DT ! i Digitized by the Internet Archive in 2015 https://archive.org/details/erlauterungenzudOOschw 'v. V-. I -r ERLAUTERUNGEN ZU DER RECONSTRUCTION DES WESTGIEBELS DES PARTHENON. VON KARL SCHWERZEK, BIEDHAUER. WIEN. SELBSTVERLAG DES VERFASSERS. 1896 . Druck von Friedrich Jasper in Wien. Ueber vielseitige Aufforderung, die Stiidien imd Beob- achtungen, welclie ich iin Laiife der Reconstructionsarbeit ge- raacht babe, selbst niederziiscbreiben mid bekanntzugebeii, mid in Aiibetraclit dessen, dass dies bei den verscbiedenen Moglichkeiten mid Walirsciieinliclikeiten, die bei dieseni Werke znr Spracbe koimnen konnen, ancli wirklicli in vieler Bezielimig notliwendig ist, babe icli die vorliegenden Bemerkmigen anf- gesetzt mid libergebe dieselben mit einer Einleitmig liber die Entstelmng imd liber die Art der Herstellmig dieser Arbeit, ferner liber deren klinstleriscbe Bedeiitmig der Oeffentlichkeit, indem ich lioffe, dass ich der Klinstler- mid Gelehrtenwelt, welclie sich flir die classische Kmist interessirt, dainit einen angenehmen Dienst erweise. Die Erlaiiterimgen zn der Reconstruction enthalten nur insoferne Behauptungen, als sich dieselben an der Arbeit auch klar erweisen lassen; der andere Theil enthalt die Grlinde, welclie niicli veranlasst haben, miter den vielen inoglichen An- nahnien gerade diejenigen flir die wahrscheinlichsten zn halten, welclie ich plastisch dargestellt habe. Deber die Eiitsteliiing mid die Art der Herstellmig der Reconstruction. An die Erganzmig eines Parthenon-Giebels zn schreiten, war jedenfalls ein sehr gewagtes Unternehmen. Die erste Anregnng dazn ging von Prof. Dr. C. v. Llitzow ans mid es wnrde an niich die Anfrage gerichtet, ob ich iiiicli dainit beschaftigen wolle. Meine Stndien nach der Antike haben schon seinerzeit (1870 — 1872) bei den Professoren an der k. k. Akademie der bildenden Klinste besondere Anfmerksamkeit erregt, so dass dieselben inehrfach Abglisse von nieinen Stndien gewlinscht 1 2 unci angekauft und sicli zu dem Ausspruche veranlasst gefunden haben, dass solche Stiidien in Wien noch nicht geniacht wurdeii. Da icli auch sonst als selbststandiger Kiinstler bei meinen Arbeiten inanche Beweise fur mein besonderes Verstiindniss der classischen Kunst erbracht babe, so dnrfte icli, olme unbesclieiden zn sein, mich mehr als irgend ein anderer Wiener Kiinstler fiir berechtigt halten, einen Versnch zu machen und mich mit der eigenartigen, hochst interessanten, aber ebenso schwierigen Arbeit, der Reconstruction eines Parthenon-Griebels, zu befassen. Ich filhle mich verpflichtet, diese Bemerkung zur Auf- klarung hier vorzubringen, da einige moderne Kiinstler von hervorragender Stellung, die jedoch bisher noch keinen Beweis fiir ihr richtiges Verstiindniss der classischen Kunst erbracht haben, sich bemiihen, mir die kiinstler ische Fahigkeit zur Durcli- fiihrung einer solchen Aufgabe abzusprechen. Nach Durchsicht der mir von Prof. v. Liitzow zur Ver- fiigung gestellten wissenschaftlichen Abhandlungen und For- schungen iiber dieses Werk habe ich mich entschlossen, vorerst eine kleine Skizze des Westgiebels anzufertigen ; von den Figuren dieses Griebels sind zwar weniger Marmorfragmente vorhanden als von denen des Ostgiebels, doch ist die Composition durch die wissenschaftlichen Behelfe, hauptsachlich aber durch Carrey’s Zeichnung klarer angedeutet. Ich habe somit die Wege fiir meine Arbeit in wissenschaft- 1 idler Beziehung immerhin schon recht geebnet vorgefunden. Obwohl nun diese Skizze noch einige grossere Mangel und Unklarheiten enthielt, habe ich nach ihrer Herstellung dennoch den Eindruck gehabt, dass es bei gewissenhafter Durchsicht aller vorhandenen Merkmale und Beach tung der bisherigen Feststelhmgen der wissenschaftlichen Forschung oftenbar doch moglich wiire, den kiinstlerischen Eindruck dieses ganz un- gewohnlichen und in seiner Art einzig dastehenden Kunstwerkes im Allgemeinen dem Auge vorzufiihren. Diese erste Skizze wurde seitens des Professorencollegiums der k. k. Akademie der bildenden Kiinste um den Preis von 500 tl. angekauft, die gewiinschte Befiirwortung einer Subvention seitens des hohen k. k. Ministeriums fiir Cultus und Unterricht zur weiteren Ausfiihrung dieser Arbeit jedoch abgelehnt. 3 Bei dieser Gelegenlieit hat Prof. v. Trenkwald ein Separat- votum zu Protokoll gegebeii, in welchem er sein Bedauern dariiber ausspriclit, dass die Akademie sich eine so gtinstige Gelegenheit, ein solches Unternelnnen zu fordern, entgehen lasst. Icli erwahne dies bier aiif besonderen Wimsch dieses fiir die classische Knnst hochbegeisterten Kiinstlers. Nun wendeten sich einige Mitglieder des Professoren- colleginms an Herrn Nikolaus Duniba init dem Ersuchen um finanzielle Fordernng dieser Arbeit, welche anch von Herrn Du mb a in gewohnter hochsinniger Weise zugesagt und ge- wahrt wiirde. Vor Allem stellte mir nun Herr Duml>a die Mittel zu den Reisen nach Athen und London zur Verfiigung, worauf ich im Mai 1892 in Athen eintraf und mit Bewilligung des Herrn Generaldirectors Dr, Kabbadias ganz unbeschrankt sowohl im Akropolis-Museum als aucli am Parthenon selbst meine Studien vornehmen konnte. Herr Generaldirector Dr. Kabbadias hat sich gleich da- mals fiir die Reconstruction sehr interessirt und sich auch iiber meine Idee der Mittelgruppe des Giebels mit besonderer An- erkennung geaussert. Vom deutschen archaologischen Institut wurden mir durch die Giite des Herrn Directors Dr. Dorpfeld die nothwendigen Beiielfe zum Aufstieg auf die beiden Giebelljoden gewiilirt, wo ich dann mit Hilfe der Zeiclinungen und Beschreibuno-en Dr. Sauer’s meine Studien gemacht und einen lebhaften Ein- druck iiber die Beschaffenheit des Giebelbodens und liber die Standpliitze der Statuen gewonnen hal)e. Herr Dr. Wolters vom deutsclien archaologischen Institut hatte auch die Giite, die Marmorfragmente im Akropolis-Museum mit mir durchzusehen und zu besprechen. Ebenso war der Ephor des Akropolis-Museums, Plerr Dr. Leonardos, in jeder Beziehung liemiiht, mir bei meinen Studien behilflich zu sein. Inzwischen verstiindigte Herr Dr. Wolters den Herrn Prof. Dr. Midi aelis in Strassburg von meinem Vorhaben; ich habe dann mit diesem Gelehrten brieflich, und anlilsslich meiner Reise nach London auch miindlich Einiges besprochen, und 4 anch im Laiife der Arbeit aus seiner reiclien diesbeziig'liclien Erfahrung iiber manche interessante Frage Aufklarimg er- halten. Im Herbste 1892 reiste ich mit Empfehlungen von Herrn Hofrath Dr. Benndorf nacli London und hatte auch da das Gllick, im Britiscben Museum seitens des Directors der antiken Sammlungen, Herrn Dr, A. S. Murray, sebr freundlich auf- genommen zu werden. Herr Director Dr. Murray und sein Assistent Herr Dr. A. Smith interessirten sicli ebenfalls ganz besonders flir die » Reconstruction « , und ich konnte also auch hier sowohl die Originalreste als auch meinen Entwurf und alle bisherigen Ergeb- nisse der wissenschaftlichen Forschung eingehend besprechen. In diese Zeit meiner Studien im Britischen Museum fallt die Zuerkennung des Knabentorso, Fig. P, zum Parthenon- Westgiebel, woriiber seinerzeit Herr Assistent Dr. A. Smith im »Journal of Hellenic Studies« 1892 — 93, Vol. XIII, aus- fiihrlich berichtet hat. Im Britischen Museum habe ich auch zugleich die attischen Vasenmalereien des V. Jahrhunderts studirt, wobei mich Herr C. Smith eifrig unterstiitzte; dieselben stimmen besonders wegen ihrer mitunter sehr freien Behandlung im Styl zu den ebenfalls freier behandelten Giebelgruppen besser, als der noch etwas strenger gehaltene Fries. Dies macht sich insbesondere bei den Kopfen bemerkbar. Ich bentitze diese Gelegenheit, alien diesen Herren fiir die wohlwollende Forderung, die sie dem sehr interessanten, aber ebenso schwierigen als gefahrlichen Unternehmen haben an- gedeihen lassen, hier meinen besten und verbindlichsten Dank auszusprechen. Nach meiner Rlickkehr ans London erklarte Herr Nikolaus Du mb a sich bereit, mich auch bei der Ausfiihrung dieser Arbeit noch weiter tinanziell zu untersttitzen , und so begann ich die Ausfuhrung dieser » Reconstruction « . Da an ein Zusammensetzen der Originalreste in derWeise, wie bei den Giebeln von Olympia, gar nicht gedacht werden konnte, so wurde die Herstellung der Erganzung in der Grosse vorgenommen, dass die Plohe des Giebels im Innern 40 Cm., 5 die Lange 328 Cm. betragt; diesem Massstabe entspricbt aucli die Grosse der Figuren. Die aussere Gesammtlange des Holzgiebels betragt somit etwa 370 Cm. bei 55 Cm. Holie in der Mitte. Einen grosseren Massstab zn wahlen hielt icli tbeils aus praktischen Griinden niclit fiir gerathen, tbeils auch desbalb, weil die Schwierigkeiten des lieroischen Styles, deni man sicb selbstverstandlicli nicht ganz anpassen kann, bei grosserem Massstabe sicb nocli mehr geltend machen. Trotz der mit allem Ernste imd grosser Ausdauer ge- machten Studien war die Herstellnng dieses Werkes eine ausserst scliwierige, und die Dnrcbfiihrnng hat mehr Zeit imd Kosten erfordert, als ich es antangs dachte, obwohl ich die Arbeit gewiss gleich anfangs sehr ernst genommen babe. Die ungewohnliche kiinstlerische Bedeutnng dieser gross- artigen nnd originellen Com])osition hat mich jedoch derart gefesselt, dass ich mich, nachdem der Anfang gemacht war, trotz aller Schwierigkeiten nnd Hindernisse, die zum Theile auch in finanziellen Verhilltnissen ihren Grnnd hatten, an der Dnrch- fiihrnng nicht mehr hindern liess, sondern mit gleicher Frende und Hingebung an der Reconstruction bis zu Ende arbeitete. Vor Abschluss der Modellirung dieser Arbeit hat Herr Hofrath Dr. Benndorf sich besonders ftir die schone Zusammen- stimmung der ganzen Giebelgruppe sehr lebhaft interessirt, mit mil” Alles noch eingehend besprochen und so mit seiner reichen wissenschaftlichen Erfahrung die Beendigung dieses Werkes gefordert. Ich erwahne dies hier mit deni Ausdrucke besonderen, verbindlichsten Dankes. Wenn auch in wissenschaftlicher Beziehung noch fernerhin tiber viele Sachen Zweitel bleiben und ich also diese Erg-anzunofs- arbeit durchaus nicht als eine ganz vollkommene hinstellen kann, so hoffe ich docli, dass sie geeignet ist, von deni kiinst- lerischen Eindruck dieser hohen Kunstschopfung ein klares Bild zu geben und der Wissenschaft bei spateren diesbeziiglichen Forschungen als praktische Grundlage zu dienen. Manche Irrthiimer und unrichtige Annahmen werden durch diese Arbeit blossgelegt oder richtiggestellt, und ich hoffe, dass sich die forschende und vorwartsstrebende Gelehrtenwelt dariiber 6 freuen wird, wenn Annalimen, die mit den vorliandenen und nacliweisbaren Merkmaleu niclit in Einldang- zn bringen sind, leicbter als Irrtbiimer erkannt nnd somit die weiteren F orsclningen auf einer reelleren Basis fortgesetzt werden konnen. Auf blosse Meinungen bin an der Reconstructionsarbeit Aenderungen vorzunebmen, mocbte icb nicbt emj)feblen; denn fiber manebe zweifelbafte Einzelbeiten sind die Ansicbten so ge- tbeilt, dass man jeden giiten Ratb mit der grossten Vorsicbt auf- nebmen muss. Desbalb sollen nnr dann Aenderungen an dem Werke vorgenommen werden, wenn es der wissenscbaftlicben Forscbung gelingt, irgend eine zweifelbafte Stelle ganz klar nnd bestimmt nacbzuweisen ; dann kann man ohne alle Scbwierig- keiten die betreffenden Statuen einzeln auswecbseln nnd den Gesammteindruck des ganzen Werkes docb immer festbalten. Ueber die Darstellung des Vorganges und die Benennung der Statuen. Dnrch die Giebelgruppe ist bekanntlicb der Wettstreit der beiden Gottbeiten dargestellt, dessen Entscbeidnng davon ab- liangig war, wer fur das Land das Erspriesslicliere nnd Wicb- tigere scbafft. Poseidon bat mit einem Stosse seines Dreizacks eine Salz- qnelle bervorspringen lassen; Atbena erscbafft mit ibrer in den Boden gestossenen Lanze den Oelbanm nnd siegt in Anbetracbt der grosseren Bedentung dieser Scbopfnng tiber ihren Gegner. Mit Unmntb nnd Verdrnss, indem er nocb seinen Blick der Athena zuwendet, weicbt Poseidon zurtick, wabrend Atbena im Gefiilile ibres Sieges ganz nnmittelbar den Scbild nnd die Lanze debt, zum Zeichen, dass sie gesonnen ist, das Land mit all ibrer Macbt zn beschtitzen; dabei wendet sie anch ihr Ge- sicbt ihrem Gegner zu. Zwiscben diesen beiden Gestalten ragt in der Mitte des Giebels als Siegeszeichen der aufgeschossene Oelbanm empor; neben dem Poseidon ist die Salzqnelle. Fiir die anderen Statuen des Giebels balte icb nacb dem Eindrncke, den icb bei ineinen diesbeziiglicben Studien be- 7 kommeii liabe, eine eingehende wissenschaftliclie Erklarimg etwa in der Weise, dass man die vorgesclilagenen Nanien der Statnen als bestimint annimmt und fiir dieselben eintritt, nach den bis- lierigen Ergebnissen der Forschung nicht fiir moglieh. Icli fiihre also die Namen der Statnen so an, wie sie mir von den vielen vorgesclilagenen in Anbetracht ilirer Stellung, Kleidiing u. s. w. .als die wahrscheinliclisten erscbeinen. Anf der Seite der Athena sind die ilir befrenndeten Gott- lieiten, nnd zwar als Lenkerin Hires Rossegespannes ihre erste Priesterin, die gottlicli verehrte Kekrops-Toebter Pandrosos ; an ihrer Seite befindet sicli der Gotterbote Hermes, welcher lebliaft anf das Ereigniss hinweist. Dann folgt Kore (Persephone), die ihrer Mutter, der Erd- gottin Demeter, das frohe Ereigniss berichtet; dazwischen Jakchos, der sich in lebhafter Frende der Erdmntter Demeter zn- wendet. Die nachste schone Grnppe kann am ehesten als den sagen- haften Konig Kekrops nnd Gemahlin darstellend angesehen werden, die das erfrenliche Ereigniss zn besprechen scheinen. Etwas getrennt, in der anssersten Ecke, sind die Flhsse Kephisos nnd Eridanos als Gottheiten gedacht, die ebenfalls dem Vorgang ihre Anfmerksamkeit znwenden, dabei den Platz desEreignisses andentend, da die Fliisse die Akropolis im Norden begrenzen. An der Seite des Poseidon hillt seine Gemahlin Amphitrite sein Rossegespann; in ihrer Begleitting ist eine Meergottin, vielleicht Tlietis, die Gemahlin des Okeanos, welche in ihrer Geberde Theilnahme nnd Bedanern zeigt. Dann kommt znnachst, anf einer Riesenmnschel sitzend, die Meergottin Lenkothea mit ihrem Sohne l^alaemon, der sich mit Wehmnth seiner Mutter znwendet. Daneben die schone Grnppe der weich hingestreckten Meer- gottin Thalassa, die ans ihrem Schosse die liebliche, nackte Gestalt der meerentstiegenen Aphrodite hebt; dabei ein kleiner Knabe, vielleicht der Eros. Hinter dieser Grnppe schliesst eine weibliche Gestalt mit dem Ansdrncke der Ueberraschnng das Gefolge des Poseidon ab; es kann vielleiclit Doris, eine Tochter des Nerens, sein. 8 In der aiissersten Ecke sielit man wieder zwei Gestalten, die als der Flussgott Ilissos und die Qnellnymphe Kalirrlioe gedentet werden konnen. Diese beiden Fllisse begrenzen, analog mit der andern Eckgruppe, die Akropolis im Siiden. Die Stellnng dieser beiden Flussgotter konnte nahezu als eine klagende be- zeiclinet werden. Ueber die kiinstlerische Bedeutung der Giebelcompositioii und deren Reconstruction. Es wil’d mil’ kaum moglieh sein, iiber die kiinstlerische Bedeutung dieses grossartigen Kunstwerkes viel Neues zn sagen, da alle besseren Werke iiber Kunstgescliichte diese Schopfnng des Phidias, oder doch wenigstens die vorhandenen Fragmente derselben ansfiihrlich besprechen und auch wiirdigen. Nur urn mein Einverstandniss mit den bereits vorhandenen kunstgeschichtlichen Besprechiingen aiiszndriicken, bemerke icli also, dass die Composition dieses reconstrnirten Giebels eine nngewohnliche Freiheit nnd Lebendigkeit in der Darstellnng des Vorgangs zeigt, wie sie bei keinem zweiten classischen Werke ahnlicher Art vorzufinden ist. Die architektonischen Be- dingnngen nnd die edle Harmonic in der ganzen Gruppe sind mit einer Genialitat zum Ausdruck gebracht, die bei jedem der ernsten nnd edlen Auffassung zuganglichen Ktinstler und Knnst- verstandigen staunende Bewimderung erregen muss. Der Meister hat es verstanden, ohne die tibliche stehende oder sitzende Mittelstatiie das Gleichgewicht der beiden einander gegeniiber stehenden Statuen in ungemein schoner Weise ein- znhalten, die grosse, sechs Statuen und vier Pferde nmfassende Mittelgriippe harmonisch zii gestalten nnd das Ebenmass mit verschiedenen anderen Motiven in wnnderbarer Abwechslnng herzustellen. Es ist eine kiinstlerische Losung, eigenthiimlich nnd schon, wie sie sonst bei keinem Giebelfeld anf der Welt wieder vor- konimt. Ilochst beachtenswerth ist dabei auch ein Umstand, welcher erst dnrch die Reconstruction deiitlicher zn Tage tritt, namlicli 9 dass die Haii])tlinien der g-anzen Giebelgruppe gegen die Mitte des Tempels zustreben; selbst in den aussersten Ecken, an dem sicb stiitzenden linken Arm der Fignr A (Kephisos) und ebenso an dem recbten Arm der Figur li^ (Kalirrlioe) ist dies nocli zn beobacbten, nnd nnr die Beine dieser zwei Eckstatuen laufen gegen die Giebelecke aiis. Auch dies ist eine eigenartige Sclionbeit dieser Giebel- composition, wie sie nicht wieder vorzufinden ist. Leider wurde von kiinstlerischer Seite meiner Arbeit wenig Verstandniss imd Interesse, nnd in Folge dessen ancli keine Fordernng entgegengebraclit. Dnrch die vorerwabnte ablebnende Haltnng des Professorencollegiums der Akademie wnrde ein grosser Tbeil der olinebin meist modern veranlagten Wiener Ktinstlerschaft scbon von vorhinein gegen diese Arbeit mit Miss- trauen erfiillt und dem Werke in sebr bedanerlicher Weise entfremdet. Das Stadium dieses boben Kunstwerkes, welches als das vollkommenste bezeicbnet werden muss, was die Bildbanerei jemals fiir abnliche Zwecke hervorgebracbt bat, ist eben nicht leicbt; ein solcbes Kunstwerk kann also ancli von den in mo- derner Ricbtnng sicb bewegenden Klinstlern nicht leicbtbin verstanden werden. Auf diese Weise ist aucb die ganz sonderbare Beliandlnng nnd Benrtbeilnng dieser Arbeit anliisslicli deren Ansstellung im Wiener Kiinstlerbause 1895 binreicbend erklart. Nnr wenige classiscb gebildete Knnstfrennde, in erster Linie Hire Majestaten der Kaiser nnd die Kaiserin, baben allerdings den Werth dieser Reconstruction erkannt und aucb beacbtet. Im Uebrigen bat aber die Ansstellung dieses Werkes im Wiener Kiinstlerbanse, die anf besonderen Wnnscli des Herrn Nikolaus Dnmba stattgefnnden bat, dem Werke leider nicht jenen Erfolg gebracht, welcben der bocbsinnige Forderer dieses Unternelimens demselben offenbar gewiinscht batte. Das Werk wnrde dnrch die befremdende Tbeilnalimslosigkeit der Kiinstler- schaft eber etwas in Misscredit gebracht nnd bei den Knnst- frennden ebenso wie beim tibrigen Publicum das Misstrauen dagegen nocli gesteigert. 10 Somit wurde aiicli die schone und wohlmeinende Absicht, durch die Vorfiihrung einer Reconstruction dieser liolien Kunst- scliopfnng die etwas seichte, mehr auf blosse Decoration oder momentanen Effect als auf eine edle geistige Idee und vornehme Auffassung ausgeliende sogenannte moderne Kunststromung in edler Weise anzuregen, bei diesem Aniasse leider nicht erreicbt. Die edle und vornehm ernste Kunst erscbeint eben der neuen modeartigen Ricbtung unsympathisch und nahezu lastig. Dieser bedauerlicbe Umstand ist in einer Ueberzeugung nach hauptsachlich auf die jetzige mangelhafte imd oberflach- liche Pflege des Studiums der classischen Kunst zuriickzufllhren. Von mancher Seite sind mir Ausdriicke des Bedauerns dariiber hinterbracbt worden, dass meine Reconstructionsarbeit so wenig Inter esse erregt babe; dem gegeniiber kann ich nur bedauern, dass dieselbe so wenig Verstandniss gefunden bat. Aucb wurde von einigen Klinstlern die Bemerkung gemacbt, dass die kiinstleriscbe Ausfiihrung besser sein konnte; in An- betracbt der menschlicben Unvollkommenheit kann icb diesem Vorwurf nicbt widersprechen und ibn aucb nicbt widerlegen, troste micb aber damit, dass von diesem weisen Kritikern kein einziger eine Leistung aufzuweisen bat, an der nicbt aucb nocb mancbes, initunter sogar recbt vieles »besser sein konnte «. ErlMerungen ziir Reconstruction. Am Giebelbodeii der Holzarchitektur ist eine pliotographische Vererbsserung- von Dr. Sauer’s Zeiclimm 2 r des Giebelbodens c5 O O befestigt, damit die Staiidplatze der einzelnen Statnen so gut als ebeu mbglicli dadurch angedeutet werdeu. Die Statneu stebeii souiit alle auf ilireu riclitlgeu Platzeu, wovon sicli jeder Faclimauu, sei er uuu Kiinstler oder Ge- lelirter, selbst iiberzeugeu kauu. Docli siud die Plintheii iu der Mittelgruppe breiter gemacht, da das Uebergewiclit, welches die kleiuen Gypsfigureu steheud erbalteu soil, ein zu geriiiges ist, dieselben also zu leicbt umfalleu wiirden, was bei den schwereu Marmorstatuen, die gewiss nocli veraiikert uud — um das Ge- sims vorne etwas zu eiitlasteu — mbglicherweise aucli unter- luauert wareu, niclit zu besorgen war. Um die Gypsstatuen moglicbst gefalirlos iu die Holzarclii- tektur hineiusetzeu uud wieder herausuelimeii zu kbuneu, siud die Statueu mit Nummeru bezeichnet; ebeuso ibre Standplatze. Bei der Aufstelluug der Figureu muss man zuerst Poseidon mit dem Oelbaume, Nr. 1, dauu Athena, Nr. 2, danu mit Vor- sicht die beideii Iiiueupferde, Nr. 3 uud 4, dauu zwei kleiue Gypsstlicke, Nr. 3 a uud 4 a u. s. w. liineiiisetzeu. Die beideii kleiuen Gypsstiicke zwischeu deu zwei Mittelstatueu uud den Ausseupferden liabeii deu Zweck, die uuaiisweichliclieu Liickeii iu der Pliiitlie vorue auszufiilleii uud das Zusammeustosseu der Pferde mit den Mittelstatueu zu verhinderu. Beim Herausuehmeu fangt man auf der eiueu Seite mit Xr. 15, Fig. D, A’, auf der audereu Seite mit Nr. 13, Fig. U u. s. w. am besteu an. Die Statueu der Eckgruppeu kauu man iu beliebiger lieilieufolge hineiusetzeu oder herausuelimen. 12 Auf der photographisclieii Vergrosserimg von Dr. Sauer’s Zeichnimg des Giebelbodens babe icb die genauen Standpliitze fiir eine jede Statue roth angedeutet. Das beiliegende Bild ist insbesondere zum leieliteren Ueber- blick der Raumvertlieilung der Gesammtconaposition liergestellt worden. Die ganze Giebelgruppe bestebt aus drei grossen und zwei kleineren Gruppen. Die Mittelgruppe, durcli welche die eigentliche Handlung dargestellt wird, enthalt im Ganzen seeks Statuen und vier Pferde. Neben der Mittelgruppe betindet sick auf jeder Seite eine etwas kleinere Gruppe; die auf der Seite der Atkena bestekt aus vier grossen Statuen und einer Knabengestalt von mittlerer Grosse, wakrend auf der Seite des Poseidon sick ebenfalls vier grosse Statuen und zwei kleinere Knabengestalten befinden. In den beiden Ecken endlich ist je eine kleinere Gruppe, bestehend aus je zwei grossen Statuen. Dass die Mittelgruppe im Wesentlicken so war, wie sie in der Reconstruction dargestellt ist, kann man sowohl vom kiinst- leriscken als auch vom wissensckaftlicken Standpunkte aus mit grosser Wakrsckeinlickkeit annekmen, wenn auck die ganz klaren Beweise dafiir sick kaum je werden erbringen lassen. In der ersten kleinen Skizze katte ick urspriinglick die Gruppe Atkena und Poseidon aknlick kingestellt, wie dies auck anderswo bereits versuckt wurde, namlick die Atkena in der Reckten die Lanze fiber den Pferdekopfen kaltend und mit der Linken den Oelbaum anfassend, den Poseidon aber mit der Reckten den in der kervorspriessenden Quelle nock steckenden Dreizack festkaltend und die Linke unmutkig ballend. Sckon in der kleinen Skizze kat sick, als alle Figuren an- gelegt waren, bei dieser Gruppe der in kunstlerischer Beziekung kockst unangenekme Uebelstand bemerkbar gemackt, dass durck die sckiefe Stellung der beiden Statuen zu einander und in Folge des Feklens einer entspreckenden, kervorragenden Aus- ladung im Mittelpunkte des Giebels die Composition nack beiden 13 Seiten hin aiiseinander zu fallen scliien, und dass ausserdem nocli die Pferdebeine die grosste Aiisladimg’ im Giebelfelde nach vorne zu bildeten. Die Stellung der Aussenpferde ist in Anbetracht ihrer Grosse und der Tiefe des Giebels nicbt anders als so moglich, dass sie theilweise liber die Giebelflacbe berausragen. Der Anblick des Auseinanderfallens der Giebelcomposition und der dominirenden Pferdebeine war klinstleriscli ein so un- angenehmer, dass ich die Absicht hatte, micb init der Recon- struction nicbt weiter zu beschaftigen, wenn es mir nicbt ge- lingen sollte, eine Losung zu linden, welche diese beiden Uebel- stiinde aufliebt. Dass Poseidon im Zuriickweiclien begriften ist, wurde durcb die Zeicbnung Carrey’s von der Forschung schon friilier fest- gestellt. Nacli einigem Nachdenken del mir das verlialtnissmassig Nabeliegende ein, die Idee bis zu ilirem Ursprung bin zu ver- folgen, und so babe icb angenommen, dass wenn Poseidon sicb selbst fiir den Besiegten halt, aucli Athena schon in demselben Auffenbbcke sicli als SieDferin weiss. Ganz unmittelbar iibernimmt sie den Scliutz liber die Stadt, indem sie unwillklirbch den Scbild beschlltzend liber dieselbe liebt, ebenso aucli die Lanze, zum Zeichen, dass sie gesonnen ist, die Stadt mit all ihrer Maclit zu beschlitzen. Durch die Studien in London wurde ich aucli veranlasst, meine Auffassung der Athena dadurch zu vervollstandigen, dass ich der Statue in den leer ausgestreckten linken Arm, wie er in der Ideinen Skizze nocb vorkommt, den Scbild hin- zufiigte. Die Herren Director Dr. Murray, Prof. Dr. Michaelis, Hofratli Dr. Benndorf und auch andere Gelelirte, mit denen ich die Sadie besprochen babe, bezeiclmeteii diese Yervoll- standigung der Athena als ganz unerlasshcli. Ganz oline Zwang und der Zeicbnung Carrey’s sicli leiclit anpassend, ist daniit die mbglichst licicliste geistige Idee dieser Giebelcomposition ausgedrlickt. Denn Athena war Besclilitzerin der Stadt und als solche wurden ihi- die liochsten Eliren dar- gebraclit und aucli ilir zu Eliren der lierrliclie Tenipel gebaiit. 14 Der Schild bildet zugleich, scheinbar ganz iinabsiclitlicb, den Mittelpunkt im Giebelfelde nnd die grosste Ausladung in der Giebelflache. Neben dem Schilde tritt Alles nacb beiden Seiten bin, gegen die Enden des Giebels zu, etwas zuriick. Damit ist wieder die klinstlerische Verbindung der beiden Giebelhalften erreicht nnd die aufdringlichen Pferdebeine sind zuruckgedrangt. Dieses Zusammenstimmen der bochsten geistigen Idee mit der glticklicben nnd scbonen klinstleriscben Wirkung veranlasst mich, diese Losung aucb fiir richtig zu balten. Die Statue der Athena babe icb, soweit es inoglich war, den Bescbreibungen liber die Schopfung des Phidias entsjjrecbend, also »weniger weiblicb und anmutbig, sondern eher etwas mann- licb und feierlicb ernst« aufgefasst. Poseidon weicbt mit Verdruss und UnwiHen zuriick; er bebt den recbten Arm, seine Gegnerin im Fortgeben noch an- sehend oder ansprecbend, und halt in der Linken den Dreizack, der ihm den erwarteten Erfolg diesmal nicht verscbafft hat. In meiner ersten kleinen Skizze halt Poseidon den noch in der bervorspriessenden Quelle steckenden Dreizack in seiner Recbten, abnlicb wie dies an einer schon frliher versuchten Reconstruction der Mittelgruppe bei Prof. Dr. 0 v e r b e c k zu sehen ist. Beim Zusammenstimmen der Mittelgruppe baben sich mir indessen mannigfacbe Bedenken gegen diese Darstellung des Poseidon aufgedrangt, die meiner Ansicbt nacb unbedingt be- riicksichtigt werden mussten. Vor Allem erscbien mir das Steckenlassen des Dreizacks in der Salzquelle als viel zu unnaturlicb, selbst wenn man davon absehen wollte, dass Poseidon offenbar die Salzquelle frliher gescba,tfen bat, als Athena den Oelbaum; terrier aber mlisste der Dreizack eine bedenklicbe Lange erbalten, um von dem recbten Arme, der alien Anbaltspunkten zufolge nacb oben gestreckt war, entsprecbend gut, gescbweige denn in der Nabe des Schwerpunktes gebalten werden zu konnen. Das Ebenmass in der Mitte des Giebels erscbien durcb dieses Halten des langen Dreizacks empbndlicb gestort, und die 15 Statue des Poseidon selbst der Lang-e naeli in sehr nnangenelnner Weise dnrcli den Schaft zersclmitten . Um diesen iingiinstigen Eindruck zn vermeiden, hake ich es versiielit, den Poseidon den Dreizack in ahnlicher Weise halten zn lassen, wie dies bei der bekannten Darstellnng dieses Vorgangs anf der » Petersburger- Vase « ersichtlich ist. Anf dieser Vase ersclieint in den Zweigen des Oelbaumes eine Nike, die niclit bios dnrcli ihre Handbewegung, sondern sclion dnrcli den von ihr eingenommenen Platz es klar maclit, dass Athena die Siegerin ist. Im Giebelfelde aber — zwischen den zwei streitenden Gott- heiten — eine Nike anznbringen, ist nicht leicht denkbar ; das Ergebniss des Wettstreites muss daher dnrcli die Stellnng der zwei sich gegeniiber stehenden Statnen selbst klar gegeben werden. Verdeckt man nnn den oberen Tlieil der Darstellnng an der Petersburger Vase in der Weise, dass die Nike nicht ge- sehen wird, so wirkt das Bild nberraschend anders. Athena hat den Schild nnd die Lanze gehoben nnd scheint iin Fortgehen begritfen ; Poseidon inacht hingegen nichts weniger als den Eindrnck des Znriickweicliens ; es scheint viehnehr, als wollte er init dem gehobenen Dreizack seine Gegnerin verfolgen nnd den AVettstreit, der nach seiner Stellnng noch nicht zn Ende zn sein scheint, in einer anderen, weniger vornehmen nnd edlen Art weiterfiihren. Jedenfalls behanptet er das Feld nnd verriith nicht das Bewnsstsein seiner Niederlage. Nach einigen A^ersnchen habe ich iiiich ilberzengt, dass wenn der Sieg der Athena ohne Anwendnng einer Nike klar dargestellt werden soil, vor Allem ancli dentlich gezeigt werden ninss, dass der Streit zn Ende ist ; dies giinstig nnd klar zn zeigen ist kanni moglich, so lange Poseidon den Dreizack in der Rechten halt oder gar schwingt. Um also nicht den Eindrnck zn erwecken, als diirfte von Seite des Poseidon die Fortsetznng des W ettstreites noch lie- absichtigt sein, habe ich es filr nnnmganglich nothwendig ge- halten, ihm den Dreizack in die Linke zn geben. Dadnrch ist nicht bios der Streit als beendet hingestellt, sondern es ist anch das Znrnckweichen des Poseidon nnd 16 somit der Sieg Athena’s durchaiis klar gegeben ; zugleich ist ein schones harmonisches Gleichgewicht in der Gruppe erreicht, und auch die grossartige Gestalt des Poseidon nicht in unan- genehmer Weise zerschnitten. Der Ausgang des Wettstreites hat bei Poseidon ofFenbar eine grosse Aufregung hervorgebracht, wie dies bei Besprechung des vorhandenen Korpertorso von anderer Seite schon bemerkt wurde; doch muss ein besonders grosser Zornausbruch des Poseidon nicht angenommen werden, da die Mythologie keinen Anhaltspimkt fitr die Annahme enthalt, dass dieses Ereigniss einen dauernden Groll zwischen diesen zwei hohen Gottheiten zurtickgelassen hat. Inwieferne die Stellung des rechten Amies des Poseidon — wie ich sie dargestellt habe — richtig ist, kann ich natiirlich nicht sagen; doch scheint sie mir zu der eine heftige innere Bewegung andeutenden Haltung des Kopfes dieser Statue, wie sie bei Carrey zu beobachten ist, im Ganzen gut zu passen. Bei der Darstellung an der Vase halt Poseidon mit der Linken die Ziigel seiner Rosse, was im Giebelfelde wegen der Anwesenheit einer Wagenlenkerin keinen Sinn hiitte. Es muss demnach fiir jeden Fall ein Arm des Poseidon leer bleiben. So oberflachlich die Darstellung dieses Vorganges auf der aus spaterer Zeit stammenden cyprischen Lampe im Britischen Museum auch ist, so scheint sie mir in der Losung dieser Auf- gabe - — ohne Nike — von der Composition im Parthenon- Giebel doch etwas beeinflusst. Die vorhandenen Bruchstiicke von den Korpern der Athena und des Poseidon sind im verkleinerten Massstabe genau copirt; das vorhandene grossere Bruchstuck des Oelbaumes, an welchem der Stamm nach oben und unten zu abgebrochen ist, befindet sich in der Reconstruction unter d^ni rechten Oberarm des Poseidon. Zur Statue der Athena konnte noch das Fragment eines linken Amies gehoren, dessen vordere Marmorhalfte in Athen, die andere Hillfte mit dem angesetzten Gypsabgusse des in Athen aufbewahrten Marmorstiickes im Britischen Museum (Nr. 333) sich befindet. Die Bewegung des Armes zum Halten des Schildes, ebenso auch die Grossenverhaltnisse, stimmen sehr gut zu dieser Statue. 17 Nacli der Bescliatfenheit des vorhandenen Korperfragmentes des Poseidon schelnt diese Statue iirspriinglich mit einem Mantel dargestellt gewesen zu sein; dieser Mantel durfte beim Versetzen dieser Statue in das Giebelfeld weggemeisselt worden sein, walir- scheinlicli, well der Platz olineliin reicblicli ausgefilllt war und eine Ueberfiillung in der Mitte zu unrubig und storend ge- wirkt hatte. Die Salzquelle, bei der Statue des Poseidon etwas im Hinter- grunde angebraclit, ist dort auch wegen des Gleicligewichtes zur Athena, selir nothwendig. Ob der Oelbaum ganz frei hingestellt war oder niclit, ist l)is jetzt nicht erforsclit. Vom praktischen Standpunkte aus muss man annebmen, dass der Stamm des Oelbaumes von der Plinthe an bis mindestens zinn Oberscbenkel des Poseidon mit dieser Statue aus einem Block gemeisselt war und derselben zugleicli als Stiitze diente. Den Einwand, dass die stehenden Statuen im Partlienon- Giebel, fur welche das Gewand am Boden keine naturliclie Stiitze bildet, frei und ohne Stiitze herausgemeisselt waren, wie etwa die Giebelgruppen von Aegina, konnte man kaum gelten lassen. Es ist zwar ganz gut moglicli, eine nackte Marmorstatue oline Stiitze herauszumeisseln, doch muss dies als unpraktiscli bezeichnet werden, da dieselbe bei der leisesten Erscliiitterung oder Prellung zusammenbriclit. Bei der vielfaclien Beniitzung und Bearbeitung des Manners zu der Zeit, als der Parthenon gebaiit wurde, muss man diese Erfahrung gewiss bereits gemacht haben; zur Zeit des Tempel- baues in Aegina scheint dies noch nicht der Fall gewesen zu sein. Die Bearbeitung der Giebelgruppen von Aegina erinnert unstreitig noch etwas an Holztechnik. Diese Bemerkungen beziehen sich auch auf die Statue H (Hermes) und eventuell auf Fig. N (Thetis), deren Gewand hochst wahrscheinlich kurz war; alle anderen Statuen haben entweder durch ihre Stellung oder durch ihr Gewand geniigende natiirliche Stiitzen. Betreffs der Pferdegruppen lassen sich nur wenige Anhalts- punkte mit Sicherheit anfiihren. 18 Im Allgemeinen warden dariiber von den Herren Prof. Dr. Micliaelis, Prof. Dr. Overbeck, Dr. Saner und anderen Gelehrten viele sebr riclitige Bemerkungen gemacht; anf Einiges will icli indess bier nocb anfmerksara machen. Die Innenpferde an beiden Gespannen konnen, wie es an nieiner Reconstruction ersiclitlich ist, in ilirem vorderen Theile an die Giebelwand nnr angelebnt sein; die Hinterscbenkel beider Pferde mtissen hingegen stark an die Wand gedriickt werden. Dies wird tlieilweise durcli die Korperforin des Pferdes, welclies gewobnlicli an den Hintersclienkeln am breitesten ist, tlieilweise aucli dnrch die geringe Tiefe des Giebels bedingt. Das Gespann wiirde perspectiviscli boclist imangenelnn ans- seben nnd von nnten den Eindruck des Auseinanderfalirens inaclien, wenn man die Innenpferde einfacb gleichmassig an die Wand stellen wiirde. Die Folge davon ist, dass die an der AY and anliegenden Hinterbeine der beiden Pferde stark flacli- o-eb alien werden miissen, walirend Bauch und Brust nur um AVeniges sclimaler sind als bei den Aussenpferden, sonst aber dock rnnd bleiben konnen. Carrey’s Zeichnung zeigt die Bewegnng des Kopfes des Innenpferdes der Athena zu dentlich an, als dass ich mich hatte dazu entschliessen konnen, diesen Pferdekopf an die Wand an- zulehnen. Die endgiltige Bestimmung dariiber muss einer spateren Zeit vorbehalten bleiben. Der riickwartige Theil der Aussenpferde muss, um auf den Beschaner den Eindruck der sicheren Stellung zu machen, inner- halb des Giebelbodens stehen, und nur die vordere Halfte der Pferde kann iiber die Tiefe des Giebelbodens etwas herausragen. Der Giebelboden sannnt dem vorderen Gesimse ist nicht iiber 92 Cm. tief, walirend die vorhandenen Pferdetorsi 50 bis 52 Cm. stark sind. Ausweichen konnen sich die Pferde nnr wenig, auch konnen ihre Hintertheile nicht schwacher sein als der Bauch. Soniit haben die Hintertheile in der Tiefe des Giebels nicht genug Platz, und das ist der Grund, warum die Hinter- schenkel flachgehanen werden mussten; und zwar durfte dies nicht an den Aussenpferden geschehen, an denen es leicht liiitte benierkt werden konnen, sondern, wie es iiieine Reconstruction zeigt, nur an den beiden Innenpferden. 19 Die Bescliaffenlieit des vorliandenen flacligelianenen Pferde- beiiies ist leicht damit erklarlich, dass das Frag-ment nach der Zerstorung walirsclieinlicli jahrelang dem Regen imd Wetter ansgesetzt war. Ueberiianpt lasst sicli iiber die scliwacbe Marmorpatina imd ebenso iiber eine selnvache Regencorrosion bei den kleineren Fragmenten kanm etwas Bestimmtes sagen, da man niclit genau weiss, inwieferne dieselben in der Zeit nacli der Zerstorung dem Regen und Wetter ansgesetzt waren. Die stark verwitterten Stellen bleiben allerdings massgebend, da sie in zwei Jalir- Imnderten kanm entstehen konnten. Die Innenpferde waren mit ihren Vorderlinfen liinter den Statuen offenbar etwas Ijeengt, nnd es ist sehr walirscbeinlicli, dass bei den Statuen, wie es auch sonst vorkommt, riickwarts etwas ausgemeisselt wurde, damit die Hufe dort melir Platz baben, Es konnte aber aucli sein, dass man die Hufe beim Ver- setzen abgebrochen nnd dann nen befestigt hat. So kann man mit ziemlicher Siclierheit annelnnen, dass der linke Vorderhuf des Aussenpferdes der Athena an dem Schenkel dieser Statue befestigt war. Der linke Hinterfuss desselben Pferdes kommt nahe an die Stelle zu stehen, wo sicli im Giebelboden fiinf Bohrlocher befinden; es scheint, dass beim Versetzen die offenbar nicht zu starke Plinthe zum Theil abgebrochen ist und mit ihr auch ein Theil des linken Hinterbeines. Im Akropolis-Museum belindet sich auch ein Hinterhuf, der unten abgesprengt ist und ftinf Bohrlocher hat, und ich werde kanm irren, wenn ich annehme, dass ein mehr angstlicher als prak- tischer Gehilfe diesen Huf an den fiinf Bohrlochern im Giebel- boden befestigt hat. Solche unpraktische Befestigungen eines abgebrochenen Marmorstiiclves kommen auch bei modernen Statuen vor, wenn der erfahrene Meister oder Gehilfe nicht zugegen ist. Ich habe bei der ganzen Mittelgruppe die Plinthen etwas grosser und geschlossen gemacht, damit die Statuen sicherer stehen, und bin auch iiberzeugt, dass am Parthenon alle Statuen der Mittelgruppe Plinthen hatten und die Fugen dazwischen entweder mit Marmorstiicken ausgefiillt oder ausgemauert waren, damit der Boden einheitlicli wirke. An Carrev’s Zeichnuno- 2 * 20 kann man das recht gut beobachten und in gewisser Beziehung aucli am Boden des Parthenon-Giebels selbst. Abgesehen davon, dass eine aufrechte Statue mit einer Plinthe sicherer steht, hat der Kiinstler durch Anwendnng der letzteren die Mittelgruppe etwas emporgehoben. An der Seite des Poseidon besteht die Plinthe offenbar aus Wasser, wie das vorhandene flachgehauene Pferdebein zeigt, dessen Huf ganz im Wasser steckt. Die Starke dieser Plinthe geht nachweislich bis 16 Cm,, was mich nattirlich veranlasst hat, die Mittelfiguren ungefahr ebenso hoch zu stellen. Dies stimmt auch mit Carrey’s Zeichnung liberein. Diese Plinthe musste also als eine gemeinsame dargestellt gewesen sein, da die Unterbrechung des Wassers durch Liicken offenbar sehr libel ausgesehen hatte. In Folge des engen Raumes und um den Pferden einen moglichst sicheren Stand zu geben, miissen die vier Hufe der inneren Hinterbeine der beiden Pferdegruppen eng aneinander stehen, eventuell auf die Plinthen der nebenstehenden Pferde wechselseitig iibergreifen ; auf diese Weise lasst sich, wie es Dr. Sauer bemerkt hat, der eine im Akropolis- Museum vorhandene Hinterhuf, dessen Plinthe unten halb aus- gemeisselt ist, wenn auch nicht mit aller Sicherheit auf einen bestimmten Platz zuweisen, so doch mit grosser Wahrscheinlich- keit erklaren. Bei dem Aussenpferde des Poseidon habe ich die Hufe nicht tief ins Wasser stecken wollen, weil mir der kilnstlerische Eindruck ungiinstig zu sein schien; das Innenpferd steht also auch mehr im Wasser, was fiir den perspectivischen Anblick jedenfalls gilnstiger ist. Dass die Stiitzen unter den Pferdekorpern in der Starke vorhanden waren, wie es meine Reconstruction zeigt, lasst sich noch an den vorhandenen Pferdetorsos nachweisen ; weglassen kann man diese Stiitzen nicht, da die grossen Tiefen, die dadurch entstehen, zu ungiinstig wirken wiirden. Ebenso ungiinstig wirkte das Anbringen einer Schlange oder der Salzquelle unter die Pferdekorper, um die Stiitzen zu verdecken. Es schien, als wiirden die Pferde nicht aus eigener Feurigkeit sich baumen, sondern eben wegen des Gegenstandes, der unter ihnen sich 21 befindet. Vielleicht waren die Stiitzen, damit sie wenig-er auf- fallen, matt gefai-bt. Vom Wagen ist nur je ein Rad angebracht; ein zweites wiii’de in der Origin algruppe augenscbeinlich nicht Ranm ge- fnnden nnd wiedernm eine lioclist nnangenelnne Verschiebnng hervorgebracbt haben. Es miisste liinter dem Innenpferde an- gebracht werden, nnd da ist nicht, nnr kein Platz dafiir, sondern es wiirde ancli gar nicht gesehen werden. Nebstbei wiirden die beiderseitigen Wagenlenkerinnen stark ans der Mitte des Wagens geriickt erscheinen. Bei Fig. H (Hermes) ist der vorhandene Korpertorso genan bentitzt nnd dem Ranme im Hintergriinde entsprechend erganzt. Hier bemerke ich nun, dass die schmale lange Plinthe mit den zwei mannlichen Ftissen, die sich im Britischen Museum (Nr. 329) befindet, sowohl hinsichtlich der Grosse nnd Form der Plinthe, als auch liinsichtlich der Stellung nnd Grosse der beiden Flisse ohne alien Zwang in ganz iiberraschender Weise mit der Er- ganzung ubereinstimmt, wie ich sie bei Fig. i/, durch den Platz gezwungen, vorgenommen babe. Der stricte Beweis fiir diese Zugehorigkeit ist allerdings noch zu beschatlen. Die W agenlenkerin. Fig. G, muss unbedingt sicher stehen, und ihre Plinthe beansprucht mindestens 50 — 55 Cm. von der Tiefe des Giebelbodens, welche, wenn man das ausserste, feine Gesims abrechnet, kaum 90 Cm. betragt; es bleiben somit fiir die Plinthe der riickwarts stehenden Fig. H 35 — 40 Cm., genau so viel als das vorgenannte F ragment im Britischen Museum misst. Ganz abnlich in der Stellung ist auf der entgegengesetzten Seite Fig. N. Die Figur war offenbar kurz bekleidet, da die schmale Plinthe unten eine kiinstlerische Gewandentwicklung unmoglich macht; im Gesammteindruck konnte sie, selbst- verstiindlich mit Hinweglassung der Fliigel, mit dem sogenannten Nike-Torso des Ostgiebels einige Aehnlichkeit haben. Eine Verwechslung mit dem Nike-Torso halte ich indessen ftlr ganz unmoglich. Die Statue steht flach an der Wand im Hintergrunde und darf von der Tiefe des Giebels, ithnlich wie Fig. H oder wie die Innenpferde, wieder nur die kleinere Halfte in Anspruch nelimen, damit auch hier die Wagenlenkerin, Fig. 0, eine geniigend breite und sichere Basis babe. 22 1 Die »Nike« liingegen muss Hirer ganzen Bewegung und Stellniig nacli mehr vorne angebracht gewesen sein imd die Tiefe des Giebels durcli die deutlicli nacli riickwarts ge- ricliteten, ausgebreiteten Fliigel vollkommen in Anspruch ge- nommen liaben. Ein Theil des vorliandenen Fliigels passt in das Locli des linken Schnlterblattes dieses Torsos und zeigt die Riclitung des Fliigels recbt deutlich an. Dass librigens almlicbe, wenn auch nicht ganz gleiclie Motive in der Stellung der Statuen an den beiden Giebeln an- gewendet waren, wird durch Fig. G des Ostgiebels und Fig. F des Westgiebels recbt klar gezeigt; in beiden Giebeln ist fast an der gleiclien Stelle eine jugendlicbe weiblicbe Gestalt fort- schreitend dargestellt. Zu der Wagenlenkerin der Athena, Fig. G, babe ich nur zu bemerken, dass sie an dieser Seite die grosse Mittelgruppe genau an der Stelle abscbliesst, wo es am Giebelboden ersichtlich ist. Das nackte Bein dieser Figur muss ausserbalb des Wagens steben, damit das Zuriickhalten der Rosse deutlicli und kraftig genug gescbeben konne. Die Wagenlenkerin des Poseidon, Fig. 0, bat im Allgemeinen dieselben Bedingungen wie ihr Gegenstiick. Ausser deni vorliandenen Torso babe icb aucb den so- genannten Weber’scben Kopf zu dieser Statue benlitzt; er passt in jeder Bezieliung gut dazu. Das Thier unter dieser Statue balte icb fiir einen Delphin, und die unrubige Zeicbnung, wie sie bei Carrey an der Plintbe unter dem Delphin zu sehen ist, fiir zuruckscbauniendes Wasser. Der zweite Delphin, den die Zeicbnung des Anonymus zu zeigen scheint, bat keinen rechten Platz und wiirde aucb nie klar zu sehen sein, selbst wenn man seinen Kopf andeuten wiirde. Letzteres babe icb desbalb auch ganz unterlassen. Damit ware die grosse Mittelgruppe auch auf dieser Seite abo-escblossen. o Nun inogeii eiiiige Andeutungen iiber die beiden iinssersten Eckgruppen folgen, da die kiinstleriscbe Anordnung und das Einbalten der arcbitektoniscben Bedingungen es mir so am wiinscbenswertbesten und vom kiinstleriscben Standpunkte aus aucb am ricbtigsten erscbeinen lassen. 23 Nacli einer nioglichst iiiibefangeneu Durclisicht der ver- scliiedenen Vorschlag-e fiir die Bezeichmmg imd Erklaning der l)eiden Eckgruppen muss icli meiue Ueber/eugnng daliln aiis- driickeii, dass die Eckgruppen offenbar den Zweck batten, den Ixauin der Begel)enlieit in alinlielier Weise zu kennzeiclmen, wie im Ostgiebel durcli die beiden aussersten Eckgruppen die Zeit — d. i. der anbrecliende Tag — gekennzeichnet ist. Wenn aucli die Cliarakterisirung der Zeit und des Raumes nicht mit gleicben Mitteln gescliiebt, so ist die kiinstlerisclie Aufgabe als solclie dock durcbaus dieselbe, und man konnte die Einwendung nicht gelten lassen, dass die eine Idee sebr sclion und geistreich ist, die andere al)er nicht. Vom kiinstlerischen Standpunkte aus kann ein Unterschicd in den beiden Aufgaben als solchen nicht zug’eg'eben werden. Es Ivann hochstens vorkommen, dass einem Kiinstler eine von den beiden Aufgaben zur Ausfilhrung lieber und sympathi- scher ist als die andere. Wenn man annimmt, dass die Eckgruppen des Ostgiebels den anbrechenden Tag andeuten, so muss man bei der ahnlichen Compositionsart des Westgiebels eine analoge Deutung der Eck- gruppen ebenfalls als richtig zulassen. Man kann sich demnach der Ansicht, dass auf einer vSeite des AVestgiebels Kej^hisos und Eridanos (oder Kykloboros), auf der anderen Seite llissos und Kalirrhoe a.ngedeutet sind, viel besser als jeder andern Auslegung anschliessen, zumal diese Fliisse die Akropolis thatsachlich in recht deutlicher Weise umsaumen. Diese Idee tindet in den vorhandenen Eragmenten und Merkmalen Sfar keine Widerle^ung, was beziiglich der anderen Voi'schlage nicht so bestimmt gesagt werden kann. Mehrfache Versuche beim Modelliren der Fig. A* haben mir die ITeberzeugung verschafft, dass diese Statue mannlich war, was, wenn ich nicht irre, schon fridier von Prof. Dr. Peter- sen bemerkt wurde. Uebrigens miisste sie, auch wenn sie weiblich ware, nackt dargestellt werden. Denn bei der knienden Stelhmg dieser Figur ist es kaum moglich, die Schenkel und Knie der- selben so zu bekleiden, dass sie im Faltenwurfe nicht mit einem der vier verschieden bekleideten Schenkel von der Gruppe B 24 mid C alinlicli wird; imd eine solche Aelmlichkeit wirkt reclit unangenehm. Bei Fig. A ist die Ergiinzmig dnrcli den gut erlialtenen Torso fast klar gegeben und es ist kaum auzunelimen, dass weseiitliclie Abweichungen von der einstigen Wirkliclikeit vor- lianden sind. Die Statue wendet sich scliarf gegen die Mitte des Giebels, und icli babe die nacbste Fig. A*, von 'welcher keine andere Spur vorbanden ist als die ausgemeisselte Ecke binter dem linken Arm der Fig. A, derart aufgefasst, dass sie zur ersteren spricht und sie auf den Vorgang in der Mitte des Giebels aufmerksam macbt; dadurch wird die beftige Bev^^egung der Fig. A etwas erklart und vermittelt. Die — nicbt weggebrocbene, sondern ausgemeisselte — Ecke binter dem linken Anne der Fig. A beweist, dass die nacbste Figur ganz nabe angeriickt war. Das eigentbiimlicbe fliessende Gewand, wie es an den Statuen A, V und W unstreitig zu bemerken ist, babe icb bei Fig. A*, so gut es moglicb war, aucb angewendet. Bemerkenswertb ist, dass der Kopf der Fig. A und der linke Arm der Fig. IF das Gesims an nabezu symmetrisch ge- legenen Stellen iiberscbneiden. Die vorbandenen Fragmente der beiden anderseitigen Eck- statuen V und IF wurden ebenfalls genau beniitzt. Fig. 1 bait in ibrer lecbten Hand das Geivand, "welcbes am Riicken des Torso zu seben ist und, knapp am Korper ab- gebrocben, frei in die Luft aufzusteigen scheint; es ist als wollte sicb die Gestalt verbulleii. Uni der wissenscbaftlicben Forscbung so wenig als moglicb vorzugreifen, babe icb es unterlassen, den gebobenen linken Arm der Fig. IF iiiit irgend einem Attribut zu verseben; ftir den Gesammtaiiblick ist dies aucb nicbt wicbtig. Wie scbon friiber bemerkt wurde, ist der Ausdruck dieser Statue nabezu ein klagender und passt, so wie die scbeinbare Verbilllung der Statue gut zu der Situation. Nun komme icb zu den beiden grossen Gruppen, die ge- meiniglicb als das Gefolge der Atbena und des Poseidon, oder als deren befreundete Gottbeiten angeseben und erklart werden. 25 An der Seite der Athena ist nach den Fig". A nnd A* zn- nachst die Grnppe B und C. Hier war ich iiber die Erg’anznng der Schlange laiige im Unklaren, und konnte niich selbst nacb Be- sicbtignng der Originalreste am Partlienon nocb niebt zn einer Losnng dieser Frage entscbliessen. Icb babe es fiir iiberfliissig, alles das anzufnbren, worin meine irrige Anscbauung bestanden batte; ieli erwahne bios, dass micb Herr Prof. Dr. Miebaelis znerst mit grosser Be- stimmtbeit auf meinen Irrtbnm anfmerksam gemacht bat, und dass bei meinen Studien im Britiscben Museum, wo der Gyps- abguss dieser Gruppe nacb der spateren Auffindung des Scldangen- stlickes vollstandiger zu selien ist, die offenbar ricbtige Erganzung dieser Sclilange, wie sie nun vorliegt, in Beratbung mit Herrn Director Dr. Murra}?' festgestellt werden konnte. Es konnte sogai- dargelegt werden, dass die Furcbe am linken Arm der Fig. B eben wegen des Scblangenkopfes ausgemeisselt worden ist. Icb beniltzte eine Gelegenbeit, um diese Gruppe, von der in Wien kein Abguss vorbanden ist, im Berliner Museum genau zu copiren und aucb gleicb daselbst die feblenden Tbeile zu- sammenzustimmen, wobei mir seitens der Leitung des Museums jede mbglicbe Begilnstigung und Erleicliterung mit grosster Be- reitwilligkeit gewalirt wurde. Dass der reclite Arm der Fig. B einen Stab gebalten bat, ist zwar niebt erwiesen, aber sebr wabrscbeinlicb. Die Erganzung des linken Amies der Fig. C ist durcb das abgebrocbene, vom Korper aufsteigende Gewand bedingt. Zu der Gruppe I), E, F lassen sicb nur kleine Fragmente als zugeborig vermutben, mit Bestimmtbeit alier gar keiue nach- weisen. So z. B. kann ein o’rosses weiblicbes Knie. an dem die O / Fingerspitzen eines Knaben sicbtbar sind, als das linke Knie der Fig. D angenommen werden; ferner konnte, als zu dieser Figur geliorig, das Fragment einer sitzenden weiblicben Gestalt bezeicbnet werden, deren Sitz offenljar auf der Erde gedacbt war. Original in Atben (Nr. 8cS8). Andere kleinere Brucbstiicke zu dieser Grujipe zu verweisen, ist niebt rathsam, well man leicbt in irriger AVeise lieeinbusst wiirde Die Gru}>25e wurde mit mbglicbst getreuer Beriicksicbtigung der Zeicbnung Carrey’s und der Spiiren am Giebelboden, ferner 26 mit mogliclist guter AusnlitzLing des ziir Verfiigmig stelienden Raumes in dem Sinne liergestellt, wie sie bereits wiederholt von wissenscbaftliclier Seite erklart nnd besclniel)en worden ist. In den rechten Arm der Fig. D ein Attribnt binznznfiigen, liabe icb ebenfalls nicbt fiir angezeigt gehalten; die Anordnnng dieses Armes scbeint mir indessen in den Kaum gut zu passen. Es ist sehr beaclitenswerth, dass bei Fig. D die freudige Ueberraschung init einer fast ganz ahnlichen Korperbewegnng aiisgedriickt ist, wie bei Fig. U das offenbare Erschrecken. Die entsprecbende Gegengruppe, nmfassend die Fig. P, Q, P, S. T imd U an der Seite des Poseidon, ist in jeder Be- ziehimg viel complicirter nnd die Erklarung derselben viel uni- standlicher nnd aucli unsicberer. Wabrend in der Gruppe an der Seite der Athena die kiinst- lerische Anordimno' der Statuen iin Ranine mit Leichtisrkeit, Einfacbheit nnd Ungezwnngenheit als etwas ganz Sebistverstand- liclies erfoigte, scbeint die Composition der Gegengruppe an der Seite des Poseidon dem Khnstler mehrfaclie Scbwierigkeiten lie- reitet nnd ilin znr Anwendung kleinerer Motive veranlasst zn haben, welche liier den Ranm analog mit der anderen Seite ansznfnllen batten. Die nacbste Griippe nacb der Wagenlenkerin, Fig. 0. bilden die Fig. P nnd Q. Scbon bier muss icb daranf binweisen, dass der ganzen Disposition nacb der Knabe Fig. P nicbt nnmittelliar zn dieser, sondern znr nachsten Gruppe gehoren diirfte. Der Knabe, Fig. P, ist mit dem Unterleibe nnd den Ober- scbenkeln klar an die Fig. Q angedriickt, was micli annebmen lasst, dass er vom recbten Arm der Fig. Q nmfasst war; eine weitere Begriindiing dieser Annahme sebe icb nocb in der Art, wie das Gesass nnd der Oberscbenkel des recbten Beines dieses Knaben weggesprengt sind. Ein Fragment dieser Knabenbgni- wnrde wabrend meiner Stndien im Britiscben Museum nocb festgestellt. Die eigentbiimlicbe Art der Absprengnng wirkt da nocb anffallender. Die Marmormasse muss bier eine grossere gewesen sein, als sie der Kbrper des Knalien allein liiltte anfweisen konnen. Meiner Ueberzengnng nacb bielt der Arm den Knaben derart, dass die Hand der Fig. Q vorne am rechten Oberscbenkel 27 (les Knaben siclitbar war. Warum an dem vorliandenen Knaben- fragment keine Spur von dem weibliclien Arm zn selien ist, kann man sich beim Anblick der reconstrnirten Griippe sehr leicht erklaren; die Stelle, wo der Arm an den Korper des Knaben angelegt war, wurde eljen beim Heriinterstiirzen sammt dem Anne weggesprengt. Der etwas zuruckgel)ogene Oberkorper des Knaben zwingt dazii, aiich den Kopf etwas znriickzuwenden. Der rechte Arm des Knaljen ist diircli die vorliandenen Finger am Knie der t ig. Q bestimmt, nnd der linke Arm mnsste, da man scbon bei Car rev klar sieht, dass er weggebrocben, also frei ansgemeisselt war, wohl nngefabr so gewesen sein, wie icb ilm erganzt babe. Audi der Torso von Fig. C ist mit Beriicksiclitignng aller Merkmale erganzt. Der linke Arm der Fig. Q halt das Ende des iiber den Sclioss gelegten Mantels; zn dieser Losung babeii niich die liinaufstrebenden Falten an der Brnclistelle veranlasst. Das Object iinter dieser Fignr, welches gesondert gemeisselt war, nnd an dem die Fiisse der Fig. Q enge Ijeisammen ruhen, sehe ich filr eine geschlossene Eiesenm vi schel an, nnd muss hier bemerken, dass mir anf meine diesbeziio-lichen Anfrag-en von Niemandem eine bessere Ausknnft gegeben werden konnte. Ein Seenngeheuer, welches ich zn modelliren versncht habe, hiitte durchaiis nnnatiirlich nnd bizarr anssehen miissen; ebenso kann auch eine Schildkrote nicht angewendet worden sein. Die Form dieser geschlossenen Ries enmn schel ist die natiirliche, nnd das Object kann ganz gut die Wirknng und den Eindruck hervorbringen, welchen man bei Besichtigung der etwas nnbestimmten Zeichimng Carrey’s empfangt. Als Sinn- liild konnte die Muschel ganz gut den Meeresstrand andeuten. Sollte es einmal gelingen, fiir dieses Object eine andere Erklarung zn linden, so kann dies ohne besondere Schwierig- keiten beriicksichtigt und die Muschel gegen ein anderes (dbject ansgewechselt werden. Meine friihere Absicht, das fragliche Object von der Fignr gesondert zu modelliren, so wie dies im Original geschehen war, habe ich deshalb aufgegeben, weil eine eventuelle Aiisweehslung 28 dieses Stiickes aucli so keine besonderen Schwierigkeiten bereiteii wil’d, und weil icli es vermeiden wollte, in der Reconstruction mebr Stiicke zu baben, als unbedingt notbig ist. Nun koinmt die besonders scbwer zu deutende, docb sebr scbone Gruppe der drei Statuen B, S, T. Am meisten besprocben und umstritten ist bei dieser Gruppe die Fig. A, welcbe von einigen als mannlicb, von anderen als weiblicb angeseben wird. Indem icb meine Studien, Anscbauungen und Scbliisse bier vorbringe, muss icb damit anfangen zu erklaren, dass die Zeicbnung des »Anonymus« durcbaus nicbt als Anbaltspunkt zur Erklarung dieser Statue und der ganzen Gruppe in Betracbt gezogen werden kann. Indem der Anonymus den Kopf der Fig. S liber und vor das Gesims bingezeichnet hat, beging er einen unglaublichen Febler, welcber beweist, dass der Zeichner das Original sebr schlecbt oder gar nicbt geseben bat. Wenn die Achsel der Fig. S', wie es durcb die Spuren be- wiesen ist, nahe an der Wand war, so ist es ganz unmoglicb, dass der Kopf dieser Figur vor oder gar liber dem Gesimse gewesen sein konnte. In Folge dessen konnen aucb die zwei neu entdeckten Fragmente, »Knie mit Eckbommel und ein Stiick mannlicber Brust«, gar nicbt als zu dieser Statue gehorig angeseben werden, ob nun dieselbe mannlicb oder weiblicb war. Die Grossen- verbaltnisse dieser beiden Fragmente stimmen fiir keinen Fall zusammen und man kann aucb nicbt annebmen, dass sie liber- liaupt einer und derselben Statue angeboren. Jedenfalls aber sind diese beiden Fragmente fiir Fig. S viel zu gross, so zwar, dass man sicb das Knie sebr gut als zu einer im Ostgiebel sitzenden, jugendlichen und docb macbtigen Apollo-Statue zii- gehorig denken kann. Es bleibt somit, wie dies aucb sonst im Allgemeinen der Fall ist, nur iibrig, an der Zeicbnung Carrey’s und an den Spuren, welcbe der Giebelboden mid die Wand aufweist, in erster Linie festzubalten; alles Andere muss mit der grossten Vorsicbt und Reserve aufgenommen werden. 29 Sielit man Carrey’s Zeichmmg, in diesein Falle den wichtigsten Anhaltspunkt, unbefangen an, so muss man Folgendes 1 )emerken : Der Kopf der Fig. S zeigt keine ansgesprochenen Merk- male liber das Greschlecbt, und man kann die Striche beim Ohr und am Halse ebenso gut als Schatten bezeicbnen, wie als langes Haar, Der Umfang des Korpers in der Brust selieint etwas grosser zu sein, als man ihn bei weiblichen Gestalten spaterer Zeit zu sehen gewohnt ist. Einen weiblichen Busen kann man nicht sicker walirnelimen; dock kann man den Unter- leib und die Hoke des Nabels als weibkcli bezeicbnen. Das knke Bein dieser Figur ist nicht vollstllndig; es lasst sick also daran keine Beobacktung macken. Das rechte Bein maclit aber deutkck den Eindruck eines weiblichen Kor^^ertlieiles; es ist krai'tig im Sckenkel und in der Wade und endet bei fast zierkcber Be- wegung in einen verhaltnissmassig kleinen Fuss. Alle diese Umstande sprechen nicht entsckieden genug fiir oder gegen die Annalime einer weiblichen Figur; gegen die Annalime jedock, dass die Figur mannkck war, kaben sick mir beim Modelkren der Grujjpe manche reckt wicktige Be- denken aufgedrangt. Der rechte Oberschenkel der Fig. T hat eine so scliiefe Lage nach abwlirts, dass er fiir das knke Gesass der Fig. S keine Stiitze bieten kann. Will man aber die Fig. S okne eine Stiitze im Schosse der Fig. T sitzen lassen, so ist es unmogkck, der Statue auck nur annakernd die Stellung zu gelien, welclie bei Carrey zu seken ist. Die Statue muss also von Fig. und zwar voi-ne mit der knken Hand unter dem liiiken Knie, was aus Carrey’s Zeichnung gut zu entnehmen ist, und riick- warts mit dem reckten Arme unter dem Gesasse gestiitzt werden. Dies bat niicli veranlasst, die Figur als weibkcli liiii- zustellen, da icli die Darstellung einer erwaclisenen mannkcken Figur, welclie von einer weiblichen in dieser AVeise empor- gekalten wird, nur dann fiir kilnstleriscli lialten konnte, wenn sick dies auf irgend eine ganz bestimmte, in der Mythe vor- kommende Scene bezielien wiirde. Dies ist der Grnnd, warum icli die Fig. S als weibkcli dargestellt babe. 30 Audi liier liesse sicli eine Aenderimg leiclit lierstelk'ii, wenn es gelingen sollte, reelle und dentliche Anhaltspunkte fiir eine andere Anscliaiiimg zu finden; docli kanii von den bislier vorgelbracliten Beweisen, dass die Fig. S eine mannliclie war, keiner anch nnr annaliernd als sticlilialtio- anoreselien werden. Fiir eljenso unstichhaltig lialte icli die Ansiclit, dass weib- licbe Korper zu dieser Zeit nocli niclit nackt dargestellt wnrden. Dnrcli das Hinweglassen einer Mittelfignr in der Giebel- gruppe hat sich der Kiinstler eine bis dahin nocli iinerhorte nnd anch jetzt seltene Freiheit erlaubt, so dass die neue An- wendung einer fast nackten weiblichen Gestalt im Vergleich dazn eigentlich gar nicht besonders erwahnenswerth erscheint; nnd icli bin anch tiberzengt, dass der Kiinstler die nackte weibliche Fignr ohne alle Bedenken in den Giebel anfgenommen hat, falls er es in khnstlerischer Beziehung vortheilhaft fand. Warnni soli man dem Phidias eine solche Nenernng nicht znmuthen kbnnen? Ich verweise bei dieser Gelegenheit nocli anf die Werke Michel Angelo’s, besonders aber anf sein jilngstes Gericht, das er in einer Weise gelost hat, wie es anch nocli niemals gebranchlich war. Kiinstler von dieser Bedentnng haben eben das Vorrecht, in ihren Werken, sobald sie es fiir gut nnd passend finden, neue Ideen anznwenden, da ihnen anch die Gnbe zn Theil ward, sie gut zn beherrschen nnd zn losen. Anlasslich einer eventnellen Answechslnng der weiblichen Fig. S gegen eine inannliche werden sehr wahrscheinlich kleinere Aendernngen anch an Fig. F vorznnehmen sein; ich habe also anch bei dieser Grnppe die Statuen nicht gesondert gemacht, da ich es fill- giinstiger halte, in diesem Falle die ganze Grnppe li, S, T ausznwechseln. Die Spur an der Wand zeigt genan die Stelle, wo die Ge- stalt angebracht war, nnd ebenso genan ist der Platz fiir die ansgestreckte sitzende Fig. T am Giebelboden ersichtlich. Die Zeichnnng an der Giebelwand zeigt in der Achsel eine Unterbrechnng, die allerdings anch dadnrch erkliirt werden kbiinte, dass der linke Arm der Fig. S gehoben war; er kann aber anch frliher abgebrochen sein. Letzteres habe ich an- genoninien, weil niir der gehobene Arm etwas gezwungen er- schien . 31 Der Kuabe, Fig. 7/, war offenbar mit Fig. S aus eiiiem Marmorljlock ausgemeisselt; die ganze Anordnimg, wie er hinter der recliteii Aclisel voii Fig. S liervorkomnat, zeigt dies an. Ob er Fliigel liatte, lasst sicli jetzt nocli nicbt bestinimen; als nn- mofflicli kami man es auch nicbt liinstellen. Icli hielt es filr O besser, ihm keine Fliigel anzusetzen, sondern die Entsclieidnng darilber der weiteren Forsdiung zn ilberlassen. Ueber Fig. T ist ausser deni bereits Benierkten niclits Wesentlicbes melir zu sagen. Die letzte Statue in dieser Gruppe ist die Fig. F, deren Standplatz am Giebelboden ebenfalls klar angegeben ist, so dass ein Irrtlnnn als ausgescblossen angesehen werden kann. Dass zwiscben Fig. T und Fig. V keine weitere Statue vorlianden war, davon babe icb micb durcb Versudie zur Geniige iiberzeugt; sellist eine Kindergestalt an der Seite der Fio’. U wilrde scbon weg-en der Ueberfulluno' des Raumes nicbt angenebm wirken, wabrend andererseits die Spuren am Giebel- boden ein Zusammenriicken der Statuen nicbt zulassen. Nadi der verbaltiiissmassig reicben Gruppe von vier grossen und zwei kleinen Statuen {P, Q, 11, S, T, U) braucbt das Aiige des Bescbauers entscbieden etwas Rube, und der durcb die Erganzung des linlven Arnies von U und des recbten Arnies von V recbt ziisainmeiigescbriimpfte leere Raiim wirkt nur angenebm und wobltbuend. Ware dieser Rauin und ebenso aucb der entgegengesetzte zwiscben den Fig. A* und B ganz ansgefilllt, so wiirde eine recbt styllose Anbaufung von Statuen entsteben, die gewiss keiiiem kiiustleriscb geiibten Aiige an- o-enebm erscbeinen wiirde. o Die Statuen Z) und M des Ostgiebels laufen gegen den Giebelboden zu beiderseits scbmal aus; desbalb war es bier ganz gut moglicb, einerseits zwiscben den sicli baiimenden Pferdekopfen B, G und der Fig. /), andererseits zwiscben der Fig. M und dem geneigten Korper Fig. N (Selene) nacb olien zu binreicbend Liift zu Ijekommen, und so nicbt nur geistig, sondern aucb arcbitektoniscb eine leise Trennuno' anziideiiten. O Im Westgiebel aber fiillen die Fig. B, C und U durcb ibre Anordnimg die ganze Giebelbobe an ibrer Stelle aus; in Folge dessen wiirde ein Verscbieben von Statuen binter- 32 einander — im Gegensatz zum Ostgiebel — liier selir iingiinstig- wirken. Der Kiinstler hat also diirch zwei verschiedene Mittel bei beiden Giebeln dasselbe' Ziel angestrebt und auch erreicht. Entsprechend der Zeicbnung Carrey’s babe icli die Fig. U im Aiisdrucke der Ueberrascbmig erganzt; sie greift mit der Rechten naeli ilirem im Schosse liegenden Gewarid, beugt sicb naeh ibrer linken Seite bin, wabrend der Kopf der Mitte zu- gewendet ist. Der linke Arm vervollstandigt nocb die Geberde der Ueberrascbimg. Als zu dieser Statue zugeborend kbnnte man das Fragment eines grossen weiblicben recbten Oberscbenkels betracbten, an dem ancb nocb der Sitz, wabrscbeinlicb die blosse Erde, vor- lianden ist. (Britiscbes Museum, Nr. 304.) Wie sclion anfangs erwabnt, liabe icb seinerzeit, gleicb- zeitig mit den Studien zur Reconstruction des Westgiebels, aucb die Studien zur Reconstruction des Ostgiebels gemacbt, soweit dies die vorbandenen Fragmente und Spuren ermoglicbten, und icli boffe, dass es mir in nicbt allzu ferner Zeit gelingen wil’d, aucb von diesem Giebel, dessen beide berrlicbe Eck- gruppen verlialtnissmassig gut'erbalten sind, wenigstens in einem kleinen Massstabe eine wenn aucb nicbt bestimmte und nacb- weisbare, so docb moglicbe und glaubwiirdige Losung der Oeffentlicbkeit vorlegen zu konnen. erlAuterungen ZU DEM VERSUCH EINER REKONSTRUKTION DES OSTLICHEN PARTHENONOIEBELS. \ON KARL SCHWERZEK, BILDHAUER, RITTER DES KAISERL. OSTERR. FRANZ JOSEF- ORDENS. WIEN 1904. SELBSTVERLAG DES VERFASSERS. DKUCK VON FRIEDRICH JASPER IN WIEN. OSTSEITE DES PARTHENON. as besondere Iiiteresse, welches Seine Majestat der Kaiser iind weiland Ihre Majestat die Kaiserin der klassischen Kunst iiber- haupt immer, und seinerzeit auch meinem Rekonstruktionsversuch des westlichen Parthenongiebels in hohem Made zuteil werden liefien, machte es mir friiher als ich es annehmen konnte, moglich, mich auch mit dem Ver- such einer Rekonstruktion des ostlichen Parthenongiebels zu beschaftigen. Die im Jahre 1895 in der Jahresausstellung der Wiener Kunstlergenossen- schaft ausgestellt gewesene Rekonstruktion des westlichen Parthenongiebels hat die Aufmerksamkeit Ihrer Majestat der Kaiserin in besonderer Weise erregt; und nachdem die Arbeit seitens der Fachgelehrten in anerkennender Weise besprochen und zur Aufnahme in die Kunstgeschichte geeignet be- funden worden war, brachte inir 1897 der Sekretar Ihrer Majestat der Kaiserin Elisabeth die mich hochst freudig iiberraschende Nachricht, Allerhochstdieselbe ware geneigt, mir eine Subvention in angemessener Hohe zukommen zu lassen, wenn ich in der Lage ware, eine andere derartige Aufgabe zur kiinstleri- schen Losung vorzuschlagen und die Ausfuhrung derselben zu ubernehmen. 3 Um mir die Sache ruhig iiberlegen zu konnen, erbat ich mir eine kurze Bedenkzeit, die ich dazu beniitzte, meine Aufzeichnungen iiber die im Jahre 1892 in Athen • — oben auf dem Ostgiebel des Parthenon — von mir ge- machten Studien durchzusehen, und versuchte dann vorerst in fluchtiger Weise, ob es moglich ware, den ostlichen (vorderen) Parthenongiebel, welcher nach Pausanias die Geburt der Athena darstellte, in ahnlicher, annahernd glaub- wiirdiger Art wie den Westgiebel zu rekonstruieren. Nach einigen Versuchen kam ich, gestiitzt auf meine diesbezuglichen Studien in Athen und London, zu der Uberzeugung, dab ein solcher Versuch wohl unternommen werden konnte, wenngleich er in vieler Beziehung noch gewagter erschien, als der einer Rekonstruktion des Westgiebels. Ich verstandigte hierauf den Sekretar Ihrer Majestat von dem Ergeb- nisse meiner Uberlegung und erhielt binnen einigen Tagen die Mitteilung, Ihre Majestat habe fiber diesen meinen Entschlufi Allerhochstihre Befriedigung und die Geneigtheit ausgedriickt, mir die entsprechende Subvention zukommen zu lassen, wiinsche jedoch iiber diese Angelegenheit eine Erwahnung in der Offentlichkeit solange vermieden zu sehen, bis die Arbeit so vollkommen als moglich hergestellt sein werde. Diesem Allerhochsten Wunsche habe ich auch selbstverstandlich gebiihrend entsprochen. Im Winter des Jahres 1897/98 modellierte ich dann einen kleinen Ent- wurf in Wachs, reiste damit im Marz 1898 nach London, um die Meinungen der dortio^en Fachgelehrten kennen zu lernen und die von diesem Giebel noch vorhandenen Reste vor Beginn meiner Arbeit nochmals griindlich durch- zusehen. Bei dieser Gelegenheit wurde mein Wachsentwurf im British Museum photographisch aufgenommen. Auf der Riickreise aus London besuchte ich auch den bekannten Parthenon- Forscher Prof. Dr. Ad. Michaelis in Strafiburg, welcher mich durch ein- gehende Besprechung des Entwurfes neuerdings zu Dank verpflichtete. Meine Absicht, von Strafiburg nach Territet zu fahren, um den Entwurf auch Ihrer Majestat der Kaiserin zu unterbreiten, mufite unausgefuhrt bleiben, da ich an der Mittelgruppe noch wesentliche Anderungen vorzunehmen beabsichtigte, iiberdies aber die Karwoche bereits begonnen hatte. Ich ging nun sogleich mit allem Eifer an meine Aufgabe, mich mit der Hoffnung trostend, Ihrer Majestat spater einen vollkommeneren Entwurf vorlegen zu konnen. Diese meine Hoff- nung sollte leider nicht in Erflillung gehen; am 10. September desselben Jahres ereignete sich in Genf das furchtbare Verbrechen, welches von Allen beklagt wurde und die Hoffnungen Vieler zerstorte. So auch die meinige! 4 Weiiige Stunclen vorher war auch der Sekretar Ihrer Majestat, mit welchem ich alle auf diese Arbeit bezughabenden Angelegenheiten zu be- sprechen liatte, in Wien verschieden. Durch diese Ereignisse erschiittert, unterbrach ich auf einige Zeit die Ausfuhrung meines Vorhabens; doch die Erwagung, dafi diese Arbeit kaum je wieder mit dieser Umsicht und Hingebung von einem Kiinstler in Angriff genommen werden diirfte, ferner die Eloffnung, ja Uberzeugung, von einem der interessantesten Werke der Bildhauerei eine wenigstens annahernd zu- treffende Rekonstruktion der Oftentlichkeit vorweisen zu konnen, brachten mich nach Verlauf einiger Zeit wieder dazu, mich mit erneuertem Eifer dieser Aufgabe zu widmen und sie auch zu beendigen. Im Herbste des Jahres igo[ war die Arbeit so weit in Plastilina her- gestellt, dab ich das Geheimhalten nicht mehr fur angezeigt und zweckmahig hielt; ich meldete die gauze Angelegenheit in der Kabinetskanzlei Seiner Majestat des Kaisers, und wenige Tage spater wurde ich benachrichtigt, dafi Seine Majestat geruhen werde, mein Werk zu besichtigen. Am nachsten Tage erschien der Kaiser in meinem Atelier und widmete den Erklarungen liber die Art der Herstellung sowie dem ganzen Werke iiberhaupt das grdbte und eingehendste Interesse. Auch bei Eroffnung der Jahresausstellung im Kiinstlerhause 1902 geruhte Seine Majestat die daselbst ausgestellte Arbeit mit groBem Interesse zu be- sichtigen und Sich dariiber anerkennend zu aufiern. Mit besonderem Danke gedenke ich hier auch des lebhaften Interesses, mit welchem Seine Exzellenz der Minister fiir Kultus und Unterricht, Hen- Dr. Ritter von Hartel, und der Sektions-Chef Herr Dr. Stadler von Wolfers- grlin seinerzeit auf meine ergebenste Einladung hin die Arbeit in meinem Atelier besichtigt haben und meinen diesbezliglichen Ausfiihrungen und Er- klarungen gefolgt sind. 5 Schon anlafilich der Ausstellung im Kunstlerhause 1902 wurde ich von vielen Seiten um die schriftlichen Erlauterungen zu dieser Arbeit befragt; doch habe ich mit der Veroffentlichung derselben so lange gezogert, weil es ja immerhin moglich war, dafj iiber diesen Gegenstand irgend etwas Be- sonderes vorgebracht werden wird, was mich vielleicht zu einer neuerlichen Durcharbeitung dieser Aufgabe oder doch zu einigen Anderungen daran veranlassen konnte. Nun haben wohl seit dieser Zeit einige Fachgelehrte liber die Rekon- struktion dieses vorderen Parthenongiebels Bemerkungen und auch Abhand- lungen verdffentlicht; doch sind dieselben nicht derart, dab ich mich bei aller Gewissenhaftigkeit und sachlicher Auffassung der Aufgabe schon jetzt ver- anlabt sehen wiirde, weitere Versuche oder Anderungen an der Arbeit vor- zunehmen. Die von mir in Betracht gezogenen Griinde und Voraussetzungen scheinen mir viel weitergehend, klarer und zugleich einfacher zu sein als die diesbeziiglichen Veroffentlichungen der betreffenden Fachgelehrten. Die mir hochst bemerkenswert und wichtig erscheinende Abhandlung von Professor Dr. Sauer: »Der Weber-Labordesche Kopf und die Giebel- gruppen des Parthenon «, Giefien 1903, wird am Schlusse dieser Schrift in Betracht gezogen und besprochen. Nach Beendigung der Vorstudien und nach Besprechung des Gegen- standes mit den damit besonders vertrauten Fachgelehrten habe ich, so wie dies seinerzeit auch beim Westgiebel der Fall war, die Ausfiihrung dieser Arbeit durchaus selbstandig unternommen und beendet. Leider mubte ich diesmal die Mitwirkung und den Beirut des Herrn Hofrates Dr. Benndorf entbehren, da dieser Gelehrte auf meine diesbeziig- liche Finladung mit Bedauern erklarte, wegen zu grober anderweitiger In- anspruchnahme sich mit den zu dieser Rekonstruktion unbedingt erforderlichen Spezialstudien nicht beschaftigen, und somit an der Herstellung der Rekon- struktion sich nicht beteiligen zu konnen. 6 Seinerzeit schon, als die Marmorskulpturen des Parthenon in das British Museum gelangten und die wissenschaftliche Forschung sich mit dem Studium der beiden Parthenongiebel eingehender beschaftigte, sind seitens der Ge- lehrten drei in der Hauptsache recht verschiedene Losungen der ostlichen Giebelgruppe in Vorschlag gebracht worden. Es wLirde Zeus als Mittelfigur, und als unmittelbare Umgebung auf einer Seite die soeben aus seinem Plaupte entsprungene Tochter Athena, auf der andern Hephastos oder Prometheus als Lbsung vorgeschlagen. Dann wurde auch die Athena als Mittelfigur gedacht, da ja ihr der Tempel geweiht war, wahrend Zeus und Hera nicht ganz unmittelbar nach beiden Seiten hin die Umgebung bilden sollten. Der dritte Vorschlag geht dahin, dab Zeus und Athena zusammen die Mittelgruppe bilden, ahnlich wie im Westgiebel Athena und Poseidon. Die letztere Losung bringt auch Professor Sauer in seinen Beschreibungen des Giebelbodens vor, indem er die Platten 12, 13 und 14 den Statuen Zeus und Athena als Standplatze zuweist. Nach Durchsicht der vorhandenen Spuren auf dem Giebelboden erschien diese Idee auch mir als die beachtens- werteste und wahrscheinlichste, wobei ich die Bedenken, die ebenfalls von wissenschaftlicher Seite ausgehen, dal.) namlich die Statue des Zeus dann nur zwei Drittel der Giebelhohe erreichen konnte, durchaus ungerecht- fertigt fand. Indessen hat sich bisher noch niemand mit Bestimmtheit und unter An- fuhrung wirklicher und iiberzeugender Anhaltspunkte fiir diese Losung aus- gesprochen; hauptsachlich wohl deshalb, weil die Aufnahme des Giebelbodens, welche seitens der wissenschaftlichen Forschung mit grofier Genauigkeit aus- gefiihrt wurde, noch nicht mit dem zur Lbsung soldier Aufgaben erforder- lichen kunstfachmannischen Uberblick besprochen worden 1 st. Es hatte sonst unmbglich, wie dies geschehen sein soli, zugegeben werden kbnnen, dafi die Mitte des Giebels auch von einer einzigen grollen 7 Statue, sei es Zeus oder Athena, eingenommen gewesen sei. Die oben am Parthenon vorhandenen Spuren in der Mitte des Giebels, deren von Professor Sauer ausgefiihrte Aufnahme durchaus richtig ist, sind derart unzweideutig, klar und iiberzeugend, dafi fiir einen Fachmann ein Zweifel in dieser Be- ziehung kaum bestehen kann. Bei Besichtigung des ostlichen Giebelbodens war es mir sofort klar, dalj im Ostgiebel ebensowenig wie im Westgiebel eine einzelne Hauptfigur den Mittel- punkt des Giebelbodens eingenommen hat. Dies wird durch die vorhandene schieflaufende Erhohung in der Mitte des Giebels unwiderleglich bewiesen. Doch konnte ich nur durch Versuche, welche ich unter Beriicksichtigung der auf dem Giebelboden wahrnehmbaren Spuren anstellte, zu einer bestimmten Annahme darilber gelangen, welcher Art die Losung gewesen sein kann. i)BER DIE DARSTELLUNG DES VORGANGS UND DIE BENENNUNG DER STATUEN. Kiinstlerisch noch iiberraschender und eigenartiger als im Westgiebel der Wettstreit zwischen Athena und Poseidon ist hier im Ostgiebel die Ge- burt der Athena dargestellt. Es werden nicht nur die sonst ublichen, in den aufiersten Ecken liegenden Gestalten vermifit, sondern ganz freie kiinstlerische Motive zur Anwendung gebracht, die aus der sogenannten schablonenhaften oder schematischen an- tiken Kunstrichtung derart heraustreten, dall ein moderner Kiinstler es kaum wagen dilrfte, diese Motive in die Zeit des Phidias zu versetzen, wenn die- selben nicht allgemein als echt vorhanden bekannt waren. Bei strenger Be- achtung der Symmetrie sind diese Eckmotive ganz ungewohnlich kiinstlerisch frei, sinnreich gewahlt und hdchst gliicklich in edler Harmonie gelost. Diese Ereiheit, sowie auch noch manche andere Merkmale, welche ich bei der Erlauterung der Rekonstruktion besonders hervorhebe, lassen mit 8 aller Wahrscheinlichkeit annehmen, daft auch die Mittelgruppe mit derselben freien und genialen kiinstlerischen Auffassung, ohne alle Engherzigkeit, jedoch harmonisch und symmetrisch schdn erdacht und gelost wurde'. Gleichzeitig mu6 aber bemerkt warden, dafi das dekorative Moment bier in Anbetracht der Wichtigkeit des Vorgangs nicht in derselben Weise zur Geltung gebracht wird, wie im Westgiebel durch die Pferdegespanne. Die eigentumlich schone kiinstlerische Losung dieser Aufgabe, mit welcher den architektonischen Bedingungen in dieser ganzen Gruppe entsprochen ist, er- regt vielleicht noch mehr Bewunderung als beim Westgiebel; auch hier streben die Hauptlinien der ganzen Giebelgruppe gegen die Mitte des Tempels zu. Dieses Prinzip der Anordnung in den beiden Giebeln ist fiir jene Zeit durchaus neu; die dargestellten Gotterstatuen erscheinen — entsprechend ihrem Range und ihrer Bedeutung — in Gruppierungen, welche aufierst sinn- reich, vielfach in Doppelstellungen von Statuen, zu einer ganzen groCen Giebelgruppe vereinigt sind. Nach Abschlufi des Studiums aller vorhandenen mir bekannten Anhalts- punkte sowie auch der betreffenden dichterischen Schdpfungen jener Zeit habe ich mich entschlossen, die Mittelgruppe in nachstehender Weise herzustellen. Als Mittelgruppe sind der thronende Zeus und die aus seinem Haupte in voller Rilstung entsprungene Tochter Athena dargestellt. Zeus sitzt be- kranzt auf seinem Throne, in der rechten Pland den Blitz, in der linken das Scepter haltend; Athena wendet ihm, in lebhaftem Schritte innehaltend und (entsprechend dem Homerischen Hymnus) mit Helm, Schild und Lanze aus- geriistet, ihr Antlitz zu, wahrend Zeus seine Tochter mit Wohlgefallen be- trachtet. Uber Beiden schwebt die Siegesgottin und reicht der neugeborenen Zeustochter den Kranz. Neben Zeus erscheint in hochster Aufregung seine Botin Iris (Torso antik), welche windschnell die Botschaft von dem Ereignisse zu verbreiten eilt. Daneben die thronende Hera, die neue Zeustochter verwundert, aber dennoch mit ruhiger Wiirde betrachtend. Neben der Athena weicht Hephilstos (Torso antik), der mit seinem Beile den Kopf des Zeus gespalten hatte, vor der ungewdhnlichen Erscheinung iiberrascht zuruck, wahrend Poseidon, ebenfalls in hochster Uberraschung aulblickend, daneben auf seinem Throne sitzt. Hinter Poseidon steht Apollo, der — entsprechend einer damaligen poetischen Idee — die Athena als seine Schwester mit Begeisterung begriillt; neben Apollo seine ebenfalls freudig erregte Schwester Artemis. 9 Zwischen Apollo und Poseidon erscheint im Vordergrunde eine kleine Gottheit, deren Name nicht angegeben werden kann; es diirfte ein kleiiier Lokalgott sein, wie solche in damaliger Zeit oft verehrt wurden. Dann folgt Hermes, welcher lebhaft erregt die Botschaft einer Gruppe von drei Frauengestalten iiberbringt, die am wahrscheinlichsten als die drei Tauschwestern Pandrosos, Aglauros und Herse bezeichnet werden konnten (Torsi antik). In der aufiersten Ecke lenkt Selene ihr Viergespann in das Meer hinunter (Torsi antik). Auf der andern Seite, neben der Hera, steht erstaunt und iiberrascht Aphrodite, die den neben ihr stehenden kriegerischen Ares auf das Ereignis aufmerksam macht. Zwischen Aphrodite und Hera ist im Vordergrunde der kleine, der Athena zujubelnde Eros. Die nachste jugendliche weibliche Gestalt konnte als die Persephone bezeichnet werden, welche eilig schreitend ihrer Mutter, der Gottin Demeter, und der sich an sie anlehnenden Gottin Hestia die Nachricht iiberbringt (Torsi antik). Die nachste, auf einem Pantherfell ruhende mannliche Gestalt konnte am wahrscheinlichsten als Dionysos bezeichnet werden (Torso antik). In der aufiersten Ecke stiirmt Helios niit seinem Viergespann aus den Meereswogen herauf, zum Zeichen, dafi mit der Geburt der Athena fur Griechenland ein neuer Tag beginnt (Torsi antik). ERLAUTERUNGEN zu der rekonstruktion. Vorerst habe ich nach der sorgfaltigen, von Professor Sauer angefertigten Zeichnung des Giebelbodens die einzelnen Platten je nach ihrer Grofie und Beschaffenheit, ebenso auch die Spuren der einzelnen Standplatze, soweit dieselben eben noch wahrnehmbar sind, an der Holzarchitektur genau an- gedeutet. Dies ist auch an den hier beigegebenen Bildern entsprechend er- sichtlich, welche zugleich einen leichteren Uberblick liber die Raumverteilung im ganzen Giebelraume gewahren. 10 Wie man claraus ersehen kann, lassen sich filr eine ganze Anzahl von Statuen, von denen gar nichts erhalten geblieben ist, die Standplatze klar wahrnehmen iind nachweisen. Um mich mit der Rekonstruktion des in der ganzen grofien Mittelgruppe vollkommen zerstorten ostlichen Parthenongiebels mit einiger Aussicht auf Erfolg beschaftigen zu konnen, mufite ich vorerst iiaturgemaB die vorhandenen, verhaltnismabig gut erhaltenen Reste der beiden Eckgruppen entsprechend zurechtsetzen und erganzen. Ich hoffte wohl nicht mit Unrecht, es werde mich der Eindruck dieser Kunstwerke bei meinen weiteren Arbeiten gewifi giinstig beeinfluben. Demnach habe ich, beginnend von der rechten Ecke des Giebels, vor allem die Gruppen des Helios mit seinem Viergespanne hergestellt. An der Halbfigur . des Helios, welcher mit den ihn umspiilenden Meereswogen etwa die Halfte der Platte i und nahezu die ganze Platte 2 in Anspruch nimmt, ist die Bewegung des Kopfes und des Halses durch die noch vorhandene Hals- o-rube gfegfeben, wobei aber noch die Plohe des Giebelraumes an dieser Stelle beriicksichtigt werden mufi. Die Gestalt steigt aus den Meeresfluten auf und lenkt mit kraftigen Armen das Viergespann, von welchem alle vier Pferdekopfe, wenn auch teil- weise stark beschadigt, vorhanden sind. Das Originalbruchstuck des Helios, sowie auch jenes der beiden aufieren Pferdekopfe befindet sich bekanntlich im British Museum. Diese zwei auberen Pferdekopfe nehmen etwa drei Viertel der vorderen Halfte der Platte 3 in Anspruch, wilhrend auf dem letzten Viertel, vorne, die Eiifie der nachsten, sitzenden mannlichen Statue ruhen. Die zwei inneren Pferdekopfe befinden sich noch immer auf ihrem ur- sprilnglichen Platze oben auf dem Parthenon; sie sind stark beschadigt und derart verwittert, dab sie nur im Allgemeinen fiber die Grobe und die Be- wegung Aufschlub geben. Diese beiden inneren Pferdekopfe nehmen eben- falls etwa drei Viertel der riickwartigen Halfte der Platte 3 ein, und erstrecken sich, schief gegen die Wand zu, bis zur Halfte der Platte 4 derart, dab ein Teil davon durch den rechten Ober- und Unterschenkel der zunachst befindlichen mannlichen Statue liberschnitten wird. Diese nachste auf dem Giebelboden, jedoch mit dem Gesab etwas erhoht lagernde Gestalt kann wohl mit Bestimmtheit als Dionysos bezeichnet werden; sie lagert offenbar auf der Erde, fiber welche zu unterst ein Pantherfell und darfiber ein Mantel ausgebreitet ist. Eine Verwechslung dieses Pantherfelles mit einem Ldwen- oder Tigerfelle ist wegen der unter dem linken Arme dieser 11 Statue vorhandenen Kopfhaut ganz unmoglich; es ist nicht die leiseste Spur einer Mahne, oder auch nur eines Haaransatzes daran zu bemerkeii. Die fehlenden Hande und Fiifie dieser Statue habe ich erganzt, vermied es jedoch, irgend welche Attribute anzufiigen, da dieselben zu unbestimmt und auch nicht sehr wichtig sind. Moglich ist es, dafi der Kopf dieser Statue bekranzt war; doch mufi es dann ein Kranz aus Bronze gewesen sein. Der fast ganz glatt gehauene obere und riickwartige Teil des Kopfes lafit diese Vermutung jedenfalls zu. Da dies aber fiir die Gesamtwirkung ohne besonderen Einflufi und auch nicht nachweisbar ist, unterliefi ich es, den Kranz hinzuzufiigen. Diese nahe an dem Giebelboden ruhende Statue nimmt ganz vorne einen kleinen Teil der Platte 3 ein, dann die ganze Platte 4, indem sie mit ihren Schenkeln und Fiifien die dahinter angeordneten Pferdekopfe stark iiber- schneidet, und reicht noch bis etwa zur Mitte der Platte 5, gegen die Giebel- wand zu. Unmittelbar eng an diese Figur anschliefiend kommen die zwei bekannten Frauengestalten, aus einem Marmorblocke gemeifielt. Diese Statuen sowie auch die vorige mannliche befinden .sich im British Museum. Die gewohnliche Bezeichnung dieser beiden Frauengestalten als Demeter und Persephone er- scheint mir bei genauer Priifung als hochst unwahrscheinlich. Die Statuen erscheinen dem freien Auge fast gleich grofi; doch bei naherer Betrachtung findet man, daC die dem Dionysos zunachst befindliche, niedriger sitzende Statue etwas groBer ist. Man kann dies am leichtesten feststellen, wenn man die Unterschenkel und die Brustweite der beiden Statuen vergleicht. Nach meinen Studien fiber die ganze Anordnung geht meine Uberzeugung dahin, daB hier die Erdgottheiten Hestia und Demeter, die Gottinnen des hauslichen Herdes und des Ackerbaues, unmittelbar neben Dionysos zusammen ange- ordnet waren. Die Kopfe dieser Gestalten fehlen ganzlich, doch sind ihre Stellungen durch den Halsansatz hinreichend angedeutet und durch die sogenannte Carrey sche oder Eaidherbesche Zeichnung bestatigt. Sonst ist eine bestimmt andeutende Charakteristik nicht vorhanden. Wohl aber ist die Annahme durch- aus begriindet, daO diese zwei wichtigen Gottinnen nebeneinander und an der Seite des Dionysos gedacht waren. Die niedriger, unmittelbar beim Dionysos sitzende, ware meiner Ansicht nach die Hestia. Sie sieht wie Dionysos vor sich hill und scheint ebensowenig wie dieser von dem groBen Ereignisse etwas bemerkt zu haben, wahrend die hoher sitzende zweite Statue, Demeter, sie darauf aufmerksam zu machen scheint. 12 An beiden Statuen habe ich die fehlenden Teile erganzt, jedoch eben- falls keine Attribute beigesetzt, da hierfivr keine weiteren Anhaltspunkte vor- handen sind. Die Statuen haben keine Plinthen, sondern sind unmittelbar auf den Giebelboden aufgesetzt, und nehmen die zweite groBere Halfte der Platte 5 ihrer ganzen Tiefe nach, dann die ganze Platte 6 derart ein, dab der linke Vorfub der hoher sitzenden Statue schon auf die Platte 7 hiniiberreicht. Die jugendliche, eilig fortschreitende Statue neben der vorbesprochenen Frauengruppe mochte ich als Persephone bezeichnen, die sich beeilt, ihrer Mutter, der G 5 ttin Demeter, die Nachricht von dem Ereignisse zu iiber- bringen. An dem im British Museum befindlichen Originaltorso kann die Wendung des Kopfes dieser Statue durch den vorhandenen Halsansatz durchaus sicher festgestellt werden. Der Kopf wendet sich gegen die Mitte des Giebels zu- riick, indem er sich zugleich ein wenig nach vorne streckt, um nach der Mitte hin besser sehen zu konnen. Das an dem Torso vorhandene Stuck wallenden Gewandes am Riicken zwingt die Erganzung der beiden Arme derart vorzunehmen, dab dieses wallende Gewand von beiden Handen, ent- sprechend dem Zuge der Statue, festgehalten wird. Diese Statue hat eine starke Plinthe, welche jedoch zum grobten Teil in den Giebelboden eingelassen erscheint, und zwar vermutlich deshalb, well die Statue sonst an dieser Stelle in der Hohe des Giebels keinen Platz hatte; dann aber auch, um den Ubergang zu den hoher stehenden und sitzenden Statuen, welche gegen die Mitte des Giebels zu nun durchwegs mit Plinthen versehen sind, etwas zu vermitteln. Diese erste stehende Statue nimmt fiir ihre Plinthe etwa drel Viertel der Platte 7 und ein Drittel der Platte 8 ein, und zwar vom vorderen Giebel- rande und von der Giebelwand ungefahr gleich weit entfernt. Obwohl alle diese Statuen im Vergleiche zu den Resten des westlichen Parthenongiebels sehr gut erhalten sind, erforderte ihre Erganzung doch die eingehendsten und gewissenhaftesten Studien, zu denen man sich iibrigens durch die prachtvollen Torsi von selbst hingezogen fiihlt. Damit ist auf der rechten Seite die Rekonstruktion der vorhandenen Reste beendet; eine Fortsetzung gegen die Mitte zu schien mir wegen Mangels jedes anleitenden Anhaltspunktes als vollkommen aussichtslos. Ich wandte mich also der linken Giebelecke zu, um auch hier vor allem das Vorhandene zu erganzen und den dafiir bestimmten Platz festzustellen. 13 In der linken Ecke war Selene, ihr Viergespann hinunterlenkend, dargestellt. Das Bruchstiick dieser Gestalt lafit ebenfalls die Kopfstellung und die Bewegung der beiden Arme ganz unzweideutig erkennen. Audi kann der Platz fiir diese Statue, von welcher nur der Oberkorper als noch liber Wasser befindlich dargestellt war, durchaus verlafjlich angegeben werden. Diese Halbfigur stand im Hintergrunde auf der Platte 23, ganz nahe an der Platte 22, und erschien von den gestreckten Fiifien der nachsten grofien, liegenden Statue teilweise uberschnitten. Von den vier Pferdekopfen sind drei noch vorhanden. Der erste und zweite Kopf in der aufiersten Ecke des Giebels befinden sich noch oben auf dem Giebelboden, sind jedoch stark verwittert und durch das auf sie herab- gesunkene Gesimsstiick etwas verschoben. Dieselben nehmen ungefahr die ganze Platte 25 in Anspruch. Der dritte Kopf, am besten erhalten, befindet sich, wie auch das Bruch- stiick der Selene, im British Museum. Er ist oben uber dem Auge und dem Ohre, desgleichen unten beim Gebifi, an der inneren Seite stark, jedoch dem Bediirfnisse entsprechend, sehr genau, mit der gehorigen Vorsicht, ab- sichtlich eingemeifielt, um das untere und zugleich das obere Gesims zu liberschneiden, da die Hohe im Giebelraume an diesem Platze zu gering ist, der Kiinstler aber sich offenbar freier bewegen wollte, Der Kopf stand auf der vorderen Halfte der Platte 24 und einem kleinen Teil der Platte 25; er war offenbar, um nicht hinunterzusturzen, auf dem Giebelboden verankert, wovon die Spuren noch ganz deutlich wahrnehmbar sind. Der vierte Plerdekopf fehlt vollstandig; doch lassen die auf dem Giebel- boden noch vorhandenen Spuren deutlich erkennen, dal 3 auch dieser Kopf mit besonderer Vorsicht verankert war, um seinen Absturz zu verhindern. Der Halsansatz war bei diesem Kopfe der langste, und die vorhandenen Spuren zeigen auch, dafi er, sowie der dritte, ganz knapp vorne am Rande des Giebelbodens auf der Platte 24 versetzt war. Dieser Kopf mufite ganz neu gemacht werden, wozu das zum dritten Kopfe gehbrige vorhandene Original im British Museum beniitzt wurde. Dies konnte ganz unbedenklich geschehen, da diese vier Pferdekopfe weiter keine besonderen Unterschiede aufweisen sollen. Sowohl an der Lenkerin des Viergespannes als auch an den Pferdekopfen ist das Hinuntersteigen klar zum Ausdruck gebracht. Die nachste, eng daranschliefiende, aus einem Stiicke Marmor gemeillelte Gruppe der bekannten zwei weiblichen Gestalten, wovon die eine, halb aus- 14 gestreckt liegend, mit dem Oberkorper und mit dem Kopfe an die neben ihr sitzende Gestalt angelehnt ist, konnte ebenfalls mit Beachtung der vor- handenen Merkmale mid der Carreyschen Zeichnung eiitsprechend erganzt werden; auch hier hielt ich es fiir ratsam, keine Attribute anzubringen. Die Kopfe dieser beiden Gestalteii sind in vollster Ruhe vor sich hinblickend gerichtet, und man sieht, dab sie von dem Ereignisse in der Mitte des Giebels noch durcliaus unberuhrt sind. Der ganz fehlende rechte Arm der sitzenden Statue mufi ein Gewandstiick gehalten haben, welches vom Riicken dieser Gestalt ganz frei aufzusteigen scheint und nahe am Rucken ab- gebrochen ist. Diese zwei Gestalten nehmen die Flatten 21 und 22, ferner noch einen kleinen, vorderen Teil der Platte 23 in Anspruch. An dieser letzteren Stelle iiberschneiden die Fiisse der liegenden Statue die auf derselben Platte 23 im Hintergrunde befindliche Halbfigur der Selene. Ganz unmittelbar zu diesen zwei Frauengestalten gehort auch die nachste sitzende, welche den Oberkorper und Kopf gegen die Mitte des Giebels hin zuwendet. Der Ellbogen des rechten, das Gewand haltenden Amies der vorbesprochenen sitzenden Statue stiitzt sich auf den Oberschenkel dieser Gestalt, was durch die aus diesem Anlasse daselbst ausgemeibelten Falten klar nachweisbar ist. Hierdurch wird die innige Zusamniengehorigkeit dieser drei Frauengestalten ganz unzweifelhaft. Von wissenschaftlicher Seite wurden fiir die Benennung dieser Gruppe von drei Statiien zwei Ansichten vor- gebracht; die eine geht dahin, diese Gestalten als die drei Schicksals- gottinnen Lachesis, Klotho und Atropos zu bezeichnen, wahrend die andere Ansicht die drei Tauschwestern Pandrosos, Aglauros und Herse, Tochter des Kekrops und Dienerinneii der Athena, als hier befindlich bezeichnet. Diese drei Frauengestalten sitzen oder lehnen nicht in Sesseln, wie dies wenigstens bei der dritten irrtilmlich angenommen wurde und wie dies bei den zwei Frauengestalten auf der anderen Seite des Giebels der Fall ist, sondern sie haben die blolJe Erde oder einen Felsen als Sitz, beziehentlich als Lagerstatte. Auch der abgesprungene Teil des Sitzes der dritten Statue mull als Erde oder Felsen, nicht aber als Sessel gedacht werden. Auch dies ist fiir mich ein Grund, mich der Ansicht, es seien die drei Tauschwestern, anzuschliefien. Diese dritte Statue nininit die Platte 20 vollstandig ein. Die Aufstellung dieser drei Frauengestalten ist durch die vorhandenen klaren Spuren auf dem Giebelboden bestimmt, und es kann in dieser Be- ziehung kein Irrtum oder Zweifel bestehen. 15 Unter den noch erhaltenen Statuenresten ist fiir diese Giebelecke urn eine Statue weniger vorhanden als fiir die andere. Urn eine moglichst gleich- inafiige Raumeinteilung zu erzielen, hielt ich es fiir wiinschenswert und not- wendig, zu der jugendlichen, lebhaft schreitenden weiblichen Gestalt der rechten Giebelecke ein entsprechendes Gegenstiick herzustellen, und suchte nach einem Motiv, welches mir die Moglichkeit bietet, eine jugendliche, mann- liche Gestalt, ebenfalls in lebhafter Bewegung, an die zuletzt sitzende weib- liche Gestalt anzureihen. Da hier schon vier weibliche Gestalten hinter- einander angebracht sind, hielt ich eine mannliche Statue fiir giinstig und auch geboten. Als solche erschien mir nach reiflicher Uberlegung die Gestalt des Hermes am geeignetsten. Da die letzte weibliche, sitzende Gestalt, dem Halsansatze zufolge, ganz klar den Kopf gegen die Mitte des Giebels zu wendet, als diirfte sie auf den Vorgang daselbst aufmerksam geworden sein, beniitzte ich diese Gebarde, um den Hermes, als allgemeinen Gotterboten, in jugendlicher Gestalt hier derart anzuordnen, als wiirde er den drei Frauengestalten die Nachricht von dem Ereignisse iiberbringen. Diese Darstellung schliebt sich ganz sinnvoll und ungezwungen an die vorhandenen Statuen an, und gleicht den auszufiillenden Raum, entsprechend der anderen Ecke, giinstig aus, so dab sich nun die grobe, leere Mittelflache nach beiden Seiten des Giebels hin gleichmabig ausdehnt. Die Gestalt des Hermes bildet hier, ahnlich wie die der Persephone auf der rechten Seite des Giebels, gegen die Mitte hin eine Art Abschlub, indem es auch hier wegen des ganzlichen Eehlens anleitender Motive un- moglich ist, eine Eortsetzung durchzufuhren, zumal die Anhaltspunkte auf dem Giebelboden an dieser Stelle ebenfalls weniger deutlich werden, Eiir diese Hermesstatue wurde die Platte 19 ganz benutzt. Es sind somit etwa zwei Drittel der Platte 8 und dann alle Platten bis ein- schlieblich 18, folglich im ganzen etwas liber 10V2 Platten leer. Diese io'/2 Platten bilden den Schauplatz des eigentlichen, ganz neu darzustellenden Vorgangs. Ganz ahnlich wie beim Westgiebel besteht die ganze ostliche Giebel- gruppe ebenfalls aus drei groben und zwei kleineren Gruppen. In der Mittelgruppe, welche nach den Ergebnissen meiner Studien und Untersuchungen aus sechs groberen und drei kleineren Statuen bestand, wird das Ereignis dargestellt. Unmittelbar neben der Mittelgruppe, zum Teil sich derart dahinter schiebend, daO eine Doppelstellung von Statuen entsteht, befindet sich auf jeder Seite eine Gruppe von sechs kleineren Gestalten. 16 Endlich ist in jecler Ecke eine kleine Gruppe mit je einem oberen Teil einer Statue und vier Pferdekopfen ; auch diese Gruppen verschieben sich gegen die Mitte des Giebels zu hinter die vorerwahnten kleineren Gruppen so, dab auch hier Doppelstellungen entstehen. Um nun die Rekonstruierung der grofien Mittelgruppe, in welcher der Vorgang dargestellt war, in moglichst wahrscheinlicher und iiberzeugender Weise vornehmen zu konnen, mufite vor allem der Versuch gemacht werden, eine sitzende Zeus-Statue mit einer stehenden Statue der Athena derart an- zLiordnen, dafi die beiden Gestalteii in kunstlerischer Beziehung und in der Raumverteilung sich ungefahr das Gleichgewicht halten. Dabei raubten die Spuren auf dem Giebelboden strenge beriicksichtigt werden. Soviel stand fest, dab von den vorhandenen bekannteii, alten und neuen Darstellungen der Geburt der Athena fur diesen Platz keine auch nur teil- weise zu verwenden war. Schon Professor Sauer hat seinerzeit ganz richtig den beiden Mittel- statuen Zeus und Athena die Platten 12, 13 und 14 als Standplatze zuge- wiesen und damit die einzig richtige Idee, die seitens der Eachgelehrten allerdings schon friiher angedeutet worden ist, vertreten. Nun zeigte sich bei meinen diesbezuglichen Versuchen, dab die kleine Erhohung in der Mitte des Giebelbodens, die auch auf den durch Professor Sauer ausgefiihrten Aufnahmen verzeichnet ist, fur den vorderen Rand der Plinthe unter der Statue des Zeus bestimmt war. Offenbar wollte man es beim ^Arsetzen der schweren Statue vermeiden, dab die Ecken der Giebelplatten zu stark be- lastet werden, da die Befiirchtung, dieselben konnten unter der grofien Last abgesprengt werden, durchaus gerechtfertigt war. Die Statue stand demnach mit dem vorderen Rande der Plinthe auf der schiefen Erhohung, dann aber mit dem mittleren Teil auf den beiden eisernen Stiltzen, deren Spuren vor- handen sind, und endlich mit dem riickwartigen Teil der Plinthe auf dem zweiten Drittel der Platte 12, deren vordere Halfte abgebrochen ist, und auf deren noch erhaltenem Reste die Spuren zu verwittert, also nicht ganz klar wahrnehmbar sind. Die schiefe Stellung dieser Erhohung deutet zugleich die Richtung an, welche die Statue des Zeus einnehmen mub. Wegen der geringen Tiefe des Giebels ist es namlich aus technischen Griinden ganz unmoglich, die Zeus-Statue in der reinen Vorder- oder Seitenansicht anzuordnen. Die Statue mub infolge ihrer Grobe derart verschoben werden, dab die \Arderansicht derselben der schiefen Erhohung auf dem Giebelboden ungetahr 17 3 entspricht; erst^dann ist es moglich, fiir den Sitz und fur die Achselbreite dieser Gestalt den notwendigen Raum zu gewinnen. Dabei mufi die Figur in ahnlicher Weise aufrecht sitzend dargestellt sein, wie dies am besten an der Miinze von Elis mit dem Zeus des Phidias zu sehen ist; keinesfalls darf sie, und zwar sowohl wegen der auf dem Giebelboden vorhandenen Spuren als auch wegen der Unmoglichkeit eines entsprechenden Gegenstiickes zu der stehenden Athena, in die Breite gestreckt angeordnet werden, wie sie am Friese des Parthenon und auch sonst ofters dargestellt ist. Mithin ist die Stellung der Zeus-Statue durch die vorhandenen Bedin- gungen, denen unter diesen Umstanden entsprochen werden mufi, strenge genommen gegeben und durchaus gerechtfertigt. Den Kopf mit Olzweigen geschmiickt, halt Zeus in der Rechten den Donnerkeil und in der linken den Scepter; seine ganze Haltung zeigt Ruhe und Zufriedenheit. Dala die Statue in ihren Einzelheiten genau so dargestellt war, wie es diese Rekon- struktion zeigt, darf allerdings nicht behauptet werden, wohl aber, dafi die- selbe in der Hauptsache den Platz in dieser Weise ausgefiillt hat. Durch diese Anordnung sind auch die eisernen Stiitzen, deren Spuren auf dem Giebelboden vorhanden sind, vollkommen erklart und gerechtfertigt. Die Statue nimmt entsprechend den Spuren auf dem Giebelboden von den Flatten 12 und 13 ungefahr je zwei Drittel in Anspruch. Unmittelbar neben der Plinthe der Zeus-Statue ist der Platz fiir die Plinthe der Athena-Statue ebenfalls deutlich gekennzeichnet. Die Statue der Athena als Gegenstiick war offenbar — zur Erzielung moglichster Klarheit der Darstellung in so bedeutender Hohe — der Athena- Gestalt des Westgiebels im ganzen ahnlich. In aufrechter Stellung schreitend, wendet sie ihr Antlitz ihrem Vater zu, entsprechend dem in Homers Hymnus ausgedriickten Gedanken iiber die Geburt der Athena. Meiner Uberzeugung nach fand Phidias in diesem Hymnus Homers die Idee fiir die Darstellung dieses Ereignisses. Diese Darstellung pafit vortrefflich fiir den Kultus der damaligen Zeit, fiir die Stellung der Eiguren nach den Spuren auf dem Giebelboden, und stimmt auch mit den Anschauungen der damaligen Dichter vollkommen iiberein. Athena springt als kriegerische Blitz- und Siegesgottin gleich in voller Riistung aus dem Haupte des Zeus hervor, mit strahlenden Waffen und mit der geziickten Lanze. Die Statue der Athena ist lebhaft und machtig, ahnlich wie im West- giebel, jedoch in kiinstlerischer Beziehung als ein entsprechendes Gegenstiick zur Statue des Zeus angeordnet. 18 t Durch diese Anordnung sind die Bedenken, welche sich gegen die beiden andern, die gegenseitige Stellung der zwei Hauptfiguren in der Mitte des Giebels betreffenden Vorschlage aufdrangen, durchaus behoben; weder Zeus noch Athena bilden eine Mittelfigur. Ware Zeus in der Mitte, so mufite Athena eine Nebenfigur werden, was ganz ungerechtfertigt erscheinen wiirde, da ja ihr der Tempel geweiht war, Athena als Mittelfigur ist aber deshalb nicht gut denkbar, weil sonst Zeus, ihr Vater und zugleich der Vater der Gotter, zur Nebenfigur werden mufite, was mit der damaligen Auffassung unmoglich zu vereinbaren ist. In meiner Rekonstruktion werden die beiden Statuen als ungefahr gleichwertige Hauptgestalten hingestellt, was dem Mythus der damaligen Zeit vollkommen entspricht. Nach Homer stellt Zeus die Weisheit seiner Tochter zuweilen seiner eigenen gleich, indem er einen wichtigen Beschlufi verschiebt, bis er sich mit seiner Tochter beraten hat. Demnach scheint es g'erechtfertigt und begriindet, die Athena als Gegenstiick zu ihrem Vater Zeus darzustellen, zumal diese Auffassung zugleich als die erhabenste bezeichnet werden kann. Diese Statue nimmt etwa ein Drittel der Platte 13 und nahezu die ganze Platte 14 ein, so dafi von letzterer nur nahe an der Giebelwand ein kleiner Teil frei bleibt, Durch diese Darstellung entsteht aber oben in der Mitte des Giebel- feldes ein freier Raum, ahnlich wie auch beim We'stgiebel, wo das Sieges- zeichen des Olbaumes den freien Raum in Anspruch nimmt. Es ist nun ganz naheliegend, dafi auch im Ostgiebel dieser Mittelraum oben durch eine ahnliche wichtige Erscheinung in Anspruch genommen ist, als welche dann aber nur die Nike in Betracht kommen kann. Die Anwendung der Nike als Verbindung zwischen Vater und Tochter haben seinerzeit auch Professor Sauer und Dr. J. Six in ihren Abhandlungen in Vorschlag gebracht; nur bedingt die plastische Ausfuhrung dieser Idee eine etwas andere Losung, als sie von diesen Gelehrten vorgeschlagen wird, da diese von wissenschaftlicher Seite vorgeschlagene Art der Darstellung ohne entsprechende Ausnutzung und Beriicksichtigung des vorhandenen Raumes im Giebel allzu leicht einer Reliefdarstellung gleichsehen wurde. Dafi die Nike als schwebend dargestellt und nur an der Giebelwand befestigt war, kann man mit aller Berechtigung annehmen. Dadurch wird auch das Eehlen der mittleren Giebelwand seit jener Zeit, da auch die Reste der Mittelgruppe verschwunden sind, leicht erklarlich. Offenbar wollte man 19 seinerzeit die ganze Mittelgruppe von ihrem Platze entfernen; da dies jedoch wegen der guten und sicheren Befestigung nicht leicht ausfuhrbar war, so wandte man grofie Gewalt an, wobei der mittlere Teil der Giebelwand samt den Statuen, die daran stark befestigt waren, herunter gestiirzt ist, Es ist hier zu bemerken, dafi die bekannte Nike des Paionios, der bekanntlich ein Schuler des Phidias war, den Eindruck auflcommen lafit, als wiirde das Motiv des Schwebens, welches fiir die damalige Kunstepoche als ein sehr kiihnes bezeichnet werden darf, von Phidias stammen und im Parthenongiebel zuerst angewendet worden sein. Diese Meinung bringt schon Dr. j. Six vor, und auch mir scheint sie sehr zutreffend. Die Befestigung der Nike durch Metalldubel an der Giebelwand ist durchaus mog'lich und ganz ungefahrlich. Bei Besichtigung der Nike des Paionios kann man sich indessen des Gedankens nicht erwehren, dafi die verhaltnismassig wenig kiinstlerische Ausfuhrung dieser Statue mit der fur die damalige Zeit unge- wohnlich kuhnen Idee nicht recht in Einklang zu bringen ist. Die frei schwebende Nike, welche in diesem Ealle die zwei Haupt- gestalten Zeus und Athena zu einer geschlossenen Gruppe verbindet, wirkt an diesem Platze sowohl in kunstlerischer als auch in wissenschaftlicher Be- ziehung derart gunstig, dafi dadurch wohl die imgewohnliche Bedeutung der Phidiasischen Kunst vollkommen zum Ausdruck gelangt. Eine schonere und sinnigere Gruppierung zur Darstellung dieser Idee lafit sich kaum denken. Deshalb bin ich auch iiberzeugt, dafi diese Losung im allgemeinen richtig ist, umsomehr als dieselbe mit alien vorhandenen Spuren und Merkmalen iiber- einstimmt, sowie auch den kunstlerischen und wissenschaftlichen Anforderungen entspricht, die an ein so bedeutendes und beriihmtes Kunstwerk gestellt werden. Im Parthenongiebel schwebt die Nike zwischen den beiden Hauptgott- heiten und wendet sich der Athena zu, ihr den Siegeskranz reichend, wahrend Zeus bereits bekranzt ist. Unmittelbar sowohl neben Zeus als auch neben Athena weisen die Spuren auf dem Giebelboden auf je eine im Hintergrunde stehende Statue hin, welche sich der Giebelwand anschmiegt, wahrend im Vordergrunde, von der Mitte etwas mehr entfernt, beiderseits die Anzeichen grofier Plinthen, von je einer offenbar grofien sitzenden Statue herriihrend, wahrnehmbar sind. Dafi diese letzteren Statuen Gruppen gewesen sein konnten, wird dadurch widerlegt, daf) nur je eine, aber sehr bedeutende eiserne Stiitze in der Richtung, wo vermutlich die grofite Last war, nachweisbar ist; auch die ungeteilte Eorm der Plinthe weist nur auf je eine Statue hin, da eine Gruppe in dieser Grofie 20 aus technischen unci praktischen Griinden gewil?) geteilt gewesen ware, was dann wieder auf dem Giebelboden an den Plinthenspuren bemerkt werden miifite. Bei den Versuchen an der Wachsskizze babe ich seinerzeit auch die Gottin Eileithyia, ebenso auch den Herakles anzuordnen versucht, mufite aber bald einsehen, dab eine Anordnung dieser beiden Gestalten in der Giebelgruppe nicht gut moglich erscheint, obwohl diese Statuen zu jener Zeit gelegentlich auch als bei der Geburt der Athena anwesend erwahnt werden. In der Nahe der Hauptgruppe haben diese Statuen derartige Storungen in der Beniitzung der Plinthenspuren auf dem Giebelboden hervorgebracht, dab ich zu der Uberzeugung gelangte, Phidias habe sich gewib dieser Idee nicht angeschlossen, sondern eine feierlichere uud wurdevollere angestrebt. Auch iiber diese Idee habe ich die Meinungen und Ratschlage der bedeu- tendsten Parthenon-Forscher eingeholt. Nach einigen Ausfuhrungen der bedeutendsten Dichter des V. und VI. Jahrhunderts v. Chr. G. waren bei der Geburt der Athena die zwolf groben Gotten versammelt, namlich Zeus, Hera, Athena, Poseidon, Hephastos, Apollo, Ares, Artemis, Aphrodite, Hestia, Demeter und Hermes. Gewib hat Phidias diese Sage gekannt, und man kann mit aller Wahr- scheinlichkeit annehmen, dab er die grobe Ausdehnung des Giebelfeldes dazu beniitzte, diese zwolf Gotten versammelt darzustellen. Unter diesen zwolf Gotten! sind nach Zeus und Athena die zwei bedeutendsten Hera und Poseidon. Diese beiden Gottheiten versuchte ich auf die groben Plinthen in entsprechenden Stellungen sitzend als Gegenstucke anzuordnen, und gewann bald den Eindruck, dab ich offenbar auf der richtigen Fahrte bin, indem diese beiden Statuen in der Grobe zu den beiden mittleren Hauptgottheiten gut passen, dabei aber doch den Ubergang zu den kleineren Gottergestalten, die sich an sie anschlieben, in kiinstlerisch giinstiger Weise vermitteln. Ob die Gestalten genau in derselben Stellung angeordnet waren, wie dies meine Rekonstruktion zeigt, labt sich natiirlich nicht feststellen; dab dies aber im groben und ganzen der Fall war, davon bin ich durchaus iiber- zeugt, da auch hier alle Anhaltspunkte vollkommen zutreffen und gar nichts wesentliches und stichhaltiges weder in kiinstlerisch er noch in wissenschaft- licher Beziehung dagegen vorgebracht werden kann. Im Westgiebel ist die Vermittlung der Hauptgruppe mit den Neben- gruppen durch die beiden Pferdegespanne unauffallig hergestellt und die kiinstlerische Aufgabe hierdurch wesentlich erleichtert; nicht so hier, wo 21 die Goltergestalten ohne elne clerartige Unterbrechung nebeneinander an- geordnet sind. An der Seite des Zeus habe ich demnach die thronende Hera in sicht- licher Uberraschung, aber — bei der unvermittelt plotzlichen Erscheinung der wunderbaren Zeustochter — dennoch ihre ruhige Wiirde bewahrend dargestellt; sie halt in ihrer Rechten den Scepter mit dem Granatapfel, wahrend die Linke in Verwunderung mabig gehoben ist. Diese Statue hat fiir ihre Plinthe vorne einen kleinen Teil der Platte 12, dann die ganze vordere Breite der Platte 1 1 und etwa zwei Drittel der (fast ganz ausgebrochenen) Platte 10 in ihrer ganzen Tiefe in Anspruch genommen. Auf der Platte 10 war eine Starke eiserne Barre eingesetzt, die schief bis in die Platte 1 1 hineinreichte, um die Marmorplatten auf dem Giebelboden etwas zu entlasten. An der Seite der Athena ist Poseidon, auf seinem Throne sitzend, dar- gestellt; in seiner ganzen Haltung ist — bei aller Wiirde — eine heftige Uberraschung ausgedruckt. Poseidon halt in der Linken den Dreizack, auf welchen er sich stiitzt, wahrend seine Rechte lebhaft nach seinem Mantel greift. Diese Statue nimmt noch etwas mehr Platz ein als ihr Gegenstiick, die Hera; es sind fiir sie nahezu zwei Drittel des vorderen Teiles der Platte 15, dann die ganze Platte 16 und nahezu die Halfte der Platte 17 in ihrer ganzen Tiefe verwendet. Auch hier war die Platte 16 durch eine starke eiserne Barre entlastet. In den Proportionen sind diese beiden Gestalten etwas kleiner als die Statue des Zeus und iiberschneiden teilweise die im Hintergrunde an- geordneten zwei Statuen. Unmittelbar neben Zeus und Athena, jedoch mehr im Hintergrunde, lassen die Spuren auf dem Giebelboden, wie vorhin bereits bemerkt, je eine stehende, breit an der Giebelwand angeordnete Statue vermuten. Diese beiden Gestalten haben in kiinstlerischer und auch in wissenschaftlicher Be- ziehung weit mehr Studium und Uberlegung erfordert, als man in Anbetracht ihrer Aufstellung im Hintergrunde, also ihrer scheinbar geringeren Bedeutung, annehmen mochte, Wie aus den wissenschaftlichen Forschungen schon lange bekannt ist, sind zwei Torsi vorhanden, ein weiblicher und ein mannlicher, von denen der erstere mit den beiden Oberschenkeln, den beiden Achseln und auch sonst ziemlich gut erhalten, im British Museum, der letztere, nur noch mit den Hiiften und den beiden Achselkopfen versehen und mehr verwittert. 22 im Akropolis-Museum sick befinden, Diese beiden Torsi werden in Anbetracht ihrer ganzen Auffassung und Durchfuhrung sowohl von den Gelehrten, als auch von den sachkundigen Kiinstlern wohl einstimmig als zum ostlichen Parthenon- giebel gehorig anerkannt. Auch ich konnte bei der Besichtigung dieser beiden Torsi in London und in Athen keinen andern Eindruck gewinnen. Die Proportionen dieser beiden Korper sind derart, dab sie sich ungefahr wohl das Gleichgewicht halten konnten; dock ist der weibliche Torso eher etwas kleiner, selbst wenn man das allgemeine, gewohnliche Grobenverhaltnis der weiblichen Gestalt zur mannlichen in Betracht zieht. Diese beiden Korper zeigen eine ganz ungewohnliche Aufregung. Versucht man eine Erganzung dieser Torsi in den angegebenen Ver- haltnissen, so mub man zu der Uberzeugung kommen, dab diese Torsi von Statuen herriihren, welche sich unmittelbar neben den die Mitte des Giebels einnehmenden zwei groben Gottergestalten befunden haben miissen. Jeder Versuch, sie von der Mittelgruppe mehr seitwarts zu schieben, wird wegen der absteigenden Hohe des Giebelraumes unmoglich. Nach eingehenden Studien entschlob ich mich dazu, diese beiden Torsi vorerst so zu erganzen, wie es durch die betreffenden, noch vorhandenen Reste geboten erscheint, und gewann bald die Uberzeugung, dab diese beiden Statuen diejenigen sein rniissen, welche einerseits unmittelbar neben Zeus, anderseits neben Athena den im Hintergrunde vorhandenen Raum eingenommen haben. Bekanntlich hat der im British Museum befinclliche weibliche Torso in der Gegend der Schulterblatter zwei grobe, ausgemeibelte Locher, in welchen, alien Anzeichen nach, zwei machtige Eliigel ihren Halt gefunden haben. Reste dieser Eliigel befinden sich teils im Akropolis-Museum, teils im British Museum, und der Ansatz eines von diesen Eliigeln pabt auch ganz gut in eines der ausgemeibelten Locher. Dieser Versuch wurde in Gegenwart des Direktors der antiken Sammlungen am British Museum, Dr. A. S. Murray, ausgefuhrt, als ich meine Studien daselbst verfolgte. Interessant ist dabei, dab die Eliigel auf durchaus natiirliche Art un- mittelbar aus dem Korper herauswachsen. Das Gewand ist an dieser Stelle riickwarts mit einem Bande eigens zusammengezogen, damit die Eliigel in ihrer Bewegung nicht behindert werden konnen. Dieser letztere Umstand zeigt zugleich, wie gliicklich der Kiinstler die ideale Auffassung mit der naturalistischen vereinen und zum Ausdruck bringen konnte. Nun hatte ich zu untersuchen, ob es moglich ist, eine gefliigelte Gestalt, die aber in keinem Ealle eine Nike sein kann, mit irgendwelcher Begriindung in der Nahe der zwei Hauptgotter anzubringen und dabei die notwendigen Bedingungen einzuhalten. Dafi diese Statue nicht an der Seite der Athena stehen konnte, wird schon auf den ersten Blick klar; denn die Bewegung, welche von dem vorhandenen Torso ausgeht, macht dies dadurch ganz un- moglich, dafi der linke Arm und Fliigel dieser Statue stark in die Hohe streben mufi, wenn die im Original angegebene Bewegung nicht plotzlich in sehr storender Weise als unterbrochen erscheinen soil. Die Statue kann dem- nach nur an der Seite des Zeus, und zwar in seiner unmittelbarsten Nahe postiert gewesen sein. Die Entfernung der beiden vorhandenen Knie voneinander iibertrifft weit das normale Mafi eines raschen Schrittes und zeigt von ungewohn- lichem Ungestum und von grofiter Aufregung. Im dritten Buche der Iliade wird die Gotterbotin Iris wiederholt genannt und in dieser Zeit vornehmlich als eine Botin des Zeus angefiihrt. Es war nun gewifi eine gliickliche Idee des Phidias, die Iris-Gestalt zwar nicht als gleichwertig, aber durch die Umstande durchaus berechtigt, im Hintergrunde zwischen die grofien Gottergestalten Zeus und Hera zu versetzen und damit kunstlerisch eine prachtige Abwechslung herzustellen. Der so dargestellte Vorgang ist in diesem Ealle weniger eine Illustrie- rung nach irgend einem Dichter; er ist offenbar fiir diesen Platz, ohne gegen die damaligen Ideen irgendwie zu verstofien, vom Kiinstler frei erdacht und angeordnet. Iris ist in hochster Aufregung und eilt dahin, das grofie Ereignis der Welt zu verkiinden. Die Berechtigung, diese Gestalt, obwohl sie nicht zu den Hauptgottern gehort, an dieser Stelle anzuordnen, kann keinem Zweifel unterliegen. Auch entsprechen dieser Anordnung sowohl der vorhandene Torso selbst, als auch die Spuren auf dem Giebelboden und ebenso die erganzte Stellung dieser Statue. Auch die Stellung der Fliigel ist an dem vorhandenen Torso insoferne angedeutet, als man klar sehen kann, dafi der rechte Fliigel knapp am rechten Arme sich ausbreitete, wahrend der linke Fliigel vom linken Arme weof schief in die Hohe sich frei entfalten konnte. Die Gestalt ist in vollem Fluge und beriihrt wohl nur aus technischen Griinden mit den Zehen den Boden der Plinthe. Es ist nichts anderes als die homerische, windschnell eilende Iris. Die Statue mit der Nike zu verwechseln ist wohl kaum mog- lich, da die kurze Bekleidung ebensowenig wie die ungestiime Bewegung mit dem Charakter einer Nike zu vereinen ist. 24 Da die Statue ihrer ganzen Form nach nicht selbstaiidig stehen konnte, so war sie offenbar durch eine Stiitze, die von der Plinthe gegen den oberen Teil des rechten Oberschenkels zustrebte, gehalten, was an dem Original- torso trotz der grofien Beschadigung noch wahrzunehmen ist. Aufierdem kann sie auch an der Giebelwand befestigt gewesen sein. In dieser Stel- lung kann die Statue, etwa wie der Hermes im Westgiebel, ohne alle Gefahr im Hintergrunde ganz wohl angebracht gewesen sein, da sie ja iiber- dies auch noch durch die teilweise vor ihr sitzende grofie Statue der Hera festgehalten wurde. Keinesfalls aber kann diese Statue vorn und frei angeordnet gewesen sein, da sie ganz unmoglich, und zwar weder durch Klammern noch durch sonstige eiserne Stutzen sicher und verlafilich hatte festgehalten werden konnen. Selbst sehr starke Diibeleisen waren nicht imstande, diese Statue voni im Giebel verlafilich festzuhalten. Deshalb mub jeder derartige Vor- schlag als technisch unmoglich bezeichnet werden. Fur den Stand dieser Statue wurde etwa die Halfte der Platte 12 und die gauze Platte ii, jedoch beide nur im Hintergrunde langs der Giebel- wand derart verwendet, dab davon an der schmaleren Stelle etwa 30 cm, an der breiteren hochstens 40 C 7 ii in Anspruch genommen waren. Hier war demnach eine teilweise Doppelstellung von Statuen vorhanden, indem diese Gestalt zum Teil hinter der groben, sitzenden Hera-Statue ihren Platz hatte. Bei dem mannlichen Torso, der als ein Gegenstiick der soeben be- sprochenen Statue der Iris gelten kann, sind die Umstande in vielfacher Beziehung recht ahnlich. Auch dieser Korper zeigt eine ungewohnliche Auf- regung; der Brustkorb ist hoch gehoben, alle Muskeln sind stark gespannt, und beide Achseln zeigen, dab die Arme erhoben waren. Durch die Muskel- bewegung in der Hiifte ist klargelegb dab der rechte Fub sowohl in der Hiifte, als auch im Kniegelenk gestreckt, der linke aber an diesen beiden Stellen gebogen war. Dadurch ist die Bewegung dieser Figur schon gegeben, und die naturliche Folge davon ist, dab der rechte Arm viel hoher kommt als der linke, obgleich beide fast gleichmabig in die Hdhe streben. Durch diese Umstande ist aber — sowie bei der vorigen Statue — der Platz, an welchem dieselbe gestanden sein kann, ganz deutlich an- gegeben. Auch diese Statue kann nur in unmittelbarster Nahe der zwei Hauptgestalten ihren Platz finden, und ihre ganze Anordnung deutet und pabt vortreft'lich auf den leeren Platz neben der Athena und teilweise hinter 25 4 der grofien, sitzenden Statue des Poseidon. Diesen Platz hat ihr librigens unter andern Gelehrten auch schon Prof. Sauer zugewiesen. Die Statue auf die entgegengesetzte Seite (zwischen Zeus und Hera) zu setzen, ist aus ahnlichen technischen Griinden unmoglich, aus welchen die gefliigelte Gestalt nicht neben Athena und Poseidon gesetzt werden kann. Welche mannliche Gottergestalt in so unmittelbarer Nahe der Haupt- figuren und in dieser Aufregung dargestellt sein konnte, ist unter diesen Um- standen nicht schwer zu entscheiden; es kann nur Hephastos sein, welcher in jenem Zeitabschnitte als derjenige Gott bezeichnet wird, der dem Zeus den Kopf gespalten hat. Diese Szene wird sonst ofters in der Weise dargestellt, dafi der Hephastos unmittelbar hinter dem Zeus stehend erscheint. Dafi diese Darstellung hier nicht angewendet wurde, kann sowohl in kiinstlerischer, als auch in wissen- schaftlicher Beziehung nur als ein Vorteil bezeichnet werden. Denn bei der Besichtigung derartiger Gruppierungen, in denen die Gestalt, welche dem Zeus den Kopf gespalten hat, sich hinter der Zeus-Statue befindet, drangt sich dem Beschauer unwillkurlich der Eindruck auf, dafi der Schlag von ruckwarts, also meuchlings . erfolgt ist. Diesen unangenehmen Eindruck hat der Kiinstler hier vermieden, indem er den Hephastos vor den Zeus so hinstellte, als wurde derselbe nach vollbrachtem Schlage mit dem Beile durch das plotzliche Erscheinen der glanzenden und hoheitsvollen Zeus- tochter, die er in dieser Weise offenbar nicht erwartet hatte, aufs hochste iiberrascht zurlickfahren. Dementsprechend liefi ich diese Gestalt in ihrer rechten Hand ein Beil halten, wahrend die linke blob die Gebarde der Uber- raschung ausdriickt, welche sich iiberhaupt in der ganzen Haltung des Gottes aufiert. Auch hinsichtlich der Zuweisung dieser Gestalt auf diesen Platz stimmen, ahnlich wie bei der vorbesprochenen Statue der Iris, alle vorhandenen Merk- male derart, dab auch gegen die Anordnung dieser Statue keinerlei be- rechtigte kiinstlerische oder wissenschaftliche Bedenken vorgebracht werden konnen. Die zwei kleinen Plinthenspuren auf Platte 14 weisen darauf hin, dab die Statue des Hephastos schon auf dieser Platte im Hintergrunde ihren Stand hatte, der sich, vorerst etwa 35 bis cm breit, und dann immer schmaler werdend, hinter der groben, sitzenden Statue des Poseidon an der Giebelwand uber die ganze Platte 15 hinzog, was wieder auf eine teilweise Doppelstellung von Statuen hinweist. 26 Somit habe ich alle Ursache, die von mir hier vorgebrachte Anordnung der grofien Mittelgruppe als in der Hauptsache richtig anzusehen. Es sind nur noch zu beiden Seiten dieser Gruppe, und zwar an den Flatten 9 mid 17, Spuren von kleinen Plinthen vorhanden, auf denen aber, wie mich meine diesbeziigiichen Versuche iiberzengten, nur kleine Statuen, etwa Kinder- gestalten, Platz haben konnten. Es scheint, dab mit diesen Kindergestalten, die ganz am vorderen Rande der Flatten angeordnet gewesen sein rniissen, die grobe Mittelgruppe in architektonischer und plastischer Beziehung ab- geschlossen war. Die eigentliche Mittelgruppe besteht demnach aus seeks groben und drei kleineren Gestalten; unmittelbar in der Mitte sind die zwei groben Statuen Zeus und Athena, welche durch die kleine Gestalt der zwischen ihnen schwebenden Nike zu einer engeren Gruppe vereinigt werden. Dieser Gruppe schlieben sick unmittelbar vier ebenfalls grobe Gottergestalten an, einerseits Hera und Iris, anderseits Poseidon und Hephastos, dann aber noch zwei kleine Gottergestalten, liber die ich in weiterer Eolge berichte. Durch diese letzteren sechs Statuen wird die engere Gruppe zu einer groben Mittelgruppe erweitert, ahnlich wie dies im Westgiebel durch die beiden Pferdegespanne und ihre Wagenlenkerinnen geschieht. Dab aber der schaffende Kiinstler bei den Giebelkompositionen diese Absicht hatte und auch durchfiihrte, labt sich durch die noch vorhandenen Spuren auf den beiden Giebelboden leicht und unwiderleglich nachweisen. Die weitere Verbindung der groben Mittelgruppe mit den ergiinzten, verhaltnismabig gut erhaltenen Resten der beiden Ecken des Giebelfeldes ist in vieler Beziehung weniger sicher; die Wahrscheinlichkeiten lassen sich nicht klar begriinden, hauptsachlich wohl deshalb, weil die Bedeutung der hier auf beiden Seiten des Giebels angeordnet gewesenen Statuen im ganzen geringer war. Dies war ja auch der Grund, warum ich es nicht flir empfehlenswert erachtete, die Rekonstruktion von den Eckgruppen aus gegen die Mitte zu weiter zu verfolgen; denn so wenig als man ein nur teilweise er- haltenes heroisches Gedicht durch schematisches Aneinanderfugen von Wortern wieder herstellen kann, ebensowenig kann man ein so ungewohnliches, plasti- sches Kunstwerk durch Aneinanderreihen von Statuen wirklich kiinstlerisch rekonstruieren. Es mub vor allem der Gedanke und die Absicht des Kiinstlers erkannt und erfabt werden. So gering nun die Spuren auf dem Giebelboden auch sind, flir die \Gr- bindung der groben Mittelgruppe mit den beiden Eckgruppen sind sie doch 27 von grofiter Bedeutung, und die Aufgabe, diese Verbindung herzustellen, wird durch ihr Vorhandensein immerhin wesentlich erleichtert. Dennoch mufi ich gestehen, dab die Beweisfiihrung fiir diesen Teil der Rekonstruktion sick nur darauf beschranken wird, einige Anhaltspunkte auf dem Giebelboden festziihalten; im iibrigen aber wird diese Verbindung in der Weise und mit solchen Gottergestalten hergestellt, dab eine Unwahrscheinlichkeit oder Un- mbglichheit weder in wissenschaftlicher, nock in kiinstleriscker Beziekung nackgewiesen werden kann. Da fur die Namen der kier angeordnet gewesenen Gottergestalten gar kein bestimmter Ankaltspunkt vorkanden ist, der neueste, diesbeziiglicke Vor- scklag des Prof. Sauer, wie ick spater ausfiikrlick darlege, auck kaum in Betrackt kommen kann, so kielt ick es fur das Geratenste, die Idee der vor- erwaknten, bei der Geburt der Athena als anwesend angenommenen zwolf Gotter weiter zu verfolgen. Von den bereits vorn angegebenen Namen der zwolf darzustellenden Gotter fehlen nock folgende vier Gottergestalten in dem Giebelraume; Apollo und Artemis, Ares und Aphrodite. Soweit es nun moglich ist, die nock vorkandenen Standplatze zu be- urteilen, sind allerdings auf jeder Seite zwei grobe Gottergestalten unbedingt notwendig, um den vorkandenen Raum entsprechend auszufullen ; dabei sind jedoch, wie bereits vorkin erwahnt, auf dem Giebelboden, unmittelbar neben den groben, sitzenden Statuen Hera und Poseidon, auck klare Anzeichen dafiir vorkanden, dal3 auber diesen groberen Gotterstatuen auf jeder Seite nock eine kleinere Kindergestalt angeordnet war. Nun hatte ich mich uberzeugt, dab bis auf weiteres gar keine Aussicht vorkanden ist, mehrere und bestimmtere Anhaltspunkte fiir diesen fehlenden Teil des Giebelschmuckes zu finden; deshalb entschlob ich mich dazu, diese vorgenannten vier Gottergestalten in der Weise kier anzuordnen, dab auf der Seite des Zeus, neben der Hera, die Statuen der Aphrodite und des Ares dargestellt werden, wobei die kleine Gotterstatue immerhin nicht un- wahrscheinlich, sondern ganz gut passend, als Eros angesehen werden konnte. Aphrodite erscheint durch den Glanz der pldtzlichen Erscheinung sehr iiberrasckt; sie halt in der Linken einen Teil ihres Gewandes und wendet den Kopf zum Ares, dem sie das Ereignis mitzuteilen scheint, wahrend ihre Rechte eine Gebilrde der Verwunderung ausdriickt. Die Statue steht im Hintergrunde und nimmt von der Platte 9 die kleinere, riickwartige Hillfte ein. 28 Ares ist — seinem Charakter entsprechend — aufgeregt and auch kampfbereit dargestellt; er beugt sich weit nach vorn, um die wunderbare Zeustochter, welche spater ofters seine Gegnerin werden sollte, besser sehen zu konnen. Er stutzt sich mit seiner Linken auf seinen Schild, wahrend die Rechte eine Lanze kampfbereit halt; dabei iiberschneidet sein linker Unter- schenkel den rechten Unterschenkel der vorgenannten Statue der Aphrodite. Ares steht auf etwas mehr als zwei Dritteln der Platte 8, welche er in ihrer ganzen Tiefe in Anspruch nimmt, und ragt noch etwas mit dem linken Vor- fulJe auf die Platte 9 hiniiber. Den kleinen, auf dem Giebelboden angedeuteten Platz vor der Statue der Aphrodite und unmittelbar hinter der sitzenden Hera nimmt der kleine Eros ein ; er tritt lebhaft vor und sein Wesen zeigt frohliche Neugierde. Vielleicht konnte diese Knabengestalt groBer sein; doch auf der kleinen Plinthe, welche ihr zur Verfugung steht, kann sie sich in dieser Grofie freier ergehen. Diese Knabengestalt steht unmittelbar vor der linken Seite der Aphrodite und iiberschneidet diese Gestalt; hier ist somit wieder eine Doppelstellung von Statuen angewendet. Die Eros-Statue nimmt vorn etwa ein Drittel der abgebrochenen Platte 10 und einen kleinen Teil der Platte 9 fiir ihre Plinthe ein. Ich habe es auch versucht, eine groBere Statue auf diese Plinthe zu stellen, lieB aber wieder davon ab, weil die Stellung dieser Statue allzu gezwungen ausgesehen hiltte, und mir auch die Verbindung mit der groBen Mittelgruppe kiinstlerisch zu ungiinstig erschien; in der von mir gewahlten Anordnung aber vermittelt die kleine Knabengestalt in kiinstlerischer Be- ziehung sehr giinstig den Ubergang von den groBen Statuen der Mittelgruppe zu den kleineren Gdtterstatuen, welche durch diese Unterbrechung mehr im Hintergrunde und zugleich groBer erscheinen. Ohne eine solche Kindergestalt wiirde die gauze Darstellung leicht zu gleichmaBig und vielleicht auch viel zu einformig aussehen. Somit ist auf dieser Seite der Zusammenhang der rekonstruierten Haupt- gruppe mit den groBtenteils echten, nur erganzten Statuen der Eckgruppen durchaus auf Basis der auf dem Giebelboden noch vorfindlichen Spuren und mit Berucksichtigung aller vorhandenen wissenschaftlichen und kiinstlerischen Merkmale und Anhaltspunkte hergestellt. Auf der andern Seite habe ich neben Poseidon, ebenfalls etwas im Hintergrunde, den Apollo dargestellt. Xach einer damaligen poetischen Idee begriifit Apollo mit Freude und Begeisterung die hoheitsvolle Zeustochter gleich bei Hirer Geburt als seine Schwester, und diese Idee babe ich auch hier im Giebelfelde zum Ausdruck gebracht. Die Anordnung dieser Statue entspricht ebenfalls ganz den vorhandenen Spuren. Apollo schreitet feierlich seiner neuen Schwester entgegen; er hebt in Begeisterung und wie zur Begriifiung seine Rechte, wahrend er in der Linken die Lyra halt. Die Statue steht auf etwa der Halfte der Platte 17 und nahezu auf der ganzen Platte 18, jedoch derart, dab sie von diesen beiden Platten nur etwa 30 bis 35 cm unmittelbar an der Giebelwand in Anspruch nimmt. Neben Apollo ist Artemis im Schreiten begriffen dargestellt; auch sie beugt sich, . wie Ares auf der andern Seite, nach vorne, um besser sehen zu konnen. Sie zeigt in ihrem ganzen Wesen freudige Uberraschung. Die Spuren der Plinthe dieser Statue befinden sich auf den vorderen zwei Dritteln der Platte 18. Zwischen Poseidon und Apollo habe ich wieder eine kleine Gottergestalt dargestellt, deren Benennung ich jedoch der weiteren Forschung iiberlassen mub. Vielleicht war es ein kleiner Lokalgott, der hier versetzt wurde, und dessen Name vorlaufig nicht bekannt ist. Eine Zeitlang dachte ich an Ion, den Sohn des Apollo und Stammvater der lonier; doch scheint mir das Be- denken, derselbe konne, ahnlich wie auch Herakles, bei dem Ereignisse noch nicht anwesend gewesen' sein, und die Einreihung einer von diesen beiden Gestalten als Anachronismus bezeichnet werden, immerhin berechtigt. Ich habe deshalb von der Benennung dieser kleinen Gottergestalt vorlaufig ab- gesehen. Die Plinthenspuren fiir diese kleine Gestalt sind ebenfalls derart, dab eine grobere Statue dort unmoglich aufgestellt sein konnte, ohne recht ge- zwungen auszusehen, ganz ahnlich, wie ich dies bei der kleinen Eros-Statue auf der anderen Seite erortert habe. Auch diese kleine Gestalt schreitet, wie aus der Form der Plinthe leicht gedeutet werden kann, lebhaft nach vorne, und betrachtet, die rechte Hand mit dem Ausdruck des Erstaunens erhebend, die so plotzlich erschienene hehre Zeustochter. Die Eigur iiberschneidet die im Hintergrunde stehende Apollo-Statue, wodurch sich auch hier eine Doppelstellung von Statuen ergibt. Diese Knabengestalt steht den Plinthenspuren zufolge auf der vorderen zweiten Halfte der Platte 17, und nimmt davon in der Tiefe nicht ganz zwei Drittel ein. 30 Somit ist nun auch hier ohne irgend einen Verstofi gegen die Ergeb- nisse der wissenschaftlichen Forschung der Platz im Giebelfelde entsprechend ausgefiillt, und in kiinstlerischer Beziehung die Verbindung mit den bereits besprochenen, noch gut erhaltenen, echten und von mir nur restaurierten Figuren der linken Ecke hergestellt. Die nachste von mir ganz neu aus- gefiihrte und — zur Erzielung einer grofieren Symmetrie in der Raumver- teilung — auf Platte 19 stehend gedachte Hermes-Statue wurde gelegentlich der Anfuhrung und Erlauterung der in dieser Ecke befindlichen (weiblichen) Statuen, als zu ihnen gehbrig, bereits besprochen. 31 DER WEBER-LABORDESCHE KOBE. Nun mufi ich hier iiber die in letzter Zeit von Professor Dr. Sauer ver- offentlichte Schrift »Der Weber-Labordesche Kopf und die Giebelgruppen des Parthenon «, Giefien 1903, welche von Seite des Verfassers mit der Rekonstruktion des ostlichen Parthenongiebels in Verbindung gebracht wird, einiges anfiihren, da dies die Besetzung der Platten 17 und 18 dieses Giebel- feldes betrifft. Besonders angenehm war es mir, dieser Schrift entnehmen zu konnen, welche Schicksale dieser nun in Paris befindliche Kopf im Laufe der Zeit durchgemacht hat, wie verschiedenartig, wohl mitunter auch recht willkiirlich er beurteilt wurde, und welche Schliisse von wissenschaftlicher Seite nun daraus gezogen werden. Die mir bisher nicht ganz erklarliche, recht derbe Verstiimmelung in der Scheitelgegend dieses Kopfes ist flir mich durch diese eingehenden Ausfiihrungen vollkommen aufgeklart. Da ich wahrend meines Aufenthaltes in Paris nicht in die Page ge- kommen bin, das Marmor-Original zu sehen, so habe ich den Abgiissen, welche ich in den Museen von London, Paris, Strafiburg, Berlin und Wien besichtigen konnte, desto mehr Beachtung und Aufmerksamkeit gewidmet. Der Charakter des Kopfes ist jedenfalls ein solcher, dafi man nicht umhin kann, ihn den zum Parthenon gehorigen Skulpturen zuzuweisen. Wenn nun auch die Spuren dieser Verletzungen, streng genommen, nicht bei alien diesen Abgussen durchaus gleich sind, so sind sie es im all- gemeinen doch, und zeigen iiberall eine solche Derbheit und Riicksichts- 32 losigkeit, clafi die Annahme, cliese Verletzungen kdnnteii dem Kopfe schon in Athen beim Versetzen der Statuen in das Giebelfeld beigebracht worden sein, als vollkommen ausgeschlossen bezeichnet iind abgelehnt werden inuG. GewiB ist beim Versetzen der Statuen in die Parthenongiebel der Kopf einer der Statuen niemals absichtlich mit einer solchen ganz ungerechtfertigten Derbheit beliandelt worden. Dies ist schon deshalb ganz unglaubwiirdig, weil — wie jeder praktische Marmorarbeiter weiG — bei einer so riicksichts- losen MeiGelung der Kopf wahrscheinlich in der Halsgegend von der Statue abgesprungen ware. Derartige AusmeiGelungen werden bekanntlich, wenn unbedingt notwendig, immer nur mit der groGten Vorsicht und Behutsamkeit ausgefiihrt. Wie damals beim Versetzen der einzelnen Stiicke vorgegangen wurde, sobald sich eine solche Notwendigkeit ergab, kann man am deutlichsten an dem im British Museum befindlichen Original-Pferdekopfe von der linken Ecke des Ostgiebels wahrnehmen. Dieser Kopf iiberschneidet oben und unten das Gesims, wie ich es schon friiher angefiihrt habe; er ist also, was auch Pro- fessor Sauer in seiner Schrift vorbringt, fiber dem Auge und dem Ohre sowie auch unten beim GebiG ausgemeiGelt, aber mit Vorsicht, scharf und genau, in dem MaGe als es eben notig war; und doch bestand hier in tech- nischer Beziehung gar keine derartige Gefahr, wie ich sie zuvor angefiihrt habe. Dies ist gewiG sehr bezeichnend. Nun bemerkt Professor Sauer, daG Weber berichtet habe, der Kopf sei in der Gegend des Scheitels verletzt worden, als man die Marmorart mit dem MeiGel untersuchte. Diese Bemerkung allein konnte die Verletzung am Scheitel vielleicht schon hinreichend erklaren; doch ist noch ein anderer Umstand zu beachten. Der Kopf war ja bekanntlich in einer Mauer in Venedig eingemauert; und da kann man mit ziemlicher Bestimmtheit annehmen, daG er dabei auch stark und derb beschadigt wurde. Vielleicht war ein Stein- gesims wirklich die Ursache, warum der Kopf am Scheitel verletzt wurde; nur ist dies oftenbar nicht in Athen beim Versetzen in den Parthenongiebel, sondern eben in Venedig geschehen. Es kann aber auch sein, daG der be- treftende Maurer, welcher den Kopf einmauerte, befurchtete, derselbe konnte infolge seiner Rundung leicht aus der Mauer herausfallen, und daG er nach Maurerart eine nicht eben feine Einkerbung in den Scheitel melGelte, um den Halt in der Mauer verlaGlicher zu machen. Dies ist meine Ansicht fiber die Einkerbung und die Verletzungen an dem Kopfe. Noch muG ich es hervor- heben, daG die Richtung dieser Einkerbung in keiner Weise der schiefen 38 Linie des oberen Gesimses eines Parthenongiebels entspricht, was gewifi der Fall ware, wenn die Einkerbung von Seite des Kiinstlers vorgenommen worden ware. Ich habe in meiner Rekonstruktion des westlichen Parthenongiebels diesen Kopf zur Wagenlenkerin des Poseidon beniitzt, und bin auch jetzt, nach Kenntnisnahme der Ausfiihrungen des Professors Sauer, noch immer in gleicher Weise uberzeugt, dafi der Kopf an diese Stelle am besten pafit, da Professor Sauer in dieser Beziehung weiters gar keine neuen, bisher unbekannten An- haltspunkte in seiner Schrift vorbringt. Es werden da blob Anhaltspunkte und Merkmale angefiihrt, die ich bei Besichtigung der verschiedenen Abgiissse dieses Kopfes gleich wahrgenommen und auch entsprechend gewiirdigt habe, die aber, wie es scheint. Professor Sauer vorerst ubersehen, spater aber bemerkt hat, und nun unrichtig deutet. Eben die technische Zurichtung dieses Kopfes ist es, die jeden Fach- mann veranlassen mufi, den Kopf in der Profilansicht zu verwenden. Auch ist die rechte Seite des Kopfes weniger verwittert als die linke, ein Beweis, dab erstere mehr gegen das Innere der Giebelwand, also letztere mehr nach auben gekehrt war. Dab der Hinterkopf in der Ausfiihrung etwas vernach- lassigt ist, kann nur als weiterer Beweis fur die von mir angenommene Zu- gehorigkeit gelten; denn auch der vorhandene Torso dieser Wagenlenkerin ist ganz ahnlich behandelt und unfertig, pafit also in seiner technischen Zu- richtung vollkommen zu dem Kopfe. Aber auch hinsichtlich der Hauptidee, welche der im Ostgiebel dar- gestellten Szene zugrunde liegt, und welche der Kiinstler gewib bei keiner Figur und auch sonst bei keiner Einzelheit auberacht lieb, ist der Vorschlag mit der kiinstlerischen Bedeutung des Phidias nicht zu vereinen. Die Geburt der Athena wurde von dem Kultus der damaligen Zeit als ein auberordent- liches Ereignis hingestellt; es ist nicht moglich anzunehmen, dab der Kiinstler bei der plastischen Darstellung des Ereignisses eine Statue mit einer in diesem Falle so wenig teilnehmenden, eher wehmiitige Ruhe zeigenden Kopf- bewegung in der nachsten Nahe der Hauptfiguren angeordnet hat. Selbst die noch vorhandenen letzten — sitzenden — Statuen zeigen eine lebhafte Be- wegung und ein bedeutendes Interesse fiir den Vorgang in der Mitte des Giebels, und man kann mit vollem Rechte annehmen, dab dieses Interesse (selbstverstandlich je nach dem Charakter der dargestellten Gottheiten) gegen die Mitte des Giebels zu nur um so lebhafter wird. Nur die an den aubersten Ecken des Giebelfeldes befindlichen Figuren lassen kein Zeichen der Teilnahme an dem Erei^nisse oder der Kenntnis desselben wahrnehmen. o Sehr iiberrascht war ich durch die von Professor Sauer vorgebrachte Bemerkung, dafi der Kopf filr die Wagenlenkerin ein wenig zu grofi erscheine. In solchen Fallen, besonders wenn der Gegenstand nicht ganz leicht uberblickt wer- den kann, ist es selbst fiir den mit scharfen und geiibten Augen begabten Forscher wohl empfehlenswerter, einen Zirkel zur Fland zu nehmen und die Objekte genau zu messen, als sick nur auf sein Augenmafi, auch wenn dieses noch so gut ausgebildet ist, zu verlassen. Die Bemerkung, der Kopf scheine fur die Wagenlenkerin zu grob, wird dann kaum winder vorgebracht werden. Dafi manche andere Kunstforscher den Kopf auch anderweitig zu ver- wenden vorschlagen, wird dadurch leicht erklarlich, dafi offenbar niemafs ein mit dieser Kunst vertrauter Bildhauer um seine Ansicht befragt wurde, was doch gewifi wiinschenswert und geboten gewesen ware. Wie notwendig bei solchen Untersuchungen ein fachmannisch gelibter Bildhauer ist, zeigt recht eindringlich der Vorschlag, diesen Kopf einer Statue auf den Flatten 17 und 18 des Ostgiebels zuzuweisen. Flatte ein sachkundiger Bildhauer den Versuch unternommen, irgend eine stehende oder sitzende Stutue auf diese Flatten derart anzuordnen, dafi der Kopf ungefahr in der vorgeschlagenen Stellung verbleiben konnte, so ware dieser Vorschlag sofort als unmoglich erkannt worden. Zu dem Vorschlage, die Statue mit diesem Kopfe vorne auf die Flatten 17 und 18 des Ostgiebels zu stellen, ist noch folgendes zu bemerken. Wie hier schon fruher vorgebracht wurde, bemerkt man auf ’der Flatte 17, etwa von deren Mitte an, eine schmale, gegen die Riickwand zu sich verlaufende Plinthenspur, die in der Wirklichkeit eher noch etwas deutlicher zu sehen ist als auf Professor Sauers vortrefflichen Aufnahmen des Giebelbodens. Etwa 12 cm vor dem Ende der Platte 17 biegt diese Spur klar und scharf gegen die Riickwand zu. Die Breite dieser Plinthenspur betriigt vorne am Giebel- rande hochstens 40 cm. Auf Platte 1 8 sind wieder Plinthenspuren sichtbar, jedoch in der Weise, dafi sie im zweiten Drittel dieser Platte, gegen die Riickwand zu, eine Doppelstellung von Statuen andeuten. Es war da also eine Statue teilweise vor die andere vorgeschoben. Die vorne nahe am Rande sichtbare Plinthenspur erreicht aber nicht den Rand dieser Platte, sondern wendet sich etwa 20 cm vor der Platte 17 ebenfalls der Riickwand zu. Dadurch wird bewiesen, dafi auf diesen beiden Flatten gemeinsam vorne gar keine grofiere, weder stehende noch sitzende Statue angeordnet gewesen sein kann. Dies war nur im Hintergrunde mdglich, im letzten Drittel der I'iefe des Giebels, wo ich in meiner Rekonstruktion die Statue des Apollo 35 hingestellt habe; von dort kanii der Kopf naturlich nicht bis zum vorderen oberen Gesims reichen. Auf dieser hochstens 40 cm breiten Plinthe vorne auf Platte 17 kann jedenfalls nur eine kleine, nicht vollig ausgewachsene Statue, also eine Kinder- gestalt angeordnet gewesen sein; dann aber, nach einem Zwischenraume, der unten bei den Plinthen etwa 30 cm betragen haben mufi, stand eine lebensgrofie Statue, welche die Mitte der Platte 18, und vielleicht noch einen kleinen Teil der Platte 19 beanspruchte. Nur gegen die Platte 19 zu nahert sich diese auf Platte 1 8 sich vorfindliche Plinthenspur dem vorderen Rande dieser Giebelplatte bis auf etwa 15 cm. Ich habe an diese Stelle die Artemis versetzt. Es hat mich nun sehr uberrascht und befremdet, dali Professor Sauer durch seinen Vorschlag, auf den Platten 17 und 18 gemeinsam eine grofie stehende oder sitzende Statue anzuordnen, sich in einen so argen Gegensatz zu seiner eigenen Aufnahme des Giebelbodens setzt, und mich auf diese Weise zwingt, seine eigenen, durchaus gewissenhaften und verlafilichen Auf- nahmen gegen ihn selbst in Schutz zu nehmen. Dafi die von einer Seite gemachte Bemerkung, man lege den Plinthenspuren auf dem Giebelboden und deren Aufnahmen eine zu grofie Wichtigkeit bei, bis zu einem gewissen Grade richtig sein mag, will ich ja nicht bezweifeln, und bin ebenfalls der Ansicht, dafi kleine Verschiebungen der Statuen, welche sich offenbar niemals genau werden feststellen lassen, beim Versetzen stattgefunden haben; dennoch bin ich iiberzeugt, dab diese doch tatsachlich vorhandenen Plinthenspuren bei weitem wichtiger, anleitender und mabgebender sind als alle Vorschlage, welche, durch gar nichts tatsachliches begriindet, nur als blobe Vermutungen oder willkiirliche Annahmen angesehen werden kdnnen. Der wirkliche Kiinstler kennt die Schwierigkeiten, welche mit der Schaffung und Gruppierung eines so grofien plastischen Werkes verkniipft sind; er hat aber auch hinsichtlich der Mittel, den Schwierigkeiten erfolgreich beizukommen, mehr Ubersicht und Erfahrung als der Gelehrte. Er pflegt bei einem solchen Werke nicht stiickweise vorzugehen, sondern er sieht den ihm zugebote stehenden Raum, und fabt eine Idee, welche es ihm moglich macht, die dar- zustellende Aufgabe in einem Zuge durchzufuhren. Dies sieht man am West- giebel, und am Ostgiebel war es ganz bestimmt ebenso. Will nun ein Kiinstler an die Rekonstruktion eines so zerstorten Kunst- werkes schreiten, so mub er vor allem trachten, die Idee zu erfassen, welche der Darstellung zugrunde liegt. Dab die wissenschaftliche Eorschung dabei von grobter Wichtigkeit ist, versteht sich von selbst, da eben der rekon- 3o struierende Kunstler die wirklichen Ergebnisse der Forschung und deren An- haltspunkte auf das strengste und gewlssenhafteste zu beachten hat. Er wird also jede Andeutung, welche zur Klarung der Idee oder zur Feststellung irgend eines tatsachlichen Momeiites beitragt, mit Freude und Dank begrufien, mulj sich aber hiiten, sich von blofien Vermutungen, welche mit den Tat- sachen nicht in Ubereinstimmung zu bringen sind, beeinflussen oder auf Irr- wege leiten zu lassen, Der Kunstler darf sich also denjenigen Vorschlagen, zu deren Begriindung nur Wahrscheinlichkeiten, und auch diese ohne einen tatsachlichen Anhaltspunkt, vorgebracht werden, nicht gegen seine eigene Einsicht und Uberzeugung anschlieBen. Dies gilt auch beziiglich der Bemerkung, welche Professor Sauer iiber die Statue A des Westgiebels in der eben besprochenen Abhandlung vor- bringt. Ich habe diese Statue als weiblich daf-gestellt, wogegen Professor Sauer iiberzeugt zu sein glaubt, dal] sie als mannlich erwiesen ist. Nach meiner Uber- zeugung beruht aber dieser Beweis auf einem Irrtum. Das Bruststiick, das Knie mit der Eckbommel und der FuB, auf welche drei Fragmente dieser Beweis sich stiitzt, und welche Professor Sauer der Statue A im Westgiebel zuweist, sind allerdings Bruchstiicke von mannlichen Figuren, aber in ihren Proportionen so verschieden, dafi sie unmoglich einer und derselben Statue angehort haben konnen. An dem vorerwahnten FuBe hatte der Kunstler die schwache Plinthe — in der Schrift von Professor Sauer irrtiimlich als Sandale bezeichnet — gewiB weggemeiBelt, um die FuBsohle oder die Sandale rein sehen zu lassen; eine so unformliche Marmormasse hatte er dem unmittel- baren Anblick des Beschauers gewiB nicht ausgesetzt. Der Irrtum mag dadurch gefordert worden sein, daB der eine Zeichner des Parthenongiebels weder scharf sehen, noch halbwegs geiibt zeichnen konnte und die Figur — vielleicht ganz unbewuBt — als mannlich andeutete. DaB spaterhin auch einige Forscher diesem Umstande besondere Wichtigkeit beilegten, beweist nur, daB sie noch nicht fiber die Behelfe verffigten, welche zur verlaBlicheren Durchffihrung derartiger Untersuchungen erforderlich sind. Von diesen angeffihrten drei Resten kann man hochstens sagen, sie konnen moglicherweise zu den Parthenongiebeln gehoren; sicher ist dies aber durchaus nicht. Nach meiner Ansicht geht es doch nicht an, aus solchen augenscheinlich nicht zusammengehorigen 'Resten eine Statue zu rekonstruieren. GewiB gab es in der Niihe des Parthenon auch noch andere Statuen, denen diese Reste angehort haben konnen. 37 I- « •••6 % r' > 5 ; t ->- ' X. t y •' \