossle Gewicht gelegt 4 ). Das A. T. gait ja iiberhaupt, solange es noch keinen Kanon der Schriften des N. T. gab, fur den InbegrilT aller gottlich geoffenbarten Wahrheit. Nur vom A. T. aus konnte man sich von der Wahrheit und Gottlichkeit des Christenthums iiberzeugen, evi- denter schien aber in dieser Beziehung nichts zu sein, als die der unmittelbaren Anschauung gegebene Thatsache, dass in der Person Jesu zur geschichtlichen Wirklichkeit geworden sei, was schon so lange zuvor auf dieselbe Weise vorherverkiindigt war. Je ausser- ordentlicher das in Christus Geschehene war, um so ausserordent- licher sollte aueli die Art und Weise der Bezeugung sein 5 J. Celsus griff sowohl die Form als den Inhalt der biblischen Weissagungen an und wollte ihnen keinen Vorzug vor den heidnischen zugestehen, Origenes vertheidigte sie 6 ). Da man aber nicht bios an dieRealitat damonischer Orakel glaubte, sondern auch den biblischen Weis¬ sagungen nichtbiblische, wie die in dem Testament der zwolf Pa- triarchen undin den sibyllinischenOrakeln, zurSeite setzte, so hatte der Weissagungsbeweis einen ebenso vagen Charakter, wie die typische Anschauungsweise Justins 7 ). 3. Wunder und Weissagungen stellt Origenes 8 ) zusammen. Gegen den Vorwurf des Celsus, dass die Wunder Jesu auch nur in die Kategorie der magischen oder damonischen Wunder gehciren, laugnete auch Origenes die Realitat solcher Wunder nicht, legte 1) Justin Apol. 1, 44. Tati an Or. c. Gr. 31 f. 2) Die dem Justin heigelegten Schriften Coh. ad Gr. 19 f. rcep't [j.ovap)(ta?. Atiienag. Leg. c. 5 f. Min. Felix Octav. c. 29. 3) Apol. c. 17. de testim. animae c. 2. 4) Justin Apol. 1, 31—53. Dial. c. 7. Tekt. Apol. c. 20. 5) Justin Apol. 1, 53. 6) c. Cels. 7, 1—26. 7) Apol. 1, 54. 8) c. Cels. 1, 2. 94 Erste Hauptperiodc, erster Absclmitt. §. 19. aber dagegen urn so mehr das Hauptkriterium des Unterschieds der wahren und falschen Wunder in den sittlichen Charakter des Wunders und des Wunderthaters O* IV. Die AngriSe der Apologeten auf das Heidenthum. Sie betreffen sowohl die heidnische Yolksreligion, als die grie- chische Philosophic. Die erstere hot in ihrer mythischen Gdtterlehre und in allem, was zum heidnischen Cultus gehorte, den vielfachsten Stoll* zur Be- streitung dar. Am treflendsten hat der Yerfasser der clementini- schen Homilien die praktisch verderblichen Folgen des Polytheismus und den Zusammenhang desselben mit Ansichten, durch welche aller objective Inhalt des religiosen und sittlichen Bewusstseins aufge- hoben wird, entwickelt 1 2 ). Gegen die symbolische und allegorische Auflfassung erinnerte man, dass sie nur die Vernichtung der heid¬ nischen Gotter sei, indem sie die ganze Religion in Kosmogonie und Naturlehre auflose 3 ). Die heidnischen Gotter waren somit nur Erzeugnisse der menschlichen Einbildung, oder, was vollends der heidnischen Religion das Urtheil sprach, bose Damonen. Der Philosophie hielt man theils die Widerspriiche, in welche sie im Streite der Meinungen und Systeme sicli auflose, theils ihren unpopularen, fur die religiosen Bedurfnisse der allermeisten Men- schen so wenig geeigneten Charakter entgegen 4 ). §. 19. l^elire von Tradition uiid Sclirift. Solange die Schriften des N. T. entweder noch gar nicht oder noch nicht in kanonischer Eigenschaft existirten, wusste man nur von einer alles, was das Erkenntnissprincip des Christenthums be- traf, noch ungeschieden in sich begreifenden Ueberlieferung. Die Veranlassung zwischen Tradition und Schrift zu unterscheiden und 1) c. Cels. 1, 68. 3, 28. 8, 47. Vgl. Clem. Horn. 2, 34. Arnobius adv. nat. 1, 43. 48. 51. 2) Horn. 2, 42. 4, 12. 15 f. 20. 23. 5, 10 f. 9, 2. 3) Horn. 6, 1 f. Tatjan or. ad Gr. c. 21. Ahenag. Leg. c. 22. Arnobius adv. nat. 3, 29—34. 5, 33—42. 4) Theophii.us ad Autol. 3, 7. Justin Cob. ad Gr. c. 6. Tatian or. c. 28. Hermias Aiaaupp.bs xoiv Oaia. c. Cels. 6, 2. 7, GO. Lehre von Tradition und Schrift. 95 das Verhaltniss bolder genauer zu bestimmen, gab erst der Streit mit den Haretikern. Irenaus und Tertullian sind daher als die Hauptbestreiter der Gnostiker die ersten Kirchenlehrer, bei welchen wir die Grundzuge der katholischen Lehre von der Tradition finden, Konnten beide Theile mit gleichem Recht sich den Vorwurf der Textesver fa Is cluing und falschen Schrifterklarung machen, so musste man auf ein hoheres Wahrheitsprincip zuruckgehen und da auch dieses fiir beide Theile auf gleiche Weise in Christus und den Aposteln lag, so kam es um so mehr auf die dazwischen liegenden, die Ueberlieferung vermittelnden Glieder an, wofiir man nur die apostolischen Muttergemeinden mit der Succession ihrer Bischofe halten konnte. So wurde die gauze Beweisfuhrung fur die Wahr- heit der christlichen Lehre die rein geschichtliche Nachweisung ihres apostolischen Ursprungs, dessen Kriterium selbst wieder nur die Uebereinstimmung sein konnte, mit welcher die apostolischen Gemeinden, so gevviss sie apostolisch waren, auch nur zu einer und derselben Lehre sich bekannten und in dieser Uebereinstimmung die katholischeKirche bildeten. Was apostolisch ist, ist daher auch katholisch und was katholisch auch apostolisch, der Glaube der weit uberwiegenden Mehrheit hat als soldier auch das Princip der Wahrheit in sich, alle Meinungen der Haretiker sind, wie ja iiber- liaupt die Wahrheit immer das Erste der Irrthum das Spatere ist, nur Verfalschungen der allem Irrthum vorangehenden Wahrheit. In diesem Gedankenzusammenhang entwickelte Tertullian das Princip der Tradition 1 ). Die Schrift ist so betrachtet, selbst nur ein von der Tradition in diesem Sinn getragener und in ihr begriffener Aus- druck der christlichen Wahrheit, welcher fiir das christliche Ge- sammtbewusstsein nicht so nothwendig ist, dass es nicht auch ohne ihn sein konnte, und schon Irenaus denkt sich die Moglichkeit, dass die Apostel auch nichts Schriftliches zuriickgelassen haben, in wel- chem Falle man sich auch so nur an den von ihnen den Vorstehern der Gemeinden iibergebenen ordo traditionis zu halten hatte 2 ). Die Gnostiker grilfen diesen Begriff der Tradition nicht bios in den Mit— telgliedern, sondern auch schon in den an der Spitze stehenden Aposteln an, die ihnen gleichfalls keine reine, schlechthin mit sich 1) Hauptsachlich in der Schrift de praescript. haer. c. 13 f. 2) Adv. haer. 3, 4. 96 Erste Hauptperiode, erster Absclmitt. §. 19. einstimrnige Organe derWahrheit zu sein schienen Den Ale¬ xandrine™ gait zwar auch die kirchlich iiberlieferte Lehre 1 2 ) als der Inbegriff aller christlichen Wahrheit, da aber erst die allegorische Erklarung den Schlfissel zum richtigen Verstandniss des tiefern Schriftsinnes gab, so sollte diese selbst eine geheiin iiberlieferte sein, und die Schrift erhielt so auch bei ihnen ilire Bedeutung erst durch ein liber ihr stehendes Erkenntnissprincip. Die altherge- brachte auch von den Gnostikern getbeilte Vorliebe fiir ein esote- risches Wissen im Unterschied von einem exoterischen war die Ursache, dass der hochste Besitz der Wahrheit eine geheirne nur fiir wenige vorbehaltene Tradition sein sollte. In diesemSinn sprach insbesondere der auch hierin den Gnostikern am nachsten stehende Clemens von Alexandrien von einem kirchlich iiberlieferten Kanon der Wahrheit, unter welchem er die hauptsachlich die Zusammenstim- mung des A. und N. T. in’s Licht setzende allegorische Aulfassungs- weise verstand 3 ). Wie in alien diesen Beziehungen die Schrift gegen die Tradition zuriickstand, so gab sich auch sonst da und dort ein gewisses unklaresMistrauen gegen die Schrift als ein minder sicheres Mittel zur Mittheilung der Wahrheit zu erkennen, wie bei demVerfasser der clementinischen Homilien 4 ), und beiPAPixs, wel- cher nur aus der lehenden und bleibenden Rede schopfen wollte 5 ). Es ist, wie wenn man die Unmittelbarkeit der ursprfinglichen Olfen- barung sich dadurch gegenwartig erhalten wollte, dass man sich an das lebendige Wort hielt, nicht an die todte, vergangliche Schrift. Apostolisch sollte die Tradition in alien ihren Formen sein, wie konnte sie aber es sein, wenn sich in ihrem zeitlichen Verlauf auch Neues herausstellte? Diese Frage wurde, obgleich nicht in dog- matischer Beziehung, schon vom Montanismus beriihrt, wenn er von den Offenbarungen seines Paraklet behauptete, dass sie selbst fiber Christus und die Apostel hinausgehen 6 )- Allein das die Identitat des kirchlichen Bewusstseins erhaltende Princip sollte der derKirche 1) Tert. a. a. O. c. 22. 2G. Iren. a. a. 0. 3, 2. 2) Die ecclesiastlca praedicatio per successionis ordinem ab Apostolis tradita et usque ad praesens in ecclesiis permanens, Grig, de princ. 1. praef. 3) Strom. 1, 1. 5 ? 10. 6, 15. 7, 11. 15. Grig. c. Cels. 6, 6. 4) Horn. 3, 47. 5) Euseb. K.Gr. 3, 39. 6) Tert. de virg. vel. c. 1. de monog. c. 14. Kanon und Inspiration. 9 # immanente, in ihr aber auch nach der Verschiedenheit der Zeiten sich richtende heilige Geist sein. §. 20 . 14anon mid Inspiration* In Ansehung des A. T. machte man zwischen den kanonischen Schriften und den Apokryphen, da die griechische Uebersetzung beide neben einander enthielt, keinen Unterschied, nur vvenigen T wie Melito, dem Bischof von Sardes, und Origenes, war das wahre Verhaltniss beider bekannt. Der Kanon des N. T. bildete sich erst allmahlig nach Analogie des A. T. Maassgebend war auch dabei die Tradition. Die allgemein als apostolisch citirten Schriften galten als Homologumena, die, deren apostolischer Ursprung nicht ebenso allgemein anerkannt oder sogar bestritten war, waren entweder Antilegomena schlechthin, oder als solche, wenn man sie auch wegen des Inhalts nicht fur apostolisch halten konnte, auch nocli Notha, wie Eusebius in der classischen Stelle H.E. 3, 25 unterschied. Da bei der schwankenden Ansicht uber so manche der gangbaren Schriften das Urtheil fiber die als apostolisch anzuerkennenden sich erst lixiren musste, was nur durch kirchliche Bestimmungen ge- schehen konnte, so hiessen die in dieser Beziehung zusammenge- horenden Schriften, fiber welche seit Irenaus, Tertullian und Clemens von Alexandrien schon eine ziemlich allgemeine Ueberein- stimmung statlfand, eben davon, nicht von der normativen Auctoritat des Inhalts kanonisch J )- Das Verhaltniss des A. und N. T. wurde nach der Verschieden- heit der Standpunkte verschieden bestimmt, den Hauptunterschied machte die allegorische Erklarung. Allegoristen, wie Clemens von Alex., sahen im Christenthum nur das enthfillte Gesetz und Prophe- 1) Bt(3Xia xsxavoviap.s'va, xavcm£6p.£va, xavovtxa, imGegensatz zu axav^vtaxa, wurden daher die Schriften in der Zeit nach Eusebius genannt, in den Kanones der um das Jahr 363 xu Laodicea gehaltenen Synode und in des Athanasius Epist. festalis Opp. ed. Montf. I, 2. S. 961. Credner’s Erklarung in derSchrift: Zur Geschichte des Kanons 1847. S. 1 f. ist vollig verfehlt. Die scripturae legis in den Aktenstiicken, die Credner S. 65 erwahnt, sind keine ypacpat xa- vdvo;, welcher Ausdrnck auch nicht vorkommt, sondern Eeligionsschritten, wie ja ofters lex soviet als Religion ist. Vgl. a. a. O. S. 67. Auch der xavwv aXrjOetai gehort nicht hieher, Vgl, Zeitschrift fur wissensch. Theol. 1858. 1. S. 141 f. Baur, Dogmengescliichte, 7 Erste Hauptperiode, erster Absclinitt. §. 20. US tenthum. War Christus nacli dieser Ansiclit nur der allegorische interpret des A. T. 0? > s0 sollte er dagegen nach dem Yerfasser der clementinisclien Homilien mit den Kriterien allgemeiner bekannt ge- macht iiatjcn, nach welchen das Falsche, das in so viele Stellen des A. T. Iiereingekonimen ist, von dem Wahren ausgeschieden werden kann. Da die Schrift, wie sie ist, in dieser Yermischung des Wahren mit Falschem alles sagt, was man in ihr fmden will, so muss man erst nacli dem Ausspruch Christi: Fivs^Qe o 6xip.cn Tpocrcs^tTai, das Walire vom Falschen krilisch scheiden 1 2 ). Audi Dualisten, wie Mahcion, wollten von einer (lurch die Allegoric vermittelten Aus- gleichung des A. und N. T. nichts wissen. Mahcion verwarf niclil nur das A. T. als das Geseiz des Judenthums, sondern scharfte auch den Gegensatz zwischen Gesetz und Evangelium so sehr, dass er nur die paulinischen Scliriften als die authentische Erkenntnissquelle der christlichen Offenbarung auerkannte 3 ). Bei den Gnostikeru hing uberhaupt ihre Ansiclit vom A.T. und seinem Yerhaltniss zumN. ganz von dem Ciiarakter ihrer Sy&teme ab. Kanonische Scliriften waren als solche aucli inspirirte. Auch in dieser Beziehung war die Analogie mit dem A. T. maassgebend. Wie sich dem Kanon des A. T. der des N. geoenuberstellte, so konnte man aucli von dem gottlichen Einlluss, unter welchem diese Scliriften die einen wie die andern entstanden waren, keine andere Yorstellung haben, als die hergebrachte, nach welcher selbst die griechische Uebersetzung des A. T. unter der unmittelbaren Ein- gebung des heiligen Geistes zu Stande gekommen sein sollte. Als Organe des heiligen Geistes dachte man sich die heiligen Schrift- steller unter der Anschauung eines musikalischen Instruments, das 1) Strom. 0, 15: Kavcov Ex/X^crtaaTixo? yj auvioSta za't aupotovia voaou xs /at 7tpocpr)xcov ~fj '/.click x/jv tol» huptou jiapouatav TuapaStSoptevv] otaOrj/r] d. h. die Einheit des Alton undNeuen Testaments. Denn, sagt die Schrift, rcciit und gerade ist alles vor den Verstandigen, d. li. fur die, welche die von dem llerrn bekannt gemaclite techrifterklarung xaxa x'ov £ z x X 7] a t a a x t x o v xavova ixozy op.£vot btaaco^ouat, d. h. die Schrift allegorisch erklaren. Da die allegorische Erklarung nichts subjectiv Willkurliches sein soil, so kann sie nur Tradition sein und als solche ist sie der in der Kirche iiberlieferte Kanon der Wahrheit. Vgl. die christi. Gnosis S. 517 f. 2) Horn. 3, 9. 10 f. ixavxcc at ypatpa't X^youai. Vgl. llom. 2, 51. 3, 50. 18, 20. und die christi. Gnosis S. 3G3 f. 3) Die christi. Gnosis S. 248. 759 f. Lehre von Gott. 99 mu* durch die Thatigkeit desjenigen, der sich desselben bedient, in Bewegung gesetzt wird *). Der ebenso vage als iiberspannte In— spirationsbegriff erhielt zuerst durch den Gegensatz zu demParaldet der Mo nt an is ten eine Beschrankung; es gait als Grundsatz, dass die prophetische Begeisterung nicht wie bei den damonischen Ora- keln der Heiden eine das Selbstbewusstsein iiberwaltigende und den Geist in den Zusland der amentia versetzendeEkstase sein konne 1 2 ). Als Geistestriiger sirid Apostel und Propheten gleicligestellt 3 j. Die Identitat des Geistes ini A. und N. T., dieVollkommenheit derSchrift als des vom Geiste dictirten gottlichen Worts, die Notliwendigkeit einer selbst auf die Wahl der Worte sich erstreckenden Inspiration niachte besonders Irenaus gegen die Gnostiker geltend 4 ), wahrend Origenes den BegrifP durch Unterscheidung verschiedener Grade der Inspiration, die er sich auch als blosse Erhohung der naturlichen Geisteskraft dachte, genauer bestinunte, ihn durch Zuruckfiihrung auf den uninittelbaren Einfluss, welchen die Schrift als das Werk des in ihr von sich zeugenden Geistes mache, vei geistigte, und die Realitat der Inspiration durch die thatsachliche Erfiillung der altteslament- lichen Weissagungen begriindete 5 6 ). Geschichte der einzelnen Bogmen. §. 21 . Lelire vom GoU. Der christ-liche Gottesbegriff hat zu seiner Grundlage den alt— testamentlichen, abei* auf deni universellern Standpunkte des clirist- lichen Bewusstseins kam es darauf an, das Personliche und Concrete des alttestainentlichen Goltesbegriffs unter den Gesichtspunkt der absoluten Idee zu stellen. Die platonische Transcendenz der Idee, welcher zufolge Gott ztzz'azivx oucrta^ isl, und an sich in sei- nemWesen nicht erkannt werden kann, ist eine selir vorherrschende Ansicht. Gott kann daher nur durch sich selbst offenbar werden G ). 1) Justin Coh. ad Gr. c. 13. Athenag. Leg. c. 9. Theopii. ad Autol. 2,9. 2) Teut. c. Marc. 4, 22. Eusebius K.G. 5, 17. 3) Justin Dial. c. 119. Theophilus ad Autol. 2, 9. 22. 3, 12. 4) Adv. haer. 3, 1G. 21. 4, 35. 5) C. Cels. 7, 4. In Ev. Joli. Tom. 1,5. De princ. 4, 1 f. 6) Justin Dial. c. 4, Clemens Alex. Strom. 5, 101. Origenes c. ( els. <,42, 7 loo Erste Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 21. Dass es ein angeborenes Gottesbewusstsein gibt, das unmittelbar im Menschen sich ausspricht, aber auch erst sittlich gereinigt werden muss, ist die gewohnlichste Vorstellung x ). Aber auch die Natur ausser dem Menschen zeugt von Gott, was nur Dualisten, wie Marcion, laugneten 1 2 ). Die Momente des physikotheologischen und kosmologischen Beweises linden sich ofters angedeutet, schon mehr mil dialektischer Scharfe hervorgehoben in den clementinischen Homilien 3 ). Was die bestimmteren Vorstellungen vom Wesen Gottes betrifft, so lassen sich drei verschiedene Ansichten unterscheiden, von wel- chen jede mit der Aufgabe ringt, sowohl die Idee Gottes in ihrer reinen Absolulheit aufzufassen, als aucli Gott als das Princip alles Seienden zu bestimmen. 1. Die gnostisclie Idee Gottes. Die gnostischen Systeme sind von dem tiefsten Bewusstsein der absoluten Idee des unnennbaren, unergriindlichen, ewigen Gottes durchdrungen, aber so lioch sie die Idee Gottes stellen, so wenig konnen sie mit derselben liber den Gegensatz der beiden Principien, Geist und Materie, hinwegkommen. Sobald der an sich seiende, in sich verscldossene Gott, wie es zum BegrifFe seines Wesens gehort, sich selbst ofFenbart, wird'er von dem Gegensatze des Geistes und derMaterie atFicirt, und von Stufe zu StuFe in dieSphare einesNatur- processes hineingezogen, in welchem sein geistiges Wesen der ma- teriellen Verdunkelung unterliegt. Dieser Gegensatz bleibt derselbe, ob die Materie vonAnFang an als gleich ewiges und absolutes Princip Gott gegenlibersteht, odor als der unwiderstehliche Hang, sich zu materialisiren, urspriinglich in das Wesen Gottes selbst gesetzt ist. Der unvermeidliche Process nimmt schon in den hochsten Regionen der Aeonenwelt seinen Anfang, und die Aeonen selbst, als die hochsten Gedanken des sich selbst denkenden und in ihnen zum Bewusstsein seiner selbst sich bestimmenden Geistes, sind die ersten Momente der SelbstolFenbarung und SelbstobjectivirungGottes. Dass dieser Process, wenn das Wesen Gottes ein wahrhaft geistiges sein soil, in seiner hochsten Region nur als der Process des denkenden 1) Theoehilus ad Autol. 1, 2. 2) Tert. c. Marc. I, 10. 3) Horn, 0, 24. 25, 11, 24, Lehre von Gott. 101 Bewusstseins gedacht werden kann, ist wenigstens in deni valen- tinianischen Systeme in dem Begriffe der hochsten Aeonen ausge- sprochen. Bei aller Geistigkeit der Idee Gottes ist es docli iminer der Gegensatz zwischen Geist und Materie, init welchem die Idee Gottes behaftet bleibt x ). 2. Die alexandrinische Idee Gottes. Den reinsten immateriellsten Begriff vom Wesen Gottes batten die Alexandrine!*. Nur Gott kommt, wie Origenes ausdriicklich be- hauptete 1 2 ), der strenge Begriff der Unkorperlicbkeit eines rein geistigen, innnateriellen Seins zu. Gott ist daher auch ausserhalb jeder Beriihrung mil der Materie, und die Alexandriner suchten jeden Gedanken an einen Natur- und Emanationsprocess so fern als moglich zu halten. Je mehr sie aber auf die Immaterialitat Gottes drangen, desto mehr wurde ihr Begriff vom Wesen Gottes eine rein abstracts Yorstellung, welcher es an allem concreten Inhalt fehlte. Alle Kategorien sind, was besonders Clemens hervorhob, vollig unzureichend, etvvas Positives iiber das Wesen Gottes auszusagen; man kann nur wissen, was Gott nicht ist 3 ). Doch halt Origenes schon bestimmter fest, dass Gott Geist, Denken, Bewusstsein ist. 3. Der realistische G o ttes be griff. Den Gegensatz zur Idealitat des alexandrinischen Gottesbegriffs bildet der ReaJismus der meisten andern Kirchenlehrer. Derselbe hat sich aber in dem System der clementinischen Homilien auch noch zu einer besondern eigenthumlichen Form gestaltet. Wie der von allem Positiven abstrahirende Idealismus der Alexandriner auf der sogenannten via negations beruhte, so machte der Realismus der Homilien neben dieser die via eminentiae zum Princip seines Gottesbegriffs. Das Wesen Gottes darf menschlich gedacht werden, wofern nur das Menschliche in weit vorzuglicherem Grade als es 1) Ygl. die Lehre von der Dreieinigkeit. 1. S. 140 f. 2) De princ. praef. 9. 3) Er bezeichnet diesen Weg der Abstraction als eine avaXoai?, als ein acpeXetv Travxa oaa zrpoascm xoi? atnjxaat xa\ Xeyoirevoc? aatop-axoi?, wenn man sich dann in die Grosse Christi hineinwerfe, moge man sich irgend eine Vorstellung des Alllierrschers machen, es sei jedocli nur ein yvioptCecv ouy o lax tv, o ol p-rf laxtv. Strom. 5, 11. 102 Erste Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 21. bei Menschen sich findet, Gott beigelegt und auf unendliche Weise von ihm ausgesagt wil d 1 ~). Selbst ohne Korper und Glieder, ohne Gestalt und Schtinheit kann Gott niclit sein, damit er als reales, concretes personliches Wesen Gegenstand nienschlicber Liebe und Verehrung sein kann, weil zu einem gestaltlosen Gott niemand beten kann, einen solchen niemand furchten wiirde. Diesel* Realismus ist jedoch wesentlich niclits anders als Pantheismus. Gott und Welt verbalten sich zu einander, wie Centrum und Peripherie, oder wie Wesen und Erscheinung, Substanz und Accidens, wie out -Ay. und p,sToodia. Der Anschauung des Yerfassers dieser Homilien liegt das Bild der Sonne zu Grunde, die ihrer ouata nacli begrenzt ist, wall— rend ihre (astou< na in's Unendliche sich erstreckt. Als der erfullte Raum hat Gott nur den leeren ausser sich, oder das Nichts. Er ist das Herz des Alls, das alles nacli alien Richtungen in’s Unendliche von sich ausstrdmen lasst und alles in seiner Einheit zusammenfasst und zur Ruhe bringt 2 ). Zu dieser eigenthumlichen Form bildete sich der Realismus und Anthropomorphismus der judischen Gottes- idee in der gnostisch-speculativenRichtung desEbionitismus, welche derVerfasser der Homilien reprasentirt, in seinem System aus. Audi bei andern Kirchenlehrern waren Korperlichkeit, Substanzialitat, Realitat mehr oder minder identische Begrifle. Wenn Melito, der Bischof von Sardes, eine eigene Abhandlung liber die Korperlichkeit Gottes schrieb, so wollte er ohneZweifel in einem demEbionitismus und Montanismus verwandten Sinn die realistische Auffassungsweise der Gottesidee geltend machen 3 ). Was urspriinglich nur der der judischen Gottesidee anhangende Anthropomorphismus war, wurde von denkenden Kirchenlehrern durch die allgemeine Ansicht ge- rechtfertigt, dass uberhaupt nichts Existirendes ohne einen Korper sein konne. Am unmittelbarsten hat diess Tertullian ausgespro- chen und dalier aucli ohne Bedenken gestattet, das Wesen Gottes 1) Die via negationis muss clurcli die via eminentiae eingeschrankt werden. Denn wenn die, welche liber das Wesen Gottes nachforschen, ihm niclit alles Gute, das Menschen haben, geben, so bleibt nichts mehr iibrig, was man sich vorstellen und von ihm sagen kann, man kann nicht mehr nach dem Wesen sondern nur nach dem Willen Gottes fragen. Horn. 19, 10. Daher nun, wie Simon 19, 11 sagt und Petrus billigt, xojv Tcpoaovxiov a v0pd)7:o;; ta xpsixtova atwviwi; (sub specie aeternitatisj Tipoasaxcv xoj 0£O). 2) Horn. 11, 2 f. 3) Eusebius K.G. 4, 26. Lehre von Gott. 103 auf korperliche Weise zu denken, wofern man nur nicht vergesse, dass die Korperlichkeit oder die SubstanzGottes etvvas ganzAnderes sei als die des Menschen Den Uebergang auf die Lehre von den Eigenschaften Gottes, die sieh im Grunde sclion aus deni Bisherigen ergibt, rnacht die Einheit Gottes, die nicht sowohl Eigenschaft als vielmelu* dasWesen Gottes selbst ist. Die Kirchenlehrer batten sie nicht bios gegen den heidnischen Folytheismus, sondern auch gegen den gnostischen Dualismus zu vertheidigen. Dass dieser Dualismus in der Trennung des Weltschopfers vondem hochstenGott nicht nur auch wiederPoly- theismus sei, sondern auch dem BegrifF desSchopfers ebenso wider- streite wie demBegriff des hochstenGottes, hat Tertullian bcsonders mit aller Scharfe seiner Dialektik gegen Mar cion dargethan 0- Der Yerfasser derHomilien 1 2 3 ) beruft sicli einfach auf das religiose Bewusst- sein, das demMenschen nicht crlaube, einen andern alsGoll zu ver- ehren als den, von welchem er sieh geschaffen weiss. Wie iiber- haupt die Kirchenlehrer im Gegensatz gegen die das Wesen Gottes in sieh theilende und mit sieh entzweiende Aeonenlehre der Gnosli- ker urn so mehr die Einheit Gottes und seine absolute Identitat mit sieh selbst festhielten, so gaben sie auch nicht zu, dass Eigenschaf- ten nicht zusammenbestehen konnen, die nur im Interesse des crno— stischen Dualismus als entgegengesetzt und sicli ausschliessend ge- dacht wurden, wie die Gitte und die Gerechtigkeit 4 5 ). Auf die Col¬ lision der gottlichen Alhvissenheit mit der menschlichen Freiheit war man schonaufmerksam geworden unddarauf bedacht, dieletztere in ihrem Fiirsichsein gegen die erstere aufrecht zu erhalten, da Gott das Freie nur als solches vorauswisse r> ). Die Maclit Gottes liess Origenes (lurch das Wissen Gottes beclingt sein, sofern ilirn auch in 1) Er unterscheidet zwischen dem Existiren und dem Grand der Existenz, dem quod est und dem per quod est. De carne Christi c. 11: ne esse quidem potest , nisi habens, per quod sit — si habet aliquid per quod est, hoc erit corpus ejus. Ovine quod est, corpus est sui generis. Nihil est incorporate nisi, quod non est. Alles, was nur im Gedanken existirt, hat somit keine Realitat. Das Princip des Eealismus ist hiemit sehr bestimmt ausjtesprochen. Vgl. adv. Marc. 2, 16. und die Lehre von der Dreieinigk. 1. S. 188 f. 2) Adv. Marc. 1, 3. 5. 9. 3) Horn. 18, 22. 4) Horn. 18, 1 f. Tert. adv. Marc. 2, 11. 5) Justin Apol. 1, 43. Origenes Comm, in Genes. 5—9 c. Cels. 2, 20. J 04 Erste Hauptperiode, erster Ahschnitt. §. 22. Gott das begreifende Denken niclit ohne eine Begrenzung und somit liberhaupt das Bewusstsein niclit als ein unendliches sondern nur als ein endlich begrenztes und begrifflich bestimmtes moglich zu sein schien Diese Bestimmung, die mit des Origenes Lehre von der Welt sehr eng zusammenhangt, konnte bei ihm nur aus deni Bestreben hervorgehen, der abstracten, jeden Unterschied in sich aufhebenden Einheit, wie sich der alexandrinische Platonisrnus das Wesen Gottes dachte, die deni christlichen Bewusstsein entspre- chende concrete, in sich unterschiedene Einheit des denkenden Be- wusstseins entgegenzusetzen. §. 22. lielire von der Dreieinigkeit. Obgleich schon seit der altestenZeit die Lehre vonVater, Sohn und Geist der wichtigste Artikel des christlichen Glaubens ist, so ist es docli die ganze erste Periode hindurch nur die Lehre vom Sohne Gottes, welche das dogmatisclie Zeitinteresse fur sicli in Anspruch nimmt. Dass Christus der Sohn Gottes ist, ist die allgemeinste Be- stimmung seiner gottlichen Wiirde, aber schon im Neuen Testament lassen sich drei verschiedene Formen der Christologie unterscheiden. Nach den Synoptikern und den mit diesen zusammengehorenden Schriftstellern ist das gdttliche Princip in Christus der messianische Geist Cdas xvsupjx ayiov), nach Paulus ist es der lebendig machende Geist Cdas Pneumatische in seinem Unterschiede vom Psychischen), nach dem johanneischen Evangelium ist es der Logos, wobei dem- nach das Subject niclit wie bei den beiden ersteren Formen ein wesentlich menschliches, sondern ein wesentlich gottliches ist. Zwischen die beiden letzteren Formen fallt die Christologie der kleineren paulinischen Briefe und des Hebraerbriefs, in welcher der Erstgeborene der Auferstehung schon zumErstgeborenen derganzen Schbpfung gesteigert ist. 1) Ygl. die Trin.-Lehre 1, S. 218. 1st die Macht unendlich, sagt Origenes de princ. 2, 9. so kann sie niclit sich selbst denken, denn das Unendliche ist seiner Natur nach aJcepi'XrjTTTOv. Es gehort diess zur Natur des Denkens, das Denken ist ein Unterscheiden. Gedacht werden kann nur was durch die Be- stimmtheit des Begriffs von allem Andern unterschieden wird. Auch das Be¬ wusstsein Gottes hat in der Bestimmtheit des Begriffs seine Schranke in sich, ohne welche es in’s Unendliche sich verlieren wiirde. Lehre von tier Dreieinigkeit. 105 Den aussersten Gegensatz biltlen die ebionitische und die gno- stische Vorstellnng. Wahrend die letztere die ganze Fiille der dem Pleroina seinen absoluten Inhalt gebenden Aeonen aus dem absoluten Wesen emaniren liisst 0, hall sich die erstere streng an den Begriff des dem Wesen Gottes immanenten Tuveujxa. Nach den unbestimmten Aeiisserungen der apostolischen Vater liber einen praeexistirenden Sohn Gottes erhielt das Dogma durch die Logosidee das Princip sei¬ ner Bewegung, sie ist seitdem das Hauptmoment, durch welches das Denken liber das Verhaltniss Gottes und des Sohnes bestimmt wird. Da das Wort Logos nach dem gewohnlichen Sprachgebrauch die beiden Begriffe Denken und Sprechen in sich vereinigt, so lag es am nachsten, sich das Wesen des Sohnes in seinem Verhaltniss zu Gott auf dieselbe Weise vorzustellen, wie das innerlich Gedachte ztun ausgesprochenen Worte wird. Als Logos ist er daher sow oh 1 der Xoyo? als der Xoyo; 7upow7ra die verschie- denen Formen zu bezeichnen, in welchen das an sicli Fine Wesen Gottes ein gleichsam irnrner wieder anders gestaltetes Antlitz dem Bewusstsein der Welt entgegenhalt. Wie eine Periode und Phase der Weltgeschichte auf die andere folgt, so ist auch jede folgende eine inhaltsreichere, von derEinlieit des Gottlichen und Menschlichen liefer durchdrungene. Ist in der Periode des Alten Testaments, der Person des Vaters, das Gesetz die Form der Offenbarung, so ist es •# in der zweiten Periode der Sohn, in welchem Gott Mensch wird, aber nur in dem Einen Individuum, von welchem als der EinenLicht- quelle alle Strahlen der christlichen Offenbarung ausgehen, und erst in der dritten, das Prosopon des Geistes an sich tragenden Periode sehliesst sich in der Gesamintheit und unendlichen Mannigfaltigkeit der einzelnen vom Geiste Gottes erfiillten Subjecte die gauze Fiille der christlichen Offenbarung auf. Folgt so Prosopon auf Prosopon, so o'eht zuletzt auch der in der Reihe dieser wechselnden Gestalten C7 sich gleichsam dialektisch fortbewegende Logos aus der Dyas und Trias in die Monas des gottlichen Wesens wieder zuriick. Liegt der Trinitatslehre des Sabeluus unstreitig die pantheistic sche Weltanschauung zu Grunde, so hat sich dagegen die auf der andern Seite des Monarchianismus in gleicher Bedeutung ihr gegen- iiberstehendeLehre des Paulus von Samosata 1 ) auf eine ebenso cha- rakteristische Weise theistisch ausgebildet. Auch er hielt die Logos- Idee fest, aber der Logos war ihm nur das Princip derVernunft und des Selbstbewusstseins, und er bediente sich dieser Idee nur, um Gott und den Menschen in der Einheit ihres persdnlichen Selbstbe- 1 ) Eusebius K.CI. 7, 30, Athanasius de syn. 26. Evipii. Haer. 65. 110 Erste Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 22. wusstseins so auseinanderzuhalten, (lass sie in keine gottmenschliche Einheit zusammengehen konnen. Wenn daher auch der ubernatur- lich erzeugte und unter der Einwirkung des Logos stehende Jesus mehr war als alle andere Menschen, so war er dock, da er den Lo¬ gos nur ausser sieli, nichl in sicli hatte, wesentlich nur Mensch, und alies, was er Gottliches hatte, war nur (lurch die auf dein Wege der sittlichen Vervollkommnung erfolgende Vergottlichung seines an sich menschlichen Wesens hinzugekommen. Der Hauptvorwurf, der ihin gemacht wurde, war, dass er statt eines vom Himmel herabgekom- menen Solmes einen von unten herauf zum Gott gewordenen Chri- stns lelirte, aber so scharf und gewandt wusste er die schon als rechtglaubig geltende Lehre von Yater undSohn als zwei auf gleich personliche VYeise gdttlichen Wesen anzugreifen, dass die ihn auf der Synode zu Antiochien im J. 269 verdammenden Vater nur mil Laugnung der Homousie des Sohnes seiner dialektischen Argumente sich erwehren konnten. Wie Sabellius den Praxeas und Noetus zu seinen Vorgangern hatte, so eroffneten die Reihe, welcher Paulus von Samosata ange- liort, schon vor ilnn Theodotus und Artemon. Hdchst wahrschein- lich ist auf dieselbe Seite auch der Bischof Beryllus von Bostra zu stellen, da die seine Lehre hezeichncnden, alies Emanatistische aus- schliessenden Ausdriicke nur eine menschliche, unter gdttlicher Ein¬ wirkung stehende Persdnlichkeit annehmen lassen. Die Behauptung der Haretiker, gegen welche das sogenannte kleine Labyrinth gerichtet war 0, dass die monarchianische Lehre bis auf die Zeit des Bisehofs Zephyrinus (200 — 218) die herge- brachte und herrschende gewesen sei, erhalt eine neue Bestatigung (lurch die in den Philosop/iumena 1 2 ) gegebene Schilderung des noch so schwankenden Zustandes, in welchem sich in dem Gegensatz der Parteien selbst in der romischen Kirclie die Trinitatslehre noch be- fand. Seit dieser Zeit erfolgte ein Uinschwunff. Nachdem die Lelire des Theodotus schon von dem Bischof Victor als Harese verdammt 1) Vergl. Eusebius K.G. 5, 28. Theodoret Ilaer. fab. 2, 4. 5. Der Titel o cat/o'o; \a(3upiv0o<; soli ohneZweifel sagen, was das Labyrinth der mythischen Sage im Grossen gewesen sei, seien die Leliren und Beliauptungen dieser Hit- retiker, besonders ihrc Schrifterklarnngen, im Kleinen, ein Gewirre von Wi- derspriichen, aus welchen sich niemand herausfinden konne. 2) D, 11. f. S, 284 f. ed. Miia.ek. Lehre von tier Dreieinigkeit. Ill worden war, schieden sicli nicht nur die beidenFormen des Monar- chianismus, die theodotianische und die sabellianische, bestimmter von einander, sondern es machte sicli aucli gegen den Monarchia- liismus uberhaupt die Ansicht geltend, dassdie giittliche WurdeChristi nur in der Annalnne eines schon vor der Menschwerdung des Logos existirenden persdnlichen Sohns gesicliert sei. Die von demVerfasser der Philo sop humena^ sei es Hippolytus oder ein anderer bei den da- maligen Streitigkeiten lebhaft belheiligter Cleriker der rdmischen Kirche, verlretene Logoslehre erhielt, wie aucli aus der Schrift des romischen Presbyters Novatian de trinit ate zu sehen ist, in der rdmischen Kirche das Uebergewicht, und als bald darauf der alexan- drinische und rdmische Dionysius liber die Homousie des Solins in Conflict mil einander kanien, wirkte der Sabeliianisinus nur nocli so weit ein, dass man die in dem Linen Colt zusammengefasste Trias nicht als offenen Tritheismus erscheinen lassen welite. Erst dem Arianismus war es aber vorbehalten, den nocli immer bestchenden Cegensatz der Ansichten zur vollkommenenEnt- scheidung zu bringen. Als der Presbyter Aiuus in Alexandrien mil dem Bischof Alexander um das Jahr 318 fiber die Lehre vom Sohn Gottes in Streit gerieth, zielte seine Behauptung von Anfang an mil aller Entschiedenheit dahin, dass wenn der Sohn ein Anderer als der Vater sein soli, aucli mit dem Unterschied von ihm voller Ernst geinaclit werden miisse. Der Sohn sollte daher weder aus dem We- sen des Yaters hervorgegangen, nocli gleich ewig mit ihm sein, uberhaupt so tief unter ihm stehen, dass von einer Wesensgemein- schaft zwischen beiden keine Rede sein konnte. Die Grundanschau- ung des Arianismus war der abstracte Gegensatz des Endlichen und Unendlichen, ausgesprochen in dem Unterschied der beiden Begriffe der Gezeugtheit und Ungezeugtheit, oder des Geschdpfes und des Schopfers, der ihm gegenuberstehende Lehrbegriff dagegen hielt in dem zwar gezeugten, aber mit dem Vater das Pradikat der Ewigkeit theilenden Sohn die Idee einer Einheit des Endlichen und Unendli¬ chen lest, in welcher Einheit und Unterschied so vermittelt sein sollten, dass der Sohn ebensowohl ein Anderer als der Vater, als aucli derseibe wie der Vater sein konnte. Um fur dieses eigenthiim- liclie Verhallniss einen bestimmten bezeichnenden Ausdruck zu liaben, machte die Synode zuNiciia die Homousie des Sohneszur symbolischen Eormel ihrer Lehre und verdammte Alle, die sicli nicht zu dem in It 2 Erste Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 23. dieser Formel bezeugten Glauben derKirche bekannten. Der Begriflf dieser Homousie aber, die zu Nicaa nur durch die Dazwischenkunft der kaiserlichen Auctoritat zur symbolischen Lelire geworden war, war nocli so schwankend und unklar, mid der Gegensatz der ein- ander gegeniiberstehenden Ansichten nocli so wenig in der vollen Bedeulung der beiderseitigenMomente zum Bewusstsein gekomnien, dass das Symbol der nicanischen Synode statt den LehrbegrifF zn fixiren und liber die streitenden Meinungen zu entscheiden, vielmehr nur das Programm eines jetzt erst zu seiner ganzen Heftigkeit sich entzundenden Streits zu sein schien r ). §. 23. Lelire von der Welt, ilirer ieliopfiiii^ mul He^Ierung. Diese Lelire bat ihre besondere Wichtigkeit fiir die Geschichte der altesten Periode darin, dass das christliche, durch die absolute Gottes-Idee bestimmte Bewusstsein mit der in diese Lelire haupt- sachlieh eingreifenden alterthumlichen Anschauungsweise, der der alten Religion und Philosophic eigenen Ansicht von dem irnmanenten Verhaltniss Gottes und der Welt, oder von dem Gegensatz der bei~ den zusammengehorenden Principien, Geist und Materie, sich erst auseinandersetzen inusste. Es geliort hielier der gauze Process, in welchen die Gnosis ihre beiden Principien zur Entstehung einer endlichen Welt mit ein- ander sich verwickeln liisst. So verschieden auch dieser Process in den verschiedenen Formen der Gnosis sich gestalten mag, der Un- terschied besteht hauptsachlich nur in der mehr oder minder duali- stischen Auffassung des Gegensatzes. Am meisten tritt die Materie als ein vonGott verschiedenes und selbstslandiges Princip in dem valentinianischen System zuriick. Die Materie ist liier nur der sich selbst ausserlich und gegenstand- lich gewordene Geist. Der Geist hat an sich in seinem SelbstolFen- barungsprocess den Zug zur Materialisirung in sich. Die Ursache der Entstehung der endlichen materiellen Welt ist die im Pleroma durch die intellectuelle Selbsterhebung der Sophia entstandene Ver- wirrung, durch die es zu einem Bruch mit dem Absoluten und zu einer immer weiter gehenden Spaltung zwischen dem Endlichen und 1) Trin.-Lelire. 1. S. 320 i‘. Lehre von tier Welt, ihrer Schopfung und Regierung. 113 dent Absoluten kam. Aus den verschiedenen psychischen Affektio- nen, in welchen die Sophia ausserhalb des Pleroma in deni leidens- vollen Zustand ihrer Geistesentausserung sich befmdet, gehen die Elemente und Bestandtheile der materiellen und korperlichen Welt hervor. Die geschaffene endliche Welt ist der zur festen Masse ver- dichtete, sicli selbst undurchsichtig gewordene Geist, die tief unter deni Pleroma stehende Region des Psychischen, die in dem Demiurg ihren eigenen Schopfer und Yorsteher hat. Wie der Demiurg nacli den aus der hohern Welt ihm mehr oder minder unbewusst eingege- benen Ideen handelt, so liegt hier uberhaupt die platonische An- schauung der itn Realen sich reflektirenden Idee zu Grunde. Die endliche Welt ist das reale Abbild des idealen Urbilds 1 ). Andere Systeme der Gnostiker nehmen eine von Gott unab- hangige ewige Materie an als Grundlage der von der Lichtwelt aus- gegangenen, durch verschiedene Zwischenstufen vermittelten Welt- schopfung. Die Welt entsteht theils durch eine fortgehende Reihe von Emanationen, von welcher die eine immer wieder der Reflex der andern ist, theils dadurch, dass die beiden Principien wie Licht und Finsterniss auf einander stossen und sich vermischen. In diese Kategorie gehort aucli das System des Basilides mit der ihm zuge- schriebenen GuyyuGiq ap^/oj. Der Hauptgesichtspunkt aber, aus welchem er die Weltentstehung auffasste, war nicht sowohl dieAus- gleichung als die Scheidung des principiellen Gegensatzes. Indem in dem nicht seienden Gott und dem Weltsamen der abstracte Ge- gensatz des Seins und Nichtseins und in demselben der concrete des Geistigen und Materiellen an die Spitze des Systems gestellt wird, ist es ganz darauf angelegt, die in der urspriinglichen Einheit ent- haltenen und in ihr noch indifferenten Gegensatze aus ihr herauszu- setzen und in ihrem reinen Gegensatz sich gegeniibertreten zu las- sen. Das Geistige reisst sich von dem Materiellen los, es strebt von unten nach oben und schwingt sich, wahrend der seiner geistigen Elemente mehr und mehr entleerte Weltsame in der Tiefe zuriick- bleibt, zu dem nichtseienden Gott auf. So treten der nichtseiende Gott, der als die Einheit des Seins und Nichtseins auch den Gegen¬ satz des Geistigen und Materiellen in sich schliesst, auf der einen und der Weltsame auf der andern Seite zuletzt in den weitesten Gegensatz 1) Die cbr. Gnosis. S. 124 f. Die drei ersten Jahrh. S. 179 f. 8 Baur, Dogniengeschichte, 114 Erste Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 23. auseinander. Wahrend die Emanationssysteme das Hauptgewicht auf das Kosinogonische legen, fasst das basilidianische, indem es das Dasein der Weltelemente zur einfachen Yoraiissetzung macht, and) die Weltentstehung als einen Seheidungsprocess auf. Es soli iiberhaupt in den niclitemanatistischen, sondern strenger dualistischen Systemen, zu welchen auch das des Basilides gehort, nicht sowolil das reale Werden der Welt erklart, als vielmehr das an sich Ver- schiedene in seinem principiellen Unterschied erkannt und fur das Bewusstsein auseinandergehalten werden. Es kann daher die hochste Strife der Entwicklung nur da sein, wo der Gegensatz des Mate- riellen und Geistigen, des Sinnlichen undUebersinnlichen, des Welt- lichen und Ueberweltlichen, in seinem ganzenUmfang zum Bewusst¬ sein kommt, und ailes Seiende als das gewusst wird, was es in Ge- massheit des ihm gebiihrenden Orts im Weltganzen ist v ). Wie nacli der ersten Form der Gnosis die Materie ein Accidens an der Substanz des Geisles ist, nacli der zweiten ein selbststandig Golt gegenuberstehendes Princip, so ist sic nacli der dritten, der pseudoclementinisehen, in Golt und von der Natur Gottes nicht wesentlich verschieden. Die Welt ist mit den vier Substanzen, die ihre Elemenle sind, aus Golt hervorgegangen. Wie diese vier Substanzen zwei Gegensatze bilden, das Warme und Kalte, das Feuchte und Trockene, so war es ursprunglich nur eine und die- selbe Substanz. Ursprunglich Eines, solange sie noch in Gott wa- ren, wurden sie erst, als sie aus Gott hervorgingen, zweifach und vierfach getheilt. Die Schopfung selbst erfolgte dann dadurch, dass Gott diese Substanzen mischte und aus ihnen unendlich viele Mi- schungen machte, damit aus diesen Gegensatzen und Misclnmgen die Lust des Lebens hervorgehe 1 2 ). Yon der Lehre der Gnostiker unterscheidet sich die von Ter- tullian bekampfte Lehre des Afrikaners Hermogenes dadurch, dass er sich Gott und die Materie als ein ewmes Ineinandersein beider dachte, in welchem Gott als das Princip der Einheit, Ordnung und Ruhe auf die nicht korperlich passive, aber nur regellos sich bewe- 1) Diess ist die auf die auf/uai; und cpuXoxpi'vrjat? als drittes Moment fol- gende a^oxaxaataat<;, oder arco/aTaaxaais xdiv auyxe^up.^vtov £t? ta otxsia. Vergl. Theol. Jalirb. 1856. S. 127 f. 2) Horn. 3, 33. 19, 12. f. Analog sind diesen oua(ai bei J. Bohme die zur Natur Gottes gekorenden Qualitaten. Lelire von der Welt, ihrer Schopfung nnd Regierung. 1 gentle Materie nicht durch einen Akt seines Willens, sondern durch die unmittelbare Niihe nnd Gegenwart seines Wesens so einwirkt, dass in diesem immanenten Yerhaltniss beide nicht ganz in einander aufgehen, sondern immer noch ein Rest von Unordnung undDishar- monie bleibt, woraus das Bose in der Welt zu erklaren ist. Der gnostischen Lebre von einer praexistirenden Materie setz- ten die Kirchenlehrer den einfachen, sclion im Hirten ties Hermas aus- gesprochenen Satz der Schopfung aus Nichts entgegen, und liessen es sich noch besonders angelegen sein, die mit der gnostischen Weltanschauung so eng zusammenhangende und in dem valen- tinianischen System hauptsachlich auf der platonischen Ideenlehre beruhende Emanationstheorie zu widerlegen. Sie erinnerten, wie namentlich Irenaus, dass wenn einmal das Eine der Reflex ties An- dern sein soil, eine unendliche Reihe soldier Reflexe angenommen vverden konne, ferner, dass tlie Vielheit und Mannigfaltigkeit der realen endlichen Welt sich aus tier in sich geschlossenen Einheit der Ideenwelt nicht erklaren lasse, und dass das Geistige und Ewige dem Irdischen und Verganglichen so entgegengesetzt sei, dass das Eine nicht das Urbild, das Andere das Nachbild sein konne 1 '). Alles, was das Yerhaltniss Gottes und der Welt vermitteln sollte, setzten die Kirchenlehrer nur in den Logos als das Princip derWelt- schopfung. Wenn man aber auch das Yerhaltniss Gottes zur Welt nur durch den christlichen, liber dem principiellen Gegensatz von Geist und Materie stehenden, nicht auf das Wesen, sondern den Willen Gottes zuriickgehenden Begrilf der Schopfung bestimmte, so konnte, wie bei dem Sohn, so auch bei der Welt gefragt werden, ob ihr Yerhaltniss zu Gott als ein erst gewordenes Oder als ein ewiges an- zusehen sei. Aus tier absoluten Idee Gottes leiteten Origenes und Methodius entgegengesetzte Folgerungen ab. Wahrend Origenes sich tlie gdttliche Allmacht nicht als eine einst ruhende und erst in Thatigkeit iibergehende denken konnte, schien es dem Methodius mit dem Begrifl’e Gottes zu streiten, wenn er seine absolute Yoll- kommenheit nicht schlechthin in sich selbst, sondern nur in seiner Beziehung zur Welt Iiatte 2 ). Die von Origenes behauptete Ewig- keit der Welt ist soselir tlie Grundidee seines Systems, dass es nur unter diesen Gesichtspunkt gestellt werden kann. 1) Adv. haer. 2, 7. 2) In der Schrift ywrpw bei Photius Bibl. cod. 235. 8 * ilG Erste Hauptperiode, erster Absclmitt. §. 28, Gott offenbart sicli vermoge seiner absoluten Macht und Gfile, aber die Nothwendigkeit einer solchen OfFenbarung, wie die ge- schaffene endliche Welt ist, lasst sicli aus der Idee des gottlichen Wesens in seiner abslrakten Einheit nichl begreifen, es muss daher ein anderes Princip hinzukommen, das zwar nur in der Abhangig- keit von Golt bestehen soli, aber mit absoluter Selbststandigkeit sich ihm gegeniiberstellt. Die geschaffenen endlichen Geister sind, was sic sind, nur durch Gott, aber als frei und in dem Princip derFrei- beit sich durch sich selbst bestimmend, sind sie, was Gott an sich in der reinen Identitat mit sich selbst ist, in der unendlichen Man- nigfaltigkeit des freien Fiirsichseins. Die Welt, wie sie ist, ist nicht sowohl von Gott geschaffen, als durch die Freiheit der endlichen Geister bedingt. Auf der einen Seite ist Gott das Princip alles Seins und Lebens, auf der andern hangt Alles an der Freiheit der endlichen Geister und jede der beiden einander gegenuberstehenden Seiten des Systems wird so eine Totalitat fur sich. Die Welt entsteht durch die Selbstbestimmung der Freiheit der endlichen Geister, ihre ganze Or¬ ganisation ist durch sie bedingt, sie nimmt zuletzt wieder ein Ende, weil es als undenkbar erscheint, dass die endlichen Geister in ihrer Freiheit nicht vom Bdsen wieder zum Guten zuriicklenken sollten. Ebenso folgt aucli wieder auf das Ende der einen Welt der Anfang* eincr andern: der ganze Weltverlauf in der unendlichen Folge der endlichen Welten ist nichts anderes, als der bestandige Wechsel der bald auf die Seite des Guten, bald auf die des Bosen fallenden Ent- scheidung der Wahlfreiheit, und Gott selbst ist in letzter Beziehung nur die der Welt immanente Idee der moralischen Weltordnung. Die Idee Gottes kann gegen die Idee der Freiheit nicht zu ihrem Recht kommen, es steht nicht nur ein absolutes Princip gegen ein anderes, sondern es verhalten sich aucli Gott und Welt zu einander, wie Endliches und Unendliches. Da Gott mit seinem denkenden Be- wusstsein nur eine endliche Welt umfassen kann, so kann zwar die Welt nur eine endliche sein, aber in der unendlichen Reihe der auf einander folgenden endlichen Welten wird die Welt selbst zu einer unendlichen, fiber die Endlichkeit des gottlichen Bewusstseins weit iibergreifenden Macht. Ja, in letzter Beziehung kommt sogar der dem System des Origenes zu Grunde liegende Gegensatz der Got- tes-Idee und der Freiheits-Idee geradezu wieder auf den Gegensatz zwischen Geist und Materie zuriick. Denn nur Gott ist reiner, im- Lehre von der Welt, ihrer Schopfung und Regierung. 11T materieller Geist im absoluten Sinn, alien von ihm geschaffenen Gei- stern kommt das Pradikat der Geistigkeit nur in relativem Sinn zu, und nicht bios eine Folge des Falls der Seelen ist das Dasein der inateriellen Welt, sondern das Dasein der geschaffenen endlichen Geister hat den Begriff der Materie schon zu seiner Voraussetzung, und nur im abstrakten Gedanken konnen beide, die Materie und die geschaffenen Geister, von einander getrennt werden. Die Materie ist also das vonGott unterschiedene Andere, das Princip, ohne wel¬ ches nichts ausserGott existiren kann; liber den Gegensatz zwischen Geist und Materie kommen wir somit auch bier nicht hinweg. Es ist nur scheinbar, wenn an die Stelle dieses Gegensatzes in den beiden hochsten Principien, in Gott, als dem absoluten Geist und den von ihm unterschiedenen endlichen Geistern, ein rein geistiger Gegen¬ satz tritt, das Verhaltniss des Geistes zum Geist, der Begriff der Materie drangt sicli innner wieder voran, als die Voraussetzung, ohne welche es auch kein geistiges Sein ausser Gott geben kann, und dock kann die Nothwendigkeit dieser Voraussetzung selbst aus dem Wesen Gottes, als des absoluten Geistes, nicht begriffen wer¬ den. Geist und Materie, Unendliches und Endliches, Gott und Welt, verhalten sich also immer noch ausserlich zu einander *)• Die Idee einer intelligenten, durch sittliche Zwecke bestimmten Weltregierung wurde schon von den altesten Vatern als der Grund- begriff der christlichen Lehre von der Vorsehung anerkannt. Ohne die Vorsehung schien dem alexandrinischen Clemens die Erldsung ein blosser Mythus zu sein 1 2 ). Der Verfasser der pseudoclementini- schen Homilien rechnete den astrologischen Fatalismus, den auch mit der gnostischen Weltanschauung so tief verwachsenen Glauben an eine stp.apixsvv) und eine yevsc>L$, d. h. die Constellation der Ge- burtsstunde, zu dem sittlich verderblichsten Einfluss des Heiden- thums 3 ). Die Rechtfertigung Gottes gegen das Bose in der Welt, welche die Gnostiker vergeblich in ilirem Dualismus suchten, setz- ten die Kirchenlehrer in die einfache Unterscheidung der mala cu!- pae und mala poenae 4 ). Der Verfasser der Homilien sieht in seiner durchaus teleologischen Weltbetrachtung auch in dem Bosen nur 1) De prillc. I, 6, 2. 4. II, 1, I. 2. 2, 2. Ill, 5, 4. 2) Strom. 1, 11. 3) Horn. 4, 12. 14, 2. 15, 4. 4) Teut. Adv. Marc. 2, 14. 118 Erste Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 24. das Gate, sofern es theils zur Bewahrung des Guten, theils zur Be- strafungund Yernichtung desBosen dient, somit sich selbst aufhebt §. 24. Lelire von den En^e'ln mid l>iiiiioueii. Es gibt kaum eine andere Lelire, welche dem Christenthum so viele Beruhrungspunkte mit den beiden andern Religionen darbot, wie die Lelire von den Engeln und Damonen. Wie in ihr schon die judiselie Religion Elemente altorientalischer Religionsideen in sich aufgenommen hatte, so war auch im Christenthum der Glaube an solche Mittelwesen hauptsachlich das Medium, durch welches die heidnische Anschauungsweise cinen bestimmenden Einfluss sowohl auf das christliche Dogma als den christlichen Cultus ausubte. Fur das sich entwickelnde doyfmatische Bewusstsein stellte sich in der Lelire von den Engeln die Aufgabe, den BegrifF derselben nacli dem Gesichtspunkt, unter welchen sie als Mittelwesen zwischen Gott und den Menschen zu stellen sind, zubestimnien. Sie sind daher zwar in Allein vorziiglicher als die Menschen, liohere, mit aller Leichtig- keit sich bewegende, intelligente, sittlich freie Wesen, aber bei aller Immateriality ihresWesens doch nicht rein geistigerNatur wie Gott. Auf dieser allgemeinen Grundlage gestaltete sich die Yorstellung von den Engeln und der Sphare, die sie im Weltganzen einnehmen, theils nacli dem Typus eines hierarchischen Systems, in welchem nach der Analogie der drei kirchlichen Rangstufen, des Diakonats, Presbyteriats und Episkopats und nach Maassgabe der biblischen, ebensoviele Classen bezeichenden Ausdriicke die Ordnunoen der Geisterwelt von unten nach oben aufsteigen 1 2 ), theils nach der Idee eines heidnischen Gotterstaats, in welchem die verschiedenen We¬ sen des polytheistischen Glaubens der Monarchic des freien hdchsten Gottes sich unterordnen. Nach dieser letztern Ansicht erhielt die allgemeine Idee, dass die Engel die Yermittler undOrgane der gott- lichen Weltregierung sind, die bestimmtere Form, die sich schon in der Uebersetzung der LXX zu der Stelle 5 Mos. 32, 8. zu erken- nen gibt, dass die Engel gleich den Nationalgottern des heidnischen Glaubens dieYorsteher der einzelnen Provinzen des gottlichen Reichs 1) Horn. 2, 36. 3, 4. 2) Vergl. Clemens Al. Strom. 6, 13. Ignatius Ep, ad Trail, c. 5. Lehre von den Engeln und Damouen. J19 sind, und jedes Volk von seinem eigenen Engel uberwacht und re- giert wird. Ain eigenthiimlichsten hatOaiGENES dieseldee mil seiner Lehre von dem Fall der Seelen in Yerbindung gebrachtEs ist nur die speciellere Fortbildung derselben Idee, wenn Engel, vvie so viele Goiter des alien Glaubens, auch als Vorsteher undPatrone be- sonderer Aemter gedacht wurden, um als Bet- undBussengel u.s.w. fur das Ileil der Mensclien tliatig zu sein, und wenn sogar jeder Mensch seinen eigenen Sclmtzengel liaben sollte. Die Analogie der christlichen Angelologie mil dem heidnisehen Polytheismus hat ilire kritische Spitze in der Frage iiber die Anbe- tung der Engel. Ausgesprochen ist sie noch von keinem Kirchen- lehrer, Origenes erklart sicli sogar sehr entschieden gcgen sie, aus denselben Griinden, die auch in der Folge stets als entscheidend ge- gen sie betrachtet werden mussten, dass sie in der Schrift nicht geboten sei, mit unserer so mangelhaften Kenntniss der Engel sicli nicht vertrage, und mit der Wiirde der Person Christi in Wi- derstreit komme, durch welchen als den iiber alle Engel erhabenen Hohepriester, den lebendigen Logos, der selbst Gott ist, allein alle Gebete, Bitten und Danksagungen zu dem hochsten Gott hinaufzu- senden seien. Gleichwohl linden sich schon bei Origenes Spuren eines Ueberganges zum Engelcultus, sofern es sich nur um die Bestimmung desBegriffs zu handeln scheint, um ihn innerhalb dieser o o ' Begrenzung zuzulassen 1 2 ). Dass es nicht bios gute Engel, sondern auch bose, oder Da- monen gibt, hat seinen Grund in dem Princip der sittlichen Freiheit. Die Ursache des Falls setzte man, sofern von Damonen iiberhaupt die Bede ist, allgemein nach der hergebrachten Deutung der Stelle lMos.6, 2. in die selbst holiere Geister nach unten ziehende Fleisches- lust, welche tiefer aufgefasst, wie in der Form, welche die alteSage in den clementinischen Homilien hat, auch als der unbegreifliche Zug des Geistes zur Materie genommen werden kann 3 ). Nicht bios ctn- geli desert ores , auch proditores werden die gefallenen Geister ge- nannt, da durch sie in Gemassheit des auch in ihrem Fall in ilinen nicht vollig erloschenen hoheren Wissens verschiedene, zur Cultivi- rung des Lebens dienende Kenntnisse mitgetheilt worden sein soil— 1) c. Cels. 5, 29. f. 2) c. Cels. 5, 4. 8, 13. 57. 3) Horn. 8, 1. f. 120 Erstc Hauptperiode, erster ALschnitt. §. 24. ten ! ). Bei dem Teufel selbst aber glaubte man seinen Abfall von Gott nur aus Stolz und Neid ableiten zu konnen. Er ist daher schon bei Tertullian und Origenes nach der allegorischen Deutung der Stellen bei Es. 10, 12. f., 14, 12. u. a. der in Folge seines Ueber- muths gefallene Lucifer. Der Gegensatz gegen die Ableitung des Bosen aus dem Willen ist der gnostische Dualismus, die Lehre von einem principiellen Bosen, einer doppelten Wurzel, einer guten und einer bosen 1 2 }. Eine eigene, Natur und Willen verkniipfende Theorie von dem Ursprung des Bosen stellte der Yerfasser der Ho mi lien auf, indem er den Teufel schon mit seiner ersten Entstehung bose sein liess, aber nur durch seine eigene That. Als ein aus der Mi- schung der aus Gott hervorgetretenen Grundstoffe entstandenes We- sen hat er den Trieb, die Bosen zu vernichten, betreibt aber eben- dadurch ein lobliches, fur die Zwecke Gottes forderliches Geschaft. Zur Bestrafung des Bosen und der Vollstreckung des Gesetzes ist er der Herrscher der cregenwartigen Welt, wie Christus der kunfti— gen, die linke Hand Gottes neben der rechten 3 ). Wie diese Ansicht in der nachsten Yerwandtschaft mit dem gnostischen Dualismus steht, so gestaltete sicli auch die Weltanschauung der Kirchenlehrer auf dem Grunde ihrer Damonologie acht dualistisch. Da man sich noch nicht so weit liber die Bildungsstufe des Heidenthums erhoben hatte, um die Gotter des heidnischen Glaubens fiir bios vorgestellte und mythische Wesen zu halten, da sie auch reale, wirklich existirende Wesen sein sollten und ihre Rcalitat doch nur eine falsche und tail— schende sein konnte, so tritt hier das Damonische vermittelnd da- zwischen. Die Gotter der Heiden sind keine wahren Gotter, aber Damonen, das Heidenthum ist als die falsche Religion doch auch Religion, sofern alles, was an ihm den Charakter der Religion an sich tragt, eine tauschende Nachbildung der Wahrheit ist, der Be- trug und das Blendvverk der Damonen, die sich in die Form des Gottlichen hlillen, um unter dieser Htille gottliche Yerehrung von den Menschen zu geniessen. Da ihreMacht nur auf dieser Tauschung beruht, so entsteht, so oft sie als das erkannt werden, was sie an sich sind, die grdssteBewegung. Sie sind die gegen das Christenthum 1) Tertull. de idol. c. 9. Apol. c. B5. dc praescr. haer. c. 7. de cultu fem. 1, 2. Clemens Strom. 5, 1. 2) Vergl. den marcionitisclien Dialog de recta in Deum fide. 3) Horn.. 19, 12. f. vergl. 3, 5. 15, 7. Lelire vom' Menschcn. 121 gerichtete gottfeindlicheMacht, die Anstifter aller dieWahrheit ver- falschenden Haresen, die Urheber aller Verfolgungen, in welchen Martyrer und Damonen sich wie feindliche Heere bekampfen. Auch im Leben der Einzelnen kommt von ihnen alles, was den Menschen geistig und korperlich qualt, auf dem geistigen Gebiet besonders dadurch, dass sie jeden gegebenen Anlass beniitzen, um eine an sich natiirliche Affection zum Uebennaass zu steigern. So verderb- lich aber ihre Wirksamkeit ist, so vermogen sie doch nichts gegen die Freiheit des Menschen, er hat in sich selbst, wie auch schon in dem Namen Jesu, alle Kraft des Widerstandes O* §. 25. I^elire vom ISei^clieu. 1. Die Natur des Menschen iiberhaupt. Wenn man von dem dualistischen Gegensatz der beiden Prin- cipien Geist und Materie ausging, so konnte man sich keine Yerei- nigung derselben denken oline eine dazwischen tretende mittlere Form, in wclcher die beiden Principien sich gegenseitig so be- schrankten, dass sie weder das Eine nocli das Andere und doch beides zugleich war. Diess ist das Psycliische, wie es die Gnosti- ker insbesondere der valentinianischen Sclmle als eines der drei allgemeinen und daher auch die Natur des Menschen constituirenden Principien betrachteten. Wie es drei Principien gibt, so gibt es auch drei wesentlich verschiedene Menschenklassen, welche proto- typisch durcli die drei Sohne Adams reprasentirt sind 1 2 ). Da die— selbe Ansicht von dem Gegensatz zwischen Geist und Materie auch der bekannten platonischen Trichotonie zu Grunde liegt, so folgten ihrtauch die platonisirenden Kirchenlehrer, nur mit deinUnterschied, dass sie die drei Principien Geist, Seele und Leib als wesentliche Bestandtheile der menschlichen Natur in jedem Menschen voraus- setzten. Wenn Basilidks mit seinem Sohn Isidok die sinnlichen Triebe undLeidenschaften eine angewachsene Seele, oder Anhangsel der vernunftigen Seele nannte 3 ), so sprach sich darin ebenso eine 1) Die Belegstellen dazn enthalten besonders die Schriften des Origencs, c. Cels. 3, 29. 4, 92. 7, 3. 69. 8, 36. 44. f. De princ. HI, 2, 2. 2) Tertull. adv. Valent, c. 29. 3) Clemens Strom. 2, 20. i22 Erste Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 25. schroffere Auffassung des Gcgensatzes der beiden Principien aus, wie bei Tatian, welcber von dein umgekehrten Standpunkt aus den Geist als das von der eigentlichen Substanz des Menschen ablosbare Princip betrachtete *)• Auf die platonische Definition der Seele als einer einfaclien Substanz beruft sicli Tertullian, um die Unterschei- dung zwischen Geist und Seele fur eine der Natur der Seele wider- streitende Trennung zu erklaren und ohne weitere philosophische Reflexion fiber den Gegcnsatz zwischen Geist und Materie bei der einfaclien Eintheilung des menschlichen Wesens in Seele und Leib stehen zu bleiben 1 2 ). Die Frage, wie die Seele entstehe, scliien verschieden beant- wortet werden zu konnen. Origenes erklarte sicli ihren Ursprung, da die Kirchenlehre auch diese Annahme frei zu lassen scliien, aus der Idee der Praexistenz, nicht ohne den Widerspruch des Metho¬ dius, gegen welchen der Presbyter Pamphilus seinen Lehrer ver- theidigte 3 ). Tertullian liess die Seele zugleich rait dem Korper entstehen als einen aus der Urseele Adams durcli Fortpflanzung sich absenkenden Lebenskeim 4 ). Dass die Seele ein Theil des gottlichen Wesens sei, wurde fur schriftgemass gehalten 5 ), aber auch wieder an der Behauptung ihrer Homousie niit Gott Anstoss genommen. Ueber die Freiheit als das Yermdgen der Selbstbestimmung war nur Eine Stimme, sie stand als die Grundbedingung der sittlichen Natur des Menschen in der Ansicht der Zeit so liocli, dass sie als das un- verausserlichste Attribut des menschlichen Wesens gait 6 ), wahrend Viele die Seele an sich fur sterblich hielten und die Unsterblichkeit nur als Belohnung und Geschenk Gottes betrachtet wissen wollten 7 ). Als Ausdruck der hochsten dem Menschen von Gott verliehenen Vor- ziige betrachtete man das Bild Gottes, das Kirchenlehrer, die f^ich Gott selbst kdrperlich gestaltet dachten, wie namentlich der Yer- 1) Or. c. Gr. c. 7. 12. 15. 2) De anima c. 10. 22. 3) Ygl. die Apologie des Pamph. in Orig. Opp. ed. de la Rue T. IV. App. S. 43. 4) De anima c. 19. 27. 5) Wie von Justin de resurr. c. 11. u. a. Dagegen erklart sich Clemens Al. Strom. 2, 16. 6) Man vergl. bieriiber besonders auch die Homilien 2, 15. 11, 8. 12, 29. 7) Tatian Or. c. Gr. c. 13. Theopii. ad Autol. 2, 27. Iren. adv. haer. 2, 34. Lactant. Inst. div. 7, 5. Lehre vom Menschen. m fasser der Homilien nach ebionitischer Anschauung, aber auch Tertullian und Irenaus, auch auf denLeib bezogen 1 )* Die schwan- kende Unterscheidung zwischen Bild und Aehnlichkeit fixirte Ori- genes am bestimmtesten so, dass er das Bild auf die naturliche An- lage in Yernunft und Freiheit, die Aehnlicbkeit auf die durch sitt- liches Streben zu erlangende Yollkommenlieit bezog. Von der Voll- kommenheit des nach dem Bilde Gottes geschaffenen Menschen hatte der Verfasser der Homilien, welcher in Adam den wahren Pro- pheten sah, die hochste Yorstellung 2 ), die niedrigste liatten die Gnostiker, da sie aus der Unvollkommenheit Adams die Unvoll- kommenheit seines Schopfers folgerten 3 ), beide aber trafen in der Behauptung zusammen, dass die Thatsache der Siinde unvereinbar sei mit der Yoraussetzung seiner Yollkommenlieit. Darum wichen auch beide, nur freilich auf verschiedene Weise, von der gewolin- lichen Yorstellung vom Sundenfall ab. 2. Der Sundenfall. Wiihrend die Kirchenlehrer allofemein den Siindenfall als den Uebergang aus der urspriinglichen Vollkommenheit des Menschen in den Zustand eines deteriorirten Daseins, der Sterblichkeit und Stind- haftigkeit, betrachteten, batten Gnostiker, welche nicht den hochsten Gott, sondern nur den unvollkominenen Demiurg fur denSchopfer der Menschen hielten, die gerade enlgegengesetzte Ansicht, nach welcher der Menscli durch die Uebertretung des vom Demiurg gegebenen Gebots sich aus der Gewalt desselben emancipate, und durch die Erkenntniss des Guten und Bdsen das Bewusstsein der liohern, gei- stigen, ilnn nicht von dem Demiurg, sondern der Sophia ver- liehenen Natur in ilnn erwachte. Dalier gait den Ophiten nament- lich, wenigstens eirier Partei derselben, die Schlange als das Bild und Organ der die Zwecke der liohern Weltordnung oline Wissen des Demiurgs realisirenden Sophia 4 ). Nach dem Verfasser der Ho¬ milien hat Adam die von ihm erzahlte Siinde gar nicht begangen, die Erzahlung der Genesis gehort zu den sich selbst widerlegenden 1) Horn. 3, 7. 10, 6. 7. 11, 4. Tert. de bapt. c. 5. de resurr. carnis c. 6. Iren. V, 6, 1. 2) Horn. 3, 36. 3) Vergl. Clemens Alex. Strom. 6, 12. 4, 23. 4) Vergl. die chr. Gnosis S. 178. f. 124 Erste Hauptperiode, erstcr Abschnitt. §. 25. Verfalschungen des Alien Testaments, erst nach Adam gehorchten die Menschen dem von ihm gegebenen Gesetz nicht mehr, sie ver- gassen des Gebers ihrer Gliickseligkeit und es traf sie die gerechte Strafe des Undanks. Eigentlich aber hat nach der Weltanschauung der Homilien der Ursprung der Siinde darin seinen Grund, dass die Ordnung dei Syzygien von Adam an plotzlich umschlug und nicht mehr wie in ihm das Bessere dem Schlechtern, sondern das Schlechtere dem Bessern voranging. Dass seitdern das weibliche Princip, als das seiner Natur nach schwachere, schlechtere, unvoll- kommene das vorangehende und vorherrschende ist, diess eben ist die durch den Siindenfall zu ihrer Macht und Herrschaft gekonnnene Siinde *)• 3. Die Siindhaftigkeit des Menschen. Dass der Mensch Sunder ist, ist allgemein anerkannte That— sache, wie er es aber ist, ob die Siinde Adams, abgesehen von dem Tode, noch einen andern, den Menschen zur Siinde bestim- menden Einfluss auf ihn hatte, ist eine Frage, auf welche man di ei verschiedene Antworten gab. 1. Nach der gewohnlichen Vorsteliung der Kirchenlehrer ist die Siinde Adams nur eine ihm selbst zuzurechnende Scliuld, zwar der Anfang des Siindigens, durch welchen die Siinde zur herrschen- o O 1 den Gewohnheit wurde, aber der einzelne Mensch verhalt sich zur Siinde ganz auf dieselbe Weise, wie Adam. Die Kirchenlehrer be- trachteten alles Sittliche sosehr als Sache der eigensten Selbstbe- stimmung des Menschen, dass ihnen die sittliche Zurechnung auf— gehoben zu sein schien, wenn der Mensch nicht dieselbe Freiheit im Guten wie im Bdsen hatte 1 2 ). Ausdnieklich erklarte sich Clemens von Alexandrien gegen den Gebrauch, welchen Gnostiker von Stellen der Schrift, wie Iliob 14, 4. 5., Ps. 51, 7., fiir ilire Lehre von einer dem Menschen von Natur anhangenden materiellen Be- Heckling machten, aus dem Grunde, weil ihm jede Art der Erbsiinde mit dem Begriff der Siinde zu streiten schien 3 }. 2. Nach der Lehre des Origenes wird zwar der Mensch als Sunder geboren, aber nicht wegen der Siinde Adams, sondern we- 1) Horn. 3, 21. 8, 10. Vergl. Theol. Jalirb. 1844. S. 558. f. 2) Man vergl. z. B. Iren. adv. haer. IV, 37, 2. 3) Strom. 3, 16. vergl. 2, 15. Accbt pclagianiseli spricht sich auch der Verfasscr der Hoinilien 8, 16. aus. Lelire vom Men sc hen. 125 gen des Falls der Geister in der holiern Welt, in Folge dessen jede Seele schon vor der Geburt in deni Zustand ihrer Praexistenz sich durch Siinde befleckt hat, die Seele uberhaupt das, was sie als Seele ist, erst geworden und die Korperwelt als der sittliche Reflex der in der Geisterwelt entstandenen Disharmonie in’s Dasein getreten ist O* Eben diess scliien ihm der allegorisch verhiillte Sinn des in der Genesis erzahlten Sundenfalls als der icaTapoXY) too x.6(7(aou zu sein 1 2 ). Derselben Schriftstellen, die schon die Gnostiker beniitzt batten, und die in der Folge als Hauptbeweise fur die kirchliche Lelire von derErbsiinde galten, bediente auch er sich fur seine Vor- stellung, deren Bestatigung er iiberdiess in der kirchlichen Sitte der Kindertaufe fand 3 ). Diese nacli platonisch-gnostischer Weise trans- cendente mytbische Vorstellung ist deni Origenes so eigentliumlich, dass selbst Clemens Alex, sie nicht theilte, und sie in der Folge der Hauptgegenstand des Anstosses war, welchen man an Origenes nahm. Da auch nach Origenes die Siinde, obgleich der Mensch schon von Geburt an mit ihr behaftet ist, doch nur seine eigene freie That ist, so ist es erst 3. die Vorstellung Tertullian’s, welclie den ersten Ansatz zur spatern kirchlichen Lelire von der Erbsiinde dadurch enthalt, dass sie als Felder und Schuld des Menschen betrachtet wissen will, was nur ein wesentlicher Bestandlheil seiner angeborenen Natur ist. Die Natur des Menschen ist nicht mehr, wie sie urspriinglich war, es hat eine Corruption der Natur stattgefunden durch ein vitium origi- ms, es gibt ein malum natur ale, durch welches jede von Adam stammende Seele siindhaft und unrein ist. Zu dem rationale , das der Mensch urspriinglich von Gott hat, ist in der Siinde Adams durch die Einwirkung des Teufels ein irrationale hinzugekommen, das demnach nicht zur eigentlichen substanziellen Natur des Men¬ schen gehort. Da aber, solange der Mensch noch nicht actuell ge- siindigt hat, das, was die Seele zur peccatrix rnacht, nur dieAnlage und Neigung zur Siinde sein kann, oder nur darin besteht, dass der 1) De princ. II, 1, 1—3. 6, 2. 9, 6. Den Namen leitete er von der Erkaltung der gottlichen Feuernatur ab, welclie die Seele einst als vou? hatte, II, 8, 3. 2) c. Cels. 4, 40. Sel. in Gen. 3) Comment, in Matth. 15, 2 3. c. Cels. 7, 50. In Lev. horn. 8, 3. 12 4. In Ep. ad Rom. 5, 9. 126 Erste Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 26. Mensch nicht bios geistiger, sondern auch sinnlicher Natur ist und mit seiner Freilieit sowold das Bose als das Gute thun kann, so ist jenes irrationale nichts anders, als die sinnliche Natur desMenschen. Der Felder, die Siinde, die Schuld des Menschen ist, dass er nicht bios ein verniinftiges, sondern auch ein sinnliches Wesen ist, und doch muss Tertulhan selbst gestehen, dass diess nichts sittlich Zu- zurechnendes, sondern nur etwas rein Natiirliches ist, quia statim in naturae primordio accidit, somit in anima ad instar jam natu- ralitatis geworden ist. Bedenkt man nun noch, dass auch derTeufel den Menschen nicht hatte zur Siinde verfiihren kdnnen, wenn er nicht an sich eine zur Siinde verfiihrbare Natur und von Anfang an das Princip der Siinde in sich gehabt hatte, so ist es nur eine ein- seitige Betrachtungsweise, das Verniinftige als die eigentliche Sub- stanz des Menschen und das Sinnliche als das blosse Accidens, und weil das erslere seiner Qualitat nach iiber dem letztern steht, das eine auch der Zeit nach als das prius und das andere als das poste- rius anzusehen, vvie wenn der Mensch auch ohne das sinnliche Element seines Wesens sein konnte, da er doch nur, wenn er beides zugleich ist, sowohl ein verniinftiges als ein sinnliches Wesen, eben das ist, was er als Mensch, seinem Begrilf nach, sein soil. Von einer Schuld kann somit nur insofern die Rede sein, als der Mensch freilich selbst die Schuld davon tragt, dass er seinem Begrilf nach, wenn er nur Mensch, nicht Engel sein soil, nicht anders sein kann, als er ist Wie wenig bei allem diesem Tertullian an eine eigentliche Erbsiinde dachte, beweist seine Ansicht von derKinder- taufe. Auch nach Cyprian werden Kindern nur fremde nicht eigene Siinden vergeben, d. h. es ist nur der Tod, der sie als Strafe der Siinde Adams trifft 1 2 ). §. 26 . Iielire von der Person Christi. Wie innerhalb der neutestamentlichen Tlieologie die johanneische Christologie sowohl von der paulinischen als der synoptischen zu unterscheiden ist, so ist auch ausserhalb desllanons die altesteForm diejenige, welche von der Voraussetzung der wesentlich menschli- 1) Yg-l. Tert. de anima c. 40. 41. 2) Ep. 64, Lehre von der Person Christi. \27 chen Personlichkeit Jesu ausgeht und ihn erst durch die Ertheilung des heiligeu Geistes zur messianischen Wiirde erhoben werden lasst. Die unterste noch ganz auf dem Boden des Judenthums stehende Stufe bildet daher die Vorstellung derjenigen Ebioniten, welche nicht einmal eine iibernaturliche Erzeugung Jesu annahmen, sondern ihn auf die gewohnliche menschliche Weise als den Sohn Josephs und der Maria geboren werden liessen 1 J. Eben diess war auch die Behauptung des judaisirendenGnostikersCERiNTH, welcher dieGeburt aus der Jungfrau sogar als unmoglich gelaugnet haben soil 2 ). Eine hoher.eAnsicht batten sclion diejenigen Ebioniten, welche, wie nacli- her die von denEbioniten unterschiedenen Nazaraer, den heiligen Geist, statl ihn bios bei der Taufe auf Jesus herabkomtnen zu lassen, als das Princip seiner Erzeugung sich dachten und ilirn dadurch einen specifischen, ihn vor alien andern Menschen auszeichnenden Yorzug zuschrieben. In ein nocli innnanenteres Yerhaltniss setzten den heiligen Geist zu der Person Christi die Ebioniten der pseudocle- mentinischen Homilien, welche Jesum mit dem Urmenschen Adam identificirten und diesen selbst fur den wahren Propheten hielten, welcher als der von Gott unmittelbar geschaffene Urmensch mit dem GeisteGottes, dem heiligen Geist Oder dem Geiste Christi von Anfang an nur mit veranderten Namen und Gestalten in den sieben Saulen der Welt (Adam, Enoch, Noah, Abraham, Isaak, Jakob, Moses} die Zeit der Welt durchlauft, bis er zur bestimmten Zeit um seiner Miihsale wiilen mit GottesErbarmen gesalbt die ewigeRuhe findet 3 ). Wie sich auch der Yerfasscr der Homilien den jedesmaligen Eintritt des Adam-Christus in die Menschengeschichte gedacht haben mag, seine Christologie enthalt zwei hdchst merkwiirdige Bestinunungen: 1. Prophet der Wahrheit war Christus, weil er mit inwohnendem ewigem Geist allezeit alles wusste, das Gottliche in ilnn ist somit das immanenteste Wahrheitsbewusstsein, aber zugleich ist es auch das der Menschheit iiberhaupt immanente Princip, und als solches auch kein schlechthin iibernaturliches; 2. dem intellectuellen Yorzug des absoluten prophetischen Wissens steht der sittliche zur Seite, dass er der absolut Unsundliche ist 4 ). 1) Oiugenes c. Cels. 5, 61. 65. Euseb. K.G. 3, 27. vgl. Justin Dial, c. Tr. c. 48. 2) Irenaus adv. liaer. 1, 26. 3) Horn. 3, 12. 17. 20. 17, 13. 4) Horn. 3, 11. <£va(j.apT7]TQ$, xptasw; ^e^Xrjpocpoprj^vo^, Erste Hauptperiode, erster Absclmitt. §. 2G. 128 Diese Form der Christologie setzte demnach das Gbttliche, das sie Christus zuschreiben musste, in die hdchste Stufe dessen, was Christus schon als Menscli hatte, das vollkommenste Bewusstsein der Wahrheit. Die Elemente, aus welchen die Gnosis ilire Christo¬ logie zu construiren hatte, waren die beiden Principien Geist und Materie. Als Erldscr kann Christus nur ein rein geistiges Wesen, einer der hohern Aeonen sein, vollbringen aber konnte er dasWerk der Erlosung nicht, olnie in der sinnlichen materiellen Welt zu er- scheinen, wie kann er aber mit ihr in Beriihrung kommen, da der Geist durch die Beriihrung mit der Materie nur verunreinigt wird, und wie hatte er als Erloser das Werk der Erlosung d. h. die Be- freiung von der unreinen Materie vollbringen kdnnen, wenn er selbst durch sie verunreinigt worden ware? Daher hatte er aber aucli keinen wirklichen materiellen Leib, sondern man meinte diess bios, man hatte nur diese Vorstellung von ihm, es war aber nichts objectiv Wirkliches. Diess ist der gnostischeDoketismus, welcher aber selbst wieder verschiedene Formen hatte. Am wenigsten doketisch war die Christologie des Basilides, welche zwar demMenschlichen seine Realitat liess, aber Menschliches und Gottliches so auseinanderhielt, dass Christus und Jesus wie zwei verschiedene Subjecte waren, ilire Identikit somit eine bios scheinbare und vorgestellte O- Jesus war ihm der Sohn der Maria, wahrend nach Valentin nur der psychische Christus geboren wurde und auch dieser nur, sofern er durch die Maria wie durch einen Kanal hindurchging, was er Leibliches hatte, war daher kein wirklicher wahrhaft menschlicher, sondern nur ein psychischerLeib 1 2 ). Alles, wasGeburt liiess und mit ihr zusammen- hing, wurde dagegen scldechthin von Marcion verworfen, welcher ohne alle Yermiltlung Christus mitEinem Male als spiritus salutaris vom Himmel herabschweben liess 3 ). Die Entwicklung der kirehlichen Lehre von der Person Christi konnte nur von dem Gegensatz gegen den gnostischen Doketismus ausgehen, welcher den Kirchenlehrern alle Realitat der evange- lischen Geschichte und alle Wahrheit des christlichen Heils aufzu- 1) Die Christologie des Basilides gestaltet sich nach den verschiedenen Darstellungen seines Systems verschieden. Man vgl. die chr. Gnosis. S. 224 f. die Theol. Jahrb. 1856. S. 105 f. 134 f. 2) Die drei ersten Jalirh. S. 208. 3) Christi. Gnosis S. 255 f. Lehre von der Person Christ!. m heben scliien. Dass Christas als wahrer wirklicher Mensch von einer Jungfrau geboren, ist eine der ersten und wichtigsten Anti- thesen, vvelche die regulae fidei enthielten O. Wenn gleichwohl auch bei den Alexandrinern da und dort eine Hinneigung zum Doketismus siclt kund gibt, vvie z. B. Clemens den Erldser, um in ihm das Ideal der stoischen AfFectlosigkeit anzuschauen, der zur Erhaltung des Leibes nothigen Affectionen entJiebt 1 2 ), Origenes ihn nur zur Anbequemung an die, die denGlanz seiner Gottheit nicht er- tragen, gleichsam Fleisch werden lasst 3 ), so spricht sieli auch darin ihre idealistische, der Gnosis vervvandte Richtung aus. Origenes aber war es zuerst, welcher nicht nur die hier vorliegende Aufgabe als das speculative Problem auffasste, den Logos weder auf unend- liche Weise liber Christus hinausgehen zu lassen, noch ihn in den Menschen so einzuschliessen, vvie wenn beide sich gegenseitig deckende Grdssen waren 4 ), sondern sie auch (lurch eine eigene Theorie zu losen suchte. Nachdem schon Tertcllian die Realitat A einer menschlichen Seele Christi ausdriicklich anerkannt hatte, sail Origenes in ihr das nothwendige Band der Einigung des Gottlichen o o “ und Menschlichen in der Person Christi. Er bezeichnete diese Ein- lieit mit deni nachher so oft gebrauchtenBild einer vonFeuer durch- gluhten Eisenmasse, nicht anders ist auch die Seele Jesu von der Gottheit des Logos durchdrungen 5 J. Indem sie aber dadurch einen specifischen Yorzug vor alien andernMenschenseelen hat, fragt sich, ob des Origenes Definition von der Seele noch auf sie ihre Anwen- dung findet. Origenes ist auch hier der Ausgangspunkt fur zwei entgegengesetzte Richtungen, vvelche in ihm selbst noch unvermit- telt neben einander stehen, es ist derselbe Gegensatz, welchen die Lehre des Sabellius und die des Paulus von Samosata in Ansehimg der Person Christi bilden. Ist die menschliche Seele Jesu der Mittel- punkt und die Tragerin der gottmenschlichen Einheit, so kann auch 1) Christi. Gnosis S. 484 f. 2) Strom. 6, 9. 3) C. Cels. 4, 15 f. 4) De princ. 4, 30: Inter utrumque cauta pietatis debet esse confessio, vt neque aliquid divinitatis in Christo defuisse credatur et nulla penitus a paterna substantia, quae ubicpue est, factaputetur esse divisio, was der hall ware, wenn omnis divinitatis ejus majestas infra brevissimi corporis clausira conclusa est. 5) De princ. 2, G, 6. Baur, Dogmengeschichte. 130 Erste Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 27. nur sie das Subject derselben sein und die Einbeit besteht aucli nur in einer durch die Seele vermittelten Beziehung zum Gottlichen, ist sie aber durch den specifischen Vorzug ihrer Yerbindung mit dem Logos aus der Kategorie der inenscblichen Seelen herausgenommen und mit ihm absolut eins geworden, so ist nur der Logos das per- sonliche Subject. Bei Irenaus und Tertullian linden sich die ersten Elemente einer Theorie von der Person Christi, nach welcherChristus als Logos undMensch die in der Geschichte derMenschheit successiv sich realisirende Idee der Menschheit ist §. 27. JLelire von der Eiiosuii" und Versolinung. DieseLehre blieb noch sehr unentvvickelt. Sie war imBewusst- sein derZeit noch zu identisch mit derLehre von der Person Christi, wie ja uberhaupt zwisclien den beiden Lehren von der Person und demYYerke Christi ein so nahes Verhaltniss stattlindet, dass die eine auch schon die andere in sich begreift, beide nur eine verschiedene Form fiir denselben Inhalt sind, sofern man sich die Person Christi immer nur nach Maassgabe dessen denkeri konnte, was man in ihr voraussetzen musste, urn sie als befahigt fiir dasWerk derErldsung betrachten zu konnen. Die Vorstellungen gingen daher auch hier noch sehr weit aus- einander. Gnostiker, welche von dem Verhaltniss des Christen- thums zumHeidenthum undJudenthum ausgingen und dasselbe melir oder minder dualistisch bestimmten, setzten den Zweck der Erlo- sung in die Befreiung aus den Banden der Materie und des unreinen inateriellen Lebens, und von der Unvollkommenheit undBeschrankt- heit der Gesetzesherrschaft des Judengottes, oder des Weltschop- fers 1 2 ), wahrend dagegen die Ebioniteri als den Hauptgegenstand der Thatigkeit ilires Propheten der Wahrheit die Wiederherstellung 1) Tert. Dc came Christi c. 6: Quodcungue limus exprimebcitur, Christus cogitabatur homo futurus. Ita limns ille jam turn imaginem induens Christi futuri in came non tantum Dei opus erat , sed et pignus. Ad imaginem Dei fecit hominem, scilicet Christi. Christus ist also an sich Mensch, vor der Schop- fung des Menschen. — Dass es eine communicatio idiomatum nur durch die Vermittlung der Person gibt, wird schon von Tert. de carne Chr. c. 5. Adv. Prax. c. 27 und von Origenes de princ. 2, 6, 3 bemerkt. 2) Die christi. Gnosis S. 136 f. 267 f. Lehre von der Erlosung tind Versohnimg’. 434 des reinen Mosaismus betrachteten. Dem Einen, wie deni Andern konnten sich die Kirchenlehrer nicht geradezu entgegensetzen. Die Erhebung desMenschen vorri Materiellen zum Geistigen war ja auch die Haupttendenz der alexandrinischen Gnosis, und der Begriff des Propheten hing mit dem Begriffe des Logos, als Lehrers, so eng zusammen, dass man seine Erscheinung vor Allem auf die Offen- barung der gottlichen Wahrheit und den Zweck eines ihr entspre- chenden sittlichen Lebens beziehen musste. Aus einem hohern Ge- sichtspunkte ist die Erscheinung des Logos und seine erlosende Thatigkeit aufgefasst, wenn man in ihm das in der Menschheit er- schienene Urbild, nach welchem der Mensch sich bilden soil, oder die Mittheilung eines von diesem Einen Punkte aus die Menschheit immer melir durchdringenden und mit Gott einigenden gottlichen Princips sieht, wie diess eine Hauptidee des Origenes war x ). Was die durch den Tod Jesu vermittelte Yersohnung des Menschen mit Gott betrifft, so nahm die in der Folge so weit aus- gesponnene Satisfactionstheorie denAnfang ihrer Entwicklung schon jetzt, und zwar mit dem gnostischen, namentlich marcionitischen Begriffe der Gerechtigkeit, welcher das geeignetste Mittel war, den den Tod Jesu bewirkenden Demiurg, den Gott der Gerechtigkeit, mit seinen eigenen Waffen zu schlagen 1 2 ). An die Stelle des De- miurg’s setzten die Kirchenlehrer den Teufel. Er liatte durch die Siinde ein Recht auf die Menschen. Darum konnte man mit ihm nicht mitGewall, sondern nur rechtlich verfahren. Indem der Teufel ein Unrecht an Jesus dadurch beging, dass er an ihm, dem voll- kommen Gerechten und Unsiindlichen, sich vergriff, so erhielt Jesus eine Macht liber ihn, vermoge welcher er die in der Gewalt des Teufels gehaltenen Menschen, die ja ohnediess an sich das Eigen- thum des Logos waren, zuriicknehmen konnte. Die in dieser recht- lichen Weise geschehene Ueberwindung des Teufels war nur da¬ durch moglich, dass Jesus nicht bios Mensch, sondern auch der Logos, somit der Gottmensch, war 3 ). Origenes entwickelte diese Theorie weiter, indem er nicht nur den Tod Jesu unter denGesichts- punkt eines Kampfes mit der Damonenwelt und dem Fiirsten der- 1) Ygl. c. Cels. 3, 28. 7, 17. 2) Vgl. die christl. Gnosis S. 272 f. 3) Iren. ailv. haer. 5, 1, 1. 21, 3. vgl. 3, 18, 7. 19, 3. Erste Hauptperiode, erster Albschnitt. §. 28. 132 selben stellte, sondern auch besonderes Gewicht darauf legte, dass das Blut oder die Seele Jesu dem Teufel als Losepreis gegeben, der Teufel aber dabei getauscht worden sei, weil er nicht sah, dass er eine Seele, wie die Seele Jesu war, uicht in seiner Gewalt zu be- halten im Stande sei O- Unabhangig von dieser auf den Teufel sich beziehenden Yorstellung betrachtet Ohigenes den Tod Jesu auch als ein aus Liebe zu Gott, zur Tilgung der Schuld der Slinde, darge- brachtes Opfer, und Christus selbsl als den Hohepriester, welcher sich selbsl in seinem sowohl hhnmlischen als irdischen Yersohnungs- opfer nicht bios fiir die Menschen, sondern fur alle vernunftigen Wesen geopfert hat, und diese seine versohnende Thatigkeit noch immer bis aiTs Ende der Welt fortsetzt 1 2 ). Wie der marcionitische Begriff des Demiurg, als desGottes der Gerechtigkeit, der Ankniipfungspunkt fiir die an dem Begriff der Gerechtigkeit sich entwickelnde Erldsungstheorie war, so ist auch das Dogma von dem Hinabgang des Erlosers in den Hades urspriing- lich aus derselben gnostischen Idee hervorgegangen. Er war mu- die Fortsetzung seines Kampfes mit dem Demiurg. Denn wie er zur Rettung der Seelen vom Himmel auf die Erde herabgekoinmen war, so stieg er auch in den Hades hinab, urn dem Demiurg Seelen zu eritziehen und sein Reich zu mindern 3 ). I^elire vom fwlanbeii und der sitbjeciiven Anei^nuaig ties ileils. Unter dem Glauben verstand man uberhaupt die Annahme und Befolgung der christlichenLehre. Im Gegensatz gegen dieGnostiker und die Behauptung derselben, dass es ein 6 Erste Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 42. Das Interesse des semiarianischen LehrbegrifFs ist ofFenbar nur das einerVermittlung zwischen zwei entgegengesetzten Lehrweisen, deren jede, sei es in religioser oder speculativer Hinsicht, etwas Unbefriedigendes batte. Aber der BegrifF der Wesensahnlichkeit, in welcbem man die VermiUlung fmden wollte, war eine Halbheit, durch welche man nur auf den Standpunkt wieder zuriickversetzt wurde, auf welchem man, urn iiber das Unbestimmte der damaligen Yor- stellungsweise hinwegzukommen, sich gedrungen gesehen hatte, das Verhaltniss des Sohnes zum Yater nach den beiden dabei in Be- tracht kommenden Seiten scharfer in das Auge zu fassen. Die ei- gentliche Streitfrage, welche zur Entscheidung kommen musste, konnte daher nur zwischen den beiclen ersteren LehrbegrifFen lie- gen, aber auch der nicanisch-alhanasianische liess eineFrage iibrig, auf welche keine Antwort gegeben werden konnte. Musste man den Arianismus fragen, wozu ein Endliches, das in keiner andern, als einer bios zufalligen Beziehung zum Unendlichen steht, so konnte man dem nicanisch-athanasianischen LehrbegrifFe die Frage entgc- genhalten, wozu ein Unendliches, das dasselbe ist mit dem Unend¬ lichen des Vaters? Der HauptbegrifF ist bier nicht, wie dort, der schlechthinige Gegensatz des Endlichen und Unendlichen, sondern das Unendliche als Einheit des Endlichen und Unendlichen, aber das Endliche, in welchem das Unendliche mit sich selbst Eins sein soil, ist in dem Begriffe einer Zeugung, welche als solclie eine ewige ist, so sehr ein verschwindendes Moment, dass die Einheit des End- lichen mit dem Unendlichen, wie sie der athanasianische BegrifF des Sohnes sein soil, nur die schlechthinige Identitat des Unendlichen mit sich selbst ist. Was derSohn in seinem Unterschiede vom Yater fur sich ist, konnte Athanasius nie klar machen, er hilft sich in letzter Beziehung nur mit der zweideutigen, keinen bestimmten Be¬ grifF gebenden bildlichen Yergleichung, Yater und Solin verhalten sich zu einander, wie Licht und Lichtstrahl O- II. Die Lehre vom hciligen Geist. Sie blieb auch nach der nicanischen Synode nocli sehr unbe- bestimmt. Erst der Semiarianismus oab durch seine Lehre von der o Wesensahnlichkeit des Sohnes und ihr Yerhaltniss zur Homousie die 1) A. a. 0. S. 425. f. Lehre von dcr Dreieinigkeit. 167 Veranlassung, class man sich cles Moments der Lehre von der Gott- licit des heiligen Geistes bewusst wurde, indern es mit der Idee der Homousie unvereinbar erschien, dem wesensgleichen oder auch nur wesensahnlichen Solm den heiligen Geist als blosses Geschopf zur Seite zu setzen. Aufgefasst wurde es zuerst von Athanasius *), sodann von Basilius und Gregor von Nazianz 1 2 3 4 ). Im Gegensatz gegen die Macedonianer (von Macedonius, dem Bischof von Con- stantinopel zwischen 344 — 360 so genannt), welche als Semiaria- ner, wie die Arianer, fur Pneumatomachen galten, musste behauptet werden, dass auch der lieilige Geist, wie der Sohn, ein absolutes Princip sei; sein besonderesMoment sollte sein, dass wieAlles durch den Solm ist, so in ilun Alles ist, und in ihm das Trinitatsverhaltniss sich vollendet. Die Einwendungen der Gegner widerlegte man durch die Unterscheidungsformeln der trinitarischen Terminologie III. Der Begriff des Trinitatsverhaltnisses ttberhaupt. Vergebens bcmuhten sich die neben und nach Athanasius den Begriff der Homousie feststellenden Kirchenlehrer, namentlich Ba¬ silius und die beiden Gregor, liber den Widerspruch hinwegzukom- men, welchen der Begriff in seinen verschiedenen Bestimmurigen in sich enlhielt. Entweder nalim man die Hypostasen als fur sich seiende Personen, und das Gemeinsame konnte eine bios vorgestellte Einheit, die Galtungseinheit des Begriffs sein, oder die Einheit war, was sie sein sollte, die reale Einheit derSubstanz, und die Hypostasen konnlen nur Bestimmurigen an derselben sein, nichts Anderes als die iStoTvjTS?, in welche der charakteristische Unterschied der Per¬ sonen gesetzt wurde. Auf die letztere Seite neigte man sich um so mehr hin, da man sich noch nicht von der Yoraussetzung trennen konnte, die Aseitiit des gottlichen Wesens und die Substanzialitat des ganzen Yerhaltnisses konne nur im Vater liegen. Die beiden Begriffe, Wesen und Hypostase, standen noch ganz unvermiltelt neben einander 5 }. 1) In der Episp ad Scrap. I. zwischen 358 und 3fi0. 2) De spiritu s. c. 1 f. 3) Orat. 35. 4) Lehre von der Dreieinigkeit. I. S. T ( JO i’. 5) A. a. O. S. 441 T. 168 Erste Hauptperiode, zweiter Absclmitt. §. 42. IV. Weitere Momente der Geschichte der Trinitatslehre. 1) Marcellus von Ancyra, und Photinus von Sirmium. Die Lehre des Marcellus beruht darauf, dass er den Solm vom Logos und den Logos selbst als den sowolil ruhenden als thatigen Cdvspyst* unterschied. Die ganze durch die Menschwer- dung des Logos begriindete menschliche Oekonomie des Sohnes be- trachtete er als eine vorubergeliende Erscheinung. Wie die Sohn- scliaft des Logos zu jener bestimmten Zeit ihren Anfang genommen hat, so hort sie auch zu einer bestimmten Zeit wieder auf. Die Lehre des Marcellus ist theils sabellianisch, theils arianisch; mitdemAria- nismus theilt sie die Tendenz, Gott und Welt so viel moglich aus- einander zu halten. Die Lehre des Photinus ist dieselhe, nur nalim er mit Paulus von Samosata und Arius eine Yergottlichung des menschlichen Christus durch sittliches Verdienst an *)• 2) Augustin. Augustin suchte die kirchliche Trinitatslehre von den ihr noch anhangenden Ueberresten der alten Subordinationstheorie so viel moglich loszumachen, aber nur urn so mehr stellte sich der Wi- derspruch lieraus, in welchen sie in ihrem Ineinandersein der Ein- heit und derDreiheit sich mit sich selbst verwickelte, sobald sie von dem gewohnlichen logischen Standpunkte aus aufgefasst wurde. Un- geachtet Augustin das Unvorstellbare dieses Verhaltnisses offen ge- stand, halte er doch dabei das ihn besonders charakterisirende Be- streben, das Trinitatsverhaltniss aus dem Wesen des denkenden Geistes zu begreifen, als ein Verhaltniss des Geistes zu sich selbst. Die drei Momente sind: das Denken an sich, das reine Denken, die rnemoria; das bestimmte concrete Denken, sofern es in den Unter¬ schied des Subjects und Objects sich trennt, die intelligentia mit dem durch das Denken erzeugten Wort, wozu noch die caritas oder vo¬ luntas kommt, das im Wollen sich mit sich Eins wissende Denken, sofern man will, was man weiss, im Wollen, oder in der Liebc, mit dem Gegenstand des Denkens und Wissens sich zusammenschliesst. Diese im Wesen des Geistes begriindete Trinitat betraclitet jedoch Augustin nur als ein Bild der gottlichen 1 2 ). Auch aus andern Analogien suchte er das Trinitatsverhaltniss als ein objectiv be- 1) A. a. O., S. 525. f. 2) A. a. O., S. 828. f. Lehre von der Dreicinigkcit. 169 griindetes, somit dem vernunftigen Denken entsprechendes, nach- zuweisen Den orlhodoxen, alle Ungleichheit in dem Unterschied der drei Personen negirenden augustinischen TrinitatsbegrifF driickt am be- stimmteslen das sogenannte athanasianische Symbol (das Symbolum Quicunque) aus, in welchem der Widerspruch der Einheit und Drei-* lieit in den schrofFsten Gegensatzen als der zur Seligkeit nothwen- dige Glaubensartikel aufgestellt wird. An Augustin schliesst sicli die iiber den Ausgang des heiligen Geistes entstandene DifFerenz an, sofern er zuerst das procedere des Geistes ex patre et fllio als eine durch den Begriff der Homousie des Sobns geforderte Bestimmung aussprach 1 2 ), Auf der andern Seite konnte es als eine Beeintrachtigunsf der Homousie des heihVen Geistes erscheinen, wenn derselbe nicht in demselben unmittelbaren Yerhalt- niss zum Yater stand, wie der Solm, und da man zwischen der Zeugung des Sobns und dem Ausgang des Geistes zu untersclieiden pflegte, so schien auch scbon mil dieser Terminologie das coordi- nirle Yerhaltniss des Sobns und Geistes gesetzt zu sein. Dieses letztere Moment wurde besonders von Theodor von Mopsveste in seinem Glaubensbekenntniss und von Theodoret gegen Cyrill gel- tend gemacht, und es blieb diess der in der griechischen Kirche vorherrschende Gesichtspunkt. Dagegen wurde das augustinische filioque zuerst in Spanien in das Symbol aufgenommen 3 ). 3) Job. Philoponus. Der Tritheismus des Jon. Piiiloponus liatle darin seinen Grund, dass Piiiloponus als Arisloteliker die BegrifFsbeslimmungen der ari- stotelischen Logik auf die kirchliche Trinitatslehre anwandte. Fassle man das Yerhaltniss der Einheit und Dreiheit logisch auf, so konnte man unter den Personen nur Individuen und unter der gemeinsamen Natur nur den GattungsbegrilF verstehen, unter welchen als das All— 1) Yergl. Confess. 13, 4. de vera relig. c. 13. Esse, species rei et ordo, d. li. das Allgemeine, das Besondere und die Bczieliung des Einen auf das An- dere sind drei wesentlicli zusammengehorende Kategorien. DeTrin. 9, 2.: Cum aliquid amo : tria sunt: ego et quod amo, et ipse amor, d. h. Subject und Object und die Einheit beider. Dass in solchen Analogien die Dreiheit in der Einheit sich aufhebt und die Personen zu blossen Relationen vverden, legt sich am offensten bei Boethius de Trin. dar. 2) De Trin. 15, 17. Tract. 99. in Evang. ^oh. 3) Lehre von der Drcieinigkeit. 2. S. 159. f. 170 Erste Hauptpcriodc, zwciter Abschnitt. §. 43. gemeine das Besondere zu subsumiren ist. Hypostasen werden die Personen ebendesswegen genannt, weil in ihnen das Allgemeine zur concreten Realitat des Daseins gelangt. Die Hypostasen sind daher auch Naturen und Philoponus berief sich auf den kirchlichen Sprachgebrauch selbst fiir seine Behauptung, dass der Ausdruck Natur beides, sowolil das Allgemeine als das Besondere, bezeichne. in der Lehre von der Trinitat werde er fiir das Allgemeine, in der Lehre von der Person Chrisli fiir das Besondere gebraucht. In diesem letztern Sinn sei Natur so viel als Hypostase, man sollte daher in der Trinitat ebenso gut von drei Naturen wie von drei Ily- postasen reden Diess lautete tritheistisch, Philoponus selbst aber redete nie von drei Gbttern. Als Monophysite halte er noch be- sonders das Interesse, aus der Verscliiedenheit odor Inconsequenz des kirchlichen Sprachgebrauchs, welcher die Ausdriicke Natur und Hypostase sowolil unterschied als identisch nahm, die fiir seine lo- gisch gefasste Trinitatslehre giinstige Folgerung zu ziehen. So schwankte man iiberhaupt, sobald man die gewblmlichen Denkfor- men auf das Trinitatsverhaltniss anwenden vvollte, immer vvieder zwischen Tritheismus und Sabellianismus. §. 43. I^elire v«a» der Schc'pfsjaig' itud 1 or^ehtitti^. Augustin ist es hauptsachlich, durch welchen die speculative Theologie hierin weiter fortschritt. ImGegensatz gegen die Platoniker und Manichaer, welchetheils das Verhaltniss Gotles zur Welt nur als ein immanentes aulTassten, theils die Welt aus dem Kampf und derMisclning entgegengesetzter Principien entstehen liessen, kommen zur Feststellung des christlich theistischen Schopfungsbegriffs folgende Hauptmomente in Betracht: 1. Die Frage nach der Ewigkeit der Welt. Augustin schloss seine Uniersuchung iiber sie mil dem die verschiedenen Momente so viel moglich ausgleichenden Satze, dass die Welt mit der Zeit ge- schaffen sei 1 2 ). Sie hat also keinen Anfang in der Zeit, und man kann ihren Anfang iiberhaupt nicht llxiren. Wenn aber auch unend- 1) Vergl. das Fragment aus des Pmi.oposrs Schrift Aia-.T^Tr,; bei Job. von Damasc. de haeres. c. 83. und Leontius de Sectis 5, 6. 2) De eivit. Dei 11, 6. Confess. 11, 13. Lelire von der Schopfung und Vorsehung. 171 lich in der Zeit, ist die Welt doch nicht gleich ewig mit Gott, und die Nichtewigkeit der Welt blieb ein Hauptdiirerenzpunkt zwischen der christlichen und platonischen Weltanschauung 2. Die Schopfung aus Niclits. Das Nichts, aus welcbem die Welt geschaffen ist, ist nicht das absolute Nichts, sondern die Welt in ihrem Fursichsein, oder als das Endliche, aber als geschaffen durch denSohn, ist sie nicht bios das Endliche, sondern es gibt aucli eine Einheit des Endlichen und Unendlichen, in deni Solin, in wel- chem die Welt ideell, oder auf ewige Weise, enthalten ist 1 2 ). 3. Der Zweck der Welt ist die Darstellung- der unendlichen Yollkonnnenheit Gottes durch die Vielheit in der Einheit, wobei so- gleich die Theodicee eingreift, sofern es im Gegensatz gegen die manichaische Weltansicht kein an sich Boses in der Welt gibt, son¬ dern das Bose nur das Minus des Guten ist, und als solches dieVor- aussetzung, unter welcher allein die Totalitat und Schonheit der Welt moglich ist 3 ). Hierin ist schon enthalten : 4. Die Lelire vom Bosen. Das Bose ist seinem metaphysischen Begriff nach die Negation des Guten, die jedoch immer nur eine re¬ lative sein kann. Diesen negativen Begritf des Bosen, welchem zu- folge das Bose als Seiendes und Nichtseiendes iiberhaupt das diffe- renzirende Princip ist, hat besonders der Areopagite Dionysius mit dialektischer Scharfe entwickelt 4 ). Dass von dem metaphysischen Begrilf des Bosen der ethische zu unterscheiden ist, liegt bei Augu¬ stin klar vor Augen. In der Lelire von der Vorsehung war die christlich-teleologi- sche Weltansicht theils gegen das Heidenthum, tlieils gegen den Manichaismus durchzufiihren. Sie war ein ofters behandelles Thema. Man unterschied eine allgemeine und besondere und war im Zweifel, wie weit sich die letztere erstrecke 5 ). Augustin fassle auch schon dieFrage auf, wie sich das Fursichsein derWelt zurCausalitatGottes 1) So schrieb Jon. Philoponus, freilich auch als Aristoteliker, eine noch vorhandene Schrift cle aeternitate nmndi contra Proclum. Vgl. die S. 150 ge- nannte Schrift von Gass S. 15, wo die Argumente des Proclus und die Gegen- argumente des Philoponus kurz zusammengestellt sind. 2) Vergl. Contra epist. Manich. c. 27. 41. De civ. Dei 21, 10. 3) De lib. arb. 3, 9. De civ. Dei 11, 23. 4) De div. nom. 4, 18. f. 5) Yergl. Hieronymus Comment, in Abacuc c. 1. 178 Erste Hauptpenode, zweitcr Ab.schnitt. §. 44. in der Erhaltung und Regierung der Welt verhalt, beide Betrach- iungen stehen aber bei ihrn noch unvennittelt neben einander *)• §. 44. Lehre von ilcu Engelii uihI BaiiBoneiic Augustin und der Areopagite Dionysius lraben dieser Lehre eine hohere speculative und dogmatische Bedcutung gegeben. Augustin ging auf dem Wege, auf welcliem man sclion ange- fangen hatte, dasWesen der Engel aus dem Beg riff von Mittelwesen zwischen Golt und dem Menschen zu construiren, dadurch weiter fort, dass er nach der Erkenntnissweise der Engel fragte und aus Veranlassung der Schopfungsgeschichte von einer Morgen- und Abend-Erkenntniss der Engel sprach. Es sollte dadurcb den Engeln der Vorzug zugeschrieben werden, dass sie nicbt bios empiriscli und aposterioriscb erkennen, sondern apriorisch; ihreErkenntniss ist nicbt der blosse Reflex der ausser ihnen existirenden Wirklicbkeit, sondern der an sich seiende Begriff der Sadie selbst. Sie sind nicbt die intelligible Well selbst, wie Gregor von Nazianz sie nannte 1 2 ), sondern die Trager derselben, die Subjecte, in welclien die an sich seienden Begriffe das umnittelbare Object ihres Bewusstseins sind 3 ). Der Areopagite stellte die Engel unter den BegrifF der Hierarchie, um ihre in drei triadisclie Ordnungen getheilte Gesammtheit als ein o o System aufzufassen, in welcliem alle Glieder zur Aehnlichung und Einigung mil ilirem Urgrund, der iiberwesentlichen Gottheit auf- steigen, die untern aber nur durch die Vermittlung der iimen vor- angehenden obern in ihrer bestimrnten Stufenfolge in diesem Sinn hierarchisch erleuchtet, gereinigt und vollendet werden. In dieser hierarchischen, alles nur nacli quantitativen Unterschieden bemes- senden, eben darurn das Verscbiedene und Entgegengesetzte nicbt einigenden, sondern durch Vermittlung auseinanderbaltenden Welt¬ anschauung trill der Gegensatz zwischen Platonismus und Chiisten- thum darin sehr charakterislisch hervor, dass durch sie gerade das negirt wird, was der specifische Charakler des Christenthums ist, die umnittelbare Einheit Gottes und des Menschen. Mil Recht fasst daher Augustin die Anlithese des Christenthums gegen den Plato— 1) Man vergl. Dc Genesi ad lit. 4, 12. und Do civ. Dei 7, 30. 2) Orat. 38, 9. 3) De civit. Dei 11, 7. 29. (73 Lehre von tier Person Christi. nismus in die Laugnung der Wahrheit des platonischen Satzes zu- sammen, dass nullns Dens miscetur homini 1 ~). Demungeaehtet nahm niclit nur im Cultus die Verehrung der Engel und der mit ihnen in dieselbe Kategorie der Mittelwesen zusammengehorenden Ileiligen schon jetzt ihren Anfang, sondern wurde auch schon dogmalisch ausgesproclien 2 ). Was die Damonologie betrifft, so erkannte Augustin in der Lehre vom Fall der Engel die Aufgabe, die Moglichkeit des sittlich Bosen zu erklaren. Da die Engel nicht an sich gut sind, sondern nur durch das Princip des Guten in Gott; da somit dadurch schon ein Unterschied zwischen dern Fiirsichsein und Ansichsein gesetzt ist 3 ), so liegt eben darin auch schon die Moglichkeit des Bosen, Eine causa elficiens malae voluntatis gibt es aber nicht, sondern nur eine deficiens, die nur der Wille selhst ist. Das Bose liegt daher nur in der Selbstbestimmung des Widens, gleichwohl ist, dass der Wille nicht abfallt, sondern im Guten beharrt, nicht ohne ein adju- torium Gottes moglich 4 ). Der Fall der bosen befestigte in den gu¬ ten die Gewissheit ihres Selbstbewusstseins 5 ). §. 45. iLelire von der Person Oiristi. Es fragt sich, ob man ebenso sehr bestrebt war, die Realitai der menschlichen Suite der Person Christi festzustellen, wie man die gdttliche in dem BegrifF der Homousie fixirt zu haben glaubte ? Die ganze Richtung der Arianer ging von selbst auf die menschliche Seite. Als Geschopf war der Logos ein geistiges Wesen derselben Art, wie die Seelen der Menschen, und nur dadurch von ihnen verschieden, dass er auf einer hohernStufe der geistigen Welt stand. Wenn daher die Arianer eine menschliche Seele Christi laugneten, so geschah es nur aus dem Grunde, weil sie den Logos der Person Christi so sehr als ein Princip derselben Art, wie die Seele des Menschen ist, betrachteten, dass sie kein Bedenken tragen konnten, 1) De civ. Dei 9, 16. 2) Ambrosius de viduis 9, 55. 3) Fur sich sind die Engel in se ipsis tenelbrae, privati participatione luci» aeternae. De civ. Dei 11, 9. 4) De civ. Dei 12, 9. 5) Enchir. ad Laur. c. 28. De civ. Dei 11, 13. 174 Erste Hauptperiocle, zweiter Absclinitt. §. 45. alle Zustande und Affectionen, deren Subject sonst die Seele ist, ihin zuzuschreiben. Um so mehr sollte man auf der Seite derGegner das entgegengesetzte Interesse der Behauptung einer mcnschlichen Seele erwarten, das eigentlich Menschliche lag aber ihrem transcenden- ten Standpunkt noch so fern, dass selbst Athanasius die Mensch- werdung des Logos nur in die Annahme des Fleisclies setzte, ohne Cvor dem Jahr 362) von einer menschlichen Seele zu reden. Der Logos war das absolute Subject, und das Menschliche an ihm konnte daher nur fiir Accommodation erklart werden. Der Widerspruch ge- gen Apollinaris musste vorangehen, um das wahre Moment der Sache sich zum klareren Bewusstsein bringen zu konnen. Apollinaris versuchte zuerst eine bestimmte Theorie iiber die Person Christi und das Verhaltniss des Gottlichen und Menschlichen in ihr aufzustellen. Sein Grundgedanke war die wesentliche Einheit Gottes und des Menschen, als die Einheit eines und desselben Sub¬ jects. Diese Einheit ist daher auch nicht eine erst zeitlich gewor- dene. Gott undMensch sind an sichEins, Christus hat seine Mensch- lieit schon vom Himmel mitgebracht. Diese gottmenschliche Einheit, in welcher alles Menschliche eine wesentliche Bestimmung Gottes selbst ist, kann nur so gedacht werden, dass in Christus in die Stelle des menschlichen Geistes, als des selbststandigen Princips im Men¬ schen, Gott selbst als Geist eintrat. Nur so, wenn er kein mensch- lich wandelbares geistiges Princip in sich hatte, kann Christus, was er als Erloser sein musste, absolut unsundlich, und ohne Kampf und Entwicklung, ohne eine Dualitat seines Wesens, ein schlechthin mit sich identisches Subject gewesen sein x )- Die Kirchenlehrer, welche gegen Apollinaris auftraten, na- mentlich die beiden Gregor, sahen in seiner Theorie, was sie auch in Beziehung auf das Individuum des Gottmenschen unstreitig war, eine mechanische Operation, eine Verstummelung der menschlichen Natur Christi, durch welche aus ihr gerade das, was ihn allein wahr- haft zum Menschen und somit auch zum Erloser der Menschen machte, herausgenommen wurde, das verniinftige Princip seines Wesens. Indem man aber diese quantitative Integritat seiner menschlichen Natur fiir ihn in Anspruch nalnn, kam es darauf an, die andere, ebenso nolhwendige, Forderung, dass er als Gott und als Mensch 1) Lehre you der Droieinigkeit S. 585. f. Lehre von der Person Cliristi. 1 ein und dasselbe Subject gewesen sei, damit inEinklang zu bringen, eine Aufgabe, welche man nur so zu Ibsen vermochte, dass man, was man seiner menschlichen Nalur quantitativ beigelegt hatte, qualitativ ihr wieder nahm. Eine menschliche Seele sollte zwar Christus gehabt haben, aber das Gottliche in ihm war so sehr das Ueberwiegende und Substanzielle, dass das Menschliche zu einem blossen Accidens an demselben wurde. Die Christologie der beiden Gregor ist der entschiedenste Doketismus. Auch von Einer Natur ist schon die Rede. Hilarius von Pictavium liess so- gar das Menschliche in Christus aus seiner gottlichen Natur ent- stehen O- Auf diesem Punkt stand die Entwicklung des Dogma, als nun die antiochenische Theologie, von ihrein, dem der alexandrinischen entgegengesetzten Standpunkt aus, als neues, bedeutungsvolles Mo¬ ment in die Bewegung der Zeit eingriff. Die Hauptreprasentanten derselben sind nach Paulus von Samosata und Ar'ius, welcher gleich- falls mit der antiochenischen Schule zusammenzuhangen scheint, Dio¬ dorus von Tarsus und Theodorus von Mopsveslia. Der Hauptpunkt ihrer Lehre war, dass Christus eine selbststandige, durch ihre sittliche Kraft sich aus sich selbst entwickelnde menschliche Seele gehabt babe. Das Verhaltniss des Gottlichen und Menschlichen in ihm konnte, da die beiden Naturen ebenso viel als zwei Personen waren, nur als eine personliche Einheit bestimmt werden, in welcher beide mora- lisch mit einander verknupft waren. So eng man sich auch diese Verkniipfung denken mochte, es blieb nur ein ausseres Yerhaltniss der beiden Naturen zu einander, und von einer Identitat des Sub¬ jects konnte nicht die Rede sein, ausser sofern derMensch das frei- willige Organ der ihn als Tempel bewohnenden oder als Kleid an sich tragenden Gottheit war. Ebendiess war die Lehre des imJ. 428 von Antiochien aus auf den Bischofsstuhl von Constantinopel erhobenen Nestorius. Heidnisch laulete fur ihn das der Maria gegebene und schon ganz gewohnliche Pradikat der Gottesgebarerin. Der Hauptpunkt, welchen sein Gegner Cyrillus, der Patriarch von Alexandrien, ilnn entgegensetzte, ist der Begrilf einer Einheit, in welcher die beiden Naturen nicht bios ausserlich oder moralisch, wie zwei Personen, sondern an sich, wesentlich, substanziell, auf naturliche \Yeise Eins 1) A. a. 0. S. 648. f. 170 Erste Hauptperiocle, zweiter Absclniitt. §. 45. geworden sind. Das Einseitige der beiden Standpunkte war aber, dass, wahrend Nestorius das Gottliche in eine bios aussere Bezie- hung zu Christus setzte, ihn nur zu einem gotllichen, unter gottli- cher Einwirkung stehenden Menschen machte, Cyrillus dagegen die Realitat des Menschlichen doketisch aufhob, indem er zwar Christus menscbliche Eigenschaften zuschrieb, aber keine menschliche Natur als Subject derselben gedaclit wissen wollte. Eine Zvveiheit der Na- turen gab es nach Cyrillus nur auf abstrakte Weise, vor der Verei- nigung, nicht in der concreten Wirklichkeit x ). Nacbdem beide Gegnet* auf der Synode zu Ephesus im J. 431 sich gegenseitig verdammt hatten, wurde zwar zwischen Cyrill und den Orientalen im Jalir 433 ein Vergleich geschlossen, der Streit brach aber auf’s Neue aus, als Eutyches, ein zur Partei Cyrill’s gehorender Archimandrit in Constantinopel, wesentlich wiederholte, was schon Cyrill gelehrt hatte. Seine Yerdainmung auf einer Sy¬ node zu Constantinopel im Jalir 448 und die tumultuarischen Auf- tritte auf der Synode zu Ephesus im Jahr 449, der sogenannten Raubersynode, fiihrten endlich die Entscheidung des Streits auf der okumenischen Synode zu Chalcedon im Jahr 451 herbei, durch ein Symbol, zu welchem hauptsachlich der romische BischofLEO I. durch ein Schreiben an den Patriarchen Flavian in Constantinopel mitge- wirkt hatte. Das Symbol sprach sich ebenso selir fur die vollkom- mene Realitat der menschlichen Natur Christi aus, als fur die Einheit seiner Person, stellte aber nur widersprecliende, sich selbst auf- hebende Bestimmungen neben einander. Abgesehen von dem der Maria gegebenen Pradikat der Gottesgebarerin unterschied es sich von der Lehre des Nestorius nur dadurch, dass es, um beide als extrem erscheinende Gegensatze gleichmassig abzuschneiden, die Einheit der Person ebenso stark betonte, als die Zweiheit der Na- turen. So wenig das Symbol in dieser Beziehung als eine Losung der dogmatischen Frage angesehen werden kann, so wichtig war fiir die ganze folgcnde Entwicklung des Dogma die Bedeutung, mit welcher die Realitat der menschlichen Natur Christi wenigstens als symbolischer Lehrsatz festgehaltcn wurde. Hiernit stand man aber nur wieder auf demselben Punkt, auf welchem die Frage als dogmatische Aufgabe zurn Gegenstand eines 1) A. a. O. S. 693. f. S. 727. f. Lehre von der Person Cliristi. 177 Streits geworden war. Gottliches und Menschliches stelien in der Person Cliristi vbllig unvermittelt neben einander; es ist eine blosse, nicht nur auf keine Weise begriindete, sondern schlechthin unbe- greiflicbe Behauptung, dass zwei so verschiedene Naturen, wie die gottliclie und die menschliche, welche, wenn jede ilire voile Inte¬ grity und Realitat gehabt haben soil, aucli nur als zwei Subjecte gedacht werden konnen, eine und dieselbe Einheit eines personli- chenSelbstbewusstseins bilden. Es ist demnach wie in der Homousie der Trinitatslehre die Einheit neben der Dreiheit, so aucli bier nur das Eine neben das Andere gestellt, die Einheit der Person neben die Zweiheit der Naturen, ohne irgend eine aucli nur scheinbare Losung des Problems, und jeder auf der Grundlage dieses Symbols gemachte Versuch, es zu losen, liatte immer nur die Folge, dass man offener oder verdeckter entweder auf die eine oder die andere Seite des Gegensatzes zu stelien kam, welchen man sowolil in Eu- tyches als Nestorius verdammt liatte O- Im Monophysitismus liielt die in Chalcedon unterlegene Partei ilire Lehre, im Widerspruch gegen das chalcedonensische Symbol, fortgehend aufrecht. Merkwiirdig ist fiir die Geschichte des Dogma an dem endlos sicli hinziehenden Streit nur tlieils das immer nocli stattfindende Schwanken, das die Auctoritat der Synode in Chalcedon wiederholt in Gefahr brachte, tlieils die fort und fort weiter sich treibende Consequenz, mit welcher der Monophysitismus, selbst unter Voraussetzung der Einen Natur, den alten Streit liber die Ein¬ heit und Zweiheit in Christus in alien der Natur der Sache nach moglichen Fragen zu erschopfen suchte. Natur und Hypostase soil- ten durchaus gleichbedeutende Begrilfe sein, aber die Zweiheit drangte sich immer wieder ein. Severus , einer der bedeutendsten Fiihrer der monophysitischen Partei, behauptete untcrschiedene Ele- mente, eine Zweiheit wesentlicher, naturlicher Eigenscliaften in Christus, in einem Sinn, in welchem er dasselbe zu lehren scliien, wie die Orthodoxen, nur mit dem Unterschied, dass er Eigenschaf- ten annahm ohne das Substanzielle, das die Eigenscliaften zu ilirer Voraussetzung hatten. DieFormel der Theopaschiten, dass Einer aus der Dreieinigkeit gelitten habe, sollte der schlagendste Ausdruck fiir die Einheit der Person sein. Dass die Formel zuletzt noch or- 1) A. a. 0. S. 778. f. Baur, Dogmengescliichte. 12 178 Erste Hauptperiode, zweiter Absclmitt. §. 46. thodox wurde, I)eweist auf’s Neue, wie schwach und ausserlich die Grenzlinie war, welche die beiden Parteientrennte. In der Streitfrage der Severianer und Julianisten, oder derPhthartolatren und der Aphthartodoketen, liber die Verganglichkeit und Unverganglichkeit des Leibes Christi, handelte es sick darurn, die Realitiit der mensch- lichen Natur schon seit der Menschwerdung in der gottlichen ver- schwinden zu lassen, und in der weitern Frage zwischen den Kti- stolatren und Aktisteten, liber die Creatlirlichkeit des Leibes, sollte auch die letzte Schranke, welche der volligen Identificirung des Gottlichen und Menschlichen in der Behauptung entgegenstand, der Leib sei wenigstens in Einem Moment, dem der Menschwerdung, ein walirer und wirklicher Menschenleib gewesen, vollends aufge- hoben werden. Wie man in diesen Controversen das Hinderniss der Einheit in dem Leibe Christi sah, so konnte man es auch in seiner Seele finden, und Agnoeten und Nichtagnoeten stritten liber das Wissen und Nichtwissen Christi mit denselben Kategorien der Ein¬ heit und Zweiheit, wozu, urn alle Consequenzen zu erschopfen, in der Folge auch nocli der von den Orthodoxen angeregte Streit liber die Einheit und Zweiheit des Widens Christi kam §. 46. ILelire voin Jlensclien, von tier iiiniie, tier I^reilieit mitl tier C^natle. A. Die Natur des Menschen iiberhaupt. 1. Die platonische Trichotomie, die fur Apollinaris nocli so grosse Bedeutung hatte, fand in der lateinischen Kirclie mehr und mehr Widerspruch. 2. Von den drei in der ersten Periode gangbaren Vorstellungen liber den Ursprung der Seele war zwar der Traducianismus in der occidentalischen Kirclie sehr vorherrschend und auch Augustin ihm niclit abgeneigt, aber der Creatianismus ling schon an als rechlglau- bige Lelire zu gelten und die Meinung des Origenes wurde als eine aus heidnischen Mythen stammende Harese verworfen. 3. Das Bild Gottes setzte man in die Vernlinftigkeit, sittliche Vollkonunenheit, Herrschaft liber die Thiere, Superiority des Men¬ schen liber die Natur iiberhaupt, seine dogmatische Bedeutung er- 1) A. a. 0. Th. 2. S. 37. f. Lehre vom Menschen, von tier Siinde, der Freiheit imd der Gnade. 179 hielt aber dieser Begriff erst durch die augustinische Lelire von der Siinde, sofern man sich jetzt erst eine bestimmtere Vorstellung von der unter dem BildeGottes begriffenen urspriinglichen Vollkommen” lieit machen musste, welche der Mensch vor dem Fall gehabt und durch den Fall verloren haben sollte. Die augustinisclien Distinctio- nen zwischen dem posse non peccare und dem non posse peccare, dem posse non mori und dem non posse mori, dem adjutorium, quo lit und dem adjutorium, sine quo non fit, bezeichneten die Sphare, in- nerbalb welcher diese Vorstellung gebalten werden sollte Je mehr der Mensch durch den Fall verloren haben sollte, urn so mehr musste er vor dem Fall gehabt haben, nur musste auch die Moglich- keit des Verlierens gedacht werden kdnnen. B. Der Ursprung der Siinde und die Siindhaftigkeit des Menschen. T* Die Lehrer der griechischen Kirche batten dieselbe Ansicht von der Siinde und der sittlichen Willensfreiheit, wie die altern. In der lateinischen Kirche neigten sich schon Hilar ius von Pictavium und Ambrosius zur Vorstellung einer von Natur dem Menschen anhan- genden, schon in Adam auf alle iibergehenden Schuld bin. Augustin liatte sich gleichfalls friiher kein anderes Princip der Siinde denken konnen, als die freie Selbstbestimmung des Widens 1 2 ), aber schon vor dem Streit mit Pelagius liatte sich seine Ansicht von dem Ver- haltniss der Gnade zu demGlauben so geandert, dass darin auch der Wendepunkt zu seiner Lehre von der Siinde erkannt werden muss 3 ), SeinenAnfang nahm der Streit zwischen Augustin und Pelagius im Jahr 411. Die Hauptmomente desselben sind die Synoden zu Karthago im Jahr 412, zu Jerusalem und Diospolis im Jahr 415, zu Mileve und Karthago in den Jahren 416 — 418. I. Die Lehrbegriffe des Pelagius und Augustin. 1. Die Lehre von der Siinde nach Pelagius und Augustin. In dem LehrbegrilF des Pelagius liangt alles an dem Princip der Willensfreiheit, sie ist der seine Lehre von der Siinde und der Gnade bestimmende GrundbegrifF. Die Freiheit als das absolute Vermogen 1) Aug. de corrept. et gr. c. 12. Op. imp. 4, 14. 5, Gl. G, 22. oO. 2) Hauptstelle hieruber de lib. arb. 8, 49. 3) Vergl. De praedest. sanct. c.20.: plenius sapere coepi in mei episcopatus exordio , d. li, uni das Jahr 395. 180 Erste Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 46. des liberum arbitrium, sicli sowolil fur das Gute als das Bose zu be- stimmen, war ihm sosebr das substanzielle Gute der menschlichen Natur, dass er aucli dasVennogen des Bosen zu dem bonum naturae rechnete, weil man das Gute nicht wollen kann, oline auf die gleiche Weise aucli das Bose wollen zu konnen * 1 ). An diesem bonum na¬ turae konnte aucli die Siinde Adams niclits andern, sie hat, da aucli der Tod nicht alsFolge der Siinde anzusehen ist, nur ihm selbst ge- schadet, nicht aber alien andern Menschen. Wenn auch Pelagius auf der Synode zu Diospolis diesen Satz nicht wie Colestius zu ver- dammen sicli weigerte, so meinte er dock dabei nichts anderes, als die blosse Wirkung des Beispiels 2 ). So wenig auch zwischen der Siinde Adams und der Siinde der Menschen iiberhaupt irgend ein wesentlicher Unterschied stattlindet, so war doch die Siinde Adams der Zeit nacli die erste, die als solclie auch ein Beispiel der Nach- ahmung gab, das durch die Macht der langen, gleichsam zur Natur werdenden Gewohnheit einen immer mehr sicli verstarkenden Ein- tluss auf die Verschliinmerung der Menschen ausiibte 3 ). Insofern konnte auch Pelagius in der Siinde Adams ein in die Geschichte der Menschheit eintretendes und durch verschiedene Perioden hindurch seinen Verlauf nelnnendes Princip anerkennen, allein bei allem die¬ sem bleibt der Hauptsatz der Lehre des Pelagius in seiner vollen Wahrheit stehen, dass der Menscli, was er im Guten und Bosen ist, nicht von Natur ist, sondern nur durch die Selbstbestinunung seines Willens und seine eigene freie That 4 ). Es gibt dalier auch keinen andern Begriff der Siinde, als eben nur diesen. Auch Augustin ging von demselben Begriff der Freiheit aus, wie Pelagius. Seine Behauptung gegen Pelagius war nicht, dass der Menscli an sich keine Freiheit liabe, sondern nur, dass er sie verloren liabe, liatte er sie aber erst verloren, so muss er sie zuvor gehabt liaben, und auch er nahm die Freiheit in demselben Sinne, wie Pelagius, als das gleiche Vermogen zuin Guten wie zum Bosen, wenn er es ganz als Sadie des ersten Menschen betrachtete, ent- weder, da*cr gut geschalfen war, im Guten zu beharren, Oder zu » 1) Epist. ad Demetr. c. 2. 3. 2) Vergl. Augustin de peccato orig. c. 15. 3) Ep. ad Dem. c. 8. 4) Pelagius de lib. arb. bei Aug. de pecc. orig. c. 13. Ebenso Julian bei Aug. Op. imp. 1, 48. Lehre vom Menschen, von der Simile, der Freiheit und der Gnade. 181 siindigen 0. Seine Hauptdifferenz von Pelagius besteht aber in der Behauptung, dass der Mensch die Freiheit, die er hatte, znm Bosen niclit gebrauchen und durch Ungehorsam gegen Gott nicht bethatigen konnte, ohne sie in diesem Einen Akt auf immer zu verlieren und in die Knechtschaft der Siinde zu verfallen 1 2 ). Die Freiheit zum Gu- ten sowolil als zum Bosen wurde jetzt nur zu einer Freiheit zum Bosen, oder zur Nothwendigkeit des Siindigens, zur Strafe der Siinde kann der Mensch nur siindigen 3 ), die Eine Siinde hat seine Natur so vollig verandert, dass sie jetzt ebenso vom Gift der Siinde durch- drungen ist, wie sie zuvor rein und vollkommen war. Was von Adam gilt, gilt aucli von alien seinen Nachkommen, sie werden schon als dem Tod und der ewio-en Verdammniss verfallene Sunder o geboren. Diess ist demnach das peccatum originale, in welchem die Siinde Adams dieselbe Siinde und Schuld fur alle seine Nachkommen ist, wie fiir ihn selbst, und die gauze Menschheit zu einer massa perditionis geworden ist 4 ). Als den Ausdruck dieser Einheit, ver- moge welcher alle Nachkommen Adams die gleich betheiligten Sub- jecte seiner Siinde sein sollten, nalnn Augustin die Uebersetzung der Vulgata Bom. 5, 12.: in quo omnes peccaverunt. Der Haupteinwendung, die von pelagianischer Seite in verschie- denenFormen immer wieder gemacht wurde, dass es ebenso mil dem Begrilf der Siinde wie mit dem Begrilfe Gottes streite, den Men¬ schen, ehe er nocli aktuell gesiindigt hatte, bios wegen des natiir- lichen sinnlichen Triebs, der concupiscentia carnis, in welche Au¬ gustin das Wesen der Erbsiinde setzte, als verdammlichen Sunder zu betrachten, konnte Augustin mit Reclit entgegenhalten, dass Adam und seine Nachkommen diess durch die freie That seines Willens selbst verschuldet haben, und so wenig aucli sich begreifen liess, wie seine Siinde, als eine einzelne voriibergehende Handlung, eine so wesentliche Veranderung seiner Natur bewirken konnte, so sollte es ja auch keine natiirliche Folge, sondern eine gottlich ver- hangte Strafe sein. Die Hauptfrage aber war, mit welchem Grunde die Nachkommen Adams als die gleich zurechnungsfahigen Theilneh- mer an seiner Siinde betrachtet werden konnten? Die natiirliche Ab- 1) De corrept. et gr. c. 28. Op. imp. 5, 60. 2) Vergl. z. B. De nupt. et concup. 2, 34. 3) Op. imp. 1, 47. De perfect, just. horn. c. 4. 4) De peccato orig. c. 36. 182 Erste Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 46. stammung erklarte diess so wenig, als die Behauptung, dass die Nachkommen Adams, noch ehe sie individuell existirten, in ihm ih- rem Stammvater an sicli sclion gewesen seien 1 ). Je weniger er auf jene Frage eine objectiv begriindete Antwort geben konnte, um so grosseres Gewicht legte er auf das von der Kindertaufe genonnnene Argument. Wozu wiirden auch Kinder zur Yergebung der Siinden getauft, wenn nicht auch sie mit der Schuld einer Siinde behaftet waren, die nur durch die in der Taufe ertheilte Gnade aufgehoben werden kann? 2 3 ) Wie sicli so in seiner kirchlichen Anschauung die ganze Menschheit in die beiden Classen der Getauften und Nichtge- tauften theilte, so sah er auch uberall nur den Gegensatz der Siinde und Gnade. Da er bei den Kindern das Verdammliche ihrer Siinde nur in die vor der aktuellen Siinde vorhandene concupiscentia carnis setzen konnte, so nahm auch er ein malum naturale derselben Art an, wie das manichaische Princip des Bosen war, nur mit dem Un- terschied, dass er, da derselbe sinnliche Reiz auch schon in Adam vor dem Fall vorauszusetzen war, wenn anders der Fall selbst er- klart werden sollte, Gott als Schopfer auch zum Urheber dieses Princips des Bosen machen musste. Um dieser Urheberschaft des Bosen zu begegnen, sollte Adam als frei geschaffen auch der freie Urheber der Siinde sein. Auf welchen schwachen Fiissen stand aber von Anfang an eine Freiheit, die ein sollicitirendes Princip des Bo- sen neben sicli hatte, wie die augustinische concupiscentia carnis war? Entwedcr ist also diese concupiscentia kein solches Princip der Siinde, oder Gott ist der Urheber der Siinde; da das erstere nicht zugegeben werden kann, das letztere wenigstens nicht ausge- sprochen werden darf, so bricht dafiir um so inehr die im Hinter- lialt lauernde dualistische Ansicht in dem gewaltsamen Riss hervor, durch welclie die Siinde Adams, als der erste nacli dieser Seite sicli entscheidende Akt der Freiheit, denMenschen vor dem Fall von dem Menschen nacli dem Fall trennte und zwischen beiden die tiefe Kluft eines principiellen Gegensatzes befestigte, welcher nicht oline Grund gegen das august. System immer wieder den Yorwurf einer demMa- nichaismus verwandten dualistischen Grundanschauung hervorrief s ). 1) Ep. 194, 6. Dc peccat. meritis et remiss. 3, 7. Op. imp. 1, 48. 4, 104. De civ. Dei 13, 14. 2) Op. imp. 2, 73, 1, 63. Contra Jul. 4, 3, 17. 5, 1, 2. De nat. et gr. c. 40. 3) Mit diesem Argument setzte insbesondere der scharfsinnige Pelagianer Lehre vom Mensclien, von der Siinde, der Freiheit und der Gnade. 1S3 Auch inder Ansicht Augustin’s von dem Zeugungstrieb als demBrenn- punkt der concupiscentia carnis geben sicli manichaischeldeen kund. 2. Die Lehre von der Freiheit und Gnade nach Pelagius und Augustin. Die Freiheit definirte Pelagius als die possibilitas boni etmali * 1 ). Der Mensch kann, was er will, es gibt fur sein sittliches Bewusst- sein kein Sollen, welchem nicht auch ein Konnen entspriclit. Das Kbnnen selbst aber hat der Mensch von Gott. Pelagius unterschied, urn, was auf der einen Seite Gott, auf der andern dem Mensclien zuzuschreiben ist, zu bestinnnen, dreierlei, das Konnen, das Wol- len und das Sein. Das Konnen sei als das Erste in die Natur, das Wollen als das Zvveite in den Willen, das Sein als das Dritte in die Vollbringung zu setzen 2 ). Diess ist nach Pelagius das tiefste und innerlichste Verhaltniss der Freiheit und der Gnade, die Freiheit als das der Natur nie fehlende Konnen ist selbst ein Geschenk der Gnade. Mit diesem Einen ist aber das, was der Mensch fur seine sittlich re¬ ligiose Bestimmung noting hat, so principiell in ihm gesetzt, dass alles, was nocli als Geschenk undWirkung der Gnade hinzukommen kann, nichts die Mdglichkeit des Guten erst bedingendes sein kann, sondern sich dazu nur fdrdernd und erleichternd verhalt. Da der Wille vom Vorstellen undErkennen abhangt, so kann alles, was bei Pelagius Gnade heisst, seinen Weg, urn auf den Willen zu wirken, nur durch den Verstand nehmen. Wesentlich besteht die Gnade in OfFenbarung und Erleuchtung, in Lehre und Erkenntniss 3 ). In die¬ sem Sinn geliort die ganze OfFenbarungsgeschichte des Alten und Neuen Testaments unter den BegrifF der Gnade, im engern Sinn ist die Gnade im Unterschied vom Gesetz vorzugsweise die dem Evan- gelium eigenthiimliche Gnade der Siindenvergebung 4 ). In so viel- fachem Sinn aber die Pelagianer von der Gnade sprachen, nie ver- banden sie damit den BegrifF iibernaturlicher Gnadenwirkungen 5 > Julian, Bischof von Eclanum, seinem traducianischen Gegner in verschiedenen Wendungen auf’s Nachdriicklichste zu. Vgl. das Op. imp. gleich im Eingang 1, 71. 170. 2, 72. 3, 154. 1) Ep. ad Demetr. c. 2. 2) Pelagius in der Schrift de libero arbitrio bei Aug. de gratia Christi c. 4. 3) Bei Aug. de gratia Chr. c. 7. 4) De gratia Chr. c. 33. De nat. et gr. c. 18. 5) Auch nicht, wenn Pelagius bei Aug. de gratia Chr. c. 7. sagt, er setze die Gnade nicht bios in die lex, sondern auch in ein adjutorium Dei. Es ist auch 184 Erste Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 46. Bei Augustin dagegen ist gerade diess das Wesentliche seines Begriffs der Gnade, dass sie iiberhaupt das Gate erst moglich macht. Sie wirkt innerlich, unmittelbar, iibernaturlich, nicht erst durch die Vermittlung des Verstandes, sie wirkt iiberhaupt nicht bios auf den Willen ein, sondern bringt den Willen zum Guten selbst erst her- vor, so dass oline sie nichts Gutes geschehen kann, ja sie muss so- gar erst den Widerstand des Widens iiberwinden, urn ihn ans der Knechtschaft der Siinde zu befreien und zu seiner Freiheit wieder- herzustellen * 1 ). Sie ist daher aucli eine unwiderstehliche. Nach den verschiedenen Beziehungen der Gnade zum Willen erhielt sie in der augustinischen Terminologie specielle Benennungen. Die Lehre Augustin’s von der Predestination ist die nothwendige Consequenz seiner Lehre von der Gnade. Die Gnade hat die Prade¬ stination zu ihrer Voraussetzung. Ist durch die Siinde Adams das ganze menschliche Geschlecht eine und dieselbe verdorbene und ver- dammte Masse geworden, so ist es nur das Werk der gbttlichen Gnade und Barndierzigkeit, wenn Einige aus ihr errettet werden. In ihnen selbst liegt nicht der geringste Grund ihrer Erwahlung, es ist nur der Rathschluss seiner Gnade, in welchem sie erwahlt sind, und auf der andern Seite ist es nur ein Akt seiner Gerechtigkeit, wenn er die Nichterwahlten ihrem natiirlichen Verderben iiberlasst, es ist nur die verdiente Strafe der Siinde, die sie in Adam als eine freie That ihres Widens begangen haben. Am Begriff der Freiheit hangt denmach aucli hier die ganze Rechtfertigung dieses Systems fiir das sittliche Bewusstsein. Wie steht es aber mit dieser Freiheit, wenn Augustin die Reihe der die Erwahlten betreffenden gottlichen Akte so zusammenfasst: Quicunque in Dei provident is sim a dispo- sitione praesciti, praedestinati, vocati, justificati, glorificati sunt, non dico etiam nondum renati, sed etiam nondum nati jam fil'd Dei sunt, et omnino perire non possunt? 2 j Gilt diess von den Er¬ wahlten, sind sie als nondum nati schon vor der Grundlegung der Welt jsur Seligkeit pradestinirt, so ist ja ebendamit aucli schon iiber diess nicht wie Wiggers Aug. und Pel. S. 232. meint, etwas Uebernatiirliches, sondern er unterscheidet beides nur wie die Gnade im objectiven und subjecti- ven Sinne. Zum adjutorium wil’d sie durch ihre Wirkung in dem Menschen. 1) De grat. Chr. 25. de corrept. et gr. c. 3. Contra duas ep. Pel. 4, 11. 2) De corrept. et gr. c. 9. Vergl. de dono persever. c. 35. de praedestin. sanct. c. 37. Lehre vom Menschen, von der Siinde, der Freiheit und der Gnade. 185 das Schicksal der Nichterwahlten entschieden, zu welchem ver~ schwindenden Moment wird aber ebendadurch in der Absolutheit des gottlichen Ratbschlusses die Siinde Adams, welcbe Bedeutung hat es, sie als freie That vorauszusetzen, wenn alles, was aus ihr als Folge hervorgegangen sein soil, voraus schon im gottlichen Rath- schluss nach beiden Seiten bin unabanderlich feststand? Diess ist das Harte unci Unbegreifliche der augustinischen Pradestinationslehre. Es gibt Erwahlte und Verworfene, Gute und Bose, schlechthin nur aus dem Grunde, weil sicli das absolute Wesen Gottes in die beiden schlechthin einander entgegengesetzten Eigenschaften derGnade und der Gerechtigkeit theilt. So wenig er sie fiir das denkende und sitt— liche Bewusstsein rechtfertigen konnte, so vergeblich war sein Be- miihen, die Partikularitat des Rathschlusses mit der in der Schrift ausgesprochenen Universalitat des gottlichen Widens der Beseli- gung zu vereinigen O und nur mit sichtbarer Unsicherheit suchte er sie gegen die von ihm selbst befurchteten praktischen Folgen zu schiitzen 1 2 ). II. Der Semipelagianismus. Der Anstoss, welchen man an der augustinischen Pradestina¬ tionslehre nahm, rief noch zu Lebzeiten Augustin’s einen sehr leb- haften Widerspruch hervor. Unter den Monchen des afrikanischen Klosters Adrumetum entstand dariiber ein Gegensatz der Meinungen und Parteien 3 ). Insbesondere aber bildete sicli im siidlichen Gallien, gleichfalls unter den Monchen, zuMassilia und auf der InselLerinum, eine Oppositionspartei, liber welcbe dem Augustin seine beiden Freunde und Verehrer, Prosper von Aquitanien und Hilarius in zwei noch vorhandenen Briefen Nachricht gaben 4 ). Jo wenigerrnan sich mit einer Lehre befreunden konnte, welcbe die sittliche Selbst— bestimmung des Menschen vollig aufzuheben schien, mit urn so grds- serem Nachdruck machte man ihren Widerstreit mit der bisherigen Kirchenlehre geltend. Die von dem romischen Bischof Colestin ge- 1) Enchir. ad Laur. c. 103. De corrept. et gr. c. 14. Contra Jul. 4, 44. 2) De corrept. et gr. c. 46. de dono persev. c. 22. 3) Darauf beziehen sich die beiden Schriften Augustin’s de correptiune et gratia und de gratia et libero arbitrio. 4) Bei Aug. Ep. 225 und 226. Sie gaben dadurcli die Veranlassung zu Augustin’s beiden letzten Schriften de praedestinatione Sanctorum und de dono pcrseverantiae. 186 Erste Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 46. gen die novitas der Lehre gegebene Warnung lautete zwar noch sehr allgemein und unbestimmt, uin so weniger liess aber Vincentius in seinem Commonitorium dariiber im Zweifel, welehe Lehre dieser Vorwurf trefFe O- Urn die sittliclien Consequenzen zu ziehen, er- schienen Sebriften, die in kurzgefasstenSatzen das sittlich Anstossige der augustinisclien Lehre grell in die Augen springen liessen 1 2 ). Die- selbe Tendenz batte die schon erwahnte Schrift Praedestinatus, deren pradestinatianische Harese keine andere Lehre ist, als die au- gustinische in ihrer nackten Gestalt. Da auf diese Weise auch an Augustin, wie fruher an Pelagius, eine das katholische Bewusstsein verletzende Spitze sick herausgestellt batte, durch welehe das dog- matische Bewusstsein von selbst zu dem der bisherigen Kirchenlehre so wichtigen Freiheitsinteresse zuriickgelenkt wurde, so lag es ganz in der Natur der Sache, dass die scharfen Gegensatze in einem mitt— lern LehrbegrifF sich ausglichen, welcher in der Folge nicht unpas- send als Semipelagianismus bezeichnet wurde, da seine Grundlage in der That weit mehr pelagianisch als augustinisch war. Als Gegenstand einer dogmatischen Aufgabe, welehe die sowohl vom BegrifF der Gnade als dem BegrifF der Freiheit ausgehenden Extreme nach beiden Seiten hin abzuschneiden und innerhalb der kirchli— ehen Regel sich von beiden gleieh fern zu halten hat, fasste Johan¬ nes Cassianus den Gegensatz zwischen Augustin und Pelagius auf 3 ). Soweit er hauptsachlich der Urheber des Semipelagianismus ist, be- stelit sein LehrbegrifF wesentlieh aus folgenden Satzen: 1. Der Menscli ist weder in Siinden todt, noch naturlich ge- sund, er ist krank und gesehwaeht; er hat die Freiheit des Willens nicht verloren, aber sie ist gelahmt durch den Kampf und Wider- streit des Geistes und Fleisches, dieser Kampf selbst aber ist eine 1) Vergl. oben S. 159. 2) Aus Prosper’s von Aquitanien Responsiones acl capitula calumniantium Gallorum und ad capitula objectionum Yincentianarum kennen wir zwei Schrif- ten dieser Art. 3) Collat. 13, 11.: Ilciec duo : i. e. vel gratia Dei vel liberum arbitrium sibi quidem invicem videntur adversaria sed utraque concordant, et utraque nos pa- riter debere suscipere ratione colligimus , ne unum horum homini subtrahentes ecclesiasticae Jidei regidam excessisse videamur. — Multi enim singula haec cre- dentes ac justo amplius asserentes , variis sibique contrariis sunt erroribus invo- luti. Dieses Mittlere, das weder das Eine noch das Andere sein solite, nannte Prosper von Aquitanien contra Collat. c. 5. ein informe nescio quid tertium. Lehre vom Menschen, von der Siinde, der Freiheit und der Gnade. J 87 heilsame Einrichtung der menschlichen Natur, in welcher trotz ihres Verlustes und ihrer Schwache die semina virtutum geblieben sind 1 2 3 4 ). 2. Freiheit und Gnade concurriren so, dass bald das eine, bald das andere dieser beiden Principien das vorangehende ist. Die Ini¬ tiative des Guten kommt vorzugsweise deni freien Willen zu, die Vollendung der Gnade, welche, da sie bisweilen auch nicht Wol- lende an sicli zieht, eine nicht bios ausserlich, sondern auch inner- lich im augustinischen Sinn wirkende ist 2 ). 3. Eine Predestination gibt es nur unter Yennittlung der Pra- scienz 3 ). Auch von augustinischer Seite sail man sicli zu Milderungen genothigt. Schon Prosper von Aquitanien war kein so schroffer Anhanger des augustinischen Systems, wie Fulgentius, der Bischof von Ruspe. Man konnte sich den Widerspruch des augustinischen Partikularismus mit der Lehre der Schrift nicht verbergen. Am ei- genthiimlichsten suchte demselben der Yerfasser der Schrift de vo - cat tone omnium gentium zu begegnen, welcher zwar uber die Gnade augustinisch dachte, die Erbsiinde aber nur negativ in den Mangel des Guten setzte, die Abkehr von Gott, als dem an sich Guten, ver- moge welcher der Mensch nur seinem eigenen natiirlichen Triebe folgt. Der Wille ist an sich immer derselbe, nur sein Object ist ver- schieden, auf das an sich Gute kann er nur durch Gott gerichtet werden, diese Richtung des Willens kann aber jeder erhalten, da es sowohl eine allgemeine als specielle Wirksamkeit der Gnade gibt 4 ). Das Naturliche ist somit nicht das positiv Bose, sondern nur das nicht an sich Gute 5 ). Endlich wurde im Einverstandniss mit dem romischen Bischof und unter Mitwirkung desselben hauptsachlich im 1) Collat. 4, 7. 13, 12. 2) Collat. 13, 3. f. 3) Collat. 13, 7. 17, 26. Ygl. Prosper Ep. c. 3. f. Hila.rius Ep. c. 3. f. 4) Vgl. 2, 23. 34. 1, 7. 5) In dieselbe Kategorie gehort die in der Augsburgischen Confession Art. 18 irrig als augustinisch citirte Schrift: Hypomnesticon contra Pelagianos et Coelestianos, vulgo libri Hypognosticon. Auch der Yerfasser dieser Schrift will dem liberum arbitrium in operibus vitae praesentis tarn bonis quam etiam malis (die bona sind, quae de bono naturae oriuntur, id est, velle laborare in agro, velle manducare et bibere etc.) eine mittlere Sphare fur diejenige Art des Guten vorbehalten, welche die Confession unter dem Namen der civilis justitia begreift. 188 Brste Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 47. Gegensatz gegen Faustus von Reji, welcher noch auf den Synoden zu Arelate und Lugdunum im Jalir 475 seinem semipelagianischen LehrbegrifF allgemeine Anerkennung verschafft liatte, auf den beiden Synoden zu Arausio (Orange) und Valence im Jalir 529 unter dem Vorsitz des Biscliofs Casarius von Arelate die katholische Lehre so festgestellt, dass zwar die voile und unbeschrankteWirksamkeit der Gnade geltend gemacht, aber die specielleren damit zusammenhan- genden Bestimmungen unberiihrt und dabingestellt gelassen wurden. Es ist dalier in den Bescbliissen weder von einer unwiderstehlich wirkenden Gnade noch von einer absoluten Predestination, von keinemParticularisms inHinsicht derErwahlten undVerworfenen die Bede, nur gegen dieFolgerung, welche von den semipelagianischen Gegnern derPradestinationslehre in Betrelf desBosen aus ihr gezogen wurde, verwahrte sich die Synode zu Arausio ausdriicklich r ). Audi liier kommt demnach das kirchliche Dogma nur so zu Stande, dass die als extrem erscheinenden Bestimmungen beseitigt, die Gegensatze selbst aber, die nur die Pramissen zweier Conse- quenzen sind, unvermittelt neben einander stelien gelassen werden. Was auf der einen Seite verneint vvird, fallt als Bejahung auf die andere. Gibt es keine absolute Predestination, so ist auch das liberum arbitrium niclit schlechthin erloschen. Bleibt also nur Pelagius ver- dammt, so bleibt auch das liberum arbitrium in seinem Recht und wenn man nur keine Predestination zum Bdsen behauptet, iesst sich die unbedingte Wirksamkeit der Gnade niclit in Zweifel ziehen. Freiheit und Gnade verhalten sich daher nur so zu einander, dass jedem der beiden Principien an sich die gleiche Moglichkeit bleibt, eine iibergreifende Bedeutung fiber das andere zu gewinnen. Wie aber das Gottliche immer fiber dem Menschlichen stelit, so erfordert der Charakter des kirchlichen Systems auch liier, dass in jedem Fall der absoluten Bedeutung der Gnade wenigstens dem Ausdruck nach nichts vergeben wird. §. 47. lielire von der firlosung. Die schon in der ersten Periode in iliren Grundziigen entwor- fene Theorie wurde weiter ausgefiihrt. Die drei Hauptmomente sind daher auch jetzt: 1) Mansi T. VIII. 8. 711 f. Lehre von cler Erlosung. 189 1. Der Begriff der Gerechtigkeit. Das Recht des Teufels auf dieMenschen als sein Eigenthum wurde auch von Augustin und Leo I. anerkannt und aus diesem Grunde nur ein rechtliches Verfahren fur zulassig gelialten 2. Der dem Teufel gespielte Betrug wurde besonders von Gregor vonNyssa weiter ausgesponnen in der Idee, dass derErldser schon in der Menschwerdung den Teufel durcli die Lockspeise des Fleisches getauscht babe 1 2 ). 3. Die Nothwendigkeit dieses Weges der Erlosung ist keine absolute, sondern eine bios relative, da fur die AllmachtGottes zwar auch ein anderer mbglich, dieser aber der zweckmassigste war 3 ), An einem dem Teufel bezahlten Losegeld nahm zuerst Gregor von Nazianz Anstoss, es sollte also Gott bezahlt sein, aber auch er fiel in die alte Vorstellung zuriick 4 ). Um den Teufel zu beseitigen, setzte Athanasius an seineStelle denpersonificirtenTod, welcher auf dieselbe Weise getauscht wurde 5 ). Yon dem unendlichen Werth des Leidens Christi sprachen sowohl die Alexandriner 6 ) als die Antio- chener 7 ). Im Gegensatz zu der Ansicht des Origenes von dem selbst liber die Menschheit hinausgehenden Umfang der Erlosung beschrankte der Particularismus des augustinischen Systems den Zweck des Erldsungstodes nur auf die Erwahlten. JVJystisch kann die Ansicht von der Versohnung genannt werden, welche ohne eine dialektische Begriffsentwicklung das wesentliche Moment derselben an sicli schon in die Menschwerdung Gottes setzte, sofern in ihr Gottliches und MenschlichesEins wurde, und die Mensch¬ heit ein neues Lebensprincip durch gottlicheMittheilung in sich auf- nahm 8 ). Den Hauptgegensatz gegen diese bei mehreren Kirchen- lehrern, wie namentlich Gregor von Nyssa, sich findende und iiber- haupt in der Anschauungsweise der Alexandriner begriindete An¬ sicht bildeten die Arianer und Apollinaristen. Jene Lessen die Er- 1) Aug. de lib. arb. 3, 10. Leo Serin. 22, 3. 2) Orat. catech. c. 22 f. 3) Aug. de agone Clir. c. 10. de trin. 13, 10. 4) Orat. 42. Opp. ed. Colon. 1G90. T. I. S. 691 f. Orat. 29. S. 631. 5) De incarn. c. 7. 6) Wie Cyrill de recta fide. Opp. ed. Aub. T. V. 2. S. 132. 7) Wie Chrysostomus in Ep. ad Rom. Horn. 10. Opp. ed. Montf. T. 10. S. 131. 3) Athanasius de incarn. c. b 4. Gregor Nyss. Orat. catech. c. 16. 190 Erste Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 47. losung, da der Logos als Geschdpf keine reale Vermittlung zwischen Gott und den Menschen, wie sie Athanasius verlangte, bewirken konnte, durch die blosse Ankiindigung der Siindenvergebung ge- schehen 0? diese setzten die Aneignung Christi in die blosse Aehn- lichkeit und Nachahmung, sofern Christus Erloser nur dadurch ist, dass er selbst niclit sundigte, d. h. die Idee der Unsiindlichkeit den Menschen zum Bewusstsein brachte, und sie als Ideal ihres Strebens ihnen vor Augen stellte 1 2 ). Beide Ansichten, die mystische und die moralische, vereinigt im Grunde die eigene Lehre des Theodorus von Mopsvestia von der Erlosung. Die Erlosung ist ihm die Voll- endung der menschliclien Natur, sofern das in Adam nur ideell vor- handene Ebenbild Gottes in Christus in seiner vollen Wahrheit ver- wirklicht ist. Dadurch tlieilt sich die Menschheit in zwei wesentlich verschiedene Zustande, den gegenwartigen, in welchem alles ver- anderlich ist, und den kunftigen, in welchem das Veranderliche zur Unveranderlichkeit erhoben wird 3 }. Diesel* letztere Zustand tritt zwar erst in der kiinftigen Welt ein, principiell aber ist er schon jetzt in der alle Gegensatze zur Einheit aufliebenden Auferstehung Christi begriindet. Das Wesen der Erlosung setzt daher Theodor nicht in die Befreiung von der Siinde und ihrer Schuld, sondern die Ertheilung dessen, was Christus selbst erst durch die Auferstehung zu Theil geworden ist, die Unsterblichkeit und absolute Unwandel- barkeit des gdttlichen Lebens, deren einstiger Besitz dem Menschen schon jetzt durch seine Einheit mit dem menschgewordenen Christus verbiirgt ist. Die beiden einander entgegengesetzten Zustande sind analog dem augustinischen Gegensatz der Siinde und Gnade, wie ihm aber der augustinische Begrilf der Gnade fehlt, so halt er auch den Begrilf derFreiheit so fest, dass er den Menschen in der jetzigen Periode seiner sterblichen Natur, in welcher er das Kiinftige nur unvollkommen nachalnnen kann, zurUebung seiner sittlichen Kraft in der ganzen Wandelbarkeit seines freien Widens sich bewegen lasst 4 ). 1) Vgl. Athan. Orat. c. Ar. 2, 68. 2) Vgl. meine Schrift: Gegensatz des Kathol. und Protest. S. 632 f. 3) Vgl. Marius Mercator Opp. ed. Garn. S. 100. 4) Vgl. Fritzsche Theod. ep. Mopsv. in N. T. coramentariorum quae re- periri potuerunt. 1847. S. 55 f. zu Rom. 6, 6 f.: tw Xpistoi laTauptop.evq> wa^sp araaa rjp.tov uko xf^v Ovrjxoxrjia xstp-av/j cp'j at? auvsoiaupcoOv], S7i£i3rj xot\ rraxa auxw 9 uvaveGsc oq. Er wollte, wie er selbst sagt, nichts aus sich selbst schopfen, sondern nur aus den heiligen Yatern sammeln, und nahm daher seinen StofF vorzugsweise aus den Schriften der beiden Gregor, des Basilius und des Areopagiten Dionysius. Apologetisch ist die Schrift: AtaXs^t; Xapax.Y)vou xal XptGTiavoO. Maximus, Confessor, im siebenten Jahrhundert: Disputatio cum Pyrrho, Scholia in Greg. Naz. mit besonderer Beriicksichtigung des Areopagiten Dionysius 0* 2J Lateinische: Gregor I. Hauptwerk: Allegorisch-praktische Erklarung des Buclies Hiob, oder Moralia, in 35 Biichern 1 2 > Isidor , Erzbischof von Hispalis oder Sevilla, seit dem J. 595. Drei Bucher Sentenzen. Alcuin, unter Carl dem Grossen, drei Bucher de lide sanctae et individuae trinitatis, Schriften gegen die Adoptianer. 1) Lelire von der Dreieinigkeit. 2. S. 263. f. 2) Lau, Greg. I. d. Gr. nach seinem Leben und seiner Lehre. 1840, Zweitc Hauptperiocle, erster Abschnitt. §. 58. 20G Johannes Scotus Erigena, unter Carl dem Kalilen: de divisione naturae in fiinf Biichern, und de divina praedestinatione. Paschasius Radbertus, Abt in Corbie seit 844: de corpore et sanguine Domini; eine Vertheidigung dieser Schrift ist die Epist. ad Frudeofardum. Ratramnus, Moncb in Corbie, Gegner des Paschasius Radbertus. Dem Ratramnus, nicht dem Scotus Erigena, gehort die noch vorhan- dene Gegenschrift de corpore et sanguine Domini an. Rabanus Maurus, Abt zu Fulda, seit 847 Erzb. zu Mainz, Hink- mar, Erzb. zu Rlieims, Reiiigius, Erzb. zu Lyon, Prudentius, B. von Troyes, Servatus Lupus, Abt zu Ferrieres u. A. traten im Pradesti- nationsstreit des 9. Jahrhunderts als Schriftsteller auf, in welchen die Bildung des karolingischen Zeitalters noch in ihrer vollenBluthe steht. Berengar, Scholasticus in Tours seit 1031, de sacra coena. Lanfrank, Erzbischof von Canterbury seit 1070, de eucharistia. Geschichte der Apologetik. §. 58. Sie bietet nichts Erhebliches dar. Neu ist nur das Verhaltniss, in welches die christliche Apologetik jetzt zum Muliamedanismus tritt, aber auch in dieser Beziehung ist der apologetische Stoff sehr durftig. Die Hauptstreitpunkte waren auf der einen Seite die mit dem abstrakten Monotheismus des Islam streitende Lehre von der Dreieinigkeit und der Person Christi, auf der andern die im Alton Testament nicht verkiindigte prophetische Sendung Muhamed’s *). Der augustinische Kanon ist der in der lateinischen Kirclie all— gemein angenommene. Ueber die Inspiration entstand im Laufe des neunten Jahrhun¬ derts ein Streit zwischen dem Abt Fredegis von Tours und dem Erz¬ bischof Agobard von Lyon, in welchem der letztere die Selbsttha- tigkeit der heiligen Schriftsteller nicht fallen lassen wollte. Die Grundpfeiler der Tradition sind die vier okumenischen Con- cilien, welchen Gregor I. auch das fiinfte gleichsetzt 1 2 ). Eine freiere Ansicht iibcr das Verhaltniss des Glaubens und Wissens, oder der 1) Vergl. Gass, Gennadies und Peetiio, Aristotelismus und Platonismus in der griecbisclien Kirclie, nebst einer Abliandlung liber die Bestreitung des Islam im Mittelalter. 1844. S. 106. f. 2) Ep. 1, 24. Lehre von Gott. 207 Auctoritat und Vernunft, hatte Jon. Scotus Erigena. Die Vernunft geht immer der Auctoritat voran. Das Wahre der Auctoritat ist nur das Verniinftige in ihr; die Auctoritat ist die vermiltelnde Form, in welcher die verniinftige Wahrheit zum Nutzen derNaclnvelt schrift— Jicli uberliefert wird. Audi bei der Auctoritat der heiligen Schrift ist das Eigentliche von dem Uneigentlichen und Bildliclien zu unter- scheiden Geschickte der Dogmen. §. 59 . Lelire von Gott. Die Negativitat der Gottes-Idee des Areopagiten Dionysius ist so sehr der vorherrschende Begriff vom Wesen Gottes, dass Johan¬ nes von Damaskus und Scotus Ehigena ganz darin einverstanden sind. Beide wiederholen im Grunde nur den Satz des Areopagiten, dass von Gott nichts Positives ausgesagt, ja nicht einmal, dass er ist, eigentlich gesagt werden konne. Scotus Erigena unterscheidet zwischen einer katapliatischen und apophatischen, einer bejahenden und verneinenden Theologie, da aber die eine ebensowenig absolut bejaht, als die andere absolut verneint, so sind beide an sich Eins in der fiber alien Bejahungen und Yerneinungen stehenden und sie in sich aufhebenden Idee der uberwesentlichen Natur Gottes 1 2 ). Ungeachtet der hiemit behaupteten absoluten Unbegreiflichkeit und Transcendenz Gottes fuhrt Johannes von Damaskus einen Be- weis fur das Dasein Gottes, in welchem er auf dem Wege eines, vomEndlichen ausgehenden, logischen Schlusses zum Wesen Gottes zu gelangen sucht. Er hat zuerst das kosmologische Argument ge- nauer ausgefiihrt, und das physikotheologische an dasselbe ange- kniipft 3 ). Auf diesem Wege ergeben sich auch Eigenschaften Got¬ tes, wahrend sonst behauptet wird, die Eigenschaften der Giite, Gerechtigkeit u. s. w. bezeichnen nichts dem Wesen Gottes an sich Zukommendes. §. 60 . Lelire vobb der ISreieinigkeit. Ausfiihrlich entvvickelt Johannes von Damaskus den orthodoxen Trinitatsbegrilf, neigt sich aber sehr zu einer einseitigen Hervorhe- 1) De divis. nat. 1, 66. 71. 2) Lehre von der Dreieinigkeit. 2. S. 274. f. 3) De fide ortliod. 1, 3. 208 Zweite Hauptperiode, erster Absclmitt. §. 60. bung der Einheit bin. Bei Joh. Scotus Erigena hat die Trinitatsidee eine rein subjective Bedeutung. Sie besteht in dem Yerhifltniss, in fVelchem im Wesen des Menschen Vernunft, Yerstand und Einbil- dungskraft zu einander stehen. Das substanzielle Wesen der Seele ist die in der hdchsten Region uin den liber alles erhabenen Gott sich bewegende Yernunft, die mittlere Region der Seele nirnmt der Ver- stand ein, der um die hochsten Principien der Dinge, die unmittel- bar nach Gott sind, sich bewegt, der dritte Tlieil der Seele ist der Sinn oder die Einbildungskraft, das im Bilden und Wirken thatige Yermogen, das die Wirkungen der urspriinglichenUrsachen, die reale, sinnlich erscheinende Welt zu seinem Object hat. Scotus Erigena nennt diese menschliche Trinitat den Reflex der gottlichen, sie ist aber die urspriingliche Trinitat selbst, sofern diese drei Bewegungen und Thatigkeiten, die sich im Wesen des Geistes unterscheiden lassen, die verschiedenen modi der Theorie oder die Gesichtspunkte sind, unter welchen das an sich seiende Eine objektiv nicht erkennbare Wesen Gottes subjectiv dem Bewusstsein sich darstellt 0- In der lateinischen Kirche wurde zwischen dem Erzbischof Hinkmar von Rheims und dem Monch Gottschalk iiber die una et trina deitas gestritten. Das Dogma vom Ausgang des Geistes vom Vater und Solin ist in der abendlandischen Kirche allgemein angenommen, nur iiber die Zulassigkeit des Zusatzes im Symbol ist man nicht einig. DieHaupt- frage selbst wurde zuerst in des Patriarchen Photius beruhmter Encyclica im Jahr 867 als weseritlicher Differenzpunkt der griechi- schen und romischen Kirche hervorgehoben 1 2 ). §. 61 . Lehre von der Scliopfmig: itnd Vorselmug;. Unter den Gesichtspunkt dieserLehre gehort das Eigenthiimliche des Systems des Scotus Erigena. Seine hdchste Idee ist die Allheit, welche beides, Gott und die Creatur, als Einheit in sich begreift. Die vier Formen der sich selbst differenzirenden Natur, die schaffende und nicht geschaffene, die geschaffene und schaffende, die geschaf- fene und nicht schaffende, die nicht schaffende und nicht geschaffene, 1) Lelire von der Dreieinigkeit. 2. S. 818. 2) Lelire von der Dreieinigkeit. 2. S. 107. f. Lehre von den Engeln und Damonen. kommen zuriick auf das Verhaltniss des Unendlichen und Endlichen, des Ewigen und Zeitlichen, der Ursache und der Wirkung, des Schopfers und der Schopfung. Alles ist auf evvige Weise in Gott, was aber an sicli ewig ist, existirt auch in der Form der zeitlichen Erseheinung. VVie es beides zugleich ist, sowohl ewig als zeitlich, ist das Unbegreifliche der Theophanie, in welclier das an sicli seiende Wesen Gottes dem Bewusstsein der intellektuellen Natur sicli auf- schliesst und als unmittelbare Offenbarung in’s Dasein tritt x ). Das Bose ist nach Scotus Erigena wie nacli dem Areopagiten nur das Minus und die Negation des Guten. Auf dem Standpunkt der absoluten Idee verschwindet alles Unvollkommene und Negative in der Einheit und Totalitat des Ganzen, und Gott ist nicht Urheber des Bosen, weil das Bose fur ihn uberhaupt nicht, oder nur am Guten existirt 1 2 3 ). Johannes von Damaskus hat den gewohnlichen Begriff der Zulassung. §. 62 . lielire von tlen Kngelu und Msinioiten. Das hierarchische System des Areopagiten Dionysius fand all— gemeinen Beifall. Johannes von Damaskus, Gregor der Grosse und Scotus Erigena verehren ihn tief als Offenbarer dieser Geheimnisse. Im Uebrigen ist fiir diese Lehre nichts bemerkenswerth, als der Un- terschied, welchen man aus Yeranlassnng des Bilderstreits zwischen der nur Gott zukommenden XotTpsta und der Ttp.YjTix.io xpoTxuvYict; m a elite. §. 63 . Lelire voni jtlenschen. Die alte platonische Unterscheidung zwischen Geist und Seele fmdet sich nicht melir. Johannes von Damaskus lehrt eine urspriing- liche Vollkommenheit des Menschen und eine Verschlimmerungdurch den Fall. Es sind gewisse Charaktere des gottlichenEbenbildes ver- loren gegangen, aber der Menscli hat nocli seine voile Freiheit und Kraft zum Guten In der abendlandischen Kirclie war die gangbare Lehre liber die Siinde im Allgemeinen die semipelagianische. Eine sehr hohe 1) A. a. O. S. 283. f. 2) De div. praed. c. 15. 1G. 3) De fide orthod. 2, 30. 4, 4. Ba.nr, Dogmengeschichte. 14 210 Zweite Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 63. Stellung gab Scotus Erigena in seinem Systeme demMenschen. Dei* Mensch ist ein intellektueller, im gbttlichen Geiste auf ewige Weise existirender Begriff, aber aucli das geistige Subject, in welchem als die Substanz der Dinge der Begriff alles IntelligibelnundSinnlichen ist. Er ist der Inbegriff und Schluss der gesammten Schopfung, in welchem, als der Einheit alles Geistigen und Sinnlichen, Alles ge- schaffen ist, die intellektuelle Creatur, in welcher das Sein zum Be- wusstsein wird. Da es in diesem System keine objective Trinitat gibt, so ist zwischen dem Menschen nach dieser holien Idee seines Wesens, als dem selbstbewussten Geist, und dem Sohn kein Unter- schied. Diess ist seine ideale Natur, seine urspriingliche Yollkom- menheit, aber gleich urspriinglich mit ihr ist sein Fall. Der Mensch ist von Anfang an gefallen und im Zwiespalt mit sich selbst, und in ihm ist die ganze Natur in sicli zerfallen, weil Alles ideell in ihm ist, d. h. er ist beides zugleich, Geistiges und Sinnliches, und je nachdem beides als Einheit, oder in seinem Unterschied als Zwei- heit betrachtet wird, kann er selbst aus zwei verschiedenen Gesichts- punkten betrachtet werden §. 64. I^elire von der Person Cliristi. 14 Der Monotheletismus. Der monotheletische Streit war die Fortsetzung der Streitig— keiten fiber die Einheit und Zweiheit in Christus, indem jetzt ein neues Moment der schon so vielfach verhandelten Streitfrage der Wille Christi war, die Frage, ob Christus Einen Widen oder zwei Widen gehabt habe. Der Anfang und Anlass des Streits war das Zugestandniss, mit welchem man unter dem Kaiser Heraklius den Monophysiten entgegenkommen wollte, indem man mit einem aus den Schriften des Areopagiten Dionysius genommenen Ausdruck Christus eine und dieselbe gottmenschliche Wirksamkeit zuschrieb. Ueber die Frage wegen der Zulassigkeit dieser Formel trennten sich die Anhanger der chalcedonensischen Synode in die beiden Parteien der Monotheleten und Dyotheleten. Der Streit endigte mit der Verdam- mung der erstern auf der sechsten okumenischen Synode zu Con- stantinopel im Jalir 680, auf welcher der romische Bischof Agatho 1) Lehre von der Drcieinigkeit. 2. S. 295. f. Lehre von der Person Cbristi. Ml mit derselbeu Auctoritat die Entscheidung gab, wie Leo I. auf der Synode zu Chalcedon O. Die Momente des Streits vvaren, auf der Seite der Monotheleten: die Einheit der Person oder des Subjects, von dessen Einem Willen, dem gottlichen des menschgewordenen Logos, alles ausgehen iniisse, da zwei Willen aucli zwei Subjecte voraussetzen wiirden 1 2 ); auf der Seite der Gegner: die Zweiheit der Naturen, da zwei Naturen nicht ohne zwei naturliche Willen und zwei naturliche Wirkungen gedacht werden konnen. Wiefern nun aber zwei Willen nicht aucli zwei wollende Subjecte sind, war der Punkt, fiber welchen man nur durch blosse Yoraussetzungen himvegging. Sagte man 3 ), zwei Willen seien ebenso wenig zwei wollende Subjecte, oder zwei fur sich beslehende Personen, als in dem Wesen Gottes wegen der Dreiheit der Personen drei Willen angenommen werden, so erklarte man nur das an sich Undenkbare durch ein nicht minder Undenkbares. Und wenn die Dyotheleten die Realitat der menschlichen Natur wenigstens auf der aussersten Spitze, auf welcher das Menschliche in seinem eigenthiimlichen selbststan- digen Princip erfasst werden konnte, festzuhalten schienen, so fiel auch bei ihnen das Uebergewicht so einseitig und ausschliessend auf die Seite des Gottlichen, dass sie derselbe Vorwurf des Doketismus trifft, wie ihre Gegner. Da auch sie alles, was Christus als Mensch Natiirliches liatte, als etwas bios Freiwilliges und rein Willkiirliches betrachtet wissen wollten 4 ), so war auch nacli ihrer Lehre Christus kein wahrer und wirklicher Mensch, sondern er existirte als soldier nur dem Schein und der Meinung nacli. Es war dalier nur das, wor- auf langst die Entwicklung des Dogma hinzielte, auf den bestimm- tern dogmatischen Ausdruck gebracht, wenn Johannes von Damaskus in seiner oenauen und ausfuhrlichen Darstelluno- der orthodoxen o ” Lehre das Verhaltniss der menschlichen Natur zur gottlichen in der Einheit der Person als Enypostasie oder Anypostasie bestimmte. Die menschliche Natur Christi ist keine Hypostase fur sich, doch ist sie darum nicht ohne eine Hypostase, sofern sie in der Hypostase des Logos existirt, sie ist somit die menschliche Natur nur, wie sie 1) Lehre von der Dreieinigkeit. 2. S. 96. f. 2) Das Hauptarguraent des Bischofs Theodorus von Pharan bei Mansi T. XI. S. 567. 3) Wie Maximus bei Mansi S. 245. 4) Lehre von der Dreieinigkeit. 2. S. 115. 120. 14* 212 Zweite Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 64. an sich ist, ehe sie zu einer individuell und personlich existirenden geworden ist Da es aber kein menschliches Dasein gibt, das nicht aueh personlich und individuell existirt, so erhellt hieraus nur, wie illusorisch dadurch die in dem Symbol von Chalcedon festge- stellte vvahre Wirklichkeit und Integritat der menschlichenNatur ge- worden ist. 2) Der Adoptianismus. Urheber der adoptianischen Lehre vvaren die beiden spanischen Bischofe, Elipandus von Toledo und Felix von Urgella. Auf der von Cakl dem Grossen zu Frankfurt am Main im Jahr 794 gehaltenen Synode von den Bischofen des frankischen Reichs verdammt, gait auch diese Lehre seitdem als haretisch. DerFragepunkt war die Einheit des Solins in ihrem Verhaltniss zur Zweiheit derNaturen. Die Adoptianer beriefen sich zurBegriindung ihres Hauptsatzes, dass Christus seiner menschlichen Nat fir nach nicht in demselben Sinn Sohn Gottes sei, wie nach seiner gottlichen, somit nicht natiirlicher Sohn, sondern nur Adoptivsohn und nur dem Namen nach Gott, auf die Natur der Sache, sofern Christus- als Men^ch nicht aus dem Wesen Gottes gezeugt sein kdnne; auf die Schrift, welche zwar den Ausdruck Adoption nicht gebrauche, aber der Sache nach dasselbe durch verschiedene gleichbedeutende Be- nennungen bezeiclme, und auf den traditionellen, kirchlichen und liturgischen Sprachgebrauch, in welchem die Annahme der mensch¬ lichen Natur Adoption genannt werde. In dieses Adoptionsver- haltniss liessen sie wahrscheinlich Christus, obgleich er als Mensch nur ein geborner Kneclit sein sollte, schon in dem ersten Moment seines Daseins eintreten, der eigentliche Adoptionsakt erfolgte aber erst bei der Taufe und vollendete sich durch die Auferstehung. Der Hauptvorwurf, welcher den Adoptianern gemacht wurde, war, dass ihre Lehre die Erneuerung des Nestorianismus sei. Fragt man, mil welchem Recht diess behauptet wurde, so kann die Ant- wort nur sein: die adoptianische Lehre ist nichts anderes, als die naturliche und nothwendige Consequenz der orlhodoxen Lehre von der Person Christi, wie die vollig verfehlten Widerlegungsversuche derGegner zur Geniige zeigen. War der Hauptsatz, welchen Alcuin den Adoptianern entgegenhielt, dass in der adsumtio carnis a Deo 1) Vergl. a. a. U. S. 191. 1’. Lehre von der Erlosung und Versohnung. 213 persona peril liominis non natura 1 '), so ist diess nur dieselbe Be~ eintrachtigung der Integritat der mensclilichen Natur, durch welche man allein die Widerspruche losen zu kdnnen glaubte, in die sich das dogmatische Bewusstsein verwickelte, sobald es iiber die vollig unvermittelten undjeder Yermittlung widerstrebenden Gegensatze der symbolisch gewordenen Lelire reflektirte 2 ). So war auch bier wie- der ein Schritt zur Aufhebung dessen geschehen, was man zu Chal- cedon als die wichtigste Forderung des christlichen Bewusstseins geltend gemacht hatte. Aus der Controverse der beiden Mdnche zu Corbie, des Pa- schasius Radbertus und des Ratramnus, iiber die Art und Weise, wie Maria Christus geboren habe, ist gleichfalls zu sehen, welchen Drang das dogmatische Bewusstsein jener Zeit in sich hatte, die Realitat des Menschlichen in doketischen Schein aufzulosen. Die Christologie des Scotus Erigena kann nur aus seiner Lehre voin Menschen richtig verstanden werden. Christus ist der urspriing- liche, urbildliche Mensch, der Mensch an sich, und als menschge- worden jene Einheit des Geistigen und Sinnlichen, oder des Ewigen und Zeitlichen, welche das Wesen des Menschen ausmacht, nur nach ihrer idealen Seite betrachtet, d. h. nicht in ihrem Unterschied als die Zweiheit dieser beiden Elemenle, welche die reale, die em- pirische Wirklichkeit in sich darstellende Seite des menschlichen Wesens ist, sondern als die Aufhebung des Unterscbieds in seiner Einheit. §. 65 . I^elire von der Erlosnngr nnd Versoliining. An dem Faden der altenErldsungstheorie wird auch jetzt noch, namentlich von Gregor dem Gr., Isidorus von Sevilla, Johannes von Damaskus unter wechselnden Bildern weiter fortgesponnen. Der Yorstellung des Teufels als der Hauptperson, um welche es sich dabei handelte, konnte man sich immer noch nicht entscbla- gen, doch verwirft Johannes von Damaskus, wie Gregor von Nazianz, 1) Contra Felic. 2, 13. 2) Wozu daher die so ernstliche Frage nach den naheren Ursachen und dasBemiihen, diese Lehre aus dem Einfluss der Schriften Theodor’s von Mops- vestia abzuleiten? Vergl. Neander Dogmengeschichte 2. S. 26. f. Die nachste Quelle ist der in der kirchlichen Lehre liegende Widerspruch, der sich jedem Denkenden von selbst aufdringen musste. 214 Zweite Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 66. das dem Teufel gegebcne Losegeld O- Es sollte also Gott gegeben sein und konnte somit nur ein Opfer sein, wie auch schon Gregor der Grosse den Tod Christi aus dem Gesichtspunkt eines Siihnopfers betrachtete, das nur ein unsundlicher Mensch, wie der von der Jungfrau Geborene, fiir die Siinden der Menschen habe sein kon- nen 1 2 ). Bei Joh. Scotus Erigena liangt die Lelire von der Erlosung und Versohnung so eng mit seiner Lehre von der Person Christi zu- sammen, dass die eine ganz in der andern enthalten ist. Wie der Mensch an sich gefallen ist, so ist er auch an sich versohnt in dem Zusammenhang, in welchem in dem urbildlichen Menschen, dem menschgewordenen Wort, Ursachen und Wirkungen mit einander stehen. Wie der Sohn Gottes dadurch Mensch wurde, dass er in die Wirkungen der Ursachen herabstieg, urn die Wirkungen der Ursachen, die er seiner Gottheit nacli ewig und unveranderlich in sich hat, seiner Menschheit nacli im Zusammenhang mit den Ursa¬ chen zu erhalten, so ist die Menschwerdung und Versohnung in die— sein Sinn nichts anderes, als das ewige und nothwendige Ineinan- dersein des Zeitlichen und Ewigen, des Endlichen und Unendlichen. Und wie sonst im Doketismus das Menschliche im Gdttlichen ver- schwindet, so geht es hier in das allgemein Creaturliche fiber. Was von Christus als dem Gottmenschen gesagt wird, gilt von der Crea¬ tor uberhaupt. In der menschlichen Natur, die das Wort Gottes an- nahm, hat es die ganze Creator angenommen 3 ). §. 66 . ■lie I^elire von tier (niiaile itiifl I'ravtestination. In der griechischen Kirche schloss sich Johannes von Damas- kus ganz an die altern Lehrer derselben an. In der lateinischen ist es hauptsachlich Gregor der Grosse, welcher die dem Namen nach augustinische, der Sache nach semipelagianische Richlung der Zeit reprasentirt. Wie er keine Erbsiinde im augustinischen Sinne an- nahm, sondern den Zustand des Menschen nur als eine Krankheit beschrieb, in welcher der Mensch, urn geheilt zu werden, eines Arztes bedarf, der Arzt aber ihm nur helfen kann, wenn er selbst 1) De fide ortliod. 3, 27: 2) Moral. 17, 46. 3) Lehre von der Dreieinigkeit. 2. S. 307. f. Die Lehre von der Gnade mid Predestination. 21 5 sich helfen lassen will, so liess er auch die Gnade nicht unwider- stehlieli, sondern nur zuvorkommend und nachfolgend wirken, und betrachtete es ebenso als ein Verdienst des Menschen, die Gnade willig anzunehmen, als sie auf der andern Seite nur ein Geschenk Gottes sein sollte O- Denselben Charakter tragt die Lehrweise Isi— dor’s von Sevilla an sicb, welcher zwar augustinisch von einer ge- mina praedestinatio spracli, aber wie Gregor die Predestination durch die Prascienz und das sittliche Verhalten des Menschen be- dingt sein liess 1 2 ). Demungeachtet kam diese Frage im Laufe des neunten Jahrhunderts auf’sNeue in Bewegung, und man konnte sich die Selbsttauschung, in welcher man sich in Hinsicht der augustini- schen Lehre befand, nicht ganz verbergen. Die Anregung dazu gab der streng augustinisch gesinnte sachsische Monch Gottschalk, des- sen Verdammung auf der Synode zu Mainz im Jalir 848 durch den Erzbischof Rabanus Maurus und den mit ihm eiiiverstandenen Erz- bischof Hinkmar von Rheims die Kirchenlehrer jener Zeit in zwei Parteien theilte. Da auch Joh. Scotus Erig. an der Streitfrage sich betheiligte, so waren es drei von einander verschiedene Lehrbegriffe, die einander gegeniiberstanden. 1. Die Lehre Gottschalk’s. Der Grundgedanke Gottschalk’s war die absolute Unverander- lichkeit Gottes. In ihr hat beides auf gleiche Weise seinen Grund, was Gott den Guten und was er den Bosen pradestinirt hat. Es gibt daher eine doppelte Predestination, der Erwahlten zum Leben und der Verworfenen zum Tode. Nur von einer Predestination zumTode spracli Gottschalk, nicht, wie seine Gegner ihn beschuldigten, von einer Predestination zum Bosen, wie er aber dieser Consequenz sei¬ ner Lehre ausweichen konnte, ist, da ihm sonst Prdscienz und Pre¬ destination schlechthin identische Begriffe waren, der unklare Punkt seiner Lehre 3 ). Eine doppelte Predestination war jetzt das Losungs- 1) Vergl. Wigoeks Schicksale der augustinischen Anthropologie von der Verdammung des Semipelagianismus auf den Synoden zu Orange und Valence 529 bis zur Reaction des Monchs Gottschalk filr den Augustinismus, in Nied- ners Zeitschrift fiir hist. Theologie 1854. 1 . H. S. 1. f. Lau , Gregor I. S. 403. f. 553. f. 2) Wiggers a. a. O. 1855. S. 312. f. 321. 3) Vgl. bei G. Mauguin Vet. auctorum, qui saec. IX de praedestinatione et gratia scripserunt opera. Par. 1650. Vol. 1. S. 6. 10. 20. 216 Zweite Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 66. wort der die Lehre Gottsclialks als augustinisch anerkennenden Kir- chenlehrer, des Bischofs Prudentius von Troyes, des Monchs Ra- tramnus, des Servatus Lupus, des Abts von Ferrieres, und des Erz- bischofs Remigius von Lyon, nur unterschieden sie genauer, als diess von Gottschalk geschehen zu sein scheint, zwischen dem Vorauswissen Gottes und der erst nach dem Fall erfolgten und durch ihn bedingten Predestination. Dass der Zweck und die Wirkung des TodesChristi auf dieEnvahlten zu beschranken sei, war jetzt gleich- falls ein zur nahernBestinnnung der augustinischen Lehre von diesen Kirchenlehrern ausdriicklich ausgesprochener Lehrsatz *)• 2. Die Lehre der Gegner Gottsclialks, des Hinkmar und Ra- banus Maurus. Wie auf der einenSeite eine doppelte Predestination derGrund- begriff war, so war es auf der andern die Eine. Eine Predestination sollte es sein, weil derselbe Gott den Erwehlten das Geschenk seiner Gnade, den Verworfenen die gerechte Yergeltung fiir die von ihm vorhergesehenen Siinden predestinirt. Der Unterschied war, dass nach den Einen die Strafe den Bosen predestinirt, nach den Andern die Bosen zur Strafe predestinirt sein sollten. Das letztere sollte nicht ebenso orthodox sein, weil die Bosen zu sehr ein bios passives Object der gottlichen Strafgerechtigkeit zu sein schienen. Man be- trachtete also auch sie als sittliche Subjecte in einem Sinn, in wel- chem von einer eigentlichen Predestination nicht mehr die Rede sein konnte. So lautete uberhaupt der Inhalt der von Hinkmar auf der Synode zu Chiersy im Jalir 853 aufgestellten Setze mehr semipela- gianisch als augustinisch. Es wurde nicht nur bekannt, dass Gott alle Menschen selig machen wolle, sondern auch dass es keinen Menschen gebe, fur welchen Christus nicht gelitten habe 1 2 ). Noch weniger wollte Rabanus Maurus in seiner Bestreitung Gottschalks von einer Predestination im augustinischen Sinne wissen. 3. Die Lehre des Jon. Scotus Erig. Es gibt keine predestinirende Nothwendigkeit. Wie Gott die absolute Freiheit ist, so gehort auch bei der vernunftigen Creatur, 1) Am pracisesten hat Servatus Lupus in seiner um das Jahr 850 ge- schriebenen Schrift: de tribus quaestionibus d. h. de libero arbitrio, de prae- destinatione bonorum et malorum, und de sanguinis Domini taxatione die Streitpunkte zusaminengefasst. Bei Mauguin 1, 2. S. 9 f. 2) Hinkmar de praedest. c. 2. 8. Lehre von den Sacramenten. 217 als dem Bilde Gottes, die Freiheit des Willens zur Substanz ihres Wesens. Der Mensch ist der freie selbstbewusste Geist, in welcliem alles seine eigeneSelbstbestimmung ist*)• Da das Bose nur dieVer- neinung des Guten ist, so existirt die Siinde fiir Gott nicht und eben- so wenig gibt es eine von Gott verhangte Strafe der Siinde. Die Siinde straft sich selbst, ini Bewusstsein des zu ihrern Begriff ge- horenden Mangels. Unseligkeit ist nur der Mangel an Erkenntniss der Wahrheit 1 2 ). Dock findet auch bier wieder derBegritf derPrii- destination seine Stelle, sofern unter Predestination die jeder Crea- tur durch die ewige Naturordnung von Gott gesetzte Schranke ihres Seins zu verstehen ist. Dass die Bosheit derGottlosen ihre Schranke nicht durchbrechen kann, ist ihre Predestination zur Strafe 3 ). Allgemein nahm man an diesen Setzen grossen Anstoss, und der Bischof Prudentius von Troyes und der Diaconus Florus von Lyon widerlegten sie ausfiihrlich. §. 67. lielire von den Sacramenten. In der Lehre von den Sacramenten iiberhaupt und in der Lehre von der Taufe bietet sich nichts von Bedeutung dar, dagegen ist die Lehre vom Abendmahl der Boden, auf welchem die Gegensetze, in welchen die Zeit sich bewegt, mit ihrern vollen Gewicht auf ein- ander stossen. In der griechischen Kirche erreicht die Entwicklung der Lehre in Johannes von Damaskus den Punkt, in welchem sie fiir die alte Kirche sich abschliesst. Ihre Spitze hat diese Entwicklung in dem nun ausdriicklich ausgesprochenen Satz, dass der Abendmahlsleib der Leib Christi aus der Jungfrau Maria ist, derselbe, welchen Christus als dieser wirkliche Mensch gehabt hat, nur mit dem Unterschied, dass nicht der in den Himmel aufgenommene Leib selbst vom Himmel herabkommt, sondern er ist es, weil Brod undWein in den Leib und das Blut Christi verwandelt werden. Dem natiirlichen Verwandlungs- process, in welchem durch das Essen das Brod und durch dasTrinken Wein und Wasser in den Leib und das Blut des Essenden und Trin- kenden umgewandelt werden, stellt er den iibernaturlichen der Eu- 1) De divina praedest. (bei Mauguin 1, 6. S. 103.) c. 3. 2) A. a. 0. c. 10. 15. 16. 3) A. a. 0. c. 17. 18. »i8 Zweite Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 67. charistie gegeniiber, in welchemBrod nndWein durch die Anrufung und Herabkunft des heiligenGeistesumgeschaffen werden in den Leib und das Blut Christi, so dass es nicht mehr zwei sind, sondern es ist schlechthin Eines und dasselbc, weil jetzt nicht mehr tier Logos herabkommt, um sich mit dem Brod als seinem Leib zu verbinden, sondern der beilige Geist, um aus dem Brode den Leib Christi zu machen O- Der Streit iiber die Verehrung der Bilder beriihrte auch die Lehre vom Abendmald. Die die Verehrung der Bilder verwer- fende Synode zu Constantinopel im Jahr 754 betrachtete um so mehr dieElemente der Eucharistie als die wahren Bilder, wahrend die den Bildercultus bestiitigende zu Nicaa im Jahr 787 um so gewisser im Abendmald nicht bios Bildliches haben wollte, sondern den Leib und das Blut Christi selbst. In der lateinischen Kirche brachte zuerst Paschasius Radbertus die noch schwankende Lehrweise dadurch auf ihren eigentlichen Ausdruck, dass er die substanzielle Verwandlung des Brods und Weins in den Leib und das Blut Christi dogmatisch aussprach und sie als ein Wunder der Allmacht und eine neue Schopfung be- stimmte 1 2 J. Da der Leib im Sacrament derselbe sein soil mit dem wirklichen von der Jungfrau geborenen, ungeachtet der Leib Christi im Himmel in seiner volligen Integritat bleibt, so kann die Identitat nur in das schdpferische Princip gesetzt werden, durch welches hier wie dort derselbe Leib geschaffen wird. Was Brod und Wein auch nach der Consecration ausserlich sind, ist das Bildliche an ihnen, aber sie sind nicht blosses Bild, sondern innerlich oder in der Wirklichkeit sind sie das Fleisch und Blut Christi und ebendarin besteht das Verdienst des Glaubens, dass man, was dieses Wunder von alien andern Wundern unterscheidet, trotz des Widerspruchs der aussern Erscheinung an die Wirklichkeit der Sache glaubt 3 J. Der schroffe Ausdruck erregte Aufsehen undWiderspruch. Fur die rationed symbolische Ansicht tratRATRAMNus auf. Auch er unter- schied zwischen dem, was das Sacrament innerlich, und dem was es ausserlich ist, aber das lnnere war ihm nur das, was der Geist inner¬ lich anschaut. Ware das Sacrament das, was es innerlich ist, auch ausserlich, so miisste das, was man im Sacrament sieht, der von 1) De fide ortliod. 4, 14 f. 2) De corpore et sanguine Domini c. 1. 4. 15. 3) A. a. O. c. 13. Lehre von den Sacramenten. 219 der Maria geborene, gestorbene, begrabene, auferstandene und zum Himmel erhobene Leib sein. Da diess nicht der Fall ist, so konnen der Leib und das Blut Christi nur mystisch und figurlich im Sacra¬ ment sein, und ebendiess macht sie zu einem Object desGlaubens*). Sein Argument ist also kurz: weil man im Sacrament nichts anders sieht als Brod und Wein, so sind sie entweder gar nicht der Leib und das Blut Christi, oder sie sind es nur bildlich. Paschasius Rad- behtus erwiederte darauf, dass wenn im Sacrament nicht beides zugleich sei, Bild und Wirklichkeit, es ein blosser Schatten des Korpers sei. Im Hunger und Durst nach Realitat vertiefte sich das Bewusst- sein der Zeit sosehr in den materiellsten Begriff der Yerwandlung, dass, als zwei Jahrhunderte nachher Berengar von Tours dieAnsicht des Ratramnus erneuerte und weiter ausbildete, er nicht bios den Dialektiker Lanfrank, sondern die ganze Richtung der Zeit gegen sich liatte, und selbst sein Beschiitzer, Papst Gregor VII., dem all— gemeinen Andrang nicht widerstehen konnte. Die Macht der Auctoritat und die Energie des vernunftigen, auf das dialektische Denken sich stiitzenden Selbstbewusstseins standen sich in Lanfrank und Berengar schroff entgegen. Wahrend fiir Lan¬ frank die Objectivitat des VerwandlungsbcgrifFs so feststand, dass er auch bei den Unwurdigen einen wirklichen Genuss desLeibes und Blutes Christi behauptete 1 2 ), erschdpfteder Angriff Berengars auf das Transsubslantiationsdogma im Grunde schon alles, was von Seiten der Vernunft und der Schrift gegen dasselbe gesagt werden kann. Das dialektische Ilauptargument war der Widerspruch zwischen Subject und Pradicat in dem die Identitat von Brod und Leib aus- sprechenden logischen Satz. Als Widerspruch mit der Schrift hob er hervor, dass Christus auf der Erde sein soli, wahrend er nach der Schrift bis an’s Ende im Himmel bleibe. Die symbolische Ansicht des Ratramnus bestimmte er genauer durch den BegrilF eines geisti- gen, nur den innern intellectuellen Menschen angehenden Genusses, dessen Object nur der ganze Christus in seiner ungetheilten Einheit im Himmel ist 3 ). Vergebens machte er, nachdem der Supranatura- lismus der katholischen Weltanschauung in dem Transsubstantiations- 1) De corpore et sanguine Domini c. 1 —19. 2) De euchar. sacr. c. 20. 3) De sacra coena adv. Lanfr. ed. Vischer. S. 50. 190. 199. vgl, 130. 157. 220 Zweite Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 68. dogma des PaschasiusRadbertus seinen charakteristischen Ausdruck erhalten hatte, gegen ihn die Gesetze des verniinftigenDenkens und die Thatsachen der sinnlichen Wahrnehmung geltend. Mit dein Transsubstantiationsdogma erhielt aueh die Opferidee eine hohere Bedeutung. Wie es derselbe Leib ist, so ist es aucli dasselbe Opfer, somit ein wirkliches, das nach PaschasiusRadbertus taglich zur Yergebung der Slinden darzubringen ist x ). §. 68 . lieltre von den letzten Oiiijgen. Einen merkwiirdigen Contrast mit der dogmatisch schon fest- stehenden Lehre von einem Fegfeuer und der Ewigkeit der Hollen- strafen bildet das System des Joh. Scotus Erigena mit seiner Lehre von einer Riickkehr alter Binge in Gott. Alles kehrt von Stufe zu Stufe zuriick, oder vielmehr es ist schon zuriickgekehrt in dem, was es an sich, in seinem substanziellen geistigen Wesen ist 1 2 )- 1) De corp. et sang. Dom. c. 4. 2) De divis. nat. 2, 6. 5, 19. f. Zweite Haiiptpei*ioie zweite l*eriocle. Wie iysteme tier Sflioiastik. Petrus Lombardus macht den Uebergang von der ersten Periode auf die zweite als der erste, durch welchen die scholastische Theo- logie die im Wesentlichen seitdem immer beibehaltene Form.eines den ganzen Inbegriff der Dogmen umfassenden und in dem Zusammen- hang eines einheitlichen Ganzen darstellenden Systems erhielt. Die epochemachende Bedeutung seines beriilnnten Werkes besteht je- docli nicht bios in diesem Formellen, sondern zugleich in dem har- monischen Verhaltniss, in welches er die dialektische Methode zu dem positiven Inhalt der kirchlichenLehre dadurch zu setzen wusste, dass er seine dialektischen Erorterungen durchaus aufSatze stiitzte, die aus den Schriften alterer Kirchenlehrer genommen, eine schon anerkannte Auctoritiit fur sich liatten, und in diesem Sinne sein eben- sosehr durch die Reichhaltigkeit des gesammelten und ubersichtlich zusammengestellten Stolfs, als durch seine dialektische Form sich empfehlendes Werk schlechthin Sentenzen nennen konnte O- Durch ihn war so die scholastische Behandiung des Dogma in den ruhigen, geordneten Gang gebracht worden, in welchem sie, ohne von wei- tern Gegnern angefochten zu werden, dem innern Zuge ihrer Con- sequenz folgte. Auf der Grundlage der Sentenzen des Magister, de¬ ren fortgehende Commentirung fur die Gewohnheit der Scholastiker, # * 1) Volumen compeyirmus, sagt er im Prolog, ex testimoniis veritcitis tu uetev- numfundatis, hi quo mayor urn exemplu doctrinumque reperies. 15 Baur, Dogmengeschichte. Zweite Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §.71. sicli an eine gegebene Aucloritat zu lialten, oder von ihr wenig- stens auszugehen, bezeiclinend ist, erhoben sich die nach derselben Methode angelegten, und mit aller Kunst einer das Massenhafte und Verschlungene liebenden Architektonik so viel moglich ausgebauten Lelirgebaude eines Alexander von Hales, Albertus Magnus, Tho¬ mas von Aquino, Bonaventura, Duns Scotus. Auf dem Hohepunkt der Scholastik stelien die unslreitig grdssten Meister der scholasti- schen Kunst und Methode, Thomas von Aquino und Duns Scotus; je vollendeter aber ein scholastisches System ist, deslo weniger kann es die der Scholastik uberhaupt anhangende Einseitigkeit verbergen, desto sichtbarer fallt das Mangelhafte in die Augen, das das gross- artige, kiihne Gebaude als das Geprage seiner Zeit an sicli tragt. Thomas und Duns Scotus stelien als die Stifter zweier Scliulen, in welclie sich seitdem die ganze scholastische Philosophic und Theo- logie theilte, auf zvvei sehr verschiedenen Standpunkten, von wel- clien jeder dasselbe Reclit fur sich anspricht, ohne dass innerhalb der Sphare der Scholastik die Ausgleichung eines solchen Gegen- satzes moglich war. Die Verschiedenheit der beiderseitigen Stand- punkte spricht sich schon in den Delinitionen aus, welclie beide vom Wesen der Theologie geben. Nach Thomas hat die Theologie ein wesentlich theoretisches Interesse. Der hochste Endzweck, durch welchen alle Thatigkeiten des Geisles bestimmt werden, kann nur in das Wissen, in die Erkenntniss der Wahrheit durch den Yerstand gesetzt werden. Der Menscli hat das naturliche Yerlangen, die erste Ursache als letzten Zweck zu erkennen. Da nun die erste Ursache Gott ist, so ist der letzte Zweck des Menschen die Erkenntniss Gottes. Die Theologie besteht daher, wie die Religion, wesentlich im Wissen O* G uns Scotus dagegcn bestimmt das Interesse der Theologie als ein wesentlich praktisches, und somit aucli die Reli¬ gion als ein praktisches Verhalten. Der Glaube, auf welchem die Theologie berulit, ist kein spekulativer, sondern ein praktischer Akt. Die Theologie hat es aul das sittliche Thun abgesehen, sie hat eine wesentlich praktische Tendenz, wie ja auch ihr hdchster Endzweck, die Seligkeit, als Genuss Gottes, niclit theoretischer, sondern prak- 1) Summa c. gent. 3, 50, 4.: In nullo alio quaerenda est ultimaJelicitas, quam in operatione intellecias, cam nullum desiderium turn in sublime Jeratur, sicut desiderium inteliigendae veritatis. Die y.weite Periode. Die Systeme der Scholastik. 227 tischer Natur ist 1 )* Von diesen beiden Punkten aus organisirten sich die Systeme der beiden Scholastiker auf eigenthumliche Weise. 1st das Erkennen, als solches, nnd das Princip des Erkennens, der Ver- stand, das Hochste, so kann es nur der abstrakte VerstandesbegrifF sein, durch welchen das Absolute bestimmt wird. Der abstrakteste BegriflP des Absolnten aber ist das schlechthinige mit sich identische Sein. Das Erkennen, das als solcbes eine bios formelle Thatigkeit ist, kann ja nur das Gegebene, das Sciende, und in letzter Bezie- lning das Sein an sich zu seinem Objecte haben. Gott ist also das Eine, allgemeine, unendliche Sein, und was von Gott unterschieden werden soli, kann nur als eine Modifikation des allgemeinen Seins gedacht werden, als eine quantitative Begrenzung und Bestimmung, als ein bios gradueller Unterschied. Ist nun aber da, wo jeder Un- terschied aufhort, kein bestimmtes Erkennen moglich, somit, da das Erkennen auch ein Unterscheiden ist, uberliaupt nicbts niehr zu erkennen, so konnte man auf diesem Wege nur zu dem Resultate kommen, dass Gott in der Bestinunungslosigkeit seines Seins kein Gegenstand der Erkenntniss ist. Was Fiber alles bestimmte Sein hin- ausliegt, ist ebenso sehr das Nichtseiende, als das Seiende. Es ist daher mit Einem Worte der areopagitische Platonismus, welcher, wie er selbst aus derselben einseitigen Verstandesrichtung eines bios formellen Erkennens hervorgegangen ist, dem System des Thomas von Aquino zu Grunde liegt. Auf der andern Seite musste aber diese schlechthinige, alien Kategorien unerreichbare Unbe- greiflichkeit des gottlichen Wesens mit dem Standpunkt der Schola¬ stik in einen zu grossen Widerstreit gerathen, als dass man dabei stehen bleiben konnte. Begreifen wollte ja die Scholastik, und mit ihren Kategorien den absolnten Inhalt des Dogma bestimmen; ihre ganze Methode beruhte auf der Voraussetzung, dass, was der re- llektirende Verstand sich nicht anders denken kann, auch an sich so sein miisse. Auch Thomas von Aquino konnte es daher nicht unter- lassen, positive Bestimmungen uber das Wesen Gottes aufzustellen, und ilun die Attribute beizulegen, ohne welclie kein geistiges We- 1) Comment, in libr. sent. Prol. 4, 41. 42.: Fides non est habitus specula¬ tions, nec credere est actus speculations, nec visio sequens credere est visio specu- lativa, sed practica. Fata est enitn ista visio conforms fruitioni. Die ilieologie ist niclit erfunden ad J again ignorautiae, sondern ut ejficacius tnducaiur auditor ad operationem eorurn, quae ibi persuadentur, 15 * 228 Zweite Hanptperiocle, zweiter Abschnitt. §.71. sen gedacht werden kann, von welchen daher auch das schola- stische Denken immer ausging, wenn es das an sich seiende Wesen Gottes deni vorstellenden Bewusstsein naher bringen wollte, Ver- stand nnd Willen. Aber es konnte so liieraus niir jener Conflikt entgegengesetzter Ricblungen entstehen, welcher sich durch das ganze System des Thomas hindurchzieht, indem alle positiven Be- stimmungen fiber das Wesen Gottes sich zuletzt immer wieder in die Negativitat seines bestimmungslosen Seins auflosen, und das Wissen von Gott eigentlich nur ein Nichtwissen ist. Der liieraus sicli ergebendenEinseitigkeit eines Systems, das den Intellectus zum hdchsten Princip machte, Avollte Duns Scotus dadurch entgehen, dass er sich auf die Seite der Voluntas stellle. Der Wille ist das hochste Princip, welchem auch der Verstand untergeordnet ist. Es Avar diess unstreitig ein Fortschritt, deni Willen die hohere Bedeu- tung eines selbststandigen Princips zu geben, da es ohne die Auto- nomie des Willens auch kein freies, selbstbewusstes Subject geben kann, der Wille aber nielit Wille ware, wenn er niclit die totale Ursache seines Wollens ware. Auf dem BegrifF des freien Subjects beruht das System des Duns Scotus, aber in dem Wege, auf Avel- chem Duns Scotus dazu kam, den Willen zum hdchsten absoluten Princip zu machen, stellt sich uns nur die andere Seite derselben Einseitigkeit dar. Aus dem Wesen des Geistes, wie es sich, psy¬ chologist betrachtet, in Verstand und Willen, als seine beiden Ele- mente und bewegenden Krafte, theilt, wollte die Scholastik, wie wir an diesen Principien ihrer beiden llauptsysteme sehen, den absolu¬ ten Inhalt des Glaubens begreifen. Aber dass ihr das, was in der Einheit des Geistes nur ein und derselbe Process des in dem Unter- schied seiner Momcnte sich mit sich selbst vermittelnden geistigen Lebens sein kann, immer wieder in die beiden, von einander ge- trennten, Elemente auseinanderiiel, dass sie ihr Verhaltniss zu ein¬ ander niclit anders zu begreifen Avusste, als in der Form der Unter- ordnung des cinen unter das andere, dass sie uberliaupt nie aus einem Gegensatz herauskam, in welchem, slatt der Vermittlung der beiden Seiten in einer hdhern Einheit, die Einheit des Princips nur durch die Verneinung des einen der beiden Glieder bewirkt Averden konnte, dass sie bier eben so deterministisch Avar, Avie dort inde- terministisch, Theoretisches und Praktisches, Natur und Willen, Notlnvendigkeit und Freiheit, Substanz und Subject nur unvermittelt Die dritte Periode. Der Verfall* der Scholastik. 221 ) einander gegeniiberstellte, diess ist die Einseitigkeit des Stand- punktes, iiber welche die Scholastik sich nie erheben konnte. An sich ist es dieselbe Einseitigkeit, ob man das hochste absolute Prin- cip des Systems in den Intellectus oder in die Voluntas setzt, wie sich auch bei Duns Scotus deutlich genug darin zu erkennen gibt, dass ein Wille, welcher in seinem Unterschied vom Verstand nichts anderes sein soli, als der rein formell sich aus sich selbst bestim- mende Wille, nur den Charakter der absoluten Zufalligkeit und der schlechthinigen Willkiir an sich tragen kann. §. 72 . Hie drifte l*erio«te. Her Verfall der Scliolastik. Der Wendepunkt zu dem beginnenden, immer sichtbarer her- vortretenden Verfall der Scholastik liegt da, wo sie durch die Con- sequenz ihres Princips selbst in einen Widerspruch mit sich kam, welcher einen immer grosseren Riss in das von ihr aufzubauende System brachte. Ein solcher Widerspruch zeigt sich schon bei Duns Scotus, wenn er das Princip des Systems in den Willen setzte, das System selbst aber nach der sonst gewohnlichen scholastischen Me- thode mit den Distinctionen und Syllogismen des dialektischen Ver- standes construirte. Die Scholastik hat schon ihren eigentlichen Boden verlassen und selbst den Glauben an ilire abstrakte Verstan- des - Metaphysik verloren, wenn die Theologie, wie Duns Scotus ihre Aufgabe bestimmte, wesentlich praktisch sein soli. Mit der praktischen Bestimmung der Theologie ist auch schon die Trennung der Philosophic und der Theologie, deren stetes Ineinandergreifen zum Charakter der Scholastik gehort, ausgesprochen, und die Ein- heit desWissens undGIaubens wieder aufgegeben, woran der Scho¬ lastik von Anfang an so viel gelegen war. Hat es die Theologie, in ihrem Unterschied von der Philosophic, mit dem Glauben, als dem Princip des Praktischen, zu tliun, so kann man die Theologie mit ihrem Glauben ruhig sich selbst iiberlassen; Glaube und Wissen stehen in ihrer Verschiedenheit einander gegeniiber, und die Auc- toritat des Glaubens steigt nur um so holier, je mehr er gegen das Wissen sich abschliesst. Dieser Wendepunkt der Scholastik tritt schon mit Duns Scotus ein. Je genauer er zwischen Verstand und Willen unterschied, desto mehr trennte sich der Wille vom Ver¬ stand, und eben damit das Praktische vom Theoretischen, die Theo- Zweitc Hauptjferiode, zweiter Abschnitt. §. 72. 230 logie von tier Philosophic, der Glaube vom Wissen. Es durfte nur aucli noch das Denken vom Sein sicli abldsen, so war die Scliolastik vollends in das Stadium ilires Aufldsungsprocesses eingetreten- Diess geschah durch den Nominalismus Wilhelm’s von Occam, dessen Bedeutung fur die Geschichte der scholastischen Theologie darin besteht, dass in ihm vollends seinen Yerlauf nimmt, was zu- vor sclion begonnen lialte, die Auflosung der in der Scliolastik zu- erst verbundenen Elemente, die immer weiter gehende Trennung des Einen von dem Andern, bis endlicb dem Subjecte nichts mehr ubrig blieb, als seine blosse Subjectivitat in einem Denken, das, sobald den allgemeinen Begrilfen nichts Objectives entsprach, kei- nen realen Inhalt mehr liaben konnte. In diesem Sinn ist der von Occam aufgestellte Nominalismus ein besonders wichtiges Moment des Selbstauflosungsprocesses der Scliolastik. Zwischen Duns Scotus und Occam stelit Duranmjs de St. Porciano, welcher das Wesen der Theologie in ihre praktische Bedeutung setzte, und als den eigent- lichen Gegenstand derselben niclit Gott, sondern das vom Glauben abliangende verdienstliche Leben betrachtete. Die Theologie beziehe sich daher auf den Willen, und sie sei keine Demonslration, son¬ dern eine praktische Wissenschaft, weil den Beweisen Jeder bei- stimmen niiisse, zum Glauben aber der Wille geliore 0- Da Duran- dus hiemit nur weiter entwickelte, was sehon Duns Scotus als das Wesen der Theologie bestimmt liatte, so ist klar, dass man, wenn man den Anfang des Verfalls der Scliolastik liber Occam zuriickda- tiren will, nur bei Duns Scotus stehen bleiben kann. In demselben Yerhaltniss, in welchem die scholastische Theologie ihren Haltpunkt dadurch verlor, dass sie bios praktisch sein wollte, losle sich auch schon in der Erkenntnisslehre des Durandus der scholastischeBealismus in Nominalismus auf. So schliesst sich nun freilich schon von Duns Scotus an ein Moment des Aufldsungsprocesses der Scliolastik an das anderean, aber wir sehen so nur urn so tiefer in das Wesen der Scho- lastik liinein, das sich uns erst darin vollends zu erkennen gibt, dass sie in der Einseitigkeit ilires Yerstandes-Interesses von Anfang an keinen bedeutenden Schritt thun konnte, ohne dass jedes Moment ihrer Entwicklung auch ein Moment ihrer Selbstauflosung war. Starker konnte die Einseitigkeit des scholastischen Yerstandes-In¬ teresses niclit hervortreten, als in dem vollendetsten System der 1) In dem Prolog zu dem Comm, liber die Sentenzen. Die dritte Periode. Der Verfall der Scholastik. 231 Scholastik, dem des Thomas von Aquino. Die Einseitigkeit desselben trieb den Duns Scotus von der Yerstandesseite auf die Willensseite, hiemit war aber nur der vollige Zerfall des scholastischen Gebaudes eingeleitet. Unaufhaltsam loste sicli ein Stein von dem andern ab, und das, in der Voraussetzung der Einheit des Glaubens und des Wissens, seiner selbst so gewisseDenken war zuletzt vollig an sich selbst irre geworden. Alle Elemente, die nur in ihrer Einheit das Wesen der Scholastik ausmachen sollten, hatten sich von einander abgesondert, der Wille vom Verstand, die Theologie von der Phi¬ losophic, der Glaube vom Wissen, zuletzt auch das Denken vom Sein, und was die Scholastik von Anfang an sich zum Ziel ihres Strebens gesetzt hatte, durch die Yermittlung des Glaubens und Wis¬ sens den Geist von der Aeusserlichkeit des Auctoritatsglaubens zu befreien, war in das gerade Gegentheil umgeschlagen. Aeusser- licher, unvermittelter konnte der Glaube nicht sein, als wenn es sogar als Grundsatz gait, dass er nur auf der Auctoritat beruhen konne, und schwerer konnte die Auctoritat des Glaubens den Geist nicht niederdriicken, als durch die Masse alter jener Bestirnmungen, welche der Formalismus der Scholastiker zur dialektischen Begrun- dung des Glaubens aufgehauft hatte. Diesen Yerlauf musste die Scholastik in der Einseitigkeit ihres Princips nothwendig nehmen. Da der Inhalt des kirchlichen Glaubens die absolute Voraussetzung war, von welcher die Scholastik ausging, so konnte das den Glauben mit sich vermittelnde Wissen seine Stellung nicht fiber dem Glauben, sondern nur gegenuber dem Glauben nehmen, es konnte sich somit nie auf den absoluten Standpunkt erheben, sondern nur innerhalb der Relativitat der Gegensiitze stehen bleiben. Was sich aus dem ganzen Gauge der Scholastik ergab, konnte daher nur die Notli- wendigkeit sein, die Losung derselben Aufgabe, fur welche der scholastische Verstandesformalisrnus nur ein einseitiges und eben darum unzureichendes Mittel gewesen war, tiefer und allgemeiner, mit der ganzen Energie des sich in sich selbst vertiefenden Geistes zu versuchen. Den positiven Uebergang hiezu machte die schon von der Scholastik gewonnene Ueberzeugung, dass es sich in der Theo¬ logie und Religion urn ein wesentlich praktisches Interesse handle. Ehe es aber von diesem Punkt aus zu einem neuen Fortschritt kam, stellte sich der einmal begonneneSelbstauflosungsprocess auch aus- serlich in den verschiedenen Gegensatzen dar, in welchen die Scho- Zweite Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 73. 232 lastik in den sich gegenseitig bestreitenden Parteien der Realisten und Nominalisten, der Thomisten und Scotisten, der Dominikaner und Franciskaner in ihrem letzten Stadium immer mehr auseinan- derfiel. §. 73 . Iter C*egeiisatz des lominaliMiiiis und Reali^iniis, das Vcrlfialtniss der Scliolastik zur E*Jilloso(»(iie. In engem Zusammenhang mit dem Entwicklungsgang der scho- lastischen Theologie steht die den Gegensatz des Nominalismus und Realismus betreffende scholastische Streitfrage. Ihr Ursprung liegt in ihrer Beziehung zur platonischen und aristotelischen Philosophic. In der Periode der Scholastik tritt der Gegensatz zuerst zwischen Roscellin und Anselm hervor. Roscellin war Nominalist, weil ihm das Allgemeine eine ganz inhaltsleere Yorstellung, ohne alle Rea- litat, ein blosser flatus yocis war. Es gibt keine allgemeinen Be- griffe, keine Gattungen, keine Arten, Alles, was ist, existirt nur als Einzelnes in seinem reinen Fursichsein, ein Allgemeines, ein Gemeinsames, durch welches die einzelnen Dinge in eine nicht durch die sinnliche Empfmdung, sondern nur durch die denkende Betrach- tung erkennbare Beziehung zu einander gesetzt wiirden, gibt es nicht, es gibt also auch kein reines Denken, sondern nur ein Vor- stellen und sinnliches Wahrnelnnen. Gegen ihn behauptete Anselm den Realismus der universalia ante rem. Schon seit Abalard bildete sich die sowohl nominalistische als realistische Ansiclit, welche durch die ganze Scholastik hindurch bis zu ihrer Auflosung, mit unbedeutenden Modifikationen, die durchaus herrschende blieb, und als realistisch gelten kann, sofern man unter ihr nur densogenannten Realismus der universalia in re versteht. Das Allgemeine ist nur ein Gedachtes und Vorgestelltes, aber als solches gehort es nicht bios der Subjectivitat des vorstellenden Bewusstseins an, sondern es hat auch seine objective Realitat in den Dingen selbst, aus welchen das Allgemeine nicht abstrahirt sein konnte, wenn es nicht an sich in ihnen enthalten ware. Diese Identitat des Denkens und Seins, wel- cher zufolge an der objectiven Wahrheit der Begrifle, welche das Denken durch die Nothwendigkeit seiner Denkbestimmungen aus sich producirt, nicht zu zweifeln ist, ist die Grundvoraussetzung, auf welcher das ganze dialektische Yerfahren der Scholastiker be- ruht. Die Wahrheit ihrer Argumente ist die Annalune, dass es sich Der Gegensatz des Nominalismus mid Realismus. 5^33 mit demjenigen, was syllogistisch bewiesen werden soil, in der Wirklichkeit ebenso verhalt, wie im logischen Denken. So lange diese Objectivitat des Denkens die unangefochtene Voraussetzung der Seholastik war, liatte sie im Bewusstsein der Zeit den festen Boden, auf welchem sie ihr Gebaude auffuhren und innner weiter ausbauen konnte. Sobald aber dieses Band der Identitat des Denkens und Seins sich dadurch aufloste, dass man die immanente Objecti¬ vitat des Denkens zu bezweifeln anfing, wovon die nothwendige Folge war, dass das an seiner Objectivitat irre gewordene Denken sicli in sich selbst zuriickzog, und im Bewusstsein seiner Subjecti- vitat alles Objective nur ausser sich liatte, oline sich mit ihm Eins wissen zu kbnnen, so ging eben damit die Seholastik ihrer unver- meidlichen Selbstauflosung entgegen. Diesen Wendepunkt derselben bezeichnet Wilhelm von Occam. Eben jener Nominalismus, welcher gleich imBeginn der Seholastik die objective Realitat der allgemeinen Begriffe so wenig zu begreifen vermochte, dass ihm das Denken des Allgemeinen und das objective Sein der einzelnen Dinge vollig aus- einanderfiel, trat nun wieder auf, urn das, was ihm damals im Drang einer Zeit nicht gelingen konnte, welche eine neue Welt des Ge- dankens aus sich herausstellen wollte, jetzt, nachdem ihre Produc- tivitat erschopft, und der scholastische Dogmatismus sich selbst zur Last geworden war, mit einem ganz andern Erfolg zu vollbringen. Hieraus istklar, welche Wichtigkeit der Gegensatz des Nominalismus und Realismus fiir den Entwicklungsgang der Seholastik hat. Er ist das bewegende Princip derselben, und die Momente seiner Ent- wicklung sind identisch mit den Perioden ihres Verlaufs. Aus dem durch die ganze Geschichte der Seholastik hindurch- gehenden und auf verschiedenen Punkten so tief in sie eingreifenden Gegensatz des Nominalismus und Realismus und der Bedeutung, die er sowohl fur die Theologie als die Philosophic hatte, ergibt sich von selbst das Verhaltniss, in \nelchem die Seholastik zur Philosophic stand. Dass sie beides gleich wesentlich ist, sowohl Philosophic als Theologie, ist ihr eigenthiimlicher Charakter, fragt man aber, welche der Hauptformen der alten Philosophic am meisten auf sie eingewirkt habe, ob sie ihrem allgemeinen Charakter nach mehr platonisch oder aristotelisch gewesen sei, so kann dariiber nicht wohl ein Zweifel sein. Aristotelisch ist ja die ganze Methode der Scholastiker, ihr Definiren, Analysiren und Eintheilen, das Aufsteigen vom Einzelnen 234 Zweite Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 73. und Gegebenen zum Allgemeinen, dasFolgern aus dem Wahrschein- lichen und allgemein Anerkannten, das ganze syllogistische Vcr- fahren; ohne die aristotelische Logik und Dialektik hatte nie eine Scholastik entstehen konnen. Dieser Yerwandtschaft der Scholastik mit Aristoteles war man sick auch sehr wohl bewusst. Allgemein wurde er ja als die hdchste philosophische Auctoritat von denScho- lastikern verehrt, und so eng war sein Name in der Meinung der Zeit mit dem Wesen der Scholastik verwachsen, dass auch ihre Gegner alles, was sie an ihr tadelhaft und verwerflich fanden, nicht treffender zu bezeichnen wussten, als mit dem Namen des Aristote¬ les 1 ). Die durch den Yerkehr mit den Arabern vermittelteBekannt- schaft mit den nicht bios auf die Dialektik, sondern auch die Physik und Metaphysik sick beziehenden Schriften des Aristoteles und das dadurch erweckte lebhafte und allgemeine Interesse fiir die aristo¬ telische Philosophic trug hauptsachlich zu dem grossen Aufschwung der Scholastik im dreizehnten Jahrhundert bei, doch denkt man sich gewohnlich den Einfluss dieser Philosophic grosser, als er wirklich war. Wenn auch die grossen Scholastiker in der Darstellung ihrer Systeme sich vorzugsweise auf Satze des Aristoteles beriefen, und auch von den metaphysischen Principien seiner Philosophic vielfa- chen Gebrauch machten, so erhielt doch dadurch der Inhalt ihrer Systeme selbst keinen specifisch aristotelischen Charakter. Wie sie iiberhaupt das Dogma philosophisch behandelten, so bedienten sie sich dazu auch der aristotelischen Philosophic, aber so gross auch das Ansehen derselben war, so war doch ihre Herrschaft keines- wegs eine so ausschliessliche, dass nicht auch eine andere philoso¬ phische Denkweise neben ihr hatte bestehen konnen. Dem grossen Einfluss der Schriften des Areopagiten Dionysius ist es zuzuschrei- ben, dass der Platonismus auch im Mittelalter der aristotelischen Philosophic zur Seite ging, und in den Schriften des gross-ten Sy- stematikers, des Thomas von Aquino* zur Yollendung des schon so viele verwandte Elemente enthaltenden Lehrgebaiides der katholischen Kirche mehr beigetragen hat, als die vorzugsweise nur die Form und Methode der Scholastik bestimmende aristotelische Philosophic 2 ). 1) Uno spiritu Aristotelico afflatos nannte sclion Walther von St. Victor die von ilim als die vier Labvrinthe Frankreicbs bezeichneten Scholastiker. 2) Vgl. Lehre v. der Dreieinigk. 2. S. 414. Theol. Jalirb. 1846. S. 193. f. Allgemeines (iber Plato und Aristoteles alsPotenzen in der christl. Lehrentwick- lung und die qualitative!! Unterscliiede ihres Wirkens bei Gass a. a. 0. S. 11. f. Die Mystik. 23o §. 74 . Die Mystik. Durch die Geschichte der scholastischen Theologie zieht sich auch ein mystisches Element hindurch, das in verscliiedenen Bezie- hungen zu ihr steht, aber eben desswegen nur inn so mebr als ein weiteres Moment zur Cbarakteristik derselben beachtet zu werden verdient. An sicb bildet das Mystiscbe einen Gegensatz zu dem ei- gentlicb Scholastischen, sofern die durcbaus vorherrsebende Rich- tung der Scbolastik ein dialektiscber Verstandesfonnalismus ist. Es lasst sicb in dieser Hinsicht recbt gut begreifen, wie bei einem Geg- ner der erst beginnenden und durch die Kiihnbeit ihrer ersten Be- wegungen Besorgnisse erweckenden Scbolastik, wie namentlicb Bernhard von Clairvaux war, seine Vorliebe fur das Mystiscbe irn engsten Bunde stand mit seiner Antipatbie gegen eine Dialektik, welcbe mit ihren BegrifFen und Syllogismen alles Gebeimnissvolle der Religion in einen vollig durchsicbtigen Rationalismus auflosen zu wollen schien. Die Mystik konnte sicb aber auch mit der Scbo¬ lastik selbst verbinden, indem sie in ihr das Bediirfniss erweckte, zur Erganzung dessen, was das rein dialektische Denken unbefrie- digt liess, den Herd der Religion in der Tiefe und Innigkeit des Ge- ftihls, als des eigentlichen Sitzes derselben, zu bewabren. In diesem Sinne waren mehrere Scbolastiker zugleich Mvstiker, wie die beiden Victoriner Hugo und Richard, und Ronaventura, dessen Commenlar uber die Sentenzen keineni scholastischen Werke dieser Art nachsteht, wabrend er in seinen mystischen Scbriften mit Recbt das Lob verdient, das ihm Gerson ertbeiltwenn er ibn von den scholastici indevoti, den das religiose Gefiihl zu wenig befriedigenden Scholastikern, dadurcb unterschied, dass er „recedit a curio sit ate, quantum pot¬ est, non immiscens positiones extrcineas vet doctrinas terminis philo sophicis obumbratas more muttorum , sed, dum studet it turn i- nationi intellectus, tofmn refert ad pietatem et religiositatem af- fectus. u Hierin ist das religiose Interesse der Mystik in seinem Un¬ terschied von dem bios scholastischen selir treffend ausgesprochen. Bei Thomas von Aquino ist es die areopagitische IJnbegreiflichkeit des gottlichen Wesens, welcbe seiner Tbeologie einen mystischen 1) De examinatione doctrinarum. J. Gehs. Opp. ed. E. du Pin. Antw. 1706. T. 1. p. 21. 236 Zweite Hauptperiode, z welter Abschnitt. §. 75. Hintergrund gibt. Wie die Scholastik iiberhaupt von den psycholo- gisch erkennbaren Thatsachen des empirischen Bewusstseins aus- ging, so wiesen die Dialektik und Mystik verbindenden Scholastiker der mystischen Richtung ihren bestirmnten Ort im menschlichen Ge- miithe an, von welchem aus sic durcli Unterscheidung der verschie- denenStufen der mystischen Erhebung zu Gott ihre mystische Tbeo- rie nach acht scholastischer Methode entwarfen. Yon dieser altern Mystik, welche man nach der Grundlage, auf welcher sie beruht, die psychologische nennen kann, in welcher Form sie noch beson- ders bei Gerson auftritt, unterscheidet sich die spatere als die ei- gentlich spekulative. Diese letztere setzte den Process, vvelchen jene altere nur nach seiner subjectiven psychologischen Seite auf- fasste, auf dem objectiven Standpunkte der Idee Gottes in das Wesen Gottes selbst. Ihr Grundgedanke ist der dem ewigen Wesen Gottes immanente gottliche Lebensprocess, in welchem Gott als Geist sich mit sich selbst vermittelt. Den frischen Quell dieser tiefsinnigen Mystik sehen wir besonders in denSchriften desDominikanermonchs Eckardt aus Strassburg, zu Ende des dreizehnten und zu Anfang des vierzelmten Jahrhunderts, hervorspringen. An ilm reihen sich an Tauler, Suso, Ruysbroek, der Yerfasser der deutschen Theo- logie, und Andere. Mit dieser Mystik stehen wir auf eineinBoden, auf welchem man im Ueberdruss an der schon veralteten Scholastik den machtigen Trieb in sich fiildte, sich des leeren Begriffsformalis- mus zu entledigen, und frei von einer Vermittlung, welche nur als eine hemmende Schranke erschien, auf die unmittelbaren Quellen und Grundlagen des Wissens zuriickzugehen, wie sie in der Natur, in der Schrift, im praktischen Leben, im unmittelbaren Selbstbe- wusstsein dem denkenden Geiste sich aufschlossen. In diesem Stre- ben trafen mit jenen Mystikern Manner, wie Roger Baco, Wickliff, Wessel und Andere bei aller Verschiedenheit ihrer Richtungen in einem und demselben Punkte zusaunnen, uni das diistere Dunkel der Scholastik mehr und mehr zu zerstreuen, und den Anbruch einer neuen Zeit vorzubereiten. §. 75 . Die systeiiiatisirende Tendenz der Scholastik. Wie die Scholastik das Bestreben hatte, sich des Dogma mit den Kategorien des dialektischen Yerstandes geistig zu bemachtigen, Die systematisirende Tendenz der Scholastik. 23? so wollte sie es auch in der Form eines Systems fur den Geist durcli- sichtiger machen, und da ihre Thatigkeit auf das Dogma im Ganzen gerichtet war, so musste sie auch aus diesem Grund von selbst eine systematisirende Tendenz haben. Auf ibrem bdbern Standpunkte konnte sie sicli nicht bios darauf beschranken, die Dogmen nur in der Weise aneinander zu reihen, wie diess Johannes von Damaskus getban batte. Scbon die Sentenzen des Petrus Lombardus, in wel- clien die scholastische Theologie sicb zuerst zur Einbeit eines sy- stematisch geordncten Ganzen zusammenscbloss, trugen auch darin den Charakter eines Systems an sicb, dass sie in ihren vier Buchern von dem dreieinigen Gott, von der Weltscbdpfung, den Engeln, dem Menschen, von der Menscbvverdung Goltes u. s. w., von den Sakramen- ten und dem endlicben Zustand des Menschen, die Momente des in seiner Einheit und Tolalitat sicb darstellenden doffinatischenBewusstseins zu- sarnmenzufassen suchten. In dem unendlicben Commentiren iiber die Sentenzen musslesodann die Idee der systematiscben Einheit des Ganzen wieder sehr aus dem Auge geriickt vverden. Urn so mebr ist es anzuer- kennen, dass Thomas von Aquino in seiner theolog. Summe, in welcher er sicb uberbaupt die Vereinfacbung der so scbwerfalligen und mit so viel Unnothigem uberladenen scbolastiscben Metliode zur Aufgabe macbte, die Idee des Systems scharfer in das Auge fasste. Die Grundidee seiner Summe isl die absolute Idee Gottes, Oder die Ein¬ beit Goltes und der verniinftigen Creatur. Der Menscli soil, als ver- niinflige Creatur, mit Gott Eius werden, er kann aber nur durch Christus zur Einbeit mit Gott gelangen; in Cbristus, als dem Gott- menschen, welcher, als Menscli, fur uns die via tendendi in Deum ist, bewegt sicli also Gott, als Anfang und Ende von Allem, in sicli zuriick Auch das zeugt von dem wissenschaftlichen Fortschritt, welcben die Theologie durch die Scholastiker machte, dass es nun seit Petrus Lombardus gewobnlicb wurde, an die Spitze des Systems zur Einleitung undBegrundung desselben die Untersuchung derFra- gen zu stellen, ob und wiefern Gott das Subject Coder eigentlich das Object) dei* Theologie ist, und wie durch das Subject der Theo¬ logie der Begriff derselben, als einer Wissenschaft, und ihr Princip bestimmt wird. 1) P. 1. qu. 2.: Primo tractabimus de Deo ) secundo de motu rationalis crea- turae in Deum, tertio de Christo , qui secundum quod homo via est nobis ten¬ dendi in Deum . ns Zweite Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 76. §. 76. Iloginatiker der grieeliisclieii Hirclie. In der Periode, in welcher sich in der abendlandisclien Kirche die Scholastik zu einer neuenForm der Entwicklung des Dogma aus- bildete, verlasst die Geschichte desselben vollends ganz den Boden der orientalisch-griechischen Kirche, inn sich nunmehr ausschliess- lich auf deni Gebiete der abendlandisclien Kirche fortzubewegen und in derselben einer iimner reicheren und tieferen Entwicklung ent- gegen zu gehen. Dogmatiker der griechischen Kirche gibt es zwar auch jetzt noch, aber sie geben nur ein Zeugniss von der Geistes- armutli, zu welcher die einst mit einer so reichen Lebensfiille aus- gestattete Kirche herabgesunken ist. Die bemerkenswerthesten sind die drei der zweiten Halfte deseilften und dem Verlaufe des zwolften Jahrhunderts angehorenden: Euthymius Zigabenus, Niketas Chonia- tes und Nikolaus von Methone. Eine unfruehtbare Polemik gegen alte und neue Haresen, eine unselbststandige Wiederholung des Ueberlieferten, eine breite Auseinandersetzung der orthodoxen Leh- ren von derTrinitat und der Person Christi, liber welclie man in der griechischen Kirche nie hinauskam, macht den Ilauptinhalt ihrer dogmatischen Werke aus. Nicht einmal als Halbscholastiker, wie man sie nennen wollte, kann man sie mit Reclit bezeichnen, da der lebendigeTrieb einerFortbildung desDogma, welcher in den abend- landischen Scholastikern auf eine so eigenthumliche Weise sich kund gibt, jenen vollig fehlt O- §. 77. Hie Hauptuerke der Srliolastiker. Die bedeutendsten theologischen Schriftsteller der scholastischen Periode sind folgende: 1) Aus dem ersten Zeitraum derselben: Anselm, geb. urn das Jahr 1034, seit dem Jahr 1093 Erzb. zu Canterbury. Hauptschriflen: Proslogium; Liber apologeticus contra Gaunilonem; Cur Deus homo? 2 ) Peter Abalard, geb. im Jahr 1079. Hauptschriften: Intro- ductio ad theologiam Cdie Lehre von der Trinitat), in drei Buchern; Umarbeitung in den fiinf Buchern der Theologia Christiana; Com- 1) Vgl. Ullmann Theol. Stud, und Krit. 1833. S. 647. f. 2) Basse Anselm you Canterb. 2 Tlile. 1841. 1852. Die Hauptwerke der Scholastiker. ^39 mentar liber den Brief an die Romer; Dialogus inter philosophum, Judaeum et Christianum O; Sic et Non 1 2 ). Hugo von St. Victor, gest. urn das Jahr 1140. Ihnr, nicht Hildebert von Lavardin, gehort der Tractatus theologicus, oder die Sunnna sententiarum, deren weitere Ausfuhruiigf die zwei Bucher \ ° de sacramentis (d. h. die heiligen Lehren) christianae fidei sind 3 ). Richard von St. Victor, gest. mn das Jahr 1173. Seine sechs Bucher de trinitate sind einWerkacht scholastischen Scharfsinnes 4 J. Petrus Lombardus, gest. im Jahr 1164, als Bischof von Paris. Sententiarum libri IV. Magister der Sentenzen. 2) Aus dem zweiten Zeitraum: Alexander von Hales, gest. im Jahr 1246. Franziscaner, Doctor irrefragabilis. Summa universae theologiae. Er schliesst sich in der Anordnung des Ganzen an Petrus Lombardus an, sein Werk hat aber als Summe, wie es eben desswegen genannt wird, nocli nicht die Form der spateren Commentare. Albert der Grosse, gest. im Jahr 1280, Dominicaner. Com- mentar liber die Sentenzen und Summa theologiae. Der gelehrteste unter den Scholastikern, welcher auch zuerst einen ausgedehnteren Gebrauch von den Schriften des Aristoteles machte. Thomas von Aquino, gest. im Jahr 1274, Dominicaner, Doctor angelicus. Commentar liber die Sentenzen, und Summa theologiae in drei Thcilen, deren letzler unvollendet ist. Sie ist gleichwohl sein Hauplwerk. Seine Summa catholicae lidei contra gentiles ist ein Werk derselben Art; sie behandelt denselben Gegenstand, nur vom apologetischen Gesichtspunkt aus. Durch methodische Behand- lung, Klarheit und Precision der Darstellung zeichnet sich Thomas in hohem Grade unter den scholastischen Schriftstellern aus. Bonaventura, gest. im Jahr 1274, Franziscaner. Doctor sera- phicus. Commentar iiber die Sentenzen. Johannes Duns Scotus, gest. im Jahr 1308, Franziscaner. Doctor subtilis. Commentar iiber die Sentenzen (Quodlibeta et Com- 1) Zuerst herausg. von Rheinwald 1831. 2) Vollstaudig lierausg. von Henke und Lindenkohe. 1851. 3) Liebner, Hugo von St. Victor, und die theologischen Richtungen seiner Zeit. 1832. 4) Engelhardt, Richard von St. Victor, und Johannes Ruysbroek. Zur Gesckichte der mystischen Theol. 1838. Zweitc Hauptpcriode, zweiter Abschnitt. §.77. 240 mentaria), gewohnlich das Opus anglicanum oder Oxoniense genannt. Seine Philosophic und Theologie war ebenso das Ordenssystem der Franziscaner, wie es die des Thomas von Aquino bei den Domini¬ can ern war. 3) Aus dem dritten Zeitraum: Durandus de S. Porciano, in der ersten Halfte des vierzehnten Jahrhuriderts, Dominicaner, Doctor resolutissimus. Commentar iiber die Sentenzen. Wilhelm Occam, gest. im Jahr 1347. Venerabilis Inceptor. Comment, iiber die Sent. Centiloquium theologicum u. a. Gabriel Biel, aus Speier, gest. im Jahr 1495, Lehrer in Tu¬ bingen, Nominalist, letzter bedeutender Scholastiker. Collectorium ex Occamo in libr. IV. Sent., ein das Wesentliche zusammenfassen- der Auszug aus Occam's Commentar. Nicht mehr in die Reihe der Scholastiker gehoren: Raimund von Sabunde, Lehrer der Naturwissenschaft, Medicin, Philosophic und Theologie in Toulouse, urn das Jahr 1436. Liber creaturarum, s. Theologia naturalis. Johann Wikliff, Lehrer der Theologie zu Oxford, seit 1372. Dialogorum libri IV. oder Trialogus. Johann Wessel von Groningen, gestorben im Jahr 1489. Vor- ganger Luther’s in mehreren, die Reform des Dogma betreffenden, Schriften Eine eigene Klasse bilden die Mystiker, unter welchen der Verfasser der deutschen Theologie und der Dominicaner H. Eckardt von Strassburg die bier bemerkenswerthesten sind 1 2 ). Geschichte der Apologetik. §. 78. Nile Vf aiiptmoiiteiite (let* Apologetik. lemiinft mid 411 IVen bam n g. Die scholastische Periode ist ziemlich reich an apologetischen Bestrebungen, welche jedoch von selir verschiedenem Werthe sind. 1) Ullmann, Job. Wessel, ein Vorgfinger Luthers. 1834. lieforniatoren Yor der Kef. 2. Bd. 1842. 2) Pfeiffer, Theologia deutsch 2. A. Stuttg. 1854. Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts 1. Bd. 1845. 2. Bd. Meister Eckhardt. 1. Abth. 1857. Die Hauptmomente der Apologetik. Vernunft mid Offenbarung. 2H Den geringsten Gewinn brachten der Apologetik die polemischen Declamationen gegen Juden und Muhamedaner, in welchen der maasslose Eifer fiir die christliche Religion sicli nicht seiten zu blossen Invectiven fortreissen liess. Das Hauptgevvicht legte man auf Allegorien und Beweise fiir die specifiscli christlichen Dogmen, wie die Trinitatslehre. DiesePolemik ging um so mehr in das Vage, da man meistens eine selir mangelhafte Kenntniss von den nicht- christlichen Religionen, namentlich der muhamedanischen, hatte Verdienstlicher waren die Bemiihungen soldier Apologeten, welche, ohne eine soldie ubenviegend polemische Tendenz, die Wahrheit und Gottlichkeit des Christenthums aus der eigenthiimlichen Be- schaffenheit desselben, seinen Yorzugen vor anderen Religionen, seinen Wirkungen, dem Charakter Jesu und der Apostel, und durcli andere Beweise dieser Art darzuthun suchten. Abalard, Marsilius Ficinus, Hieronymus Savonarola gehoren hauptsachlich in diese Classe. Am wichtigsten ist fiir die Geschichte der Apologetik der zuerst von Thomas von Aquino gemachte Versuch, das Verhaltniss der Vernunft und der Offenbarung miher zu bestimmen. Sein leiten- derGesichtspunkt war, dass die Offenbarung zwar fiber die Vernunft hinausgehe, gleichwohl aber Vernunft und Offenbarung nicht mit einander streiten. Eine Offenbarung ist nothwendig, weil der End- zweck des Mensclien in der Seligkeit, zu welcher er von Gott be- stimmt ist, iiber seine Natur hinausliegt. Um nach diesem Ziele zu streben, muss es ihm auf iibernatiirliche Weise bekannt gemacht sein Es gibt daher eine doppelte Wahrheit, eine solche, welche schlechthin fiber dasVermogen der natiirlichen Vernunft hinausgeht, und eine solche, welche die natiirliche Vernunft erreichen kann. Die Offenbarung ist nicht nur die nothwendige Erganzung der na¬ tiirlichen Vernunft in Ansehung dessen, das die Vernunft nicht aus sicli selbst erkennen kann, sondern sie dient auch dazu, die natiir- lich erkennbarenWahrheiten zu bestatigen, und sie leichter, schneller und allgemeiner den Mensclien zum Bewusstsein zu bringen. Ein 1) Vgl. Gass a. a. (). S. 136. f. 2) Der Hauptbegriff, auf welchem der Supranaturalismus des Thomas be- i-uht, ist der finis superexcedens, dass der Mensch, wie er Summa tlieol. 1. qu. 1. art. 1. sagt, ordinatur ad Ileum, sicut ad quendam finem, qui comprehen- sionevi vatioiiis excedit. I'xuem auiem opovtet esse pTuecognituni homimbus . qui suas intentiones et actiones debent ovdinare infmem , Baur, Dogmengescliichte, 10 242 Zweite Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 78. Widerstreit aber zvvisclien der Wahrheit des christlichen Glaubens und der Wahrheit der Yernunft kann nicht stattfinden, weil auch die Principien der Erkenntniss der naturlichen Wahrheit Gott zum Ur- heber haben. Alle Einwendungen gegen die Glaubenswahrheiten haben daher keinen an sich vernlinftigen Grand, sie mlissen somit widerlegt werden konnen, obgleich die Glaubensvvahrheiten selbst nicht demonstrirt und aus sicli erkannt, sondern nur wahrscheinlich gemaclit werden konnen *)• Es ist diess dieselbe Beantwortung der Frage liber das Yerhaltniss der Yernunft und der Offenbarung, vvelche man in der Folge durch die bekannte Behauptung zu geben pflegte, dass das supra rationem kein contra rationem sei. Thomas ist es daher, welcher diese Ansicht zuerst in der Form einer entwickeltern Theorie aufstellte. Auch Duns Scotus bestimmte das Yerhaltniss der Yernunft und der Offenbarung auf dieselbe Weise. Die Voraussetzung dieser Offenbarungstheorie ist die Endlichkeit der menschlichen Natur und Vernunft, in deren Anerkennung Duns Scotus treffend den Unterschied derTheologie von der Philosophic setzte Eben darauf beruhte von Anfang an die scholaslische Bestimmung des Verhalt— nisses zwischen Glauben und Wissen, wie es in dem ANSELM’schen Satze: Tides praecedit intellectuin, ausgedriickt ist 1 2 3 ). Nur Abalard schien seinem Gegner Behnharo 4 ) die hiedurch zwischen beiden gesetzte Schranke zu liberspringen. Da man aber immer auch wie- der anerkannte, dass Yernunft und OlFenbarung die Eine Quelle der Wahrheit in Gott haben, so ging der lliessende Unterschied beider sehr leicht in die mystische Ansicht liber, dass alles Wissen Erleuch- tung von oben sei, dass Natur und Schrift sich nur wie zwei ver- schiedene Bucher zu einander verhalten, in welchen der Menscli an sich auf gleiche Weise iesen kann, dass Gott als Geist im endlichen menschlichen Geist sich selbst offenbart und erkennt. Je bestimmter zwischen Vernunft und Offenbarung, wie zwi¬ schen Natiirlichem und Uebernatlirlichem, unterschieden wird, desto mehr kommt darauf an, die Realitat einer iibernatliiTichen Offenba¬ rung auf evidente Beweise zu stlitzen. Am genauesten hat diess 1) Suinma catli. fidei contra gent. 1, 1—8. und 4, 1 wo er den Ueber- gang von den Vernunftwahrheiten auf die Offenbarungswahrheiten macht. 2) In dem Prolog des Comm, zu den Sent. qu. 1, 3. 3) Prosl. c. 1. De tide trin. c. 2. 4) Ep. 190. Schrift und Tradition. ns Duns Scotus gethan, indem er aclit methodisch die Apologetik zur Grundlage des dogmatischen Systems macht, und zur Beantwortung der Frage nach der causa formalis der Theologie folgende Momente hervorhebt: die pronuntiatio prophelica, die scripturarum concordia, die auctoritas scribentium, die diligentia recipientium, die rationa- bilitas contentorum, die irrationabilitas singulorum errorum, die ecclesiae stabilitas, und die miraculorum claritas x ). Unter diesen Momenten, welche, so viel moglich, Alles zusammenfassen, was fur die Apologetik Bedeutung bat, nimmt, da eine ubernaturliche Olfen- barung selbst nur als Wunder gedacht werden kann, der Wunder- beweis eine besonders’ wichtige Stelle ein. Fiir die historische Kritik des Wunderbeweises hisst sich von den Scholastikern, bei dem ilinen iiberhaupt eigenen Mangel an historisch kritischem Sinne, nichts erwarten. Selbst Duns Scotus stellt ja die Wunder der evan- gelischen Gescliicbte mit denWundern der Tradition und derLegende in Eine Classe zusannnen. Dagegen hat Thomas von Aquino fur die dogmatische Bestitnmung des Begrilfs des Wunders einen weitern Schritt dadurch gethan, dass er der Frage fiber das Wunder zuerst Hire Stelle in der Lelire von der gottlichen Weltregierung ange- wiesen bat 2 ). Er definirt das Wunder richtig als eine Abwei- cluing von der Ordnung der gesammten geschaffenen Natur, oder als eine uninitlelbare, durcb keine Mittelursacben vermittelte Wir- kung Gottes, aber er bat nicht gezeigt, wie eine solcbe, von dem Standpunkte seines Systems aus, als moglich gedacht werden kann, und fiber den Unterscbied des Wunders im objectiven und subjec- tiven Sinne sich nicht klar genug erklart. 1st, wie er sagt 3 ), ein Wunder was iiber die facultas naturae binausgeht, so fragt sich, ob es die objective Natur in ihrer Gesammtheit, oder nur die uns be- kannte ist, von weicher diess ausgesagt wird. §. 79 . Sclirift iiihI Tratlitioii. Was die iibrigen, zur Apologetik gebdrenden, Lebren betrifft, so kann bier nur noch das Yerbaltniss von Schrift und Tradition in Betracht konunen. Scholastiker, wie Anselm, Hugo von St. Victor, 1) In dem Prol. qu. 2. 2) Summa theol. P. 1. qu. 105. f. 3) A. a. 0. qu. 110. art. 4. Vgl. dieLehre von der Dreieinigk. 2. S. 746 f. 16 * Zweite Hauptperiode, zweiter Absehnitt. §. 79. 244 Petrus Lomba'rdus u. A., machen keinen bestimniten Unterschied zvvischen Schrift und Tradition, Andere aber nahern sicb wenigstens in den Grundsatzen, welclie sie theoretisch aufstellen, aber freilich in der Praxis nicht sehr consequent festhalten, dem protestantischen Schriftprincip weit mehr, als man nach der Gewohnheit der Sclio— lastiker, sicb an Auctoritalen zu halten, erwarten sollte. Am meisten ist diess bei Abalard und Thomas von Aquino der Fall. Der erstere schreibt nur den kanonischen Schriften des Alten und Neuen Testa¬ ments unbedingte Auctoritat zu O und der letzterc definirt die.Theo- logie als eine Wissenscbaft, welcber es ganz besonders zukomme, von der Auctoritat aus zu argumentiren, als eine Auctoritat aber, welclie nicht bios Wahrsclieinlichkeit gebe, wollte er nur die der kanonischen Schrift anerkennen 1 2 ). Audi Duns Scotus kann nur die Schrift als die eigentliche Erkenntnissquelle des Christenthums betrachtet lmben, vvenn er bei dem Beweise, dass eine iibernatur- liclie Offenbarung nicht bios nothwendig sei, sondern auch in der Wirklichkeit existire, die christliche Religion mil der in der Schrift enthaltenen identisch nimmt, und somit dieGottlichkeit des Christen- thums aus der Gottlichkeit der Schrift beweist 3 ). Ungeachtet dieser Anerkennung beruhte praktisch dock in letzter Beziehung alles wie- der auf der Auctoritat der Kirche und der Tradition. Ausdriicklich erklarte Duns Scotus den Auctoritatsglauben fur den besten Weg zur allgeineinen Mittheilung der Religionswahrheiten. Nocli mehr glaubten die spatern Scholastiker nur in der unbedingten Geltend- machung des Auctoritatsprincips einen festen Haltpunkt zu haben 4 ). Auf eigenthumliche Weise sprach VVessel von einer Verkurzung des ewigenWorts in der Schdpfung und Schrift, halte aber eine sehr hohe Vorstellung von der heiligen Schrift als eineni InbegrilF noth¬ wendig in sicli zusammenhangender Wahrheiten 5 ). Vorlaufer der Reformation, wie Wikliff und Wessel setzten sclion sehr entschie- den die absolute Wahrheit der Schrift der Auctoritat des Papstes entgegen 6 ). 1) Sic et Non cd. Henke. S. 14. 2) Summa theol. P. 1. qu. 1. art. 8. 3) Darauf bezielit sich die zweite Frage des Prologs nach der causa for- malis der Theologie. 4) Wie Occam In sent. 1. dist. 2. qu. 1: propter auctoritatem (eeclesiaej debet omnis ratio captivari. 5) Vgl. Ullmann a. a. O. S. 219. f. 6) Wikliff Trial. 4, 7. Wessel bei Ullmann a. a. 0. Lehre von Gott. 245 Bei der Unbestimmtheit des Verhaltnisses von Schrift und Tra¬ dition erhielt auch der Inspirationsbegriff noch keine genauere Be- stimmung. Geschichte der Dogmen. §. 80 . l^elire von Gott. Unstreitig rnachte sich die Scholastik urn die philosophische und dogmatische Entwicklung derLehre von Gott sehr verdient. Sie bewegte sich bier ganz in ihrern eigentlichen Elemente. Unter den Beweisen fur das Dasein Gottes ninnnt init Recht Anselm’s beriihmtes ontologisches Argument die erste Stelle ein. Der Grundgedanke ist die Identitat des Denkens und Seins imBegriff Gottes, dass Gott nicht ware, Avas er seinem Begriff nach ist als das quo magis cogitari non potest, wenn er nicht als solcher auch das an sich Seiende ware, das esse in intellect!! auch das esse in re. In der Beantwortung der Eimvendungen, welclie Gaunilo vom Standpunkt des empirischen Bewusstseins aus mit gutem Grunde machte, hob Anselm treffend das Moment hervor, auf welchein der ontologische Begriff vom Dasein Gottes beruht, dass jene Identitat des Vorgestell- ten und Seienden nicht schlechthin gilt, auch von den endlichen Dingen, sondern nur von dem Absoluten, dass der Begriff des Ab- soluten eben diese nicht bios zufallige sondern wesentlich unzer- trennliche Einheit des subjectiven Vorstellens und des objectiven Seins ist. Es ist nur die syllogistische Form des Beweises, dass erst bewiesen zu werden scheint, was an sich schon mit dem Begriff gesetzt ist. Da die folgenden Scholastiker das Argument auch nur aus dem Gesichtspunkt eines logischen Schlusses auffassten, konnten sie die Wahrheit der Pramisse, von welcher er als einem allgemei- nen Satze ausgeht, nicht anerkennen 1 2 ) und das Argument konnte 1) Im Proslog, nicht im Monol. 2) Der Obersatz kann nur so lauten: Alles das, quo majus cogitari non potest, ist beides, sowohl ein esse in intellectu als ein esse in re. Allgemein kann aber diess nicht gesagt werden, es gibt ja nur Eines, von welchem es gilt. Somit findet auch im Untersatz keine Subsumtion statt. Der Syllogismus ist also falsch, man kann nicht so schliessen, und doch gibt es ein quo majus cogitari non potest, es ist also an sich schon das, dessen Realitat von der Vorstellung aus erst bewiesen werden soil. 246 Zweite Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 80. sit'li dalier gegen ilire Kritik nicht behaupten. Um auf deni Wege des Syllogismus voniGegebenen aus auf dieRealiliit des Gedachten zu kommen, mussten sie sich auf den Boden des kosmologischen Argu¬ ments stellen, und vom Endliclien und Bedingten aus das Dasein Gottes demonstriren. In funf Argumenten dieser Art geht Thomas immer wieder von einem andern Punkt des in der empirischen Wirk- lichkeit Gegebenen aus. Audi des Duns Scotus aus einem ganzen Complex ineinander verschlungener Syllogismen bestehendes Argu¬ ment ist gleichfalls wesentlich kosmologisch, nur dringt sich ilim in der Idee der absoluten Ursachlichkeit von selbst der Gedanke des ontologischen Arguments auf. Er kann sich den unendlichen fluxus der accidentiellen Ursachen nicht denken ohne den status der es- sentiellen Ursachen, d. h. das Endliche ist so wenig etvvas fiir sich, dass es sich selbst zum Unendlichen aufhebt, in dem Ineinandersein des fluxus und status, des Endliclien und Unendlichen, ist nur das Unendliche das wahrhaft Existirende, das Absolute, das als solches das an sich Seiende ist Geht man nacli der von den Scholastikern, namentlich Albert dem Grossen, Thomas von Aquino, Duns Scotus, befolgten Methode, von der Wirkung zu der Ursache, vom Bedingten zum Unbedingten, vom Endliclien zum Absoluten zuriick, so kann man auf diesem Wege nur unter derVoraussetzung zu dem gewiinschten Ziele kom- men, wenn es keinen Regress in's Unendliche gibt. Es ist dalier charakteristisch fiir die Scholastik, dass sie, so lange sie das voile Vertrauen zu sich und der Beweiskraft ihrer Argumente liatte, die Moglichkeit eines solchen Regresses liiugnete, sobald sie aber mit sich selbst zu zerfallen aiding, auch diese Behauptung fallen liess 1 2 ). In Ansehung der Frage nacli der Erkennbarkeit Gottes, welche nicht bios das Dasein Gottes, wie es die Scholastiker zu bevveisen suchten, sondern das Wesen Gottes selbst betrifft, zeigt sich schon eine bemerkenswerthe Differenz zwischen Thomas und Duns Scotus darin, dass Thomas die Erkennbarkeit Gottes nur sowed zugab, als er sie mit der Transcendenz seines areopagitischen Standpunktes vereinigen konnte, wabrend dagegen Duns Scotus sich bestrebte, diese Transcendenz so viel mdglich aufzuheben, durcli die Behaup- 1) Ygl. Lehre von der Dreieinigk. 2. S. 370. f. 521. f. 578. f. 595.1'. 2) Vergl. a. a. O. S. 874. Lehre von Gott. 247 lung der Moglichkeit einer objectiven, oder, nach scholastischem Sprachgebrauche, quiditativen Erkenntniss Gottes. Noch tiefer aber greift die Verschiedenheit des Standpunktes, auf welcheni die beiden Scholastiker stelien, in die Lehre vom Wesen Gottes selbst ein O. In dieser Lehre macht vorerst Anselm, besonders wenn man von ihm auf Scotus Erigena zuriicksieht, dadurch Epoche, dass er, da Gott nicht ohne sein Wort gedacht werden kann, und das Wort, als Sprechen, auch Denken ist, Denken und Selbstbewusstsein als die wesentlichste Bestimmung des Wesens Gottes betrachtet wissen wollte. Dieser Fortschritt vom Sein zum Denken hatte aber noch keine Consistenz, da Thomas nach der Lehre des Areopagiten den substanziellen Begriff des Wesens Gottes nur in das Sein setzen konnte. Das Wesen Gottes ist zwar nach Thomas als reine Form ein rein geistiges, reine Immateriality und Actualitat, ein actus purus, in welchem nichts blosse Potenz und Moglichkeit ist, aber das Wissen und Wollen Gottes ist nur die schlechthinige Identitat seines Seins mit sich selbst. Alle Fragen, welche Thomas liber das Wissen Gottes aufwirft, machen die Moglichkeit eines Unterschieds zwischen Sein und Wissen, Object und Subject in Gott nicht klar, und ebenso ist das Wollen Gottes nur die Beziehung seines Seins zu sich selbst, die Freiheit Gottes ist nur seine Nothwendigkeit, Gott ist iiberhaupt nicht Subject, sondern nur Substanz. Dagegen ist unstreitig durch Duns Scotus der Fortschritt von der Substanz zum Subject geschehen. In Folge des Gegensatzes, welchen der Stand- punkt des Duns Scotus zu dem des Thomas auf die schon entwickelte Weise bildet, konnte er das Absolute der Idee Gottes nur in das Wollen oder die Freiheit setzen. Gott ist das freie, durch die ab¬ solute Zufalligkeit des Widens sich selbst bestimmende Subject. Hie- mit ist erst der Idee Gottes ilire absolute Transcendenz genommen. Ist Gott das absolut freie Subject, weil, wie Duns Scotus seine Auf- fassung der Idee Gottes begriindete, ohne die absolute Zuf&lligkeit des gottlichen Widens auch im Endlichen nichts frei und zufallig ware, so hat das endliche Subject selbst das Absolute in sich, es hat in seiner Freiheit ein absolutes Princip. Hierin liegt der Grund, warum das eine der beiden Systeme ebenso indeterministisch ist, als das andere deterministisch. Ist Gott das absolute Sein, und das 1) A. a. 0. S. 622. f. 248 Zweite Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 80. Wissen und Erkennen nur der ideelle Reflex des Seins, so besteht das Verhaltniss des Menschen zu Gott in einem quantitativen Unter- schiede, welcher nur auf iibernatiirliche Weise aufgehoben vverden kann. Dagegen hebt Duns Scotus den absoluten Unterschied zwi- schen deni Endlichen und Unendlichen in der Idee der Freiheit da- durch auf, dass die Freiheit in dem Menschen dasselbe absolute Princip ist, wie in Gott. So wesentlich aber dieser Fortschritt zu dem freien, in der Absolutheit seines Willens sich selbst setzenden und bestimmenden Subject ist, so einseitig ist dieser Standpunkt darin, dass das Wollen als Mosses Wollen nur das Princip der Will— kiir, der absoluten Zufalligkeit ist. Sein und Wollen stehen auf diese Weise, beide in ihrer rein abstrakten Absolutheit gedacht, in einem vollig unvermittelten Gegensatz einander gegeniiber, als gleich ex¬ treme Bestimmungen, welche ohne eine vermittelnde Einheit schlecht- bin auseinanderfallen. Sehr bezeichnend ist es fur den Standpunkt des Duns Scotus, dass es auf demselben keinen objectiven Unter¬ schied zwischen dem Guten und Bosen gibt. Gott will das Gute nicht, weil es an sich gut ist, sondern das Gute, das er will, ist nur darum gut, weil er es will. Es gibt iiberhaupt nichts an sichSeiendes, son¬ dern Alles, was ist, ist nur durch die absolute Willkiir des sich selbst setzenden Willens Einen pantheistischen Charakter tragt die mit dem System des Joh. Scotus Erigena verwandte, aber auch aus andern Elementen bestehende Lehre Amalrich’s von Bena und David’s von Dinanto an sich * 2 ). Von ihr unterscheidet sich die spekulative Mystik Eckhart’s uud seiner Geistesgenossen hauptsachlich dadurch, dass sie in die innerste Tiefe des Selbstbewusstseins zuriickgingen, uin in ihr das Wesen Gottes zu ergriinden. Gott ist wesentlich Denken und Er¬ kennen, und als solches ein lebendiger Process, in welchem ein .1) Vergl. a. a. O. S. 634. f. Theol. Jahrb. 1846. S. 212. f. 2) Ueber Amalrich vergl. Engelhardt, lurchengesch. Abhandl. S. 251. f., iiber David Kronlein, Theol. Stud. undKrit. 1847. S. 271.f. Die Lehre des letztern, der mit dem erstern nicht so schlechthin zusammenzunehmen ist, wie gewohnlich geschieht, war ohne Zweifel dieselbe mit derjenigen, die wir jetzt aus der neuentdeckten Schrift Avicebron’s de materia universali, oder Fons vitae, welche Seyerlen in den Theol. Jahrb. 1856. S, 486. f. bekannt gemacht hat, naher kennen. Die Grundidee ist die Materie in ihrer Einheit mit der Form und die Einheit beider mit Gott. Lehre von Gott. 249 Wirken und Werden, ein ewiges Gebaren seiner selbst und aller Dinge in ihm ist. Auch bei Wessel finden sich Anklange an ein tie- feres Gottesbewusstsein. In der Lehre von den Eigen schaften Gottes wurde dieFrage, ob es iiberhaupt Eigenschaften Gottes gibt, von den Scholastikern verschieden beantwortet. Nacli Anselm 1 ) und Thomas 2 ) stellt sich in jeder einzelnen Eigenschaft immer wieder das Gauze, die abso¬ lute Vollkommenheit des gottlichen Wesens dar, somit gibt es auch keinen objectiven Begriff gottlicher Eigenschaften, sondern, was man als eine Mehrheit von Eigenschaften in Gott betrachtet, beruht nur auf einer subjectiven Unterscheidung. Dagegen behauptete Duns Scotus mit derselben Consequenz, seinem Standpunkt gemass, eine objective Verschiedenheit der gottlichen Attribute, welche ihren Grund in einem realen Unterschied im Wesen Gottes selbst haben. Er beruft sich mit Recht auf den trinitarischen Unterschied der Per- sonen, dass der Sohn nicht das aus dem Verstand emanirte Wort, der heilige Geist nicht die im Widen concipirte Liebe sein konnte, wenn zwischen Verstand und Widen kein realer Unterschied im We¬ sen Gottes ware. Es vertragt sich somit mit dem christlichen Gottes¬ bewusstsein nicht, sich das Wesen Gottes als die abstrakte unter- schiedslose Einheit des platonischen Idealismus zu denken 3 ). Unter den einzelnen Eigenschaften, mit deren dialektischer Er- orterung die Scholastiker sich besonders beschaftigten, sind die be- merkenswerthesten die Allmacht und die Allwissenheit Gottes. Bei der Allmacht fragte es sich, ob in Gott Mogliches und Wirkdches Eins seien, oder verschieden, ob Gott einen fiber das von ihm Geschalfene hinausgehenden Ueberschuss von Macht habe, oder seine Macht in der Wirklichkeit des Geschaffenen aufgehe. Das letztere behauptete Abalard , fur das erstere entschieden sich Hugo von St. Victor, Petrus Lombardus, wie iiberhaupt die Scholastiker den schrankenlosesten Begrilf der gottlichen Allmacht hatten. Duns Scotus dachte sich den Widen Gottes so frei, dass ihm die potentia absoluta und ordinata eine und dieselbe war. Bei der Allwissenheit Gottes war die Hauptfrage ihre Verein- barkeit mit der Freiheit der endlichen Subjecte, oder allgemeiner, 1) Monol. c. 16. 17. 2) Summa theol. P. 1. qu. 13. art. 12. 3) In dem Comm, zu den Sent. 1. dist. 8. qu. 4, 26 0 Zweite Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §.81. wie Gott das Einzelne und das Kiinftige weiss, ob er es weiss, weil es ist, oder ob es ist, weil er es weiss 0* in demselben Sinn un- terschied man zwischen einer necessitas consequents, quae rem facit und einer necessitas consequentiae, quam res facit. DunsScotus machte geltend, dass, wenn fur Gott alles absolute Gegenwart ist, er das Kiinftige nicht alsKiinftiges weiss 1 2 ). §. 81. lidire von tier Mreieinigkeit* Die Scholastiker wandten ihren ganzen Scharfsinn zur Ratio- nalisirung dieses Dogma an 3 ). Roscellin’s nominalistische Auffassungsweise wurde auf der Synode zu Soissons im Jahr 1092 verdammt, und vom realistischen Standpunkt aus von Anselm von Canterbury widerlegt. Anselm selbst begriindete das Trinitatsverhaltniss durch die Idee Gottes, als der mens rationalis, oder derThatigkeitdesDenkens, sofern das Den- ken in dem Produciren eines der Sache, die das Object des Denkens ist, adaquaten Bildes besteht. Aus der Idee der gottlichen Vollkom- menheit, sofern sie sich wesentlich in den drei Begriffen der Macht, Weisheit und Giite, oder Liebe, vollendet, versuchte Abalard das Trinitatsverhaltniss zu begreifen. Die Vergleichungen, deren er sich bediente, lassen die Annahme eines personlichen Unterschiedes, im Sinne der Kirche, nicht zu. Im Interesse der kirchlichen Lehre er- hob Bernhard von Clairvaux gegen ihn Widerspruch. Gilbert de la Por ree CPorretanus), von dem realistischen Grundsatz, dass das Besondere durch das Allgemeine, als das Substanzielle, bestimmt werde, ausgehend, machte von der Unterscheidung des quod est, und desquoest (zwischen dem, wasEtwas, und dem, wodurchEtwas ist) eine Anwendung auf das Trinitatsverhaltniss, die urn so Ieichter Anstoss geben konnte, da sie durch ihre Unklarheit Missverstand- nisse veranlasste. Er wurde jedoch auf der dariiber verhandelnden Synode zu Rheims im J. 1148 nicht verdammt. Auch Petrus Lom- bardus blieb, wegen eines auf die Trinitatslehre sich beziehenden 1) Vergl. Anselm de concordia praescientiae et praedest. nee non gratiae Dei cum lib. arbitr. c. 7. 2) In Sent. 1. dist. 39. qu. 5. 3) Lehre von der Dreieinigkeit Tb. 2., S. 389. f., 400. f., 462. f., 508. f., 536. f., 684. f., 889. f. Lehre von tier Dreieinigkeit. 2o 1 Satzes, nicht unangefochten, aber die lateranensische Synode im Jahr 1215 erklarte sich fur ihn. Unter den Scholastikern, welclie, nach Anselm und Abalard, einen tiefer gehenden Versuch .zur rationellen Begriindung der Tri- nitatslehre machten, niinmt Richard von St. Victor eine sehr aus- gezeichnete Stelle ein. Gott ist, als absolute Substanz, identisch mit den beiden gleicli absoluten Attributen, Macht und Weisheit; das Trinitatsverhaltniss berulit auf dem Begriff der Liebe oder Giite: die absolute Vollkonnnenheit der Liebe erfordert eine Dreiheit ein- ander vollkommen gleicher Personen. Die Mogliclikeit der Existenz einer Dreiheit von Personen, in der Einheit der Substanz, erklart Richard, acht dialektisch, daraus, dass es zum Begriff des Abso¬ luten gehort, nicht bios in Einer Form zu existiren. Es gibt ein schlechthin Unendliches, und eine Einheit des Endlichen und Un- endlichen und dieses endlich Unendliche ist entweder unmittelbar oder mittelbar aus dem schlechthin Unendlichen. Ausser diesen drei, den drei Personen des Trinitatsverhaltnisses entsprechenden, For- men des Unendlichen oder Ewigen, kann, vom Standpunkt der dia- lektischen Betrachtung aus, keine weitere als moglich gedacht vver- den, in ihnen hat also die Idee des Absoluten, als wesentlich trini- tarisch, ihre Einheit und Totalitat. Die folgenden Scholastiker gingen bei ilirer Entwicklung der Trinitats-Idee davon aus, dass in dem geistigen Wesen Gottes, vvie in dem desMenschen, zwei Hauptthatigkeiten zu unterscheiden sind, die erkennende und die wollende, der Intellectus und die Voluntas. Aus dem Versland, oder dem Erkennen, gelit der Sohn hervor, da, vvie schon Alexander von Hales behauptete, das Erkennen und Den- ken ein geistiges Erzeugen ist. Der Sohn ist wesentlich, was der Vater ist, weil die Vorstellung der Sache, auf die sie sich bezieht, nur mehr oder minder adiiquat sein kann. Die Procession des Ver- standes berulit daher auf dem Begriff der Aehnlichkeit oder der Zeu- gung, die des Widens auf dem Begriff einer nicht in sich zuriick- gehenden, sondern aus sich herausgehenden Bewegung. Das so Hervorgehende ist, da es nicht erzeugt ist, wie der Sohn, der Geist. Stehender Lehrsatz der Scholastiker ist es, dass Denken undWollen die beiden Processionen, geistigen Emanationen, oder die produk- tiven Principien des Sohnes und Geistes sind. Der Widerspruch des Durandus a S. Porciano dagegen ist ohne Bedeutung. 252 Zweite Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §.81. Audi die Lehre del* lateinischen Kirche vom Ausgang des hei- ligenGeistes nahmen die Scholasliker in ihre Deductionen der kirch- lichen Trinitatslehre auf, sie sahen sie sogar als eine dialektisch nothwendige Bestiimnung an, uin den Begriff des Geistes von dem des Solines zu untersclieiden. Anselm und Thomas legten auf diese Lehre besonderes Gewicht. Neue Verhandlungen fanden hieriiber zwischen der lateinischen und griechischen Kirche auf der Synode zu Florenz im Jahr 1439 statt, die Yereinigung hatte aber keinen Bestand. Die scholastische Terminologie unterschied vier Belationen, drei Proprietaten und fiinf Notionen. im Allgemeinen kann das Urtheil liber die scholastische Be- handlung dieser Lehre nur dahin gehen, dass die Scholastiker ihr zwar einen geistigern Charakter, aber auch einen dem kirchlichen Dogma nicht congruenten Sinn gaben. Was sie Personen nannten, sind keine Personen im kirchlichen Sinn, sondern blosse Belationen. Ihre spaltende, zerstiickelnde, durch die Begriffsanalyse auflosende und in einseitige Begriffsbestimmungen sich verirrende Methode zeigt sich besonders darin, dass sie, urn Gott als geistiges Wesen aufzufassen, mit Ausnahme Anselm’s und Richard’s, fiber die psy- chologische Unterscheidung des Erkennens und Wollens nicht hin- wegkamen, und sich damit begniigten, diese beiden geistigen Tha- tigkeiten in einem bios coordinirten Yerhaltnisse neben einander zu stellen, statt die verschiedenen Beziehungen, in welchen Gott als Geist zu sich selbst steht, aus der Einheit und Totalitat eines geisti¬ gen Lebensprocesses zu begreifen. Nach dem Begriff eines solchen Processes ringen schon die tiefsinnigen Ideen der Mystiker von einem Sprechen Gottes, in welchem der Yater sich selbst versteht, und in dem Worte sich selbst ausspricht, und von einer Geburt, in welcher Gott sich und alle Dinge aus sich selbst, und in sich selbst, gebiert. Bemerkenswerth ist hier noch eine an den Montanismus und Sabellianismus sich anschliessende Form der Trinitatslehre, welche das innere Trinitatsverhaltniss vorzugsweise nach seiner nach aus- sen wirkenden Seite in’s Auge fasst, und die drei Personen als ebenso viele Perioden und Momente des in der Weltgeschichte sich entwickelnden Olfenbarungsprocesses der Gottheit betrachtet. Es ist diess die Trinitatslehre des Abts Joachim von Floris, wie sie sei- Lehre von der Schopfung und Regierung der Welt. 253 ner eigenthumlichen Weltanschauung zu Grunde liegt. Der Vater ist das principium principale, der Sohn und der Geist sind die prin- cipia de principio. In der noch den Charakter der Fleischlichkeit an sicli tragenden Periode des Vaters erscheint Gott nur als der Machtige, als der schreckliche Gott des Gerichts. Um den Sclirecken seiner Erscheinung durcli barmherzige Liebe zu mildern, und das (lurch den Vater in der Menschheit erst begonnene Werk derOffen- barung fortzuselzen und zu vollenden, hat der Sohn die menschliche Natur in der Einheit der Person angenommen, der heilige Geist die Gestalt der Taube als eine Figur der heiligen Mutter, derKirche. So stellen Sohn und Geist die Offenbarungsseite der Gottheit dar. Der in der Offenbarungsperiode des Vaters noch unbegreifliche Gott wollte in den OlFenbarungsperioden des Solins und Geistes begriffen und erkannt werden, und seine Offenbarung ist von Periode zu Periode eine fortschreitende Aufhebung des Sinnlichen durcli das gdltlich Geislige. Die Offenbarung des Geistes geht ebenso iiber die des Sohns hinaus, vvie die des Sohns iiber die des Vaters, und zu- letzt maclit dasZeitalter des Geistes dem evvigen Reiche Gottes Platz, in welchem die gauze Offenbarungsgeschichte in der Einheit der mit dem Inhalt ihrer Enlwicklung erfiillten Idee sicli mit sich selbst zu- sammenschliesst O- Diese Ideen scheinen auch auf die Lehre Amal- rich's von Bena eingevvirkl zu haben, welcher gleichfalls die drei Personen der Trinitat als drei der Geschichte der Menschheit imma- nente Anschauunffsformen der Gottheit unterschied. o 82. Lehre von tier §ciiopl‘iiug; mul ftegiei'iing tier VTelt. Die Hauptfragen sind bei dieser Lehre wieder die dreiMomente: 1) die Schopfung aus Nichts, 2) die Ewigkeit, und 3) die Vollkom- menheit der Welt 1) Den Begriff der Schopfung aus Nichts nahmen die Schola- stiker nicht im absoluten, sondern bios im relativen Sinn, indem sie besonders hervorhoben, dass das Geschaffene, ehe es in der Wirk- 1) Es ist diess der Hauptinlialt der drei Schriften Joachims, der Concordia V. et N. T., der Expositio in Apoc. und des Psalterium decern chordarum. Vgl. das letztere S.238.f., die Expos. 64, 2. 142. 227., die Cone. 5, 68. Engei.iiardt, kirchengeschichtl. Abhandlungen S. 365. 2) Lehre von der Dreieinigkeit. Th. f. 2. S. 283. f., 715. f. 254 Zweite Hauptperiode, zweiter Absclinitt. §. 82. lichkeit zu seiner Existenz kam, ideell als Gedachtes im Geiste Got- tes existirte. So sclion Anselm. In demselben Sinne unterscbieden Alexander von Hales und Thomas von Aquino die erste Ursache aller Dinge als wirkende und urbildliche, die Frage war aber so- dann, wie aus der absoluten Einheit oder Einfacbheit des gottlicben Wesens die Vielbeit der geschaffenen Dinge zu erklaren sei, was Thomas nur so erklart, dass er in den Ideen den Respectus ad res schon voraussetzt. Die Idee bat den Trieb, sicli zu realisiren, und wird zur Vielbeit, da sie das Wesen Gottes nur inadaquat in sich darstellen kann. Die Scbdpfung ware somit das Realwerden der Idee. Als das Hervorgeben der Dinge aus Gott, nannten sie die Scbolastiker aucb eine Emanation, in anderm Sinne, wie es scbeint, Albert der Grosse, als Thomas. 2) Die Frage liber die Ewigkeit oder Nichtewigkeit der Welt gab den Scholastikern vielfachen StolF, die fiir und gegen die Ewig¬ keit der Welt sprecbenden Griinde einander gegenliber zu slellen. Alexander von Hales erklarte sicli gegen die Ewigkeit der Welt; Thomas von Aquino wollte den Anfang der Welt wenigstens als einen Glaubenssatz angeseben wissen; fiir die vernunftige Betracb- tung der Sacbe neigte sicli sowohl bei ihm, als aucb, wie es scheint, bei Duns Scotus, das scbwankende Uebergewicht mehr auf die Seite der die Ewigkeit bejabenden Griinde. 3) Ueber die Vollkommenheit der Welt linden sich bei Anselm, Thomas und Duns Scotus drei verschiedene Ansichten. Anselm be- bauptet, alles Wirklicbe sei an sich verniinftig und gut, und doch kann er die positive Realitat des sittlicb Bosen, wie es aus dem Princip der Willensfreibeit enlspringt, nicbt laugnen. Thomas fiihrt den rein negativen Begriff in seinem durchaus deterministiscben Sy¬ stem in stronger Consequenz (lurch. Fiir Gott existirt das Bose nur durcb Vermittlung des Gulen 1 ). Aucb das sittlicb Bose ist ein De¬ fect zur vollkommenen Darstellung der absoluten Giite Gottes. Die Verwerfung und die Erwablung baben also bier ihre Stelle im Sy¬ stem. Nacb Duns Scotus dagegen hangt Alles von der Freiheit der endlichen Subjecte ab, durch sie ist demnach die in der Vollkom¬ menheit der Welt sich ofFenbarende Giite Gottes bedingt. Die Frage, 1) Summa theol. P. 1. qu. 15. art. 3.: Malum cognoscitur a Deo non per propriam rationem, sed per rationem boni. Lelire von den Engeln und vom Teufel. ^55 ob Gott eine bessere Welt hatte schafFen konnen, konnte nur aus dem BegrifFe der Allmacht beantwortet werden. Die Lelire von der Weltregierung hat zuerst Thomas genauer behandelt. Das Verhaltniss der beiden BegrifFe, Schopfung und Er- haltung, bestimmt er als ein identisches in Hinsicht der Thatigkeit Gottes, als ein verschiedenes in Hinsicht der secundaren Ursachen, durch welche die Thatigkeit Gottes in derErbaltung vermittelt wird. §. 83. JLelire von den Engeln und vom Teufel. Die transcendente Metaphysik und Dogmatik der Scholastiker fand in dieser Lelire einen willkommenen Baum, in welchem sie ihr Gebaude vveiter ausbauen konnte 1 ). Die scholastische Classification setzte die Engel in der allge- meinen Ordnung der Wesen zwischen Gott und den Menschen, als intellectuelie und immaterielle Substanzen, deren Wesen zwar blosse Form, aber dock niclit der actus purus Gottes ist. Nacli dem Vorgang Augustin’s machten es sich auch die Scho¬ lastiker bei dieser Lelire zur Aufgabe, die geistige Natur der Engel aus ihrem BegrilFe zu construiren, und liber die Art und Weise ill- res Erkennens eine so viel moglich entvvickelte Theorie aufzustellen. Die Engel erkennen a priori durch die allgemeinen, zu ihrer Natur gehorenden BegrilFe. Die Frage, ob die Engel auch Einzelnes er¬ kennen, vvurde von Thomas verneint, von Duns Scotus aus dem Grunde bejaht, vveil das Einzelne nur als Einzelnes, das Wirkliche nur als Wirkliches erkannt werden kann. Wie die Engel erkennende Wesen sind, so sind sie auch wol- lende. In dieser Hinsicht fragte es sich niclit bios nach dem Verhalt- niss von Natur und Gnade, sondern hauptsachlich nach der Mog- lichkeit des Falles. Die Scholastiker fassten den Fall des Teufels als das Problem auf, den Ursprung der Siinde aus einem rein geistigeii Wesen, wie der Teufel ist, zu erklaren. Was noch bei Petrus Lom- bardus dieSelbsterhebung des niythischen Lucifers 2 ) ist, hatte sclion Anselm als die Erhebung des Eigenwillens liber den allgemeinen 1) A. a. O. S. 751. f. 2) So vvurde er genannt, vveil er, wie Bonaventura in dem Compendium theol. veritatis 2, 28. sagt, prae ceteris luxit, suaeque pulchritudinis consideratiQ euvi excoecavit . 256 Zweite Hauptperiode, zweiter Absclmitt. §. 83. Willen Gottes genommen, und Thomas sah darin den Widerspruch, das Endliche an die Stelle des Unendlichen, die Natur an die Stelle der Gnade zu setzen. Das eigentliche Moment des Falls, Oder das Princip der Siinde, setzen Thomas und Duns Scotus in das Fiirsich- sein der Creatur, mit welchem die Trennung von dem Ansichsein Gottes schon als Moglichkeit gesetzt ist. Auch dieMystiker stimmen damit iiberein. Als das Motiv des Falls des Teufels betrachtet der Verfasser der deutschen Theologie seine Ichheit*). §. 84. Lehre vom Meusclieii* Was die Natur des Menschen iiberhaupt betrifft, so gait jetzt allgemein der Creatianismus als orthodoxe Vorstellung. In derFrage iiber das Bild Gottes folgte man Augustin, ohne sich an eine be- stimmte Lehrform zu binden. In Hinsicht des urspriinglichen Zu- standes des Menschen war der Hauptgesichtspunkt, unter welchen man ihn stellte, das Verhaltniss von Natur und Gnade, vvoraus sich die Frage ergab, ob der Zustand der pura naturalia als ein wirkli- cher oder bios ideeller anzusehen sei. Das letztere nahm Thomas 1 2 ), das erstere Duns Scotus an. Eine holie Idee von der geistigen Natur des Menschen hatten die Mystiker. Es gibt einen ungeschallenen Funken der Seele, ein unausldschlich in ihr leuchtendes Licht, das als Geist, Vernunftig- keit, Genuith, das Hochste, wahrhaft Gottliche im Menschen ist, in welchem die Seele so edel ist, als Gott selbst, kein Unterschied ist zwischen Gott und der Seele, und die reclite Einung geschieht zwi- schen ihr und Gott. Den Sundenfall des Menschen erklarte man auf dieselbe Weise, wie den Fall des Teufels, aus dem Princip der Selbstsucht. Das Wesen der Erbsiinde setzte man negativ in den Mangel der urspriinglichen Gerechtigkeit, positiv in die concupiscentia. Eine genauer begriindele Theorie stellte nur Thomas auf 3 )* Ihr zu- folge ist der Zustand der Erbsiinde wesentlich derjenige, welcher eintrat, als durch den Sundenfall das Band jener Harmonie sich auf- loste, das in dem Menschen urspriinglich durch die ubernatiirliche 1) Kap. 2. 49. 2) Surama tlieol. 1. qu. 95. art. 1. 3) A. a. 0. 2, 1. qu. 82. f. Lehre vom Menschen. Gnade gekniipft war. Insofern war der eingetretene Zustand nur der natiirliche, Thomas betrachtet ihn aber dock zugleich als eine Un- ordnung und Stoning der Natur, weil jene alles Untere der hohern Einheit unterordnende Richtung die urspriingliche Ordnung war. Dass also die bier in Betracht kommenden Krafte der menschlichen Natur nach zwei Seiten betrachtet werden konnen, einerseits, wie sie nur dazu bestiunnt sind, in letzter Beziehung Gott sick unterzu- ordnen, andererseits aber auck, wie sie von ihm sick abkekren und den Trieb des Fiirsickseins in sick haben, dieses lneinander und Nebeneinander, als ein Nacheinander, macht das Wesen der Erb- siinde nacli der tkomistiscken Ansickt aus, deren Untersckied von der augustinischen daraus zu erseken ist, dass Thomas die reineNa- turlichkeit nur uneigentlick eine Verwundung nennen kann. Eine solcke findet daker auck nach Duns Scotus gar nicht statt 1 ). Von einer eigentlicken Zurecknung der Siinde Adam’s im augustinischen Sinn wollten die Sckolastiker nichts wissen. Ikre Erklarungen koni- men nur darauf hinaus, dass die personlicke Siinde Adam’s in uns zur naturlicken wild, d. k. den Ckarakter einer zurecknungsfakigen That verliert, und wir mit dem an der Spitze der Menschheit ste- henden Adam zusaunnen eiue moralische Einheit bilden, wodurck die Erbsiinde im Grunde nur als Gesamintthat und Gesammtsckuld aufgelasst wild. Die Mysliker setzten die Erbsiinde in das eine der beiden Principien, von deren Dualitiit sie ausgingen. Sie ist die Ichheit, das Selbst des Menschen, Gott gegeniiber, oder der Adam in uns. Die steigeude Verekrung der Jungfrau Maria brackte die brage in Bewegung, ob die Freilieit von der Erbsiinde nicht bios Christus, sondern auch der Mutter zuzuschreiben sei. Die Annahme einer un- befleckten Empfangniss bestritten Bernhard von Clairvaux, Thomas von Aquino und die meisten Sckolastiker. Man nalnn nur eine Hei- ligung der Jungfrau im Mutterleibe an. Duns Scotus dagegen dackte sich die vollige Freilieit von der Erbsiinde als ebenso gut moglich, und da diese Annahme die der Wiirde der Maria angemessenere zu sein schien, so gab er ihr den Vorzug 2 ). Diess war der Anlass, dass auck das Dogma von der immaculata conceptio einer derPunkte 1) In Sent. 2. dist. 29. 2) III Sent. 3. dist. 3. qu. 1. dist. 18. c^u. Haur, Dogmengeschichte. 17 *58 Zweite Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 85. wurde, welche durcli das Ordensinteresse der Franciscaner und Do- minicaner auch eine dogmatische Bedeutung erhielten. §. 85. Lelire von. der Person Cliristi. Aus der von Petrus Lombardus O erorterten Frage, ob gesagt werden konne, dass Gott als Mensch etvvas geworden, und aus der von ihm bios erwahnten Meinung, dass er secundum habitum Mensch geworden sei, glaubte man die Harese des Nihilianismus als Con- sequenz ziehen zu mussen, iiber welche auf zwei Synoden, zu Tours im Jahr 1163 und auf der lateranensischen im Jahr 1179, verhan- delt wurde, urn das non aliquid oder nihil von dem menschgewor- denen Christus abzuwehren. Man erschrack vor einer Menschwer- dung, in welcher Gott nichts geworden sein sollte, und hatte auch in der Zusammenhangslosigkeit des Dogma alien Grund dazu gehabt, wenn man sich derselben klarer bewusst gewesen ware. Nach dem Grunde der Menschwerdung forschte Thomas 1 2 ) im absoluten Wesen Gottes, konnte aber keine andere Ursache derselben linden, als die zufallig durch die Siinde gegebene, von welcher die gottliche All— macht den Menschen auch auf anderem Wege hatte erlosen konnen. Dagegen schien es dem Abt Rupert von Deutz 3 ) eine mit dem Be- griffe des Sohns streitende Behauptung, dass er oline die Dazwi- schenkunft der Siinde nicht Mensch geworden ware, und in dem- selben Sinn konnte sich Duns Scotus 4 ) keine richtige Ordnung den- ken, wenn Gott die Seligkeit Christi nicht als unrnittelbaren Zweck gewollt, sondern nur zum secundaren, durch Siinde und Verdannn- niss vermittelten, gemacht hatte. Eine Frage der ernstesten dialek— tischen Bedeutung war fur Thomas eben das, was man in der Harese des Nihilianismus nur anstossig gefunden hatte. Es stellte sich in seiner Entwicklung dieser Lehre sowohl der dem Dogma eigene Mangel an allein realen und logischen Zusammenhang, als auch die gewaltsame Verkiirzung, welche in der sogenannten Unio immer nur die menschliche Natur zu erleiden hatte, sehr klar lieraus. Dia- lektisch lost sich die Theorie des Thomas in die rein negativen Satze 1) Sent. 3. clist. 5. f. 2) Er handelt von der Person Christi Summa theol. P. 3. qu. 1—59. 3) Lehre von der Dreieinigkeit. 2. S. 834, 4) A. a. O. S. 833. f. Lehre von der Person Christi. 259 auf, dass Gott durch die Menschwerdung nichts geworden ist, vom Menschen als einem wirklichen Subject auch nichts ausgesagt wer- den kann, weil das Subject der Unio nur der Sohn Gottes ist, die Unio somit auch keine wahre und reale ist. Dass das Menschliche in Christus nur eine menschliche Natur ist, keine menschliche Per- sonlichkeit, weiss Thomas nur so zu rechtfertigen, dass er sagt, die menschliche Personlichkeit sei nicht zerstort worden, sondern die Unio habe nur verhindert, dass die Natur zur Person geworden sei, weil sonst die Personlichkeit der menschlichen Natur durch die Unio hatte vernichtet werden rniissen, wie wenn nicht auch so das- selbe Unrecht an der Integritat der menschlichen Natur geschehen ware. Wenn nun auf der Grundlage einer so selbstlosen Natur eine Person construirt wird, in welcher die Einheit des Selbstbewusst- seins nicht bios in den Unterschied des gottlichen und menschlichen Wissens, sondern auch das menschliche Wissen selbst wieder in ein dreifach verschiedenes auseinanderfiel, zu welcher abenteuer- lichen Vorstellung rnusste eine solche Personlichkeit werden? Bei Duns Scotus blickt wenigstens auf einzelnen Punkten das Bestreben durch, der menschlichen Seite der Person Christi einen concreteren, dem empirischen Bewusstsein adaquateren Inhalt zu geben O. Die Elemente einer lebenskraftigern Christologie, welche Chri¬ stus als den idealen Menschen, als den nicht bios in Gott, sondern auch im Menschen geborenen Sohn Gottes auffasst, enthalt die Lehre der Mystiker. Auch Wessel spriclit sicli liber die Menschwerdung und die Person Christi, wenn auch nicht in der Form einer dialek- tischen Entwicklung, doch in einer von dem Fonnalismus der scho- lastischen Distinctionen freiern Weise aus. Was er vom Logos und der heiligen, gottgeliebten Seele Christi sagt, ist nicht ohne An- klange an Ideen des Origenes. Auch er wollte die Incarnation des Worts nicht bios durch die Thatsache des Falls und den Zweck der Erlosung bedingt sein lassen, weil es ihm unschicklich schien, dass die edelste Creatur nur gelegentlich eingefiihrt worden sei 1 2 ). §. 86 . I^ehre von der Eiiosung und lersoliimiig. Die Lehre von der Versohnung gehort unter diejenigenDogmen, in welchen der dialektische Scharfsinn der Scholastiker eine ihn be- 1) A. a. O. S. 847. f. 2) A. a. O. S. 909. f. 17 * 260 Zweite Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 86. sonders anziehende, die Beantwortung so vielerFragen verlangende Aufgabe erkannte v ). Die alte, so weit ausgesponnene Tlieorie trat in eine neue Periode ihrer Entwicklung dadurch ein, dass jetzt gelaugnet wurde, was bisher noch immer eine steliende Yoraussetzung war. Anselm’s beruhmte Satisfactionstheorie ging davon aus, dass der Teufel an sich kein Recht auf den Menschen geliabt babe. VYas in der bis— herigen Theorie als ein Verhaltniss des Menschen zum Teufel ge- nonnnen wurde, muss als ein Verhaltniss des Menschen zu Gott auf- gefasst werden. Die bestimrnende Form dieses Verhaltnisses ist die Schuld der Siinde, fiir welclie der Mensch genugthun muss. Diese Genugtlmung kann er, nach Anselm’s Definition des BegrilTs der Siinde, nicht ieisten, somit auch nicht selig werden. Es lassen sich nun zwei Falle denken, dass Gott entwcder die dem Menschen ge- biihrende Strafe an ihm vollzieht, oder ihm die Schuld seiner Siinde vergibt. Das letztere kann nicht geschehen, aber auch das erstere ist fiir Gott nicht moglieh. Soli also demungeachtet der Mensch selig werden, so kann diess nur durch eine von einem Andern, und zwar von einem Gottinenschen geleistete Genugthuung geschehen. Als Gott kann der Gottmensch Gott mehr geben, als Alles, was ausser Gott ist, aber als Mensch hat er das von ihm als Gott Geleistete zu- nachst nur fiir sich, soil er es fiir Andere haben, so muss er es fiir sich nicht noting haben. Diess war, nach Anselm, der Fall, weil der Gottmensch als siindlos nicht schuldig war, zu sterben. So konnte und musste das Verdienst seines Todes Anderen zu Theil werden. Die ganze Theorie liangt an dem Begrilfe der Siinde, als einer Ver- letzung der Ehre Gottes, und dem darauf sich beziehenden Begrilfe der Gerechtigkeit im strengsten juridischen Sinn Die Gerechtig- keit fordert, fiir die Verletzung der Ehre, Herstellung der Ehre. Hergestellt aber ist die Ehre nicht bios durch das Negative der Strafe, sondern ebenso auch durch das Positive der Satisfaction, d. h. entweder durch ein Leiden oder ein Thun, die Satisfaction als solche ist ein Thun, eine moralische Leistung. Aus diesem Gesichtspunkte ist der 1) Lehre von der Versolinung. S. 142. 1'. 2) Vergl. Cur Deus homo 1, 23. Nullatenus debet aut potest accipere homo a Deo, quod Deus illi dare proposuit, si non reddit Deo totum, quod Mi abstulit, ut sicut per ilium Deus perdidit, ita per ilium Deus recuperet. Lehre von der Erlosung und Versohnung. 261 Tod Christi zu betrachten O- Die Mbglichkeit einer durch ihn fur Andere geschehenen Satisfaction liegt darin, dass Anselm dem Tode des Gottmenschen eine andere moralische Beziehung zu Gott gibt, als seinem Leben. An diesen letztern Punkt hauptsachlich, so wie an den bei dieser Theorie vorausgesetzten Begriff der Siinde, hat sich die Kritik derselben zu batten. War der Tod des Gottmenschen eine sittliche That, so war er dazu aucli sittlich verpflichtet und wenn jede sittliche That ihren Wertli und Lohn in sich selbst hat, so kann auch bei dem Tode des Gottmenschen nicht von einer an Andere abzugebenden Belohnung die Rede sein. Dazu kommt, dass das ganze Satisfactionswerk ein sosehr ausserhalb des Menschen vor sich gehender, rein objectiver, durch die EhreGottes und die innere Nothwendigkeit des gottlichen Wesens motivirter Process ist, dass der Mensch als sittliches Subject dabei im Grunde gar nicht in Be- tracht kommt. Dass eine solche Satisfaction nothwendig war, die Erlosung und Versdhnung anders, als auf diesem Wege, nicht geschehen konnte, wird von den folgenden Scholastikern nicht zugegeben, auch von Hugo von St. Victor nicht, welcher sich am meisten Anselm nahert. Den Hauptgegensatz gegen die Anselm’scIig Satisfactions- theorie bildet die auf dem psychologisch moralischen Momente der Liebe beruhende Ansicht Abalard’s und Peter’s, des Lombarden. Ihr Hauptgedanke ist die aus der Knechtschaft der Siinde befreiende Macht der durch den Tod Christi im Menschen geweckten Liebe. Am meisten macht sich die alte Vorstellung vom Teufel bei Bernhard von Clairvaux, zum Theil auch bei Hugo, Petrus Lombardus u. A., geltend. Bei den grossen Scholastikern liegt der Grund, dass auch sie der ANSELM’schen Satisfactionstheorie ihren Beifall nicht schenk- ten, in ihrem vagen Begriff der gottlichen Allmacht, mit welchem sie jede von der Voraussetzung einer bestimmten Nothwendigkeit ausgehende Argumentation entkraften und liber sie hinausgehen konnten. Thomas von Aquino stellt das Leiden Christi, und die durch dasselbe geschehene Versohnung, unter den vierfachen Gesichts- 1) Es finclet somit das gerade Gegentheil dessen statt, was Weisse die Cbristologie Luther’s 1852. S. 129. f. zur Berichtigung Neander’s erinnern zu miissen glaubt, Anselm babe die erlosende Kraft in das Moment des Erleidens der Strafe, durch welclie die Siinde gebiisst werden miisse, hineingelegt. Vgl. meine Lehre von der Versohnung S. 183. 262 Zweite Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 86. punkt des Verdienstes, der Satisfaction, des Opfers und des Lose- geldes, behauptet aber, rnit Bonaventura, dass das stellvertretende und genugthuende Leiden Christi nicht als ein nothwendiges arizu- seben sei, weil Gott aucli oline dieses Leiden die Mensclien hatte erlosen konnen Noch weit ferner lag dem Duns Scotus jeder Gedanke an eine Nothwendigkeit, wie sic Anselm voraussetzt, er geht in der Bestreitung der Objectivitat des SatisfactionsbegrifFs darin noch weiter, dass er auch die von Thomas behauptete satis— factio superabundans, d. b. den objectiven innern Werth des von Christus durch sein Leiden fin* die Siinden der Mensclien gegebenen Aequivalents nicht gelten lasst. Er laugnete sowohl die Unendlich- keit der Schuld als dieUnendlichkeit des Verdienstes. Was Christus verdienthat, hat er nuralsMensch verdient, sein Verdienst ist an sich nur ein endliches, aber es hangt ganz von der Anordnung Gottes ab, wofiir er es annehmen und in welchem Umfang er es gelten lassen will. Duns Scotus behauptet sogar, dass auch ein blosser Mensch fiir alle hatte genugthun konnen, wofern ihm nur Gott die Gnade dazu gegeben hatte. So bildet auch dieser Gegensatz zwi- schen dem meritum superabundans auf der einen und der acceptatio auf der andern Seite einen neuen Differenzpunkt zwischen den Tho- misten und Scotisten. Die scotistische Vorstellung wurde besonders auch durch den Nominalismus begiinstigt, dagegen nahm Papst Clemens VI. die dem kirchlichen Interesse zusagendere thomistische in die Jubilaumsbulle vom Jahr 1343 auf. VVessel suchte der Satis— factionslehre durch Hervorhebung des Moments der Liebe und die Unterscheidung einer thatigen und leidendenGenugthuung eine inelir praktischeBeziehung zu geben, wahrend dieMystiker auch in dieser Hinsicht auf die subjective Verinnerlichung des ausserlich Geschehe- nen drangen. §. 87. f^elire von «ler Gnade, vom Glauben nn«l von den Werken. Die Gnade ist das von Gott gegebene Mittel zur subjectiven Aneignung des durch Christus bewirkten Heils der Erlosung. Der 1) Surama theol. p. 3. qu. 46. art. 1.: In Deuni non cadit aliqua necessitas , quia hoc repugnaret omnipotentiae ipsius, ergo non fuit necessarium , Christum pati. Dadurch ist der ganzen anselm’schen Deduction ihr Nerv zerschnitten. Lehre von der Gnade, vom Glauben und von den Werken. 263 Gnade gegenuber kann sich der Mensch nur receptiv verhalten, da aber der Mensch, bei aller Passivitat, das die Gnade in sich auf- nehniende Subject bleibt, so kann von der Gnade nur in ihrer Be- ziehung zur Freiheit die Rede sein, und der BegrifF der Freiheit selbst ist bedingt durch die Lehre von der Siinde. Theologen der scholastischen Periode, wie Anselm, Bern- hard von Clairvaux, Petrus Lombardus, bewegen sich nur in den Formeln der augustinischen Terminologie und Orthodoxie, welche es ihnen nicht gestatten, die Freiheit des Willens, auch wenn sie sie der Gnade gegeniiberstellen und dem Willen wenigstens dieEin- willigung zuschreiben, fiir ein selbststandiges Princip des Wollens und Wirkens, in Ansehung des Guten, zu halten. Eine dem augustinischen System zwar verwandte, aber von ihm unabhangige, und auf einer andern Grundanschauung beruhende Theorie hat Thomas von Aquino aufgestellt, in dessen System die Lehre von der Gnade eine sehr wichtige und tief eingreifende Be- deutung hat O- Die Nothwendigkeit der Gnade griindet Thomas darauf, dass der Endzweck, zu dessen Erreichung durch verdienstliche Werke die Gnade das Mittel ist, das ewige Leben, liber die Proportion der menschlichen Natur hinausgeht. Als das Princip des verdienstlichen Wirkens heisst die Gnade die habituelle; was zurVorbereitung der- selben geschieht, hat zu seiner letzten Yoraussetzung eine Bewe- gung, durch welche Gott als die schlechthin bewegende erste Ursache den Willen bewegt. Das Maass der Gnade ist daher in verschiede- nen, zur Schbnheit und Vollkommenheit des Ganzen dienenden Gra- den verschieden, je nachdem Gott, als das den Willen bewegende Princip, denselben fiir die Gnade so oder anders disponirt. Der Wille, wenn auch zwischen Akten des Wollens und Nichtwollens schwankend, kann die letzte Ursache seiner Bewegung nur ausser sich haben; soweit er von Gott bewegt wird, ist er gut, soweit nicht, verhalt er sich negativ zum Guten. Die Wirkung der Gnade ist auf der einen Seite die Rechtferti- gung, auf der andern das Verdienst. Die Rechtfertigung beschreibt Thomas als eine Bewegung, welche von dem einen der beiden ent- gegengesetzten Punkte zum andern fortgeht, als eine Transmutation 1) Sumraa theol. 2, 1. qu. 109. f. 264 Zweite Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 87. aus dem Zustand der Ungerechtigkeit in den der Gerechtigkeit. Die Momente dieser Bewegung sind in der Richtung vom terminus ad quem zum terminus a quo: die remissio peccati, die infusio gratiae, der motus liberi arbitrii, der motus fidei und der recessus a peccato. Hinweggekommen ist der Mensch von der Siinde nur durch die re¬ missio peccati, wenn er von der Siinde frei ist, die remissio peccati selbst aber hat zu ihrer Voraussetzung die infusio gratiae, die Siinde ist solange da, solange nicht an ilireStelle dieGnade tritt, nur wenn also die Gnade zuvor eingegossen ist, weicht vor ihr die Siinde. Die Eingiessung der Gnade geschieht durch eine Bewegung des freien Widens, und diese Bewegung muss eine Bewegung des Glau- bens sein, sofern das Gemiith vor allem auf Gott als das Object der Seligkeit und die Ursache der Rechtfertigung gerichtet sein muss. Vollendet ist die Bewegung und das Ziel der justificatio erreicht in der remissio peccati oder culpae, die als solche auch eine infusio ’ gratiae ist, und so successiv die Reilie dieser Momente ist, so ge¬ schieht doch die justificatio selbst nicht successiv, sondern in Einem Moment, sofern sie wesentlich oder originaliter in der infusio gratiae besteht, die alle andern Momente in sicli begreift. Was objectiv die Rechtfertigung als die von Gott ausgehende Wirkung der Gnade ist, ist auf der Seite des Menschen, subjectiv, das Yerdienst gleichfalls als Wirkung der Gnade. Da man ohneVer- dienst das ewige Leben nicht erlangen kann, muss der Mensch ein Verdienst haben, das Princip aber eines das ewige Leben verdie- nenden Akts kann nur das ubernaturliche Geschenk der Gnade sein. Ohne Gnade gibt es also kein Yerdienst. Da aber die Wirksamkeit der Gnade durch den freien Willen vermittelt wird, so kann das Verdienst aus einem doppelten Gesichtspunkt betrachtet werden, je nachdem es entweder aus der Gnade des heiligen Geistes, oder aus dem freien Willen hervorgehend gedacht wird. Das eine ist das meritum ex condigno, das andere das meritum ex congruo. Ist die Gnade oder der heilige Geist das wirkende Princip, so ist klar, dass zwischen Ursache und Wirkung ein vollkommen adaquates Yerhalt- niss, eine condignitas, stattfindet, wie kann aber auch nur von einer congruitas, einem aus blossenBilligkeitsriicksichten dem Willen zu- geschriebenen Verdienst die Rede sein, wenn der Wille die blosse Form ist, durch welche die Wirksamkeit der Gnade vermittelt wird? Da sicli in dieser Lehre von der Gnade ganz der determini- Lehre von der Gnade, vom Glanben und von den Werken. 265 stische Charakter des Systems des Thomas darlegt, so ergibt sicli hieraus von selbst, wie ganz anders sich dieselbe in deni indetermi- nistischen System des Duns Scotus gestalten muss. Wie bei Thomas der freie Wille nur die Form ist, in welcher Gott oder die gottliche Gnade im Menschen wirkt, so ist dagegen bei Duns Scotus das sub- stanzielle Princip des menschlichen Wirkens der freie Wille, und was von ihm Gnade und Verdienst genannt wird, ist eigentlich nur die aussere Beziehung, in welche ein Akt des menschlichen Willens unter Voraussetzung einer gottlichen Disposition zu einem bestimm- ten Objecte gesetzt wird. Gut und verdienstlich ist ein Akt des menschlichen Willens, wenn er inFolge einer gottlichen Anordnung, als dem Willen Gottes entsprechend, angenommen wird. Fine Gnade im augustinischen Sinn ist nach Duns Scotus keineswegs zurn Wol- len und Thun desGuten nothwendig. Am weitesten gehen die beiden Systeme in der Lehre von der Pradestination auseinander. Wahrend sich nach Thomas in der Pradestination nur die Schonheit des Uni- versums darstellt, die olme eine Yerschiedeirheit der Stufen nicht sein kann, nach deren Maassgabe der eine dahin, der andere dort- hin zu stehen kommt, hangt bei Duns Scotus miles daran, wie sich Gott und der freie Wille zu einander verhalten, ob der Wille nicht das Hinderniss ist, dass Gott nicht auch consequenter geben kann, was er antecedenter gibt *). Je grosseren Einfluss die scotistische Lehre gewann, um so pelagianischer wurde die herrschende Denk- weise. Im Gegensatz gegen den von ihm als allgemeine Richtung der Zeit beklagten Pelagianismus stellte Thomas Bradwardin 1 2 3 ) die Lehre von einer den freien Willen mit Nothwendigkeit bestimmen- den Pradestination in der hartesten Form auf. Auf welche Weise Glaube undLiebe in diese Heilsordnung ein- greifen, legt sich in der Theorie des Thomas klar vor Augen °). Die Scholastiker nahrnen den Glanben an sich als einen blossen Akt des Verstandes, seine eigentliche Form erhalt der Glaube erst durcli die Liebe, d. h. das wesentliche Princip der Rechtfertigung ist nicht der dem Yerstand angehorende, auf das Wahre als sein Object gerich- tete Glaube, sondern die aus dem Willen entspringende, das Gute 1) In Sent. 2. dist. 87. qu. 2. 2) Lehrer der Theologie in Oxford, gest. im Jabr 1349: De causa Dei adversus Pelagium libri 3. 3) Summa theol. 2, 2. qu. 4. art. 3. Ygl. Petrus Lomb. Sent. 3. dist. 23. 266 Zweite Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 88. bezweckende Liebe. Daher die Unterscheidung der fides informis und formata, eine Bezeichnung, welche, wenn sie auch den Glauben als dieEinheit desErkennens und Wollens aufzufassen scheint, doch den Glauben selbst nur zu einem verschwindenden Mornente der Liebe macht. Als Tugend kommt daher der Glaube an der Spitze der sieben Tugenden in den ethischen Theil des Systems zu ste- hen, und lasst so der Liebe freien Spielraum, sich in der ganzen Aeusserlichkeit und Verdienstlichkeit der guten Werke zu entfalten. §. 88 . Lelire von den Sacrainenten. Diese Lehre erhielt in der scholastischen Periode eine sehr grosse Erweiterung. Materiell wurde zwar aucli hier von derScho- lastik nichts Neues producirt, aber es gab hier so Vieles, was durch den analysirenden und unterscheidenden, ordnenden und systema- tisirenden Geist der Scholastik erst in die rechte Form und in den Zusammenhang des Ganzen zu bringen war. Die augustinische Definition des Begriffs des Sacraments ver-^ vollstandigte man durch die Bestimmung, es sei ein Heiligung be- zweckendes und bewirkendes Zeichen, wie diess namentlich von Hugo von St. Victor, Petrus Lombardus, Thomas von Aquino be- merkt wurde. DieNothwendigkeit der Sacramente begriindete man durch die sinnliche Natur des Menschen. In Hinsicht der Wirksamkeit der Sacramente unterschied man Sacramente des A. und des N. Testaments. Nur die letztern haben eine immanente Kraft der Rechtfertigung. Darauf beruht der scholastische Lehrsatz, dass die Sacramente die Gnade ex opere operato erthei- len. Der Gegensatz gegen das opus operatum ist das opus operans. Das opus operatum ist die sacramentliche Handlung als solche in ihrer reinen Objectivitat, das opus operans, sofern sie bedingt ist durch die Subjectivitat, den Glauben und die Liebe der das Sacra¬ ment Empfangenden. Die Hauptbestimmungen fmden sich bei Bona- ventura, Duns Scotus, am deutlichsten bei Gabriel Biel O- Mit der allgemeinen Verschiedenheit der beiden Systeme des Thomas und Duns Scotus hangt die Differenz zusammen, dass sie nach 1) In Sent. 4. dist. 1. qu. 3, Lehre von den Sacramenten. 267 Thomas (lurch die ihnen immanente iibernaturliche Kraft wirken, nach Duns Scotus nur durch eine die Wirkung hervorbringende Assistenz Gottes. Aucb iiber den character indelebilis der drei nicht wiederbolbaren Sacramente Taufe, Confirmation, Priesterweihe, batten Duns Scotus und Durandus eine etwas abweichende Ansicht. Die immer nocb scbwankende Zalil der Sacramente wurde seit Petrus Lomrardus zur stebenden Siebenzahl in folgender Reihe: Taufe, Confirmation, Eucharistie, Busse, letzte Oelung, Priester¬ weihe, Ehe. Die innere Notbwendigkeit dieser sieben sacrament- lichen Handlungen suchten Thomas und Bonaventura aus derEinbeit und Totalitat des in ihnen sich erschopfenden Sacramentsbegritfs nacbzuweisen. Doch wurden immer aucb nocb Taufe und Abend- mabl als die Hauptsacramente anerkannt. In der so viel Specielles und Aeusserlicbes entbaltenden Lehre von den Sacramenten war nocb immer das Transsubstantiations- dogma der Hauptpunkt, urn welcben es sich handelte. Die jetzt aucb mit diesem Ausdruck bezeicbnete Transsubstantiation stand so fest, dass auf der lateranensiscben Synode im Jalir 1215 als Glau- bensartikel der Einen seligmacbenden Kircbe ausgesprocben wurde, der Leib und das Blut Christi seien im Sacrament des Altars unter den Species von Brod und Wein wabrbaft entbalten, indem das Brod in den Leib, der Wein in das Blut durch gottliche Maclit transsub- stantiirt werde. Aucb fiir die Scholasliker konnte dieFrage nur nocb sein, wie man sich dieVerwandlung zu denken babe und wie Christus im Sacrament entbalten sei. Petrus Lomb. gab bierauf die einfache Antwort, man konne nur an ein Glaubensmysterium glauben und von den Accidenzien sei eher zu sagen, dass sie oline Subject exi- stiren als in einem Subject, weil nur die Substanz des Leibes und Blutes Christi da sei, die von den Accidenzien nicht atficirt werde 1 )- Urn dieVerwandlung naher zu bestimmen, sagte Thomas, sie sei ebensowenig Vernicbtung als Fortdauer der Substanz, und wenn die Accidenzien obne ihre Substanz fortbestehen, so sei diess in dem- selben Sinne zu nelnnen, wie uberhaupt ein Wunder eine durch die secundaren Ursachen nicht vermittelte Wirkung der primaren Ursache sei 2 ). Der ganze Christus sollte nicht nur unter jeder der beiden 1) Sent. 4. clist. 11. 12. 2) Summa theol. 3. qu. 75. f. 268 Zweite Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 88. Species, sondern aucli in jedem Tlieil einer Species enthalten sein, jedocli, urn zu erklaren, wie ein Korper von grbsserer Quantitat unter dein Maass einer kleinern enthalten sein kann, nicht raumlich oder localiter, nicht als dimensive sondern nur als substanzielle Quantitat. Man machte Distinctionen, die zuletzt nur auf der Vor- aussetzung beruhen konnten, dass das raumliche Sein nicht an sich zuin Wesen der uns in der Ausdehnung des Ramus erscheinenden Dinge gehore Die Nothwendigkeit und Zweckmassigkeit der Verwandlung, gerade in dieser Form, suclite man noch besonders zu motiviren. Wie objectiv man sicli dieselbe dachte, beweisen die bekannten scholastischen Fragen liber gewisse angenommene Falle und die auf diese Lelire sich beziehenden kirchlichen Institutionen, das Fronleichnamsfest und die Kelchentziehung, zu deren Recht- fertigung der scholastische Terminus der Concomitanz dienen sollte. Einen unklaren Versuch, sich die Existenz des Leibes Christi im Sacrament des Altars anders zu denken als in der von der Kirche bestimmten Form, das Brod und den Leib als Eine Substanz nach der Analogic der Yereinigung der beiden Naturen in Christus zur Einheit der Person, machte Johann von Paris. Eben das, worauf es schon hier abgesehen war, aus dem Transsubstantiationsdogma das hinwegzubringen, woran man den grossten Anstoss nahm, die sub- jectlose Existenz der Accidenzien, hatte auch Occam imAuge, wenn er, obgleich mit aller Devotion gegen das Dogma der Kirche, aus der Moglichkeit des Zusammenseins zweier Korper an einem und demselben Orte die Folgerung zog, dass der Leib Christi ebensogut mit der Substanz von Brod und Wein als mit den blossen Acciden¬ zien derselben zusammensein konne 1 2 ). In demselben Sinn suchten auch andere Theologen jener Zeit sich das Transsubstantiations¬ dogma vorstellbarer zu machen, wie namentlich Peter d’ Ailly, welcher gleichfalls der Meinung, dass die Substanzen von Brod und Wein bleiben, als der wahrscheinlichern den Vorzuo-oral) 3 J. Wahrend solche Gegner zwar an dem Transsubstantiationsdogma riittelten, aber ohne der Kirche zu nahe zu treten, griff dagegen Wikliff in der scharfen Kritik, welcher er im vierten Buch seines Trialogus die 1) Thomas a. a. 0. dist. 76. art. 4. 2) In den quaestiones super 4 libr. sent, und in den Tract, de Sacramento altaris. Vgl. Kettberg Theol. Stud, und Krit. 1839. S. 69. f. 3) Quaest. super libr. sent. 4, qu. 6. Lehre von der Kirche. katholische Lehre von den Sacramenten unterwarf, jene Lehre scho- nungslos an, als die argste aller Ketzereien, in welcher der Anti¬ christ Logik, Grannnatik und Naturwissenschaft zerstore, ja sogar den Verstand der Evangelien aufhebe. Das Brod bleibt, durch sein Dasein soil aber die Realitat des Leibes nicht ausgeschlossen wer¬ den; es sei beides zugleich, Brod und Leib, indem seine Natur statt zerstort zu werden, vielmehr zu einer wurdevollern Substanz er- holit werde; substanziell, korperlich, rauinlich sei Christus nur im Hirnmel. Ohne Polemik legte Wessel das Hauptgewicht auf den geistigen Genuss. Im engsten Zusammenhang mit dem Transsubstantiationsdogma wurde aucli das Messopfer der concreteste Ausdruck des christli- chen Bevvusstseins. Die Synode im Jahr 1215 leitete ihren Kanon von der Transsubstantiation durch den Satz ein, dass Christus Priester und Opfer zugleich sei. Als Priester muss er auch ein seiner wiirdiges Opfer haben. §. 89. l^elire von der ttirche. Wie sich die Kirche hierarchisch im Papstthum vollendete, so steht jetzt an der Spitze der Lehre von der Kirche das Dogma von der Infallibility des Papstes. Die romische Kirche ist die allein seligmachende und gegen alle, die von ihr abweichen, gilt der strengste Gegensatz der Nichtduldung. Dogmatisch wurde die Lehre von der Kirche weiter ausgebildet durch die Idee eines mystischen Leibs, dessen Haupt Christus ist, oder einer Gemeinschaft derHeili- gen, in welcher derEine denAndern erganzt, und aus dem grossen Schatze der uberverdienstlichen Werke jedes Minus des Einen durch ein Plus des Andcrn gedeckt werden kann. Daher ist hier der Qrt, wo die Lehre von den Heiligen dogmatisch eingreift. In dem von den Scholastikern seit Alexander von Hales zum Dogma erhobenen thesaurus meritorum supererogationis hat die Kirche das Princip der Erlosung in sich selhst Man unterschied nur zwischen einer streitenden und triumphirenden Kirche, zwischen beiden ist kein wesentlicher, nur ein zeitlicher Unterschied. Gegen die mit der Lehre 1) Yergl. Thomas Summa suppi. 3, qu. 25. Ratio , quare valere possuni (indulgentiae), est unitaa corporis mystici, in qua multi in openlms poenitentiae supererogaverunt. 270 Zweite Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 89. 90. von der Kirche zusammenhangenden Lelirsatze waren die starksten Angriffe der Yorlaufer der Reformation gerichtet. Wikuff bestritt die Uebertragung des Yerdienstes von dem Einen auf den Andern, vveil sie mit dem Begriff eines sittlichen Subjects streite. Nach Huss besteht die wahre Kirche nur aus den Pradestinirten, und auch Wessel sah sie niclit in der aussern Einheit unter dem Papstthum, sondern in der Einheit der Liebe. §. 90. JLelire von den letzten Dingen. Ueber die verschiedenen Aufenthaltsorte der Abgeschiedenen, das Fegfeuer und die darauf sich beziehenden Suffragien, Aufer- stehung, Gericht, Yerdammniss u. s. w. wurde so ziemlich dasselbe gelehrt, wie bisher, wenn auch die Scholastiker diese Lehren durcli ihre dialektischen Fragen und Distinctionen in ihrer Weise genauer bestimmten. Ueberraschend ist es dagegen, amSchlusse des Systems in der Lehre von der kunftigen Seligkeit noch einer Frage von der hochsten speculativen Bedeulung zu begegnen, bei welcher eben- desswegen auch der Gegensatz des Thomas und Duns Scotus noch einmal hervortritt. Die Seligkeit als der Endzweck des Menschen besteht darin, dass der Menscli mitGott zur Einheit sich zusammen- schliesst. Wie ist aber diese Einigung des Endlichen mit dem Un- endlichen moglich? Thomas Jasst sie auf dem Wege des Erkennens sich vollziehen. Da aber der geschaffenc endliche Verstand als sol- cher zur Endlichkeit Gottes sich incongruent vcrhalt, so muss die Schranke der endlichen Natur durcli die unendliche Kraft Gottes durchbrochen werden, urn den Menschen auf uberuaturliche Weise iiber seine Natur hinauszurucken 0. Duns Scotus liisst zwar Gott in seinerOffenbarung iibernaturlich wirken, weil es zur verniinftigen Natur des Menschen gehort, dass der Menscli durcli ein Hoheres, als er selbst ist, vollendet wird, aber das Yerhaltniss des endli¬ chen Subjects zu Gott, dem Unendlichen, als seinem Objecte, wird von Duns Scotus niclit quantitativ bestimmt, sondern qualitativ. Das endliche Subject hat als solches einPrincip der Unendlichkeit in sich. Es gibt auch eine Unendlichkeit des Endlichen 0* Sclion theoretisch 1) Sunima c. gent. 8, 57, 1.: Quod jit virtute supernaturalQ non impeditur propter naturae diversitatem, cum divina virtus sit injinita. 2) In Sent. 4. dist. 50. qu. G, 5.: Enti ut ens non repugnat esse injmitum. Lehre von den letzten Dingen. 271 verhalt sich so der Mensch frei zu Gott, da sein Wissen in keinem so inadaquaten Verhaltnisse zu Gott steht; Duns Scotus weicht aber auch darin von Thomas ab, dass er das vermittelnde Princip, durch welches der Mensch in seiner Seligkeit mit Gott Eins wird, iiber- haupt nicht in den Verstand, sondern in den Willen setzt. 1st der Mensch wesentlich Wille, so kann er auch nur durch seinen Willen, seine praktische Thatigkeit, selig werden. Auch die Seligkeit, als Genuss Gottes, kann daher nur als eln praktisches Verhalten ge« dacht werden, durch das man das hochste Gut urn seiner selbst willen zurn Object seines Widens macht und sich in die Einheit mit Gott setzt, ubi ohjectum beatificum est idem cum ipso beato 1) A. a. O. dist. 49. qu. 2, 27. Dritte Hauptperiode. Von der Reformation bis in die neueste Zeit. Das Dogma der neuern Zeit, Oder das Dogma und das freie Selbst- bewusstsein. Einleitung. §. 91. Vile Reformation itml das Princip rtes Protestantisiiiu*. in seinevii €»eg*eii«atz znm liatltolicisiiiiis. Welche grosse Epoclie die Reformation in der Entwicklungs- geschichte des Dogma ist, musste schon bei dem allgemeinen Ueber- blick iiber den Entwicklungsgang des Dogma hervorgehobenwerden. Bisher sahen vvir das Dogma, bei dem Uebergang von einer Periode in die andere, im Ganzen immer wieder in derselben Richtung fort- gehen, und bei alien Veranderungen, welche seine Geschichte immer inhaltsreicher machten, olme wesentliche Veranderung dem imma- nenten Zuge seiner Entwicklung folgen; das einmal Begonnene wurde nur weiter fortgefiihrt, man suchte die schon vorhandenen Bestimmungen weiter auszubilden, consequenter zu entwickeln, in einen engern Zusammenhang zu bringen, und, so viel moglich, zu einem systematischen Ganzen zu verarbeiten. Stellte doch selbst die Scholastik keiu wesentlich neues Princip auf, im unbedingten Glauben an den Inhalt der kirchlichen Ueberlieferung sollte sie ja nur der vomStandpunkte der Sclmle aus gemachte Versuch der Ver- standigung iiber das kirchliche Dogma sein. Anders ist es jetzt mit Einem Male. Man will auf dem bisher so bequem gefundenen und fur nothwendig erachteten Wege nicht weiter gehen, mitWiderwillen und Ueberdruss wendet man sich von der Gegenwart hinweg, und fiihlt sich durch die Resultate der bisherigen Entwicklung so wenig Die Reformation und das Wesen des Protestantismus. befriedigt, dass man, statt vonvarts zu gelien, sich riickwarts vvendet, und in diesem riickwarts gerichteten Streben niclit weit genug zuruckgreifen zu konnen glaubt, urn gleichsam einen ganz neuen Anfang zu inachen. Die Reformation will ja, wie wenn es ihr jetzt erst klar geworden ware, dass die gauze Gestaltung der Kirche auch im Dogma nichts Anderes als eine grosse Yerirrung sei, in die alteste Zeit zuriickgehen, und aus der Urquelle des Evange- lium das Dogma erneuern. Vergeblich aber ist es, eine einmal ent- schwundene Form des Bewusstseins in derselben Gestalt, in welcher sie schon einmal da war, in’sDasein zuruckzurufen; die Reformation kann, ungeachtet ihresNamens, schon wegen des Gegensatzes, durch welchen sie liervorgerufen wurde, nur der Fortschritt zu einem neuen Princip sein. Es ist mit Einem Worte das Princip des Pro¬ testantismus, das jetzt in seinem Gegensatze zu dein des Katholi- cismus hervortritt, und eine immer defer eingreifende Maclit ge- winnt. Die Aufgabe muss daher vor Allem sein, sich der Bedeutung dieses Princips in seinem ganzen Umfang bewusst zu werden. Wie es im Gegensatz gegen den Katholicismus in’s Dasein getreten ist, so kann auch, was es wesentlieh ist, nur aus diesem Gegensatz begrilfen werden. Dein Anspruch des Katholicismus gegenliber, die Eine absolute, liber jeden Widerspruch erhabene Wahrheit zu sein, kann die Entstehung des Protestantismus nur als ein Akt der freien Selbstbestimmung gedacht werden, welcher die hochste geistige und sittliche Energie voraussetzt. Was auf der einen Seite die Losreis- sung und Befreiung von einer schlechthin bindenden, das gauze re¬ ligiose Leben beherrschenden Macht ist, ist auf der andern die Con- stituirung einer neuen Form des Bewusstseins, die das Princip, durch das sie in’s Dasein trat, nur in sich selbst hat. Hat der Katholicismus seine Bedeutung in einem System, in welchem der Einzelne fur sich selbst nichts, sondern alles, was er ist, nur in derEinheit des Ganzen ist, von welchem er getragen und gehalten wird und in welchem sein eigenes Selbst nur ein verschwindendes Moment eines allge- meinen Gesamintbewusstseins wird, so hat dagegen der Protestan¬ tismus den Quellpunkt seines Ursprungs inderTiefe des individuellen Selbstbewusstseins, in dem Ernste der Selbstbetrachtung, in welcher man in sich selbst zuriickgeht, und sich in sein eigenes unmittel- bares Selbstbewusstsein vertieft. Der allgemeinste Unterschied, auf welchen der Gegensatz des Katholicismus und Protestantismus zu- 18 B a u r , Dogmengeschichte* 2U Drittc Hauptpcriode. §. 91. ruckzufuhren ist, ist daher das verschiedeneVerhaltniss, in welchem das Aeussere und Innere der Religion zn einander gesetzt vverden kdnnen. So ausserlich der Katholicismns ist, so innerlich ist der Protestantismus. Sein ganzes Streben gelit dahin, das was sich im Katholicismns von der innern Gesinnung abgeldst hat, und etwas rein ausserliches geworden ist, oder statt ein bios untergeordnetes, rein verrnittelndes Moment zu sein, zu einer eigenen selbststandigen Bedeutung sich erhoben hat, auf das urspriingliche Princip, in wel- cliem es allein seine Wahrheit und Realitat hat, zuriickzufiihren. Der Aeusserlichkeit des Katholicismns gegeniiber ist der Grundge- danke des Protestantismus der unbedingte Werth der religiosen Ge¬ sinnung im Untersehied von allem Aeussern, dielleberzeugung, dass es in der Religion in letzter Beziehung nur auf das Innere des Wil- lens und Gemiiths, nur auf die personliche Frommigkeit des Einzel— nen ankonnne, alles Aeussere dagegen nur insofern einen Werth babe, als es auf die reclite BeschafTenheit des Innern zuriickwirkt, oder von ihr bewirkt wink Alles muss bier erst durch die eigene Selbstthatigkeit des Menschen vermittelt werden, der sich seiner selbst als bines freien sich selbst bestimmenden sittlichen Subjects bewusst ist, und in dem Bewusstsein, dass es sich urn sein eigenes tiefstes und innerstes Iuleresse handelt, es auch weiss, dass ihm nichts die Gewissheit seines Heils geben kann, was er nicht mit der eigenen freien Zustimmung seines innersten Selbst als den Grund seines Heils erkennt. In diesem Sinn ist das Princip der Subjectivitat, die Autonomic des selbstbevvnssten Subjects, das Princip des Pro¬ testantismus, aber es ist diess nur die eine Seite seines Wesens, die subjective, welcher eine nicht minder wesentlich zu ihm gehorende objective gegeniibersteht, auf welcher der Mensch in allem, was sein Ileil betrifft und zum Inhalt seines religiosen Bewusstseins ge- hort, sich ebenso unbedingt von Gott und der gottlichen Gnade ab- hangig weiss, als er auf der andern Seite alles in seine eigene freie Subjectivitat gestellt sieht. Freiheit und Abhangigkeit, Selbstthatig¬ keit und absolute Bedingtheit machen auf gleiche Weise das Wesen des Protestantismus aus, und auf keinem andern Punkt seiner Ge- schichte zeigte sich so klar, wie eng und wesentlich diese beiden Elemente zusarnmengehoren und in einander eingreifen, als in der Epoche seiner Entstehung, in welcher der grossten Bethatigung der Energie des Selbstbewusstseins die unbedingteste Anerkennung der Die Reformation und das Wesen des Protestantismus. Abhangigkeit von der alles bestimmenden Causalitat Gottes zur Seite ging. Da die beiden Elemente seines Wesens ihrem Begriffe nach einen Gegensatz bilden, dessen Ausgleichung in einer hohern, beide auf gleiche Weise in sicli begreifenden Einheit als ein erst zu losen- des Problem in unendlich weiter Feme liegt, so kann liberhaupt das Wesen des Protestantismus nur als eine in fortgehender Losung be- griffene Aufgabe aufgefasst werden. Jede Form, in welche er den Inhalt seines religiosen Bewusstseins bringt, ist ihm immer nur ein neuer Versuch, die beiden Elemente und Principien, von welchen keines von dem andern lassen kann und doch jedes das andere von sich abzustossen und auszuschliessen scheint, so viel moglich auf den seiner Idee adaquaten Ausdruck zu bringen, und da jeder Versuch dieser Art immer wieder nach der einen oder andern Seite hin einen Punkt offen lasst, auf welchem die beiden Principien Zu keiner voll- kommenen Einheit zusammengehen, sondern das eine gegen das andere verkiirzt erscheint, so sieht sich das unbefriedigte Bewusst- sein dadurch immer weiter getrieben, und die Losung seiner Aufgabe entriickt sich ihm mehr und mehr in eine unendliche Feme. Wie der Zwiespalt, in welchem die beiden Principien ungeachtet ihrer innern Zusammengehorigkeit zu einander stehen, die Ursache war, dass der Protestantismus gleich anfangs in zweiFormen sich spaltete, so ist derselbe Conflict und die Nothwendigkeit, immer wieder an der Losung derselben Aufgabe zu arbeiten, liberhaupt das bewegende Princip der ganzen Entwicklungsgeschichte des Protestantismus, und man kann in den innern Gang derselben nicht tiefer eindringen, wenn man nicht alle wichtigen Erscheinungen vor allem darauf ansieht, wie sie sich zu jenem Problem und seiner Losung verhaltem Dem Protestantismus kann so in jedem Fall die Losung seiner Aufgabe nur auf dem weitenWege eines durch unendlich vieleMomente hin- durchgehenden Processes gelingen, und es ist daher nichts irriger und verfehlter, als die Meinung, sein Wesen lasse sich aus dem enger oder weiter abgegrenzten Kreise seiner ersten Erscheinung, aus den sogenannten Quellen desselben, begreifen. Man versuche es nur, ilm auf eine bestimmte Sphare von Erscheinungen abzu- schliessen, was man aucli fixiren mag, um ihn in seinein wahren Wesen aufzufassen, erscheint sogleich als eine seiner Natur wider- streitende Schranke, welche er selbst wieder aufhebt, um sich ein freieres und weiteres Gebiet seiner Entwicklung zu erstreben. Wie 18 * 276 Dritte Hauptperiode. §. 91. der Unterschied der beiden Formen, in welchen er zuerst auftritt, je genauer und scharfer er in’s Auge gefasst wird, nur uni so mehr auf einen tiefer liegenden Grund der Dilferenz zuriickweist, so kann man auch schon von dem Kreise seines Ursprungs Erscheinungen nicht ausschliessen, welche, so wenig sie auch in der ersten Zeit als ebenburtige Zvv eige des achten Staimnes anerkannt wurden, dock in der Folge durch die gescliiclitliclie Bedeutung, die sie erhielten, deutlich genug zu erkennen gaben, dass auch sie derselben Wurzel entsprossen seien. Auf dieselbe Weise iiisst sicli auch in der Folge in der weitern Entwicklungsgeschichte der protestantischen Tlieo- logie nirgends eine bestimmte Grenze ziehen, bei welcher man mit derBehauptung stehen bleiben musste, bier habe derProtestantismus sich selbst uberschritten, und sicli in Erscheinungen verloren, welche den Charakter des Protestantismus schlechthin verlaugnen, und den geschichtlichenFaden seiner naturliehen Entwicklung nicht mehr er¬ kennen lassen. In dem lebendigen Zusammenhang seiner Entwick- lungsformen, in welchem inimer vvieder ein Moment an das andere sich anschliesst, und auch die heterogensten, scheinbar so weit aus- einanderliegenden Erscheinungen dadurch von selbst in ilire natur¬ lichen Grenzen zuriickgevviesen werden, dass sie nur als Momente einer nie vollig in sich abgeschlossenen, sondern inimer vveiter fort- schreitenden Bewegung zu begreifen sind, kann sich als Besullat der ganzen Betrachtung nur die Ansicht aufdringen, der Protestan¬ tismus sei ein einer unendlichen Entwicklung fahiges Princip, dessen Eigenthumlichkeit urn so tiefer und richtiger erkannt wird, je weni- ger es auf bestimmte Grenzen beschrankt wird. Es gilt diess haupt- sachlich auch von dem Verhaltniss, in welches im Laufe der dritten Hauptperiode die Theologie und die Philosophie mehr und mehr zu einander zu stehen kommen. Wie es erst der Protestantismus war, welcher der Philosophie den Boden ihrer freiern Entwicklung sicherte, so erscheint nun auch die Philosophie seit dem neuen Auf- schwung, welchen sie nahm, so eng mit der Theologie verkniipft, dass eine Theologie, welche sich der Einwirkung der Philosophie entziehen wollte, ebendamit ihren protestantischen Charakter ver¬ laugnen wiirde. Kann somit zwischen der Philosophie und der Theo¬ logie keine bestimmte Grenzlinie gezogen werden, greift so iiber- haupt Alles, was zum Inhail der Periode gelidrt, auf’s engste in einander ein, so zeigt sich das Charakteristische derselben auch da- Die Reformation mid das Wesen des Protestantismus. 277 durch, dass zwischen den beiden Absclinitten, in welclie sie aretlieilt wird, rnelir nur ein fliessender Unterschied stattfindet, indem niclits fixirt vverden kann, was auf einein einzelnen bestimmten Punkte so hervortrate, dass os eine neueEpoche fur dieTheoIogie bezeiclmete. Blickt man von alien diesen Bestimmuno-en auf den Punkt zuriick, auf welchem der Protestantismus vom Katholicismus sich trennte, so erscheint der letztere als der gerade Gegensatz des ersteren. Der durch die Reformation in der Einheit der Kirche ent- standene Biss musste von selbst auf den dem alten traditionellen Dogma treu bleibenden Theil der Kirche selir durchgreifend zuruck- wirken. Die alte Kirche sail sich gendthigt, sich selbst liber ihre Stellung zu einer religiosen Gemeinschaft, die sie ebensowenig an- erkennen als mit Gewalt unterdriicken konnte, Rechenschaft zu geben. Sie that diess auf der Tridenliner Synode, auf welcher sie zwar auch den ganzen iiberlieferten Lehrbegriff einer priifenden Revision unterwarf, aber nur mit dem von Anfang an beabsichtigten Resultat, der Yerneinung der Protestanten gegeniiber urn so ent- schiedener auf der Bejahung alles dessen zu beharren, wovon sich die Protestanten aus dem Grunde losgesagt hatten, weil sie in ihrem religiosen Bewusstsein keinen Anknupfungspunkt fur dasselbe rnelir finden konnten. Im Gegensatz gegen das protestantische Princip des freien, von der Auctoritat sich emancipirenden Selbstbewusst- seins und der immanenten, in der reineren Erkenntniss der Wahr- heit stets fortschreitenden Bewegung des Dogma konnte die katho- lische Kirche nur*das reine Auctoritatsprincip sanctioniren, vermoge dessen sie sich schlechthin verneinend gegen alles erklarte, was die von ihr gezogenen Grenzen zu iiberschreiten droht. Gibt es daher auch noch eine Bewegung auf dem Gebiete des katholischen Dogma, so haben alle Erscheinungen dieser Art wenigstens kein dogmatiscbes, sondern nur ein kirchliches Interesse, sofern an ihnen nur zu sehen ist, wie sich die Kirche mit ihrer absolut gebietenden Macht zu ihnen verhalt. Wie die katholische Kirche in ihren Tri- dentiner Decreten und Kanones nur den iiberlieferten Lehrbegriff fixiren und in ihm fiir alle Zukunft abgeschlossen haben wollte, so blieb sie auch darin auf dem alten Punkt stehen, dass sie noch immer die katholische Kirche im alten absoluten Sinn zu sein meint, wiihrend sie doch durch den neben ihr bestehenden Protestantismus thatsachlich auf die Stufe eines Gegensatzes herabgesetzt ist, in 278 Dritte Hauptperiode. §. 91. welchem sie selbst nur als Partei einer andern Partei gegeniiber- steht. Die Selbsttauschung, in welcher der Katholicismus sich be- findet, liegt hier sehr klar am Tage, er legt mit seiner Behauptung, auch jetzt noch wesentlich zu sein, was in der That und Wahrheit nicht ist und nicht sein kann, nur dasGestandniss seiner Unfahigkeit ab, der liber ihn hinausgegangenen Bewegung des Dogma zu folgen, und die Dogmengeschichte kann daher, soweit sie noch auf das katholische Dogma Riicksicht zu nehmen sich veranlasst sieht, nur den Widerspruch nachweisen, aus welchem der Katholicismus in seinem Gegensatz zum Protestantismus nicht rnehr herauskommen kann. Dritie Ilatipiperiode. Erster Abschnitt. Von der Reformation bis zum Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. Einleitung. §. 92 . Der Iluterscliiert des lutlierisclieu und des reformirten. Kielirlteg’rilfs* Sobald der Protestantisinus in die enger begrenzte Sphare sei¬ nes geschichtlichen Verlaufs eingetreten war, spaltete er sich in dem lutherischen und reformirten Lehrbegriff in einen Gegensatz, in welcbem jede der beiden ilm bildenden Seiten die gleiche Berechti- gung fiir sich zu haben schien. Da sich die ersle Differenz der An- sichten zwischen Luther auf der einen, Zwingli und Calvin auf der andern Seite in der Lehre vom Abendmahl herausstellte, so scheint der Unterschied der beiderseitigen Lehrbegriffe zunachst nur darin zu bestehen, dass man auf der reformirten Seite in der Opposition gegen das katholische Dogma viel weiter zu gehen geneigt war, als auf der andern, wo Luther’s Vorstellung vom Abendmahl in dem- selben Verhaltniss, in welcbem sie das Geprage seiner subjectiven Eigentbumlicbkeit erbielt, aucb der katboliscben Anscbauung naher blieb. Als man aber in der Folge in der lutherischen Kirche auch mit der reformirten Pradestinationslehre immer weniger einverstan- den sein konnte, als diess anfangs der Fall war, so zeigte sich jetzt erst, dass der Grund der divergirendenRichtungen weit tiefer liege, als bios in der verschiedenen AulTassung der Lehre von den Sacra- menten. Wenn man auch auf beiden Seiten von demselben zur Grundanschauung des Protestantisinus gehorenden subjectiven Se- ligkeitsinteresse ausging, so erbielt docli nach Maassgabe der beiden 280 Dritte Hauptperiode, erster Abschmtt. §. 92. Elemente, die im Wesen des Protestaniismus immer zu unterschei- den sind,jedes der beiden Systeme dadurch einen wesentlich andern Charakter, dass in dem einen der Schwerpunkt des religiosen Be- wusstseins ebenso iiberwiegend anf die objective Seite fie], wie man dagegen in dem andern sicb vor allem nur an die subjective batten zu konnen glaubte. Wie der Lutberaner seine hochste Heilsberuhi- gung nur in dem rechtferti gend en Glauben finden kann, so glaubt dagegen der Reformirte seiner Seligkeit niclit gewiss sein zu kon¬ nen, wenn er sie nicht in dem absoluten Decret der Erwahlung un- abanderlich bescblossen und auf ewig geborgen weiss, und die na- tiirliche Folge bievon ist, dass in einem solctien auf den absoluten Standpunkt der Gottesidee sicb stellenden System der ganze Inlialt sicb anders gestalten muss, als diess sonst der Fall sein wiirde. Schon darin liegt, dass das eine d<*r beiden Systeme ebenso sehr einen subjectiven Charakter bat, wie das andere einen objectiven. Wie in dem einen alles an der absoluten Causalitat Gottes hangt, so halt sich das andere an das Princip der Freiheit. Da aber auf pro- testantischem Standpunkt das Princip der Freiheit immer nur soweit seine Stelle findet, als mit ihm die Unbedingtheit der Gnade zusam- menbestehen kann, so bildet den eigentlichen Gegensatz zu dem Determinismus des reformirten Systems nicht das lutherische,' son- dern das lutherische steht vielmehr in der Mitte zwischen der re¬ formirten und einer andern auch noch mdglichen Form des Prote- stantismus, welche dem Princip der Freiheit noch mehr einraumt, und in der protestantischen Kirche selbst iliren altesten Vertreter in Melanchthon hat. Yon diesem Gesichtspunkt aus klassificiren sich die hier in Betracht kommenden Systeme dem Katholicismus gegen- iiber auf folgende, Weise: Das eigentliche protestantische Gegen- stiick zum Katholicismus ist der Calvinismus, und zwar gerade in derjenigen Lehre, die zwar gleich anfangs die gemeinsame Grund- ansicht der Beformatoren war, im Calvinismus aber allein svstema- tisch durchgefuhrt worden ist. Das ganze System der Abhangigkeit des Einzelnen von einer ihn in seinem Wollen und Thun schlechthin bestimmenden Macht, das der Katholicismus in seiner Lehre von der Kirche aufstellt, kmipft der Calvinismus an sein absolutes Decret. Wie dort in der Kirche, so liegt hier in.dem Decret alles Selig- machende und Heilbewirkende. Wie im Katholicismus alle Heils- vermittlungen zu ihrer absoluten Yoraussetzung die Macht der Kirche Der Unterschied des lutlierischen und des reformirten Lehrbegriffs. 281 haben, in welcher an sicli schon das ganze Heil des Menschen be- schlossen liegt, so greift im Calvinisnius auf jeder Stnfe der Heils- ordnung nnr wieder dasselbe absolute Decret in einer neuen Form ein. Der Unterschied ist nur, dass der katboliscbe Absolutismus der aussern sichtbaren Kirche in das Wesen Gottes selbst gesetzt, und in dem absoluten Decret zu einer immanenten Bestimmung des gott- lichen Willens gemacht wil d. Den geraden Gegensatz zum Calvi- nisrnus bildet der sogenannte Philippismus, dessen Princip die sitt— liche Freiheit ist. Der Grundsatz des Protestantismus, dass es fiir den Menschen niclits Heilbewirkendes gibt, das niclit durcb die Selbstthatigkeit und Selbstbestimmung des Menschen vermittelt wird, kommt bier zu seiner vollen Anwendung. Wenn aucli dadurcb der Unbedingtheit der gottlichen Gnade niclits vergeben werden soil, so kann es dock der Natur der Sacbe nacb nicht anders sein, als dass, je hbher die Freiheit gestellt wird, urn so rnebr die Gnade von Hirer absoluten Bedeutung verliert. Zwischen diesen beiden entgegenge- setzten Standpunkten aber gestalten sich die beiden Systeme in alien, die kirchlictieHeilsvermittlung betreffenden Leliren auf analoge Weise, und es ist insbesondere in der Lebre von den Sacramenten eitie solcbe Uebereinstimmung zwischen der lnelanchtlionischen Lebre und der calvinischen, dass man ihre Verwandtschaft nur als Krypto- calvinismus bezeichnen zu konnen glaubte, obgleich beide von ganz verschiedenen Standpunkten in diesem Gemeinsamen zusammen- tretfen. Je entscbiedener das Princip des Heils entweder objectiv, wie von Calvin, in den absoluten, alles vorausbestimmenden Willen Gottes, oder subjectiv, wie von Melanchthon, in die Selbstbestim¬ mung des Willens und in die Energie, mit welcher der Glaube die dargebotene gottliche Gnade ergreift, gesetzt wird, um so gewisser kann alles dazwischen Liegende nur die untergeordnete Bedeutung eines rein vermittelnden Moments liaben, es kann nur ausserlich versinnliclien und bekraftigen, was an sicb schon vorhanden ist, und seine heilskraftige Realitat ganz anderswo hat, als in den aussern Gnadenmitteln. Was nun den lutlierischen Lehrbegriff und sein Ver- haltniss zu den beiden andern, dem calvinischen und melanchthoni- schen, betrifft, so kann ihm, wie er schon zwischen dem Calvinis- mus und Katholicismus in der Mitte steht, so aucli zwischen jenen beiden Systemen nur die mittlere Stelle angewiesen werden. In dem mittleren Gebiet, das zwischen dem Calvinisnius auf der einen, und 282 Dritte Hauptperiocle, crster Abschnitt. §. 92. dem Philippismus auf dcr andern Seite liegt, hat die menschliche Freiheit, deren Minimum wenigstens das lutherische System nicht fallen lassen will, ebensosehr ihre Schranke an der Unbedingtheit der gottlichen Gnade, als diese selbst an dem unverausserlichen Recht der Freiheit und Subjectivitat des Menschen. Urn aber eine solche Schranke zu sein, muss dieses Mittlere in sich selbst soviel Festigkeit und Consistenz haben, dass es nach beiden Seiten bin seine vermittelnde Bedeutung behaupten kann. Diess kann nur durch die Objectivitat der Gnadenmittel geschehen, die nur sofern sie das Gottliche nicht bios fur die subjective Vorstellung, sondern an sich, objectiv und substanziell enthalten, dasselbe dem Menschen so nalie bringen, dass es in unmittelbarer Beziehung zu ihm steht, und doch die absolute Causalitat so beschranken und ermassigen, dass sich der Mensch nicht bios leidend zu ihr verhalt. Die Sacramente sind so, lutherisch betrachtet, auf der einen Seite ebensosehr eine Biirg- schaft fiir die unmittelbare Gegenwart der gottlichen Gnade, als auf der andern ein schiitzendes Medium gegen die verzehrende Allge- walt der gottlichen Causalitat. Indem das lutherische System der Subjectivitat des Menschen nur so weit Raum gestattet, als sie an der Objectivitat der Gnadenmittel erst ihre Haltung und Consistenz gewinnen kann, ist es der Begriff der Gott gegeniiber auf sich selbst beschrankten und in sich gekehrten, aber in dieser Abstrac¬ tion von allem, worin das Subject nicht das reine Bewusstsein seiner selbst hat, nur urn so intensive!* festgehaltenen Subjectivitat, wo- durch der lutherische Lehrbegrilf von dem refonnirten sich unter- scheidet. Diess ist der lutherische Begriff des Glaubens, in welchem, wenn er auf der einen Seite ebenso eine Wirkung der gottlichen Gnade sein soli, wie auf der andern der innerste Akt der mensch- lichen Selbstthatigkeit, Gottliches undMenschliches sich in derWeise zur realen Einheit durchdringen, wie diess uberhaupt der Charakter des lutherischen Lehrbegriffs ist, und wie insbesondere auch die lutherische Lehre von der Person Christi, in ihrem Unterschied von der refonnirten, einen solchen Centralpunkt der Einheit des Gott— lichen und Menschlichen, des Endlichen und Unendlichen bildet. Je mehrere solcher Momente eines realen Vermittlungsprocesses das lutherische System in das Verhaltniss zwischen Gott und den Men¬ schen hineinstellt, uin so charakteristischer unterscheidet es sich von dem refonnirten, dessen absolutes Decret jcde reale Heiisver- Der Unterscliied des luther. und des reform. Lehrbegriffs. 283 mittlung iiberfliissig zu machen scheint. Es ist ja in ilnn voraus schon alles so entschieden, dass in der executio decreti aeterni sich nur fiir die aussere Erscheinung noch herausstellt, was an sich ein mit Einem Male abgelaufener, oder eigentlich ein an sich nicht ein- mal eines aussern Yerlaufs bediirfender Process ist. Gleichwohl kann man nicht behaupten, dass das System in der Form des ein fur allemal Fertigen jede reale Vermittlung vollig aufhebe. Kann auch die ganze Reihe der Thatsachen und Anstalten zum Beil des Men- schen nicht das zum Gegenstand haben, dass das Heil erst bewirkt wird, weil es ja an sich schon in seiner vollen Realitat im Rath- schluss Gottes enthalten ist, so muss doch das gottlich Geschehene auch ein menschlich Gewusstes werden, das an sich Seiende auch fur das Bewusstsein sein und daher auch fiir das Bewusstsein ver- mittelt werden. Diess ist dieBedeutung, die die ganze Offenbarungs- und Heilsgeschichte fiir das calvinische System hat; kein anderes legt so grosses Gewicht auf die Lehre von der Heilsgewissheit. Sie ist die innerste subjectivste Spitze, in welcher das System der ab- soluten Predestination sich abschliesst. Es muss nicht bios das an sich Seiende auch ein subjectiv Gewusstes sein, sondern es kann auch, wenn das protestantische Subjectivitatsprincip gegen die reine, von aller menschlichen Mitwirkung unabhangige Objectivitat des gottlichen Rathschlusses nicht zu sehr zuriicktreten soil, dem Ab- soluten der Predestination auf der subjectiven Seite nur eine urn so intensivere Heilsgewissheit in dem Bewusstsein der erwahlten Sub— jecte entsprechen. Auch in dieser Beziehung bildet das reformirte System den geraden Gegensatz zum katholischen, das, urn nur dem Selbstbewusstsein des Einzelnen keinen Punkt einzuraumen, der ihn auf absolute Weise derBevormundung der Kirche entriicken wiirde, die absoluta et infallibilis certitudo des donum perseverantiae sogar mit einem Anathema belegt Das lutherische System halt auch hier mit seinem auf die geschichtliche Thatsache der Erlosung ver- trauenden Glauben die Mitte zwischen den beiden andern, dem transcendenten Idealismus des einen und dem ausserlichen Realismus des andern. So stellen sich uns in alien diesen Systemen, wenn wir sie auf den principiellen Grund ihres Unterschieds zuriickfiihren, 1) Canones et dccreta cone. Trick Scss. VI. can. 16. 284 Dritte Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 93. ebenso viele wesentlich verscliiedene theologischeGrundanschauun- gen dar §. 93 . Der iocinianiiiiiiiisi. Auf deinselben Boden des vom Auctoritatszwang des alien tra~ ditionellen Glaubenssystems sicli emancipirenden Selbstbewusstseins ■ .... <8 1) Das Verlialtniss des lutherisclien und des reformirten Lehrbegriffs ist seit der anregenden Abhandlung Schneckenburger’s fiber die orthodoxe Lehre von dem doppelten Stande Christi, nach lutherischer und reformirter Fassung, in den Theol. Jahrb. 1844. S. 213 f. und S. 476 f. (sie erschien auch als eigene Scbrift im Jahr 1848), und dem Werke A. Schweizer’s, die Glaubenslehre der evangelisch - reformirten Kirche, 1. Bd. 1844., 2. Bd. 1847., Gegenstand viel- seitiger Untersuchungen geworden. Man vergl. meine Abbandlungen in den Tbeol. Jahrb. 1847. S. 309. f.: Ueber Princip und Charakter des Lehrbegriffs der reformirten Kirche in seinem Unterschied von dem Iutherischen mit Rfick- sicht auf A. Schweizer’s Darstellung der reformirten Glauhenslehre; 1848. S. 419 f.: Noch ein Wort fiber das Princip des reformirten Lehrbegriffs; 1855. S. 1 f.: Das Princip des Protestantismus und seine geschichtliche Entwicklung, mit Rficksicht auf die neuesten Werke von Schenkeu, Schweizer, Herpe und die neuesten Verhandlungen fiber die Unionsfrage; die Abhandlungen von Schneckenburger in den Theol. Stud, und Krit. 1847. S. 947. f., in den Theol. Jahrb. 1848. S. 71 f.: die neuern Verhandlungen betreffend das Princip des reformirten Lehrbegriffs.; die von E. Guder aus dem Schneckenburger’schen Nachlass herausgegebene Vergleichende Darstellung des Iutherischen und re¬ formirten Lehrbegriffs 1855.; ferner die Abhandlungen, die Schweizer, neben dem Hauptwerke, die protestantischen Centraldogmen in ihrer Entwicklung innerhalb der reformirten Kirche 1854 und 1855, in den Theol. Jahrb. erschei- nen liess, 1848 S. If.: Nachwort zur Glaubenslehre der evangelisch-reformir- ten Kirche, und 1856 S. 1 f. und S. 163 f. fiber Schneckenburger’s Verglei¬ chende Darstellung des Iutherischen und reformirten Lehrbegriffs. In der letztern Abhandlung hat Schweizer die Behauptung Schneckenburger's, dass, weil die subjective Erfahrung ffir sich nie ein sicheres lvennzeichen sein konne, die reflektirendeRichtung des Selbstbewusstseins zur Nothwendigkeit, sich des Glaubens durch Werke bewusst zu werden, und weil die Erprobung erst mit dem Lebensende, dem Beharren bis an’s Elide, geleistet ware, auf die Predestination zurfickgefuhrt habe, die Idee derselben somit nur secundar und hfilfsweise zu einer schon fertigen Reflexion des Subjects hinzugekommen sei, als eine unbe- rechtigte und der Natur des reformirten Systems widerstreitende sehr treffend nachgewiesen. Wenn aber auch Schneckenburger’s Analyse des reformirten Selbstbewusstseins eine gar zu subtile und darum verfehlte ist, so bleibt doch als Grund der Pvadestinationsidee die Reflexion stehen: weil derMensch seines Heils nicht gewiss sein kann, wenn es nicht auf ewige Weise inGott gegrfindet ist, so kann das Heil eines Jeden nur auf einem ewigen Rathschluss Gottes beruhen. Der Socianismus. 285 trat auch der nach denbeiden Socinen, Lalius und Faustus, benannte Socinianismus auf 1 )- So nahe er aber in seinem Ursprung der Refor¬ mation und den beiden protestantischen Systemen, dem lutherisclien und reformirten, stand, wurde er dock nicht als denselben eben- biirtig betrachtet, da er von einem ganz andern Punkte des reli- giosen Bewusstseins ausging, und seine Opposition gegen Dogmen richtete, die auch in der Ansicht der Reforrnatoren noch ihr altes unerschiittertes Ansehen behaupteten. Der Hauptanstoss, vvelchen der Socinianismus an dem kirchlichen System nalim, lag in den Lehren von der Gottheit Christi, der Trinitat und der Menschwerdung Got- tes. Die Socinianer bestritten sie mit Griinden, die weiter fiihrten, als sie sick selbst bewusst waren. Das ganze transcendente Gebiet des orthodoxen Dogma lag sckon so selir ausserhalb ihres Gesichts- kreises, dass sie das Wesen der Religion iiberhaupt in das unmit- telbar Praktiscke setzten, in das sittlich religiose Handeln, als die Bedingung einer Seligkeit, deren Idee nur ein sehr subjectives, pa- thologisch menschlickes Gliickseligkeits-Interesse zu Grunde lag. So unprotestantisch damals nock ihre Ansickten und Grundsatze zu sein sckienen, so gross war gleickwokl der Einfluss, welchen sie durch ikre gewandte und scharfsinnige Dialektik, und ihre, wenn auch nicht vorurtkeilsfreie, dock uberall neue Wege versuchende Exegese auf die spatere Umgestaltung des protestantischen Lehrbe- griffs erkielten. Die grdsste Eigenthumlichkeit ihres Systems ist, dass es auf der einen Seite ebenso rationalistisch, als supranatura- listisch auf der andern ist, und zwar ist es schon ganz der vom al- ten orthodoxen System so verschiedene Supranaturalismus, welcher hier, wie mit Reclit gesagt worden ist, mit dem Rationalismus noch in einer gemeinsamen Wiege zusammenliegt. §. 94 . Uie ftCaitwickiuiig' des protestaaatisclaeaa Pi'incip§ inuerlialla der Iutlierisclieai Jilrelie. Der lutherische Lehrbegriff ging in der ersten mit der Con- cordienfonnel sich abschliessenden Periode seiner Entvvicklungs- gescliichte durch eine Reihe von Controversen hindurch, deren 1) Fock, der Socinianismus, nach seiner Stellung in der Gesammtent- wicklung des christlichen Geistes, nach seinem historischen Yerlauf und nach seinem Lehrbegriff. 1847. Vgl. die Lehre von der Dreieinigk. 3. S. 104. f. Dritte Hauptperiode, erstcr Absclmitt. §. 94. 286 Entscheidung in der genannten Formel ihm erst die scharfer be- stimmte Form gab, durch welche er sich seitdem von alien andern neben ihm bestehenden Lehrsystemen unterschied. So verschieden dem Namen nacli alle jene Controversen sind, welche in der anti- nomistischen, adiaphoristischen, majoristischen, synergistischen, osianderischen, kryptocalvinistischen Streitigkeit in raschem Wech- sel auf einander folgten, und so sehr es in der Natur der Sache lag, dass ein so wesentlich neues Princip, wie das des Protestantismus, erst durch verschiedene Gegensatze sich hindurcharbeiten musste, urn sich durch genauer formulirte Bestimmungen in seiner Eigen- thumlichkeit festzustellen und abzugrenzen, so zieht sich doch durch alle jene Controversen und Streitigkeiten ein Hauptgegensatz hin- durch, der sich nur auf den Unterschied zuruckfiihren lasst, wel- cher schon urspriinglich in der Individualist Luther’s und Me- lanchthon’s und der dadurch bedino-ten Verschiedenheit der Lehr- weise stattfand. Schon in den ersten, von Melanchthon im Namen der protestantischen Partei verfassten Bekenntnissschriften gibt sich daher deutlich die Neigung kund, die strenge Form, in welcher der urspriingliche Lehrbegriff sovvohl gegen alles, was in derLehre von der Gnade als katholischer Pelagianismus bezeichnet werden konnte, als auch gegen die reformirte Abendmahlslehre, nachdem man sich einmal zu dieser in ein so abstossendes Verhaltniss gesetzt hatte, sich abschloss, so viel moglich zu mildern. Dieselbe Bichtung machte sich sodann in der zweiten Ausgabe der augsburgischen Confession, der sogenannten Variata, in dem Synergismus, zu welchem sich Melanchthon und seine Schuler offen bekannten, und in der Ent- schiedenheit, mit welcher von den Wittenberger Theologen die spe- cilisch lutherischen Bestimmungen der Abendmahlslehre zuruckge- wiesen wurden, auf eine Weise geltend, die sehr natiirlich den Widerspruch aller derer hervorrief, in welchen der polemische Geist, mit welchem Luther sovvohl dem katholischen als dem ZwiNGu’schen Lehrsystem sich entgegengestellt hatte, in seiner vollen Energie noch fortlebte. So wohl berechtigt daher auch der sogenannte Phi— lippismus in dogmatischer und geschichtlicher Beziehung sein mag, es kann nur als die natiirliche F’olge des Entwicklungsganges des protestantischen Princips angesehen werden, dass er sich gegen die ihm gegeniiberstehende Richtung nicht behaupten konnte. Die Con- cordienformel glaubte ihrFriedens- und Eintrachtswerk nur dadurch Die Entwicklung ties protest. Princips in tier hither. Kirche. 2S7 zu Stande zu bringen, (lass sie mit Ausscheidung aller melanchtho- liischen Elemenle und ausdrueklicher Yerdammung aller mit ilinen zusanunenhangenden Lehrgegensatze die nach ihrer Ansicht fiir acht lutherisch gehaltene Lehrform als die orthodoxe aufstellte *)• Die dogmatische Auctoritat, welche der Formel trotz des einseitigen Parteistandpunkts, welchem sie ihr Dasein verdankte, und des Wi- derspruchs, welcher* auch noch nach ihrer Annalnne sicli gegen sie erhob, beigelegt wurde, iibte nun auf die folgende Periode der Ge- schichte des lutherischen LehrbegrifFs einen sehr entscheidenden Ein- fluss aus. Es wurde nicht nur (lurch so strengformulirte Gegensatze das Verhaltniss der beiden protestantischen LehrbegrifFe schroffer und ausschliessender, es konntc auch innerhalb der lutherischen Kirche selbst nichts sich entwickeln, das nicht voraus schon deni Urtheil der Formel verfallen war, da es nur nach ihrer Norm ge- messen werden konnte. Wie schon die Formel einen in Thesen und Antithesen streng dogmatisch sicli aussprechenden und zwischen Haresen rechts und links diktatorisch hindurchschreitenden Charak- ter an sich tragt, so theilte sich derselbe engherzige, beschrankte, verketzerungssiichtige Geist den an sie sich anschlicssenden Theo- logen mit, und je mehr es nun nur noch darauf anzukommen schien, den in der Formel aufgestelltenMaasstab der Orthodoxie auf alle ge- gebenen LehrdiiTerenzen anzuwenden, sie nach bestimmten Kate- gorien zu klassificiren, und dadurch den lutherischen Lehrbegriff nach alien Seiten hin abzuschliessen, uin so weniger konnte die Folge hievon etwas Anderes sein, als jener scholastische Formalis- mus, der das eigenthiimliche Geprage der lutherisc^pn Dogmatik des siebzehnten Jahrhunderts ist. So fest aber auch die (lurch die Con- cordienformel eingefiilirte Herrscliaft des Dogmatismus begriindet zu sein schien, so war doch das protestantische Princip (lurch sie 1) Welche Miihe es kostete, Luther und Mei.anchthon auf solche Weise, wie in der Concordienformel, hauptsachlich durcli J. Andrea’s diplomatische Geschaftigkeit und Geschicklichkcit, geschehen ist, von einander zu reissen, ist aus Herpe’s Gescliichte des deutschen Protestantismus, hesonders der mit dern 3. Ilande 1857 beginnenden Gescliichte der lutherischen Concordienformel und Concordie zu sehen. Es ist das Verdienst Heppe’s, den Philippismus als einc schon in ihrem Ursprung gleich berechtigte Form des deutschen Prote¬ stantismus nachgewiesen zu haben, nur hiltte Heppe das Verhaltniss des Phi¬ lippismus sowohl zum Lutherthum als zum Calvinismus antlers bestimmen sol- len, als von ihm geschehen ist. Vergk Theol. Jahrb. 1855. S. 71. f. 288 Drittte Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 94. nicht sosehr gebunden, dass sich nicht auch in dieser Periode das Streben geaussert hatte, die seine freiere Bewegung hemmende Schranke zu durchbrechen. Die bei weitem wichtigste Streitigkeit, welche im Laufe des siebzelmten Jahrhunderts die lutherischen Theo- logen, die grossen Systernatiker dieser Zeit, beschaftigte, war die synkretistische, deren Bedeutung darin besteht, dass sie nicht bios eine einzelne Lehrbestimmung, sondern das herrschende System im Ganzen betraf. Der Urheber derselben, G. Calixt, nimmt ebenda- durch eine so eigenthumliche Stellung unter den Theologen seiner Zeit ein, dass er gerade auf dem Punkt, auf welchem das herr¬ schende System sich vollends in sich selbst abschliessen und den Charakter der dogmatischen Infallibility annelnnen wollte, mit einem Widerspruch auftrat, welcher nur als eine Protestation gegen eine pratendirte Glaubensauctoritat angesehen werden konnte. Im Ge- gensatz gegen den in unendliche GlaubensdifFerenzen sich spalten- den Dogmatismus seiner Zeit wollte er in seinem studium concordiae auf das einfache apostolische Symbol, die Tradition der 4 oder 5 crsten Jahrhunderte, in eine Zeit zuruckgehen, in welcher das Ge- meinsame, worm allc noch einig sein konnten, fur sich schon zur Befriedigung des Seligkeitsinteresses zureichend zu sein schien. So einseitig und verfehlt es war, dass er, statt vorwarts zu streben, nur riickwarts sich wandte, auf eine Glaubensgemeinschaft und Ei- nigung in einer Form drang, in welcher er sein eigenes protestan- tisches Selbstbewusstsein verlaugnen zu iniissen schien, und so wenig er uberhaupt dem, was er ohne Zweifel eigentlich meinte und wollte, den rechftn Ausdruck zu geben wusste, so deckte sich doch auch so der Grundmangel auf, an welchem das herrschende System litt, dass es ihm in seiner dogmatischen Erstarrung noch ganz an dem lebendigen Bewusstsein des allgemeinen, unmittelbaren, iiber alle dogmatische und cotifessionell^ Diflerenzen hinausliegenden Grundes aller Religion und Theologie fehlte. Wenn auch der syn¬ kretistische Streit kein positives Resultat zuriickliess, so haben doch beide Theile in ihm sich an einander zerrieben. Je langer der Streit dauerte, urn so grosser wurde die Gleichgiiltigkeit gegen das or- thodoxe System, es verier immer melir seinen Kredit in der offent- lichen Meinung. DerWeg war schon einer neuen Form desBewusst- seins gebahnt, demPietismus, welcher nicht nur mit demSynkretismus die Antipathie gegen die poleinische Dogmatik theilte, sondern auch Die Entwicklung des protest. Princips innerhalb der ref. Kirche. £89 dieselbe Tendenz hatte, die allgemeine Grundlage alier positiven Dogmen und confessionellen Differenzen sicli zum Bewusstsein zu bringen, und durch die Vertiefung des religiosen Bewusstseins in das Allgemeine und Unmittelbare das praktische Interesse der Reli¬ gion und des Christenthums zu beleben 1 2 ). §. 95. Mile Ei&twicklitug des protestantisclieu JPi*iuci|js iinierlialli der reformirten lilrclie. Aehnlicher Art war der Gang in der reformirten Kirche. Nach- dem Calvin den Unterschied zwischen seiner und der ZwiNGu’schen Lehnveise durch treffend gewahlte Formeln ausgeglichen und dem Lehrsystem der reformirten Kirche das Geprage seines Geistes auf- gedruckt hatte, lag der Sehwerpunkt des Systems so iiberwiegend in dem einen der beidenFactoren, die nur in ihrer Einheit das Prin- cip des Protestantismus bilden, dass eine Reaction von der andern Seite nicht ausbleiben konnte. Dieselbe Bedeutung, welche in der lutherischen Kirche der Philippismus hat, kommt in der reformirten dem Arminianisinus zu, und wie dortdieConcordienformelessich zur besondern Aufgabe machte, das achte Lutherthum gegen die Gefahr des melanchthonischen Synergismus sicher zu stelien, so sollte bier die Dordrechter Synode einer dogmatischen Richtung be- gegnen, von welcher man nicht oline Grund den durchgreifendsten Eintluss auf das gauze System befurchtete. Erinnerte schon die Con¬ cordienformel an die Canones der tridentiner Synode, so stellte sicli noch mehr in der init alier Formlichkeit berufenen Synode, in der langen Reihe ihrer Sitzungen, ihrem inquisitorischen Verfahren und den Canones ihrer Beschlusse das achte Bild einer katholischenKir- chenversammlung dar. Darum war aucli hier die Folge dieselbe, wie in der lutherischen Kirche, dass nacli Ausstossung der freieren Lehrweise der unduldsame scholastische Orthodoxismus sich in der Kirche befestigte und seine Herrschaft immer weiter ausdelmte O- 1) Vergl. meinc Abhandlung iiber den Charakter und die geschichtliche Bedeutung des calixtinischen fSynkretismus, Theolog. Jakrb. 1848. 8. 183. 1. Henke, (4. Calixtus und seine Zeit. 1853. 2) Vergl. Schweizek, Centraldogmen 2. 8. 205.: ? ,Die Dordrechter Be- schliisse haben, was die Lutheraner 40 Jahre friiher durch ihre Concordien- formel sich angethan, der reformirten Kirche reichlich nachgeholt, Untei- 19 Baur, Dogmengeschiclite. 290 Dritte Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 95. Dogmatische Entwicklungen konnten nur so vveit noch stattfinden, als der streng scholastisch formulirte Lehrbegriff Milderungen zu- liess, die, je weniger ihm selbst dadurcb etwas vergeben werden sollte, in demselben Verhaltniss aucb nur um so unerheblicher sein konnten. Der wichtigste Versuch dieser Art ist die neue Lehrform, welche die reformirten Tbeologen in Frankreich in der ersten Halfte des siebzebnten Jahrhunderts der calvinischen Pradestinationslebre zugebensuchten, der sogenannte Amyraldismus, wiesienachih- rem Haupturbeber, dein Lehrer der Tbeologie in Saumur, M. Amv- raut, genannt wird. Bei aller Verscbiedenheit zvviscben dem Amy- raldismus und deni deutschen Synkretismus fand doch darin eine Analogie statt, dass dieselbe Gefahrdung des Grundprincips, welche die deutschen Theologen mit gutem Grunde im Synkretismus sahen, von den Reformirten aucb vom Amyraldismus befurchtet wurde, so wenig auch Amyraut einer solcben Tendenz sich bewusst gewesen zu sein scheint. Indem man aber die ganze saumurische Neologie im Amyraldismus zusammenbegriff, entstand daraus eine niclit ge- ringe Bewegung, in deren Folge das, was in Deutschland in dem Consensus repetitus gegen den Synkretismus versucht wurde, in der Formula consensus im J. 1675 wenigstens fiir die helvetischeKirche wirklich zu Stande kam. Nacli dem Amyraldismus war es noch der Pajonismus, welcher auf gleicbe Weise das orthodoxe System von seinem starren Absolutismus auf die entgegengesetzte Seite binuber zu drangen suclite, aber gleicbfalls gegen die schroffer als je aus- gebildete abstracte Goltesidee nicbts vermochte. Hiemit war nun aber »die scholastiscbe Orthodoxie auf ilirem Gipfel angelangt. Es konnte ein Weitergeben in dieser Richtung niclit mehr geben, ebenso wenig ein blosses Stillestehen. Es musste dahin koinmen, dass die bisher nur durcb Auctoritat, und zvvar eine sehr ausserliche, nie- dergehallenen oppositionellen Ansicbten endlich an die Stelle der unhaltbar gewordenen und veralteten vordrangen. Eine Regeneration driickung einer achtungswertheii freiern Glaubenslehre, Ausfiibrung des kirch- lichen Lehrbegrift's bis in’s theologische Schulsystem, Unterordnung des Glau- bens unter die Kechtglaubigkeit, Starkung des falschen Kirchenthums durch exclusiven Confessionalismus, schwieriges Verhaltniss zur protestantischen Schwesterkircke. Es musste sicli zeigen, wie lange eine solche Kirche noch die ihr entsprechenden Ueberzeugungen bei ihren Gliedern finden und eine ethische Lebensform bleiben kann.“ Die Construction des Systems. ^91 des Lehrbegriffs konnte nicht ausbleiben, diese Bewegung bildet die neue Entwicklungsphase des achtzehnten Jahrhunderts“ O- Fiir die jetzige Periode bleibt der Arminianismus die wichtigste Erscheinung. Er nimmt nicht nur in der reformirten Kirche dieselbe Stelle ein, vvie in der lutherischen der Philippismus, sondern stelit auch in der nachsten Verwandtschaft mit demSocinianismus. Das aus dem widernaturlichen Zwange des Pradestinationsdogma sich email- cipirende freie Subject machte nun urn so mehr sein voiles Recht geltend, und dem abstracten Dogmatismus des orthodoxen Systems trat ein theoretischer IndilFerentismus gegenuber, welcher, wie im Socinianismus, das hochste Interesse der Religion und des Christen- thums in das Praktische setzte. So wurde, vvahrend der alteste Pro- testantismus es sich zur wichtigsten Aufgabe machte, theils durch denGlauben im acht protestantischenSinn, theils durch das absolute Decret jede subjectiv menschliche Vermittlung des Erlosungsheils so viel moglich auszuschliessen, auf cine dem katholischcn System analogeWeise das Princip des religiosenLebens in das eigene Thun des Menschen und das werkthatige Handeln gesetzt. Bei aller Ein- seitigkeit, welche dieser Richtung noch anhing, waren es doch vor- zugsweise die Lehrsysteme der Socinianer und Arminianer, in wel- chen der Trieb einer weitern Entvvicklung lag. §. 96 . Hie Construction, ties Systems. Der durch die Reformation neugevvonnene Standpunkt musste auch auf die systeinatische Gestaltung des Dogma im Ganzen einen hochst wichtigen Einfluss haben. Hangt die Consistenz eines Sy¬ stems vor Allem von dem Princip ab, auf vvelchem es beruht, so war es jetzt erst das Schriftprincip, durch welches die Systematisi- rung des Dogma ihre feste Grundlage, und Alles, was als Bestand- theil des dogmatischen Systems gelten sollle, seinen bestinunten Charakter und seine durch den Zusammenhang des Ganzen bedingte Begrundung erhielt. Der katholischen Dogmatik fehlt, wegen der Unbestimmtheit ihres Princips in der Tradition, wie sie sovvohl an sich, als im Verhaltniss zur Schrift genommen werden muss, der protestantischen gegenuber, selbst die Moglichkeit einer wissen- 19 lj Schweizeb a. a. O. S. 661. 292 Dritte Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 96. schaftlichen Haltung und Begriindung. Auf der Grundlage des Schriftprincips konnte jedocli der protestantische Lehrbegriff selbst auf verscliiedene Weise sicli gestalten. Bemerkenswerth ist in dieser Hinsicht besonders die aus dein charakteristischen Unterschied des lutherischen und des reformirten Lehrbegriffs sich ergebende Ver- schiedenlieit der dogrnatischen Methode. Aecht lutherisch traten in der Construction der ersten lutherischen Doginatik, in der ersten Ausgabe der Loci Melanchthon’s, die eigentlich theologischen Leh- ren gegen die anthropologischen so sehr zuruck, dass jene noch ganz unentwickelt blieben, wahrend dagegen Calvin seiner Insti- tutio von Anfang an den trinitarischen Coltesbegrifr in dem Deus creator, redenitor et sanctificator zu Grunde legte. In der Folge vvird die charakteristische Verschiedenheit des beiderseitigen Stand- punkles durch denUnterschied der syntlietischen und der analytischen Methode bezeichnet. Die erstere geht progressiv von der Idee Got- tes, als der absolut wirkenden Causalitat, die letztere regressiv von der Seligkeit, als dem hochsten Endzvvecke, zu welchem der Mensch bestimmt ist, aus. Keine dieser beiden Methoden wurde zwar in der lutherischen Doginatik rein ausgebildet, charakteristisch bleibt aber fur dieselbe iinmer, dass liach der analytischen, durch Calixtus eingefuhrten Methode, Gott, als dem linis objectivus, sogleich, als finis formalis, die Seligkeit des Menschen gegeniiber gestellt wurde. Die lutherische Doginatik konnte nie ganz davon abstrahiren, ihren, das Ganze beherrschenden, Slandpunkt auf der Seite des Menschen, als des Subjects der Theologie, zu nehmen. In der reformirten Dog- matik dagegen stand die in ihr vorzugsweise sich ausbildende syn- thetische Oder deducirende, von oben herab, von den Ursachen zu den Wirkungen fortgehende Methode in einem innern Zusannnen- hang mit dem Grunddogma des Systems, der Lehre von der Prade- stination und der schlechthinigen Abluingigkeit des Menschen von Gott. Charakteristisch fur die reformirte Doginatik, und in derselben Eigenthiimlichkeit ihres Standpunktes begrtindet, ist die schon voiti Antang an gemachte Unterscheidung verschiedener Stufen derHeils- okonomie und der religiosen Enlvvicklung uberhaupt, einer natiir- lichen und einer geolfenbarten Religion und Theologie, vvoraus die CoccEJANische Foderalmethode hervorging, die sich aucli in der lutherischen Kirche einzelne Freunde gewann *)• 1) Vergl. A. Schweizeb, die Glaubenslehre der evangelisch reformirten Theologie und Philosophie, 293 §. 97. Theologie und Philosophie. Von einem nahern Verhaltniss der Theologie zur Philosophie kann noch nicht die Rede sein, da beide nocli in einem ganz abge- sonderten Gehiete sich bewegten, und noch keine Ahnung ihrer kiinftigen Stelluug zu einander zu haben schienen. Dass aber sclion jetzt derselbe allgemeine Aufschwung des Geistes, welcher die Re¬ formation hervorrief, auch fiir die Philosophie eine neue Epoche selbststandiger Entwieklung begriindete, Cartesius ebenso mit der Selbstgewissheit des Denkens den Anfang machte, wie Luther mit der Selbstgewissheit des Glaubens, die Philosophie schon jetzt in Spinoza zu einem System sich gestaltete, das in seiner strengen Consequenz deni Geist dieselbe absolute Befriedigung geben wollte, wie die Religion und Theologie, und dass schon jetzt liber die Kritik der Offenbarung und die Freiheit des Denkens Grundsatze aufgestellt wurden, die von selbst die Grundlage einer von der Offenbarung verschiedenen, natiirlichen Religion werden mussten, wie die Idee einer solchen von den englischen Deisten schon jetzt ausgesprochen wurde, diess verdient w'egen seiner grossen Bedeutung fur die spatere Entwicklungsgeschichte der Theologie auch schon hier be- achtet zu werden. §. 98. Hauptquellen fiir die Oeschichte des Dogma, I. Katholische Kirche. Die canones et decreta concilii Tridentini sind neben dem Catech. Rom. die allein authentische Erkenntnissquelle des katholischen Systems. Als Dogmatiker und Polemiker nimrnt R. Bellarmin mit sei- nen Disputationes de controversiis christianae fidei adver- sus hujus temporis haereticos. 1581. die erste Stelle ein. II. Protestantische Kirche. 1) Lutherische: a. Die Symbole, von der Augsburgischen Confession im J. 1530 bis zur Concordienformel im J. 1577. Kirche. Bd. 1. 1844. S. 96. f., 103. f. Centraldogmen. 1. S. 398. Schneckek- burger, Theologische Studien und Kritiken. 1847. fe. 962. Gass, Geschicht6 der protestantisclien Dogmatik. 1. Bd. 1854. fe» 46. f., 128. f., 304. f. 294 Dritte Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 98. b. Dogmatische Theologie: Melanchthon, Loci communes rerum theologicarum O, sen hypotyposes theologicae. 152L 1535. 1543. Loci theolog. von Martin Chemniz 1591., Victorin Strigel 1582. Leonii. Hutter, Compend. loc. theol. 1610. Loci communes theol. 1619., Jon. Gerhard, Loci theol. 1610. u. A. Dogmatische Systeme von A. Calov : Systema loc. theol. 1655— 1677., J. A. Quenstedt: Theologia didactico-polemica s. systema theol. 1685 1 2 ). 2) Reformirte: a. Confessionen verschiedener Art. b. Dogmatische Theologie: Zwingli, Commentarius de vera et falsa religione. 1525, de providentia Dei 1530. u. a. Calvin, Institutio christianae religionis. 1535. 1539. 1543. 1559. H. Bullinger, Th. Beza, P. Martyr Vermilius u. A. 3 ). III. Kleinere Parteien. 1} Die Socinianer. Rakauer Cathechismus 1605. Schriften des F. Socinus undder socinianischenTheologen. 2) Die Arminianer. Remonstrantia, 1610. Arminius, Simon Episcopius, Steph. Curcellacus, Phil, a Limborch u. A. 4 ). 1) Nach dem Spracbgebraucb bei Aristoteles und Cicero, nach welchem die loci, 167101 , quasi sedes sind, e quibus argumenta promuntur, die loci com¬ munes so beissen, quia de universa re tractari solent, sind loci communes theo- logici die Grundbegriffe und Grundwalirheiten, die als stebende Voraussetzung fur das ganze Gebiet der Theologie allgemein anerkannt sind. Vgl. HEPPEDog- matik des deutschen Protest. 1857. 1 . 8 . 6 . f. In diesem Sinne haben denmacb die Loci eine dem alten BcgrifF der Sentenzen verwandte und an ihn sicli an- scbliessende Bedeutung. Audi sie bezeichnen die Dogmatik als die Wissen- schaft, welche die Aufgabe bat, das fur das gemeinsame Bewusstsein Festste- liende und allgemeiner Anerkannte darzulegen. 2 ) Vgl. Gass a. a. O. S. 21 . f., 51. f., 246. f., 313. f. Heppe a. a. 0. S. 14. f. 3) Vgl. Schweizer, die Glaubenslelire der evangel, reformirteu Kirche. 1 . 8. 127. f. Gass a. a. O. S. 81. f., 99. f., 129. f. 4) Schweizer, Centraldogmen, 2. S. 40. f., 203. f. Vernunft unci Offenbarung. 295 Geschichte der Apologetik. §. 99. Verimnft himI OfTeiibariiaig. Die Wahrheit und Gottlichkeit des Christenthums iiberhaupt, anderen Religionen gegeniiber, vertlieidigten J. L. Vives, Ph.Mornay du Plessis, H. Grotius, Bl. Pascal, P. D. Huet und Andere. Die Frage liber das Verhaltniss der Vernunft und der Offen¬ barung, die man in der scholastischen Periode nur im Interesse der Offenbarung beantworten zu konnen glaubte, erhielt nun eine hohere Bedeutung. Das absolute Recht der Vernunft, der Offenbarung gegen- iiber, wurde schon jetzt sehr entschieden behauptet, man fiihrte den Inhalt aller Religionen auf allgemeine Wahrheiten, als die noth- wendige Voraussetzung der Offenbarung, zuriick, gab der Vernunft eine kritische Stellung zur Offenbarung, und wollte nur das an sich Verniinftige als den substanziellen Inhalt der Offenbarung angesehen wissen. Zuerst waren es die Socinianer, welche den Supranatura- lismus des alten Systems unter den neuen Gesichtspunkt einer auf kritischen Principien beruhenden Offenbarungstheorie stellten, indem sie zwar das Uebernatiirliche der Thatsachen stehen liessen, aber das Ueberverniinftige des Inhalts, das ihnen auch als ein Wider- verniinftiges erschien, so viel moglich, und zwar vorzugsweise im Interesse der praktischen Vernunft, zu beschranken suchten. An diesen Rationalismus der Socinianer schloss sich der Indifferentismus der Arminianer an. Schon dadurch war die Grundlage zu einer Theorie der religidsen Denkfreiheit gegeben, welche bei Spinoza, dessen Tractatus theologico-politicus auch fur die Geschichte der christlichen Apologetik eine sehr wichtige Erscheinung ist, und bei den englischen Deisten sich melir und mehr in ein rein negatives Verhaltniss zum Christenthum als einer ubernatiirlich geoffenbarten Religion setzte. Herbert’s von Cherbury fiinfGrundartikel aller Reli¬ gion waren das deistischeProgramm einer Kritik der Religion, welche sodann in den Hauptschriften der nachsten noch in diese Periode gehorenden Deisten, in Locke’s rVerniinftigkeit des Christenthums, wie es in der Schrift iiberliefert ist^ und in Toland’s wChristen- 1 ) Yom Jahr 1695. vgl. Lechler, Gesch. des englischen Deismus 1841. S. 166 f. 296 Dritte Hauptperiode, ersterAbschnitt. §. 99. tluim ohneGeheimniss« 0 sich olfenals eine (lieVernunft schlechthin liber die Offenbarung stellende Religionstheorie ankiindigte. Die protestantischen Theologen raumten auf der einen Seite der OfFenbarung eine unbedingte Auctoritat ein, auf der andern sollte aber docli aucli der Vernunft und der Philosophic, der OfFenbarung und der Theologie gegeniiber, die gebiilirende Anerkennung nicht verweigert werden. Die Vernunft ist nicht nur das nothwendige Organ fur das theologische Denken, sondern es dient auch die Phi¬ losophic der Theologie zurErweisung desWahren, soweit es formell und materiell von ihr geschehen kann, und zur Widerlegung des Falschen. So dankbar aber die Theologie die niitzlichen Dienste, die ihr die Philosophic leistet, anerkennt, so wenig kann sie zugeben, dass was einmal als OfFenbarungswahrheit feststeht, durch irgend welche Vernunftargumente in Frage gestellt werden darf. In jedein Widerspruch zwischen Vernunft und OfFenbarung hat immer die erstere der letztern sich zu unterwerfen. So wurde dieses Ver- haltniss von Gerhard 1 2 ) und den auf ihn folgenden lutherischen Theologen bestimmt, nachdem lebhafte Verhandlungen hieriiber schon zuEnde des sechzehnten Jahrhunderts stattgefunden batten 3 ). Auch zwischen den lutherischen und reformirten Theologen kam diese Frage zur Sprache. Die letztern hatten gemass ihrer Unter- scheidung einer naturlichen und geofFenbarten Theologie geringere Bedenken gegen den Gebrauch der Vernunft als die erstern, die sie einer zu grossen Beschrankung des Vernunftgebrauchs in der Theo¬ logie besclnildigten 4 ). 1) Vom Jalir 1696, vgl. Lechler a. a. 0. S. 182 f. 2) Loci theol. ed. Cotta. T. 2. S. 9. 3) Namentlich in dem Streit D. Hofmann’s in Helmstadt, des schroffsten Gegners der Philosophie, seit dem J. 1598. Schon damals wurden den Verthei- digern des Vernunftgebrauchs die Namen Rationistae und Ratiocinistae gegeben. Vgl. Henke G. Caeixtus S. 170. f. und in Herzog’s Realencykl. 6. S. 183. f. Gass Gesch. der prot.Dogm. 2. S. 73. Hofmann ging von der richtigen Ansicht aus, dass die Philosophie eine auf ihren eigenen Principien steliende Wissen- scliaft ist. Der philosophische Mensch kann daher, was er sein soil, nur durch sich sein, der theologische aber weiss iin Bewusstsein derSiinde, dass er seine Seligkeit nur derGnade verdankt. Daher nacli Luther’s Auctoritat, derSorbonne gegeniiber, die Verwerfung desSatzes: idem esse verum in philosophia et theo- logia, wahrend die Gegner es fur eine Gotteslasterung erklarten, da Gott die Wahrheit sei, eine zweifache Wahrheit zu behaupten. 4) Darauf bezieht sich des Jenenser Theol, Jon. Musaus Schrift de usu Vernunft und Offenbarung. 297 Die erstenGrundzfige einer Offenbarungsiheorie stellte A. Calov auf 0- Der Begriff der Religion schien ihm auch den der OfFenba- rung in sich zu schliessen, da so gewiss Gott ist, er auch die Art und Weise seiner Yerebrung selbst bekannt gemacht haben muss. Die Voraussetzung des supranaturalistischen Offenbarungsglau- bens, die Realitat des Wunderbegriffs, wurde zuerst von Spinoza vom Standpunkte einer Ansicht aus gelaugnet, welche Gott und Natur in ein durchaus immanentes Verhaltniss zu einander setzte, und der Transcendenz der christlichen Theologie den Boden ihrer Voraussetzungen untergrub. Auf dem rein philosophischen Gebiete wurde liber die Begriffe des Natfirlichen und Uebernatfirlichen eine Theorie begrfindet, welclie zwar damals nocli ganz ausserhalb des Gesichtskreises der christlichen Theologie lag, in der Folge aber einen sehr bedeutenden Einfluss auf sie erhielt, und auf einen ganz andern Standpunkt der Auffassung des Wesens des Christenthums ffihrte. Alle die Apologetik betreffenden Fragen und die einzelnen Argumente, deren sie sich bedient, wurden in der protestantischen Theologie kein Gegenstand einer weitern besondern Behandlung, da es zurn eigenthiimlichen Charakter derselben gehorte, dieFrage fiber die Wahrheit und Gdttlichkeit des Christenthums in der Lehre von der heiligen Schrift zu begreifen, und sie mit derselben als von selbst beantwortet zu betrachten. §. 100 . Ua§ protestantisclie Scliriftprincip* Seitdem die christliche Kirche und mit ihr die weitereEntwick- lung des christlichen Dogma in den Gegensatz des Katholicismus und Protestantismus sich theilte, hangt die ganze Frage fiber die Wahr- principiorum rationiset philosophiae in controversiis theol. contra N. Vcdelium 1644. Derselbe Musaus schrieb gegen Herbert von Cherbury de luminis na¬ turae et ei innixae theologiae naturalis insufficientia ad salutem, 1667, und gegen Spinoza’s Tract, theol. polit. 1674. Gegen den erstern erinnerte er von seinem Standpunkt aus treffend, dass eine pietas cum virtute fiir denMensclien im Zustand der Siinde nicht moglich sei, dass es daher keine natitrliche Reli¬ gion gebe, von welcher dieses Kriterium der wahren Religion gelte. Vgl. Gass a. a. 0. S. 215 f. 1 ) Syst. loc. theol. c. 3. de revelatione divina. 298 Dritte H.auptperiode, erster Abschnitt. §. 100. heit und Gottlichkeit des Christenthums an der Frage iiber die Er- kenntnissquelle des Christenthums. Die Entstehung jenes Gegen- satzes selbst hat ihren tiefsten Grand ehen darin, dass man sich, in Folge der Bewegung, welche die Reformation iiberhaupt hervor- rief, der bestimmtern Bedeutung jener Frage jetzt erst bewusst wurde. An die Stellc des christlich apologetischen Interesses iiber- haupt trat jetzt das getheilte des Katholicismus und Protestantismus. Unter Voraussetzung der Wahrheit und Gottlichkeit des Christen¬ thums konnte man jetzt nur fragen, aus welcher Quelle dasChristen- thum in seiner Wahrheit und Gottlichkeit zu erkennen sei, und der Protestantismus sprach den weitern Fortschritt, welcher durch ihn in derEntwicklung des christlichenBewusstseins iiberhaupt geschah, in seinem, dem Katholicismus entgegengesetzten, Hauptsatze aus, dass das einzige theologische Princip die heilige Schrift oder das in ihr enthaltene und mit ihr identische Wort Gottes sei, und dass es als solches sich nur in der Schrift selbst zu erkennen gebe. Die Lehre von der ausschliesslichen Auctoritat der heiligen Schrift ist daher der Grundartikel jeder protestantischen Dogmatik. In diesem Princip nahm der Protestantismus, auf demGrunde des geschichtlich iiberlieferten Glaubens, cine kritische Stellung zum Katholicismus, wesswegen auch die heilige Schrift nicht sowohl Quelle, als vielmehr Kanon, Norm, Riehtschnur der christlichen Wahrheit genannt wird. Auf der andern Seite scharfte sich nun auch dem in den Gegensatz zum Protestantismus hineingestellten Katholicismus das Bewusstsein seines hochsten Princips, indem jetzt erst auf der Tridentiner Synode der katholischeGrundsatz der Gleichstellung von Tradition und Schrift durch einen Act der Kirche selbst sanctionirt wurde. Die protestan- stische Kirche hatte somit ihren Hauptgrundsatz vor allem gegen die katholische Lehre von der Tradition festzustellen. Dabei naherte man sich aber auch wieder melir, als dieConsequenz es erlaubte, dem katholischen Auctoritiitsprincip, theils durch das normative Ansehen, das man, neben der unbedingten Anerkennung der altern Glaubens- symbole, besonders in der lutherischen Kirche denSymbolen dereige- nen Confession beilegte 1 )? theils durch die Bedeutung, welche G. Calixt der Tradition der ersten Jahrhunderte, oder dem Consensus der alten Kirche, wenigstens als einem secundaren Princip eingeraumt 1) Form. Cone. S. 571 f. 631 f. Das protestantische Schriftprincip. 299 wissen wollte Nach einer andern Seite hin hatte man das Schrift¬ princip gegen diejenigen festznhalten, welche von dem aussernWort derSchrift ein von deinselben verschiedenes und unabhangiges inne- res Wort Gottes unterschieden, wie die mystischen Secten, die Ana- baptisten, Schwenkfeldianer, J. Bohme, V. Weigel u. a. 1 2 ). Endlich kam hier auch noch die schon erwahnte Frage fiber den Gebrauch der Vernunft neben der heiligen Schrift, als dem einzigen theologischen Princip, in Betracht. Die Ueberzeugung von dem gottlichen Charakter der heiligen Schrift, oder ihrerKanonicitat, grfindeten die protestantischenTheo- logen nicht anf die fides humana, zu welcher sie nicht bios das historischeZeugniss derKirche, sondern auch die gewohnlichen apo- logetischen Argumente, den Beweis aus den Wundern und Weis- sagungen u. s. w., fiberhaupt Alles rechneten, wodurch der Glaube an die Gottlichkeit der Schrift, oder der in ihr enthaltenen Offen- barung erst dialektisch vermittelt werden sollte, sondern nur auf die fides divina, oder das testimonium spiritns sancti. Als gottlich kann sich die Schrift nur durch sich selbst ervveisen, durch den un~ mittelbarenEindruck, welchen sie, in ihrer objectiven Gottlichkeit, in dem subjectiven Bewusstsein derjenigen, die mit ihr bekannt wer¬ den, hervorbringt. Die Subjectivitat diesesKriteriums gibt sich schon in den bekannten kritischen Urtheilen Luther’s liber einzelne Schrif- ten des Kanons kund. Die Socinianer und Arminianer sahen in der Gottlichkeit eines Zeugnisses, das die Gottlichkeit der Schrift be- weisen soil, und diese selbst zu seiner Voraussetzung hat, einen Cirkel, oder eine Verwechslung der subjectiven Ansicht mit der Objectivitat der Sadie 3 ). §. 101 . Die Inspiration tier Schrift. Soil die Schrift auf das Bewusstsein des Subjects den Eindruck der Gottlichkeit machen, so muss sie an sich, nach Inhalt und Form, objectiv gottlich sein. Der gottliche Geist, welcher aus der Schrift 1) Vgl. H. Schmid, Gesch. der synkret. Streitigkeiten 1846. S. 121. 1. Gass a. a. O. 2. S. 110. f. 196. f. Henke a. a. 0. 1. S. 535. 2, 1. S. 166. 2) Vgl. Hagenbach Dogmengesck. 4. A. S. 566. 3) Ygl. Episcopius Instit. theol. 4, 1,5. Opp. 1. S. 235. Limbokch Theol. chr. 1, 4, 17. F. Socinus de auctoritate s. scripturae c. 5, Bibl. Br. Pol. 1. S. 279, 300 Dritte Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 101. spricht, und im Bewusstsein des Subjects sich ausspricht, kann nur der derSclirift imrnanente Geist sein, aus welchem, als ihreiu Princip, sie selbst hervorgegangen ist. Die protestantische Lebre von der gottlichen Beglaubigung der Schrift hat zu ihrer wesentlichen Vor- aussetzung die Lebre von der Inspiration derScbrift, die eigentbum- licbe Form aber, welcbe diese Lebre in der protestantischen Theo- logie erbielt, bestebt darin, dass man sicb die Schrift, als inspirirt, nur mit dem absoluten Cbarakter der Gottlicbkeit und Infallibility denken konnte. Mit der Annabme auch nur eines einzigen, nicht inspirirten Wortes, schien es den protestantischen Theologen, in der consequenten Ausbildung ibres InspirationsbegrifFes, urn die Gottlicbkeit der heiligen Schrift uberbaupt geschehen zu sein A ). Dass die protestantische Inspirationstheorie, trotz einzelner freierer Aeusserungen der Reformatoren, zu dieser Spitze sicb steigerte, in welcher die menscblicbe Subjectivity der heiligen Schriftsteller nur ein versclvwindendes Moment der absoluten Autorschaft des heiligen Geistes wurde, liatte seinen Grund sebr natiirlich darin, dass in dem- selben Verhaltniss, in welchem die heilige Schrift objectiv das aus- schliessliche theologiscbe Princip, das Eine Princip der Wahrheit, sein sollte, auch die subjective Gewissheit hievon auf dieselbe ab¬ solute Weise feststehen musste. Die Lebre von der Inspiration ist, so betrachtet, nur die objective Seite zu der subjectiven, der Lebre vom testimonium spiritus sancti, indem sie zu dieser nur hinzusetzt, was dabei vorausgesetzt werden muss, dass der subjective Eindruck derGottlichkeit der der Schrift imrnanente Charakter ist. Diese iiber- spannte Theorie kann daher nirgends eine Stelle fmden, wo man nicht, wie im protestantischen System, alle theologiscbe Wahrheit nur auf die Schrift und das Zeugniss des Geistes baut. Den Ivatho- liken bleibt sie fremd, weil sie neben derScbrift die Tradition haben, den Socinianern und Arminianern, weil sie derVernunft, der Schrift gegeniiber, das Recht der Kritik einraumen. Freiere BegrifFe hatten unter den Arminianern namentlichH. Grotius und J. Clericus. Setzt die Schrift nicht auf absolute Weise sich selbst als unmittelbar gott- lich, so muss demnach ihre Gottlichkeit erst bewiesen werden, es handelt sich nicht urn die divina, sondern die Humana fides, und man muss fur diesen Zweck zwischen Inhalt und Form, der Schrift 1) Vgl. Quenstedt Theol. did. pol. 1. S. 112, Die Inspiration der Schrift. 301 und den Schriftstellern unterscheiden. Wie die Gottlichkeit des Inhalts, oder derLehre, auf dieWunder gegriindet wird, so kommt, in Ansehung der Schriftsteller, Alles auf die Frage nach ihrer Glaub- wiirdigkeit zuriick, oder darauf, dass sie die Wahrheit sowohl sagen konnten als sagen wollten 0* la diesen Gang, durch welchen sich der spatere Supranaturalismus von dem altern protestantischen Sy¬ stem unterscheidet, brachten die Apologetik zuerst die Socinianer und die Arininianer. Es ist diess der Uebergang auf den gerade entgegengesetzten Standpunkt. Das Eigenthumliche der alten In- spirationstheorie ist, dass ihr das subjectiv Menschliche ein blosses Accidens des objectiv Gottlichen ist. Der auctor secundarius ver- schvvindet vor dem auctor primarius, und das Bevvusstsein des Sub¬ jects vor dem Objecte desselben. Das Subject, das der Gottlichkeit der Schrift sich bewusst wird, ist eigentlich nur der Geist, dessen Product die Schrift ist. In dem Bevvusstsein des Subjects wird er sich seiner Identitat rnit sich selbst, oder mit der Schrift, seinem Product, sich bewusst. Jene andere Theorie lasst das Subject aus dieser Gebundenheit frei, und es gilt nun als Grundsatz, dass die Schrift gottlich ist nur soweit sich das Subject von dem Standpunkte seines Bewusstseins aus von ihrer Gottlichkeit uberzeugen kann. Das Bewusstsein des Subjects stellte sich kritisch der Schrift gegen- * liber, und die Mbglichkeit einer Kritik des lvanons, an welche die alte protestantische Theologie gar nicht denken konnle, wurde da- durch fur die folgende Periode begriindet. Aber selbst im Anfange der Reformationsperiode wurde von Mannern, wie Seb. Frank, das Selbstbewusstsein, im Gegensatze gegen die in ihrer Aeusserlich- keit unlebendige Schrift, als Princip der Wahrheit, in eineni Sinne ausgesprochen, in welchem solche, nocli allein stehende Ideen, erst in der Folge weiler verfolgt werden konnten 1 2 j. Eine Folge der protestantischen Inspirationstheorie war die Lehre von den AlFectionen der Schrift. Nach Maassgabe des charakteristischen Unlerschieds der ver- schiedenen Hauptsysteme wurde das Yerhaltniss des A. und N. Testa-* 1) LiMBoucii Theol. chr. 1, 4, 2: duo requiruntur, primo, ut scriptor ver<\ potuerit, secundo, ut vera voluerit scribere. 2) Schenkel, das Wesen des Protestantismus. Th. 1 . 1840, S. 147. f., 154. f. Neandek, Tu. Thamer, der Reprasentant und Vorganger moderner Geistesrichtung in dem Reformationszeitalter. 1842. 30 2 Dritte Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 102. ments verschieden aufgefasst. Die Reformirten behaupten eine sub- stanzielle Einheit des A. und N. Testaments und bezeichnen den Unterschied als eine blosse Yerschiedenheit der Dispensation oder Oekonomie, dieLutheraner dagegen lehren alsGegensatz vonGesetz und Evangelium eine wesentliche Yerschiedenheit und betrachten das innerlich Unterschiedene auch als ein zeitlich Geschiedenes. Geschichte der Dogrnen. §. 102 . Iielire von Cwott* Die protestantische Gottesidee konnte ursprunglich nur auf das dem Menschen inwohnende Bewusstsein der Siinde, oder der End- lichkeit seiner Natur, und auf die in der Schrift enthaltene Selbst- oirenbarungGottes gegriindet werden. Das reformirte System unter- scheidet sich in dieserLehre auf doppelte Weise von dem lutherischen. Die reformirten Theologen hielten entschiedener als die lutherischen die Idee einer auf eingepflanztem Iveime ruhenden religio naturalis innala als die Grundlage fest, auf welcher die sonst ankniipfungslose religio acquisita und die religio revelata, durch vvelche die fur sich nicht zulangliche, aber keinem einen Grand der Entschuldigung gebende, natiirliche bestatigt und vollendet wird, sich aufbaut l ). jVoch mehr aber findet darin ein Unterschied statt, dass in dem re¬ formirten System das dem protestantischen Gottesbevvusstsein imma- nente schlechthinige Abhangigkeitsgefiihl auf die objective Idee einer absoluten Causalitat mit einer Strenge der Consequenz zuriickgefiihrt vvurde, welche das lutherische System, vvenn es auch dieNothwen- digkeit dieser Idee nicht verkennen konnte, wenigstens nicht fest- gehalten und durchgefuhrt hat. In der Idee einer absoluten Predesti¬ nation ist der substanzielle Begrilf Gottes ausgesprochen. Gott ist in Beziehung auf alles Endliche, schlechthin von ihm Abhangige, die absolute Causalitat, die aber, iudem sie nach dem sittlichen Gegen- satze des Guten und Bdsen in die beiden gleich absoluten Eigen- schaften der Giite und der Gerechtigkeit sich theilt, nocli unter dem Gesichtspunkt eines unvermittelten, dualistischen Gegensatzes sich darstellt. Man kann hierin eine gewisse Analogie mit dem spino- 1) Vgl. Schweizek, die Glaubenslehre der ref. Kirche 1. S. 107. f. 149. f. Lehre von Gott. 303 zistischen Gottesbegriff sehen. Wie bei Spinoza Denken und Aus- dehnung die beiden gleich absoluten Attribute der Einen absoluten Substanz sind, ohne dass das eine auf das andere sich zuruckfuhren lasst, so verhalten sich bei Calvin jene beiden ethischen Eigenschaf- ten zu einander. Bei Calvin liebt sich aber diese Dualitat in deni aus seineni System sich ergebenden BegrifF des Bosen von selbst vvieder auf. 1st Gott die alles schlechthin und allein wirkende ab¬ solute Causalitat, so kann nicht gelaugnet werden, dass Gott auch Urheber des Bosen ist. 1st aber auch das Bose von Gott gewirkt, so hdrtes ebendamit auf das zu sein, was esals Boses auf demStand- punkt des nienschlichenBewusstseins ist. Von der objectivenGottes- idee aus betrachtet ist das Bose nur eine andere Form desGuten und es ist nur der Beschranktheit des menschlichen Standpunkts zuzu- schreiben, dass dem subjectiven Bewusstsein des Menschen in dem Unterschied des Guten und Bosen das als so wesentlich verschieden erscheint, was in Gott wesentlich Eins und dasselbe ist. Wie in der Idee der absoluten Predestination Freiheit undNothwendigkeit, Acti- vitat und Passivitiit, Sittliches und Natiirliches wesentlich zusam- menfallen, so verschwindet auch in ihrer hochsten Spitze da, wo im geheimen Bathschluss Gottes alles weltliche Sein beschlossen liegt, der Unterschied zwischen dem Guten und Bosen. Es gibt keinen objective!! Unterschied zwischen beiden, sondern alles, was es auch sei, ist einfach dadurch, dass Gottes will, gut, heilig, gerecht u. s. w. Gott will das Gute nicht, weil es gut, das an sich Gute ist, sondern gut ist es nur dadurch, dass er es will. So hat die absolute Pra— destination ihren liohern Grund selbst wieder in der absoluten gott- lichen Willkiir, in welcher mit der Indifferenz des Guten und Bosen auch die auf diesen Unterschied sich beziehenden gottlichen Eigen- schaften zur unterschiedslosen Einheit sich ausgleichen. Nach dem calvinischen Gottesbegrilf ist daherGott in letzterBeziehung wesent¬ lich nichts anders als die absolute Willkiir 1) Calvin spricht diess so unumwunden aus, wie friiher Duns Scotus (vgl. oben S. 248), wenn er Instit. chr. rel. 3, 23, 2 sagt: Gott ist die Ursache von allem, was ist, nam si ullam causam habet, aliquid earn antecedat oportet, cui veluti alligetur, quod nefas est imaginari (auch der objective Unterschied des Guten und Bosen ware sonait eine solche Imagination). Adeo enim summa est justitiae regula Dei voluntas, ut quidquid vult, eo ipso, quod vult, justum habendum sit. :*04 Dritte Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 103. Den geraden Gegensatz gegen die calvinische Lehre bildet die socinianische, nach vvelcher die absolute Causalitat Gottes gleichsam vor der Freiheit des endlichen Subjects sich in sich selbst zuriick- ziehen muss, darnit diese durch jene in ihrem Rechte nichtbeschrankt und beeintrachtigt werde, wie sich am deutlichsten in der socini- anischen Lehre von der Prascienz Gottes, im Unterschied von der calvinischen Pradeslinationsidee, zeigt. Nur darin treffen beide zu- sammen, dass Gott wesentlich nicht sowohl als der Seiende und Denkende, sondern vielmehr als der Wollende und Beschliessende gedacht wird. In der Lehre von den gotllichenEigenschaften herrscht die sub¬ jective Betrachtungsweise vor, es wurde kein realer Unterschied in Gott angenommen, sondern nur zwischen einer ratio ratiocinans und einer ratio ratiocinata unterschieden. Daraus ergab sich die mit dem sonstigen Charakter des Systems nicht zusammenstimmende Con- sequenz, dass Gott nur Substanz, nicht Subject ist, keine selbstbe- wusste, sich selbst bestimmende Personlichkeit §. 103. JLelire von der Wreieiuigkeit. Line unmittelbare Bestreitung dieser Lehre lag nicht im Sinn und Interesse der Reformatoren; sie bekannten sich ausdrucklich zu den alten, diese Lehre bestimmenden, kirchlichen Symbolen, und wenn ihnen aucli die scholastische Form, in vvelcher diese Lehre iiberliefert war, nicht zusagen konnte, so waren sie doch vveit da- von entfernt, das Trinitatsgeheimniss selbst in Frage zu stellen. Es konnte jedoch nicht fehlen, dass schon sehr friihe in einzelnen, freier denkenden Mannern das durch die allgemeine Bevvegung der Zeit neu erweckte religiose und theologische Bewusstsein in Zweifeln und Einwendungen, und in ldeen sich aussprach, welche eine durch- greifende Reform aucli dieser Lehre ankiindigten. Wenn schon die Augsburgische Confession sich nicht bios gegen die alten, son¬ dern auch die neuen Samosatener erklarte, so bezeichnete sie mit diesem Namen nicht unpassend eine Richtung, die im Allgemeinen dahin ging, das alte, iiberschwangliche Dogma seiner abstrakten 1) Lehre von der Dreieinigkeit. Th. 3. S. 19. f. 330. f. Ueber die soci¬ nianische Verendlichung des GottesbegrifFs in der Bestimmung der gottlichen Eigenscliaften vgl. Fock, der Socin. 2. S. 426. f, 453. f. Lehre von der Dreieinigkejt. 305 Transcendenz zu entheben, und in einem menschlicher gedachten Christus dem denkenden Bewusstsein naher zu bringen. Ludwig Hetzer, Joh. Denk, Jakob I(auz, Joii. Campanus, Melch. Hofmann, Dav. Joris, Claudius aus Savoyen, machten sich als Antitrinitarier bekannt. Mehr Aufmerksamkeit verdienen zwei Manner, bei wel- chen die Opposition gegen das kircldiche Dogma schon mehr innere Haltung hatte, und auf dem tiefern Grunde einer durchgebildeten, speculativen Ansicht beruhte, Seb. Franck und der Spanier Mich. Servet. Der erstere griindete auf die Unterscheidung eines aussern und innern Wortes, welches letztere das rechte eigentliche Wort Gottes ist, eine Trinitatslehre oder Christologie, deren Grundgedanke die Identitat des menschlichen Selbstbewusstseins mit dem Wesen Gottes ist, oder eine gottmenschliche Einheit, vermdge welcher ein Jeder dasselbe Wort Gottes, das in Christus offenbar geworden ist, in sich verborgen hat 0- Von der wesentlichen Einheit Gottes und des Menschen geht auch Servet aus, der heftigste Bestreiter der kirchlichen Trinitatslehre. Gott, als Geist, muss sich selbst ofFen- baren, die wesentlichen Momente dieser SelbstolFenbarung sind Licht und Wort. Das Wort ist auch schon der Sohn, aber nur der per- sonliche, nicht der reale Sohn, in welcheni das Wort Fleisch wird, jedoch nur so, dass die zeitliche Fleisch- oder Menschwerdung auf einer ewigen beruht, weil Fleisch und Wort in derselben Lichtsub- stanz an sich Eins sind. 1m Worte olFenbart sich Gott, im Geiste, als einem andern Modus, theilt er sich mit. Da aber der Mensch an sich Geist ist, so ist die Mittheilung des Geistes, durch Christus, die Erhebung des Menschen zum personlichen, selbstbewussten Geiste. Es liegen hierin die Elemente einer pantheistisehen Lehre, welche den Anstoss, den man an ihr nahm, sehr erklarlich inachen. Eine andere Richtuug nahm der von Italien ausgehende Zweig der Unitarier. Mit volliger Beseitigung des an sich Gottlichen in der Person Christ! stellten die beidenSocine einen dem kirchlichen ganz entgegengeselzten LehrbegrilF auf, Dialektisch bestritten sie das sich selbst Widersprechende, Undenkbare, der idee Gottes Un- wiirdige in der kirchlichen Trinitatslehre und Christologie. Christus ist wesentlich nur Mensch. Was er aber an sich vonNatur nicht ist, 1) Vgl. Hagen, der Geist der Reform. 2. S. 311, S. 146. f. 154. f. 255. f. Schenk el a, a. 0. 1. Baur, Dogmeagescbichte. 20 306 Dritte Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 103. 1st er auf dem Wege des sittlichen Gehorsams, durch gottliche Ver- leihung geworden. Er ist in Folge seiner Auferstehung Gott dem Namen und der Macht nach. In der liber die Anbetung und Anru- fung Christi zwischen Franz Davidis und F. Socinus erhobenen Streitfrage stellte sich am deutlichsten die Halbheit einerLehre her- aus, welche die Anbetung fiir eine absolute Pflicht, die Anrufung aber fiir ein blosses Recht, von welchem man nach Umstanden be- liebigen Gebrauch machen kdnne, gehalten wissen wollte, und nur die Wahl Hess, entweder noch weiter zu gehen, Oder den Schritt nicht zu thun, welcher schon so weit gefuhrt hatte. Die Arminianer hielten sich an die Schriftgemassheit ihrer im Allgemeinen arianischen Yorstellung eines Subordinationsverhalt- nisses von drei personlichen Wesen. Sohn Gotles ist Christus in verschiedenem Sinne, nicht bios als Mensch, sondern auch, woge- gen die socinianische Exegese sich vergebens straubt, an sich als Gott. In der protestantischen Kirche zeigte sich an der Trinitatslehre besonders, in welche Antinomie das protestantische Princip mit sich selbst kam, sofern es auf der einen Seite zwar sich zuin Dogma frei verhalten sollte, auf der andern aber theils durch die Riicksicht auf die kirchliche Ueberlieferung, theils durch das Schriftprincip in sei¬ ner Freiheit noch gebunden war. Wenn man sich auch mit dem kirchlichen Dogma einverstanden erklarte, so lasst sich doch nicht verkennen, dass die Stellung des protestantischen Bewusstseins zum alten Dogma auch in dieser Beziehung eine andere geworden war. Entweder liess man es auf sich beruhen, oder, wenn man sich liber dasselbe zu erklaren veranlasst sah, suchte man ihm, so viel mog- lich, eine von der scholastischen Form freiere, dem concreten In- halt des christlichen Bewusstseins entsprechendere Bedeutung zu geben. Auch der von Melanchthon gemachte Versuch einer ratio- nellen Auffassung sollte keineswegs nur auf den Weg der Scholastik zuriicklenken. Man wollte nur den wesentlichen Inhall des Dogma testhalten, und mit Vermeidung aller scholastischen Distinctionen und Begriffsbestimmungen die Momente, die fur das religiose Be- wusstsein die nothwendigen Anknupfungspunkte im Wesen Gottes sind, auf einen, so viel moglich, klaren und haltbaren Begriff brin- gen. Nicht was Gott an sich, in seiner absoluten Transcendenz ist, sondern nur, was er in seiner Offenbarung und in seiner Beziehung 307 Lelire von der Dreieinigkeit. zum menschlichen Bewusstsein ist, wollte man in dem Dogma fixi- ren. Diese Tendenz blickt aus den Erklarungen der Reformatoren deutlich hervor, aus diesemGesichtspunkt fasste es besonders Calvin auf. Ganz anders wurde aber in der Folge die Behandlung des Dogma, seitdem die protestantische Dogmatik, besonders die lu- therische, sich immer enger in sich abschloss und nur darauf be- dacht war, den symbolisch normirten Lehrbegriff durch antithetische Bestimmungen gegen Gegner jeder Art zu vertheidigen. Indem man die Schriftgemassheit des kirchlichen Dogma ohne Bedenken vor- aussetzte, und sich doch den innern Widerspruch desselben nicht verbergen konnte, wusste man sich nicht anders zu helfen, als durch den Grundsatz, dass man sich in Sachen des Glaubens auch durch das Widervernunftige einer Lehre nicht irre machen lassen durfe. Yon diesem Standpunkt aus konnte man Versuche einer Auf- fassung, wie nach Melanchthon besonders die Keckermann’s und P. Poiret’s in der reformirten Kirche waren, nur zuriickweisen. Engherziger und beschrankter konnte das Dogma iiberhaupt nicht behandelt werden, als von den lutherischen Theologen des sieb- zehnten Jahrhunderts, wenn sie auf der einen Seite den vollen be- wussten Glauben an das Trinitatsmysterium in seiner kirchlichen Form als die nothwendige Bedingung der Seligkeit betrachteten, auf der andern in der Consequenz des Schriftprincips behaupten mussten, dass dieser Fundamentalartikel init zulanglicher Evidenz schon in den Schriften des Alten Testaments enthalten sei, was Calixt mit gutem Grunde, aber gleichfalls nur zum Anstoss fiir seine orthodoxen Gegner, laugnete Welche dunkle, geheimnissvolle Gewalt das seit alter Zeit mit absolute!* Macht den Glauben beherrschende Dogma noch immer auch auf freier denkende Geister ausiibte, beweist das Schieksal Servet’s und die selbst von Melanchthon gebilligte Handlungsweise Calvin’s. In der Lehre vom Ausgang des heiligcn Geistes folgte die pro¬ testantische Kirche der romischen. Die Yerhandlungen zwischen den wiirtembergischen Theologen und dem griechischen Patriarchen in der zweiten Halfte des sechszehnten Jahrhunderts hatten keinRe- sultat. Die Zweifel Reinboth’s gegen die Zulanglichkeit der Beweis- 1) Vgl. Schmid a. a. 0. S. 347. f. Gass a. a. 0. 2. S. 122. i. 20 * 308 Dritte Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 104. stellen liber den Ausgang des Geistes, in der zweiten Ilalfte des siebzelniten Jahrhunderts, konnten vvenigstens liber die mangelnde Schriftevidenz so mancher Bestiinmungen aufklaren *). §. 104. Li*5»r<‘ v«aa der §cliopfius^ smut lorselnin^. In del* Lehre von der Schopfung hielten die protestantischen Theologen die hergebrachte kirchliche Vorstellung fest. Eine wei- tere Ausbildung dieser Lebre lag nock ausserhalb des Gesichtskrei- ses der protestantischen Theologie. Man begniigte sicb, die Welt, in Hinsicht ihres Ursprungs und Daseins, sich in ihrer schlechthini- gen Abhangigkeit von der absolulen Causalitat Gottes zu denken. Hatte man vielleicht von diesem Standpunkte aus, besonders in der refornnrten Kirche, in welcher Zvvingli namentlich zu dieser An- sicht sich hinzuneigen scheint 1 2 ), geneigt sein kdnnen, auf dem Grunde eines immanenten Verhaltnisses zvvischen Gott und der Welt eine ewige Schopfung anzunehmen, so ndthigte dagegen die Auc- toritat des Schriftprincips urn so mehr, bei der Vorstellung eines zeitlichen Anfangs der Welt stehen zu bleiben, und man Hess sich von da aus sogar auf kleinliche Fragen ein, welche vveder ein reli- gioses, noc-h spekulatives Interesse haben konnten. Wahrend Spinoza, als ein ausserhalb der christlichen Gemein- schaft stehender, nur das Recht der Denkfreiheit fur sich anspre- chender Philosoph, ein System des Denkens fiber Gott und Welt aufstellte, das in seinem Verhaltniss zum christlichen Theismus je- ner Zeit nur als pantheistisch bezeichnet werden kann, aber in der Folge sich von selbst in seiner grossen Bedeutung fiir die christliche J'heologie gelteud machte, trat schon damals, wenn auch nicht in der protestantischen Theologie selbst, docli auf einem, vom Geist des Protestantismus lief durchdrungenen Boden, dem der protestan- tischen Myslik, eine mystisch spekulative Ansicht auf, welche sich in denselben Gegensatz zum theologischen Schopfungsbegriff setzte, wie jene philosophische. Die Myslik J. Bohme’s steht vermittelnd zwischen dem Manichaismus und Spinozismus, indem sie in das ewige Wesen Gottes selbst eine Dualitat der Principien setzt, und 1) Vgl. liber diesen §. Lehre von der Dreieinigk. 3. S. 19. f., 308. f., 330. f. 2) Vgl. Schwkizer, Glaubenslebre der ev. reformirten Kirche. 1. 8. 302. Lehre von den Engeln und vora Teufel. 309 in deni ewigen Process des sich selbst gebarenden, dreieinigenGot- tes alle Dinge aus Got! und in GoU, als dem Wesen aller Wesen, geboren werden lasst *)• In der Lehre von der Vorsehung, der Erhaltung undRegierung del* Welt, betrifFt die Hauptfrage, uni welche es sich hauptsachlich in dem lulheriscben System bandelt, den BegrifF des concursus , dessen Bestimmung jedocb nur zeigt, dass es die protestantischen Theologen, wenigslens der lutherischen Kircbe, in ihrer Ansicht von dem Verhaltniss des Endlichen und des Absoluten, des Freien und des Abhangigen, nocb zu keinem klaren und durcbgebildeten BegrifF gebracbt batten. Es greift bier after auch die anfangs allge- mein protestantische, in der Folge after nur vom reformirten Sy¬ stem, als Princip der Weltansicht, auFgefasste Lehre von der abso¬ luten Predestination ein. Als Lehre von der Vorsehung hat Zwingli seine Ansicht von der schlechlhinigen Abhangigkeit wiles Endlichen, selbst nicht ohne Anklange an den spinozistischen Pantheismus, entwickelt 1 2 ). §. 105. I^elire toii ileii Engeln und vom Teufel. Der Geist der protestantischen Dogmatik driickt sich in dieser Lehre darin aus, dass sie nichtnur a lies Transcendente und der Schrift nicht Gemasse, sondern auch alles mit der absoluten Idee Gotles und des Erlosers Streitende von sich fern zu halten suchte. In der Lehre vom Teufel fragte man jetzl nicht sowohl nach der Ursache seines Falles, als vielmehr nach der Art und Weise seiner Gegenwart in der Welt und in menschlichen Ipdividuen. Kritisch beleuchtet wurde die krasse, der Theologie mit dem popu- laren Glauben gemeinsame Vorstellung zuerst von B. Bekkek, in dessen Bestreitung weit wichtiger, als seine Anwendung cartesia- nischer Principien, der von ihm gemachte Versuch war, der ge- wohnlichen Meinung von der Maeht und Existenz des Teufels, und seiner Bedeutung fiir das christlicheBewusstsein, ihre schriftmassige Berechtigung durch die trefFende Behauptung abzusprechen, dass es gar nicht in der Absicht der Schrift liege, eine dogmatische Beleh- 1) Lehre von der Dreieinigk. 3. S. 541. f. Die chr. Gnosis. S. 557. f. 2) Schweizek a. a. 0. S. 280. Zeli.er, das theol. System Zwingli’s. 1853. 8. 36. f. 310 Dritte Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 106. rung iiber Engel und Teufel zu geben. Nach der tief mystisch spe- kulativen Auffassung J.Boiime’s ist der Teufel, oder Lucifer, die aller- tiefste und innerlichst verborgene Geburt Gottes, nach welcher er sicli einen zornigen, eifrigen Gott nennt, weil in ihr das Zornfeuer Gottes sicli entziindete, das im Leibe Gottes, dieser Welt, bis an’s Ende ist. Es ist die Natur in ihrer scharfsten, strengsten und angst— lichsten Geburt, da der Zorn Gottes oline Unterlass griinet undLiebe und Zorn init einander ringen. Die in ihren scharfsten Gegensatz sich spaltende Entzweiung der beiden, das Dasein einer endlichen Welt bedingendenPrincipien schaut J. Bohiie in seinem, den Salitter Gottes mit seinen Quellgeistern anziindenden Lucifer an J ). §. 106 . £ bart ist, zu begreifen, oder das Gesetz als (lurch das Evangelium abgethan zu belrachten. Zu dem erstern neigte man sich in der re¬ formirten Kirche hin, wie diess schon bei Zwingli und Calvin der 1) Vergl. Engelhardt, der Rathmannische Streit, in Niedner’s Zeitschrift fur hist. Theol. 1854. S. 48. f. Den Hauptanlass des Streits gab Rathmann’s Schrift: J. Chr. Gnadenreich, 1621. Das Hauptmoment lag in der Frage: ob das Wort Gottes schon vor und ausser dem Gebrauch eine innere gottliclie Kraft in sich liabe? Die Gegner und die Theologen der Wittenberger, Konigs- berger, Jena’schen und Helmstadter Facultat in ihren Gutacliten behaupteten diess, Rathmann laugnete es. Die lieilige Schrift war ihm nur das aussere Wort oder Zeugniss, das erst durcli die vorangeliende Erleuchtung des heili¬ gen Geistes zu Gott fiihre. Wie die Gegner diess Schwenkfeldisch nannten, so wurde Spener einer Erneuerung der Rathmannischen Irrtluimer beschuldigt. Spener unterschied von dem Materiale des gottlichen Worts das Formale, d.h. die in ihm enthaltene gottliclie Wahrheit, die durch den Gebrauch in uns le- bendig werde, aber nicht ohne den hcil. Geist. A. a. 0. S. 113. 2) Pajon verneint uberhaupt alles unmittelbare Einwirken Gottes. Den Determinismus des reformirten Systems laugnete er nicht, aber Gott wirlct nur durch die unendliche Verkettung der Mittelursachen. Dass die Gnadenmittel nicht bei alien denselben Erfolg haben, hat seinen Grand in der Ungleichheit der Umstande, unter welchen ihre Wirksamkeit an den Einzelnen gelangt. Aecht pelagianisch liess er auch die Gnade nur durch den Yerstand auf den Willen wirken. Die deterministisclie Guadenwahl bleibt zunachst noch, aber alles ist schon auf natiirliche Weise vermittelt. Vgl. Schweizer, Centraldogm. 2. S. 564. f. Lehre von den Gnadenmitteln. 337 Fall ist 0) das letztere scharfte sich in der lutherischen Kirche zum Antinomismus. Antinomistisch lautende Aeusserungen Luther’s wur- den in Joh. Agricola zum ausgesprochenen Antinomismus, welcher, obgleich von Luther selbst kraftig bekampft, aucli nachher noch in seiner schroffsten Gestalt sich geltend machte 1 2 3, und der Concor- dienformel Veranlassung gab, durch die Unterscheidung eines drei- fachen Werths und Nutzens des Gesetzes die lutherische Lelirweise festzustellen. 2. Die Sacramente. Der anfangs noch schwankende lutherische BegrifF des Sacra¬ ments erhielt seine genauere Bestimmung theils durch dieBeschran- kung seines Umfangs auf die Zweizahl, da aucli die Absolution, vve- gen des ihr fehlenden Merkmals des aussern Zeichens, der Taufe und dem Abendmahl nicht gleichgestellt werden konnte, theils dadurch, dass der Glaube, in welchen Lutiier zuerst die gauze Realitat des Sacraments setzen wollte, die Objectivitat desselben sclion zu seiner Yoraussetzung haben zu miissen schien, und ihr gegeniiber nur die , die Wirksamkeit des Sacraments bedingende subjective Seite bilden sollte 3 ). Z wingli nahm die Sacramente von Anfang an als blosse Zeichen, sie sind als religiose Erkenntnissakte Zeichen des Glaubens und der im Glaubeii ubernommenen Verpllichtung, Pflichtzeichen 4 ). Audi fur Calvin sind die Sacramente an sich blosse Zeichen, aber es verbindet sich mit ihnen ein objectiv gottliches Princip, der in dem Sacrament als seinem Organ wirkende heilige Geist, dessen Wirksamkeit sicli zum Sacrament so frei verhalt, dass sie keine ihm immanente, sondern nur eine durch dasselbe ausserlich vermit- telte ist 5 }. Die Socinianer und Arminianer gaben ohnediess den Sacramcnten keine andere, als bios bildliche Bedeulung, sie stelien auf dem aussersten Punkte des Gegensatzes zu dem katholischen, zu Trient bestatigten Lehrsatz des conferre gratiam ex opere operato, womit alien abweichenden Ansichten gegeniiber die Bedeutung der 1) Schenkel, a. a. 0. 1. S. 172. f. 2) Elwert, De antinomia J. Agricolae Islebii. Diss. hist, thcol. 1836. ' • 3) Vergl. Luther, de captiv. babyl. und catecb. maj. S. 545. Schenkel, a. a. S. 395. f. 4) Zeller, a. a. 0. S. 111 . f. 5) Inst. chr. rel. 4, 14. Baur, Dogmengeschichte. 22 338 Dritte Hauptperiocle, erster Abschnitt. §. 110. Sacramente in die reine Objectivitat der aussern Handlung gelegt wird. a. Die Taufe. Die Auffassung der Taufe war, wie sich von selbst versteht, bedingt durch den principiellen Unterschied der Ansichten, dieser selbst aber trat hier am meisten zuriick. Die Hauptfrage war, ob die Taufe als Kinder- und Wassertaufe eine im Wesen der Sache und in der Schrift begriindete Bedeutung babe, woriiber Servet und Schvvenkfeld, die Wiedertaufer und Socinianer von der kirchlichen Lehre mehr oder minder abwichen. Urn die Kindertaufe zu recht- fertigen, nahmen die lutherischen Theologen auch bei den Kindern einen wahren und wirklichen Glauben an. b. Das Abendraahl. Der katbolischen Kirche gegeniiber war die Opposition der Reformatoren weit starker, als gegen die Transsubstantiationslehre, an welcher Luther wenigstens keinen selir grossen Anstoss nahm, gegen das Messopfer gerichtet, das sie als eine das Opfer Cbristi beeintrachtigende Abgotterei, und eine dem religiosen Bewusstsein widerstreitende Verkehrung des Abhangigkeitsverbaltnisses, inwel- chem der Mensch zu Gott stebt 0, mit Abscbeu verwarfen. Der zuerst zwischen Carlstadt und Luther seinen Anfang nehmende, sodann von Capito und Bucer, Zwingli und Oekolam- padius aufgenommene, und sowohl in den Streitschriften zwiscben Luther und Zwingli, als auch auf dem Religionsgesprach in Mar¬ burg im Jahr 1529 weiter fortgefiibrte Abendmablsstreit hatte scbon auf dem Reichstag in Augsburg im J. 1530 in den beiden einander gegeniiber stehenden Confessionen, derAugustana und der Tetrapo- litana, die offen vor Augen liegende Trennung der beiden evangeli- schen Parteien zur Folge gehabt, an deren gegenseitiger Stellung die Wiltenbergische Concordie so wenig anderte, als die letzte hef- tige Streitscbrift Luther’s. Eine neue Epocbe des Streits bezeicbnet die in dem Consensus Tigurinus zum gemeinsamen Bekenntniss der reformirten Schweiz erhobene CALviN’sche Lehre, welclie von J. Westphal und den streng lutherischen Theologen ebenso lieftig an- 1) Das dogmatische Moment driickt Calvin treft’end so aus: quantum in * ter eat inter dare et accipere , tantum a sacramento coenae aacrijicium dijfert, Inst, 4, 18, 7. Vergl. Cjhemniz, Ex. cone. Trid. S. 48G. f. Lehre von den Gnadenmitteln. 339 gegriflen, als von Calvin und Th. Beza nachdriicklich vertheidigt, der Anlass und Gegenstand eines erneuerten Conflicts der beiden Parteien war, bis zuletzt, nach der gewaltsamen Unterdruckung des in Wittenberg und Leipzig entdeckten Kryptocalvinismus, die Con- cordienformel durch die formliche Yerdaminung der calvinischen Lehre den Gegensatz der beiden evangelischen Kirchen auch sym- bolisch befestigte. Demgemass stellte sich der Unterschied der beiden Hauptan- sichten auf folgende Weise fest: Nach Luther ist Christus, wie so- wohl nach dem schriftgemassen Sinn derEinsetzungsworte, als auch inFolge der Ubiquitatslehre, nicht anders angenommen werdenkann, substanziell in Brod und Wein mit seinem Leib und Blut gegenwar- tig. .Ihre objective Realitat hat zvvar die Gegenwart Christi nur im Moment des Genusses, in diesein aber ist sie so objectiv, dass auch Unglaubige den Leib und das Blut Christi geniessen. Statt der Trans¬ substantiation der katholischen Lehre ist demnach liier nur eine Con- substantiation, und wahrend dort die substanzielle Gegenwart in die ganze Aeusserlichkeit des objectiven Daseins hinausgestellt wird, wird sie liier gleichsam nur auf der Grenzscheide des Objectiven und Subjectiven als ein fliichtiger Moment erfasst. Nachdem sclion Zwingli die Annahme eines realen Genusses des Leibes und Blutes Christi als eine weder nothwendige noch denkbare mit treffenden Griinden bestritten und gezeigt hatte, dass statt der leiblichen Gegenwart nur eine geistige, und statt eines leib— lichen Genusses nur ein geistiger stattfinden konne, bestimmte Cal¬ vin diesen geistigen Genuss naher als einen solchen, in welchem das durch die Vermittlung der Substanz des Fleisches Christi auf uns iibergehende geistige Leben durch eine geheimnissvolle Wir- kung des heiligen Geistes mitgetheilt wird. Leib und Blut sind in ihrer substanziellen Einheit das lebendig machende Fleisch des in Himmel erhohten Christus, bei welchem von aller Localitat seiner Gegenwart zu abstrahiren ist. Ebendarin, sowie in der Unmoglich- keit, dass auch Unglaubige an einem solchen Genuss theilnehmen, besteht der nicht auszugleichende Unterschied der calvinischen Vor- stellung von der lutherischen, so nahe sich beide in den concreten Ausdriicken, deren sich Calvin bedient, zu bertihren scheinen. Wie wenig die streng lutherische Abendmahlslehre im Sinne Melanchthon’s war, beweist die Fassung, die er in der YariataA.C, 22 * 340 Dritte Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 111. vom Jalir 1540 dem zehnten Artikel gab, und sein deutlich genug erklarter Widerwille gegen das Ubiquitatsdogma. Die Socinianer und Arminianer blieben bei dem nac-kten Begriff eines bios darstellenden bildlichen Zeicbens stehen, und legten so wenig als die Mennoniten, Quacker u. A. der aussern Handlung als solcher eine specifiscbe Bedeutung bei. §. 111 . Lelire voti der liirclie. Die Lelire von der Kirche ist das Dogma, in welcbem das Princip aller durch die Reformation bewirkten Yeranderungen und des grossen durch sie entstandenen Gegensatzes enthalten ist. Zum Bruch mit der bisher bestehenden Kirche konnte es nur dadurch kommen, dass man die Kirche, wie sie in der Wirklichkeit existirte, nicht mehr als die an sich vvalire anerkannte, was sogleich zu der weitern Behauptung fiihren musste, dass das substanzielle Wesen der Kirche uberhaupt nicht in ihrem Aeussern, sondern nur in ihrem Innern zu suchen sei. Aus den Consequenzen der Gegner, dass die Protestanten die Kirche zu Etwas machen, von dessen Existenz man sich nicht uberzcugen konne, zu einem gar nicht existirenden pla- tonischen Slaat, ergab sich der protestantische Begriff der Kirche als einer congregatio sanctorum, deren Existenz aber doch nur in der ausserlich bestehenden Kirche vorausgesetzt werden kann. Die Kirche ist daher keine zweifache, sondern als eine und dieselbe ist sie sowohl unsichtbar als sichtbar x ), und es fragt sich daher nur, in welchem Sinn sie sowohl das Eine als dasAndere ist, oder woran erkannt werden kann, dass sie als eine ausserlich und sichtbar exi- stirende auch zugleich eine unsichtbare congregatio sanctorum ist, sie von sich nicht auschliesst, sondern in sich selbst begreift. Dar- auf beziehen sich die notae externae der Kirche, die Predigt des Evangeliums und die Verwaltung der Sacramente, aber sie sind nur die objectiven Bedingungen der Existenz der wahren Kirche. Das 1) Die Ausdriicke ecclesia visibilis und invisibilis bei Zwingli, Werke Bd. 6. 8. 432.: haec ecclesia est, quae soli Deo' cognita, nobis autem invisibilis, incognita. Ycrgl. Zeulkr, a. a. 0. S. 152. Ohne den Ausdruck zu gebrauchen, sprach Luther von der Kirche als einer unsichtbaren sehr bestiramt in einer Schrift vom J. 1520, vgl. Schenkei., a. a. 0. 3. S. 126. Kostlin, Luther’s Lelire von der Kirche. 1853. S. 4. f. Lehre von der Kirche. 341 katholische Dogma dagegen bestimmt das Wesen der Kirche auch in Ansehung der Subjecte, die zu ihr gehoren, nach ausserlichen Merkmalen. Da die Kirche wesentlich und vor allein Andern eine sichtbare ist, so kann man auch nur aus den die Kirche bildenderi Subjecten das objective Dasein der Kirche erkennen, die Kirche ist da, wo es Subjecte mit diesen bestimmten Merkmalen gibt 1 ). Nach dem protestantischen Beginf? der Kirche kann man aus den notaenur schliessen, dass da, wo diese objectiven Bedingungen vorhanden sind, es auch nicht an Subjecten fehlen werde, in welchen diewahre Kirche auch in der Wirklichkeit existirt. Welche Subjecte es aber sind, gehort in die Sphare des individuellen Bewusstseins, und da, was der Einzelne fur sich weiss, nur Gott von alien weiss, so ist die ecclesia invisibilis Deo soli nota. Die tiefere Auflfassung desGe- gensatzes der katholischen und der protestantischen Lehre von der Kirche beruht darauf, dass es zu einem Bruch mit der bisher beste- hetiden Kirche nicht kommen konnte, ohne dass ebendamit das Be- wusstsein gendthigt war, auch mit der Unmittelbarkeit der aussern Objeetivitat zu brechen. Der Protestantismus ist daher, indem er zwischen Wesen und Erscheinung unterscheidet, ebenso wesentlich kritischer Natur, als dagegen der Katholicismus, weil ilnn die Er¬ scheinung auch das substanzielle Wesen derSache selbst ist, seinem wesentlichen Charakter nach ein unkritischer Empirismus und Dog- matismus ist. Der ganze Unterschied hat seinen principiellen Grund darin, dass das Verhaltniss von Idee und Wirklichkeit, Wesen und Erscheinung auf sehr verschiedene Weise aufgefasst werden kann. In der Anschauuno- der Katholiken fallt beides wesentlich zusammen, in der des Protestanten muss beides unterschieden und so viel mog- licli imBewusstsein auseinandergehalten werden. Das an sich seiende Wesen der Idee kann sich nur in der aussern Erscheinung verwirk- lichen, aber es kann auch in ihr nie vollig untergehen. Die Idee ist in letzter Beziehung immer wieder das liber jede aussere, particu¬ lar, endliche Form der Existenz der Kirche libergreiferide Princip. Gemass der aussern Entwicklung der protestantischen Kirche nahm auch das Dogma den Gang, dass, so iiberwiegend anfangs das We¬ sen der Kirche in die Idealitat der unsichtbaren gesetzt wurde, in der Folge tnehr und mehr das umgekehrte Verhaltniss stattfand, und 1) Bellarmin, de eccl. milit. 3, 2. 342 Dritte Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 112. die bekannten Attribute der Kirche, welche dieProtestanten nur der unsichtbaren Kirche beilegen konnteu, der Sache nacli auch auf die sichtbare iibergetragen wurden. Die Unterscheidung zwischen einer reprasentativen und synthetisclien Kirche gehort hauptsachlich auch unter diesen Gesichtspunkt. Auch schon Calvin drang auf die Ein- heit in der Lehre weit mehr, als der protestantische BegrifF der Kirche an sich zulasst Die Lehren der Wiedertaufer, welche die Idee der Kirche in den Wiedergeborenen in ihrem Sinn gewaltsam realisiren wollten, und die Ansichten solcher, welche, wie S. Frank und Schwenkfeld, die sichtbare Kirche ganz in der Idealitat der unsichtbaren ver- schwinden liessen, sind Extreme des protestantischen Begriffs der Kirche, welche weit ausserhalb der Sphare seiner geschichtlichen Entwicklung liegen. §. 112 . Iidire von den letzten Dingen. Das Wichtigste ist die Yerwerfung der in das ganze System des Katholicismus so tief eingreifenden Lehre vom Fegfeuer mit allem, was damit zusammenhangt. Im Uebrigen blieb die protestantische Dogmatik den hergebrachten Yorstellungen auf diesem Gebiet um so getreuer, je mehr sie dadurch auch einen Beweis der Continuitat ihres Bewusstseins mit dem gemeinsamen kirchlichen geben konnte. Ausdrucklich verwerfen daher auch die Symbole die von den Wie- dertaufern erneuerte Lehre von einer Wiederbringung aller Dinge und andere Yorstellungen dieser Art. Die Lehre von der Ewigkeit der Holleristrafen erhielt im calvinischen System noch eine holiere Begriindung durch das absolute Decret und die Vorstellung eines Gottes, welcher einen Tlieil derMenschen nur fur den Zweck schafft, um durch ihren ewigen Tod sich zu verherrlichen. Der kritische Geist des Protestantismus war noch nicht soweit erwacht, um auch in das Gebiet der Eschatologie einzudringen. 1) Schenkel, a. a. 0. 3. S. 182. Drltte Hauptperiode. Zweiter Abschnitt. Vom Anfang des achtzehnten Jahrhunderts bis in die neueste Zeit. Einleitung. §. H3. Iter Uiiiscliwung* des protestantisclien. Bewiisstseins. Seit dem Anfang des achtzehnten Jahrhunderts erfolgte, ohne dass bei dem Zusammenwirken so verschiedener Momente ein be- stirnmter einzelner Punkt genauerbezeichnet werden kann, mehr und mehr ein allgemeinerUmschwung des protestantischenBewusstseins, welcher in rascher Folge einen sehr inhaltsreichen Entwicklungs- process durchlief. Der Mittelpunkt der neuen Bewegung ist die deutsch protestantische Kirche, und die Dogmengeschichte fallt da- her in ilirem letzten Stadium ganz zusammen mit der Geschichte der deutsch protestantischen Theologie. Diese Bewegung war ihrem Princip nach keineswegs etwasNeues, sondern es befreite sich jetzt nur das protestantische Princip von der Gebundenheit, in welcher es sich durch unwillkurliche Selbstbeschrankung befand. Die Re¬ formation schloss von Anfang an ein doppeltes Interesse in sich, neben dem specifisch religiosen auch das allgemeine Vernunftinter- esse. Das im Interesse der Religion inAnspruch genommene Recht der Glaubens- und Gewissensfreiheit konnte nur als ein Recht der Vernunft iiberhaupt, als das an sich Vernunftige, geltend gemacht werden. Im Bewusstsein seiner Freiheit emancipirte sich das vom Drange seines Seligkeitsbediirfnisses bewegte Subject von Allem, was mit seinem religiosen Bewusstsein in einen unertraglichen, un- versdhnlichen Widerspruch gekommen war. Dieses hohere, in der 344 Dritte Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 113. Freiheit des Selbstbewusstseins gegriindete Princip war jedoch nur die der Reformationsbcwegung an sich zu Grunde liegende Voraus- setzung, die als solcbe noch nicht rein zum Bewusstsein kam. Je mehr das vernunftige Princip gegen das rein religiose noch zurtick- trat und dernselben sich unterordnete, um so tiefer wurde das letz- tere in die Particularity beengender Gegensatze verschiedener Art hineingezogen, und auf der Grundlage des protestantischen Sclirift— princips constituirte sich, indem die Freiheit der Schrifterklarung selbst wieder an die Norm der Syinbole gebunden wurde, ein dog- matischer Glaubenszwang, welcher von dem Auctoritatszwange des katholischen Systems nicht wesentlich verschieden war. Ein wei- terer Fortschritt war nur dadurch moglich, dass das protestantische Bewusstsein, je mehr es des in dieser Gebundenheit liegenden Wi- derspruchs sich bewusst wurde, um so mehr auch die Nothwendig- keit anerkannte, das Einseitige und Particulare, das ihm in seiner Beschranktheit noch anhing, von sich abzustreifen, und sich selbst immer reiner in der Allgemeinheit seiner urspriinglichen Idee zu begreifen suchte. Es war also jetzt wieder im Grunde derselbe Fall, wie im Anfang der Reformation. Es musste zum Bruch mit einem herrschenden System kommen, mit welchem die Freiheit des Sub¬ jects nicht zusammenbestehen konnte. Nur verhielt es sich jetzt darin anders, dass das Princip der Selbstbefreiung nicht erst errun- gen, sondern nur das schon errungene in seiner vollen Bedeutung begriffen und zur praktischen Geltung gebracht werden musste. Eben desswegen erfolgte auch diese neue Bewegung ganz anders, als jene erste, nicht durch einen plotzlich geschehenenRiss, und auf aussere, ofFenkundige Weise, sondern nur allmalig und in derStille, wie es die Art und Weise der jetzt zu ihrem Rechte kommenden Vernunft ist, auf dem Wege eines geheim sich entspinnenden, von Moment zu Moment dialektisch sich fortentwickelnden, Processes sich in ihrer iibergreifenden Macht zu bethatigen. §. 114. Iter Pietismius uud der Rationalisiiiiiis. Ein System, wie das der alten protestantischen Dogmatik, liatte von Anfang an zu sehr dieElemente einer innern Auflosung in sich, als dass es derselben sich lange erwehren konnte. Der transcen- denteDogmatismus zerfiel in sich, sobaldder uberspanntepolemische Der Pietismus und der Rationalismus. 345 Eifer, welcher allein eiti innerlich so wenig zusammenhangendes System aufrecht erhalten konnte, nachzulassen angefangen hatte, und man in der Antipathie gegen das Orthodoxe kein Interesse hatte, Widerspriiche zu verbergen, welehe, sobald man sie seben wollte, ofFen genug vor Augen lagen. Das Uebermaass des Streites hatte schon zu Anfang des achtzehnten Jahrbunderts Ueberdruss undWi- derwillen erzeugt. Die an die synkretistischen Streitigkeiten sich anschliessenden pietistischen setzten zwar zunachst nur den langen Yerlauf der protestantisch lutheriscben Streittbeologie weiter fort, aber der neu auftretende Pietismus hatte seine wichtigste Bedeu- tung fur die Geschichte des Dogma darin, dass sich in ihm zu- erst eine dem kircblichen System abholde und aus Mangel an innerer Befriedigung von ihm sich abkehrende Stimmung kund gab. Indem der Pietismus, in der Ueberzeugung, dass das Wesen der christ— lichen Religiositat nicht in Glaubenssatzen, die fur sich schon als der Inbegriff der allein seligmachenden Wahrheit galten, sondern in dem praktisch Erbaulichen und einfach Biblischen bestehe, aus dem Gerausche der theologischen Polemik an den innern Herd des from- men Gefiihls sich fliicbtete, musste er, je mehr er sich an demsel- ben erwarmte, und in der Einkehr des Subjects in sich selbst seine innere subjective Befriedigung fand, urn so kalter und indilferenter gegen das in seinem leeren Formalismus erstarrte Dogma werden. Man liess das Dogma in seiner Aeusserlichkeit stehen und glaubte, wenn auch nicht ohne Dogma, dock ohne ein System von Dogmen gerade in dieser bestimmten Form, Religion und Christenthum zu liaben. In diesem Innerlicbwerden der Religion, dem Insichgehen des Subjects, urn die Religion vorAllem fur sich zu liaben, undinihr, als einer Sache des Herzens und Gefiihls, sich innerlich befriedigt zu fiihlen, macht der Pietismus schon den Uebergang auf einen Standpunkt, auf welchem das Subject nicht bios das Recht seiner Subjectivitat fiir sich in Anspruch nimmt, sondern auch schon die Macht eines weiter greifenden Princips in sich tragt. Jener rein ausserlichen, abstossenden Objectivitat des orthodoxen Systems ge- geniiber konnte es sich nur auf den gerade entgegengesetzten Stand¬ punkt seiner Subjectivitat stellen. Es war diess aber zunachst nur eine andere, nicht minder grosse Einseitigkeit, so lange es im ersten erwachenden Gefiihle seiner Freiheit, auf dem Boden seiner Sub¬ jectivitat zwar festenFuss fasste, aber das tiefereBewusstsein seiner 346 Dritte Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 114. selbst nocli nicht gewonnen hatte. Statt sicli in sich selbst zu ver~ tiefen, und in dieser Vertiefung in sich auch seiner Endlichkeit sich bevvusst zu werden, ging das sich iiberhebende Subject seinen eige- nen subjectiven Ansichten und Vorstellungen, seinen particularen Interessen undMotiven nach, urn sie als die hochsten Principien sei¬ nes Denkens und Wissens, seines Wollens und Handelns aufzu- stellen. So geschah es, dass das frei sich bewegende, in den ver- schiedenen Formen seiner Subjectivitat sich selbst gefallende Ich bald nach dieser, bald nach jener Seite in seiner Freiheit sich be- thatigte, aber immer nur in den engen Schranken seiner Endlichkeit befangen blieb. Was dort in der iiberwiegenden Innerlichkeit des Gefiihls zum Pietismus geworden war, wurde hier, in der Richtung nach der Verstandesseite, zu jenem oberflacldichen Rationalismus, welcher schon seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in der deutschen Theologie sich festsetzte. Man kannte keinen andernMaas- stab der Bcurtheilung, als den einer flachen und niichternen Yer- standesreflexion, oder einer Alles nur nach dem subjectiven Nutzen und Wohlergehen bemessenden Niitzlichkeits- und Gliickseligkeits- theorie. In diesem innern Zusammenhang des Charakters einer dem Zuge ihrer Subjectivitat immer freier sich hingebenden Zeit schloss sich an die pietistische Richtung die bekannte Periode der Aufkla— rung an. Sie hat, wie in der deutschen Literatur iiberhaupt, welche damals ihren ersten Aufschwung nahm, so auch in der Theologie so- wohl ihre gute, als ihre schlimme Seite. Es war ein neues, regeres Leben erwacht, ein frischer Luftzug des Geistes durchwehte, wie an- dere Gebiete, so auch die Theologie, und in dem Lichte einer von den Fesseln des Auctoritatszwanges sich entbindenden Freiheit er- offnete sich ein neuer Gesiclitskreis, in welchem so Yieles ganz anders erschien, als man es bisher zu betrachten gewohnt war. Das Einseitige und Mangelhafte aber war, dass man schon mit jenem Negativen einer das Alte von sich abstossenden Freiheit das Hochste erreicht zu haben glaubte, und in der selbstgefalli- gen Freude iiber die neugewonnene Bildungsstufe keine Ahnung davon hatte, auf welchem beschrankten Standpunkte einer nur in dem Kreise ihrer Endlichkeit sich bewegenden Subjectivitat man sich noch immer befand. Die Aufklarungsperiode musste erst durch Lessing’s scharfen Geist iiber sich selbst verstandigt und aufge- klart werden. Der Deismus und Naturalismus, 347 §. 115. Her Oeisnins und ftaturalisiiius. Was in Deutschland schon auf dem hier bezeichneten Wege, in einer zu deni System der kirchlichen Orthodoxie sich selir ne- gativ verhaltenden Richtung, unter dem Namen des Rationalismus, als neue theologisclie Ansicht sich ausbildete, war nur eine andere Form derselben Denkweise, welche in England unter dem Namen des Deismus schon in der vorigen Periode hervorgetreten war, und nun in einer Reihe von Mannern, in welchen der Deismus jetzt erst vollends zu seinem bestimmten Charakter sich auspragte, seinen weitern Verlauf nahm. Er setzte sich immer mehr in ein feindliches Oppositionsverhaltniss zum Christenthum und zur Offenbarung iiber- haupt, urn dem Christenthum der Reihe nach alle Stiitzpunkte zu nehmen, auf welche es, als geolfenbarte Religion, seinen Anspruch auf Wahrheit und Gottlichkeit griindete. Auch der englische Deis¬ mus ist, wie der deutsche Rationalismus und der hierin wenigstens, in dieser Wurzel seines Ursprungs, mit ihm verwandte Pietismus, unter denselben Gesichtspunkt des nunmehr zu seiner Herrschaft kommenden Princips der Subjectivitat zu stellen, und der Deismus selbst machte die Autonomic der zur aussern Auctoritat sich frei verhaltenden Vernunft, oder die s ubjective Fr eiheit des GedankenSj das sogepannte Freidenken, ausdriieklich auch theoretisch als sein Princip geltend. Der ernstere Charakter des englischen Deismus ging zuletzt, schon in den Deisten selbst, in die frivole Seichtigkeit des franzosischen Naturalismus, Materialismus und Atheismus liber, in der auch auf Deutschland ihren Einfluss erstreckenden destrukti- ven Tendenz Voltaire’s und der Encyklopadisten. Aus dem ener- gischen Geist des englischen Deismus gingen in Deutschland die Wolfenbuttler Fragmente hervor, an welchen, in den durch sie ver- anlassten, und von Lessing mit aller Kraft seines Geistes gefiihrten Verhandlungen, der deutsche Geist schon damals zeigte, wie er auch den klihnsten Zweifel in sich zu verarbeiten im Stande ist, und zum Inhalt der Offenbarung keine andere Stellung sich geben kann, als eine durchaus kritische. §. 116. Die ftritik. Dieselbe Periode, in welcher dieser Umschwung des Rewusst- seins erfolgte, war auch die Periode der erwachenden Kritik. Auf 848 Dritte Hauptperiode, z welter Abschnitt. §. 116. dem Slandpunkte des alten kirchlichen Systems, auf welchem vor dem Zeugniss des gdttlichen Geistes alle menschlichen Gedanken verstummen mussten, konnte wenigstens von keiner geschichtlichen Kritik die Rede sein; die Kritik ist erst dadurch moglicb, dass das Subject, seinem Object gegeniiber, seiner Freiheit sich bewusst ist, sie ist selbst nichts Anderes, als eine solche Unterscheidung des Objects von dem ihm gegeniiberstebenden Subject, vermoge wel- cher das Subject in den Stand gesetzt ist, das Object rein, vvie es an sich ist, so viel moglicb olme den triibenden Einfluss subjective!* Beziehungen, zu betracbten. Semler war es, durcb welcben zuerst ein historisch kritiscber Geist in die neuere Tbeologie kam. Er nabm nicht nur das Recht der Untersucbungf des Kanons in seiner vollen Freibeit in Ansprucb, sondern ging aucb in der Erklarung des lnbalts der kanoniscben Schriften von dem Grundsatze aus, dass iiberall erst das Allgemeingiiltige von dem Localen und Temporellen geschieden werden miisse. Hiemit fiel mit Einem Male so Yieles, was bisher als stebendes Dogma gait, in dieSphare der blossen Zeit- vorstellungen und in denFluss der gescbicbtlicbenBewegung zuriick. Olme den dogmatischen IndifFerentismus jener Zeit, wie er Semler ganz besonders eigen war, hatte diese neue kritische Ansicbt sicb nicht bilden konnen. Nur wenn das Subject sein eigenes subjectives Interesse von dem Dogma abzulosen gelernt hat und zu derEinsicbt gekommen ist, dass es sicb nicht bei jedem Worte und Satze der Scbrift urn seine eigene Seligkeit oder Unseligkeit handle, kann man unbefangen und uninteressirt fragen und untersuchen, wie es mit den kanonischen Schriften, ibrem Inhalt und Ursprung sich verhalt. Mag nun aucb diese Kritik, wie es bei den Anfangen jeder Wissen- schaft nicht anders sein kann, in so Vielem willldirlicb und ungriind- lich, bescbrankt und kleinlich, und wie die bekannte Accommoda- tionsbypotbese mit ibrer Halbheit und Inconsequenz beweist, liber ihre Grundsatze sicb selbst nocli nicht sehrklar gewesen sein, mdgen daher aucb, was bei der Negativitat dieses kritischen Yerfabrens urn so weniger befremden kann, die Grundsatze und Ansichten Semler’s keinesweges mit grossem Beifall aufgenommen worden sein, son¬ dern selbst von Theologen, wie Ernesti, lebbaften Widerspruch er- fabren liaben, so war nun doch die Balm zu einer ganz neuen Auf- fassung und Bebandlung des Dogma gebrochen, der historisch kriti¬ schen. Das ganze Bewusstsein der Zeit nahm iinmer mebr einen Die Philosophic* 349 kritischen Charakter an, und das alte Iheologische Schriftprincip liatte schon jetzt seine unbedingte Auctorilat verloren. Der Stand- punkt war jetzt der gerade umgekehrle geworden. War friiher das Subject nur dazu da, urn in der Voraussetzung der absoluten Gott* lichkeit der Schrift in sich das Zeugniss der Schrift von sicli selbst aussprechen zu lassen, so konnte jetzt die Gottliclikeit der Schrift nur noch so vveit gelten, als das Subject in der kritischen Stellung seines Bewusstseins sie als solche anzuerkennen sich fur berechtigt hielt. §. 117 . l>ie Pitilosophie. Einen solchen Verlauf nalnn der Umschwung des religiosen und dogmatischen Bewusstseins schon innerhalb der Theologie selbst. Das Subject wurde sicli desRechts seiner Freiheit bewusst, es sagte sich von der unbedingten Auctorilat des Dogma los, die Macht der Subjectivity gewann mehr und mehr das Uebergewicht, und das Dogma wurde, schon so betrachtet, aus einem Objecte desGlaubens ein Object des denkenden Bewusstseins. Wenn aber diess das Hauptresultat des erfolgtenUmschwungs war, dass das iiberwiegende und ausschliesslich herrschende religiose Interesse dem allgemeinen Yernunftinteresse sich unterordncn musste, so konnten jetzt aucli die Philosophic und die Theologie nicht mehr in dem ausserlichen Yerhaltniss zu einander bleiben, in welchem sie bisher noch waren. Sie mussten aus demselben herauslreten, liber ilire Stellung zu ein¬ ander sich klarer verstandigen, und die Folge hievon konnte nur sein, dass beide sich gegenseitig um so liefer durchdrangen, je mehr sie sich ihrer Einheit in der denkenden Yernunft bewusst wurden. Der ersle Philosoph, welcher es sich eigenllich zur Aufgabe machte, die Philosophic und die Theologie liber ihre Stellung zu einander zu orientiren, und zwischen beiden, wie zwischen zwci feindlichen Machten, einen die beiderseitigen Rechte so vicl mdglich wahrenden Frieden zuStande zu bringen, war Leibniz, und die Hauplveranlas- sung dazu gab ihm P. Baylk, in welchem die Entzweiung zwischen Yernunft und Glauben, die in dem freien Gedanken durch die Macht des Zweifels in das ganze Bewusstsein der Zeit eingedrungen war, oder eben jenes Yerhaltniss zwischen Philosophic und Theologie, so lange beide noch ausserlich einander gegeniiberstanden, in seiner ganzen Harte sich darstellt. Die Losung der Aulgabe war keinc 350 Dritte Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 117. 118. tiefere Versohnung des Glaubens und Denkens, sondern nur die einfache, nicht einmal lieue Auskunft, dass jeder der beiden Theile das Recht der Wahrheit fiir sich babe, weil aber die Wahrheit sich rticht selbst widersprechen kbnne, Wahrheit mit Wahrheit gar wolil zusammenbestehe, nur inusste die Vernunft, weil, was liber die Vernunft ist, nieht Unvernunft, sondern auch wieder Vernunft sein sollte, sich gefallen lassen, sich in eine hohere und niedere zu thei— ten, und in dieser unnatiirlichen Theilung ihres Wesens sich selbst aufzugeben. Der grosste Vortheil, welchen die Philosophic von diesem diplomatisch abgeschlossenen Vertrage hatte, war die An- erkennung ihrer gleichen Berechtigung mit der Theologie. Auf dieser Grundlage wagte sie es daher sclion in Wolf selbst zur Theologie zu werden, und sich als natlirliche Theologie der geoffenbarten zur Seite zu stellen, welche nun neben jener in Gefahr kam, mehr oder minder fiir iiberfliissig gehalten zu werden. Die vernlinftigen Ge- danken, welche durcli Wolf’s popularisirende Methode in alien Ge- bieten der Wissenschaft in Umlauf gesetzt wurden, machten sich auch in der Theologie geltend, und ein popularer, auf dieAussagen des gesunden Menschenverstandes sich stlitzender, und zugleich auf seine schulgerechte Methode vertrauender Rationalismus hatte be- sonders seit der WoLp’schen Philosophic festen Boden gewonnen. §. 118 . Kant, Ficliie, Nchellin^. Nachdem einmal Philosophic und Theologie in eine solche Be- ziehung zu einander gekommen waren, musste auch die Theologie den ganzen Process, welchen die Philosophic, seit ihrer grossen, durch Kant eingetretenen Epoche, in der raschen Folge ihrer Ent- wicklungsmomente durchlief, an sich durchmachen, und es stellte sich immer klarer lieraus, wie die beiden Gebiete von derselben bewegenden Macht der Zeit beherrscht wurden. Was langst der innere Zug des Geistes war, in das subjective Bewusstsein einzu- gehen, und sich in ihm als eine eigene, fiir sich seiende Macht zu wissen, wurde von der KANT’schen Philosophic, in ihrem kritischen Idealismus, als das eigentliche Princip ausgesprochen. Sie nannte sich Idealismus, weil ihr nur das Bewusstsein des Subjects, das Ich des Selbstbewusstseins, die absolute Macht liber alles Gegebene war, und einen kritischen Idealismus, weil sie somit auch Alles nur in Kant, Fichte, Schelling. 351 seiner Beziehung zum Bewusstsein auffassen und beurtheilen konnte, AIs theoretische Vernunft hatte zwar das Bewusstsein seine noth- wendige Schranke an deni Ansichsein der Dinge, an welcher es sich seiner Endlichkeit und Negativitat bewusst wurde, aber nur urn so entschiedener sprach es sich in der praktischen Vernunft, in dem absoluten Sollen des sittlichen Imperativs, als die reine Autonomie des Selbstbewusstseins aus. Die Selbstgewissheit der praktischen Vernunft war das hochste Princip, von welchem aus alle Realitat des Wissens und Glaubens nur durch ein praktisches Interesse be- dingt sein konnte. Wie Religion und Christenthum jetzt ihren sub- stanziellen Inhalt nur in den Ideen der praktischen Vernunft batten, so erhielt das ganze System der christlichen Theologie von diesem Gesichtspunkte aus einen ganz andern eigenthiimlichen Charakter, aber im Gegensatze gegen den alles Positive des Christenthums ver- flachenden Rationalismus suclite Kant den Grundlehren des Chri¬ stenthums in der Tiefe des sittlichen Bewusstseins eine neue tiefere Bedeutung zu geben. Der FiciiTE’sche Idealismus, in welchem das Ansichsein der Dinge zu einer vom Ich selbst gesetzten Schranke wurde, war nur die Consequenz des IiANT’schen, aber auch der Wendepunkt, von welchem aus die in derUnendlichkeit ihres Sollens zum Bewusstsein ihrer Negativitat gekommene Subjectivitat des Ich’s zur Objectivitat desSeins und derNatur, als ihrem festenHaltpunkte, sich getrieben fiihlte. Nur in der Identitat des Subjectiven und Ob- jectiven sollte jetzt die Idee des Absoluten ihren adaquaten Ausdruck haben, aber in dieser schlechthin gesetzten, unvermittelten Identitat erhielt die Naturseite, als Naturphilosophie, so sehr das Ueberge- wicht, dass die schon jetzt auch fur die christliche Theologie aus- gesprochenen, spekulativen Ideen noch keine festere Consistenz ge- winnen konnten. §. 119 . JMer Ciegcusatz ties Hatioiialisiiius mill Siipraiiatura* lisinus* Sclileiermaclier. Unter diesen eng an einander sich anschliessenden philoso- phischen Systemen war es das Kant’scIic, das den bedeutendsten Einlluss auf die Theologie hatte. Das FiCHTE’sche setzte sich in ein zu schrolfes Verhaltniss zu allem Positiven des Christenthums, und das ScHELLiNa’sche construirte sich zu einseitig aus spinozistischen und naturphilosophischen Elementen. Das Kant’scIic System da- 352 Dritte Hauptperiode, zweiter Absclinitt. §. 119. gegen liatte in den sittlichen Grundsatzen, die es aufstellte, eine so allgemein einleuchtende Wahrheit, dass es aucli in das populareBe- wusstsein eindrang, und selbst solche Theologen, welche sich nicht zu den Principien der KANT’schen Philosophic bekannten, wenigstens yon ihren praktischen Ideen vielfachen Gebrauch machten. Insbeson- dere ist es als ein fur die Tbeologie wichtiges Yerdienst der Kant’- schen Philosophic anzuerkennen, dass sie im Gegensatze gegen die dem christlichenBewusstsein so selir widerstreitende eudamonistische Richtung der vorkant’schen Periode durch die Reinheit ihrer Grund- satze das sittliche Bewusstsein scharfle und Iauterte. Auch in dieser Hinsicht besonders eignete sich die Kant’scIic Philosophic ganz dazu, der schon friiher vorhandenen, aus verschiedenartigen Elementen hervorgegangenen, rationalistischen Ansichl neue Stutzpunkte dar- zubieten, durch welche sie zu einem fester geschlossenen System wurde. Hauptsachlich unter dem Einflusse der KANi’schen Philo¬ sophic, und der aus ihr in das ailgemeine Zeitbewusstsein iiberge- gangenen Ideen, bildete sich der Gegensatz der seit dem Anfang des neunzehnten Jahrhunderts die gauze theologische Welt immer melir in zwei feindliche Lager theilenden theologischen Sysleme des Rationalismus und Supranaluralismus, deren endloser, in verschie- denen Modificationen sich forlspinnender Kampf darum nie zu einer Ausgleichung komrnen konnte, weil beide auf detnselben Stand- punkte einer, alles Speculative von sich fern hallenden, nie auf den letzten Grund zuriickgehenden, sondern immer nur in relativen Ge- gensatzen sich abmuhenden Rellexionslheologie sich befanden. Sie konnten nur dadurch, dass ein Starkerer fiber sie kam und beide auf gleiche Weise unler sich brachte, zum Bewusstsein ihrer Ein- seiligkeit und Negativilat gebrachl vverden. Diess geschah durch die SciiLEiERMACHEH Sche Theologic, deren grosse, Epoche machende Be- deutung vor Allem in dem Verhaltniss liegt, in das sie sich zu jenen beidenSyslemen setzte. Sie mussten sogleich in sich zusammenfallen, sobald das gegenseitige lnteresse, das sie trennle, in einer hdhern Ansicht, die sich fiber sie slellte, und beide in sich aufgehen Hess, nach beiden Seilen bin auf gleiche Weise gewahrt war. Die Sciileier- MACHER sehe Theologic ist ralionalislisch, aber nicht im Sinne des vulgaren Rationalismus, welcher, so lange er das Yerhaltniss Gottes und der Welt nicht als ein immanentes zu denken vermag, auch nicht im Stande ist, dem schlechthin Uebernatiirlichen und Ueber- Der Gegensatz des Rational, und Supranat. Schleiermacker. 358 vernunftigen die letzte Wurzel seines scheinbar berechtigtenDaseins abzuschneiden. Sie ist ebenso auch supranaturalistisch, sofern es ihre Absicht nicht ist, das AVesen des Christenthums in den sich gegenseitig bedingenden Zusammenhang der geschichtlichen Er- scheinungen so hineinzustellen, dass es in der Quelle seines Ursprungs nicht zugleich etwas Unmittelbares und Uebernaturliches ware, nur kein solches, das nicht auch wieder als naturgemass begriffen werden konnte. Diese beiden Elemente, das rationalistische und supra- naturalistische, fasst sie als Einheit darin zusammen, dass sie den wesentlichen Inhalt des Christenthums als die unmittelbare Aussage des frommen Bewusstseins betrachtet, das sich in sich selbst ver- tiefend von selbst zum christlichen wird. Das hochste Princip der ScHLEiERMACHER Schen Theologie, von welchem alle Faden ihres kunstlichen Gewebes ausgehen, und in welches sie immer wieder zuriickgehen, ist ein christliches Bewusstsein, das einerseits schon alles wesentlich Christliche zu seinem Inhalt hat, andererseits aber doch nur die nahere Bestimmung und der concrete Ausdruck dessen ist, was an sich schon zumWesen des frommen Bewusstseins gehort. Indent so die ScHLEiERMACiiERSche Theologie dein Christenthum ge- geniiber ihren Standpunkt auf dieselbe Weise im Bewusstsein nimmt, wie die KANi’sche Philosophie gegeniiber dem objecliven Sein iiber- haupt, ist hieraus zu sehen, wie dieselbe Bichtung der Zeit, welche (lurch Kant das Princip der Philosophie wurde, von Schleiermacher als das Princip der christlichen Theologie ausgesprochen worden ist. Idealistisch in demselben Sinne, in welchem Kant und Fichte das Ich desBewusstseins zumMittelpunkt undPrincip des philosophischen Denkens gemacht haben, kann man auch die SciiLEiERMACHER Sche Theologie ihrer innersten Tendenz nach nennen. Aber es ist diess nur die eine Seite derselben, und die andere, ebenso wesentlich zu ihr gehbrende, ist, dass Alles, was das christliche Bewusstsein als seinen immanenten Inhalt ausspricht; nicht sowohl etwas von ihm selbst Producirtes, als vielmehr nur ein Empfangenes und Mitge- theiltes ist. Das christliche Bewusstsein, dessen unmittelbare Aus¬ sage der ganze Inhalt des Christenthums ist, ist, so betrachtet, selbst nur der Retlex der christlichen Gemeinschaft, welcher der Einzelne als Glied desGanzen angehort, und der die christliche Gemeinschaft als ihr Princip bescelende und bewegende christliche Gemeingeist hat in dem christlichen Bewusstsein desEinzelnen nur dieSpilze seiner 23 B u u r, Dogruengeschiclite. 854 Dritte Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 120. Subjectivity. Diess ist der doppelseitige Charakter der Schleier- MACHER’schen Theologie, welchem zufolge das in seiner Absolutheit sich selbst setzendeBewusstsein auch wieder nur das Gefiihl schlecht- hiniger Abhangigkeit ist, es ist diess ihr Idealismus auf der einen, und um der Kiirze wegen diesen Ausdruck zu gebrauchen, ihrPan- theismusauf der andcrnSeite; wie sie aber beides zugleichsein kann, hat sie selbst nicht erklart. Sie bewegt sich irrinier nur in der Mitte zvvischen zwei entgegengesetzten Punkten, oline diesePunkte selbst in der Einheit eines sich selbst bewegenden Princips zu begreifen, und sie bleibt daher ebenso innerhalb eines bios gesetzlen, dualisti- schen Gegensatzes stelien, wie die lvANT'sche Philosophic fiber den Gegensatz des Bewusstseins und des Dinges an sich nicht hinweg- zukommen vermochte. §. 120 . Die speculative Theologie. In der ScHLEiERMAcnER’schen Theologie schliessen sich ver- schiedene, von verschiedenen Punkten ausgehende Richtungen zur Einheit zusammen, sie hat, was sie besonders charakterisirt, in ihrem christlichen Bewusstsein als Princip erfasst, was langst, nur nocli nicht mil dieser allgenieinen Verstandlichkeit ausgesprochen, der liefere Gedanke der Zeit war, die Innerlichkeit des Christen- thums, oder das Christliche als ein wesentliches Element des Be¬ wusstseins selbst, aber sie ist auf einem Punkt stehen geblieben, auf welchem die Bewegung, deren Product sie selbst ist, nicht ruhen kann, sondern durch die innere Macht der Consequenz weiter ge- trieben wird. Die Subjectivity deslch’s hat ihren Haltpunkt nur in der Objectivity des Allgenieinen, in welchem das Ich sich selbst als Allge- meines weiss, ware aber dieses Allgetneine nur die abstrakte, schlecht- hin mit sich identischeEinheit, als dieVoraussetzung des Abhangig- keitsgefuhls, oder die indifferente Identitat des Subjectiven und Ob- jectiven, so wiirde es nie zu einer lebendigen Bewegung kommen. Diess ist der nothvvendige Fortschritt zu demStandpunkt derHEGEL- schen Philosophie, auf welchem der Entwicklungsgang der neuern Philosophic und Theologie, soweit diess uberhaupt in einer bestimm- ten Philosophie geschehen kann, sich in sich abgeschlossen hat. Es kann hier nur ihr Yerhaltniss zur Theologie kurz angedeutet werden. Die ScHLEiERMACHER’sche Theologie hat die abstrakte Uebernaturlich- Die speculative Theologie. 355 keit cles Positiven im Christenthum, das die denkende Betrachtung seiner Aeusserlichkeit entheben soil, dadurch aufgehoben, dass sie das Christenthum als eine wesentliche Bestimmtheit des Bewusstseins selhst nahm, aber das Christenthum ist so wesentlich nur Bewusst- sein, Gefiihl, jenes Subjective, in das man mit Recht das Charakte- ristische del* Schleiermacheh 1 schen Theologie setzt. Auf dem ob- jectiven Standpunkte der HEGEL’schen Philosophie ist das Christen¬ thum, seinem wesentlichen Inhalte nach, die sicli explicirende ab¬ solute Idee selbst. Die absolute Idee ist Gott als der absolute, in dem Processe des Denkens sich mit sich selbst vermittelnde Geist. Das Christenthum ist daher wesentlich dieser Process selbst, der im Denken, als der Natur des Geistes, sich explicirende Lebensprocess Gottes. Ist der Inhalt des Christenthums wesentlich die Lehre von dem dreieinigen Gott, so ist die Dreieinigkeit, als das Wesen Gottes, das Wesen des Geistes selbst, sofern er sich denkend nicht anders, als in dem Yerhaltniss dieser drei Momente zu sich selbst verhalten kann. Hiemit ware denmach erreicht, was als das eigentliche Ziel der Entwicklung des Dogma von ihrem ersten Anfang an betrachtet werden muss, die Verinnerlichung des Dogma, dass es seiner Aeus¬ serlichkeit enthoben, im Wesen des Geistes selbst nachgewiesen, und als idenlisch mit ihm erkannt werde. Im Wesen des Geistes selbst, in seinem Selbstbewusstsein, schliesst sich der Inhalt des christlichen Dogma auf, und das Christenthum ist nicht bios der immanente Inhalt des mit ihm identischen christlichen Bewusstseins, sondern das christlicheBewusstsein selbst ist nur die subjective Seite des in dem Processe der Vermittlung mit sich selbst zum subjectiven Bewusstsein sich bestimmenden absoluten Geistes. Das Christen¬ thum ist mit Einem Worte, nicht bios Bewusstsein oder Gefiihl, son¬ dern Denken, der ewige Gedanke, als die Selbstbestimmung des Geistes, die Selbstbewegung des BegrifFs. In dieser spekulativen Ansicht vom Wesen des Christenthums ist die, selbst noch bei Schleiermacher steiien gebliebeue, dualistische Schranke aufge¬ hoben. Philosophie und Theologie sind mit einander versohnt und wesentlich Eins geworden: die Philosophic ist zur Iheologie ge- worden, weil sie den Inhalt der Theologie als ihren eigenen erkennt, und nur in ihm das Element ihrer Bewegung hat, und die Theologie ist zur Philosophie geworden, weil der beiden gemeinschaftliche Inhalt in dem Selbstbewusstsein des mit ihm sich Eins wissen- 23 * 356 Dritte Hanptperiocle, zvveiter Abschnitt. §. 121. den Geistes nicht mehr die Form der Theologie, sondern die der Philosophie hat. §. 121 . Die fifiesjeiisatze der (Segenwart. Es ist diess die ausserste Spitze, in welcher die Philosophie in die Gegenwart eingreift, mid cine um so starkere Reaction gcgen sich hervorrief, je klarer an einem so durchgefiihrten System, wie das llEGEi/sche ist, der Unterschied sicli herausstellte, welcher zwi- schen der philosophischen Welt- und Geschichtanschauung in ihrer Ansicht vomUrsprung undWesen des Christenthums und der kirch- lichen stattfindet. Die Kirche war daher aueh mit alien ihr zu Gebot stehenden Mitteln darauf hedacht, dem Einfluss der Philosophie auf alien Punkten, auf welchen er ihr gefahrlich erscheinen konnte, ent- gegenzutreten und daslnteresse fin* die spekulative Theologie soviet moglich abzuschwachen. Je entschiedener aber kein anderer Stand- punkt gelten sollte, als der der Kirche und des kirchlichen Bekennl- nisses, um so mehr entstanden sodann innerhalb des kirchlichen Standpunkts selbst neue auch in dogmatischer Beziehung wichtige Gegensatze. Sobald aus dem neubelebten kirchlichen Bewusstsein die Unionsfrage hervorgegangen war, spaltete sich an derselben das kirchliche Interesse in zwei vollig divergirende Richtungen. Wall- rend man auf der einen Seite sich dadurch befriedigt sah, dass man durch den allgemeinen Fortschritt derZeit liber Gegensatze hinweg- gekommen war, in welchen die evangelische Kirche sich mit sich selbst enlzweit hatte, erschien auf der andern das Unionsinteresse als einlndifferentismus, welchem man nur durch ein um so ernsteres Festhalten an den confessionellen Lehrgegensatzen begegnen zu konnen glaubte. So geschah es, dass der Hauptgegensatz auf dem dogmatischen Gebiet numnehr in einer lutherischen Dogmatik mit den scharfsten Bestimmungen der alten Dogmatiker und in einer Consensusdogmatik besteht, dices sich zur Aufgabe macht, die con¬ fessionellen Lehrgegensatze soviel moglich zu neutralisiren und aus- zugleichen und sich nur an das beiden Gemeinsame zu halten. In dem Einen wie dem Andern kann man nur eine gleich grosse Ein- seitigkeil sehen. Slellt sich auf der einen Seite die exclusive Parti— cuiaritat der Sondersymbole in ihrer slrengsten Form dar, so kann man es auf der andern auch nur fur eine Beschranktheit und Schwache des dogmatischen Bewusstseins halten, wenn man den Drang, wel- Die Gegenslitze der Gegenwart. 357 chen man in sich hat, sicli fiber die confessionellen Differenzen zu erheben, nicht anders befriedigen zu konnen meint, als dadurch, dass man den Blick riickwarts in eine Vergaiiffenheit richtet, in welcher die Gegensiitze nur um so fester begriindet erscheinen, je scharfer sie in den Urkunderi ihres Ursprungs in's Auge gefasst werden x ). Wie auf diese Weise das Zeitbewusstsein noch immer in Gegensatzen stehen bleibt, deren Ldsung, soweit sie iiberhaupt moglich ist, nur dadurch vorbereitet wird, dass man sicli ihrer ganzen Sclnirfe bevvusst wird, so gehort in die Reihe dieser Geo-en- satze aucli die Yerscharfung, welche dem Gegensatz zwischen dem katholischen und protestantischen Lehrbegriff durch dieMdiiLEn’sche Symbolik 1 2 ) gegeben worden ist. Kann der Protestantismus durch je- den neuenStreit mit dem katholischen Dogma sich nur in der Ueber- zeugung bestarkt selien, wie weuig er Ursache hat, auf verlassene Positioner! zuriickzugehen und in derYergangenheit zu suclien, was nur als eine Aufgabe der Zukunft vor ihm liegt, so gilt dasselbe auch von alien andern Gegensatzen, in welchen das Bewusstsein der Gegenwart sich bewegt. Nicht riickwarts, nur vorwarts liegt auf protestantischem Standpunkt das Ziel, nach welchem die weitere Entwicklung des Dogma zu streben hat. Da aber das Christenthum selbst als geschichtliche Erscheinung der Yergangenheit angebort, so kann die hocbste Aufgabe, von deren Ldsung alles Andere ab- hangt, nur darin bestehen, immer reiner und unbefangener zu er- forschen, was das Christenthum urspriinglich und wesentlich ist. Je sicherer auf diesem Wege der Fortschritt durch den erwachten rege- ren Sinn fiir geschichtliche Forscliung verbiirgt ist, und je gewisser die Philosophic trotz aller hemmenden Gegenwirkungen nicht auf- horen wird, den denkenden Geist zu scharfen und von allem zu reinigen, was ihm Einseitiges und Subjectives anhangt, um so mehr sind auf dieser Grundlage die Bedingungen gegeben, unter welchen das Dogma einer neuen inhaltsreichen Epoche seiner Entwicklung entgegengehen kann. 1) Vgl. meine Abhandlnng tlber das Princip des Protestantismus und seine geschichtliche Entwicklung. Theol. Jahrb. 1855. S. 110 £ 2) Sie erschien zuerst im Jahr 1832 und seitdem bfters. Die neueste Er- orterung der Principienfrage entha.lt die KtiHN’sclie Abhandlnng: die formalen Principien desKatholicismus und Protestantismus. Theol. Quartalschrift 1858. 1. S. 3 f. 2. S. 185 f. Sie schftrft auf’s Neue das zeitgemasse Bewusstsein des principiellen Gegensatzes der beiden Confessionen. Vgl, dagegen oben S. 277 f. 358 Dritte Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 122. §. 122 . Werke aus der do^mafisoJien liiteratur, ztir KSezeicliiiiing der versciaiedeiien Riclitiengeii. Kirchliche Dogmatik mit praktiscli-biblischer Richtung: Pfaff, lnstitutiones theol. dogm. et mor. 1720. Buddeus, Instit. theol. dogrn. 1723. u. A. Einfluss der WoLF’schen Philosophie: Reusch, Introductio in theologiam revelatam. 1744. Supranaturalistische Theologie, mit Elementen der modernen Aufklarung zersetzt: Michaelis, Comp, theol. dogm. 1760, deutsch 1784. Doderlein, Institutio theologi christiani. 1780. Gruner, Instit. theol. dogm. 1777. Rein biblischer Supranaturalismus: Storr, Doctr. chr. pars theoretica. 1793.* Rationalismus: Henke, Lineamenta instit. fidei chr. hist, criticarum. 1793. Wegscheider , Instit. theol. chr. dogm. 1813. Ed. 8. 1844. KANT’sche Theologie: Tieftrunk, Censur des christlich-protestantischen Lehrbe- griffs. 1796. ScHELLiNG’sche Theologie: Daub, Theologumena, sive doctrinae de religione Christiana, ex natura Dei perspecta repetendae, capita potiora. 1806. SciiLEiERMACHER’sche Theologie: Schleiermacher, der christlicheGlauhe nach den Grundsatzen der evang. Kirche im Zusammenhange dargestellt. 1821. Die dogmatischen Systeme von Nitsch und Tvvesten scldiessen sich nur ausserlich an den Standpunkt der Schleiermacher’schen Theologie an, ilire eigentliclie Tendenz ist mehr kirchlich und supranaturalistisch im altern Sinne. HEGEL’sche Theologie: Marhfjneke, die Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft. Zweite vollig neu ausgearheitete Auflage. 1827. Strauss, die christlicheGlauhenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und im Kampfe mit der modernen Wissenschaft dar¬ gestellt. 1840. 359 Die Apologetik alts Religionsphilosophie. Neueste dogmatische Werke von Rothe, Martensen, Liebner, Thomasius, Hofmann u. A. Geschichte der Apologetik. §. 123. Use Ipolog^etik als ISeligionspiiilosopliie. Je mehr sich die ganze Entwicklung des Dogma in bestimmten Punkten concentrirt, in welchen es sich um das Allgemeine, die verschiedenen Standpunkle fur die AufFassung desGanzen iiberhaupt, um Principienfragen handelt, um so mehr liegt eben darin der wis- senschaftliche BegrifF der Apologetik; sie stellt sich in ihrer fur das System der Dogmen iiberhaupt grundlegenden Bedeutung dar. Aus demselben Grunde aber mussten die Hauptmomente, welche in der Geschichte der Apologetik in Betracht kommen, auch schon in der Einleitung in diese Periode beruhrt werden. Die Apologetik hat, ihrem eigentlichen Begriffe nach, die Wahrheit und Gottlichkeit des Christenthums gegen die sie laugnenden und bestreitenden Gegner zu vertheidigen, sie hat sodann iiberhaupt den Charakter des Chri¬ stenthums, als einer geoffenbarten Religion, festzustellen, und da sie diess nicht thun kann, ohne das Verhaltniss zwischen Vernunft und Offenbarung genauer zu bestimmen, so erhalt, je nachdem die¬ ses Yerhaltniss bestimmt wird, die Apologetik selbst eine wesentlich andere Gestalt. Da jenes Yerhaltniss in unserer Periode mit dem Verhaltniss zwischen Philosophie und Theologie identisch wurde, und diese beiden sich nicht bios gcgenseitig durchdrangen, sondern auch die Philosophie mehr und mehr eine iiber die Theologie iiber- greifende Macht gewann, so besteht die neue Gestalt, in welcher die Apologetik jetzt auftritt, darin, dass sie mehr und mehr selbst zur Religionsphilosophie wird. Die der Theologie und dem Object derselben, dem Christenthum, sich gegeniiberstellende Philosophie kann das Christenthum nur unter den Gesichtspunkt einer geschicht- lich gegebenen Religion stellen, das Christenthum ist, als Religion, eine Religion wie andere Religionen neben und vor ihm. Daher ge- winnt nun erst der bisher mit dem Christenthum noch ganz zusam- mengenornmene und nicht besonders hervorgehobene BegrifF der Religion seine selbststandige Bedeutung, und die Aufgabe der Apo¬ logetik ist es, das Verhaltniss des Christenthums nicht bios, wie 360 Dritte Hauptperiode, zwelter Abschnitt. §. 124. bisher, zu den iibrigen Religionen, mit welchen es geschichtlich zu- sammengehort, sondernhauptsachlich zu derldee der Religion, oder, da auch der BegrifF der Offenbarung, von diesem allgemeinern Ge- sichtspunkt aus, von dem Christenthum nicht niehr ausschliesslich in Anspruch genommen werden kann, das Verhaltniss des Positiven und Yerniinfligen, d. h. des Begriffs der Religion zu den Momenten, in welchen er sich geschichtlich explicirt, so zu bestimmen, wie diess die Aufgabe der Religionsphilosophie ist. Auf diese Stufe ihrer wissenschaftlichen Ausbildung ist die Apologetik erst in der ScHLEiERMACHER’schen Glaubenslchre erhoben worden, in welcher sie in organischem Zusanunenhang mit der eigentlichen Dogmatik als der Theil des Ganzen voransteht, in welchem die Begriffe von Religion, Offenbarung, Christenthum nach Maassgabe einer allge- meinen Grundanschauung so bestimmt werden, dass auf sie das ganze System der Dogmen gebaut werden kann. §. 124. I^elire von ) fehlt es an innerer Haltung. So loste sich durch die vbllig veranderte Ansicht vom Kanon und von der Inspiration die alte Identilat des Worts und der Schrift immer mehr auf. Darauf drang nacli Tollner und Semler besonders auch Herder durch seine Humanisirung der Bibel. Statt von einem 1) Die gottliche Eingebung der heiligeu Schrift. 1772. 2) Der chr. Glaube. 2. S. 357. f. Vergl. Strauss, chr. Glaubenslehre. 1. S. 177. f. 3) Tub. Zeitschr. fiir Theol. 1832. H. 2. S. 94. f. gegen Elwert Stud, der ev. Geistl. Wiirt. 1831. 3, 2. 4) Zeitschr. fiir die gesammte lutli. Theol. und Kirche. 1840. 1. S. 1. f. 6) La theopneustie on l’inspiration pleniere des e'critures saintes. 1842. 6^) Deutsche Zeitschr. fiir chr. Wissenschaft u. s. w. 1850. S. 125. f. Lelire von Gott. 36 ? testimonium spiritus sancti, von welchem man nichts mehr wissen vvollte, spracli man nun von clem Geiste des Christenthums. Auf dieselbe Unterscheidung des Worts von der Schrift zielte niclit nur Schleiermacher’s christliehes Bewusstsein Inn in seiner unabhangi- gen Stellung zur Schrift, sondern auch die Becleutung, welche schon Lessing der Tradition neben der Schrift geben wollte, und das christ- liche Bewusstsein selbst ist, als der Reflex der christlichen Gemein- schaft, nur die Yergeistigung des Traditionsbegrifls. In die Reihe derselben Bewegungen, deren Tendenz immer weiter dahin geht, die Schranken des Worts in dem Buclistaben der Schrift zu durcli- brechen, ihren Inhalt zu vergeistigen, sie selbst nur als den Reflex eines liber ihr stehenden Bewusstseins aufzufassen, gehorte auch schon die sonst so isolirt stehende Lehre Swedenborg’s. Sie hat ihr Hauptmoment in ihrer Lehre von der Schrift, dem dreifachen Wort, oder dem zweifachen Sinne des Worts und der zweifachen Schrift— erklarung. Das Wort steigt vom Himmel herab, wenn in der Lehre der neuen Kirche der voile geislige Sinn dem Bewusstsein aufgeht, die geistige Welt die sinnliche durchbricht O* Das Verhaltniss des Alten und Neuen Testaments, das fiirSEM- ler ein Hauptpunkt seiner Kritik war, konnte seit Kant nur vom Standpunki der Religionsphilosophie aus bestinunt werden. Gesckichte der Bogmen. §. 126 . Lelire von GoU. Die Natur der Sache brachte es von selbst init sicli, class in dieser Lehre vor allem die clurchgreifencle Einwirkung der Philoso- pliie auf die Theologie hervortrat. Auf jedem neuen Standpunkte der Philosophic wurde die Idee Gottes wesentlich anders aufgefasst und bestimmt, von Leibnitz und Wolf als die des ens perfectissi- mum, von Kant als Postulat der praktischen Vernunft zur Ausglei- chung der beidenElemente des hochsten Guts, von Fichte schlechthiu als moralische Weltordnung, voiiSchelling als absolute Identitat des Idealen und Realen, von Schleiermacher als absolute l rsachlichkeit, die Yoraussetzung des schlechthinigen Abhangigkeitsgefiihls, von 1) Vergl. Hauber, Swedenborgs Ansicht von der heiligen Schrift. 1 ubin^ ger Zeitschrift fur Theologie. 1840. H. 4. S. 32. f. 368 Dritte Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 127. Hegel als absoluter Geist. Der hochste Conflict des theologischen unci philosophischen Interesses trat in der Frage liber die Transcen- denz und Immanenz Gottes hervor, oder bestimmter in der Frage liber die Personlichkeit Gottes, welche nicht bios fiir die Hegel’scIic Philosophic, sondern auch fiir die auf dem ganz entgegengesetzten Standpunkte stehende ScHLEiERMACHER’sche Theologie die gleiche Cardinalfrage ist l ). Neuestens ist die Lehre von der Unverander- lichkeit und Unwandelbarkeit des personlichen Gottes im orthodox theologischen Interesse in Frage gestellt 2 }. Die Bevveise fiir das Dasein Gottes, die der Dogmatismus der alten Metaphysik aufstellte, losle die Kant’scIic Kritik auf, mn an ihre Stelle das Postulat der praktischen Yernunft zu setzen. Yollig vervviesen aus der Theologie durcli Sculeiermacher , erhielten sie durch Hegel eine speculative Bedeutung in deni in ihnen sich voll- ziehenden dialektischen Process der Idee. §. 127 . Lelire von der IBreieinigkeit* Das Dogma stand zu Anfang der Periode noch in seiner alten Auctoritat fest, nur konnte man, je mehr die Philosophic in ein naheres Verhaltniss zur Theologie kain, nicht umhin, das contra rationem , an welchem die altern protestantischen Theologen keinen Anstoss genommen hatten, wieder fiir ein blosses supra ra tione m zu erklaren. Selbst Leibniz und Wolf sehen in dein Dogma nur ein iiberschwangliches Mysterium, und WoLF’sche Theologen, vvie na~ mentlich Reusch, suchten es sogar nach ihrer Weise rationell zu deduciren und zu demonstriren. Bald aber ausserte sich die iiber- haupt in der deutsch protestantischen Theologie gegen die kirch- liche Ortliodoxie eintretende Kalte und Indiflerenz ganz besonders gegen dieses Dogma. Theologen, wie Michaelis, Doderlein, Mo- rus u. A., noch mehr Semler, behandelten es jetzt nur als eine geschichlliche Anliquitat, und man war nur darauf bedacht, seinen transcendenlen, erst zufalligentstandenen, wie man meinte, sogar nur aus dem Platonismus in das Christenthum aufgenommenen Bestim- mungen so viel moglich einen allgemein religiosen, christlich prak- . 1) Vergl. Zeller, Schleiermacher’s Lehre von der Personlichkeit Gottes. Theol. Jahrb. 1842. S. 268. 2) Vergl. Dorner, Jahrb. fur deutsche Theol. 1806. 1. S. 361. f. Lehre von der Dreieinigkeit. 309 tischen Gesichtspunkt abzugewinnen. An orthodoxen Vertheidigern fehlte es auch jetzt nicht, aber aucb den supranaturalistischen Theo- logen war das Bewusstsein der kirchlichen Wahrheit des Dogma entschwunden, man hielt sicli nur an das vermeintliche exegetiscbe Resultat, und rechtfertigte die Unbegreiflichkeit der Saclie mit der Schwache der menschlichen Vernunft, wieJ. F. Flatt undSionn, oder verirrte sich in neue Widerspriiche, wie G. F. Seiler, der seicli— teste Vertheidiger der Lehre von der Gottheit Christi. Da das Bewusstsein der Zeit iiberhaupt dem kirchlichen Dogma sich immer mehr entfremdcte, so traten auch die alten Gegensalze um so freier in einer neuen Form gegen die nicht mehr als absolute Wahrheit geltende Lehre auf. Fur den Arianismus sprachen sich mit verschiedenen Modificationen aus: S. Clarke, P. Maty, J. Ver- net, Tollner. Besonders aber neigte man sich zum Sabeliianismus bin, als derjenigen Lehrweise, welche nicht nur die Gefahr des Tri- theismus am sichersten abwehrte, sondern auch den freiesten Spiel— raum gewahrte, um den Inhalt des Dogma bis zum durchsichtigsten Rationalismus zu verflachen. Man war zufrieden, wenn man statt des veralteten Dogma irgend eine, dem modernen Bewusstsein zusa- gende Dreiheit religioser oder moralischer Begriffe lialle. Dabei sollte aber diese Auffassungsweise nur das Resultat der griindlichern und unbefangenern exegetischen Forschungen sein. Silberschlag, Schlegel, Henke, Eckermann, Wegscheider, de Wette u. A. ge- horen in diese Kategorie. Diesclbe Lehrform aber, die im Allge— meinen die sabellianisehe genannt werden kann, schloss auch tiefer gehende Veisuchc, das Dogma auf seinen bestimmtern Begritf zu bringen, in sich, wie solche nicht bios von Gruner, der nur die Idee Reusch’s wieder aufnahm, sondern hauptsachlich von Urlsper- ger und Swedenborg geinacht wurden. Urlsperger’s Theorie beruht auf der Unterscheidung einer Offenbarungs- und einer Wesensdrei- einigkeit. Bei Swedenborg wird die Trinitatslehre ganz zur Lehre von der Person Christi. Gott und Mensch sind an sich Eins, wie Seele und Leib, oder das Gute und Wahre, die Liebe und dieWeis- lieit. Diese an sich seiende Einheit Gottes und des Menschen wird durch die OfFenbarung und die Swedenborg'scIic Schrifterklarung zum gottmenschlichen Bewusstsein der Welt. Leber den Wider- spruch der kirchlichen Trinitatslehre mit dem verntinftigen Denken ist bei alien diesen Gegnern derselben nur Eine Stimme, Sweden- 24 JJaur, Dogmengeschichte. 3T0 Dritte Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 128. borg nannte sie wegen ihres Tritheismus geradezu eine satanische Lelire. Die speculative Fortbildung des Dogma nahm, da Lessing’s Idee niclil weiter fiihrte, Kant nur bei dem moralischen Gesichts- punkte stehen blieb, erst mit Schelling einen neuen Aufschwung. Wahrend Daub in der abstracten spinozistischen Auffassung des acht speeulativen Gedankens stehen blieb, dass die Trinitat die ab¬ solute Form des absoluten Wesens ist, schritt Hegel von der Sub— stanz zum Subject fort, und zu dem ewigen Process des durch die Momenle der Trinitatsidee, als seine wesentlichen Denkbestimmun- gen, sieh mit sich selbst vermittelnden absoluten Geistes. Der Ge- gensatz des ScHLEiERMACHER’schen und llEGEi/schen Standpunkts stellt sich bier in seiner ganzen Scharfe dar, in der rein formellen Be- deutung, mit welcher Sciileiermacher diese Idee an das Elide seiner systematischen Entwicklung stellte, und der rein speeulativen, die sie bei Hegel als die Grundbestimmung des denkenden Geistes bat. Die durch die Furcht vor dem Pantheismus veranlassten Yer- handlungen fiber die immanente Trinitat, zwischen Lucke, Nitzsch, Weisse, waren von lteiner weitern Erbeblichkeit O. §. 128 . Lehre von «les* Schopfim^ und lorseltuug^. Die Lehre von der Schopfung ist ebensosehr durch die neuere Kritik und Exegese, als durch die philosophische Speculation we- sentlich umgeandert worden. Seitdem man besonders nach Herder’s hochst anregendem Yorgang es gelernt hat, die Urkunden des Alten Testaments im Liehte der alterthumlichen Weltanschauung aufzu- fassen, konnte man es nicht mehr wagen, die Lehre von einer zeit- lichen Schopfung als Dogma auf sie zu griinden. Hirer philosophic schen Seite nach liing diese Lelire mit der ganzen Ansicht von dem Yerhaltniss Gottes und der Welt so eng zusammen, dass sie iiber- haupt nicht mehr so abgesondert, vvie bisher, behandelt vverden konnte. Je tiefer sie in die neuere philosophische Speculation hin- eingezogen vvurde, desto willkommener musste die besonders aus der ScHLEiERMACHER’schen Theologie gewonnene Ueberzeugung sein, dass solche Lehren iiberhaupt fiir das christliche Bewusstsein die 1) Vgl. Lehre von der Dreieinigkeit. 3. S. 643, f. Lehre von den Engeln und vom Teufel. 3 n Bedeutung nicht haben, vvelche man ihnen friiher beilegen zu mus- sen glaubte, da, sobald nur das wesentlicbe Moment der Abhangig- keit der Welt von Gott festgebalten ist, die bestimmtere Form der- selben das christliche Interesse nicbt naher beriihrt. In der Lelire von der Vorsehung nabm die LEiBNiz’sche Tbeo- dicee eine aucli fur die Theologie sehr wicbtige Stelle ein, die sie jedoch nur so lange bebaupten konnte, bis die tiefer gebende philo- sophische Speculation aucli diese Lehre unter neue Gesicbtspunkte stellte. 129. Lelire vosi deu Engeln land vom Teufel. Die Lehre von den Engeln wurde auf dem Wege der neuern Kritik und Exegese bios noch zu einer Frage der biblischen Tlieo- logie. Das Hauptmoment lag in der Lelire vom Teufel. Nicbt nur gab sie dem sicli entwickelnden gescbicbtlicben Bewusstsein einen sehr wichtigen Impuls, durch welcben das Bewusstsein der Gegen- wart von dem der Vergangenheit sicb entscbiedener trennte, son- dern sie hatte aucli eine tiefere speculative Bedeutung. In ersterer Beziehung schloss sicb in der Bestreitung des nocli immer ebenso theologischen als popularen Damonenglaubens an B. Bekker, neben Thomasius, besonders Semler an. Audi Semler hielt Anfangs nocb die Damoniscben des Neuen Testaments fur wirkliche Teufelsbe- sitzungen , in der Folge aber stimmte er der Meinung Wett- steins u. A., dass sie naturlich Kranke seien, urn so entscbiedener bei; den nicbt zu laugnenden Widerspruch mit dem Zeugnisse Jesu und der Apostel sollte die Accommodationsbypotbese beben. Gru- ner, Teller u. A. hatten dieselbe adamonische Ansicht. In philo— sophiscber Hinsicht fragte man nacb der Moglichkeit der Existenz des Teufels. Die Kant’scIic Pbilosopbie fasste, urn seinen Begriff moraliscb zu rechtfertigen, in ihtn die Idee des absolulen Egoismus auf, im Gegensatz gegen die formelle Allgemeinbeit des KANi’scben Moralprincips 1 2 ); die ScHELLiNG’scbe Naturphilosopbie konnte das Wesen des Teufels nur in den dunkeln Naturgrund setzen, welchen sie, auf J. BoHME’sDualitat der Principien in Gott zuriickgebend, vom actuellen Wesen Gottes unterschied, und als das Princip der Selbst- 1) De daemoniacis, quorum in Evangeliis fit mentio. 1760. 2) Erhard, Apologie des Teufels in Niethannner s pliilosophiscliem Joui- nal. 1, 2. 1795. 24 * Dritte Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 130. licit, des Fiirsichseins bestimmte. Die Apologie des Teufels lage demnach liier, wie in der HEGEi/schen Philosophie, in der Noth- wendigkeit des Gegensatzes, in welchem der gdttliche Lebenspro- cess, oder der Process der Idee sich entwickelt, und in dem Begriffe des Teufels ware so nur in seiner Abstractheit aufgefasst, was in dem concreten Zusammenhang- des Processes selbst nur ein Moment desselben ist. Den grossartigsten Versuch, das Wesen des Teufels aus den durch die neuere Philosophie gegebenen speculativen Ele- menten zu construiren ')? machte Daub, aber auf eine so iiberwie- gend dualistische Weise, dass der Teufel, als das Princip der Ne¬ gation, zu einem manichaisch selbstsUindigen Wesen werden zu mussen scheint. Lassen sich in Schleiermacher’s Kritik der Lehre vom Teufel noch Nachklange der Accommodations-Idee vernehmen, so sprach dagegen Strauss urn so unumwundener aus, dass dieLeh- ren von den Engeln und vom Teufel in unserer heutigen Weltan- sehauung vollig entwurzelt daliegen §. 130. Lelire voss der Itmtur ales Mensclten, oder von der §ii»do. In keiner andern Lehre gibt sich der seit dem Anfang der Pe- riode erfolgendeUmschwung des theologischen Bewusstseins so klar und bestimmt zu erkennen, wie in der Lehre von der Natur des Menschen und der Siinde. So augustinisch die Ansicht der vorigen Periode war, so pelagianisch wurde sie jelzt. Sobald einmal das Bewusstsein der Zeit eine freiere Stellung zum orthodoxen Dogma zu nehmen und sich seines lastigen Druckes zu entledigen begonnen hatte, musste vor allem eine den Menschen so lief demuthigende und ihn nur auf die eigene Niehligkeit und Verwerflichkeit seines We- sens verweisende Lehre eine urn so starkere Reaction des erwa- chenden und in sich erstarkenden Selbstbewusstseins hervorrufen. So wenig man bisher der eigenen Kraft und Selbststandigkeit des Menschen in alien Fragen seines Heils hatte zugestehen wollen, so \ ieles raumte man ihr jetzt ein. Die protestantische Lehre von der Erbsiinde gait jetzt nur als ein augustinisches Dogma, liber welches als ein Stuck der alien Finsterniss und Barbarei das moderne Be- 1) Judas Ischariot, 1816. 1818. oder das Bose im Verhaltniss zum Guten betrachtet. 2 ) Glaubenslehre 2. S. 17, Lehre von der Natur des Menschen, oder von der Stinde. 373 wusstsein der Aufklarung Iangst hinweggekommen sein wollte, H 11 - manitat und Philanthropie wurden dieLosungsworte derZeit, and so tief man zuvor die durch die Siinde geschehene Zerriittung aller na- tiirlichen Krafte beklagt halte, so freudig konnte man jetzt die Giite und Vortrefflichkeit der menschlichen Natur nicht genug riihnien 1 ). Es war fur die nicht bios pelagianische, sondern auch euda- monistische Tendenz der bald nacl) der Mitte des aclitzehnten Jahr- hunderts beginnenden Aufklarungsperiode sehr bezeichnend, dass, nachdem zuerst von England aus durch L). Whitby und J. Taylor das alte Imputationsdogma als ungereimt und schriftwidrig bestritten worden war, in Deutschland unter dem wohlwollenden Namen einer Apologie des Socrates, oder einer Untersuchung der Lehre von der Seligkeit der Heiden, der Widerspruch des Zeitbewusstseins mit der protestantischen Lehre von der Erbsiinde sich aussprach. Neben Eberhard war es besonders Tollner, welcher diese Lehre aus dem- selben Gesichtspunkte eines, den gesunden Yerstand empdrenden, alles Schdne der Naturtriebe ablaugnenden Irrthums beleuchtete. Auf dieser Grundlage haute der Rationalismus weiter fort, aber auch der Supranaturalismus eines Michaelis, Seiler, Doederlein, Storr, Reinhard, that von seiner Seite Alles, urn das alte Dogma dem Glauben derZeit zu entriicken, indem er in seiner Halbheit und Geistlosigkeit die sittliche Schuld in cin zufalliges Ungliick, in die physischen Folgen eines genossenen Giftes verwandelle, und in der Erbsiinde sogar nur eine wohlgemeinte Yeranstaltung Gottes sehen wollte, urn den mit einer solchen Schuld hehafteten Menschen mil urn so hesserm Grunde fiir entschuldigt lialten zu kbnnen. Sehr entscheidend griff hier die Philosophic ein. Erst das durch Kant gescharfte sittliche Bewusstsein erinnerte dieTheologie an den tiefernInhalt des von derAufklarung derZeit vergessenen und ver- o o flachten Dogma. Die KANT’sche Lehre von einem radicalen Bosen der menschlichen Natur, einem schon mit dem ersten Gebrauch der Freiheit vorhandenen und doch dem Menschen nur als einem freien Wesen zukommenden Hang zum Bosen, bezeichnet einen neuen Wendepunkt in der Geschichte der Lehre von der Erbsiinde. Die von Kant fiir das sittliche Bewusstsein angenommene Dualitat von Principien steht in der nachsten Beziehung zu der von Schleier- 1) Tollner, TheoL Unters. 1, 2. 17 73. iiber die Giite der menschl. Natur. 374 Dritte Hanptperiode, zweiter Abschnitt. §. 130. macher auf derselben Grundlage, in dem tiefern Zusammenhang einos theologischen Systems, entwickelten Theorie. Nach Schleiermacher kommt bei dem Begriff del* Erbsiinde nicht sowohl die Abstammung von dem ersten Menschen, als der Zusammenbang des Individuums mit dem ganzen Gesehlecht in Betracht. Als begriindet in einem Zu¬ sammenbang, in welcbem Alle zusammen nicht bios empfangend, sondern mitwirkend sind, ist die Erbsiinde als die Gesammtthat und Gesammtschuld des menschlichen Gescblechts anzusehen. Alle Wen- dungen aber, deren sich Schleiermacher bedient, urn den Begriff der Erbsiinde in den der Siinde biniiberzuspielen, fiihren nicht dar- iiber hinaus, dass sie die allgemeine, zur Natur des Menschen ge- horende, Siindhaftigkeit ist. Auch vollkommene Unfahigkeit zum Guten ist sie nicht so schlechthin, wie man dem Ausdruck nach meinen sollte, da in jedem Fall die Empfanglichkeit ftir die Erlosung nicht unter ihr begriffen sein kann. Sie ist mit Einem Worte das sinnlicheBewusstsein in seinem Unterschied von deinGottesbewusst- sein, und die beiden Seiten des Bewusstseins, das sinnliche und das fromme, sind dieselbe Dualitat der Principien, welche Kant fiir das sittliche Bewusstsein als das gute und bose Princip bestimmte, nur vom religiosen Standpunkt aus aufgefasst. Ist die Siinde fiir jeden schon in seinem Zusammenhang mit dem ganzen Gesehlecht be¬ griindet, so fragt sich, was der weitere Hauptpunkt der Schleier- MACHER’schen Lelire von der Siinde ist, woher die Siinde iiberhaupt kommt, oder wie sie sich zu Gott verhalt? Darauf ist die Antwort: als Bewusstsein des negativen Yerhaltnisses des menschlichen Wil- lens zum gottlichen, ist die Siinde durch die absolute Ursachlichkeit Gottes gesetzt, aber dieses Bewusstsein selbst, sofern es eine Yer- neinung in sich schliesst, ist nicht in Gott, sondern nur ausser Gott. Die Siinde existirt also als solche nicht fiir Gott, sie ist fiir Gott an sich in der Erlosung aufgehoben, sie ist die von Gott abgekehrte Seite des Bewusstseins, und als solche so nothwendig, als die Welt in ihrem immanenten Yerhaltniss zu Gott auch wieder das von Gott Unterschiedene ist. Ebendarin hat es seinen Grund, dass in dem Gotlesbewusstsein in seinem Zusammenhang mit dem sinnlichen bu¬ rner ein Minus ist, und die nur allmalige und unvollkommene Ent- wicklung der Kraft des Gottesbewusstseins zu den Bedingungen der Existenzstufe gebort, auf welcher das menschliche Gesehlecht steht. Wenn Schleiermacher demungeachtet die Siinde auch wieder als Lehre von der Natur dcs Mensclien, oder von der Siinde. 375 eine Stoning- der mcnschlichen Natur betrachtet, und die Mdglich- keit einer vollkommen unsiindlichen menschlichen Entwickluno- vor- aussetzt, so lasst sick hieriiber nur vom Standpunkt seiner Christo— logie aus urtheilen. Was bei Schleiermacher der Unterschied des Gottesbewusst- seins und des sinnlichen Bewusstseins ist, ist bei Hegel der Gegensatz von Natur und Geist. In dem Process der Idee wil d das Moment des Unterschieds im Mensclien zur wirklicben Entzweiung. DerMensch ist wesentlich Geist, das Wesen des Geistes aber ist, fur sicli zu sein, frei zu sein, sein Wesen sicli gegeniiberzustellen, sicli zu entzweien m it seiner Substanz. In dieser Entzweiung ist der Mensch an sich gut, aberniclit in der Wirklichkeit, er soli erst, was er an sicli ist, aber in seinem naturlichen Sein niclit ist, aucli fiir sicli sein. Die Erbsiinde des Mensclien ist daher die Trennung seines Begriffs und seines unmit- telbaren Daseins, der Gegensatz von Natur und Geist, dass der Geist die Natur zu seiner Voraussetzung hat, und von der Natur sicli erst losreissen muss, um seinen Begriff zu realisiren. Das Bose, das eben das naturliche Sein ist, wenn der Mensch, der Geist ist, nur nacli der Natur ist, sich niclit als Geist durcli freie Selbstbestimmung bethatigt, istsomit zwarnothwendig, und docli das, was niclit sein soil. Audi vom kirchlichen Standpunkt aus sollte die Lehre vom Siindenfall eine neue speculative Begriindung erhalten. Die Theorie, in welcher diess versucht wurde, besteht jedoch aus sehr undenk- baren und sich widersprechenden Bestimmungen. Es wird ein Ur- zustand vorausgesetzt, in welchem die einzelnen Personlichkeiten vor ihrem Zeitleben in einer noch unvollkommcnen Wirklichkeit sich befanden, die ihnen aber die Macht gewahrte, sich selbst eine Grund- richtung zu geben, welche sie wollten. Slatt nun aber, wie liatte geschehen sollen, die Selbstsucht, die kreatiirliche Wurzel derPer- sdnlichkeit, durcli Befestigung des Widens im Guten frei zu iiber- winden, fiel die Urentscheidung so aus, dass die in dem eigenen Grunde der Selbstheit liegendeMoglichkeit der Losreissung vonGott sich thatsachlich verwirklichte. Bei alien person lichen Creaturen kann jedoch eine solche Selbstverkehrung in ihrem zeillosen Ur- stande niclit angenoinmen werden, weil sonst das Bose als noth- wendig erscheinen wiirde, ein Tlieil blieb daher in der Einheit mil Gott, ein anderer fiel von Gott ah, ein dritter verfiel in einen Zwie- spalt der Selbstsucht und des Gehorsams gegenGolt, eine urspriing- 376 Dritte Hauptperiode, erster Abschnitt. §. 130. liche Schuld und Gebundenheit desWillens, welclie niclit mehr durch die eigene Kraft des Gescliopfs, sondern nur durch eine That der gotllichen Gnade gehoben werden kann x ). Bei einem Origenes mag eine mythisch transcendente Vorstellung dieser Art ein historisches Interesse haben, welchen Anspruch aber auf dem Standpunkt der jetzigen Theologie so willkiirliche und unmotivirte Behauptungen machen konnen, fur speculative, in der Nothwendigkeit der Sache selbst begriindete Gedanken zu gelten, ist nicht einzusehen 1 2 J. Nicht unerwahnt darf hier auch die Bereicherung bleiben, welche die katholische Dogmatik durch die von Papst Pius IX. in einerBulle vom 8. Dec. 1854 zum formlichen Dogma erhobene Lehre von der unbeflekten Empfangniss der Jungfrau Maria erhalten hat. In den Urtheilen, die sich von Protestanten dariiber vernehmen liessen, gab sich der Widerspruch, in welchem das neue Dogma zum Protestan- tismus steht, nach verschiedenen Seiten bin zu erkennen, aber es erhalt hier auch die allgemeine Wahrnehmung eine neue Bestati- gung, dass, je scharfer die absolute Bedeutung des orthodoxen Dogma in einem bestimmten einzelnen Punkte aufgefasst vvird, das Dogma nur urn so gewisser in seiner eigenen Consequenz sich auf- hebt. In der Anschauung des Katholicismus kann von dem absoluten Vorzug der Unsiindlichkeit, welcher dem Erloser zukommt, auch die Mutter nicht ausgeschlossen sein. Wird aber einmal das Wunder, auf welchem die Unsiindlichkeit Christi beruht, in das Naturverhalt- niss, in welchem Sohn und Mutter zu einander stehen, und eben- damit in den allgemeinen Naturzusammenhang hineingestellt, wer kann hindern, dass die auch nur auf einem Punkte durchbrochene absolute Schranke des Wunders sich immer mehr erweitert? War- urn soli dasselbe Argument, mit welchem man von dem Sohn auf die Mutter schliesst, in derselben Reihe sich nicht auch noch weiter erstrecken ? Und je weiter man so in den sich gegenseitig bedin- genden Zusammenhang zuruckgeht, urn so mehr verliert sich das Uebernatiirliche in das Naturliche, und der Unterschied zwischen beiden wird ein so fliessender, dass man daraus nur sehen kann, wie es nichts schlechthin Ubernaturliches gibt, das nicht auch wie- der als Natiirliches begriffen werden kann. 1) J. Muller, die Lehre von der Siinde. 1839. 3. A. 1849. 2. S. 495. 2) Vgl. Zeller, liber dieFreiheit des menschlichen Willens, das Bose und die moralische Weltordnung. Tlieol. Jahrb. 1846. S. 434 f. 1847. S. 64 f. Lehre von der Person Christ!. 377 §. 131. Lelire von der Person Cliristi. Dass die ganze Richtung der Zeit vom Objectiven zum Subjec- tiven, vom Uebernatiirlichen und Transcendenten zum Natiirlichen und Wirklichen, vom Gottlichen zum Menschlichen geht, fallt an der Lelire von der Person Christi sehr klar in die Augen. Vor Allem liess man, aus Antipathie gegen das kircliliche Dogma, die schon so oft zum Anstoss gewordene Lehre von der communicatio idiomatum fallen. Die dadurch aus ihrem unnatiirli- chen Verhaltniss zur gottlichen befreite menschliche Natur nahm jetzt aucli bei den Protestanten, wie schon fruher bei den Socinia- nern, die ihr gebiihrende Slelle wieder ein, und man vvollte nun keinen andern, als einen wahrhaft menschlichen Christus haben. Das Reinmenschliche war die Grundanschauung, von welcher die neu sich gestaltende christologische Ansicht ausging, die aber zu- nachst nur das ganze Geprage der jener Zeit eigenen popularen und trivialen Anschauungsweise an sich trug. Theologen, wie Doder- lein, Seiler u. A., setzten auf der Grundlage der nestorianischen Vorsteliung an die Stelle der alien communicatio idiomatum ein familiares Freundschaftsverhaltniss zwischen Got! und Jesus; Storr hielt mit angstlicher Wortexegese halb socinianisch, nur abstracter und unlebendiger, auch in dem praexistirenden Logos den BegrifF desLehrers fest. Die Rationalisten bemiihten sich, alles Wundervolle und Uebernalurliche als mythische Ausschmuckung von der Person Jesu abzustreifen, urn in ihr nur das acht Menschliche seines We- sens, die edelste siltliche Wiirde und die hochste Yerniinftigkeit an- zuschauen. Je holier sie aber das Eine Individuum liber alle andere stellten, urn so mehr wurde auch ihnen die Einzigkeit einer solchen, sonst in allem Andern rein natiirlichen Personlichkeit zu einer un- erklarbaren Erscheinung, deren Rathsel zuletzt de Wette nur da- (lurch losen zu konnen glaubte, dass er die die Wunder laugnende rein verstandige und die wunderglaubige asthetisch-symbolische Ansicht als eine reine Antinomie einander gegeniiberstellte O. Die tiefere AulFassung ging auch hier erst von der Philosophic aus. Schon fur Kant hatte der Sohn Gottes, als die Gott wohlge- 1) Vgl. Lehre von der Dreieinigk. 3. S. 679 f. 789 f. 378 Dritte Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 131. fallige Menschheit, die Bedeutung einer Personification des guten Princips, des Ideals der moralischen Vollkommenheit. Nach diesem Vorgang wurde die Idee des Gottmenschen auch fur die Philosophie eine ihrer tiefsten spekulativen Ideen, die nach dem Charakter der verschiedenen Systeme ihren eigenthiimlichen Ausdruck erhielt. Was auf dem Standpunkt Kants ein in der Wirklichkeit nie existi- rendes Ideal war, die reine Idee des absoluten Sollens, wurde in der ScHELLiNG’schen Identitatsphilosophie als die Einlieit des End- lichen und Unendlichen aufgefasst, als der menschgewordene, in der Zeit gehorene Gott, welcher in dem Gipfel seiner Erscheinung in Christus die Welt der Endlichkeit schliesst und die der Unendlich- keit oder die Herrschaft des Geistes eroffnet. Wie aher nach Kant das gute Princip nicht bios zu einer gewissen Zeit in die Welt ge- komrnen, sondern zu alien Zeiten vom Ursprung des menschlichen Geschlechts an auf unsichtbare Weise in die Menschheit herabge- stiegen ist, so sprach auch Schelling nur von einer ewigen Mensch- werdung Gottes. Es musste daher erst die weitere Frage, in wel¬ cher das Hauptmoment fur die Theologie liegt, entstehen, wie sich die spekulative Idee des Gottmenschen zur geschichtlichen Erschei¬ nung der Person Jesu verhalt. Wenn sich auch die Philosophie liber diese Frage nicht so schlechthin verneinend erklarte, wie diess ins- besondere von Fichte geschehen ist, so konnte sie doch ihre posi¬ tive Beantwortung nur der Theologie liberlassen, in welcher sie die hochste Bedeutung fur ein theologisches System liaben musste, das, wie das ScHLEiERMACHER’sche, liber den alten Supranaturalismus weit hinwegwar, und doch dem absoluten Inhalt des christlichenBewusst- seins nichts vergeben wollte. Die Schleiermacher scIic Glaubens- lehre bildet daher hauptsachlich in dieser Lehre einen hochst wich- tigen Entwicklungspunkt. An die Stelle der kirchlichen Formel von der Einlieit der gottlichen und menschlichen Natur setzt Schleier- macher die Einlieit des Urbildlichen und Geschichtlichen, dass in dem Erloser als einemEinzelwesen dasUrbildliche vollkommen geschicht- lich geworden, und jeder geschichtliche Moment desselben zugleich das Urbildliche in sich getragen liabe. Fragt man aber, ob diese Einlieit ein fur das denkende Bewusstsein leichter vollziehbarer Begriff ist als die kirchliche, so hat die Kritik darauf langst die Antwort gegeben, dass das Band dieser Einlieit auf jedem Punkt, auf welchem sie naher betrachtet wird, sich auflost, und sie selbst Lehre von der Person Christi. 379 in Vorstellungen zerfallt, welchen es an aller objectiven Realitat fehlt. Die Urbildliclikeit oder absolute Vollkommenheit desErlosers, die Schleiermacher zu einem Postnlat des christlichen Bewusstseins macht, berubt auf einem unzureicbenden Schluss ans der christli- cben Erfahrung, die Art, wie zvvischen Vorbild und Urbild unter- scbieden und behauptet wird, dass ein reines und vollkommenes Urbild kein Erzeugniss des menscblichen Erkenntnissvermogens sein konne, ist gleicbfalls unbegriindet, und was die geschichtliche Ver- wirklichung desUrbildlicben betrifft, so kann Schleiermacher weder die zeitlicbeBedingtbeit seines urbildlicbenChristus inAbrede ziehen, noch seine vollkommeneUnsundlichkeit als evidenteThatsacbe nach- weisen. Die ganze Construction des ScHLEiERMACHER’schen Christus kommt nur darauf binaus, dass zuerst alles, was der Menschheit in ihrem Gottesbewusstsein inwobnt, aus ihr genommen und als abso¬ lute Kraftigkeit des Gottesbewusstseins auf das Eine Subject liber- getragen wird, um es sodann von demselben als von ihm mitgetheilt zuruckzuempfangen; wozu aber dieser Process, wenn die Mensch¬ heit in dem zu ihrer Natur gebdrenden Gottesbewusstsein die Fahig- keit bat, aus sicli selbst das zu entwickeln, was sie erst durch Christus geworden sein soli? Der Schleiermacher’scIic Christus ist nur die Personification dieses Bewusstseins, in idealer Anschauung aufgefasst, und als geschichtlicheErscheinung derPnnkt, in welchem das Gottesbewusstsein in seiner Macht liber das sinnliche in einem bestinunten Individuurn epochemachend in dieGeschichte derMensch- heit eingetreten ist. Ebendarin, dass der ScHLEiERMACHER’sche Christus eigentlich nur eine Abstraktion des christlichen Bewusstseins ist, ein Postulat, dessen Realitat nicht sowohl empirisch nachge- wiesen als vielmehr nur vorausgesetzt wird, hat es seinen Grund, dass Schleiermacher selbst solclie Thatsachen der Geschichte Jesu, wie seine ubernatiirliche Geburt, seine Auferstehung und Himmel- fahrt, als ein blosses Accidens betrachtet, ohne das Christus ebenso gut das gewesen sein konne, was er fiir uns ist. Wenn das, was die kirchliche Lehre die gottliche Natur Christi nennt, auch nur auf einen solchen Ausdruck gebracht ist, wie in der ScHLEiERMACHER’scbenFormel, so ist die Lehre von der Person Christi schon zu einer spekulativen Frage geworden, bei welcher es sicli nicht um das Verhaltniss des Gottlichen und Menschlichen, sondern das der Idee und der Wirklichkeit handelt. Schleiermacher hat, 880 Dritte Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 131. indem er sich rein nur auf den Standpunkt der christlichen Erfah- rung stellen vvollte, sich alle Miihe gegeben, jeden spekulativen Schein von seiner Christologie fern zu lialten, da ihm diess aber nicht gelungen ist und die Einheit seines sowohl urbildlichen als geschichtlichen Christus sich als eine durchaus unhaltbare zeigt, so konnte der Fortschritt nur dadurch geschehen, dass man in der Ueberzeugung der Unmoglichkeit, die beiden in Betracht kommen- den Elemente auf dem von Schleiermacher versuchten Wege als Einheit zu begreifen, sie vielmehr in ihrem wesentlichen Unterschied auseinanderhielt und erst vom Standpunkt der spekulativen Idee aus sich die Frage zu beantworten suchte, wie sich das Geschichtliche dazu verhalte und wie es selbst als eines der Momente zu betrach- ten sei, in welchen der Process der Idee sich entwickelt. Diess ist der Standpunkt der HfiGEi/schen Philosophic, die an die Spitze ihrer Christologie den rein spekulativen Satz stellt, dass Gott an sich Mensch ist. Diess ist darin enthalten, dass Gott Geist ist. Indem er als Geist sich an sich unterscheidet, tritt die Endlich- keit des Bewusstseins ein, Gott wird im Menschen zum endlichen Geist. Als endlicher Geist ist der Mensch an sich Geist, was er aber an sich ist, soli er auch fiir sich sein. Die substanzielle Ein¬ heit Gottes und des Menschen, das Ansich des Menschen, muss fiir ihn auch einGewusstes sein, fiir ihn zurGewissheit werden. Da aber gewiss nur ist, was auf unmittelbare Weise in der Anschauung ist, so muss Gott erscheinen als einzelner Mensch, als unmittelbar sinn- lich wahrnehmbarer Einzelner. Diess ist jedoch nicht so zu ver- stehen, wie wenn Gott objectiv in einem bestimmten Individuum Mensch geworden ware, sondern es ist nur der Glaube der Welt, dass der Geist als ein Selbstbewusstsein d. i. als ein wirklicher Mensch da ist. Ist die Menschheit dazu reif, so schaut sie die Ein¬ heit des Gottlichen und Menschlichen in einer ausgezeichneten Per- sonlichkeit als verwirklicht an. Der weitere Gang des Processes ist, dass die Einheit des Selbstbewusstseins mit dem absoluten Wesen, die nur in unmittelbarer Weise in derSphare der aussern Objectivi- tat in einem nicht dagewesenen Individuum gesetzt ist, sich ver- innerlicht und zu einer in jedem selbstbewussten Subject sich voll- ziehenden Einheit wird. So ist demnach zvvar auch hier keine ob¬ jective Einheit des Gottlichen und Menschlichen in einem bestimmten einzelnen Individuum, aber die beiden Elemente, die hier zu unter- Lehre von der Person Christi. 381 scheiden sind, schliessen sich dadurch zur innern Einheit zusammen, dass das Geschichtliche, das so aufgefasst aucli in seiner mythisehen Gestalt eine ganz andere Bedeutung hat, als ihm der Rationalismus zugesteht, als das nothwendige Moment der Vermittlung betrachtet wird, durch welelie die Idee in dem Selbstbewusstsein des Geistes sich verwirklicht. Die Realitat der Idee der Einheit Gottes und des Menschen ist daher uberhaupt nicht in ein Individuum zu setzen, sondern nur in die Menschheit im Ganzen. Der Schliissel der ganzen Christologie ist, wie Strauss sagt 0? dass als das Subject der Pre¬ dicate, welche die Kirche Christo beilegt, statt eines Individuums eine Idee gesetzt wird, aber keine Kantisch unwirkliche, sondern eine reale, die Menschheit als der Gottmensch. Wie Strauss zuerst das richtige Verstandniss der HEGEi/schen Lehre festgestellt hat, so hat er auch die vollige Bedeutungslosigkeit der von Anhangern der HEGEL’schen Philosophic geinachten Yersuche, init HEGEL’scher Ter- minologie die orthodoxe Lehre von Christus als dem Gottmenschen zu restauriren, auf's evidenteste nachgewiesen 1 2 ). Die orthodoxe Kirchenlehre hat, trotz aller liber sie ergange- nen Kritik, bei den Verlheidigern des kirchlichen Systems sich nicht nur in ihrem verjahrten Ansehen behauptet, sondern sogar noch auf einem von der Idiomencommunication offen gelassenen Punkte sich vveiter fortzubilden bestrebt. Die ganze geschichtliche Entvvicklung schien zu dem kiihnen Schritte zu drangen, den Begriff der Entaus- serung noch scharfer und tiefer zu fassen, ihn nicht bios auf die mit der Gottheit geeinte Menschheit zu beschranken, sondern auch auf die mit der Menschheit geeinte Gottheit auszudehnen. Von dem Momente der unio hypostatica an habe der Logos als Gottmensch aufgehort, zwar nicht Gott zu sein, wohl aber in gottiicher Weise zu existiren. Sein gdttliches Bewusstsein sei zum menschlichen ge- worden, urn sich als menschlichesBewusstsein zu entwickeln. Aus- serhalb seiner Menschheit habe sich der Logos weder ein beson- deres Sein fur sich, noch ein besonderes Wissen urn sich vorbehalten, er sei im eigentlichsten Sinn Mensch geworden 3 )* Diese vollendete 1) Schlussabhandlung zum Leben Jesu. 2) Die cbr. Gl.lehre 2. S. 220 f. 3) Thomasius Beitrage zur kirclil. Christologie. 1845. S. 72 f. Ev. luth* Dogm. 2. S. 128 f. 179 f. Vgl. Schneckekbukger in Tholuck’s Lit. Anzeiger 1846, Nr. 17. Denselben Geclanken hat neuestens Gess in der Schrift; Dig 382 Dritte Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 131. Selbstentausserung ist in der That nichts anders als die vollendete Lehre von der Person Christi entwickelt aus dem Selbstbewusstsein Christi nnd aus dem Zeugniss der Apostel. Basel 1856. aufgefasst und mit aller Pra- tension einer wissenscbaftlichenTheorie durchzufiihren gesucht. Im Gegensatz gegen die unlaugbaren doketischen Consequenzen der kirchlichen Lelire soli endlicli mit der wahrhaftigen Menscbheit Christi voller Ernst gemacht werden* Es sei falsch, dass der Logos, so gewiss er Gott ist, keine Yeranderung erlei- den konne. Er habe sick seines Selbstbewusstseins entaussert, es abgelegt, in sich erloscben lassen, die Logoswesenheit sei eine menschliche Seele ge- worden, nicht bios das Ich des Logos, sondern auch seine Wesenheit, seine Substanz, sein Natnrorganismus sei Fleisch geworden (S. 296. 305 f. 323). So reell aber bier das Menscbsein Christi gedacht werden soli, so bleibt es doch auch bier bei einer blossen, in ihrem steten Widerspruch sich selbst auf be ben- den Versicberung. Das der Voraussetzung nach vollig in sich erloscbene Selbstbewusstsein des Logos blickt gleicliwobl iiberall wieder aus dem Men- scben Jesus hervor; er ist aucli so der Logos, nur der in's Werden eingegan- gene Logos (S. 352), die Erinnerung der Praexistenz durcbblitzt in einzelnen Momenten den Fleiscbgewordenen, und es ist dem reellen Menschsein sclion dadurch Geniige gescbehen, dass das gottliche Selbstbewusstsein nur nicht gerade zur bleibenden Leucbte seines Innern geworden ist (S. 358). Diess letztere namlich kann nicht angenommen werden, weil es ja doch eine mensch¬ liche Entwicklung sein soli, die von Stufe zu Stufe bis zur volligen Identitat des menscblicben Selbstbewusstseins mit dem gottlichen fortgebt. Die Mog- licbkeit dieser Identitat bleibt aber bier ebenso scblecbtbin unbegreiflich, wie in der kirchlichen Lehre und beruht nocb iiberdiess auf dem schlechthin un- bewiesenen, jedem verniinftigen Gottesbegriff widerstreitenden Satz, dass der Logos als Gott sich verandern und sicli substanziell in ein menschliches Wesen umsetzen konne. Man kommt somit auch bier nicht aus dem Dilemma heraus: entweder ist der Logos wabrer und wirklicher Menscb geworden, und dann ist der aus ibm gewordene Menscb an sich nicht mehr und niclit weniger als ein andererMensch und seine menschliche Seele steht in keinem andern Verhaltniss zuGott, als die andern Menscbenseelen, die ja auch gottlichen Geschlechts sind, ein von Gott in die Leiblichkeit gehauchter Geist des Lebens (314. 330. 352); oder er ist auch als menscbgevvordener Logos, trotz desErnstes seiner Menscb- werdung, nocb Logos und dann ist es eine reine Illusion, von einer wahrhaft menscblichen Entwicklung seines Selbstbewusstseins zu reden, wenn das Menschliche nur die ausserlich angenommene Scheinform des an sicli Guttli- chen ist. Zur weitern Gescliichte dieser Frage, die neuestens durcb die Zu- stinnnung mebrerer Tbeologen eine eigenthiimliche Bedeutung erlangt bat, Vgl. man die Abliandlungen in den Jabrbucbern der deutscben Theologie 1856. 1. 2. S. 361 f. von Dorner fiber die richtige Fassung des dogmatischen Be- griffs der Unveranderliehkeit Gottes; 1858. 3, 2. S. 349 f. von Liebner, Chri- stologiscbes; a. a. O. S. 366 f. von Hasse, iiber die Unveranderliehkeit Gottes und die Lehre von dev Kenosis des gottlichen Logos. Ura den dogmatischen Lehre von der Person Christi. 363 Selbstaufldsung des Dogma. Denn was hat Christus vor Andern voraus, wenn er sich alles Gottlichen wahrhaft entaussert hat und Charakter dieser Lehre zu bezeichnen, suchte Dorner aus der gelehrten Rum- pelkammer der alten Ketzergeschichte den nic-ht einmal sehr passenden Naraen der Theopaschiten hervor, ilire Anhanger selbst nennen sich Kenotiker, und diesen Namen solltc man ihnen nicht missgonnen, da in der That die deutsche Theologie sich hier, in dieser Lehre von der Logosentausserung, in einem Zustand der Selbstentausserung hefmdet, in welchem sie sich des logi- schen Denkens vollends ganz hegeben zu wollen scheint. Einverstanden sind die Kenotiker in dem der Kirchenlehre gemachten Yorwurf des Doketismus. Kaura aber macht nacli dem Yorgang von Thomasius, Liebner u. A. Gess mit der Menscliwerdung des Logos und dem Menschlichen der Person Christi Ernst, so ruft ihm Liebner »ein Halt auf der Bahn der Kcnotik“ zu (a. a. 0. S. 388). Nicht herausfallen diirfe der Sohn aus der Tr ini tilt, sein trinitarisches Leben in der Menscliwerdung nicht stille gestellt sein. Der Logos bleibt also auch in der Menscliwerdung, was er an sich ist, wie ist er aber gleichwolil Mensch geworden? Es soli weder eine doppelte Personliclikeit, noch eine Verkiirzung des Menschlichen sein, sondern eine wahre personliche Einheit, eine Ineins- bildung des ewigen Logos und desMenschen Jesus, cine innereDurchdringung beider, eine wahrhaft gottmenschliclie Hypostase, in welcher die menschliehe Hypostase der gottlichen Logoshypostase wirklich immanent ist (vgl. a. a. 0. S. 355. 356. 409). Fragt man, wie diess auch nur als moglich gedacht wer- den soil, so trennen sich die Kenotiker wieder in zwei Meinungen, von wel- chen die eine die Depotenzirung des Logos zu einer blossen Potenz desAnfangs physisch, die andere ethisch gedacht wissen will. Im Gegensatz gegen das Physische einer Depotenzirung des Logos zu einem blossen Keimzustand soli nach Liebner a. a. 0. S. 388 alles zu einer etliischen Entwicklung der Gott- menscliheit angelegt gewesen sein, indem Christus den absoluten Inhalt als Gabe des Vaters und zugleicli als Aufgabe hatte, um ihn durch wahre ethische Entwicklung auch als seinen eigenen wieder zu gewinnen. Aber auch nach dieser Ansicht miisste die Entwicklung von einem Punkte ausgegangen sein, auf welchem das Selbstbewusstsein des depotenzirten Logos ein vollig ruhen- des und unentwickeltes war. Entweder hat man also nichts als eine rein menschliehe Entwicklung, oder uberhaupt keine menschliehe Entwicklung, wenn, wie Liebner a. a. 0. S. 386 sagt, der Yorgang der Menscliwerdung und das Leben des Menschgewordenen durchaus innertrinitarisch anzusehen ist. Dorner hat die Ungereimtlieiten und Widerspriiche, in welche sich dieKenotik verwickelt, die inhaltsleere Bedeutung ihrer Phraseologie sehr treffend aufge- deckt. Da man aber auch ebenso gut allem demjenigen seine voile Zustim- mung geben muss, was die Kenotiker sowohl gegen die kirchliche Lehre iiber- haupt, als auch gegen die Dorner’scIic Fassung derselben geltend machen, so sieht man hier nur das kirchliche Dogma gerade auf dem wichtigsten Punkte in seinen eigenen, unter sich selbst uneinigen Vertheidigern im Zustand dev volligen Selbstauflosung. 384 Dritte Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 131. nur an sich Golt ist? An sich hat ja auch der Mensch, wie hier gleichfalls angenommen wird, einen vonGott ausgegangenenLebens- geist in sich als immanenten Grund seiner Personlichkeit. Christus ist also Gott und Mensch, wie es an sich jeder Mensch ist, das Specifische seines Wesens hat sich in das allgemeine Wesen der Menschheit aufgeldst. Die alte Frage, oh der Sohn Gottes Mensch geworden sein wiirde, wenn das mcnschliche Geschlecht ohne Siinde geblieben ware, hat J. Muller auf’s Neue zur Sprache gebracht und sie in antipantheistischer Tendenz verneint, obgleich derMensch urspriing- lich schlechthin auf Christus als den Logos angelegt sei. Schliesst sich, wie diess der Schluss des DoRNER’schen YVerkes ist 1 2 ), die ganze geschichtliche Entwicklung in dem dogmatischen Resultat ab, r,dass, ob wir vomLogos oder vomMenschen ausgehen, das Selbstbewusstsein und YVollen beider je das andere Moment als eigene Bestimmtheit in sich schliesse, das beiderseits Vorhandene nichts anderes sei, als das gottmenschliche Bewusstsein, das eine und selbige, das weder ein inenschlichesBewusstsein voinLogos sei, noch ein bios gottliches vomMenschen, sondern ein gottmensch- liches von beidem, aber so wie beides ist, d. h. als geeintem und so gottinenschliches Selbstbewusstsein undWollen«, so stelit das Dogma am Ende seines langen YVeges auf demselben Punkte einer unge- losten Aufgabe, wie an seinem Anfang. Das lneinandersein eines doppelten Selbstbewusstseins ist so undenbkar, oder noch undenk- barer als die Unpersdnlichkeit einer wahren menschlichen Natur, auch wieder nur ein anderer Ausdruck fiir einen nie zur Einheit des denkenden Bewusstseins sich vollziehenden BegrilL Soli also die ganze bisherige und kiinftige Geschichte des Dogma nicht das in dem ewigen Einerlei derselben Varialionen sich wiederholende trost- lose Schauspiel des an seiner Sisyphus-Arbeit verzweifelnden Gei- stes sein, so bleibt nur das Doppelie iibrig, einmal, iiber den Begrilf des Gottmenschen dahin zuriickzugehen, wo auf dem kritisch er- forschten Boden der evangelischen Geschichte die wahre YVirklieh- keit seiner menschlichen Erscheinung sich darstellt, und sodann die 1) Deutsche Zeitschr. fiir christl. YVissenschaft u. s. w. 1850. S. 314. 2) Entwicklungsgeschichte clev Lehre von der Person Cbristi. 2. Aufl. awelter Theil 1853. S, 1260, Lelire vom Werke Christi, 385 ganze geschichtliche Entwicklung des Dogma darauf anzusehen, wie der ideale Christus immer wieder die Bande zerreisst und durch- bricht, welche ihn mit dem historisehen in der unmittelbaren Ein- heit eines individuellen Gottmensclien zusammenbalten sollen *)• §. 132. Oie lidire vom Werke Christi 1 2 ). Ueber das Yerhaltniss der verscliiedenen Theorien zu einander hatte man nocli unklare Vorstellungen. Epoche macht Tollner’s eindringende, den ganzen Stand der Saehe klar in’s Licht setzende Kritik der Lehre vom thuenden Gehorsam Christi. Seine Argumente waren im Ganzen dieselben, wie die schon von Piscator gel tend gemachten, aber die Hauptsatze seiner Bestreitung der kirchlichen Lehre, dass es beirn thuenden Gehorsam Christi nur darauf ankomme, was er als frei thatig-es, sittliches Geschopf fiir sich gewesen sei, dass der Mensch zu einem absolut vollkommenen Gehorsam gar nicht verbunden sei, niemand fur einen Andern leisten konne, was er selbst zu leisten hat, u. s. w., diese und andere ahnliche Salze erhielten jetzt als charakteristiseher Ausdruck der herrschendenZeit- richtung ein ganz anderes Gewicht. Man wollte von keiner andern Betrachtungsweise wissen, als der subjectiv menschlichen, recht ab- sichtlich ging man in das Bewusstsein seiner Endlichkeit ein, aber nicht, urn sich der Negativitat seines ganzen Wesens bewusst zu werden, und sich des driickenden Gefiihls derselben zu entledigen, sondern, urn sich in seiner Endlichkeit und an dem wannen Herde seiner Subjectivitat recht heimisch zu fuhlen, und sie zum Maasstabe alles Glaubens und Wissens zu machen. Diess war es, was der ToLLNER’schen Polemik gegen die kirchliche Satisfaclionslehre ihr grosses Zeitinteresse gab, und den Widerspruch gegen sie sehr er- folglos machte. Dass man an sich versohnt sei, sobald man sich wirklich bewusst sein darf, das Seinige dazu gethan zu haben, gait 1) Diess ist der Unterschied meiner Geschichtsbetrachtung von der Dor- NER’schen, wie ich hier noch nachtraglich zu der §. 6. gegebenen Charakteri- stik der verschiedenen dogmenhistorischen Standpunkte bemerke. Ueber die polemische Stellung, welche das DoRNEn’sche VVerk in seinem ersten Theil zu meiner Geschichtsanschauung genommen hat, vgl. man dieTheol. Jahrb. 1846. S. 133 f. 2) Vgl. Lehre von der Versohnung. S. 478 f. Brut, DogmengescUichte. 25 386 Dritte Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 132. iinmer mehr als Grundvorausselzung. Die weitere Opposition gegen die kirchliche Lehre ging vom BegrifFe der Strafe aus, deren Wesen Steinbart, Eberhard, Loffler u. A. in den Zweck der Besserung und das Wohl des leidenden Subjects setzten, woraus die Unmog- liclikeit der Strafenaufhebung, somit aucli der Sundenvergebung und Genugthuung folgle. Durch die Laugnung positiver Strafen, die nur in derYorstellung derMenschen existiren, unterschied sich diese neue Theorie von der socinianischen und arminianischen. Mit deni N. T. vereinigte man sie durch die Accommodationshypothese, wel- cher zufolge dieApostel, nur urn die Juden ihre gewohnten BegrifFe aucli in der christlichen Lehre finden zu lassen, den Tod Jesu als Opfertod dargestellt haben sollen. Die supranaturalistischen Theologen hielten theils den BegrilF der positiven Strafen fest, theils fanden sie besonders die Grotius*- scheldee desStrafexempels selir einleuchtend. Die Zvveckmassigkeit des Todes Jesu in psychologisch-moralischer Hinsicht erorterten besonders Doderlein, Seiler, Morus, Knapp, Schwarze u. A. Storr's eigene Theorie beruhte auf der falschen Voraussetzung, dass Jesus fur seine Person zu seiner Belohnung durch semen Gehorsam nichts liabe erlangen konnen, sie fiel dalier mit der socinianischen zu- sammen. Die KANT’sche Philosophie befand sich in dieser Lehre ganz auf dem Boden der sittlichen Principien ihrer praktischen Vernunft. Die rein moralische Theorie einer innerhalb des subjectiven Bewusst- seins sich vollziehenden Satisfaction ist das eigentliche Gegenstiick zur kirchlichen. Das stellvertretende und genugthuende Subject ist der Mensch selbst. In den Leiden, die mit der Umwandlung der bdsen Maximen in gute verbunden sind, ubernimmt der neue ge- besserte Mensch, der zwar physisch derselbe mit dem ungebesser— ten ist, moralised aber einanderer, das, was dem alten ungebesserten gebiihrt. Eine Darstellung dieser Leiden ist der Tod des Gottmen- schen als des personificirten guten Princips. Eine Siindenvergebung gibt es also nichtund kann es nach den Principien dieser Philosophie nicht geben, docli weiss sich der Mensch auf dem Grunde seiner guten Gesinnung an sich versohnt, die wirkliche Yersohnung aber kann sich nur in dem unendlichen Process der Annaherung an das Sittengesetz realisiren, wesswegen der Mensch immer sowohl ver¬ sohnt als nicht versohnt ist, und der Widerstreit entsteht, dass er Lelire vom Werke Christ!. 287 nie versohnt ist und doch nur durch sich versohnt werden kann. In den den Tod Jesu betreffenden Stellen des N. T. salt man eine sym- bolische Darstellung der auf die Versohnung sich beziehenden sitt- lichen Ideen und von der Accommodationshypothese schritt man zu der weitern Annahme fort, dass die Apostel, statt uber ihrer Zeit zu stehen, selbst in deni Ideenkreis derselben befangen gewesen * seien. Vermittelnd zvvischen die kirchliche und die moralische Ver- sohnungstheorie stellt sich die Schleiermacher’scIig, da sie weder magisch, wiejene, noch empirisch, wie diese, seiu will. Von derKANi’- schen unterscheidet sie sich dadurch, dass ihr derErloser oderGott- mensch nicht bios ein sittliches Ideal ist, sondern eine geschichtlich existirende Person, in welcher die Erlosung und Versohnung auf ab¬ solute Weise vollzogen ist. Fiiruns vollzieht sie sich nur alsGemein- schaft undEinheit mit ihm, sofern unsGott in ihm anschaut nicht als das, was wir fur uns selbst sind, sondern was wir in ihm sind. Der Unterschied von der kirchlichenTheorie ist, dass wir in die Gemein- schaft und Einheit mit dem Erldser nicht unmittelbar kommen, son¬ dern nur durch die Vermiltlung des Gemeinwesens, als dessen Stifter Christus derErloser ist. Unser Versohntsein ist das Aufgenommensein in das christlicheGesammtleben und denGesammtgeist desselben. Da aber das Gesammtleben sich nur in der endlichen Form eines ge- schichtlichen Processes entwickelt, so gibt es, sofern alles Versoli- nende erst durch diese Vermiltlung zu uns gelangt, keine absolute Versohnung, keine Einheit mit Gott. Versohnt weiss sich der Christ in seinem christlichen Bewusstsein als dem Reflex der durch den heiligen Geist, den Gemeingeist der Glaubigen, beseelten christli¬ chen Gemeinschaft. Der Fortschritt von Schlelerjviacher zu Hegel ist auch hier der- selbe, wie zuvor. Was bei Schleiermacher nur innerhalb des Be- wusstseins und der geschiehtlichen Sphare des Gesammtlebens sich bewegt, ist bei Hegel die absoluteBewegungGottes oder desGeistes. Die absolute Voraussetzung ist, dass die Entzweiung, der Gegensatz an sich aufgehoben ist, dass er auch fiir das Subject aufgehoben werde, dazu ist der ganze Verlauf der Geschichte des Gottnienschen da, sofern in ihm als einem Individuum sich darstellt, was die Natur Gottes oder des Geistes ist, sich zum Anderssein, zur Naliirlichkeit, zur Einzelheit zu entaussern und in dieser Entausserung Eins mit 25* 388 Dritte Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 132. sich zu sein. Die iiussere vergangene Geschichte des Gottmenschen, seinTod, seine Auferstehung muss sich zum Process des dieSchran- ken und Mangel seiner naturlichen Existenz iiherwindenden und mit seinem Wesen sich versohnenden endlichen Geistes verinnerlichen. Wahrend die meisten Theologen das Anstossige der kirchlichen Lehre durch Beniitzung SciiLEiERMAciiER’scher Ideen so viel moglich zu beseitigen suchten, haben biblisch gesinnte aber auf einem sehr singularen Standpunkt stehende Supranaturalisten, wie Hasenkamp, Menken, Stier, das Satisfactionsdogma als eine nur den Zorn Gottes befriedigende Lehre angegriffen. Die neueste durch den Erlanger Theologen Hofmann veran- lassle Controverse betrifft nicht sowohl den Satisfactionsbegriff an sich, als vielmehr nur seine Bedeutung fur die lulherische Bekennt- nisslehre. Wahrend Hofmann der letztern nicht zu nahe zu treten glaubt, wenn er in dem Tode Christi kein der Gerechtigkeit Gottes genugthuendes Strafleiden sieht, sondern eineGutmachung derSiinde durch Gehorsam im Sinne des vonLuther geschildertenKampfes, oder der Schleierinacher’schen Idee der Lebensgerneinschaft, erklarte diess Philippi 1 2 ) fur den entschiedensten Abfall von der Cardinal- lehre der lutherischen Kirche. Thomasius 3 ) kann sich wenigstens die lulherische Versohnunoslehre nicht ohne den SatisfactionsbegrifF denken und in der That weiss man nicht, warum nicht auch ein kirchlich gesinnter Theologe, welchem, wie diess bei Hofmann zu sein scheint, der juridische Begriff der Strafgerechtigkeit fiir seine Anschauung von Christus zu eng und ausserlich geworden ist, es offen gestehen darf, dass er hierin mit der Lehre der Kirche nicht gehen konne. 1) Schriftbeweis 2, 1. 1853. S. 1151*. Erlanger Zeitschr. fiir Protest, und Kirche. 1856. Febr.- u. Marzheft: Begriindete Abweisung eines unbegriinde- ten Vorwurfs. Schutzschriften fiir eine neue Weise, alte Wahrheit zu leliren. Erstes Stiick 1856. Zweites 1857. 2) Vorwort zur zweiten Aufl. des Comm, iiber den Komerbrief. 1855. Hr. Dr. v. Hofmann gegeniiber der lutherischen Versohnungs- und Kechtfertigungs- lehre. 1856. 3) Das Bekenntniss der lutherischen Kirche von der Yersohnung und die Versohnungslehre D. Chr. C. v. Hofmann’s. 1857. Lehre von tier Rechtfertigung. 389 §. 133. lielire von der Reelitfertigniig'. Der protestantische BegrifF der Rechtfertigung war zu sehr aus dein urspriinglichen antithetischenlnteresse des Protestantismus her- vorgegangen, als dass er in der so streng ahgemessenen Form sich hatte hehaupten konnen. Yor Allem war schon der BegrifF eines Glaubens, welcher zu der im Urtheile Gottes dem Menschen zuge- sprochenenGnade der Siindenvergehung sich bios receptiv verhalten sollte, nicht mehr im Geiste einer Zeit, in welcher das Selbstbe- wusstsein des Subjects eine immer intensivere Bedeutung gewann. In demselben Verhaltniss, in welchem der Glaube, statt eine blosse Form zu sein, seinen bestimmten Inhalt erhielt, als ein selbstthatiges Princip, musste derGegensatz zwischen demGlauben und denWer- ken, und mit demselben der Gegensatz zwischen dem Protestantis¬ mus und Katholicismus, wie diess ohnediess die Natur der Sache von selbst mit sich brachte, sich schwachen. Der Glaube und die Werke wurden wieder als Einheit zusammengefasst in der siltlichen, im praktischen Leben sich bethatigenden Gesinnung, als der alleini- gen Bedingung, an welcher auf der Seite des Menschen alle Recht¬ fertigung und Seligkeit hangt. In diesem Sinne sprach schon Swe¬ denborg von einer Conformitat der Katholiken und Protestanten in der Lehre vom Glauben und den Werken, bei welcher sich kein realer (Jnterschied denken lasse ’)• Im Gegensatze gegen die hart getadelte Imputationstheorie setzte er das Wesen der Rechtfertigung nicht sowohl in den Glauben, als in die Liebe. Aber auch supra- naturalistische Theologen erklarten den Streit der beiden Lehrbe- grifFe fur eine blosse Logomachie, da beide Theile das gleiche Gewicht auf die sittliche Besserung legen 1 2 ). In derselben, nur die sittliche Gesinnung als Hauptmoment festhaltenden Richtung gingen die Rationalisten nur darin noch weiter, dass sie den Glauben im alten Sinne, auch dem Ausdrucke nach, mit der modernen Ueber- zeugungstreue vertauschten. In der neuesten spekulativen Theologie driickte sich auch in dem Begriflfe vom Glauben und von der Rechtfertigung der eigenthumliche 1) Summaria expositio doctrinae novae ecclesiae. Amstel. 1769. S. 14 f. Vgl. Tafel, Lehrgegensatze des Kathol. und Protest. 1835. S. 330 f. 2) Vgl. Gegens. des Kath. und Prot. 2. A. S. 235 f. 390 Dritte Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 133. Charakter der verschiedenen Standpunkte aus. Was nach Kant die Beziehung unserer Gesinnung auf das in Christus, als dem personi- ficirten ldeale der gottwohlgefalligen Menschheit, angescliaute sitt— liche Ideal ist, ist naeli Schleiermacher die Aneignung der Voll- kommenlieit und Seligkeit Christi, welclie man durch die Aufnahme in die Lebensgemeinschaft mit ihm erlangt, nach Hegel, die sub¬ jective Gewissheit der objectiv vollbrachten Yersohrmng, oder das Aufgenommensein des Subjects in den Geist, d. h. das Wissen des Subjects von seiner Einlieit mit dem absoluten Geiste, wofiir Strauss die concrete Idee der Menschheit setzte. Dass Schleiermacher das Declaratorische des protestantischen Rechtfertigungsbegriffs fallen liess, geschah allerdings niclit im ka- tholischen Interesse, urn so mehr aber vom Standpunkte eines Sy¬ stems aus, welchem Gott wesentlich nur die absolute Causalitat oder die absolute Macht ist. Gelit man niclit auf den eigenthiimlichen Gottesbegriff Schleiermacher’s zurtick, so hat die von Nitzsch im Gegensatz gegen Schleiermacher gemachte Unterscheidung einer immanenten und transitiven Rechtfertigung kein besonderes Moment, sofern liiemit niclits gesagt ist, was sich nicht von selbst versteht. Rechtfertigung und Glaube sind so wesentlich zusammengehorende und sich gegenseitig bedingende Momente, dass beide nur wie die objective und subjective Seite derselben Begriffseinheit sich zu ein- ander verhalten J ). 1) Nitzsch, Protest. Beantw. der Symb. von Mouler, Theol. Stud. u. Krit. 1834. S. 509. In der Controverse zwiscben Kahnis und Nitzsch (Deutsche Zeitschr. fur christi. Wissenscliaft u. s. w. 1853 Nr. 45 f.: Wiirdigung der von D. Kahnis gegen die evang. Union und deren theol. Vertreter gerichteten An- gritfe von Dr. Nitzsch; nachher mitRiicksichtauf die Gegenschrift von Kaiinis, die Sache der lutlierischen Kirche gegeniiber der Union, Sendschreiben an Dr. Nitzsch, Leipz. 1854 als besonderer Abdruck durch einen Naclitrag er- weitert, Berlin 1854), liandelte es sich um die im lutlierischen Lehrbegriff im- mer wiederkehrende Frage, ob im Heilsprocess von der Subjectivitat desMen- schen so abstrahirt werden kann, dass die Gnade die allein und schlechthin wirkende Ursaclie ist, der Glaube somit eine blosse causa instrumentalis. Be- hauptet Nitzsch a. a. 0. S. 41 f., der Herr falle sein Gnadenurtheil nicht so, dass er es nur fur sich beliielte, vielmehr spreche er es durch den heiligen Geist in das Herz des Menschen hinein, die Rechtfertigung sei aber darum docli nur eine urtheilende und gar keine mittheilende Handlung, sofern die Mittkeilung aus der Sphare des Urtlieilens lieraustrate, so erwiedert Kahnis a. a.O. S. 42: „also ist mit der Rechtfertigung eine Geistesmittheilung gegeben, Lehre von der Gnade, den Gnadenwirkungen u. der Predestination. 391 §. 134. f^elire von der Gnade, den Gnadenwirkungen und tier Pradesti nation. Die von Spener angeregte, von J. G. Bose aufgestellte und hauptsachlich von Rechenberg seit 1700 vertheidigte Behauptung eines terminus peremtorius salutis humanae zog sich den allgeinei- nen Widerspruch der lutherischen Theologen zu x ). Der allgemeinen Richtung der Zeit, die in ihrem Streben nach Aufklarung sich mit dem Mystischen des Gefiihls ebenso we~ nig befreunden konnte, als mit dem Uebernatiirlichen des Dogma, musste insbesondere auch die Lehre von den Gnadenwirkungen zum Anstoss gereichen. Sie lag ganz auf dem psychologisch rnoralischen Wege, auf welchem sie die dunkelen Fragen der Heilsordnuno- aufzuhellen suclite. Nachdem zuerst Eberhard iin Interesse seiner Apologie des Socrates den Grundsatz geltend ge- macht hatte, dass Gott nur nach der Natur der menschlichen Seele und den durch die Erfahrung bewahrten Gesetzen wirke, wollte Junkheim 2 ) die Gnadenwirkungen zwar als ubernaturliche, nicht aber als unmittelbare Wirkungen Gottes betrachtet wissen, da sie durch das Wort Gottes moralisch vermittelt werden. In dieser Tren- nung vom Unmittelbaren konnte aber auch das Uebernatiirliche nicht welche hindert, mit der Apol. und der F. C. zu sagen, Rechtfertigen ist Frei- sprechen. Friede, Geist der Kindschaft, der uns vertretende Geist u. s. w. sind Zustande, welche entweder von unten koramen, unmittelbar aus dem Bewusst- sein der Rechtfertiguug, oder von oben aus Gott, durch seinen Geist. “ Ist denn aber nicht das Mittlere zwischen jenen Zustanden und der Iiechtfertigung eben das Bewusstsein der Rechtfertiguug selbst, das als solches doch nicht bios ein von unten kommendes ist, und als von unten kommend nur das Subjective an der Rechtfertigung ist, ihre concrete Verwirklichung, dadurch, dass sie, was sie an sich ist, auch fur das Bewusstsein des endlichen Subjects ist? Die Frage ware also nur, wie dieser Reflex des gottlichen Urtheils im Bewusstsein des Subjects zu denken ist. Sagt ferner Nitzsch a. a. 0. S. 44, der Glaube konne nur in dem Maasse ein reclitfertigender sein, als er das Herz der bekehrenden und lieiligenden Wirksamkeit Christi eroflne, so sieht Kahnis a. a. O. S. 43 darin noch entschiedener eine Annaherung an das Tridentinum, weil die Recht¬ fertigung, als das Freisprechen von derSchuld, der Natur derSache nach, keine Gradbestimmung vertrage. Was ware aber die Rechtfertigung in dieser reinen Abstractheit ohne alle concrete Bezieliung auf das glaubende Subject? 1) Vgl. Gass, a. a. 0. 2. S. 473 f. 2) Yon dem Uebernatiirlichen der Gnadenwirkungen. 1775. 392 Dritte Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 134. festgehalten werden, es wurde besonders auch durch den Einfluss der KANT’schen Philosophie zur gewohnlichen Ansicht, unter Gna- denwirkungen die moralische Wirksamkeit der Lehre des Christen- thums zu verstehen. Die seit deni Jahr 1817 zur Zeitfrage gewordene Union der beiden evangelischen Kirchen regte die Frage wieder an, wie sich der lulherische Lehrbegriff zur calvinischenPradestinationslehre ver- balte. Der Behauptung Bretschneider’s dass der in demselben enthaltene Widerspruch nur die Wahl lasse, entweder die Pramissen aufzugeben, oder auch die in ihnen liegende Consequenz zu ziehen, stimmte auch Sciileiermacher bei 1 2 ), wahrend aber Bretschneider sich auf die erstere Seite der Alternative stellte, nahm Sciileiermacher inn so entschiedener die letztere fur sich in Anspruch. Diess hatte einen neuen, aber nicht mit grosser Scharfe gefiihrten Streit fiber die Predestination zurFolge, an welchem neben den genannten bei¬ den Theologen Ammon, Sartorius, Marheineke, de Wette, jeder in seiner Weise, sich betheiligten. Die Hauptsache war die neue von Schleiermacher aufgestellte Erwahlungslehre, welche auf der einen Seite an die calvinische Pradestinationstheorie sich anschloss, auf der andern aber dadurch fiber sie hinausging, dass sie denDualismus derselben in der Idee eines allgemeinen Weltorganismus aufliob, in welchem die Vollstandigkeit der Gattung Individuen von alien Ab- stufungen geistiger Kraftigkeit erfordert. Sie fiihrte aber diese Idee nicht in ihrer Reinheit durch, indem sie in der unmotivirten Vor- stellung einer im kfinftigen Leben erfolgenden allgemeinen Bekehrung von dem speculativen Standpunkt auf den kirchlich theologischen zuriickging, wovon Strauss Gelegenheit nahm, der Schleiermacher- schen Glaubenslehre auch in diesem Theil ilire Zwittergestalt vor- zuhalten 3 ). Gleichwohl war jezt hauptsachlich durch Schleierma¬ cher, wie Strauss mit Recht bemerkt, die in Frage stehende Lehre aus dem Gebiet theologischer Voraussetzungen auf den Boden des philosophischen Begriffs erhoben, auf welchem die Frage nur sein konnte, ob uberhaupt neben der gottlichen Allwirksamkeit dem Menschen noch eine selbststandige Thatigkeit iibrig bleibt. Unter 1) Aphorismen iiber die Union der beiden evang. Kirchen. 1819. 2) Uebcr die Lehre von der Erwahlung, Theol. Zeitschrift, herausg. von Schl., de Wette und Liicke. 1819. 1. H. S. 1 f. 3) Die chr. Glaubenslehre. 2. S. 462. Lehre von der Kirche. 393 diesem Gesichtspunkt greift hier die neueste speculative Theologie ein. Im Gegensatz gegen Schleiermachers absolute Causalitat und die mit ihr identische sclilechtliinige Abhangigkeit definirt die He- GEL’sche Pliilosophie das Absolute als die absolute Idee, welche uicht bios das Allgemeine der abstracten Vorstellung ist, sondern das con- cret Allgemeine des BegrilFs, welches das Besondere als seine ei- gene Bestimmtheit uinfasst. Der Unterschied der beiden Standpunkte ist der Process der Idee, in welchem Natur und Geist auseinander- treten, und Gnade und Freiheit, der gottliche und der rnenschliche Wille, sich so zu einander verbalten, dass der rnenschliche Wille die Form ist, in welcher der gottliche sich verwirklicht 1 ). §. 135. lielire von der liirclte. Je mehr das kirchliche Bewusstsein im Laufe der Periode seine Energie verlor, urn so mebr fehlte es an einem klaren und bestimm- ten BegrifF der Kirche. Nach der bei Supranaturalisten und Ratio- nalisten gleich diirftigen Behandlung der Lebre von der Kirche, war es erst Schleiermacher, durch welchen der BegrifF der Kirche seine reale und lebensvolle Bedeutung wieder erhielt. In dem kunstreichen Organismus der ScHLEiERMACHER’schen Glaubenslehre ist die Lehre von der Kirche einer der durch Inhalt und Darstellung sich am mei- sten auszeichnenden Theile des wohlgeordneten Ganzen. Wie Schleiermacher das Wesen der Religion vor allem in das Gemein- schaftbildende setzt, so ist ihm auch die Kirche ein lebendiger Or¬ ganismus, welcher sich zu Christus verhalt, wie das Aeussere zu dem Innern, die Kirche ist in ihren wesentlichen Thatigkeiten das Abbild der in ihr sich fortsetzenden Thatigkeiten Christi. Besonders bemerkenswerthe Punkte der ScHLEiERMACHER’schen Darstelluno' sind o die Stellung der Schrift zur Kirche, und die Bestimmung des Unter- schieds der sichtbaren und der unsichtbaren Kirche. Die Schrift wird von Schleiermacher nicht als Quelle des ehristlichen Glaubens vorangestellt, sondern der Kirche untergeordnet, und diese Stellung durch den allgemeinen Satz begriindet, dass eine Lehre nicht dess- 1) Vgl. Vatke, die rnenschliche Freiheit in ihrem Verhaltniss zur Siinde und zur gottlichen Gnade. 1841. Zeller, liber die Freiheit des menschlichen Willens u. s. w., Theol. Jahrb. 1846. S. 884 f. Marheineke, Grundlinien der christi. Dogm. S. 317. 394 Dritte Hauptperiode, zweiter Abschnitt. §. 136. halb zum Christenthum gehore, weil sie in der Schrift entbalten ist, sondern sie ist vielmehr nur desshalb in der Schrift enthalten, weil sie zum Christenthum gehort, wodurch die Schrift zum Christenthum und christlichen Bewusstsein in ein analoges Verhaltniss gesetzt wird, wie im katholischen System zur Tradition. Den Unterschied der sichtbaren und unsichtbaren Kirche hat Schleiermacher scharfer so bestimmt, dass ihm die unsichtbare nur die Gesammtheit aller Wirkungen des Geistes in ihrem Zusammenhang ist, die sichtbare bilden diese Wirkungen in ihrem Zusammenhang mit den Nachwir- kungen aus der Welt, wie sie in keinem einzelnen vom gottlichen Geist ergriffenen Leben fehlen. Die neueste speculative Theologie definirt die Kirche, oder die Gemeinde, zwar auch als die Gesammt¬ heit der geistigen Subjecte, aber der hohere Begriff ist ihr derStaat in seiner zum Humanitatsstaat erhobenen Wiirde, und sie erklart daher das Auseinandersein von Kirche undStaat fiir denselben man- gelhaften Zustand, wie das Auseinandertreten des Religibsen und Sittlichen *)• §. 136. Ijelire von den ^nadenmitteln. 1. Das Wort Gottes. In dem zwischen den beiden Helmstadter Theologen Bertling und Schubert im Jahr 1753 entstandenen Streit sprach sich auf der Seite des letztern das schon friiher von Rathmann angeregte Inter- esse aus, die der Schrift als dem Worte Gottes beigelegte iiberna- turliche gottliche Kraft auf die der Schrift immanente moralische Wirksamkeit zu beschranken. Nachdem man den strengen Inspira- tionsbegrilf aufgegeben hatte, konnte auch die Schrift nicht mehr als Wort Gottes im altprotestantischen Sinn betrachtet werden, theils wegen der scharferen Unterscheidung zwischen dem Wort Gottes und der Schrift, theils wegen der Bedeutung, welche man dem christlichen Bewusstsein gab. 2. Die Sacramente. Der reale Begriff der Kirche schloss von selbst auch einen rea- leren Begriff der Sacramente als der Lebensfunktionen der Kirche in sich. 1) Ygl. Mariieineke, Grundl. der chr. Dogm. S. 325. Strauss, chr. Glau- benslehre. 2. S. 613 f. Rotiie, die Anfange der chr. Kirche. 1. S. 28 f. Lehre von den Gnadenmitteln. 395 In derLehre von derTaufe bieten die immer wiederkehrenden Zweifel gegen die Kindertaufe, die Gleichgultigkeit der Zeit, die ge- ringschatzende Ansicht des Rationalismus, die hohere der neuern Theo- logie, in dogmatischer Beziehung, nichts besonders Erhebliches dar. In der Lehre vom Abendniahl halte noch nach der Mitte des- achtzehnten Jahrhunderts der danials bekannt gewordene Krypto- calvinisnius des Gottinger Theologen Heumann so grosses Aufsehen erregt, dass selbst Ernesti als Yertheidiger der lutherischen Formel auftreten zu miissen glaubte. Urn so allgenreiner und entschiedener erfolgte bald nachher der in der ERNEsn’schen Schule selbst vorbe- reitete Abfall. Supranaturalisten und Rationalisten tliaten sich viel darauf. zu gut, unter den Svmbolen des Fleisches und Blutes die ganze Personlichkeit Christi zu verstehen. Schleiermacher legte das Hauptgewicht auf den in der christlichen Gemeinschaft organisirten genreinschaftlichen geistigen Genuss. Nachdem die Union den Ge- gensatz der lutherischen und reformirten Lehre auf’s Neue hervor- gerufen und gescharft hatte, glaubten die Einen nur durch die con- creteste Fassung der lutherischen Lehre des falschen Spiritualismus der reformirten sich erwehren zu konnen O, wahrend die Andern sich um so niehr benriihten, theils die geistige Gemeinschaft mit Christus und den Glaubigen der leiblichen Gegenwart gegeniiberzu- stellen, theils im Unionsinteresse die lutherische Yorstellung in die calvinische hiniiberzudeuten 1 2 ). Die neueste speculative Theologie hat den extremsten Gegensatz zu der altkirchlichen Vorstellung in der Erklarung ausgedriickt, dass so lange nicht dem Abendniahl aller Fleisch- und Blutgeschmack, und damit auch die Beschrankung auf die Gemeinschaft eines bestimmten Glaubensbekenntnisses und einer einzelnen Religionsform abgethan und es im KANT’schen Sinne zum Brudermahl der allgemeinen Humanitat gereinigt und erweitert ware, sie sich mit demselben auf keine Weise befreunden konne 3 ). §. 137. Lelire von den letzten Dingen* Woran es die vorige Periode in Hinsicht der biblischen Vor- stellungen noch am meisten felrlen liess, hat die jetzige so vollstan- 1) Rudkkbacii, Reformation, Lutherthum und Union. Eine historisch dog- matische Apologie der lutherischen Kirche und ihres Lehrbegriffs. 1839. 2) Schulz, die christi. Lehre vom h. Abendmahl nach dem Grundtext des N. T. 1824. Vgl. Theol. Jahrb. 1855. S. llfi. 3) Strauss, chr. Glaubenslehre. 2. S. 601. 396 Dritte Hauptperiode, z welter Abschnitt. §. 137. dig als moglich zu leisten gesucht. Das Gebiet der Escliatologie ge- hort zu den am genauesten erforschten und aufgehellten Theilen der bibliscben Theologie. Sehen wir von den einzelnen Lehren und Vorstellungen ab, so lassen sich von der kirchlichen Lehre drei Formen des dogmatiscben Bewusstseins unterscheiden. Die rationalistische Ansicht hat durch die Unsterblichkeitslehre und den Spiritualismus der IiANT’schen Philosopbie ihren scharfsten Ausdruck erhalten. Das Eigenthumliche der ScHLEiERMACHER’schen Ansicht besteht in den prophetischenLehrstiicken, die mit ihrer dialektisch—kritischen und mythischen Tendenz die Realitat der in Frage stehenden Lehren nicht geradezu laugnen, sondern nur unter den Gesiclitspunkt einer Antinomie stellen sollen, deren Losung scheinbar noch in Aussicht gestellt wird. Es zeigt sich aber bier nur die SciiLEiERMACHER’sche Glaubenslehre noch einmal sehr bezeichnend in ihrer zweideutigen Haltung zwischen dem kirchlichen und modernen Bewusstsein, in- dem sie das letztere nicht verlaugnen kann, und doch mit dem er- stern nicht entschieden brechen will. Ebenso kunstlich hat Schleier- macher in der Frage iiber die Unsterblichkeit das Gestandniss, dass nur die Gattung, nicht das Individuum fortdaure, durch die Behaup- tung zu verhullen gesucht, dass in dem Glauben an die Unverander- lichkeit der Vereinigung des gottlichen Wesens mit der menschli- clien Natur in der Person Christi der Glaube an das Fortbestehen der menschlichen Personlichkeit schon mitenthalten sei. Es kann diess aber nicht von der individuellen Personlichkeit gelten, da nach Schleiermacher der Glaube an die Fortdauer der Personlichkeit mit dem Gottesbewusstsein nichts zu thun hat, und der eigenthumliche Yorzug des Erlosers nur sein Gottesbewusstsein ist. Die dritte Form der Escliatologie, die speculative, spricht nur das noch Verschwiegene offen aus, dass der ganze Inhalt derEscha- tologie seine Wahrheit nicht in dem transcendenten Jenseits der Zukunft, sondern dem immanenten Diesseits der Gegenwart hat, und Unsterblichkeit und Auferstehung, Weltgericht und Wellunter- gang nur als die an sich seiende Qualitat und innere Allgemeinheit des iiber alles Endliche zu der Idee sich erhebenden Geistes aufzu- fassen sind *)• 1) Hegel, Philos, derRel. 2. S. 220. Marheineke, Grundl. der chr. Dogm. S. 387 f. Strauss, chr. Glaubenslehre. 2. S. 737 f. Register. A. Abalard 27.224. 232.241.242. 240.261. Adrumetum 185. AStius 164. Agatho 210. Agnoeten 178. Agobard 206. Agricola, J. 337. Aktisteten 178. Albert, der Gr. 226. 239. 254. Alcuin 205. Alexander, B. von Alex. 111. Alexander von Hales 226. 239. 251. Alexandriner 75 f. 85. 96. 101. 129. 132. 139. 189. alex. Religionsphilo- sopbie 68. Amalrich von Bena 248. 253. Ambrosius 154. 194. Amsdorf 333. Arnyraut, Amyraldismus 290. 317. Andrea, Jac. 287. 321. Antiochien, Synode 110. Antiochener 145. 153. 158. 175. 189. 197. Anomoer 164. Anselm von Canterbury 223. 224. 232. 238. 243. 245. 247. 260 f. Antoninus Pius 83. Apbartodoketen 178. Apollinaris 174. Apollinaristen 189. Apollonius von Tyana 89. 91. Arausio, Syn. 188. Arelate, Syn. 188. Aristoteles 149. 162. 196. 233 f. 294. Arius 111. 161. 163. 168. 175. Arianer 144 f. 189. 192. Arianismus 143 f. 306, 369. Arnobius 86. Arnold, G. 37. Artemon 110. Athanasius 153. 166. 167. 174. 189. 190., iiber altere Kirchenlehrer 24. 25. 159., iiber Heidenthum und Chri- stenthum 156. Athenagoras 84. 105. Audianer 162. Augusti 46. Augustin 150. 151. 154. De civit. D. 153. 156., iiber Wunder und Weis- sagungen 157. Gott u. s. w. 162. 164. 168. 170 f. Die Siinde 179 f. Pra- destination 160. 184. Glauben und Werke 191 f. Sacramente 193. Kirche 196. Auferstehung 197. Augustus 92. Avicebron 248. B. Baco, R. 236. Bardesanes 70. Barnabas 80. Basilides 70.121.128. sein System 113. Basilius von Ancyra 165. Basilius der Gr. 4. 153. 158. 160. 167. Baumgarten-Crusius 8. 47 f. 51. Bayle, P. 349. Bekker, B. 309. 371. Bellarmin 293. Ben-Panthera 91. Berengar von Tours 206. 219. Bernhard vonClairvaux 224. 235. 242. 250. 257. Bertholdt 46, 398 Register, Bertling 394. Beryllus 110. Beza, Tli. 321. 339. Biel, Gabr. 240. 266. Bohme, J. 299. 308. 310. 371, Bose, J. G. 391. Bolingbroke 360. Bonaventura 226. 235. 239. 255. Bradwardin, Th. 265. Brenz, J. 321. Bretschneider 392. Bullinger, H. 294. 321. Bucer 338. Buddeus 358. C. Calixt, G. 288. 292. 313. 334. Calov 294. 297. Calvin, Calvinismus 279 f. 289. 292. 294. 303.314.316.337.342. Krypto- calvinismus 281. 339. 395. Campanus 305. Capito 338. Carlstadt 338. Cartesius 293. 309. Catechismus Rom. 293. Rakauer 294. Casarius, B. von Arel. 188. Celsus 88. 90 f. 93. Cerinth 127. 138. Chalcedon, Syn. 62. 176. Chemniz, M. 294. Chiersy, Syn. 216. Chiliasmus 138. Chrysostomus 153. 194. Chubb 360. Cicero 3. 294. Clarke, S. 369. Claudius aus Sav. 305. Clemens v. Alex. 75. 85. 96. 101. 117. 124. 129. 132. 136. Clemens von Rom, Homilien 72. 78.81. 94. 98. 101 f. 107., ihr gnostisches System 72. 114., ihre teleologische Weltbetrachtung 117., iiber das Bose ! 120., den Siindenfall 123., ihr Pro¬ phet 127., ihr Dringen auf das Han- deln 133, Clemens YI. 262. Clericus, J. 300. Coccejus 292. Collins 360. j Concordie, Wittenb. 338. Concordien- formel s. F. C. Confession, augsb. 293. 304. 311. 338. 339. Constantinopel, Syn. 62. 178. 210.218. Colestin, r. B. 185. Crescens 84. Curcellaus 294. Cyprian 86. 126. 134. 136. Cyrill von Alex. 153. 155. 175 f. Cyrill von Jerusalem 4. 151. 152. 194. ». Daub 358. 370. 372. Davidis, F. 306. David von Dinanto 248. 251. Denk, J. 305. De Wette 369. 377. 392. Deisten 295. 347. 360. ■ Diodor von Tarsus 175. 197. Dionysius von Alex. 24. 106. 111. 138. Dionysius, der Areopagite 36. 149. 154. 160. 172. 193. 203. 207. 210. 234. Dionvsius, der romische 106. 111. Diospolis, Syn. 179. Doderlein 358. 368. 373. 377. 386. Dominicaner 258. Donatisten 137. 195. Dordrecht, Syn. 289. 316. Dorner 382 f. 384 f. Duns Scotus 223. 226 f. 230. 239. 242 f. 246 f. 249. Durandus a S. Porciano 230. 240. 267. K. Eberhardt 373. 386. 391. Ebioniten 64 f. 78. 127. 130. Eckardt, H. 236. 240. 248. Eckermann 369. Elipandus 212. Encyklopadisten 347. I Engelhardt 46, R e g i Ephesus, Syn. 176. Epiplianius 23. 24. 25. 153. Episcopius 294. 316. Erasmus 311. Erigena, Joh. Scotus 151. 203. 206. 207. 208 f. Eruesti 348. 395. Eunomius 153. 161. 192. Eusebius von Cesarea 64. 89. 91. 97. 152. 156. 157. Euthymius Zigabenus 238. Faustus von Reji 154. 188. Felix von Urgella 212. Fichte 350. 361. 367. Flacius, M. 312. 327. Flatt, J. F. 369. Flavian, B. v. Const. 176. Florenz, Syn. 252. Florus, Diac. 217. Forbesius a Corse 32. 35 f. Formula Concordiae 287. 289. 393. 313. 318. 321. 326. Frank, Seb. 30.1. 305. 320. 327. 333. 341. Franciscaner 258. Fredegis, Abt von Tours 206. Fulgentius, B. v. Ruspe 155. 187. Gaussen 366. Gelasius I., r. B. 194. Georgius von Laodicea 165. Gerhard, J. 36. 294. 296. Gerson 236. Gess 381 f. Gieseler 6. 15. 51. Gilbert, Porret. 250. Gnostiker 67. 75. 96.98. 100. 112. 121. 123. 124. 130. 132. 139. Gottschalk 208. 215 f. Grotius, H. 295. 300. 330. 386. Gregor der Gr. 62. 200. 205. 206. Gregor von Naz. 153. 158. 160, 167. 174. 189. s t e r. 399 Gregor von Nyssa 151. 153. 160. 174. 189. 195. 196. 197. Gregor VII. 219, Gruner 358. 371. II. Hadrian, der Kaiser 79. 81. 83. Hagenbach 4. 15. 46. 50 f. Hase 47. 50. Hasenkamp 388. Hegel 354 f. 363. 370. 387. 390. 393. Hengstenberg 363. Henke 358. 369. Heppe 287. Herbert von Cherbury 295, 297. Herder 366. 370. Heumann 395. Hezer, L. 305. Hierokles 89. Hieronymus 66. 154. Hilarius von Piet. 154. 175. 179. Hilarius, Anhanger Augustin’s 185. Hilgenfeld 81. Hinkmar von Rhoims 206. 208. 215. 216. Hippolytus 111. Hofman, Dan. 296. Hofman, Melch. 305. Hofmann, Chr. C. v. 388. Huber, Sam. 319. Huet 295. Hugo von St. Victor 235. 239. 243. 249. 261. Hume 363. Hunnius, Aeg. 319. Huss 270. Hutter, L. 294, I. Jamblichus 91. Jerusalem, Syn. 179. Ignatius von Antiochien 81. Illgen 58. Infralapsarier 316. Joachim, Aht von Floris 252. Johannes Cassian 154, 186, 400 Register. Johannes von Damascus 204.205.207. 209 f. 217. Johannes von Paris 268. Johannes Philoponus 169. 196. Johannes Scotus Erig. s. Erigena. Joris, D. 305. Jovinian 192. 196. Irenaus 23. 65. 74. 79.95.99.105.115. 123. 130. 134. 136. 137. Isidor, der Gnostiker 121. Isidor von Sevilla 204. 205. 213. 215. Judith 81. Julian, der Kaiser 141. 155. Julian von Eclanum 182, Julianisten 178. Junkheim 391. Jurieu 318. Justin, derM. 67. 79. 83. 87. 105. 136. Justinian 143. H. Kahnis 390. Kant 44. 350. 358. 362. 367. 370. 371. 373. 377. 386. 390. 396. Karg, G. 328. Karolingische Zeit 202. 206. Karthago, Syn. 179. Kauz, Jac. 305. Keckermann 307. Kenotiker 383. Klee 57. Kliefoth 55. Knapp 386. Ktistolatren 178. Kulin 357. Labyrinthe 234. vgl. 110. Lactantius 86. Lanfrank 206. 219. Laodicea, Syn. 97. Lateran. Syn. 251. 258. 267. 269. Leibniz 349. 361. 367. 371. Lenz 46. Leo, der Gr. 155. 176. 189. Lessing 346, 347. 360. 362. 370. Liebner 359. 382 f. Limborch 294. 301. Locke 295. Loci, ihre Bedeutung 294. Loffler 386. Liicke 370. Lucifer 120. 255. Lugdunum, Syn. 188. Luther 39. 279. 286. 293. 299. 320. 326. 330. 332. 337. 338. 339. 340. JI. Macedonianer 167. Magdeburger Centurien 31. Major, G. 333. Mainz, Syn. 215. Manichaismus 141. 157. Marbach, J. 318. Marc-Aurel 3. 83. Marcellus von Ancyra 152. 168. Marcion 71. 98. 100. 103. 128. 132. Marcus, der Monch 192. Marheineke 358. 392. 394. 396. Maria 128. 175. 213. 257. 322. 376. Marsilius Ficinus 241. Maximus, Confessor, 205. Maty, P. 369. Meier 46. Melanchthon 281. 286. 287. 292. 294. 306. 307. 318. 326. Melito 97. 102. Menius, J. 333. Menken 388. Methode, anal. u. synth. 292. Methodius 115. Michaelis 358. 368. Mileve, Syn. 179. Minucius Felix 86. Mohler 357. Monophysitismus 177. Monotheletismus 201. 210 f. Montauismus 96. 99. 132. 133. 137. 138. 252. M jrus 368. 386. Mornay du Plessis 295, Mosheim 38. 41 f. Re gi Muhamedanismus 204. 206. 241. Muller, Jul. 376. 384. Miinscher 8. 44 f. Musaus, Job. 296. * T . Nazaraer 127. Neander 6. 15. 46. 51.69. 155.213. Nepos 139. Nestorius 175 f. Nicaa, Syn. 14. 15. 62. 79. Ill f. 143. 218. Niketas Choniates 238. Nicolaus von Methone 238. Nihilianismus 258. Nilus, der Monch 192. Nitzsch 358. 370. 390. Noetus 108. 110. Nominalismus 232. 250. 262. Novatian 86. 111. Novatianer 137. O. Occam, Wilh. 230. 233. 240. 268. Oekolampadius 338. Ophiten 70. 123. Origenes 15. 24. 64. 66. 75. 91. 97.99. 120. 376., seine ay/at 76., sein Pla- tonismus 79., seine Schriften 85.,iiber Wunder und AVeissagungen 93., iiber das Wissen Gottes 103., Vater des Arianismus 106., sein System 115 f. 119. 124. 129. 130. 139. 140., seine Yerdammung 143. Osiander, A. 320. 326. 327. 331. 332. P. Pamphilus 122. Pajon, Cl. 336. Pajonismus 290. Papias 96. 138. Paschasius Radbertus 206. 213. 218 f. Pascal 295. Paulus, der Ap. 63 f. 104. Paulus von Samos. 109. 129. 145. 168. 175. Pelagius 154. 179 f. 191. ' Petavius, D. 32 f. 46. 57. Peter d’Ailly 268. Baur, Dogmengeschichte. s t e r. 401 | Petrus Lomb. 223. 225. 237. 239. 249. 250 f. 261. Petrus Martyr 294. 321. | PfafF 358. I Pfeffinger 312. Philippi 388. Philippismus 291. Philo 68. Philosophumena 74. 86. 111. Photinus 168. Photius 208. Phthartolatren 178. I Pietismus 288. 344 f. Piscator, J., 328. 385. Pius IX. 376. Plato 74. Platonismus 79. 99. 149. 162. 172. 197. 203. 234. Planck 43 f. Poiret 307. Polykarp 80. 82. Porphyrins 88. 89. Pradestinatus 155. 186. Praxeas 107. 110. Proclus 154. Prosper von Aquit. 155. 185. 187. Prudentius B. von Troyes 206. 216. 217. Pythagoras 91. * 4 . j Quenstedt 36. 294. 84 . Rabanus Maurus 206. 215. 216. Raimund von Sabunde 240. Rationalismus 295. 362. 369. 373. 377. Rationistae 296. Rathmann, H. 335. 394. Rechenberg 391. Reinboth 307. Reinhard 373. Remigius, Erzb. von Lyon 206.216, Remonstrantia 316. Reuscli 358. 368. Rheims, Syn. 250. Richard von St. Victor 135. 239. 251. Rohr 362. Rosier 42. 26 402 Register. Roscellin 224. 232. 250. Rosenkranz 54. Riickert 136. Rudelbacli 366. Rufin 86. Rupert von Deutz 258. Ruperti 461. Ruysbroek 236. S. Sabellius 108 f. 129. 252. Sabellianismus 369. Sack 363. Sartorius 392. Saturnin 70. Savanarola 241. Schelling 351. 358. 367. 370. 371. 278. Sclilegel 369. Scbleiermacher 3. 77. 352 f. 358. 363. 370. 374 f. 378 f. 387. 390. 392. 393. 395. 396. Schubert 394. Schwarze 386. Schneckenburger 284. 318. 323. Schweizer, A. 284. 318. Schwenkfeld 299. 320. 327. 333. 338. 342. Scotisten 262. Seiler, G. F. 369. 373. 377. 386. Semler 38.39f. 42. 338. 364. 368. 371. Seneca 3. Sentenzen 205. 225. 237. 294. Servatus Lupus 206. 216. Servet, M. 305. 320. 338. Severus 177. Severianer 178. Shaftesbury 360. Silberschlag 369. Simon, der Magier 66. Socinianismus 284. 291. 295. 329. Socinus, Lalius, Faustus, 285.294.305. Spener 333. 336. 391. Spinoza 293. 295. 297. 329. Stancarus 333. Steinbart 386. Steudel 362, 366. Storr 358. 365. 369. 373. 386. Stephanus Gobarus 27. Strauss 44. 358. 372. 381. 390. 392. 395. Strigcl, Viet. 294. 312. 318. Supralapsarier 316. Supranaturalismus 295. 301. 362. 373. Suso 236. Swedenborg 367. 369. 389. Synesius 149. Synkretismus 288. .> Synergismus 289. 312. T. Tatian 84. 105. 122 Tauler 236. Taylor 373. Teller 371. Tertullian 23. 93. 95. 105. 120. 122. 125. 129. 130. 133. 134. 136., sein paradoxes Princip 74 f., seine Schrif- ten 84. sein Realismus 102 f. 123. Thamer 301. Theodor von Mopsv. 154. 158. 169. 175. 190. 197. Theodotus 110. Theodoret 23. 154. 169. 194. Theopascliiten 177. 383. Theophilus von Antiochien 84. 105. Thomas von Aquino 151. 226 f. 234. 235. 237. 239. 241. 246 f. Thomasius 381. 388. Tieftrunk 358. Tindal 360. Toland 295. Tollner 361. 366. 369. 373. 385. Thomisten 262. Tours, Syn. 258. Traducianismus 178. Trient, Syn. 283. 289. 293. 311. Twesten 358. Tzschirner 362. r. Universalismus, hypoth. 317, Urlsperger 369. Register. 403 v. Valence, Syn. 188. Valentinus, der Gnost. 70. 128. das valentinianische System 70. 112. Vernet, J. 369. Victor, r. B. 110. Vincentius von Lerinum 194. 159. 186. Vives, L. 295. Volkmar 66. 80. 82. 83. Voltaire 347. W. Walcli 38. 45. Walter von St. Victor 224. 23-1. Wegscheider 358. 369. Weigel, V., 299. Weisse 261. 370. Wessel 240. 244. 259. Wettstein 371. Wiedertaufer 135. 299.338. 340. Wiggers 184. Wikliff 240. 244. 268. 270. Witby 373. Wolf 350. 358. 361. 367. Wolfenbiittler Fragmente 347. j Woolston 360. K. J Zanchius, Hier. 318. I Zephyrinus r. B. 110. Zwingli 279. 294. 308. 313. 314. 320. 327. 338. 339. 340. ft) i* Princeton Theological Seminary-Speer Library 1 1012 01119 2814 DATE DUE ""f * ^ i M "T’ v ^ £L 1 111 I i ^ ^ • 9 t (jQ7»f_ Iv7/! fek iwgy - MllM'4 e : > jg»J-' % lil 1 i o zoic k tr «r g a n n <« GAYLORD PRINTED IN U.S.A.