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Lietzmann, E. Marcks, F. Meinecke, G. Mentz, W. Mommsen, H. Oncken, F. Philippi, A. Wahl, A. Weber, G. Wolff, J. Ziekursch u. a. herausgegeben von Dr. Emil Ebering. ——— Heft 57 = Religiöse Beweeungen im Mittelalter Untersuchungen über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ketzerei, den Bettelorden und der religiösen Frauenbewe- gung ım 12. und 13. Jahrhundert und über die geschichtlichen Grundlagen der Deutschen Mystik von Herbert Grundmann Verlag Dr. Emil Ebering Berlin 1935 n® \ li. BIS 11 N Te Die Philosophische Fakultät der Universität Leipzig | Arbeit ım Juli 1933 als Habilitationsschrift z # “ .,; \ { 3 j FA y en .* i rt 17a i ® E% 2 di % N en ie - 0 Y gie & E7 x) Inhaltsverzeichnis. Einleitung I. Il. II. Die religiöse Bewegung im 12. Jahrhundert. „Apostolisches Leben“ und „christliche Armut“ . 8 . - - 1. Die Ketzerbewegung des 12. Jahrhunderts 2. Die apostolische Wanderpredigt und die Entstehung ı neuer Orden 3. Die kirchlichen ashälnnen edemnhen de RN 2 der religiösen Bewegung im 12. Jahrhundert Die religiöse Bewegung unter Innozenz III. Die Entstehung neuer Ordensformen 1. Humiliaten 2. Waldenser A. Die Waldenser in Metz 11% . B. Durandus von Huesca und die Katholischen Ve Die neuen Wege der Ketzerbekämpfung . C. Die Genossenschaft des Bernardus Primus 3. Franziskus 4. Das Laterankonzil 1215 Die soziale Herkunft der Humiliaten, Waldenser und Franzis- kaner . Die Anfänge der religiösen Frauenbewegung . Die Eingliederung der religiösen Frauenbewegung in die Bettelorden 1. Zisterzienserorden und Frauenklöster 2. Dominikanerorden und Frauenklöster in der nah Hälfte des 13. Jahrhunderts e 3. Franziskanerorden und Prasnıklönter in den PR Hälfte des 13. Jahrhunderts ; 4. Die Neuordnung der Beziehungen Er iköhkn Bettelorden und Frauenklöstern 1245 « Die Frage der Cura monialium im Daminikanerorden. Die Frage der Cura monialium im Franziskanerorden . Statistische Angaben über die Frauenklöster der Bettel- orden im 13. Jahrhundert . 5 5 r } mm 100 118 127 135 157 170 199 203 208 253 274 284 303 312 Be aa VI. Die Beginen im 13. Jahrhundert . VII. Die „freigeistige“ Ketzerei in der religiösen Bewegung des 13. Jahrhunderts 1. Die Ketzerei der le in Bank 1210 2. Die Voraussetzungen für die Ausbreitung der Ketzerei in den religiösen Bewegungen des 13. Jahrhunderts 2 3. Ketzerische Strömungen in religiösen "ran ne ten Süddeutschlands 4. Die Ketzerei im. Schwäbischen iee 1270773 . VIII. Die Entstehung des religiösen Schrifttums in der Vo 1. Wanderpredigt und religiöse Literatur . 2. Religiöse Frauenbewegung und volksspeaählichen teen Anhang: Die Ketzerei im 11. Jahrhundert Verzeichnis der Abkürzungen und der mehrfach erwähnten Schriften Namen- und Sachverzeichnis . Einleitung. Der Historiker versetzt die Geschichte in den- jenigen Aggregatzustand zurück, in dem sie noch Entscheidung war. Er macht sie noch einmal zur Gegenwart mit ihren akuten Alternativen. Er läßt sie im wirklichen Sinn des Worts noch einmal geschehen, nämlich noch einmal entschie- den werden. Er löst den Gehalt, den Ertrag, die Gestalt des fertigen Werks oder der getanen Tat wieder auf und appelliert gleichsam noch einmal an den Willen, an die lebendige Entscheidungs- kraft, aus der diese Werke und Taten stammen. Hans Freyer. Alle religiösen Bewegungen des Mittelalters haben ihren Niederschlag in religiösen Orden oder in häretischen Sekten ge- funden. Das Mittelalter selbst kennt nicht den Begriff einer „religiösen Bewegung“, Die Worte religio und vita religiosa sind ihm gleichbedeutend mit Mönchsorden und mönchischem Leben. Nach der im Ordo-Gedanken der mittelalterlichen Kirche begründeten A AGENT, u ng läßt sich ein „religiöses ben”, das sich ganz in den Dienst Gottes stellt, nur in ‚den sten Ordnungen des Mönchsstandes führen, die das Dasein und das Verhalten des religiösen Menschen durch Regel’ und ucht gegen jeden Rückf e gegen jede Ausartung sichern und zugleich in ii De Ara dnung der Kirche.£infügen sollen. Jede Fe Hans) die diese Ordnungen nicht als verbind- lich anerkennt und sich ihnen nicht unters Ilt, jede religiöse Bewegung, die nicht in die Formen des Ordenslebens eingeht, 1. Kultur- und Universalgeschichte. Festschrift für Walter Goetz, 1927, S. 499. ea TR scheidet sich dadurch von der Kirche und von der „wahren Religion”, wird zur Sekte, zur „Schein-Religion", zur Ketzerei. Alle religiösen Bewegungen des Mittelalters sind daher vor die Entscheidung gestellt worden, sich in die kirchlichen Formen der vita religiosa einzufügen, das heißt: zum Mönchsorden zu werden, oder aber sich aus den kirchlichen Ordnungen heraus- zulösen und sich dadurch von der Kirche überhaupt zu trennen, das heißt: zur Sekte, zur Ketzerei zu werden, Als Orden und Sekten erscheinen daher die religiösen Be- wegungen des Mittelalters vor dem Blick des Betrachters. Von diesen festen Gebilden nahm deshalb auch die Erforschung der mittelalterlichen Religionsgeschichte ihren Ausgangspunkt; um so mehr, als diese historische Forschung selbst zu einem großen Teil innerhalb dieser Gebilde oder in lebendigem Zusammen- hang mit ihnen erwachsen ist. Die Geschichte der religiösen Orden ist zuerst und bis heute am tatkräftigsten von Angehöri- gen der Orden selbst durchforscht worden; mit der Geschichte der Sekten und Ketzereien hat sich am eindringlichsten die protestantische Geschichtsforschung befaßt, weil sie sich als Erbe und Erfüller der religiösen Ziele fühlte, die von den Sek- ten erstrebt worden waren. Jener von den Orden ausgehenden Ordensgeschichtsschreibung und dieser von der protestantischen Forschung ausgehenden Ketzergeschichtsschreibung sind zwei- fellos gerade deshalb außerordentlich wertvolle Ergebnisse zu verdanken, weil sich bei ihnen das sachliche Interesse des Hi- storikers mit der lebendigen Anteilnahme derer verband, denen es um ihre „eigne Sache” ging. Andererseits erklären sich dar- aus aber auch die Grenzen und Schwächen ihrer Leistungen, die für die Auffassung der geschichtlichen Entwicklung im Ganzen von schwerwiegender Bedeutung sind. Die Geschichtsschrei- bung jedes einzelnen Ordens fragt nach der Geschichte der anderen Orden oder anderer religiöser und geistiger Bewegun- gen nur soweit, als es ihr für das Verständnis der Geschichte des eigenen Ordens nötig scheint. Ihr wesentliches Anliegen ist immer die Kenntnis des eigenen Ordensstifters, seiner Ziele und Leistungen. Darin sieht sie gleichsam die „erste Ursache” für die Entstehung ihres Ordens. Die Zusammenhänge, in denen der Stifter mit Zeitgenossen und mit religiösen und geistigen a un, Strömungen seiner Zeit steht, wertet sie nur als „Einflüsse”, die den Willen und das Wirken des Stifters mitbestimmt haben mögen, aber nur von Bedeutung zweiten Grades sind gegenüber der eigentlichen geschichtlichen und religiösen Tat: der Grün- dung eines Ordens. Andererseits hat die konfessionelle Geschichtsschreibung sowohl protestantischer wie katholischer Herkunft an der mittel- alterlichen Sekten- und Ketzergeschichte immer in erster Linie diejenigen Merkmale aufgesucht und hervorgehoben, in denen sich am schärfsten ihre Scheidung von der katholischen Kirche vollzogen hat. Die protestantische Ketzergeschichtsschreibung hat die katholische Ketzerpolemik gleichsam mit umgekehrtem Vorzeichen fortgesetzt. Auch ihr kam es hauptsächlich auf die „Unterscheidungslehren” an, und sie ging darauf aus, in der Organisation, der Lehre und den „Stiftern” der einzelnen Sek- ten ein Gegenstück zur katholischen Kirche und ihren Orden aufzuweisen. Auch sie fragt nach den Gegensätzen zwischen Kirche und Orden einerseits, Ketzerei und Sekten andererseits, nicht nach ihrer gemeinsamen Stellung und Wandlung im ge- schichtlichen Verlauf. Die Aufmerksamkeit dieser durch ihre religiöse und kirch- liche Verbundenheit bedingten historischen Forschung galt ferner immer vorwiegend denjenigen Gebilden, die noch für die religiöse und kirchliche Verfassung der neueren Zeit lebendige Bedeutung haben oder wenigstens — wie die Sekten — als „Vorläufer” der späteren Entwicklung gelten konnten. Je be- deutsamer ein Orden noch heute ist, um so besser wissen wir über seine Geschichte Bescheid; je stärker eine mittelalterliche Sekte dem Protestantismus als „Wahrheitszeuge” oder als Be- weis für das Versagen der mittelalterlichen Kirche gegenüber ihren religiösen Aufgaben dienen konnte, um so eindringlicher hat sich die geschichtliche Forschung um sie bemüht. Dagegen blieben Orden und Sekten, die keine bleibende, selbständige Be- deutung errungen haben, im Hintergrund des geschichtlichen Interesses. Die zusammenfassende kirchengeschichtliche Betrachtung hat nun zwar alle Einzelergebnisse der Ordens- und Sekten- geschichte in einen gemeinsamen Rahmen eingefügt und die Be- ING: ze ziehungen zwischen ihnen sichtbar zu machen gesucht. Aber sie bleibt dabei immer auf die Ergebnisse einer Forschung ange- wiesen, die unter anderen Gesichtspunkten und mit anderer Fragestellung arbeitet, und vermag nur gleichsam die weißen Stellen zwischen den erforschien Gebieten der religiösen Ent- wicklung durch Verbindungslinien auszufüllen, Sie hat sich nur selten die Frage gestellt, ob sich das Bild nicht wesentlich ändern müßte, wenn die Untersuchung nicht von den einzelnen Orden und ihren Stiftern, von den einzelnen Sekten und ihren Sonderlehren ausgeht und die Einzelergebnisse dieser Unter- suchungen dann nachträglich zusammenfaßt, sondern wenn sie auch die Geschichte und die Eigenart der einzelnen Orden und Sekten vom Standpunkt einer Gesamtschau auf die religiöse Entwicklung des Mittelalters her in allen Einzelheiten neu durchleuchtet. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts sind zwar manche Ver- suche unternommen worden, die religiösen Bewegungen des Mittelalters als einen geschichtlichen Gesamtvorgang zu begrei- fen. Aber dabei stand das Interesse für die sozial- und wirt- schaftsgeschichtliche Bedeutung jener Bewegungen so stark im Vordergrund, daß man ihren religiösen Sinn und Gehalt ge- radezu verkannte und umdeutete in eine zeitbedingte Ver- schleierung der eigentlichen, sozialen Motive und Ziele. Hätten es diese Versuche nicht bei einer neuen „Auffassung‘ des histo- rischen Verlaufs in großen Zügen bewenden lassen, hätten sie es unternommen, diese „Auffassung“ an der Deutung der Über- lieferung und der Erklärung der geschichtlichen Vorgänge im Einzelnen zu erproben, so hätte sich die Meinung, die religiösen Bewegungen des Mittelalters seien im Grunde soziale oder gar „proletarische”' Bewegungen, von selbst berichtigen müssen. Die folgenden Untersuchungen schlagen einen anderen Weg ein, Sie wollen nicht eine bestimmte, im Voraus feststehende „Auffassung von der Bedeutung und dem Verlauf der religiö- sen Bewegungen des Mittelalters beweisen und zur Geltung bringen, sondern den geschichtlichen Hergang und die geschicht- lichen Zusammenhänge selbst aufzeigen. Sie machen den Ver- such, die ursprüngliche Eigenart, die geschichtlichen Kräfte und die religiösen Ziele jener Bewegungen zu erfassen, aus denen In ze die einzelnen Gebilde der religiösen Orden und Sekten erwach- sen sind, und sie stellen sich vor allem die Frage, welche Ereig- nisse und Entscheidungen die Ausgestaltung der religiösen Be- wegungen zu den verschiedenen Orden und Sekten bestimmt haben, Sie gehen also von der Voraussetzung aus, daß die Ent- stehung von Orden und Sekten nicht isolierte, voneinander un- abhängige und nur durch den Willen und die Tat eines Stifters oder die zufällige Überlieferung einer häretischen Lehre ver- anlaßte Vorgänge sind, sondern gemeinsam in einem geschicht- lichen Zusammenhang der religiösen Entwicklung des Abend- landes stehen. Daraus ergibt sich eine doppelte Aufgabe: einer- seits eben diese Gemeinsamkeit, dieses Hervorgehen aus einer einheitlichen religiösen Bewegung aufzuzeigen, in der ursprüng- lich die religiösen Kräfte und Ideen gleichartig wirkten, die sich dann verschiedenartig in Orden und Sekten ausgestaltet haben; andrerseits aber die Faktoren zu erkennen, die die Aus- gliederung der religiösen Bewegung in ihre verschiedenen For- men, die Bildung der einzelnen Orden und Sekten entschieden haben. Das Ziel der Arbeit ist die Erkenntnis, durch welche Entscheidungen sich die religiösen Bewegungen zu den Ordnun- gen und Lebensformen der mittelalterlichen Kirche ausgestaltet haben. Sie verfolgt deshalb die Entwicklung jeweils nur bis zu dem Punkte, an dem sich aus der religiösen Bewegung be- stimmte neue Formen und Gebilde, Orden oder Sekten heraus- bilden und ihre selbständige Entfaltung und Gestaltung ge- winnen, Nachdem so oit die Lebensgeschichte und die Eigen- art der einzelnen mittelalterlichen Orden und Sekten untersucht worden ist, soll hier der durchgehenden religiösen Bewegung als ihrem gemeinsamen Stammbaum nachgeforscht werden in der Erwartung, dadurch neue Aufschlüsse über ihr religiöses Wesen und ihre geschichtliche Bedeutung zu gewinnen, Diese Aufgaben lassen sich nicht durch eine zusammen- fassende Betrachtung lösen, die sich auf die Ergebnisse früherer Einzelforschung stützt und sie nur in einen gemeinsamen Rah- men einspannt. Vielmehr hat eine solche Betrachtungsweise gerade dadurch erst ihren Wert zu erweisen, daß sie in allen Einzelheiten den Gang der Entwicklung, die Zusammenhänge zwischen den Ereignissen, den geschichtlichen Tatbestand und Er seine Bedeutung in neues Licht stellt und besser verstehen lehrt. Jeder einzelne Zug der Ordens- und Ketzergeschichte kann eine neue Deutung fordern und ein neues Verständnis bieten, wenn man ihn nicht mehr im Hinblick auf die Entstehung und Ent- wicklung der einzelnen Orden und Sekten, sondern im Zu- sammenhang mit der gesamten religiösen Bewegung betrachtet, in deren Verlauf sich erst die Scheidung zwischen den einzel- nen Gebilden vollzog. Soll also dieser übergreifende Zu- sammenhang der religiösen Entwicklung dargetan und die Reihe der Entscheidungen aufgezeigt werden, die ihre Ausgestaltung zu den gesonderten Formen des religiösen Lebens bestimmt haben, so muß sich die Untersuchung in alle Einzelheiten der Ordens- und Sektengeschichte einlassen. Nur wenn sich einer- seits ein besseres Verständnis aller einzelnen Vorgänge ge- winnen läßt als es der herkömmlichen Ordens- und Ketzer- geschichte gelungen ist, und wenn sich andererseits zugleich damit der Blick auf größere Zusammenhänge der religiösen Ent- wicklung erschließt, die bisher nicht deutlich sichtbar werden konnten, nur dann kann die Berechtigung als erwiesen gelten, so oft und eindringlich durchforschte Gebiete wie die mittel- alterliche Ordens- und Ketzergeschichte noch einmal einer kritischen Betrachtung zu unterziehen, die von einem veränder- ten Standpunkt aus zugleich das Einzelne besser erklären und das Ganze in neues Licht setzen will. Die Ergebnisse dieser Untersuchung lassen sich nicht im Voraus mit wenigen Worten zusammenfassen. Nur auf einige besonders wichtige Punkte soll hier hingewiesen werden. Da das Interesse der Ketzergeschichte vorwiegend dem dogmati- schen Lehrgehalt der Häresien galt, hat sie fast ganz übersehen, daß die religiöse Bewegung schon seit dem Beginn des 12, Jahr- hunderts von den Ideen der evangelischen Armut und der apostolischen Predigt erfüllt und bestimmt ist. Infolgedessen hat auch die Ordensgeschichte nicht nur den Zusammenhang zwischen den Ordensbildungen des 12. Jahrhunderts und der allgemeinen religiösen Bewegung verkannt, sondern sie hat auch die Bedeutung der Bettelorden im geschichtlichen Zusammen- hang nicht unter den richtigen Voraussetzungen würdigen kön- nen, und vollends ist dadurch die für die Geschichte der religiö- sen Bewegung schlechthin entscheidende Rolle der Politik In- nozenz’ III. verborgen geblieben, der die Eingliederung der religiösen Bewegung in das Gefüge der hierarchischen Kirche angebahnt und dadurch die Entstehung der Bettelorden, die ordensmäßige Organisation der religiösen Armutsbewegung und der apostolischen Wanderpredigt überhaupt erst möglich ge- macht hat. Vor Innozenz III. steht die hierarchische Kirche in schroffem Gegensatz zur gesamten religiösen Bewegung; unter seinem Papat beginnt sich die Umgestaltung der kirchlichen Ordnungen zu vollziehen, die es ermöglichte, daß im 13. Jahr- hundert die in den Bettelorden organisierte kirchliche Armuts- bewegung selbst den Kampf gegen die Ketzerei aufnehmen konnte. Ebenso ist der Forschung die Bedeutung, ja fast das Vor- handensein der religiösen Frauenbewegung im 13, Jahrhundert verborgen geblieben. Bezeichnenderweise hat sie davon nur Kenntnis genommen aus Anlaß jener ordensähnlichen Gebilde, von denen noch heute in den Beginenhöfen Belgiens vereinzelte Überreste bestehen. Zum größten Teil hat sich aber diese reli- giöse Frauenbewegung nicht zu eigenen, selbständigen Ordens- formen entwickelt, sondern ist in die Frauenklöster der Bettel- orden eingegangen. Die ordensgeschichtliche Forschung war jedoch so sehr darauf bedacht, die Initiative der einzelnen Ordensstifter auch für die Entstehung dieser Frauenorden aus- schlaggebend sein zu lassen, daß sie die selbständige, spontane religiöse Bewegung unter den Frauen vor allem in Deutschland ganz übersah. Es ist ihr nicht einmal aufgefallen, wie eng das Schicksal der Frauenklöster in beiden Bettelorden miteinander verbunden ist, und erst recht vermochte sie die Bedeutung des von beiden Bettelorden geführten Kampfes gegen die Angliede- rung von Nonnenklöstern nicht zu verstehen und daraus die ursprüngliche Eigenart der religiösen Frauenbewegung zu er- schließen, die nicht erst aus der Bettelordenspropaganda er- wachsen war. Aus der Einsicht in diese Zusammenhänge wer- den sich aber nicht nur viele oft erörterte Einzelheiten der Ordensgeschichte klären, sondern sie schafft auch die Voraus- setzungen für das Verständnis der geschichtlichen Grundlagen der „Deutschen Mystik“ am Anfang des 14. Jahrhunderts, Den 2 Weg dazu hat Denifle schon vor einem halben Jahrhundert ge- wiesen. Aber trotz allen Eifers der Mystik-Forschung ist sein Hinweis wenig fruchtbar geworden. Die folgenden Unter- suchungen werden zeigen, wie wichtig die Kenntnis der religiö- sen Bewegungen des 13, Jahrhunderts für das Verständnis der kirchlichen Voraussetzungen, des religiösen Gehalts und der sprachlichen Gestalt der „Deutschen Mystik” ist. Sie wollen die philosophische und die philologische Mystik-Forschung er- gänzen durch den Aufweis der geschichtlichen Verhältnisse, aus denen die „Deutsche Mystik” erwachsen ist und aus denen die Zusammenhänge zwischen rechtgläubiger und häretischer Mystik zu verstehen sind.’ 2. Was sich aus den folgenden Untersuchungen für das Verständnis der Deutschen Mystik ergibt, habe ich kurz zusammengefaßt und teilweise weitergeführt in einem Aufsatz: Die geschichtlichen Grundlagen der Deut- schen Mystik; Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte XII, 1934. Ich hoffe die Untersuchung der Deut- schen Mystik und ihrer Zusammenhänge mit der „freigeistigen“ Ketzerei vom Standpunkt der hier gewonnenen Ergebnisse aus später eingehend durchführen zu können. I. Die religiöse Bewegung im 12. Jahrhundert. „Apostolisches Leben“ und „christliche Armut“. Die kirchliche Reformbewegung unter Gregor VII. hat das Gefüge, den Ordo der hierarchischen Kirche vollendet, die sich auf die Idee der apostolischen Sukzession gründet und den Voll- zug des christlichen Heilswerkes denen vorbehält, die mittelbar oder unmittelbar vom Nachfolger Petri und der Apostel dazu ordiniert sind. Gleichzeitig hat die monastische Reformbe- wegung, die von Cluny ausging, das Mönchtum aus einer Viel- zahl vereinzelter, auf sich selbst gestellter Klöster in einen ein- heitlichen, zentralisierten Verband zu verwandeln begonnen und ihn der kirchlichen Hierarchie eingegliedert, indem sich die führenden Klöster unmittelbar der Kurie unterstellten. Beide Bewegungen, die hierarchische wie die monastische Reform des 11. Jahrhunderts, haben sich nicht im Kampf gegen andere religiöse Ideen durchgesetzt, sondern im Kampf gegen die An- sprüche und Befugnisse weltlicher Mächte. Gregor VII. selbst hat sich in diesem Kampf der Waffen bedient, die sich später gegen die hierarchische Kirche wandten. Er hat den Gedanken, daß nur der würdige Priester wirksam die religiösen Funktionen vollziehen könne, verkünden lassen, um die simonistischen, die nicht ausschließlich von der Kirche berufenen Priester ebenso wie die beweibten und unkeuschen Priester als unrechtmäßige, wirkungslose Usurpatoren des priesterlichen Amts zu kenn- zeichnen;' und er hat als Ketzer verfolgen lassen, wer als simo- 1. C. Mirbt, Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII. S. 267 ff., 447ff.; G. Volpe, Movimenti religiosi e sette ereticali nella societä medievale italiana, S. 6 ff. =#- 14 nistischer oder unkeuscher Priester die Messe vollzog oder kirchliche Ämter erwarb.? Unmittelbar nachdem sich aber der hierarchische Ordo der Kirche vollendet und durchgesetzt hatte, wandte sich der Ge- danke von der „Würdigkeit des Priesters“, der das religiöse Be- wußtsein weiter Kreise durchdrungen hatte, gegen die kirchliche Ordinationsidee selbst. Die durch die Reformbewegung erweck- ten Geister begannen zu fragen, ob die kirchliche Ordinierung des Priesters die einzige und ausreichende Berechtigung zur Vollziehung des christlichen Heilswerkes sei; ob nur die Kirche berufen und dazu eingesetzt sei, allein durch die von ihr bestell- ten Vertreter den göttlichen Heilsplan, den die Evangelien und die Apostel verkündet hatten, zu verwirklichen; ob nicht jeder einzelne Christ durch die Gebote der Evangelien und das Beispiel der Apostel aufgerufen sei, sein Leben unmittelbar nach den evangelischen und apostolischen Normen auszurich- ten; und ob andererseits derjenige ein echter Priester sein könne, der zwar von der Kirche dazu ordiniert ist, aber nicht lebt, wie das Evangelium es verlangt und wie die Apostel leb- ten. Aus solchen Fragen und Zweifeln erwuchs eine religiöse Gesinnung, die das Wesen des Christentums nicht mehr in der Kirche als Heilsordnung und in der Kirchenlehre als Dogma und Tradition erfüllt und verwirklicht sah, sondern nach einer Ver- wirklichung des Christentums als einer religiösen Lebens- form suchte, die für jeden einzelnen echten Christen unmittel- bar verbindlich und für sein Seelenheil wesentlicher sei als seine Stellung im hierarchischen Ordo der Kirche oder sein Glaube an die Lehren der Kirchenväter und Theologen. Die kirchliche 2. H. Theloe, Die Ketzerverfolgungen im 11. u. 12. Jahrh. S. 27 ff.; vgl. Fredericg, Corpus Inquisitionis I S. 10ff. Am aufschlußreichsten ist folgender Fall: der Bischof vom Cambrai hatte 1077 einen Ketzer ver- brennen lassen, der alle dogmatischen Fragen rechtgläubig beantwortet, sich aber geweigert hatte, vom Bischof oder Klerus die Kommunion zu empfangen, weil sie auf symonie aut alicuius avaritie nora adstricti tene- rentur. Gregor VII. beauftragte deshalb den Pariser Bischof, den Kirchen- bann über Cambrai zu verhängen, weil dort ein Simonisten-Gegner als Ketzer verbrannt worden war; s. Chron. S. Andreae, MG.Scr. VII S. 540: Epist. Greg. IV, 20 (ed. Caspar, MG. Epist. select. II S. 328), Frede- riegIS.1f.und IS. 1. ER Heilsordnung und das theologische Lehrgebäude selbst sollten vielmehr ihre Gültigkeit und Verbindlichkeit erst erweisen an jenen biblischen Normen des christlichen Lebens, die jeden echten Bekenner des Christentums verpflichten, den Anweisun- gen der Evangelien und dem Vorbild der Apostel Folge zu lei- sten, und das heißt vor allem: die Güter dieser Welt zu lassen und in der Gefolgschaft Christi wie die Apostel für das Evange- lium zu wirken. Diese beiden Gedanken, die Forderung der christlichen, evangelischen Armut und des apostolischen Lebens und Wirkens, sind zu Brennpunkten einer neuen Auffassung vom Wesen des Christentums geworden, von der aus einerseits die bisher bestehende kirchliche Ordnung und Lehre der Kritik unterzogen und andrerseits ein neues Richtmaß für eine wahr- haft christliche Lebensgestaltung gesucht wird. Beide Gedanken hatten bis dahin in den religiösen und kirchlichen Bewegungen des Abendlandes keine wesentliche Rolle gespielt. Die häreti- schen Erscheinungen vor dem Investiturstreit haben, so viel wir wissen, im Bereich der römischen Kirche nirgends die Forde- rung der freiwilligen Armut oder der apostolischen Nachfolge, der apostolischen Predigt erhoben.” Die monastische Reform- bewegung hat zwar bei ihrer Erneuerung des benediktinischen Mönchtums auch den Verzicht auf Privateigentum in aller Strenge gefordert, keineswegs aber sich zu einem „Armutsideal" und zum Eigentumsverzicht der Klostergemeinschaft bekannt, sondern im Gegenteil nach machtvollem Reichtum der Klöster gestrebt.” Gregor VII. hat die Simonie und die Priesterehe be- 2a. Vgl. den Anhang über die Ketzereien des 11. Jahrhunderts. Die Ketzer in Arras 1025 betonen zwar, daß ihre Lehren den Evangelien und den apostolischen Schriften nicht widersprechen, aber von Nachfolge der Apostel oder apostolischer Predigt ist nicht die Rede. Ebenso erwerben sie zwar ihren Lebensunterhalt aus eigner Arbeit und sehen darin eine religiöse Forderung, aber das Ideal der freiwilligen Armut kennen sie nicht; s. Frederieq IS. 4. 3. Einige Äußerungen des Cluniazensers Rodulfus Glaber sind dafür bezeichnend. Frömmigkeit und Reichtum gelten ihm nicht als Widerspruch, sondern im Wohlstand der Klöster sieht er geradezu den gerechten Ertrag der strengeren Frömmigkeit. Über die Cluniazenser im Allgemeinen sagt er (Historiae, ed.M.Prou S.67): Qui quoniam his, quae u kämpft, um den Ordo-Gedanken durchzusetzen, niemals aber freiwillige Armut des Christen und apostolische Nachfolge des Einzelnen gefordert. An der Wende vom 11. zum 12, Jahrhundert aber treten diese beiden Gedanken gleichzeitig in sehr verschiedenen Krei- sen hervor und bestimmen von da an die Entwicklung der reli- Siösen Bewegung. Zu derselben Zeit, als ein französischer Pre- diger zum ersten Mal auf Ketzer hinweist, die behaupten sie führten das Leben der Apostel,* die aber außerdem die duali- stischen Lehren der Manichäer und ihre asketischen Konsequen- zen vertreten haben sollen, zieht in Nordfrankreich der Wander- dei sunt, videlicet justiciae et pietatis operibus incessanter adheserunt, idcirco bonis omnibus repleri meruerunt. — Den Abt Wil- helm von St. Benigne in Dijon, der dort und in der Normandie die elunia- zensische Reform durchführte, lobt er (8.66), weil ultra cetera divitiis et sanctitate ipsius patrocinio assumpta cernebantur ezcellere mona- steria. Ipse quoque firma testabatur assertione, quia, si huius institutionis tenor quocumque loco a monachis custodiretur, nullam omnino indigentiam cuiusque rei paterentur. Quod etiam evidentissime declaratum est in locis sibi commissis. Als der Abt Maiolus von Cluny von den Sarazenen gefangen war und ein Lösegeld zahlen sollte, läßt ihn Rodulfus Glaber (S.10) sagen, se in hoc mundo nil proprium possidere nec peculiaris rei se fieri possessorem velle; sua tamen ditioni non negans plures teneri, qui amplorum fundorum et pecuniarum domini haberentur, und die Mönche von Cluny bringen in der Tat für ihn ein Lösegeld von 1000 Pfund Silber auf. 4. Radulphus Ardens in Poitiers (f nach 1101, vgl. Hist. Litt. de la France IX S. 254ff. und XI S. XXXIf.) spricht in einer Homilia in dominicam VIII post Trinitatem (MPL 155 Sp. 2011) über Ahaeretici Ma- nichaei, qui sua haeresi patriam Agennensem (Agen an der Garonne) maculaverunt, qui mentiuntur se vitam tenere apostolorum, di- centes se non mentiri nec omnino jurare, sub praetextu abstinentiae et continentiae escas carnium et nuptias damnantes — dicunt enim tantum flagitium esse accedere ad uxorem quantum ad matrem vel ad filiam. Damnant etiam vetus testamentum, de novo vero quaedam recipiunt, quae- dam non. Et quod gravius est, duos praedicant rerum auctores, deum in- visibilium, diabolum visibilium auctorem credentes. Unde et occulte ado- rant diabolum, quem sui corporis credunt creatorem. Sacramentum vero altaris purum panem esse dicunt, baptismum negant, neminem posse sal- vari nisi per suas manus praedicant. Resurrectionem etiam corporum negant. rt prediger Robert von Arbrissel’ durch das Land, barfuß, mit wal- lendem Bart und Haar und in ärmlicher Kleidung, und sammelt um sich durch seine Predigten die „Armen Christi“, die verzich- tet haben auf alle Güter der Welt und mit ihrem Meister unstät und in Entbehrung herumziehen. — Einige Jahre später (1114) wurden in Bucy bei Soissons zwei Männer festgenommen, die man für Ketzerführer hielt, und die zugaben, conventicula ge- halten, nicht aber ketzerische Lehren verbreitet zu haben; ob- gleich sie schworen, sie hätten nie anders als die Kirche gelehrt und geglaubt, und obgleich sie auf alle Fragen der bischöflichen Inquisition rechtgläubige Antworten gaben, legt ihnen Guibert von Nogent, der an der Untersuchung beteiligt war, die Irr- lehren zur Last, die, den Streitschriften Augustins zufolge, die Manichäer vertreten hatten; aber was einst die gelehrten Leute beschäftigt habe, so fügt Guibert hinzu, das sei jetzt zu den Un- gebildeten herabgesunken, die sich brüsten, sie führten das Leben der Apostel!’ Fast zur gleichen Zeit aber wanderie in derselben Gegend Norbert von Xanten umher, der nach einer plötzlichen Bekehrung zu asketischer Strenge seine aussichts- reiche Laufbahn am kaiserlichen Hof und beim Kölner Erz- bischof aufgegeben hatte und nun als Wanderprediger durch Frankreich zog und wie vor ihm Robert von Arbrissel die „Armen Christi” um sich sammelte, In diesen gleichzeitigen Erscheinungen wirkt unverkennbar ein gemeinsamer Antrieb: das Vorbild der Apostel ist ihnen zur Richtschnur geworden und wirkt sich aus in der Forderung der evangelischen Wanderpredigt und der freiwilligen christlichen 5. Joh. v. Walter, Die ersten Wanderprediger Frankreichs I: Ro- bert von Arbrissel, 1903. Dazu H. Böhmer, Theol. Lit.-Zeitg. XXIX, 1904, S. 330 ff. und 396. 6. Guibertvon Nogent, De vita sua III, 17; MPL 156 Sp. 951f. = Recueil XII S. 265: Si relegas hereses ab Augustino digestas, nulli magis quam Manicheorum reperies convenire. Que olim cepta a doctiori- bus, residuum demisit ad rusticos, qui vitam se apostolicam te nere jactantes, eorum actus solos legere amplectuntur. — Was Gui- bert über ihre Lehren anführt (er bringt auch den traditionellen Bericht über rituelle Unzucht und Kindermord), das hat er offensichtlich in der Literatur, bei Augustin, nicht aber von den Ketzern selbst kennen gelernt. u A ae Armut. Aber aus diesen Motiven hat sich zunächst keine ein- heitliche religiöse Bewegung entwickelt. Zu einem Teil führten sie, kirchlichen Weisungen folgend, nach einem kurzen Stadium apostolischer Wanderpredigt zu einer neuartigen Form von Klö- stern und Orden; zum andern Teil haben sie sich in offener Widersetzlichkeit gegen den Willen der hierarchischen Kirche und von ihr unnachsichtig bekämpft mit häretischen Ideen ver- bunden und im weiteren Verlauf die große Ketzergefahr für die Kirche des 12. Jahrhunderts heraufbeschworen, Diese beiden Entwicklungen lassen sich nur getrennt verfolgen. Aber ihre gemeinsamen Motive muß man im Auge behalten, um den Gang und das Schicksal der religiößsen Armutsbewegung zu begreifen, in der später die beiden im 12. Jahrhundert getrennt verlaufen- den Entwicklungen wieder zu einer einheitlichen Wirkung kamen. 1. Die Ketzerbewegung des 12. Jahrhunderts. Die Eigenart der Ketzerbewegung des 12. Jahrhunderts und die Bedeutung, die in ihr der Gedanke des apostolischen Lebens und der christlichen Armut hatte, erhellt am klarsten aus zwei Briefen aus den mittleren Jahrzehnten des Jahrhunderts. In dem einen berichtet der Abt Evervin von Steinfelden an Bern- hard von Clairvaux über Ketzer, die um 1145 in Köln verhört worden sind,’ in dem andern ein Mönch Heribert über Ketzer im Gebiet von Perigueux unter Führung eines Mannes namens Poncius, der sonst nicht bekannt ist, wahrscheinlich um 1163.° 7. MPL 183 Sp. 676ff. Zur Datierung vgl. E. Vacandard, Revue des Questions Hist. LV (N.S. XT), 189, S.51; Theloe, Ketzerverfolgun- gen S. 56. 8. MPL 181 Sp. 1720; auch Recueil XII S. 550; Martöne, Thes. anecd. I S. 453; Mabillon, Analecta S.483; Tissier, Bibl. Patr. Cistere. VI, 1664, S. 136f. — Die Annalen von Margan (ed. Luard, Rer. Brit. Script. XXXVI, 1 S.15) bringen den Inhalt des Briefes mit einigen Abweichungen zum Jahre 1163. Meist ist er ohne triftige Gründe in die Zeit vor der Mission Bernhards von Clairvaux gegen die südfranzösischen Ketzer (1145) verlegt worden. Der Verfasser ist wahrscheinlich der Zister- zienser-Abt von Moris, der später (ec. 1178/1180; Gams S. 839) Erzbischof von Torres in Sardinien war; so Tissiera.a.O. ohne Angabe von Grün- IE Vor vielen anderen Zeugnissen über die Ketzerei des 12. Jahr- hunderts haben diese beiden Briefe den Vorzug, daß sie nicht die übliche, meist aus der alten Ketzerpolemik entlehnte Auf- zählung manichäischer Lehren geben, sondern die Ketzer ihrer Zeit aus eigener Kenntnis schildern, der Mönch Heribert freilich mit abergläubischen Übertreibungen, der Abt Evervin aber mii nachdenklicher Offenheit. Er hatte dem Verhör von Ketzern beigewohnt, die in Köln entdeckt worden waren, und gibt ihre Aussagen ohne gehässige Entstellung und ohne literarisches Vorurteil, ja offenbar von ihrem religiösen Gehalt stark beein- druckt ehrlich wieder”? Von den Ketzern waren die meisten zur Kirche zurückgekehrt und hatten die Buße auf sich genom- men; der „Ketzerbischof” aber und sein Begleiter verlangten eine öffentliche Disputation unter Leitung des Erzbischofs, bei der gelehrte Vertreter ihrer Überzeugungen zugezogen werden sollten: sie waren bereit, ihren Irrtum aufzugeben, wenn man sie widerlegen könnte, andernfalls wollten sie ihrer Überzeugung bis in den Tod treu bleiben. Auf diese Disputation hat sich der Kölner Klerus nicht eingelassen. Er setzte nur seine Bekehrungs- versuche fort, aber ehe es zu einer Entscheidung kam, griff wie so oft bei den Ketzerprozessen des 12. Jahrhunderts der Pöbel ein und schleppte die Ketzer zum Scheiterhaufen. Gegenüber ihren Richtern hatten sie ihre Behauptungen durch Worte der Evangelien und der Apostel zu erhärten versucht. Weil sie überzeugt waren, evangeliengemäß und nach dem Vorbild der Apostel zu leben, deshalb beanspruchten sie, die wahre Kirche, die echte Gefolgschaft Christi darzustellen.” Denn sie fragen den; vgl. C. de Visch, Auctuarium Bibl. Script. Ord. Cist. ed. Canivez, 1927, S. 41. 9. Vgl. M.C. Slotemaker de Bruine, Het ideaal der navolging van Christus ten tijde van Bernard van Clairvaux, 1926, S. 96 ff.; danach auch J. Lindeboom, Stiefkindern van het Christendom, 1926, S. 66 ff., dessen Buch in den Teilen, die sich mit den hier und im Folgenden be- handelten religiösen Erscheinungen beschäftigen, ohne selbständigen Wert ist und die von Gottfried Arnold gebahnten, von der Forschung des 19. Jh. ausgebauten Gleise protestantischer Ketzergeschichtsschreibung kaum je verläßt. 10. Heresim suam defendentes ex verbis Christi et Apostoli. — Dicunt ie De nicht nach den Gütern der Welt, sie besitzen wie Christi Jünger weder Haus noch Acker noch Vieh. Der katholische Klerus da- gegen bringt Haus auf Haus und Acker auf Acker in seinen Be- sitz und häuft seinen Reichtum; mögen die Ordensleute, Mönche und Kanoniker diesen Besitz nicht als Eigentum haben, so be- sitzen sie ihn doch als Gemeinschaft. Sie aber, die Ketzer, sind die „Armen Christi”, die unter Verfolgungen wie die Apostel und Märtyrer ruhelos und entbehrungsvoll von Ort zu Ort zie- hen, Tag und Nacht in Gebet und Arbeit, zufrieden, wenn sie sich nur ihren Lebensunterhalt erwerben. Voll unerschütter- licher Zuversicht und Glaubenssicherheit sind diese Ketzeraus- sagen, die der Abt Evervin aufgezeichnet hat. Nos hoc sustine- mus, guia de mundo non sumus; vos autem mundi amatores, cum mundo pacem habetis, quia de mundo estis. Pseudo- apostoli adulterantes verbum Christi, quae sua sunt, quesive- runt, vos et patres vestros exorbitare fecerunt — nos et patres nostri, Senerati apostoli, in $ratia Christi permansimus et in finem seculi permanebimus. Ad distinguendum nos et vos Christus dixit: A fructibus eorum cognoscetis eos! — fructus nostri sunt vestigia Christi. Die Nachfolge Christi durch ein apostolisches Leben in Armut und rastloser religiöser Wirksam- keit nach den Weisungen der Evangelien und der Apostel- schriften, das ist das Ziel dieser Ketzer. Diese Gedanken aber sind nicht eine besondere Eigentüm- lichkeit der Ketzer in Köln. Die Ketzerei im südfranzösischen Perigord schildert der Mönch Heribert mit weniger Verständnis für ihre Lehren und Lebensweise, aber mit denselben Zügen. Auch sie behaupten das Leben der Apostel zu führen.'' und sie glauben diesen Anspruch zu verwirklichen nicht nur durch den Verzicht auf Fleischgenuß, Mäßigkeit im Weintrinken und äußerliche Befolgungen anderer biblischer Weisungen, sondern apud se tantum ecclesiam esse, eo quod ipsi soli vestigiis Chri- sti inhereant et apostolice vite veri sectatores yper- maneant. 11. Haeretici qui se dicunt apostolicam vitam ducere;, Annalen von Margan: gui vitam se apostolicam ducere moresque imitari mentiebantur. ar... besonders durch völlige Armut, durch sänzlichen Verzicht vor allem auf das Geld.” Das kirchliche Leben aber messen auch sie wie die Kölner Ketzer streng an der Norm des Bibelworts, und sie lassen nur gelten, was die Schrift verlangt.‘” Um eigene Schriitkenntnisse sind sie deshalb eifrig bemüht.‘ Und barfuß herumziehend sind sie rastlos als Prediger tätig.'° Der Gedanke der christlichen Armut und des apostolischen Lebens als Wanderprediger ist der wesentliche Gehalt der Ketzerei sowohl in Köln als in Südfrankreich, und dieser Ge- danke ist tatsächlich das Hauptmotiv der Ketzerei bis in den Anfang des 13. Jahrhunderts, bei den Katharern wie bei den Waldensern, immer geblieben, Das Leben der Apostel zu füh- ren, die echten Nachfolger der Apostel zu sein, das ist der eigentliche Anspruch der Ketzer, und aus ihm hat sich ihr Bruch mit der Kirche entwickelt." Als die „guten Christen” oder 12. Pecunias non recipiunt. — Eleemosynam nihil esse, quia unde fieri possit nihil debere possideri. — In hac seductione quamplures jam... nobiles propria relinquentes.. pervenerunt. 13. An Stelle von Messe und Kommunion fordern sie die einfache Feier des Brotbrechens; daher: communionem sacram accıpere renuebant, missam nihil esse dicebani. Am Schluß des Vaterunsers beten sie nicht das Gloria, sondern die Doxologie: Dein ist das Reich.. (vgl. dazu J. Haußleiter, Zur Vorgesch. des apostol. Glaubensbekenntn., 18%, 8.13). Kreuz- und Bilderverehrung lehnen sie ab unter Berufung auf das Psalm- wort (113, 4; 134, 15) gegen die simulacra gentium. Daß sie centies in die genua flectunt (Annalen von Margan: septies in die et toties in nocte), beruht vielleicht gleichfalls auf einer biblischen Weisung. 14. So ist wahrscheinlich der Satz zu deuten: Nullus enim tam rusti- cus est, si se eis conjunzerit, quin infra octo dies tam sapiens sit litteris, ut nec verbis nec exemplis amplius superari possit. 15. Sine intermissione praedicabant, nudipedes incedebant; diese Sätze stehen nur in den Annalen von Margan, die auch hinzufügen: cibos datos sobrie accipiebant, während sie, wie der Brief auch in der anderen Fassung sagt, Almosen in Geld ablehnen, s. o. Anm. 12. Zum Schluß heißt es in den Annalen von Margan: Duodecim fuere magistri, excepto principe eorum qui Poncius vocabatur. 16. Es mögen hier, da es nicht auf eine ausführliche Darstellung der Ketzergeschichte abgesehen ist, sondern nur ihre Grundzüge klargestellt werden sollen, einige Hinweise auf entsprechende Quellenstellen genügen: Bernhard von Clairvaux, Sermo 66 MPL 183 Sp. 1098: Jactant se esse successores apostolorum et se apostolicos nominant,; Sermo 65 10 meist schlechthin die „guten Menschen“ sind deshalb die Ketzer von allen, auf die ihr Wirken Eindruck machte, bezeichnet wor- den.’ Ihre echte und leidenschaftliche Überzeugung, das wahre Sp. 1091: Ubi apostolica forma et vita, quam jactatis®? — Die Ketzer (Publicani), die 1160 aus Flandern nach England kamen und auf einer Synode in Oxford verhört wurden, erklärten Christianos se esse et doc- trinam apostolicam venerari (Fredericq II S.8). Eckbert von Schö- zau, Sermo I MPL 195 Sp. 14 über die Ketzerei im Rheinland um 1160: Apostolorum vitam agere se dicunt, sed contrarü sunt fidei sancte et sane doctrine, que a sanctis apostolis et ab ipso domino salvatore nobis tra- dita est; s. auch unten S.36 Anm.46. Noch in den Akten von Carcassonne (ec. 1318) heißt es: Recepti in sectam bonorum hominum dicebant, quod ipsi tenebant viam et vitam dei et apostolorum (Döllinger, Beitr. zur Sektengesch. II S. 27), ähnlich in der Practica inquisitionis des Ber- nard Gui (ed. Mollat I S.22£.): ..quod ipsi tenent locum apostolorum. 17. Das Konzil von Lombez 1165 verurteilte eos, qui jaciunt se nun- cupari boni homines, Mansi XXIl S. 159. — Die Gesta Henriei II. Angliae (Recueil XIII S. 173) berichten zum Jahre 1178 über die gens perfida, que se bonos homines appellari fecerant, in terra Tolosana congregata. — Petrus von Vaux-Cernay, Hist. Albig. c. 4 S. 19: Heretici enim a fautoribus suis boni homines vocabantur; ebd. c. 2 S. 8: quidam inter hereticos dice- bantur perfecti sive boni homines. — Stephan von Bourbon ed. Lecoy de la Marche S. 35: Die Frauen, die Dominikus in der Provence be- kehrt, sagen über die Ketzer: Illos homines, contra quos predicas, usque modo credidimus et vocavimus bonos homines. Guiraud, Cartulaire I S. LXXI: Erant de ilis bonis hominibus, qui dicebantur heretici(!) et vivebant bene et sancte et jejunabant tribus diebus in septimana et non comedebant carnem. — \Vgl. die Frage-Formel für Inquisitoren (bei Moli- nier, Archives des missions scientif. 3. serie XIV S. 163): Queratur primo a quolibet et occulte, si vidit unguam hereticos aut bonos homines. — Die Bezeichnung ist in den Ketzerprozessen und Polemiken außerordentlich häufig; s. Döllinger, Beitr. II, Index. Es ist die eigentliche Selbst- benennung der Ketzer. Die katholische Polemik stellt ihr den Satz ent- gegen: Omnis homo peccator et solus deus bonus, s. Molinier, Annales de la Facult& des Lettres de Bordeaux V, 1883, S. 239; C. Douais, La somme des autorites, 1896, S. 107 (mit der Folgerung: I/gitur male faciunt Paterini, qui se dicunt bonos homines et sine peccato). Vgl. auch Theloe, Ketzerverfolgungen S. 71; Bernard Gui, Practica inquis. ed. Mollat I S. 20, 24. — Es ist um so bemerkenswerter, daß der hl. Franz sogar den Arzt Bonus Johannes aus Arezzo nicht mit seinem Namen anreden wollte, sondern einen anderen Namen für ihn erfand, nam.. nolebat ali- quem nominare qui nomine vocaretur Bonus, propter reverentiam Domini, qui dixit: Nemo bonus nisi solus deus (Luc. 18, 19); s. Leg. antiqua ed. Delorme n.65 8.38; Spec. perf. n. 122 8.342. ET evangelische und apostolische Christentum in ihrem Leben er- neuert und verwirklicht zu haben, läßt sich bei unbefangener Betrachtung gar nicht bezweifeln; sie haben zu oft bewiesen, daß ihre Bereitschaft, für diese Überzeugung das Martyrium zu erleiden, keine bloße Redensart war. Diese Überzeugung und diesen Anspruch ernst zu nehmen und gelten zu lassen ist die erste Voraussetzung für jedes Verständnis der religiösen Be- wegungen des Mittelalters. Trotzdem hat die Kirche diese Bekenner der apostolischen Nachfolge mit allen Kräften bekämpft. Drei Gründe waren dafür maßgebend. Erstens entwickelte sich aus der Idee, daß die Weisungen der Evangelien und der Apostelschriften der einzige für die Kirche und für alle Christen gleichmäßig ver- bindliche Maßstab des religiösen Lebens sei,'® eine entschiedene Kritik an den Lehren und Bräuchen der Kirche, die zur Ab- lehnung der meisten Sakramente in ihrer katholischen Form, ebenso der Heiligenverehrung, der Fürbitte, der Fegefeuerlehre usw, führte. Zweitens erkannten die Ketzer, die in Armut das Leben der Apostel zu führen behaupteten, den Ordo der hierarchischen Kirche nicht an, sondern stellten die Rechtmäßig- keit der kirchlichen Ordinierung in Frage und bildeten auf Grund ihres Bewußtseins, zur wahren Vollstreckung des Evan- geliums berufen zu sein, geradezu eine Konkurrenz-Kirche der „guten Christen”, die in genauer Analogie zur katholischen Kirche in den „Vollkommenen“ oder „Erwählten” ihren Klerus, in den „Gläubigen” ihre Gemeinden hatte und sich sogar zu einer Art Bistumsverfassung ausgestaltete.‘” Drittens endlich hat sich die Armutsidee und die apostolische Wanderpredigt im Laufe des 12. Jahrhunderts in manchen Kreisen, besonders in Südfrankreich und der Lombardei, mit dualistischen Welt- lehren verbunden und ist, ohne Zweifel vom griechischen Osten her, immer mehr von spekulativen Ideen durchdrungen worden, in denen ein großer Teil der manichäischen Kosmogonie und 18. Vgl. Bernhard von Clairvaux, Sermo 65 MPL 183 Sp. 1090: De quonam mihi evangeliorum loco producitis istam exceptionem, qui ne jota quidem, ut falso gloriamini, preteritis? 19. Vgl. E. Broeckx, Le Catharisme S. 132 ff. BURAT., a Mythologie seltsam wieder auflebte. Die katholische Polemik gegen die Ketzerei hat seit dem Ende des 12. Jahrhunderts den Hauptnachdruck auf diesen dritten Punkt gelegt, auf die duali- stische Spekulation und ihre Auswüchse, um so mehr, als das Katharertum in diesen Fragen sich am wenigsten durch den Ver- weis auf das Neue Testament rechtfertigen konnte. Das hat die Anschauungen von der Ketzerei so nachhaltig beeinflußt, daß seitdem der Dualismus immer als eigentlicher Kernpunkt, als Grundlage der Ketzerei galt und alles andere als bloße Folge- rungen daraus. In Wirklichkeit stehen aber vor dem Ende des 12. Jahrhunderts keineswegs die spekulativen Probleme des Dua- lismus im Mittelpunkt der Auseinandersetzung zwischen Ketzer- tum und Katholizismus, sondern durchaus die Fragen des reli- giösen Lebens und der Kirche, Beim ersten Auftreten der Ketzerei im Abendland in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts sind, soviel wir wissen, überhaupt nirgends dualistische Lehren ver- treten worden, Wohl aber bezeichnet die katholische Literatur die Ketzer von Anfang an als Manichäer.”” Dadurch sind die kirchlichen Schriftsteller vielfach verführt worden, bei Augustin nachzulesen, was dieManichäer gelehrt hatten, und derenLehren einfach auf die Ketzer ihrer Zeit zu übertragen.” Wo das nichi der Fall ist, wo es sich wirklich unverkennbar um Überzeugun- gen und Lehren der zeitgenössischen Ketzerei handelt, beson- 20. S. den Anhang über die Ketzerei im 11. Jahrhundert. 21. Dieser Fall ist besonders deutlich bei Guibert von Nogent, s. 0. S. 17, und aus späterer Zeit (vor 1180) bei einem Bericht in der Chro- nik des Zisterziensers Rudolf von Coggeshal (Recueil XVII S. 92f.), der die ganze Liste häretischer Irrlehren und Schandtaten her- zählt bei einem Anlaß, der sicherlich nichts mit Manichäismus zu tun hatte, s. u. 8. 180f. Auch Eekbert von Schönau gibt seinen Predigten gegen die Katharer einen Anhang bei mit Auszügen aus Augustins Schrif- ten über die Manichäer, MPL 195 Sp. 18 und 98 (s. besonders den Schluß- abschnitt der Sermones). Vermutlich hatte auch Radulphus Ardens (s.0.8.16) seine Anschauungen über die Lehren der „Manichäer“ in Agen nicht von den Ketzern selbst erfahren, sondern aus der Literatur. — Vgl. P.Alphand&ry, Revue de !’hist. des Religions 52, 1905, S. 189: „Dans le catharisme, que le clerg& catholique assimilait trop volontiers au mani- cheisme, il combattit le dualisme, qui, pour la gen£ralite des cathares, existait si peu.“ a. SP ders auch in allen kirchlich-ofiiziellen Dokumenten über die Ketzerirage, da ist von dualistischer Spekulation entweder über- haupt nichts zu verspüren,‘” oder sie tritt doch ganz in den Hintergrund gegenüber jener Hauptirage, ob die wahre Kirche Christi bei denen ist, die die apostolische Sukzession und damit die ausschließliche und zureichende Befugnis zur Ordinierung aller kirchlichen Ämter für sich beanspruchen — oder aber bei 22. So bei den vom Mönch Heribert beschriebenen Ketzern im Perigord (s. o. S. 20f.), ebenso in den Mitteilungen des Klerus von Lüttich an Lucius Il. im Jahre 1145 über die von Montwimers ausgehende, angeb- lich in ganz Frankreich verbreitete Ketzerei, ss Fredericeg IS. 31£f. Die Ketzer in Köln, die Evervin von Steinfelden beschreibt (vgl. 0.8.19f.), haben sich zwar zu den moralischen Folgerungen des manichäi- schen Dualismus bekannt, aber deren spekulative Begründungen sind ihnen offenbar fremd; sie genießen keine Milchprodukte et quidquid ex coitu procreatur — aber dafür haben sie weder eine Schrift-Norm noch einen philosophischen Grund anzuführen; sie verwerfen die Ehe, sed cau- sam ab eis investigare non potui, vel quia eam fateri non audebant, vel potius quia eam ignorabant — während Evervin sonst zu jedem Punkt ihrer Aussagen ihre Begründung mit anführt. Auch Bernhard von Clairvaux sagt nichts davon, daß die Ketzer, die er kannte, dualisti- sche Lehren vertraten. Hildegard von Bingen, die 1165 vor dem Kölner Klerus über die Mängel der Seelsorge und die Gefahr der Ketzerei predigte (Brief 48, MPL 197 Sp. 249 ff.), entwirft ein Bild von dem künfti- gen populus errans, das der Teufel schicken werde zur Strafe für den pflichtvergessenen Klerus, das genau dieselben Züge trägt wie Hildegards Beschreibung der Ketzerei in einem anderen Brief: Populus iste... a dia- bolo seductus et missus pallida facie veniet et velut in omni sanctitate se componet... vilibus cappis, quae alieni coloris sunt, induitur et recto modo tonsus incedet atque omnibus moribus suis placidum et quietum se homi- nibus ostendet; avaritiam quoque non amat, pecuniam non habet, et in occultis suis tantam abstinentiam imitatur, ut vix ullus ex eis reprehendi possit; vgl. den 47. Brief an den Mainzer Klerus (Sp. 232), wo Hilde- gard den Ketzern nur vorwirft, daß sie die Aumanitas Christi und die sanctitas des Altarsakraments leugnen, daß sie auf des Teufels Rat das Wort: „Seid fruchtbar und mehret euch“ nicht befolgen, und daß sie ihren Leib durch Fasten entkräften et postea omnem voluntatem incesti desi- derii eorum perficiant — aber über dualistische Lehren der Ketzer oder des populus errans sagt sie nichts. Elisabeth von Schönau be- hauptet sogar, die Katharer, die vor den Menschen quasi religiosi et inno- centes apparent, verwürfen die Eucharistie und andere Sakramente, ob- gleich doch auch sie wüßten, daß Gott alles geschaffen hat! s. F.W.E. Roth, Die Visionen der Hl. Elisabeth von Schönau, 1884, S. 76. Zu denen, die so leben, wie die Apostel lebten und wie es das Evangelium verlangt.” Die dualistische Spekulation bildet im 12. Jahrhundert nur gleichsam den philosophischen „Überbau“ der religiösen und moralischen Forderungen der Ketzerei. Der Dualismus sagt dem Menschen eindeutiger, was zu tun sei”! — und diesen Dienst hat er der Ketzerbewegung des 12. Jahrhun- derts leisten müssen. Für Menschen, die aus religiösem und ethischem Drang zum Nachdenken über das Wesen der Welt 23. Eckbert von Schönau kennt die dualistische „Geheimlehre“ der Ketzer (MPL195 Sp.14: in occultis suis dicunt.., während sie mani- festius den Dualismus nicht vertreten) offenbar nur aus Augustin (Sermo I, 3/4 ist vollständig aus Augustins De haeres. ec. 46 geschöpft) und bespricht sie nur ganz flüchtig als „die ihm bekannte Lehre des Mani“ (Sermo VI, 8/9 Sp. 40f.). Außerordentlich eingehend und höchst auf- schlußreich hat er sich dagegen mit den Einwänden der Katharer gegen das katholische System der hierarchischen Ordination (Sermo X Sp. 69 ff.) und die katholische Morallehre auseinandergesetzt. — Das ganze zweite und ein Teil des 3. Buches der Schrift Contra hereticos des Bischofs Hugo von Rouen (f 1164; MPL 1%, Sp. 1273ff.) dient der Recht- fertigung der kirchlichen Hierarchie, der Rest bekämpft vor allem die häretischen Argumente gegen die Sakramente (Taufe, Ehe). — Die Ketzer, über die 1145 der Lütticher Klerus an Lucius I]. berichtet (Fredericgq I 8. 32), lehren: guod neminem spiritum sanctum accipere credunt nisi bonorum operum precedentibus meritis und lehnen das Tauf-, Altar- und Ehesakrament in katholischer Form ab, ebenso den Eid; von dualistischen Lehren ist nichts berichtet. — Vgl. auch Bernhard von Clairvaux, Sermo 66 MPL 183, Sp. 1100. — Bei der Disputation in Lombez (bei Albi) im Jahre 1165 stellen die Ketzer die Frage der rechtmäßigen, evangelisch- apostolischen Ordination in den Mittelpunkt der Debatte, ihre katholischen Gegner legen allen Nachdruck auf die Sakramentenlehre (Taufe, Euchari- stie, Ehe, Beichte), die Anerkennung des Alten Testaments und die Zu- lässigkeit des Eides — von dualistischen Lehren ist nicht die Rede (Mansi XXII 8. 157ff.; Recueil XIV S. 431ff.). — Bei der Disputation in Montreal im Sommer 1206 zwischen Bischof Diego von Osma und dem Albigenserführer Arnald Hot ist es das /undamentum disputationis der Ketzer: ecclesiam romanam non esse sanctam neque sponsam Christi... eiusque ordinationem non esse sanctam, neque bonam mec statutam a domino Jesu Christo; und zweitens: qguod nunguam Christus neque apo- stoli ordinaverunt aut posuerunt ordinem misse sicut hodie ordinatur (Wilhelm von Puy-Laurens, Chron. c. 9 8.128). 24. Vgl. H. H. Schaeder, Urform und Fortbildung des manichäi- schen Systems; Vorträge der Bibliothek Warburg 1924/25 S.114, 132. a erwachten, war die katholische Weltlehre unendlich viel schwerer zugänglich und begreiflich als die manichäische. Das katholische Weltbild, wesentlich bestimmt durch Augustins geistige Entscheidung einerseits gegen den neuplatonischen Monismus, andererseits gegen den manichäischen Dualismus, ist weder ein monistisches noch ein dualistisches System, erkennt weder die Einheit und Identität alles Seienden mit Gott noch die Getrenntheit alles Seienden in die zwei Prinzipien des Lichts und der Finsternis, des Guten und des Bösen an, leugnet daher zwar nicht das Dasein des Bösen, läßt es aber auch nicht als wirklich-seiend gelten, sondern deutet es — als eine Negation des Guten. Die geistigen Mächte aber, die einst im Kampf um die Zukunft des Christentums gelegen hatten und beide durch Augustin überwunden worden waren, der monistische Neupla- tonismus und der dualistische Manichäismus, sind beide nicht endgültis ausgeschaltet worden, sondern haben den Weg des Christentums bedrohlich flankiert. In der Krise des hierarchi- schen Systems im 12, und 13, Jahrhundert sind sie beide, vom $riechischen Osten her, wieder in die christlich-abendländische Welt eingedrungen. Aber das war nur möglich, weil elemen- tare religiöse Bewegungen mit neu erwachtem geistigen Bedürf- nis nach spekulativen Weltlehren suchten und griffen, denen sich eindeutig und klar die neuen religiösen und ethischen Triebkräfte eingliedern konnten. Seit dem Ende des 12, Jahrhunderts trat allerdings die dualistische Spekulation in der Ketzerbewegung stärker hervor. Aber das hatte zur Folge, daß die religiöse Bewegung sich spal- tete. Neben die Katharer, die dem manichäischen Dualismus anhingen und auch untereinander noch durch spekulative Schul- streitiskeiten geschieden waren, traten nun Gruppen der religiö- sen Armutsbewegung und der apostolischen Wanderprediger, die die Entwicklung zur dualistischen Weltanschauung nicht mit vollzogen, sie sogar scharf bekämpften, im übrigen aber die alten Gedanken der religiösen Bewegung weiterverfolsten und deshalb von der Kirche auch weiter bekämpft wurden wie bis- her: nicht um des Dualismus willen, sondern wegen ihrer „apostolischen Ansprüche. Ehe es aber zu dieser Scheidung um spekulativer Probleme willen kam, ging es in der gesamten EN. religiösen Bewegung nicht um dogmatisch-weltanschauliche, sondern um Fragen des religiösen Lebens und der wahren Kirche. Wenn man das verkennt, so wird der Zusammerhang der religiösen Bewegungen dieser Zeit unverständlich.” Durch eine Lebensführung nach dem Vorbild der Apostel, durch Ver- zicht auf alle Güter der Welt in freiwilliger Armut, durch Pre- dist des Evangeliums in rastlosem Herumwandern das christ- liche Leben zu erneuern und die christliche Lehre zu befolgen, zugleich aber dadurch die hierarchische Kirche und den katho- lischen Klerus, solange er nicht wahrhaft christlich, evangelisch und apostolisch lebte, als einen unrechtmäßigen Anwärter auf die Nachfolge der Apostel zu entlarven — das ist der treibende Gedanken in der Ketzerbewegung des 12. Jahrhunderts. Alle Kritik an den kirchlichen Institutionen im Einzelnen, an den Sakramenten (vor allem der Ehe als Sakrament, an der Kinder- taufe und am Altarsakrament in der Form der katholischen Messe), an der Fegefeuerlehre und der Heiligenverehrung, und ebenso alles, was die Ketzer selbst an die Stelle der kirchlichen Zeremonien setzten (vor allem das Consolamentum, die Hand- auflegung nach paulinischem Vorbild, die den Geist vermittelt und dadurch die legitime Ordination zu schaffen beansprucht), sind aus dieser Grundidee des Ketzertums erwachsen. 25. H. Chr. Scheeben, Der heilige Dominikus, 1927, hat zwar die „Geschichte der apostolischen Idee im 12. und 13. Jahrhundert“ für eine „dankenswerte Aufgabe.. von größerer Bedeutung für die Geschichte der Kirche als etwa die Geschichte der Weltmachtstellung des Papsttums“ (8. 440) bezeichnet, aber die große Rolle des Katharertums (das Schee- ben für „im tiefsten Wesen heidnisch (!) und antikirchlich‘“ hält, S.115) in dieser Geschichte der apostolischen Idee hat er völlig verkannt. Daraus er- klärt sich die falsche These, die seine Anschauung über die Anfänge des Dominikanerordens beherrscht: „Äußerlich (!) erscheinen Diego und Domi- nikus als Gegner der Albigenser. Tatsächlich (!) aber setzen sie sich mit der Lehre des Waldes auseinander. Ihre Formulierung der apostolischen Idee lehnt sich nicht an die Lehre der Albigenser an, sondern an die Forderung des Waldes“ (S. 441). Da er über den Charakter der katha- risch-albigensischen Ketzerei nicht Bescheid weiß, sieht er die apostolische Predigt und die Armutsidee, die seit dem Anfang des 12. Jahrhunderts von den Katharern vertreten wurden, als eigentliche Schöpfungen des Waldes an (S. 118). — 29 — N Es bedarf zum weiteren Verständnis noch einiger Bemer- kungen über die sozialen Grundlagen dieser Ketzerbewegung des 12. Jahrhunderts. Nach einer immer wieder vorgetragenen, kaum je bestrittenen oder bezweifelten Behauptung hat sich das Ketzertum, auch die katharische Bewegung des 12. Jahrhun- derts?® hauptsächlich in den untersten sozialen Schichten ausge- breitet, vor allen Dingen in „Handwerkerkreisen“. Die Ge- schichtsforschung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts” neigte dazu, auf Grund dieser Annahme die häretischen Bewegungen und verwandte Erscheinungen geradezu als eine Art „proleta- rische Bewegung” aufzufassen. Aber jene Behauptung ist falsch; für die religiösen Bewegungen des 12. Jahrhunderts trifit sie überhaupt nicht, für das 13. Jahrhundert nur in engen Grenzen zu. Zweierlei hat vor allem die Meinung veranlaßt, die Ketze- reien hätten hauptsächlich in den untersten sozialen Schichten, vor allem im Handwerkerstand sich ausgebreitet und Anhänger gefunden. Erstens die Tatsache, daß katholische Schriftsteller die Ketzer oft als rırsticani und rustici oder als idiotae et illite- rati bezeichnen. Zweitens die mehrfach vorkommende Bezeich- nung der Katharer als Texerants, Weber. Wenn die Ketzer als rusticani oder rustici bezeichnet wer- den, so heißt das nicht, daß sie Bauern waren, sondern daß sie keine gelehrte Bildung hatten;”* die Bezeichnung idiotae et illiterati besagt ganz genau dasselbe. Über die soziale Herkunft der so Bezeichneten ist damit gar nichts ausgesagt oder doch nur so viel, daß sie keine gebildeten Kleriker sind. Rusticanus und rusticus ist der Gegensatz zu doctus oder sapiens.” Daß 26. Über die sozialen Grundlagen der Ketzereien des 11. Jahrhunderts s. im Anhang unten S. 476 ff. 27. S. neuerdings besonders F. Engel-Janosi, Soziale Probleme der Renaissance S. 40 f. 28. In diesem Sinn rusticus sermo als Gegensatz zum Latein, auch rusticum carmen schon in der Karolingerzeit, s. Eligius von Noyon, Homil. 6 MPL 87 Sp.612; MG. Ser. rer. Merov. V S.19. 29. Am deutlichsten im Brief Heriberts (s.0.8.18 Anm.8): In hac seductione quamplures jam non solum nobiles propria relinqguentes, sed et clerici, presbyteri, monachi et monachae pervenerunt; nullus enim tam = Sa. Leute ohne gelehrte, literarische Bildung sich anmaßten, in Fra- gen des Glaubens und der Kirche besser Bescheid zu wissen als der theologisch geschulte Klerus — das wollten die klerikalen Schriftsteller” brandmarken, wenn sie betonen, die Ketzer seien rusticani oder idiotiae et illiterati.' Sie haben dabei nicht be- dacht, daß die Apostel selbst, denen gleichzukommen das höch- ste Streben der Ketzer war, einst von den Priestern und Schrift- gelehrten idiotae et sine literis genannt worden waren.” Als später Franziskus, der reiche Kaufherrnsohn, sich und seine ersten Gefährten mit Berufung auf sein apostolisches Vorbild, selbst als idiota, sogar als pazzus bezeichnete,®® hat er dadurch den gelehrten Spott gegen die fromme Einfalt zum Schweigen gebracht — solange wenigstens, bis auch aus seinem eigenen Orden die gelehrten Theologen gegen die Ketzer als idiofae et illiterati zu Felde zogen. rusticus est, si se eis conjunzerit, quin infra octo dies tam sapiens sit litteris, ut nec verbis nec exemplis amplius superari possit. Vgl. Gui- bert von Nogent, 0.8.17 Anm.6; was er als Probe des „Ketzerlateins“ mitteilt: die Verwechslung von „Beati eritis“ mit „Beati heretici“ und here- tici = hereditarii Dei, ist ohne Zweifel seine eigne Erfindung, denn kein Ketzer hat je sich selbst, sondern alle haben die römische Kirche und den Klerus für „häretisch“ erklärt. — Bernhard von Clairvaux, Sermo 65 (MPL 183 Sp. 1093): Vile nempe hoc genus est et rusticanum, ac sine litteris, et prorsus imbelle, und ihre Irrlehren seien non tam subtilia quam suasibilia, idque dumtaxat mulierculis rusticis et idiotis, et quales utique omnes sunt, quotquot adhuc de secta hac esse expertus sum; Sermo 66 Sp. 1094: Rusticani homines sunt et idiotae et prorsus contemptibiles. 30. Am hochmütigsten vielleicht Walter Map gegenüber den Wal- densern, De nugis ceurialium ed. James S.60, s.u.S.59 Anm. 107. 31. Idiotae oder illiterati wurden bei den Kluniazensern die Mönche genannt, die keine Schulbildung erhalten hatten wie die meist im Kloster erzogenen literati; E. Hoffmann, Das Konverseninstitut des Zister- zienserordens, Diss. Freiburg/Schw. 1905 S. 13f. 32. Act. 4, 13. 33. Testament c.4: Et eramus ydiote et subditi omnibus; I Cel. ce. 10. n. 25 über fr. Philippus, den sechsten Anhänger des Heiligen: Scripturas quoque sacras intelligens et interpretans, cum non didicerit, (vgl. Joh. 7, 15), illorum imitator effectus est, quos idiotas et sine litteris fore Judaeorum principes causabantur. Auch der Chronist Thomas von Spalato nennt Franziskus einen homo idiota im Gegensatz zu den literati (Hist. Salonit., MG. Ser. XXIX S. 580). 230. Ist also mit den Bezeichnungen rusticani, rustici, idiotae, illiterati über die soziale Zugehörigkeit der Ketzer gar nichts gesagt, so scheint die französische Bezeichnung der Ketzer als Texerants, Weber, um so bestimmter auf die soziale Schicht hin- zuweisen, in der die Ketzerei zu Hause ist. In den Quellen des 12. Jahrhunderts wird allerdings niemals behauptet, die Ketze- rei habe sich besonders stark unter Webern ausgebreitet; son- dern die Bezeichnung „Weber“, Texerants, Textores tritt ein- fach als Eigenname für die Ketzer im französischen Sprachgebiet auf, gleichbedeutend mit anderen Namen in anderen Ländern: Katharer in Deutschland,’* Arianer in der Provence,’° Patarener 34. Eckbert von Schönau, Adv. Catharos sermo I MPL 1% Sp. 13: Hos nostra Germania Catharos, Flandria Piphles, Gallia Texerant ab usu texendi appellat (die Bezeichnung Cathari tritt hier zuerst auf). — Ein Konzil in Reims 1157 schritt ein gegen die abjectissimi Textores, qui sepe de loco fugiunt ad locum nominaque commutarunt, und der betref- fende Kanon ist in den Statuten überschrieben: De Piphlis, s. Mansi XXI S. 843; vgl. Ch. Schmidt, Histoire des Cathares II S. 281. 35. Vgl. den Brief Gaufreds, des Sekretäss Bernhards von Clairvaux, über dessen Tätigkeit gegen die Ketzer in Toulouse (Re- eueil XV S. 599): Paucos quidem habebat civitas illa, qui heretico faverent; de Tezxtoribus, quos Arrianos ipsi nominant, nonnullos; ex his vero, qui favebant heresi illi, plurimi erant et mazximi civitatis illius — das heißt: der Ketzer Heinrich (von Lausanne) hatte wenige Anhänger in Toulouse; Ketzer, die bei uns Teztores, in der Provence aber Arriani genannt wer- den, waren einige in der Stadt, und Anhänger hatten diese. Ketzer sehr viele in Toulouse gerade unter den bedeutendsten Einwohnern. Demgemäß ist auch Bernhards Sermo 65 (MPL 183 Sp.1092) zu verstehen: Clerici et sacerdotes populis ecclesisque relictis intonsi et barbati apud eos inter Textores et Textrices plerumque inventi sunt. — Der Name Arriani für die Ketzer in der Provence ist auch sonst mehrfach bezeugt: vgl. die Stellen bei Döllinger, Beitr. I S. 91 Anm. 5, ferner die Annalen des Klosters Anchin (Recueil XVII S. 536) über das Vorgehen des Konzils von Arras 1183 gegen die Ketzer: guidam dicunt eos Manicheos, aliü Cataphrygas, nonnulli vero Arianos, Alerander vero papa vocat eos Paterinos. — Wil- helm von Puy-Laurens, Hist. Albig. (S. 119): Erantque quidam Arriani, quidam Manichaei, quidam etiam Waldenses sive Lugdunenses; Wilhelm erinnert sich aus seiner Kindheit an einen im Jahre 1170 bekehr- ten Ketzer, den man Bernardus Ramundi Arrianus nannte (S. 121). Vgl. auch Berthold von Regensburg, Deutsche Predigten ed. Pfeif- fer-StroblI S.402; II S.70, 186, 216. Der Name ist von den alten Aria- nern wohl einfach übertragen, vgl. Abt Heinrich von Clairvaux, So > in Italien. Mit diesen Namen sind genau wie später mit den Namen „Waldenser” oder Pauperes de Lugduno‘° immer nur die „Vollkommenen”, die tätigen Ketzerprediser selbst bezeichnet worden, die nach dem Vorbild der Apostel durch die Welt zogen,’ niemals aber ihre Anhänger, ihre Gemeinden, die cre- dentes oder fautores. Es fragt sich also, warum diese als Pre- diger nach dem Vorbild der Apostel herumziehenden Leute als „Weber“ bezeichnet wurden. Ab usu texendi, antwortet Eck- bert von Schönau, quia veram fidem Christi et verum cultum Christi non alibi esse dicunt nisi in conventiculis suis, que habent in cellarüs et textrinis et in huiusmodi subterraneis domibus.’® Weshalb aber webten diese keizerischen Wanderprediger? Weil sie Weber waren von Beruf und Herkunft? Stephan von Bour- bon’ erzählt von einem Priester im Bistum Toul, der von den Brief an Alexander III. 1177 (Recueil XV S. 959) über die Ketzerei in Gallien, gegen die er den rigor apostolicae disciplinae aufruft: Revizit et Arrius in partibus occidentis, qui ab orientali judicio in propria persona damnatus, nunc in successoribus suis fines ultimos occupavit. Döllin- gers Meinung (Beitr. I, 91), daß die „Weber zu Toulouse und in der Um- gegend in der dortigen Volkssprache Arriens hießen“ und daß deshalb auch die Ketzer so genannt würden, beruht nur auf falscher Interpretation des oben zitierten Briefs Gaufreds. Guiraud (Cartul. I S. CCXXXI) will den Namen von dem lateinischen Namen der Stadt Castelnaudary: Castrum novum de Arrio ableiten; vgl. Theloe S.67; Vacandard, Revue des Quest. Hist. LV (N.S. XI) S. 76. 36. Vgl. K. Müller, Die Waldenser S. 11ff. 37. S. o. Anm. 34 die Statuten des Konzils von Reims 1157: Textores, qui sepe de loco fugiunt ad locum. 38. MPL 195 Sp.13; auch Sp. 19 und 90 spielt er auf die textrinae an: er wendet sich einmal an die Ketzer: Age opus consuetudinis tue, fac discurrere panuliam cum trama per medium straminis. Caesarius Heisterbach erzählt in seinen Homilien (1225; s. J. Greven, Bonner ' Zs. für Theol. und Seelsorge II, 1925, S. 38), Hildegard von Bingen habe in Köln 1165/6 gegen die pseudoprophetas, id est haeretici gepredigt; als sie gefragt wird, wo man diese finde, antwortet sie: „in speluncis terrae“, domos vocans subterraneas, in quibus textores et pellifices operantur. 39. ed. Lecoy de la Marche S. 215 S 253: quidam sacerdos, per- versus ab hereticis.. recessit cum 40 parrochianis suis apud Mediolanum ad discendam ibi plenius doctrinam hereticorum, qui eciam ibidem abjecto socerdotio faciebat artificia texencium; vgl. Bernh. von Clairvaux. oben S. 31 Anm. 35. 27 u: Ketzern verführt wurde und mit 40 Leuten seiner Pfarre nach Mailand ging, um sich vollständig in der Ketzerei unterrichten zu lassen; dort gab er seinen Priesterstand auf und widmete sich der Weberei. In diesem Fall ist also nicht aus dem Weber ein Ketzer, sondern aus dem Ketzer ein Weber geworden. Nichts spricht gegen die Annahme, daß es sich mit den häretischen „Webern" ganz allgemein so verhält” — und vielleicht hat dabei das Vorbild des Apostels Paulus, der auf seinen Reisen als Teppichweber seinen Unterhalt erwarb,*' entscheidend mitge- sprochen, Es gehört zu dem apostolischen Ideal der Ketzer, von der Arbeit ihrer Hände zu leben, ohne freilich mehr zu er- werben, als zur Befriedigung der Lebensnotdurft genügt.” Die Weberei als dasjenige Gewerbe, das am frühesten sich aus dem bloßen Bedarfsdeckungsprinzip zu industriellen Formen mit steigendem Arbeiterbedarf entwickelte und auch Gelegenheits- arbeiter beschäftigen konnte, war in dieser Zeit offenbar der am besten geeignete „Wahlberuf‘ für Ketzerprediger, die selten lange an einem Ort blieben. Dieses Ketzergewerbe hat sich in dem südfranzösisch-provengalischen Hauptgebiet der Ketzerei 40. Der Londoner Bischof Gilbert Foliot beriet den Bischof Roger von Worcester (1164/79) über Maßnahmen gegen teztores... vestram nuper ingressi dioecesim.. qui corde conceptas hereses in vulgus spar- gendo praedicant (MPL 190 Sp. 936); also Wanderprediger, die als Weber auftraten, nicht ansäßige Weber, in deren Kreisen die Ketzerei verbreitet wurde. — Schon über den 1077 in Cambrai verbrannten Antisimonisten (vgl.0.8.14 Anm.2) heißt es in Balderichs Chronik von Arras und Cambrai (Fredericq IS. 12): De cuius secta per quedam oppida multi manent usque adhuc, et eius nomine censentur textrini operis lucrum exercentes; auch das ist wahrscheinlich so zu verstehen, daß seine Anhänger Weberei trieben, nicht daß er Anhänger unter Webern hatte. — Vgl. J. van Mierlo, Het Begardisme (Versl. en Mededeel. 1930) S. 287: die Albigen ser wurden Texerants genannt, „niet omdat zij wevers waren, maar omdat zij het geworden zijn, naar het voorbeeld van den H. Paulus“, und das- selbe vermutet van Mierlo von den späteren Begarden, s. u. S. 353 Anm. 61. 41. Acta Apost. 18, 3; vgl. 20, 34; 1. Kor. 4, 12; 1. Thess. 2, 9. 42. So schon die Ketzer in Arras 1025, s. u. S. 467. Evervinvon Steinfelden über die Kölner Ketzer: s. 0. S. 20. Auch Bernhards Sermo 65 (MPL 183 Sp. 1092): panem non comedit otiosus, operatur mani- bus, unde vitam sustentat. Ebenso später die Humiliaten in der Lombar- dei, s.u.S8.79, 158f., und die Beginen in Belgien, s. u. S. 195. EI BU. = am Ende des 12. Jahrhunderts geradezu zu einer besonderen „Ketzerindustrie” entwickelt mit eigenen Betrieben für Woll- zubereitung und Tuchfabrikation und mit eigenem Handel; da- durch wurde gleichzeitig die Beschäftigung ihrer Mitglieder und Anhänger (auch der weiblichen) organisiert, ein wirtschaftlicher Zusammenhalt geschaffen und der Unterhalt für die Wander- prediger gesichert.” Alles das zeigt aber deutlich, daß die Be- zeichnung der Ketzer als „Weber“ nicht auf ihre Herkunft aus Handwerkerkreisen schließen läßt oder auf besonders starke Teilnahme der untersten sozialen Schichten an der Ketzerei. Es sind nicht Weber und Handwerker zu Ketzern geworden, son- dern die Ketzer wurden Weber: es ist ein Wahlberuf, in dem sich ihre religiöse Tätigkeit mit ihrer wirtschaftlichen Notdurit am glücklichsten vereinigen ließ.** Wenn also die allgemeinen Benennungen und Bezeichnun- gen der Ketzer keine Rückschlüsse zulassen auf die Verbindung der Ketzerei mit bestimmten sozialen Schichten, so sieht man sich darauf angewiesen, die vereinzelten Angaben der Quellen über die soziale Herkunft bestimmter Ketzer zu sammeln und zu sichten. Dabei aber gewinnt man ein ganz anderes Bild. Guibert von Nogent nennt den einen der beiden in Soissons 1114 verurteilten Ketzer nur rusticanus, ungebildet, den andern aber frater Ebrardus — er war also wahrscheinlich Mönch. — Unter Erz- bischof Bruno von Trier (1102/24) wurden in Iwers in den Ardennen zwei Kleriker und zwei Laien als Ketzer ergriffen (Gesta Trev. c. 20, MG. Ser. VIII, S. 193f.). — Der Mönch Heribert schreibt über die Ketzerei im Perigord: In hac seductione quamplures jam non solum nobiles propria relinquentes, sed et clerici, presbyteri, mo- nachi et monachae pervenerunt. — Bernhards Sekretär Gau- fred (Recueil XV S. 599) erzählt, daß nicht lange vor der Ankunft Bernhards in Toulouse (1145) die Ketzer unum e ditioribus ci- vitatis illius cum uxore eius seduxerant, ut relicta sub- stancia sua et parvulo filio in villam secederent, que hereticis 43. Vgl. Guiraud, Cartulaire I 8. CCLXXIIL ff. 44, Etwas anderes ist es freilich, wenn später Berthold von Regensburg in seinen Predigten häufig sagt, die Ketzer seien Schuster und Weber, die nicht lesen können: das soll auf die Hörer denselben Ein- druck machen wie die Bezeichnung idiotae et illiterati; aber auf die Waldenser seit der Mitte des 13. Jahrhunderts trifft es anscheinend viel- fach auch zu. Ne u plena est, et nullis deinceps propinguorum persuasionibus reduci po- iuerant. — Bernhard selbst sagt (Sermo 65, MPL 183 Sp. 109): Clerici et sacerdotes, populis ecclesüsque relictis, intonsi et barbati apud eos inter Textores et Textrices plerumque inventi sunt. — Die Ketzer in Köln 1143 versichern nach Evervins Bericht, daß plures ex nostris clericis et monachis zu ihnen gehören. — Der Bischof Hugo von Rouen (j 1164) wendet sich in seiner Schrift Contra hereticos vor allem gegen diejenigen, qui a clero deciderunt et ad heresim transierunt (MPL 192 Sp. 1284). — 1172 wurde ein Kleriker Robert (subtiliter quidem, sed inutiliter litteratus) in Arras verbrannt, weil er sich durch die Probe des glühenden Eisene nicht von dem Vorwurf reinigen konnte, guod non solum foret here- ticus, sed et alios foveret et defenderet hereticos (Chron. reg. Colon. ed. G. Waitz, 1880, S. 122). — Den Annalen des Klosters Anchin zufolge (Recueil XVIII S. 536) wurden auf dem Konzil in Arras 1183 als Ketzer angeklagt nobiles, ignobiles, clerici, milites, rustici, virgines, vidue, uzorate. — 1206 disputierte Bischof Diego iu Servian (zwischen Montpellier und B£ziers) mit einem Albigenser Theoderich, der früher Wilhelm hieß und Kanoniker an der Kirche in Nevers war, aber durch seinen Onkel, den Ritter Evrard von Chäteauneuf, zur Ketzerei verführt worden war und nach der Ver- urteilung seines Onkels in Paris 1201 sich nach der Provence begeben hatte und dort eine große Rolle unter den Ketzern spielte; s. Petrus von Vaux-Cernay c. 3 S. 13; über andere milites unter den Ketzern e. 6 S. 22; ec. 7 S. 23. — Dem Bischof Fulko von Toulouse antwortete ein Miles auf die Frage, warum er und seinesgleichen die Ketzer nicht aus ihrem Gebiete vertrieben: non possumus, sumus enim nutriti cum eis et habemus de nostris consanguineis inter ipsos et eos honeste vivere contemplamur; Wilhelm von Puy-Laurens c. 8 S. 127f.). In allen diesen Fällen handelt es sich nicht um Anhänger oder Freunde der Ketzer, um credentes und fautores, sondern um die „Ketzer" selbst, um die in apostolischer Armut herum- ziehenden Prediger. Und diese Zeugnisse sind nicht unter be- stimmten Gesichtspunkten ausgewählt, sondern es haben sich keinerlei anders lautende Angaben über die soziale Herkunft der Ketzer in den Quellen über die Ketzerei bis zum Anfang des 13. Jahrhunderts gefunden.” Daraus ergibt sich, daß sich 45. Der Ketzer Tanchelm im Anfang des 12. Jahrhunderts, ein Laie, der zuerst in maritimis locis rudi populo predigte, dann die Frauen und durch diese Männer für sich gewann (vgl. die folg. Anm.), und dessen intimste Anhänger ein ehemaliger Priester Everwacher und ein Schmied Manasses waren (s. Fredericgq I S. 16ff.), gehört nicht in diesen Zu- Re die Ketzerei keineswegs vorwiegend aus den untersten sozialen Schichten, aus dem „Proletariat‘ rekrutierte, daß vielmehr Ad- lige, reiche Bürger, Priester und Mönche sich vielfach unter die wandernden Ketzerprediger eingereiht haben, und daß zum mindesten den Zeitgenossen gerade diese tätige Teilnahme von Klerikern, von vornehmen und reichen Leuten an der häreti- schen Bewegung bemerkenswert gewesen ist. Es ist auch schon aus diesen Zeugnissen ersichtlich, daß auch Frauen unter den Ketzern mitwirkten; auch dies entsprach ihrer Vorstellung vom apostolischen Leben, denn sie glaubten mit Paulus sagen zu dürfen: Numguid non habemus potestatem mulierem sororem circumducendi sicut et ceteri Apostoli?‘* sammenhang; soweit wir ihn nach den sehr polemischen Quellen beurteilen können, ist zwar auch er von den apostolischen Ideen berührt, aber er ist ein seltsamer Sonderling, der phantastischen Ideen nachgeht. Dasselbe gilt übrigens für den Ketzer Eude oder Eon de la Stella in der Mitte des 12. Jahrhunderts, ss Wilhelm von Newbridge, Recueil XII S. 558; Otto von Freising, Gesta Frid. I, 56f. (quidam pene laicus; vir rusticanus et illitteratus). i 46. Vgl. Hugo von Rouen, Contra hereticos MPL 1% Sp. 1289: Heretici.. tenent secum mulierculas undecunque conductas, non sub lege conjugü, non sub debito consanguinitatis, sed sub contubernio private libidinis. Dicunt se communem in domicilüs suis vitam ducere et more apostolico secum mulieres habere (sie berufen sich auf 1. Cor. 9 5): nos formam apostolice vite servamus, qui mulieres non abjicimus, qui in eodem domicilio, in eadem mensa eas mobiscum licite colligimus. — Bernh. von Clairvauz Sermo 65/6 (MPL 183 Sp. 1091 ff.) hat dieses apostolische Argument der Ketzer besonders heftig angefochten; vgl. ebd. Sp. 1092: Mulieres relictis viris, et etiam viri dimis- sis uxoribus ad istos se conferunt. Vgl. Konzil Reims 1157 (Mansi XXI S.843): Teztores, qui sepe de loco fugiunt ad locum nominaque commuta- runt, „captivas ducunt mulierculas oneratas peccatis“ (aber das ist ein Zitat aus 2. Tim. 3, 6, also weniger eine Beschreibung als eine Klassifizie- rung: „Das sind diejenigen, die nach Paulus’ Worten am Ende der Zeiten kommen“. Zu den Worten: captivas ducunt mulierculas oneratas peccatis sagt die Glosse: subdolis et versutis verbis seducunt mulieres et per eas viros earum — wie der Teufel Adam durch Eva verführte. Auch diese For- mel wird öfters zur „Beschreibung“ von Ketzern verwendet, z. B. bei Tanchelm, s. o. 8. 35 Anm. 45. — 1163 wurden in Köln neben 4 Männern de secta Catarorum auch eine juvencula verbrannt, s. Chron. reg. Colon. ed. Waitz 8.114; Caesarius von Heisterbach, Dial. mirac. V, 19 ed. Strange IS. 298f. wa Prüft man weiterhin die soziale Schichtung der Anhänger- schait der Ketzer,‘ so kann ebensowenig davon die Rede sein, daß nur die unteren Stände oder sie besonders stark der Keize- rei geneigt gewesen wären. Am deutlichsten ist das in Süd- irankreich. Als Bernhard von Clairvaux 1145 in Verfeil gegen die Ketzerei predigen wollte, verließen die Angehörigen der höheren Stände (qui majores erant) die Kirche, und das übrige Volk tat es ihnen gleich. Bernhard ging ihnen nach, um ihnen auf der Straße zu predigen, aber die Vornehmen gingen in ihre Häuser und nur das gemeine Volk (plebecula) hörte ihm zu, konnte aber seine Worte kaum verstehen, weil die majores ihn durch Lärm zu übertönen suchten.‘ Dieselbe Eriahrung, daß vor allem die höheren Schichten der Stadtbewohner und der Adel es mit den Keizern hielten, machte Bernhard auch in den anderen Städten.” Ausdrücklich bemerkt ein Chronist, daß die Ketzerei in der Grafschaft Toulouse um 1177 nicht nur das einfache Volk, sondern auch den Klerus und die weltlichen Großen betörte,®’ und es bedarf in der Tat nur eines Blickes auf die Verhältnisse in Südfrankreich, um festzustellen, daß gerade die führenden Schichten und ein großer Teil des Adels auf Seiten der Ketzerei gegen die kirchliche Hierarchie stand.’ 47. Vgl. dazu die sorgfältigen Untersuchungen von Ch. Molinier, Revue Hist. XCV S.266ff., der aber die soziale Schichtung der Ketzerei erst vom Anfang des 13. Jahrhunderts an verfolgt. 48. Wilhelm von Puy-Laurens c. 1 S. 120. 49. In Toulouse: Ex his, qui favebant heresi üli, plurimi erant et mazimi civitatis ülius (vgl. o. S. 31 Anm. 35). — De militibus promisere nonnulli, quod deinceps expellerent ei non manutenerent eos (scil. hereticos). Si qui vero cupidi fuerint et aliter voluerint agere, here- ticorum munera diligentes, data est sententia in hereticos et in fautores eorum etc... Milites quidem nonnullos invenimus obstinatos, sed non tam errore, ut nobis videtur, quam cupiditate et voluntate mala. Recueil XV S. 59. 50. Gervasius Dorobernensis monachus, Chron. de reg. Angliae, Recueil XIII S. 140: heresis... non solum vulgus simplex, sed et ecclesie dei sacerdotes et episcopos cum principibus laicis tabe confecit nefanda. 51. Petrus von Vaux-Cernay, c. 1 S. 6: Barones terre pro- vincialis fere omnes hereticorum defensores et receptatores effecti ipsos amabant ardentius et contra deum et ecclesiam defendebant. Vgl. Gui- raud, Cartulaire I S. COXXXVIff, CCLX; Guiraud hat Listen von Anhängern der Ketzerei in den Städten der Provence zusammengestellt, ee Schon Bernhard von Clairvaux’? hat allerdings behauptet und es ist seitdem oft wiederholt worden,’® daß die höheren Stände und vor allem der Adel nicht aus religiösen, sondern aus sehr profanen wirtschaftlichen und politischen Motiven, aus Hab- sucht, Geld- und Landgier die religiössen Armutslehren der Ketzerei befördert und geschützt hätten, um sich auf Kosten des Kirchenguts bereichern zu können. Derartige Motive mögen in der Tat bei manchem der politisch interessierten Herren der Provence mitgesprochen haben; keinesfalls aber können sie die Teilnahme fast des gesamten Adels, die engen Beziehungen vor allem der Frauen des Adels zu den Ketzerpredigern und die Bekehrung mancher reicher Adliger zu freiwillig armen Wander- predigern erklären. Entscheidend sind dabei immer die religiö- sen Gedanken und Forderungen, und soweit sich die Frage, welche sozialen Schichten vorzugsweise von diesen religiösen Gedanken ergriffen worden sind, überhaupt auf Grund unserer Quellen allgemein beantworten läßt, muß es als sicher gelten, daß der Ketzerei vielfach Kleriker, Adlige und reiche Bürger zugehört haben; von einer „proletarischen” Anhängerschaft da- gegen ist nicht das geringste zu erkennen.’* 2. Die apostolische Wanderpredigt und die Entstehung neuer Orden. Bernhard von Clairvaux hat in seinen Predigten über die Ketzerei auch die Frage aufgeworfen, wie die Kirche gegen die in denen vielfach der gesamte Adel der Gegend vertreten ist; s. a. Mo- linier 2.2.0. 52. S. o. Anm. 49 und Sermo 66 Sp. 1101f.: Dolendum valde, quod non solum laici principes, sed et quidam ut dicitur de clero necnon de ordine episcoporum, qui magis eos persequi debuerant, propter quae- stum sustineant, accipientes ab eis munera; vgl. auch Guiraud, Cartu- laire I S. CCOLXIff. 53. Vgl. z.B. F. Engel-Janosi S. 40f. 54. Auffallend oft hat im Gegenteil bei den Ketzerprozessen des 12. ‚Jahrhunderts das „Volk“ in ordnungswidriger Weise gegen die Ketzer Stellung genommen und ohne oder gegen den Willen der zuständigen bischöflichen Gerichte seine aufgereizte Leidenschaft durch Lynchjustiz befriedigt; vgl. Theloe $. 23f., 28, 31, 33, 35, 38f., 43—55, 63; vgl. unten S. 51. > Ketzer vorgehen solle, wenn sie weder geständig sind noch über- führt werden können, und hat dafür eine sehr einiache Maß- nahme empfohlen: man soll die Männer und Frauen, die vor- geblich in strenger Keuschheit miteinander leben und herum- ziehen, nach den Geschlechtern getrennt zu Gemeinschaften zu- sammenschließen, in denen sie ihre Enthaltsamkeits-Gelübde gemeinsam und unter Aufsicht erfüllen können, ohne wie bisher Verdacht und Anstoß zu erregen; wer sich diesem Vorgehen nicht fügen würde, der dürfe mit vollem Recht als Ketzer aus der Kirche ausgestoßen werden.” Dieser Vorschlag läßt deut- lich erkennen, daß auch in Bernhards Augen die häretische Bewegung in erster Linie ein Problem des kirchlichen Lebens. nicht des Dogmas war: nicht die Irrlehren der Ketzer zu be- kämpfen oder zu widerlegen schien ihm die dringendste Auf- gabe, sondern die Wahrung der kirchlichen Ordnung gegenüber den neuartigen und verdächtigen Lebensformen der religiösen Bewegung, die Einordnung der religiösen Bewegung in das be- stehende Gefüge von Klöstern und Orden.’ Dieser Grundsatz hat, wie wir sehen werden, später tat- sächlich das Verhalten der Kirche zu der religiösen Bewegung weitgehend bestimmt, er hat aber auch schon nahezu ein halbes Jahrhundert vor Bernhards Predigten bei der Entscheidung über den kirchlichen oder häretischen Charakter der apostolischen Armutsbewegung den Ausschlag gegeben. 55. Sermo 66 MPL 183 Sp. 1102: Quomodo, inquiunt, damnabimus nec convictos nec confessos? Frivola satis non ratio, sed occasio; hoc solo, etiamsi aliud non esset, facile deprehendis, si, ut diri, viros et feminas, qui se continentes dicunt, ab invicem separes et jeminas quidem cum alüs sui et serus et voti degere cogas, viros aeque cum eiusdem propositi wviris. Per hoc enim consultum erit utrocumque, voto simul et famae, cum con- tinentiae suae et testes habuerint et custodes. Quod si non sustinent, justissime eliminabuntur de ecclesia, quam scandalizant. 56. Daher gehen auch Bernhards Anschauungen über die Nachfolge Christi ganz andere Wege als die der apostolischen Wanderpredigt in christlicher Armut; vgl. C.M. Slotemaker de Bruine a.a.0.S. 16 ff., besonders S. 66: „Het gereguleerde kloosterleven naar de grondslagen van Benedictus acht Bernard de aangewezen levensvorm voor degenen, die Christus in den speciaien zin willen navolgen. Hij voelt monachaal.“ Von einer imitatio apostolorum ist bei Bernhard nie die Rede. er Al) — Gleichzeitig mit den „manichäischen” Ketzern erscheinen am Anfang des 12. Jahrhunderts andere Vertreter der gleichen Ideen des apostolischen Lebens und der christlichen Armut, Wanderprediger, die in Erfüllung der evangelischen Weisungen, in Nachahmung der Apostel, unter Verzicht auf allen Besitz durch das Land ziehen, zu Buße und Frieden mahnen und gegen die Sünden des Klerus eifern.”‘ Von den Ketzern, wie sie die 57. Vgl. Joh. v. Walter, Die ersten Wanderprediger Frankreichs I, 1903 und II, 1906; dazu H. Böhmer, Theol. Lit.-Zeit., XXIX S. 330 ff. und 396. Von Robert von Arbrissel ist nicht ausdrücklich be- zeugt, daß er sich zur Nachahmung der vita apostolica bekannt habe, aber sein Auftreten als barfuß, bärtig, in rauher Kutte herumwandernder Pre- diger (v. Walter I S. 128) verrät dieses apostolische Vorbild, ebenso die Bezeichnung seiner Anhänger als pauperes Christi (MPL 162 Sp. 1053; v. Walter IS. 125). Der mit ihm in engster Beziehung stehende Bern- hard von Thiron soll 1101 durch Paschalis II. geradezu zum vicarius apostolorum ernannt und ermächtigt worden sein, von den Gaben derer zu leben, denen er predigte (s. u. Anm. 59). Über Vitalis von Savigny, der gleichfalls aus dem Kreis Roberts kam (v. Walter I S. 66ff., 83), sagt Ordericus Vitalis (Hist. eceles. ed. Prevost II S. 449): leve jugum Christi per apostolorum vestigia jerre decrevit. — Heinrich von Lausanne trat in ähnlicher Apostel-Tracht auf wie Robert (Gesta pontif. Cenomann., Recueil XII S. 547); Bernhard von Qlair- vaux schreibt über ihn (Recueil XV S. 598): factus gyrovagus et profugus super terram; cumque mendicare cepisset, posuit in sumptu evangelium (nam literatus erat) et venale distrahens verbum dei evangelizabat ut man- ducaret (vgl. v. Walter II S. 133£).. Norbert von Xanten bezeich- nete es 1191 bei den Verhandlungen mit dem Bischof von Laon über seine künftige Tätigkeit ausdrücklich als seinen unveränderlichen Vorsatz: secundum saniorem intellectum pure evangelica et apostolica vita prae- elegi vivere, und machte die Annahme der Abtswürde bei den Kanonikern von $S. Martin in Laon davon abhängig, daß sie den modus evangelicae institutionis annähmen, imitatores Christi und voluntarü pauperes seien - (Vita ce. 9, MG. Ser. XII S. 678). Die Vita (S. 675f.) beschreibt sein novum genus vitae folgendermaßen: in terra degere et nil de terra quaerere; juxta mandatum evangelii neque peram neque calciamenta neque duas tunicas portabat, und sie läßt Norbert sagen: Nos.. non nostris meritis, sed sola dei superhabundanti gratia imitatores apostolorum effecti sumus. Anselm von Havelberg (Dial. I, 10 MPL 188 Sp. 1155) läßt Norbert in apostolicae vitae imitatione auftreten und rühmt, daß er alle, die ihm folgten, ad per- fectionem apostolicae vitae verbo et exemklo informavit. Auch die Wahl der Augustinerregel als Grundlage seines Ordens ist durch den Gedanken bestimmt, dadurch seinem Vorsatz der vita apostolica treu bleiben zu kön- rn A - gleichzeitigen Zeugnisse beschreiben, unterscheiden sich diese Wanderprediger nur dadurch, daß sie ihr Wirken durch kirch- liche Autoritäten legalisieren lassen und sich vor jeder Be- rührung mit heterodoxen Lehren wie dem manichäischen Dua- lismus hüten. Die Kirche hat tatsächlich in mehreren Fällen solchen Wanderpredigern die Berechtigung zu ihrem Wirken bestätigt. Robert von Arbrissel, einst Ratgeber des Bischofs von Rennes, dann Abt eines Klosters von Augustiner-Chorherren im Walde von Craon, erhielt im Februar 1096 von Urban II. die Erlaubnis zur Wanderpredigt;”* Bernhard von Thiron, der sich um 1101 an Robert anschloß, soll in Rom von Paschalis II. mit dem Amt eines predicator publicus betraut worden sein;” ein Mann namens Heinrich (von Lausanne), der vorher Mönch ge- wesen war, erwirkte 1101 von Bischof Hildebert von Le Mans die Erlaubnis zur Predigt in dessen Diözese;®’ Norbert von Ge- nepp, aus freiherrlichem Geschlecht, Kanoniker in Xanten,‘ auf einer Fritzlarer Synode wegen unberechtigter Predigttätigkeit angeklagt,°* wurde im November 1118 durch Papst Gelasius II. nen (Vita c. 12), Vgl. ferner Abälards Sermo de S. Johanne Bapt., MPI. 178 Sp. 605 über Norbert et coapostolum eius Farsitum und Hist. calam. c. 12 (ib. Sp. 164) über die novi apostoli Norbert und Bernhard. 58. Vgl. die Vita Roberts von Balderich von Dol, MPL 162 Sp. 1050£. In welchen Grenzen sich diese Predigtbefugnis hielt, ist nicht be- kannt; vgl. v. Walter]. 59. Vgl. die Vita von Gaufridus Grossus MPL 172 Sp. 1403: Papa... ei huiusmodi officium injunzit scilicet ut populis praedicaret, confessiones acciperet, poenitentias injungeret, baptizaret, regiones circuiret et omnia quae publico praedicatori sunt agenda solliciter expleret. At post- quam ei vicem apostolatus tradidit, nolens ut apostolorum vicario, quem sine pecunia ad praedicandum destinabat, victus deficeret, monuit ut ab illis cibum corporis acciperet, quos verbo salutis reficeret. — Ob die Vita den wirklichen Sachverhalt zutreffend wiedergibt, ist allerdings frag- lich, s. v. Walter II S. 4f.; aber die Stelle ist bezeichnend für die Be- urteilung der Wanderprediger. 60. Gesta pontificum Cenomannens., Recueil XII S. 548 (dazu ebda. XV S. 281 Anm. e). 61. Vgl. J. Greven, Die Bekehrung Norberts von Xanten; Annalen d. Hist. Vereins f. d. Niederrhein CXVII, 1930, S. 151 ff. 62. Vita c. 4 MG Ser. XII S. 673: quare praedicationis officium usur- passet et quare religionis habitum praetenderet, cum adhuc de proprio vivens nondum ad religionem accessisset. EN zur Wanderpredigt ermächtigt.” In allen diesen Fällen aber haben sich nach kurzer Zeit Bedenken und Widersprüche er- hoben gegen das Wirken dieser Wanderprediger, und schließ- lich ist überall das Einschreiten der Kirche gegen die freie Aus- übung der Wanderpredigt nötig geworden. Denn bei diesen von der Kirche ermächtigten Wanderpredigern stellten sich ganz ähnliche bedenkliche Folgeerscheinungen ein wie bei den Ketzerpredigern. Einerseits wandte sich ihre apostolische Pre- digt stets mit rückhaltloser Heftigkeit gegen die Sünden des Klerus, reizte dadurch den Widerspruch der hierarchisch ge- sinnten Kreise und drohte die Achtung vor der hierarchischen Ordination zu untergraben.** Andererseits aber sammeln sie 63. Vita c. 5 8. 674: liberam praedicandi facultatem obtinuit, quam ei dominus papa litterarum suarum auctoritate jirmavit; vgl. Chronik vor Mailros MG.Ser. XXVII S. 434: 1118 dominus Norbertus papam Gela- sium adiens officcum ab eo praedicationis accepit; Anselm von Havelberg, Dial. I, 10 MPL 177 Sp. 1150: propter suam religionem et multas enormitates et schismata, quae tunc fiebant in occidentali ecclesic, a romano pontifice Gelasio litteras et auctoritatem praedicandi accepit. Nach Rupert von Deutz (MPL 170 Sp. 492) soli Norbert behauptet haben, quod cum auctoritate apostolica undecim suscepisset praedicationis remedio curandos episcopatus. 64. Für Robert von Arbrissel: v. Walter I S. 121ff.; bes. den Brief Bischof Marbods von Rennes (ebda. S. 181ff.), der für Roberts Tätigkeit als Wanderprediger um so wichtiger ist, als die hagiographische Vita (ebenso wie die Vita Norberts) diese Zeit aus begreiflichen Gründen fast mit Stillschweigen übergeht: /n sermonibus, quibus vulgares turbas et imperitos homines docere soles, non tantum praesentium, ut decet, vitia reprehendis, sed absentium quoque ecclesiasticorum non solum ordinum, sed etiam dignitatum crimina, quod non decet, enumeras, carpis, laceras ... At enim tibi forte conducit, ut cum vulgari opinione ecclesiae ordo viluerit, tu solus cum tuis habearis in pretio etc. — Über Bernhard von Thiron vgl. v. Walter II S. 53. — Über Heinrich (von Lausanne) vgl. Gesta pontif. Cenomann., Recueil XII S. 548 u. 551; v. Walter IS. 130 ff. — Norbert hat schon vor 1118 in Xanten durch seine heftigen Pre- digten gegen den sündigen Klerus Anstoß erregt (Vita c. 2 S. 672), beein- flußt durch das Vorbild des Einsiedlers Liudolf, qui tam in fratribus suis quam in se caedes et minas sustinuit a pravis sacerdotibus et clericis, ouorum vicia reprehendere consueverat. Über Norberts Wirken als Wander- prediger in Frankreich sind die hagiographischen Quellen zu dürftig, um ein genaues Bild davon zu geben. NEE - =. eine Schar von männlichen und weiblichen Anhängern um sich, deren ungeregeltes, unstätes gemeinsames Leben gegen die Grundsätze der stabilen kirchlichen Ordnung genau so verstieß wie das Treiben der Ketzer. Vor allem die Beteiligung von Frauen an diesem neuartigen apostolischen Leben hat hier wie bei den Ketzern das Einschreiten der Kirche herausgefordert.° Robert von Arbrissel ebenso wie Bernhard von Thiron, Vitalis von Savigny und Norbert von Xanten sind nach wenigen Jahren freier Wanderpredigt zu Ordensgründern geworden. Wieweit dabei in jedem Falle die Kirche ihre Hand im Spiele hatte, ist nicht klar zu erweisen, aber die Tatsachen lassen doch den Zusammenhang mit großer Wahrscheinlichkeit er- schließen. Vier Jahre lang war Robert als Wanderprediger mit der Schar seiner Anhänger im Lande herumgezogen; überall erregte dieses Auftreten Anstoß bei der hohen Geistlichkeit. Zu Ende des Jahres 1100 war er auf einer Synode in Poitiers, die von zwei Kardinälen geleitet wurde. Unmittelbar darauf grün- det er das Kloster Fontevrault, bringt seine weiblichen Anhän- ger dort in strenger Klausur unter und legt damit den Grund- stein zu einer neuen Kongregation. Die Vermutung liegt nahe, 65. Roberts Vita von Balderich MPL 162 Sp. 1051: Sezus utriusque adjuncti sunt ei; ..mulieres cum hominibus oportebat habitare. Diese Tat- sache gab den Bischöfen am meisten Anlaß zur Klage; s. vor allem Mar- bods Brief an Robert (v. Walter I S. 182ff.), ähnlich Gottfried von Vendöme (ebd. S. 133); vgl. den Brief Roscelins an Abälard (ebd. S.31): Vidi dominum Robertum feminas a viris suis fugientes viris ipsis recla- mantibus recepisse, et episcopo Andegaviensi, ut eas redderet, praecipiente inobedienter usque ad mortem obstinanter tenuisse. — Über die weibliche Anhängerschaft Heinrichs (von Lausanne) vgl. Gesta pontif. Cenomann. Recueil XII S. 548A und 549C, auch 550 A und Bernhards Brief, Recueil XV S. 598; ihm wird genau wie Robert vorgeworfen, daß er einerseits matronae, verheiratete Frauen der höheren Schichten, andererseits Dirnen durch seine Predigten „verführt“ habe, und er wird deshalb genau so ver- dächtigt wie jener. — Von der Anhängerschaft Norberts von Xanten wäh- rend seiner Wanderpredigten erfahren wir durch die dürftigen Quellen nichts; die Eigenart seines Ordens (s. u.) läßt auch bei ihm auf große Wir- kung unter den Frauen schließen. 66. Die Biographen hatten natürlich kein Interesse daran, die Begrün- dung der neuen Orden als Zugeständnis der „Gründer“ an die Forderun- gen der Kirche erscheinen zu lassen! REN 12 daß über diese Frage auf jener Synode verhandelt worden war, daß Robert die gegen ihn erhobenen Vorwürfe durch die Zu- sicherung hatte beschwichtigen müssen, künftig nicht mehr seine Anhänger beiderlei Geschlechts mit sich herumziehen zu lassen, sondern getrennt voneinander, vor allem aber die Frauen in Klöstern unterzubringen,‘ Norbert von Xanten wurde aus ähnlichen Gründen zum Ordensstifter. Nachdem er ein Jahr lang als Wanderprediger durch Frankreich gezogen war, suchte er im November 1119 auf einer Synode in Reims von dem neuen Papst Calixt II. eine er- neute Bestätigung seiner Befugnis zur Wanderpredist zu er- halten. Ob ihm diese seine Bitte erfüllt wurde, ist nicht ganz sicher. Allem Anschein nach war aber weder der Papst noch der Bischof von Laon dazu bereit, Norbert weiterhin wie bisher mit seinen Anhängern als freien Wanderprediger herumziehen zu lassen. Anschließend an die Synode von Reims versuchten sie für Norbert einen neuen Wirkungskreis zu finden, der seinen unstäten Wanderpredigten ein Ende machen und ihn und seine Anhänger in feste kirchliche Ordnungen einfügen sollte. Nor- bert hat in diese Pläne nur unter der Bedingung eingewilligt, daß er dabei seinem Vorsatz treu bleiben könnte: ein evangelien- gemäßes, apostolisches Leben zu führen. Nachdem der Ver- 67. In der Vita Bernhards von Thiron ist der Zusammenhang zwischen seiner Tätigkeit als Wanderprediger, seiner Verhandlung mit der Kurie (s. o. S. 41 Anm. 59) und seinen Klostergründungen ebensowenig klar- gestellt wie bei Robert von Arbrissel (vgl. v. Walter II S.31ff.).. Aber nicht lange nach den Verhandlungen mit Paschalis II. zog er sich zunächst als Eremit auf die Insel Chausey zurück, und als er dann wieder öffent- lich als Prediger auftrat, gründete er zugleich Klöster für Frauen und Männer. 68. Die Vita sagt (ce. 9 MG. Ser. XII S. 678), daß er die von Gelasius 1118 erwirkte Predigterlaubnis renovari postulavit et renovatas accepit. Hermann von Tournai dagegen erzählt (Mirac. III, 2, ebda. S. 655): quia nimis ibidem papa occupatus non ex integro desiderüs eorum vel collo- quiis satisfacere poterat, versprach er dem Bischof von Laon, der sich Norberts angenommen hatte, nach Beendigung des Konzils nach Laon zu kommen und dort die Sache weiter zu besprechen. Vgl. dazu A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands IV S. 372 Anm. 9. 69. Vita c. 9 S. 678: secundum saniorem intellectum pure evangelica nn such, ihm die Leitung einer Gemeinschaft von Augustiner-Chor- herren in Laon zu übertragen, an deren Widerstand gegen Nor- berts religiöse Forderungen gescheitert war, verhalf ihm der Bischof von Laon zur Gründung eines eigenen Klosters, das er nach seinen Ideen einrichten konnte. So ist Pr&montre ent- standen, Ob auch gegenüber Heinrich von Lausanne der Versuch ge- macht worden ist, seine Wirkung durch Einfügung in klöster- liche Ordnungen unschädlich zu machen, ist unbekannt. Er selbst hat sich zwar auf einer Synode in Pisa 1134 verpflichtet, seine Tätigkeit als Wanderprediger aufzugeben und Mönch in Citeaux zu werden,'’ er hat aber diese Verpflichtung nicht ein- gehalten; seine Anhänger in klösterlichen Gemeinschaften zu- sammenzuschließen und einen Orden zu gründen, das hat er, so viel wir wissen, nie versucht. Eben deshalb ist er immer von neuem als Ketzer verfolgt, von Bernhard von Clairvaux heftig bekämpft,’' schließlich gefangen gesetzt worden.”” Ohne über diese Vorgänge in allen Einzelheiten Klarheit schaffen zu können, darf man doch feststellen: nur solche apostolische Wanderprediger haben im Gefüge der kirchlichen Ordnungen Anerkennung ihres Wirkens gefunden, die — sei es auf Weisung der Kirche, sei es aus eigenem Entschluß — durch die Begründung von Klöstern, Kongregationen, Orden für ihre Anhängerschaft eine neue, stabile Lebensform schufen, in der sich unter fester Regel die Erfüllung und Befolgung der religiö- et apostolica vita praeelegi vivere. Vielleicht darf man in den Worten secundum saniorem intellectum den Versuch sehen, seine evangelisch- apostolische Idee gegenüber den häretischen Formen der apostolischen Nachfolge abzugrenzen. Einen ähnlichen Sınn haben wahrscheinlich die Worte Roberte von Bretagne (1109/1112, ed. Petigny, Bibl. de l’&cole des chartes V 3, 1854, S. 225): Sunt quidam adulterantes verbum dei.. non iudicantes evangelium et decreta et sacros canones. 70. S. den Brief Gaufreds, Recueil XV. S. 599. 71. 1145 auf der Missionsreise mit Kardinal Alberich, s. Recueil XV, 597 ff.; Gaufred unterscheidet immer sehr genau zwischen Heinrich und seinen Anhängern einerseits und den Ketzern (Arriani, Textores) und ihren fautores andrerseits (s. o. S. 31 Anm. 35). 72. Recueil XIV S. 373 und XV S. 610; vgl. v. Walter II S. 133; Theloe S. 167ff. A en sen Vorsätze und Gelübde überwachen ließ.” Wandernde Pre- diger, die sich nicht dazu entschlossen, in Klöstern ein geregel- tes Dasein für diejenigen zu schaffen, die durch die Wirkung ihrer Predigt aus den Geleisen des Weltlebens herausgerissen wurden, hat dagegen die Kirche mit aller Schärfe als Ketzer verfolgt. Der Grundsatz, den Bernhard von Clairvaux später in den Maßnahmen gegen die apostolische Ketzerei seiner Zeit befolgt sehen wollte, hat also das Verhalten der Kirche gegen- über der apostolischen Bewegung schon seit dem Beginn des 12, Jahrhunderts bestimmt. Die neuen Klöster und Orden, die auf diese Weise durch das Wirken der Wanderprediger in Frankreich entstanden sind, tragen das Gepräge dieser Entstehung in auffallender Weise an sich. Sie sind nicht, wie alle früheren Neubildungen des Mönch- tums, wie auch: die gleichzeitig entstehenden neuen Orden und Kongregationen (vor allem die Zisterzienser), aus dem Schoße des bestehenden Mönchtums selbst hervorgegangen, sind nicht Reformen des benediktinischen Mönchtums, die in Benediktiner- klöstern selbst ihren Anfang genommen haben; sondern es sind Neubildungen im eigentlichen Sinn: Versuche, eine sich außer- halb der Klöster abspielende religiöse Bewegung in neue For- men des klösterlichen Lebens zu fassen. Da nun diese religiöse Bewegung nicht (wie alle Reformbewegungen des benediktini- schen Mönchtums)’* ausschließlich Männer erfaßt, sondern be- sonders stark auch unter den Frauen gewirkt hatte, so konnten diese neuen Klöster nicht reine Männerklöster sein. Die weib- liche Anhängerschaft der Wanderprediger in Klöstern unter- 73. Die zwischen v. Walter einerseits, Böhmer und Hauck andrerseits umstrittene Frage, ob durch die Kloster- und Ordensgründung in allen Fällen die freie Wanderpredigt beendet wurde, läßt sich dahin entscheiden, daß sowohl Robert von Arbrissel und seine Genossen als auch Norbert von Xanten auch nach den Klostergründungen noch als Prediger auftraten, aber nicht mehr von ihrer Gefolgschaft auf ihren Predigtzügen begleitet wurden. Im Nekrolog des Vitalis von Savigny (ed. L. Delisle, Rouleaux des morts, 1866, S. 284) heißt es ausdrücklich: Nec tamen in regimine positus (nach der Gründung des Klosters Savigny 1112) pristi- nam paupertatem deseruit, predicationi nihilominus incubuit. 74. Vgl. St. Hilpisch, Die Doppelklöster S. 60; H. Kirchesch, Die Verfassung.. des Zisterzienserinnenklosters zu Namedy S. 4f. Ar = zubringen, hatte sich sogar als besonders dringliche Aufgabe er- wiesen. Daraus erklärt sich die Eigenart der neuen Kloster- bildungen, der Fontevraldenser ebenso wie der Prämonstraten- ser. Robert”® wie Norbert haben ihre Klöster für Männer und Frauen gemeinsam eingerichtet, so allerdings, daß innerhalb des Klosters eine möglichst strenge Scheidung durchgeführt war. Die Frauenklöster oder Doppelklöster, die auf diese Weise aus der Wanderprediger-Bewegung entstanden, waren die ersten und für lange Zeit die einzigen Stätten, in denen die von der religiösen Bewegung ergriffenen Frauen ein Gemeinschaftsleben in strenger Askese und Ordenszucht führen konnten. In Roberts Kloster Fontevrault und seinen Zweiggründungen, bei deren Regelung die Benediktinerregel zugrunde gelegt und durch neu- artige Statuten ergänzt und verschärft wurde,’® herrschte das weibliche Element sogar durchaus vor, auch die Leitung lag in den Händen einer Frau, und die männlichen Mitglieder waren hauptsächlich dazu bestimmt, den gottesdienstlichen und wirt- schaftlichen Bedürfnissen der Frauengemeinschaften zu dienen. Wahrscheinlich liegt darin der Hauptgrund für den schnellen Niedergang der von Robert gegründeten Kongregation von Fontevrault. Ihren Ursprung und ihre schnelle Entfaltung hatten diese Klöster der Wanderpredigt Roberts zu danken, und nach seinem Tod (c. 1117) fiel dieser Ansporn fort. Eine festgeord- nete Mönchskongregation, die sich aus eigenen Kräften weiter entwickeln konnte, hatte Robert nicht zu schaffen verstanden, und dadurch fehlte auch seinen Frauenklöstern der Rückhalt für eine bedeutende und wachsende Entfaltung. Denn ohne den Anschluß an einen aufstrebenden Männerorden haben Frauen- klöster nirgends eine große und stätige Entwicklung gehabt.” 75. Die Genossen Roberts von Arbrissel haben fast alle gleichfalls nicht nur Männer-, sondern auch Frauen- oder Doppelklöster gegründet: vgl. v. Walter I S. 108f. über Radulph von La Fütaie; S.111 über den Mönch Salomon; S. 116 über Girald von Salles. 76. Vgl. v. Walter IS. 144ff. 77. Aber noch der Lyoner Kaufmann Waldes hat bei seiner Be- kehrung 1173 seine Töchter in das Kloster Fontevrault geschickt; s. Chron. Laudun. ed. Cartellieri-Stechele S. 21. EIN RABS ale Weit größere Bedeutung hat die Zugehörigkeit von Frauen zu den Klöstern des von Norbert von Xanten begründeten Or- dens gewonnen. Der wichtigste und zuverlässisste Zeuge für das Wirken Norberts in den Anfängen von Pr&montre, Hermann von Tournai,'® weiß besonders zu rühmen, daß Norbert ebenso die Frauen wie die Männer der strengen Zucht seines Ordens unterstellt hat, und sieht sein überragendes Verdienst gerade darin, daß er nicht wie die Zisterzienser nur Männer, sondern auch Frauen aufgenommen hat und ihnen sogar eine noch här- tere Lebensweise vorschrieb als den Mönchen, ohne dadurch den weiblichen Zudrang in seine Klöster zu hemmen.” Die Anfänge des Klosters Pr&emontr& und seiner Tochtergründungen sind noch zu wenig aufgeklärt, als daß man die Rolle des weiblichen Elements in ihnen deutlich erkennen könnte. Sie sind dort nicht der dominierende Teil der Klostergemeinschaften, wie in 78. Miracula s. Mariae Laudunensis III c. 6 (geschrieben 1149/50; MG.Ser. XII S. 657): Non solum autem virorum, sed etiam feminarum cohortes idem Norbertus ad deum convertere studuit, ita ut hodie in diver- sis eiusdem ecclesie (d.h. des Bistums Laon) locis plus guam mille videamus conversas tanto rigore et silentio deo servire, ut in districtissi- mis coenobüs monacorum vix similem religionem possit aliquis invenire. 79. Ib. II ec. 7 S. 659 bei einem Vergleich zwischen Norbert von Xanten und Bernhard von Clairvaux: In Oistellensi coenobio soli viri suscipiuntur, domnus vero Norbertus cum sexu virili etiam femineum ad conversionem suscipi constituit, ita ut etiam artiorem et districtiorem in eius monasterüs videamus esse conversationem feminarum quam virorum. Er beschreibt darauf die Strenge der Klausur und die Härte der Lebensformen, und fährt fort: Et cum in tanta districtione et vilitate cum silentio sciantur esse reclusae, miro tamen modo Christi operante virtute cotidie videmus feminas non modo rusticas vel pauperes, sed potius nobilissimas et ditis- simas, tam viduas iuvenculas quam etiam pwuellulas, ita conversionis gratia spretis mundi voluptatibus ad illius institutionis monasteria festi- nantes et quasi ad mortificandam teneram carnem currentes, ut plus quam decem milia feminarum in eis hodie credamus contineri. Si ergo nihil aliud dommus Norbertus fecisset, sed omissa conversione virorum tot feminas servitio divino sua exhortatione attraxisset, nonne mazxima laude dignus fuisset? 80. In den biographischen Quellen findet sich nichts darüber, außer etwa der Hinweis, daß die Gemahlin Gottfrieäs von Kappenberg gleich- zeitig mit diesem 1122 den Schleier nahm, vermutlich in einem der drei von Gottfried gestifteten Prämonstratenserklöster. a. Fontevrault, sondern leben als „Inklusen‘‘ oder „Conversen“ in strenger Klausur bei den Männerklöstern, stehen unter der Lei- tung des Abtes, besorgen wohl auch häusliche Arbeiten für die Brüder und sind am Chordienst anfangs nicht beteiligt.‘ Der Zustrom von Frauen aller Stände, besonders auch des Adels,’ muß jedenfalls auffallend groß gewesen sein, so daß Herrmann von Tournai schon in der Jahrhundertmitte von 1000 Frauen in den Prämonstratenserklöstern des Bistums Laon, 10 000 im gan- zen Orden reden kann. Der Orden Norberts von Xanten hat dann freilich eine Ent- wicklung genommen, die ihn seiner ursprünglichen Bestimmung mehr und mehr entfremdete und ihn den älteren Mönchs-Orden und besonders den Zisterziensern anglich. Wie die Aufgabe der Seelsorge für die Prämonstratenser schon bald zurücktrat hinter ihren klösterlichen Pflichten, so haben sie auch die andere Eigenart, die durch die Entstehung des Ordens aus der Wander- prediger-Bewegung bedingt war, nach kurzer Zeit aufgegeben: sie haben die Teilnahme der Frauen ausgeschlossen, zunächst aus dem Klosterverband durch das Verbot der Gründung neuer Doppelklöster,‘* schließlich auch aus dem Ordensverband über- 81. Vgl. H. Lamy, L’Abbaye de Tongerloo S. 92ff.; A. Erens, Analecta Praemonstratensia V S. 14f. 82. S. Hermann von Tournai, oben Anm. 79; vgl. auch Lamy S. 100 über adlige Frauen in Tongerloo; ein Brief des Bischofs von Laon von 1141 (bei C. L. Hugo, Annales Ord. Praem. I, Probationes S. CCCVIII) er- wähnt die in Premontre eingetretene Frau des dominus Andreas de Baldi- mento (Beaudemont). Innozenz II. fordert 1138 den Orden auf, dafür Sorge zu tragen, daß die dem Orden zugehörigen Schwestern de bonis ecclesiae vestrae, quorum non modica pars eidem loco (Premontre) per eas noscitur pervenisse, sine cuiusquam contradictione nunc et semper in sustentatione temporalium necessaria consequantur (Le Paige, Bibl. Praemonstrat. Ordinis S. 427; wiederholt von Cölestin II. im Jahre 1143 und von Eugen II. 1147); Hadrian IV. schreibt 1154: Sed et hoc intuitu charitatis praecipimus, ut sorores sub tutela vestra congregatae, a qui- bus beneficia, quae praemissa sunt, ex magna parte vobis provenerunt, ab ecclesia vestra congruam sustentationem accipiant (ebd. S. 428). In die von Robert von Arbrissel gegründeten Klöster traten gleichfalls viele Frauen aus dem Hochadel ein, vgl. v. Walter I S. 156 f. 83. Der Beschluß, die Doppelklöster zu verbieten, ist vor 1141 gefaßt worden, s. Lamy S. 96f.; A. Erens, Anal. Praem. V S. 8. In den in = A haupt durch das Verbot der Inkorporation neuer Frauenklöster. Aber gerade dieser weibliche Zweig, den der Orden, als er so- zusagen monastisch wurde, von sich abstieß, hat für die religiöse Bewegung später noch große Bedeutung gewonnen: er hat das Schicksal der religiösen Bewegung in den nördlichen Ländern wesentlich mitbestimmt.‘® 3. Die kirchlichen Maßnahmen gegenüber der Ketzerei und der religiösen Bewegung im 12. Jahrhundert. Wäre die Ketzerei des 12. Jahrhunderts eine Sekte" mit einem „Stifter und mit bestimmten dogmatischen Irrlehren ge- wesen wie die Ketzereien der früheren Zeiten, so hätte die Kirche sie bekämpfen können wie sie jene bekämpft hatte. Die Ketzerei des 12. Jahrhunderts aber war eine religiöse Bewegung, sie hatte keinen „Stifter und sie hatte infolgedessen auch kei- nen einheitlichen Namen, sie hatte noch keine feste Organisation und vor allen Dingen fehlte ihr das eindeutige Merkmal früherer Ketzereien: ein bestimmter häretischer Lehrbegriff, der das eigentliche Wesen der Ketzerei ausgemacht hätte. Statt dessen hatte sie einen sehr entscheidenden Begriff des religiö- sen Lebens, den sie durch die Evangelien und durch die aposto- lischen Schriften bewährt glaubte, und dadurch in erster Linie schied sie sich von der katholischen Kirche. Diese Eigenart des neuen Ketzertums hat die katholischen Zeitgenossen im Tiefsten beunruhigt,‘° und nur aus ihr wird die der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts redigierten Statuten bei E. Martene, De antiquis ecel. ritibus III, 1737, S. 925: Quoniam instant tempora peri- culosa et ecclesia supra modum gravatur, communi consilio capituli sta- tuimus, ut amodo nullam sororem recipiamus. Si quis autem huius statuti transgressor eztiterit, abbatia sua sine misericordia privetur. 84. Vgl. u. S. 1751. 85. Bernhard von Clairvaux, Sermo 66 MPL 183 Sp. 1094: Omnes ceterae huiusmodi pestes singulae singulos magistros homines ha- buisse noscuntur, a quibus originem simul duzere et nomen. Quo nomine istos titulove censebis? Nullo. — Vgl. das Schreiben des Lütticher Klerus an Lucius I. vom Jahre 1145 (Frederiggq IS. 32): haeresis, .. quae adeo varia et multiplex est, ut sub unius certo vocabulo minime compre- EI. 16, ratlose, unschlüssige und schwankende Haltung der Kirche gegenüber der religiösen Bewegung während des ganzen 12. Jahrhunderts erklärlich. Es fehlte nicht nur an einheitlichen und bestimmten Maßstäben für die Bestrafung der Ketzerei;*’ es fehlte vor allem an klaren und eindeutigen Richtlinien dafür, welche Erscheinungen als Ketzerei zu gelten hatten; und vol- lends hat die Kirche vor Innozenz III. fast nichts getan, um die religiösen Kräfte, die sich in der häretischen Bewegung enttalte- ten, der Kirche zurückzugewinnen und ihren Ordnungen ein- zufügen. In erster Linie wäre es die Aufgabe der Bischöfe gewesen, die nötigen Entscheidungen gegenüber der Ketzerei und der religiösen Bewegung zu treffen.” Aber ihr Verhalten in den allermeisten Ketzerprozessen des 12. Jahrhunderts zeigt die Ratlosigkeit und Unentschlossenheit der kirchlichen Kreise in tast erschreckender Weise. Fast keiner weiß kraft eigner Ent- scheidung, was er mit den der Ketzerei Verdächtigten anfangen soll. Entweder er fragt einen andern um Rat, oder er überläßt die Entscheidung einem „Gottesgericht", oder er schiebt sie so lange hinaus, bis sie sich durch die Lynchjustiz des „Volkes“ erübrigt. Man sucht vergeblich in diesen bischöflichen Maß- hendi posse videatur. Über die in verschiedenen Gegenden üblichen Be- zeichnungen der Ketzer s. o. S. 31; als Gesamtname hat sich später der Gattungsbegriff haereticus eingebürgert; daher tritt am Anfang des 13. Jahrhunderts oft die Bezeichnung haeretici et Valdenses für die beiden Ketzergruppen auf, s. Douais, Les heretiques du comt& de Toulouse S. 150f. — J. Greven, Anfänge der Beginen S. 56 hat mit Recht das Fehlen jedes Eigennamens als ein „Kennzeichen für den Charakter der Bewegung“ betrachtet, „die einer Organisation entweder gänzlich entbehrt. oder doch in bereits gebildeten Organisationen noch nicht völlig aufgeht“. 8. Vgl. Theloe S. 107 ff. 87. Vgl.Bernhard von Fontcaude, Contra Waldenses ce.2 MPL 204 Sp.808: Liquide apparet, quod presbyterorum est, non aliorum, dis- cernere qui sint sancti, id est Catholici, et qui profani, id est haeretici. 88. Bei den Ketzern, die 1114 in Soissons gefangen wurden, sind alle drei Wege vereinigt: nachdem sie durch die Wasserprobe „überführt“ waren, setzte Bischof Lisiard sie fest, bis er sich auf einer Synode in Beauvais Rat geholt hätte, wie er nun weiter gegen sie verfahren sollte: inzwischen hat sie der fidelis populus, clericalem verens mollitiem, aus dem Kerker geholt und vor der Stadt verbrannt; Guibert von No- EIGEN 2 nahmen nach einem Anzeichen dafür, daß es einem dieser Prä- laten zum Bewußtsein gekommen wäre, daß es sich in diesen Fragen um religiöse Entscheidungen von grundsätzlicher und weittragender Bedeutung für das Schicksal der Kirche handelte. Die Kurie aber hat bis gegen das Ende des 12, Jahrhunderts in der Frage der Ketzerei und der religiösen Bewegung über- haupt nicht grundsätzlich Stellung genommen. Sie hat den Bi- schöfen nicht die Richtung gewiesen und keinen Maßstab ge- geben, wie die Ketzerei zu strafen und wie die religiöse Be- wegung zu behandeln sei,‘° und sie hat auch selbst nichts getan, um der Häretisierung der apostolischen Armutsbewegung Ein- halt zu tun. Alle Beschlüsse, die auf den Konzilien des 12. Jahrhunderts unter den Päpsten bis auf Alexander III. in der Ketzerfrage gefaßt wurden, bezogen sich nur auf die besonde- ren Zustände in Südfrankreich — in der Gascogne, dem Gebiet von Toulouse und der Provence, — wo die Ketzerbewegung durch ihre Verbindung mit dem gesamten Adel eine besondere politische Bedeutung gewann, und die kirchlichen Maßnahmen richeten sich fast mehr noch als gegen die Ketzer selbst gegen den Adel und die Machthaber, die mit ihnen im Bunde standen gegen die römische Kirche. Auf einer Synode in Toulouse wurden 1119 in Gegenwart Calixts II. alle als Ketzer exkommuniziert und den weltlichen. Gewalten zur Bestrafung überwiesen, die das Abendmahl, die Kindertaufe, die Priesterweihe und die Ehe ablehnen; ihre Defensores wurden mit der gleichen Strafe bedroht. Einen Namen für die Ketzer nennt der Konzilsbeschluß nicht. Die sent (MPL 156 Sp. 92; Recueil XII S. 265) rechtfertigt das mit den Worten: Quorum ne propagaretur carcinus, justum erga eos zelum habuit dei populus. — Ähnlich 1145 in Köln (s. Evervin von Steinfelden, MPL 183 Sp. 676 ff.) und 1167 in Vezelay (Recueil XII S. 343 ff.). Bischof Roger II. von Chalons wandte sich ratsuchend an Bischof Wazo von Lüttich (MG. Ser. VII S. 227f.), Bischof Roger von Worcester an den Bischof von London (MPL 190 S. 935f.): vgl. auch Theloe S. 15 und 27; über die Eingriffe des „Volkes“ in die Ketzerprozesse vgl. o. S. 38 Anm. 54. 89. Über die Untätiekeit der Kurie bei den Ketzerprozessen des 11. Jahrhunderts vgl. Theloe S. 22. EU RR Ablehnung jener vier Sakramente setzt er als Kriterium für die Ketzerei, aber er fügt zur Kennzeichnung der Ketzer noch die Worte hinzu: religionis speciem simulantes.”' Dieser Formel hat sich die Kirche immer bedient, um den religiösen Anspruch des Ketzertums zu entkräftgen. Aber während des ganzen 12. Jahrhunderts ist sie der Aufgabe ausgewichen, die Grenzen und die Kriterien zwischen wahrhafter, echter Religiosität und der „simulierten‘' species religionis zu bestimmen. Der Beschluß von Toulouse ist 1139 auf dem zweiten allge- meinen Laterankonzil unter Innozenz II, wörtlich wiederholt worden, ohne durch andere Bestimmungen ergänzt zu werden." Auch damals hatte man also nur die südfranzösischen Verhält- nisse im Auge, mit denen sich das Konzil von Toulouse befaßt hatte. Ebenso hat 1148 ein Reimser Konzil unter Eugen III. nur die Beschützer der Ketzer in der Gascogne und Provence mit Exkommunikation und Interdikt bedroht, ohne die Ketzer selbst näher zu bezeichnen oder zu benennen.” Ein Konzil in Mont- pellier unter Alexander III. im Jahre 1162 bedrohte die welt- lichen Fürsten mit der Exkommunikation, wenn sie der Auf- forderung der Bischöfe zum Einschreiten gegen die Ketzer nicht Folge leisteten:’’ aber da sich dieser Beschluß auf die entspre- chende Bestimmung des Laterankonzils von 1139 berief, war er offenbar wiederum nur auf die südfranzösischen Verhältnisse gemünzt. Ebenso beschäftigte sich im folgenden Jahr ein Kon- zil in Tours in Gegenwart des Papstes nur mit der Ketzerei im Gebiet von Toulouse und der Gascogne und den angrenzenden 90. Mansi XXI S. 226f. 83; Fredericgq IS. 29: (Ut heretici eorumque defensores ab ecclesia pellantur:) Porro eos, qui religionis spe- ciem simulantes dominici corporis et sanguinis sacramentum, puerorum baptisma, sacerdotium et ceteros ecclesiasticos ordines et legitimarum damnant federa nuptiarum, tanguam herelicos ab ecclesia dei pellimus et damnamus et per potestates exteras coerceri precipimus,; defensores quo- que ipsorum eiusdem damnationis vinculo, donec resipuerint, mancipamus. 91. Mansi XU S. 532. 92. Mansi XI S. 7188 18; Fredericq IS. 33: wit nullus omnino hominum heresiarchas et eorum sequaces, qui in partibus Guasconie aut Provincie vel alibi commorantur, manuteneat vel defendat, nec aliquis eis in terra sua receptaculum prebeat. 93. Mansi XXI S. 1159; Fredericq LS. 36. FR 2 Gebieten.” Endlich hat auch das dritte Laterankonzil von 1179 unter Alexander III. nicht grundsätzlich zur Frage der Ketzerei und der religiösen Bewegung Stellung genommen, sondern nur gegen die Ketzer in der Gascogne, im Gebiet von Albi und Tou- louse et in aliis locis Maßnahmen getroffen.”” Auf Betreiben des Abtes Heinrich von Clairvaux, der südfranzösischen Bi- schöfe und des Grafen Raymund von Toulouse wurde beschlos- sen, scharf gegen die südfranzösischen Ketzer vorzugehen: das Konzil forderte die weltlichen Fürsten geradezu zu einem Kreuzzug gegen die Ketzer auf, ordnete die Beschlagnahme von Hab und Gut der Ketzer an, versagte ihnen ein christliches Be- gräbnis, verbot — wie vorher die Synode von Tours — mit Ketzern Handel zu treiben oder sie zu beherbergen. Mit der Frage aber, wer denn in dieser Weise als Ketzer verfolgt wer- den sollte, hat sich das Konzil wiederum gar nicht befaßt. Die Aufzählung einiger gebräuchlicher Ketzernamen sollte zur Be- stimmung und Kennzeichnung der Ketzerei genügen, gegen die sich diese Maßnahmen richteten.” Die Kurie hatte also immer noch nicht die Aufgabe ergriffen, aus eigener Entscheidung in die religiöse Bewegung einzugreifen, sondern hatte es nochmals den kirchlichen und politischen Mächten im südfranzösischen Kampfgebiet selbst überlassen, nach ihrem Ermessen einzu- schreiten gegen alles, was sie für häretisch hielten. Wie alle Konzilienbeschlüsse unter päpstlicher Mitwirkung, so beschränkten sich bis dahin auch alle Versuche, durch päpst- liche Legaten und Missionare der Ketzerei Einhalt zu tun, auf 94. Mansi XXI 8.1177f. 8 4; Fredericg I 8.39. Im Text sind die Ketzer nicht benannt. In der Überschrift werden sie heretici Albigen- ses genannt; das wäre das früheste Auftreten des Namens Albigenser, wenn die Überschrift nicht etwa ein späterer Zusatz ist. In diesem Erlaß wird zuerst der wirtschaftliche und gesellschaftliche Boykott als wirk- sames Mittel zur Bekämpfung der Ketzerei empfohlen, ut solatio saltem humanitatis amisso ab errore vie sue resipiscere compellantur. Außerdem wird hier zuerst auf die conventicula der Ketzer hingewiesen, die aufge- spürt und verboten werden sollen. 9. Mansi XXII S. 331ff. $S 27; Frederiegq IS. 46f. 96. In Gasconia, Albegesio et partibus Tolosanis et alüs locis ..here- ticorum, quos alii Catharos, alü Patrinos, alii Publicanos, aliü alüs nomi- nibus vocant, invaluit damnata perversitas. rue. 2 den südfranzösischen Schauplatz.‘" Nur die Zustände in der Gascogne, dem südlichen Languedoc und der Provence, wo die Ketzerei zugleich ein politisches Problem geworden war, haben bis auf Alexander III. die Aufmerksamkeit der Kurie auf die Ketzerfrage gelenkt; aber niemals ist ein Versuch gemacht wcr- den, sich mit dem Ketzertum und der religiösen Bewegung im Ganzen, in allen Ländern und in allen ihren Erscheinungsformen auseinanderzusetzen, Alexander III. hat sich allerdings zweimal während seines Pontifikats veranlaßt gesehen, in der Frage der religiösen Be- wegung und der Ketzerei selbständig Stellung zu nehmen. Ge- rade diese beiden Fälle zeigen aber erst recht, wie unentschie- den und ratlos die Haltung der Kurie diesen Erscheinungen gegenüber war, zugleich aber auch, daß sich diese unentschie- dene Haltung unmöglich auf die Dauer beibehalten ließ. Gegen Ende des Jahres 1162, zwischen jenen beiden Kon- zilien, auf denen im Beisein Alexanders strenge Maßnahmen gegen die südfranzösischen Ketzer beschlossen worden waren, kamen Leute aus flandrischen Städten an die Kurie nach Tours, die vom Reimser Erzbischof als Ketzer beschuldigt worden waren.” König Ludwig VII. von Frankreich unterstützte in einem Brief an den Papst die Anklagen gegen die Ketzer, die er als Manichäer oder mit einem „gebräuchlicheren‘ Namen als populicani bezeichnete, und wies besonders darauf hin, daß ihre Lebensweise den falschen Schein erwecken könnte, sie seien besser als sie sind.” Er macht auch die seltsame Andeutung, der Erzbischof hätte eine Summe von 600 Silbermark verdienen 97. Vgl. Devic-Vaissete, Histoire generale du Languedoc *®VI S. 79££., 217 ff., 225; Guiraud, Cartulaire I S. CCXCII ff. 98. Darüber sind drei Briefe erhalten: ein Schreiben Alexanders IN. an Erzbischof Heinrich von Reims vom 23. Dez. 1162 (Antwort auf dessen uns nicht erhaltenen Brief); ein undatiertes Schreiben König Ludwigs VII. an Alexander III., und dessen Antwort vom 11. Jan. 1163; s. Martöne- Durand, Ampliss. Coll. II S. 683f.; Recueil XV S. 790: Fredericgq IS. 36 ff. 99. Per quasdam observationes, quas habent, meliores apparent quam sint. = 5 können, wenn er die Leute unbehellist gelassen hätte.” Da er sich darauf nicht einließ, wandten sich die Beschuldigten an die Kurie, die inzwischen durch den Erzbischof und kurz danach durch König Ludwig über die gefährliche Bedrohung des Kirchenglaubens durch diese Ketzer benachrichtigt wurde, In- folgedessen wurden sie von Alexander IIl., wie er selbst ver- sichert, streng und unfreundlich empfangen. Aber sie beteuer- ten, nichts mit der Ketzerei gemein zu haben; sie konnten dem Papst auch irgendwelche Briefe zu ihren Gunsten vorweisen, deren Inhalt nicht bekannt ist. Bei Alexander III. lag somit die Entscheidung darüber, wie mit diesen um ihrer religiösen Lebensformen willen als Ketzer verklagten flandrischen Bürgern verfahren werden sollte. Aber der Papst wußte keine Entschei- dung zu treffen. Er wollte zunächst die Sache an den Erz- bischof zurückverweisen und den Angeklagten Briefe mitgeben, die offenbar ihre Stellung gegenüber dem Erzbischof stärken sollten. Aber diese gingen auf diesen Vorschlag nicht ein; sie wollten nicht in Reims, sondern an der Kurie ihre Sache ent- schieden sehen, Andererseits wollte der Papst keinen Beschluß fassen, ohne sich zuvor mit dem französischen König, mit dem Reimser Erzbischof und anderen Männern beraten zu haben. Was dann weiter geschah, ist unbekannt. Überaus bezeichnend aber ist eine Äußerung Alexanders III. in seinem Schreiben an den Erzbischof von Reims. Die Frage, ob die flandrischen Bür- ger Ketzer seien oder nicht, läßt er darin einfach unentschieden, gibt auch keinerlei Richtlinien an, wie darüber Gewißheit ge- schaffen werden könne, Er warnt nur ganz allgemein vor schar- fen Maßnahmen; denn es sei weniger schlimm, Schuldige frei- zusprechen, als Unschuldige zu verurteilen, und Männern der Kirche stehe ohnehin übergroße Nachsicht besser an als über- große Strenge.'" 100. Si voluisset archiepiscopus, solummodo ut parceret iniquis istis et toleraret pravitatem hanc, pro huiusmodi redemptione habuisset pecu- niam magnam mominatam videlicet sexcentas argenti marcas. 101. Scire debet tue discretionis prudentia, quia cautius et minus malum est nocentes et condemnandos absolvere quam vitam innocentium severitate ecclesiastica condemnare, et melius viros ecclesiasticos plus etiam quam deceat esse remissos quam in corrigendis vitis supra modum eristere et apparere severos. ra - == Dieser Vorfall ist, obgleich wir seinen Ausgang nicht ken- nen, aus zwei Gründen bemerkenswert. Erstens betrifft er Menschen, deren Auftreten, und zwar gerade ihre scheinbar lobenswerten Lebensformen, den Verdacht der Ketzerei erweckt hatten, die sich selbst aber nicht nur nicht zur Ketzerei beken- nen, sondern sogar an der Kurie die Anerkennung ihrer Recht- gläubigkeit zu finden hoffen. Zweitens aber zeigt sich, wie un- entschieden die Kurie solchen religiösen Erscheinungen gegen- überstand, sobald es sich nicht um die politisch bedeutsamen Verhältnisse in Südfrankreich handelte. Es war gleichsam ein Vorspiel zu den Ereignissen auf dem dritten Laterankonzil von 1179. Wie die flandrischen Bürger 1162 an die Kurie nach Tours gingen, um sich gegen die Beschuldigung des Erzbischofs von Reims zu rechtfertigen, so kam 1179 Waldes und seine Gefähr- ten nach Rom,'” nachdem der Bischof von Lyon sie wegen ihrer verbotenen Predigttätigkeit aus seiner Diözese ausgewiesen hatte.‘ In diesem Fall aber sind wir über die Herkunft, die 102. Nach der anonymen Chronik von Laon ist anzunehmen, daß Wal- des selbst in Rom war, s. u. S. 60 Anın. 108. Walter Map (ed. James S. 60), der selbst die Befragung der Waldenser in Rom leitete, spricht allerdings nur von zwei Valdesii, qui sua videbantur in secta precipui und erklärt ihren Namen a primate ipsorum Valde dicti, als ob dieser Primas nicht mit in Rom gewesen wäre. 103. Die Chronik von Laon erwähnt nur, daß der Erzbischof dem Wal- des verbot, in Lyon seinen Lebensunterhalt zu erbetteln, weil seine Frau sich dagegen beim Erzbischof beklagt hatte (extunc non licuit ei ex pre- cepto archiepiscopi in ipsa urbe cum alis cibum sumere quam cum uzore). Stephan von Bourbon aber berichtet (ed. Lecoy de la Marche S! 292), der Erzbischof habe Waldes und seinen Gefährten verboten, sich mit der Auslegung der Bibel zu befassen und zu predigen, und als sie sich diesem Verbot nicht fügten, seien sie ausgewiesen worden. Ob sie sich daraufhin aus eignem Antrieb nach Rom an die Kurie wandten oder wegen ihres Konflikts mit dem Erzbischof dorthin berufen wurden, ist nicht ganz klar; Stephan von Bourbon sagt: post erpulsi ab illa terra, ad concilium quod fuit Rome ante Lateranense vocati (womit nur das Konzil von 1179 gemeint sein kann); die beiden älteren und zuverlässigeren Zeugen, die Chronik von Laon und Walter Map sagen nichts über eine Berufung nach Rom; nach Maps Bericht ist die Initiative der Waldenser wahr- scheinlicher; vgl. K. Müller, Waldenser S. 9. Be a Gesinnung und die Ziele der Männer, über die die Kurie zu ent- scheiden hatte, besser unterrichtet als bei den flandrischen Bür- gern von 1162, und ebenso wissen wir über den Ausgang der Verhandlungen hier genau Bescheid. Der reiche Kaufmann Waldes in Lyon war keineswegs der erste, der seinen Reichtum, seine Familie, seine gesellschaftliche Stellung aufgab, um arm und heimatlos zu leben wie die Apostel gelebt hatten und da- durch nach der Weisung des Evangeliums den sichersten Weg zur Vollkommenheit zu erwählen, Diese Bekehrung aus bürger- lichem Wohlstand zu religiöser Armut hatten vor ihm schon viele andere vollzogen, um sich den Ketzerpredigern anzuschlie- ßen.!“ Aller Wahrscheinlichkeit nach hat sich die Bekehrung des Waldes nicht ohne Kenntnis solcher Vorgänger, jedenfalls aber unter dem Einfluß jener religiösen Stimmung vollzogen, die das Ketzertum ausbreitete. Was ihn aber von jenen unter- schied, war sein Wille, sich nicht von der Kirche und ihrem Glauben zu trennen, Nicht bei den Ketzermeistern, sondern bei Priestern und Theologen der römischen Kirche suchte er Rat; von Klerikern ließ er sich die heilige Schrift übersetzen, um aus eigener Kenntnis ergründen zu können, wie er sein Da- sein wahrhaft im Sinne der Evangelien führen müßte.'” Das Ergebnis war allerdings, daß er genau so zu leben begann wie die Ketzer: er entschloß sich zu freiwilliger Armut und zu apostolischer Wanderpredigt. Bald schlossen sich ihm Gefähr- ten an, die wie er ihr Hab und Gut unter die Armen verteilt hatten und mit ihm gegen die Sünden der Welt predigten und zur Buße mahnten.'° Als ihnen das durch den Erzbischof von 104. Es sei an die nobiles propria relinguentes erinnert, sie sich dem Brief des Mönches Heribert zufolge den Ketzern im Perigord anschlossen, _ sowie an den Bericht von Bernhards Sekretär Gaufred, daß sich kurz vor Bernhards Ankunft einer der reichsten Bürger von Toulouse mit seiner Frau relicta substancia sua et parvulo filio zu den Ketzern begeben hatte und nullis deinceps propinquorum persuasionibus reduci potuerant, vgl. 0. 8. 34f. 105. Chron. Laudun. S. 20f. zum Jahre 1173; Stephan von Bour- bon ed. Lecoy de la Marche S. 291. 106. Chron. Laudun. S. 28: Cepit habere sui propositi consortes, qui eius exemplum secuti, cuneta . pauperibus largiendo, paupertatis spontanmee facti sunt professores. Ceperunt paulatim tam privatis ung a Lyon verboten wurde, gehorchten sie ihm nicht, denn dieses Verbot schien ihnen der biblischen Weisung zu widersprechen, das Evangelium aller Kreatur zu predigen; sie aber wollten wie die Apostel (Act. 5, 29) Gott mehr gehorchen als den Men- schen. Aber dadurch glaubten sie sich keineswegs von der römischen Kirche zu trennen, Sie gingen vielmehr an die Kurie, in der Überzeugung, der Nachfolger Petri werde ihnen nicht verbieten, was Christus selbst allen denen, die ihm nachfolgten, geboten hatte. Sie hofften von Alexander III, und dem Konzil die Anerkennung ihres Lebens in freiwilliger Armut und die Er- laubnis zur apostolischen Wanderpredigt zu erhalten auf Grund der Bibelübersetzung, die sich Waldes von einem Priester in Lyon hatte anfertigen lassen und die er der Kurie zur Prüfung vorlegte.'” Die höchste kirchliche Autorität, Papst und Kon- zil gemeinsam, wurde durch diesen Schritt der Waldenser vor die Entscheidung gestellt, wie sich die Kirche zu der Idee der freiwilligen Armut und der apostolischen Wanderpredigt ver- halten sollte. Die Ketzerlehren gegen die Sakramente, um derentwillen man die armen Wanderprediger zu bekämpfen be- hauptete, konnte man Waldes und seinen Gefährten nicht zur Last legen; ihren Willen, sich der römischen Kirche einzufügen, hatten sie durch ihr Vorgehen deutlich genug bekundet. Der Papst aber und das Konzil haben vor dieser Entschei- dung völlig versagt und nichts von ihrer Tragweite begriffen. quam publicis ammonicionibus sua et aliena culpare peccata. — Auch die ersten Gefährten des Waldes waren also nicht arme Leute, sondern freiwillige Arme, die ihren Besitz verschenkt hatten! 107. Walter Map ed. James S. 60: Vidimus in concilio Romano .. Valdesios, homines ydiotas, iliteratos, a primate ipsorum Walde dictos, ..qui librum domino pape presentaverunti lingua conscriptum Gallica, in quo textus et glosa psalterii plurimorumque legis utriusque librorum con- tinebantur. Hi multa petebant instancia predicacionis auctoritatem sibi confirmari, quod periti sibi videbantur, cum wiz essent scioli. Auch David von Augsburg (De inquis. haeret. ed. Preger S. 205), deı über die Anfänge der Waldenser durch bekehrte Mitglieder der Sekte unterrichtet war, betont: als Waldes und seine Gefährten vom Papst die Bestätigung ihrer forma vivendi erbaten (nämlich: omnino vivere secun- dum evangeliü doctrinam et illam ad literam perfecte servare), waren sie adhuc recognoscentes primatum apud ipsum residere apostolice potestatis. ER) Gegen den Entschluß zur freiwilligen Armut hat die Kurie aller- dings nichts eingewendet. Alexander soll sogar Waldes des- halb gelobt und umarmt haben. Die zur Prüfung vorgelegten Übersetzungen scheint man auf ihre Richtigkeit und Rechtgläu- bigkeit gar nicht erst untersucht zu haben. Die Berechtigung zur Predigt aber wurde von einer theologischen Prüfung ab- hängig gemacht. Insoweit wäre gegen das Vorgehen der Kurie nichts einzuwenden, wenn nicht der Verlauf dieser Prüfung, wie er durch Walter Map, den Wortführer des Prüfungsaus- schusses, selbst geschildert wird, unmißverständlich zeigte, daß die Kurie die Sache gar nicht ernst nahm, von ihrer Bedeutung keine Ahnung hatte und dem Wesen und dem Willen der religiö- sen Bewegung völlig verständnislos gegenüberstand. Schon die Wahl des Mannes, der in einer Kommission von Theologen und Juristen die Prüfung vornehmen sollte, bezeugt das. Walter Map, der Gesandte des englischen Königs Heinrich II, beim Konzil, jein Weltmarin mit viel Sinn für das Amüsante und Inter- essante, aber ohne Blick für das geistig Bedeutende und poli- tisch Wesentliche, (dem unbegreiflicherweise dieses verantwor- tungsvolle Amt übertragen wurde, hat selbst ausdrücklich er- klärt, es sei ihm von vorn herein lächerlich erschienen, diese Prüfung überhaupt durchzuführen.‘ Tatsächlich machte er eine Komödie daraus und ließ sie in ein hochmütiges Hohnge- lächter ausklingen, Nachdem die Prüflinge die Fragen, ob sie an Gott Vater, an den Sohn und an den heiligen Geist glauben, bejaht hatten, fragte sie Walter Map, ob sie auch an die Mutter Christi glauben, Auch darauf antworteten sie natürlich mit Ja. Diese Antwort löste ein schallendes Gelächter in der gelehrten Versammlung aus, so unbegreiflich für die evangeli- schen Wanderprediger aus Lyon wie noch heute für jeden Laien ohne dogmengeschichtliche Spezialkenntnis. Die Prüfung war 108. Chron. Laudun. S. 29: Waldesium amplexatus est papa, approbans votum quod fecerat voluntarie paupertatis. — Die anderen Quellen sagen nichts darüber. 109. ed. James S. 60: Ego multorum milium qui vocati fuerunt minimus, deridebam eos, quod super eorum peticione tractatus fieret vel dubitacio, vocatusque a quodam magno pontifice, cui etiam ille mazimus papa con- fessionum curam iniunzerat, consedi signum ad sagittam etc. a damit beendet, die theologische Unfähigkeit der Waldenser galt als erwiesen. Die Erlaubnis zur Predigt wurde ihnen versagt, und Alexander III. gab ihnen den Bescheid mit auf den Weg, sie dürften nur dann predigen, wenn sie von ihren Priestern dazu aufgefordert würden.!® 110. Chron. Laudun. S. 29: /nhibens eidem (Waldesio), ne vel ipse aut socü sui predicacionis officium presumerent nisi rogantibus sacerdotibus. — Walter Map sagt über die Formulierung des Verbots nichts, aber nach seiner Darstellung konnte eine Berechtigung der Waldenser zur Pre- digt überhaupt nicht in Frage kommen. — Stephan von Bourbon spricht überhaupt nicht über die Verhandlungen auf dem Konzil; andere ursprüngliche Quellen kennen wir nicht. — Die katholische Forschung (be- sonders G. Schnürer, Kirche und Kultur im Mittelalter II S. 338; ders., Franz von Assissi S. 45; Bihlmeyer, Kirchengeschichte II S. 149; J. Hollnsteiner im Histor. Jahrb. IL, 1929, S. 591) stellt die Sache so dar, als sei den Waldensern 1179 „die reine Sittenpredigt unter Aufsicht der Kirche gestattet“ worden. „Der Papst.. erlaubte die Predigt, aber innerhalb genau erwogener Schranken. Die Laien sollten nicht ohne Auf- trag der Priester predigen dürfen und sich auf die Sittenpredigt beschrän- ken. Die dogmatische Predigt, d.h. diejenige, welche die Glaubenslehren auslegte, blieb ihnen auch fernerhin untersagt. Das war ein weites Ent- gegenkommen. Aber das Einverständnis mit dem Klerus, das Alex- ander III. bei der Predigterlaubnis für die Waldenser voraussetzte, trat nicht ein. Der Erzbischof von Lyon konnte bald den Anhängern des Wal- des vorwerfen, daß sie ohne Ermächtigung über die Glaubenslehren predig- ten und nach ihrer Art (!) die kirchlichen Einrichtungen angriffen“ (Sehnürer). Diese Auffassung ist mit den Quellen unvereinbar, in denen von einer Unterscheidung zwischen „Sittenpredigt“ und „dogmati- scher Predigt“ überhaupt nicht die Rede ist. Auch den Humiliaten wurde 1179 districte verboten, ne in publico predicare presumerent, ohne dabei jene Unterscheidung zu machen. Erst 1201 bei ihrer Wiederaufnahme in die Kirche ist ihnen die Sittenpredigt unter Ausschluß der Predigt de articulis fidei et sacramentis ecclesie erlaubt worden (s. u. S. 81f.). Die eindeutige Unterscheidung zwischen dogmatischer Predigt und Sitten- predigt, Bußpredigt, Exhorte (vgl. H. Felder, Gesch. der wissenschaft- lichen Studien im Franziskanerorden S. 33ff.) hat sich erst im Verlauf der Auseinandersetzung zwischen Kirche und religiöser Bewegung herausge- bildet. Wäre sie den Zeitgenossen und selbst der Kurie von Anfang an so geläufig und selbstverständlich gewesen, wie es heutige Historiker oft voraussetzen, so könnten die Bestimmungen über die Predigterlaubnis für die Waldenser, Humiliaten, Katholische Arme, Franziskaner usw. nicht so unklar, so wenig eindeutig sein, wie sie tatsächlich vorliegen. Erst die kirchenpolitischen Entscheidungen gegenüber den zur Predigt drängenden Br rk Die Leichtfertigkeit, mit der hier eine schwerwiegende kirchenpolitische Entscheidung getroffen wurde, darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Abweisung der Walden- ser durch Papst und Konzil keineswegs nur durch die Unzuläng- lichkeit und Überheblichkeit einzelner Beteiligter verschuldet, sondern tief in der damals gültigen Überzeugung vom Wesen der Kirche und ihrer Ordnung begründet war. Gewiß empfan- den die Kurialen, in deren Auftrag Walter Map handelte und deren Gesinnung uns aus seiner Schrift entgegenklinst, voller Stolz auf ihre theologische Bildung und auf ihre Zugehörigkeit zur kirchlichen Hierarchie nur Verachtung, Spott und Hohn gegen die anmaßlichen Laien, die idiotae et illiterati, die sich zur Predigt berufen und befähigt glaubten, ohne Theologen und Kleriker zu sein. Aber selbst ein Mann wie Walter Map konnte sich doch nicht dem Eindruck entziehen, daß es da noch um tiefere Fragen ging, daß der ganze Bestand der hierarchi- schen Kirche in ihrer bisherigen Gestalt durch die neuen religiö- sen Grundsätze der apostolischen Wanderprediger erschüttert zu werden drohte. Bezeichnend genug äußert sich dieser Ein- druck bei ihm allerdings nur als Angst um die eigne Position. „Jetzt sind sie noch demütig und schüchtern und tun so, als ob sie kaum einzutreten wagten; wenn wir sie aber hereinlassen, dann werfen sie uns hinaus”. Aber daraus spricht doch nicht Bewegungen haben diese kirchenrechtlichen Unterscheidungen geschaffen, deren wir uns jetzt bedienen. Deshalb darf man bei der Deutung der Quellen jene Unterscheidungen nicht voraussetzen. Gerade eine Zu- sammenstellung der päpstlichen Entscheidungen über die Predigterlaubnis für die verschiedenen Gruppen der Armutsbewegung (z. B. bei P. Man- donnet, Origines de l’Ordo de poenitentia S. 196f.) zeigt deutlich, daß noch keine feste Terminologie und keine eindeutige Unterscheidung der Predigt-Arten bestand, sondern erst in den Jahrzehnten um 1200 aus kirchenpolitischen Notwendigkeiten geschaffen wurde. Die Angaben späterer Zeugen (Moneta, Adv. Cathar. et Valdens. S. 402 & 4; Aussagen der Straßburger Winkler bei Röhrich, Mitt. a. d. Gesch. d. evang. Kirche des Elsaß I S. 51; vgl. K. Müller, Waldenser S. 10), Waldes habe vom Papst das officium praedicationis erhalten, kom- men gegenüber den älteren Quellen nicht in Betracht; auch dabei ist übri- gens von einer Beschränkung auf die Sittenpredigt nicht die Rede. 111. De nugis ed. James S. 61: Humillimo nunc incipiunt modo, quod pedem inferre nequeunt, quos si admiserimus, expellemur. nur Sorge um die eigene Stellung, sondern Sorge um die unver- änderliche, unantastbare Ordnung der hierarchischen Kirche überhaupt. So wortkarg auch die Quellen über die kirchliche Entscheidung gegen die Waldenser und über ihre Begründung berichten, so kann man doch sehr genau den Sinn und den Grund dieser Entscheidung erkennen und verstehen, sobald man sich die damalige Anschauung vom hierarchischen Ordo der Kirche vergegenwärtigt, wie sie in der Zeit Alexanders III. noch allgemein von der Kirche vertreten, erst von Innozenz III. zu- £unsten der Bettelorden aufgegeben, von Vertretern der alt- kirchlichen Anschauungen wie vor allem Wilhelm von S. Amour aber noch in der Mitte des 13. Jahrhunderts im Kampf gegen die Bettelorden hartnäckig verteidigt wurde. Gerade in dieser späten Verteidigung der inzwischen von der Kurie selbst nicht mehr vertretenen Anschauung vom hierarchischen Ordo der Kirche, gerade in den Streitschriften Wilhelms von S. Amour ist besonders scharf und deutlich zu ersehen, was es bedeutete, wenn das Laterankonzil den Waldensern verbot, sich das Pre- digtamt anzumaßen, „sofern sie nicht von den Priestern dazu aufgefordert würden”. Wilhelm von S. Amour hat noch einmal das ganze starre System der kirchlichen Ordnung dargestellt, wie es bis zu Innozenz III. in der Kirche unbestritten gültig war. Da ist das Recht zu Predigt und Seelsorge ausschließlich denen vorbehalten, die von Gott dazu berufen sind. Von Gott dazu berufen sind aber nur die 12 Apostel und ihre Nachfolger, die Bischöfe, und die 72 Schüler des Herrn und ihre Nachfolger, die Priester, dazu noch deren Stellvertreter, die Archidiacone und Vicare, sonst aber niemand, weder Mönche noch Laien; und niemand, selbst der Papst nicht, kann irgend jemanden zur Pre- digt und zur Seelsorge berechtigen außer diejenigen, die nach dieser unveränderlichen Ordnung von Gott dazu berufen sind, — es sei denn, diese von Gott Berufenen selbst forderten je- manden zur Predigt in ihrem Amtsbezirk auf.” Aber gerade 112. Wilhelm von S. Amour, De peric. noviss. temp. bei M. Bier- baum, Bettelorden und Weltgeistlichkeit an der Universität Paris S. 9 über die pseudopraedicatores, qui praedicant non missi, quantumcumque literati et sancti sint, etiamsi facerent signa vel miracula. — Missi autem ea. davor hatte man andrerseits die Bischöfe und Priester immer wieder gewarnt, fremde Prediger zuzulassen.''* Höchstens in Ausnahmefällen hatten einzelne Männer mit päpstlicher Spezial- erlaubnis und mit Einwilligung der zuständigen Bischöfe und Pfarrer dieses strenge Gefüge der kirchlichen Ämterordnung durchbrechen und als wandernde Prediger auftreten können, Aber seit das Wanderpredigertum der religiösen Armutsbe- wegung und der Ketzer um sich griff, hatte man auch solche Spezialerlaubnis nicht mehr erteilt. Wenn also das Lateran- konzil von 1179 den Waldensern den Bescheid gab, die sollten sich das Predigtamt nicht anmaßen nisi rogantibus sacerdotibus, so bedeutete das im Sinne dieser altkirchlichen Anschauungen praktisch dasselbe wie ein unbedingtes Verbot mit der Begrün- dung, es dürfe nur predigen, wer durch die unverrückbare hier- archische Ordnung dazu bestellt ist, qui vocatus est. Und Walter Map hat nicht nur aus persönlichem Hochmut und aus eigen- nütziger Besorgnis um die eigene Stellung den Anspruch der non sunt nisi qui ab ecclesia recte eliguntur. — Das sind aber nur die episcopi, die presbyteri und die diaconi, die 3 gradus des ordo perficien- tium (während die 3 gradus des ordo perficiendorum: Mönche, Laien und Katechumenen, praedicare publice non possunt; so ist es unabänderlich ven Gott bestimmt und non est veresimile, quod praedictam sacratissimam hierarchiam liceat homini mortali immutare (S.13). Weder Papst noch ‚Bischof kann daher jeden zur Predigt autorisieren, außer ubi ad hoc fuerint invitati (8.10). Non est veresimile, quod dominus papa contra doctrinam apostoli Pauli infinitis vel pluribus licentiam concedat praedicandi plebibus aliens, nisi a plebanis fuwerintinvitati.— Si una persona vel infinitae personae habeant potestatem praedicandi ubique non invitati, cum hoc sit potissimum officium episcoporum, iamı erunt infiniti episcopi universales, quod est contra jura. Wilhelm von S. Amour richtet diese Argumente gegen die Zulassung der Bettelmönche zur Predigt; er setzte sich damit nicht mehr durch, weil inzwischen In- nozenz III. diese sacratissima hierarchia tatsächlich in ihrem Aufbau ver- ändert hatte, die 1179 noch den Waldensern und Humiliaten den „Eintritt“ verwehrt hatte, wie Walter Map sagt. Vgl. dazu B. Mathis, Die Pri- vilegien des Franziskanerordens, 1928, S. 92 ff. 113. Vgl. z.B. Bernhard von Clairvaux, Ep. 242 MPL 182 Sp. 436f. Hoc etiam moneo vos, quod et dicebam vobis cum praesens essem (in Tou- louse), ut nullum extraneum sive ignotum praedicatorem recipiatis, nisi qui missus a summo seu a vestro permissus pontifice praedicaverit. „Quo- modo, inquit (Ro. 10, 15), praedicabunt nisi mittantur“? Do Waldenser auf ein öffentliches Wirken in der Kirche unbesehen zurückgewiesen, sondern aus dem Bewußtsein, als einer — wenn auch als einer der Geringsten von denen, „die berufen sind”, für die echte, gültige Ordnung der Kirche überhaupt ein- stehen zu müssen. So hat damals das starre Festhalten an den alten hierarchischen Formen der Kirche dazu geführt, daß die neuen religiösen Kräfte aus der Kirche ausgeschlossen blieben. Mit demselben Mißerfolg wie die Waldenser mußten die Vertreter einer anderen religiösen Gemeinschaft das Lateran- konzil verlassen, die dort ähnliche Wünsche vorgetragen hatten wie Waldes. Von den Wanderpredigern aus Lyon unterschie- den sich aber diese Leute aus den Städten der Lombardei, die sich Humiliaten nannten, dadurch, daß sie ohne Aufgabe ihres bürgerlichen Daseins in Familie und Hausstand ein evangelien- semäßes Leben führen wollten, auf modischen Luxus verzich- tend und unter Vermeidung von Lüge, Schwur und Rechtshän- deln. Um ihrer evangelischen Lebensform willen waren die Humiliaten — wie überall die Bekenner des neuen evangeli- schen Lebensernstes — als Ketzer, als Patareni, als Boni Ho- mines bezichtist worden.''” Aber sie wollten nicht nur mit der Ketzerei nichts zu tun haben, sondern sie wollten ihr sogar tätig entgegenwirken. Der Gedanke, mit dem Bekenntnis zum evan- geliengemäßen Leben den Kampf gegen die Ketzerei zu verbin- den und die Verteidigung des katholischen Glaubens dadurch um so wirksamer zu gestalten, daß man den Ketzern an evan- gelischer Lebensgestaltung nichts nachgab, tritt bei den Humi- liaten zuerst deutlich hervor. Deshalb haben sie an der Kurie und beim Konzil nicht nur die Erlaubnis für ihre evangelischen Lebensformen nachgesucht, die sie vor häretischer Verdächti- gung schützen sollte, sondern zugleich um die Genehmigung für ihr Wirken gegen die Ketzer durch Predigten und Versamm- lungen gebeten. Alexander III. aber hat sie genau wie die Waldenser abgefertigt. Ihre religiösen Lebensformen hat er gebilligt; zugleich aber wurde ihnen streng verboten, öffentlich 114. Ego multorum milium qui vocati fuerunt minimus, s. 0. S. 60 Anm. 109. 115. L. Zanoni, Umiliati S.39 ff. Zanonis Verdacht gegen die Recht- gläubigkeit der Humiliaten vor 1179 halte ich für unbegründet, u nah: zu predigen und Versammlungen ihrer Gesinnungsgenossen ab- zuhalten.!"® Durch diese Entscheidung gegen Waldenser und Humiliaten hatte die Kurie gezeigt, daß sie die religiöse Armutsbewegung, die sich in apostolischer Wanderpredigt und Gemeindebildung auswirkte, auch dann nicht im Rahmen der Kirche dulden, son- dern verbieten und, wenn sie sich dem Verbot nicht fügte, als Ketzerei verfolgen wollte, wenn sie vom rechten Glauben der Kirche nicht abwich, wenn sie sich von der Ketzerei ausdrück- lich trennte, ja wenn sie sich in den Dienst der Kirche stellen wollte. Die neuen Gemeinschaften der Waldenser und der Hu- miliaten (und möglicherweise noch manche andere, die wir nicht kennen), die leben wollten wie die Ketzer, aber lehren wollten wie die Kirche, die den orthodoxen Glauben mit dem evangeliengemäßen Leben verbinden wollten, hat die Kurie 1179 zurückgewiesen. Es ist ihr nicht erspart geblieben, den Fehler dieser Politik später einzusehen und soweit es ging wie- der gut zu machen. Bevor sich aber diese Umkehr in der kuria- len Politik gegenüber der religiösen Bewegung vollzog, hat die Kurie noch einmal mit voller Bestimmtheit ihren Entschluß zu verwirklichen gesucht, unnachgiebig alle jene vielgestaltigen Gebilde zu beseitigen, die sich aus der religiösen Bewegung her- aus entwickelt hatten. Die Maßnahmen Alexanders III. auf dem Laterankonzil hatten nicht zur Folge, daß die Waldenser und die Humiliaten ihr Predigen unterließen und auf ihre Gemeindebildung verzich- teten; beide Gruppen haben, höchstens nach kurzem Bedenken, im Bewußtsein eines höheren Auftrags ihre bisherige Tätigkeit fortgesetzt.''" 116. Chron. Laudun. S. 29£.: Fuerunt tunc cives quidam in civitatibus Lumbardorum, qui in domibus cum familia sua degentes quendam modum religiose vivendi eligentes, a mendacüs iuramentis et causis abstinentes, veste simplici contenti, pro fide catholica se opponentes. Hü accedentes ad papam, petierunt hoc eorum propositum confirmari. Quibus papa con- cessit, ut omnia eorum in humilitate fierent et honestate, sed ne conven- ticula ab eis fierent signanter interdixit, et ne in publico predicare presu- merent districte inhibuit.. Hii se Humiliatos appellaverunt eo quod tincta indumenta non vestientes simplici sunt contenti. 117. Chron. Laudun. S. 30 über die Humiliaten: /psi vero mandatum BE Alexanders Nachfolger Lucius III. hat diese Situation vor- gefunden und die Folgerungen daraus gezogen. Als ob die Kraft der Kurie nach der Beendigung des Kampfes mit Fried- rich I. zum ersten Male frei geworden wäre, sich den dringen- den Aufgaben des innerkirchlichen Lebens zuzuwenden, hat Lucius im Einvernehmen mit dem Kaiser am 4. November 1184 von Verona aus einen großen Erlaß über die Behandlung der Ketzerei veröffentlicht, welcher die erste grundsätzliche und allgemeine Stellungnahme der Kurie in der Ketzerfrage über- haupt darstellt.” Zum ersten Male befaßt sich die Kurie nicht nur mit häretischen Erscheinungen eines bestimmten Gebietes, sondern macht einen Versuch ad abolendam diversarum here- sum pravitatem, quae in plerisgue mundi partibus modernis cepit temporibus pullulare.‘'” Zum ersten Male gibt sie auch Richtlinien, welche Erscheinungen als Ketzerei zu verfolgen sind, wie man ihnen auf die Spur kommen soll, und wie man sie bestrafen soll. Der erste Punkt ist in unserem Zusammenhang der wichtigste. Um alle Ketzereien, guocumgue nomine cen- seantur, durch die Bestimmungen zu erfassen, zählt der Erlaß zunächst eine Reihe von Ketzernamen auf, darunter die Katha- rer und Patarener, Humiliaten und Waldenser, und einige andere, die sich vorher in den Quellen nicht erwähnt finden.'? apostolicum contempnentes facti inobedientes se ob id ercommunicari per- miserunt; über die Waldenser: Quod preceptum modico tempore serva- verunt; unde extunc facti inobedientes, multis fuerunt in scandalum et sibi in ruinam. 118. Mansi XXII S. 476ff.; Fredericq IS. 53ff. 119. Das sind die Anfangsworte des Dekrets. Eine besondere Aus- fertigung mit einigen Zusätzen wurde am 4. März 1185 an Bischof Peter von Arras geschickt, s. Fredericgq 8. 56ff. 120. In primis ergo Catharos et Patarinos et eos qui se Humiliatos vel Pauperes de Lugduno falso nomine mentiuntur, Passaginos, Josepinos, Arnaldistas perpetuo decernimus anathemati subjacere. — Zu den drei letzten Namen vgl. Theloe S$. 125. Aus der Art, wie Humiliaten und Waldenser (Arme von Lyon) erwähnt sind, glaubte man vielfach schließen zu dürfen, daß schon 1184 die beiden Gruppen sich zusammengeschlossen hatten, vgl. Theloe S. 125; Pierron S. 14; K. Müller, Waldenser S. 10f. Dagegen glaube ich mit Zanoni, Umiliati S. 29ff., daß man die Stelle nicht so deuten muß, als sollten zwei Namen für dieselbe Sache N 2 Aber es bestand natürlich keine Gewähr, daß man mit diesen Namen alle Ketzereien erfaßte. Deshalb sind gleich nach den Namen die wesentlichen Merkmale der Ketzerei angeführt. An erster Stelle steht dabei die unbefugte Predigt. Wer gegen das Verbot oder ohne den Auftrag und die Ermächtigung der Kurie oder des zuständigen Bischofs öffentlich oder im Geheimen predigt, wird als Ketzer verurteilt. Diese Bestimmung bezieht sich nicht nur auf eine bestimmte Art der Predigt, etwa die Pre- digt über Glaubensartikel und Sakramente, und nicht auf die Verbreitung von Irrlehren durch die Predigt, sondern sie soll grundsätzlich das Predigen aller derjenigen, die nicht durch die Kirche dazu ordiniert sind, als Ketzerei brandmarken. Da die Kurie fünf Jahre zuvor bewiesen hatte, daß sie die besondere Erlaubnis zur Predigt den Vertretern der apostolischen Armuts- bewegung auch dann nicht erteilen wollte, wenn ihre Recht- gläubigkeit nicht zweifelhaft war, so bedeutete diese Bestim- mung eine uneingeschränkte Ablehnung aller Bestrebungen der relisiösen Bewegung, die kirchliche Hierarchie zu durchbrechen oder auch nur zu ergänzen durch die Prediger-Wirksamkeit der „Nachfolger der Apostel“, gleichgültig ob dabei die Dogmen und die Autorität der römischen Kirche in Frage gestellt wur- den oder nicht. Erst an zweiter Stelle hat der Ketzererlaß Lucius’ IH. jeden Widerspruch gegen die katholische Sakramentenlehre für häre- tisch erklärt, und außerdem hat er die Möglichkeit offenge- lassen, daß die Kirche — oder einzelne Bischöfe mit Rat ihres Klerus — oder bei Vakanz der Bistümer der Diözesanklerus mit Rat der benachbarten Bischöfe — bestimmte Leute zu Ketzern erklären kann. Alle diese Fälle: unbefugte Predigt, Irrlehren gegen die Sakramente, und besondere Ketzer- angeführt werden; neben den Ketzereien mit geläufigen Eigennamen soll- ten solche Gruppen aufgezählt werden, die sich mit irreführenden Bezeich- nungen benennen, als pauperes, obgleich sie nicht die wahre Armut, oder als humiliati, obgleich sie nicht die wahre Demut verkörpern. Daß beide Gruppen organisatorisch verbunden sind, ist damit nicht gesagt. 1179 waren sie es ohne Zweifel noch nicht, und noch 1210 nennt Burchard von Ursberg auf Grund seiner Erfahrung in Rom die Humiliaten und die Armen von Lyon als zwei getrennte Gemeinschaften, s. u. S. 126. — Erklärung sollten also künftig in der gleichen Weise, wie sie in dem Erlaß weiterhin festgesetzt wird, als Ketzerei verfolgt und bestraft werden. Damit war in der Tat wenn nicht eine Defini- tion, so doch eine Kennzeichnung alles dessen gegeben, was als Ketzerei zu gelten hatte, und sie konnte ohne Zweifel auf die wirklichen Verhältnisse weitgehend Anwendung finden, Da ferner sorgfältig bestimmt wurde, wie bei offenkundiger Ketze- rei und wie im Falle des Verdachts vorzugehen sei, da für die Bekanntmachung des Erlasses in allen Diözesen Sorge getragen wurde, und da endlich das Vorgehen gegen die Ketzerei sich künftig nicht auf die zufällig bekannt werdenden Fälle be- schränken sollte, sondern hier zum ersten Mal die Durchführung regelmäßiger Inquisitionen durch die Bischöfe angeordnet wurde, so muß das Ketzeredikt von 1184 als erster allgemeiner Erlaß der Kurie über die Maßnahmen gegen die Ketzerei gelten, der umsichtig und entschieden alle Voraussetzungen für einen einheitlichen und durchgreifenden Kampf gegen die Ketzerei zu bieten schien. Die energielose Politik der Nachfolger Lucius’ III. hat jedoch diesen Kampf nicht durchgeführt. Am Ende des 12, Jahrhunderts steht die hierarchische Kirche und die religiöse Bewegung starr, feindlich und gespannt einander gegenüber, jede bestreitet der anderen die Berechtigung des Anspruchs, die wahre christliche Kirche darzustellen, jede erklärt die andere für häretisch, eine Vermittlung schien unmöglich. ll. Die religiöse Bewegung unter Innozenz Ill. Die Entstehung neuer Ordensformen. Die entscheidende Wendung im Verhältnis zwischen der hierarchischen Kirche und der religiösen Bewegung erfolgte unter dem Pontifikat Innozenz’ III. Bis dahin war die religiöse Bewegung aus eigenen Kräften außerhalb der Kirche und in steigendem Gegensatz gegen die Kirche gewachsen, ohne daß die Kurie — von den verhältnismäßig geringfügigen Versuchen am Anfang des 12, Jahrhunderts abgesehen — Wege gesucht hätte, um den neuen religiösen Lebensformen der freiwilligen Armut und der Wanderpredigt einen Wirkungsraum innerhalb der Kirche zu schaffen. Alle Bemühungen, diesen Lebens- formen die kirchliche Anerkennung zu verschaffen, hatte die Kurie mit einem Verbot beantwortet, dessen Übertretung als Ketzerei bestraft werden sollte; aber andererseits fehlten der Kirche die Mittel und die Energie, um dieses Verbot wirksam durchzuführen und die religiöse Bewegung zu unterdrücken. So gespannt war die Lage, als Innozenz III. Anfang 1198 den päpstlichen Stuhl bestieg.” Er hat in diese Lage nicht sofort mit einem bestimmten umfassenden Programm eingegriffen, ja er hat sie niemals durch planmäßig schöpferische Maßnahmen 1. In der Beurteilung der Politik Innozenz’ III. stimme ich im Allge- meinen mit L. Zanoni, Umiliati S. 74ff. (gegen Sabatier, Vie de S. Francois d’Assise S. 106f.) und A. Luchaire, La croisade des Albi- geois S. 69ff. überein und glaube diese Auffassung durch wichtige neue Argumente stützen und dadurch die Ansicht von H. Chr. Scheeben widerlegen zu können, der zusammenfassend sagt: „Innozenz III. warf keine neue Ideen in den Kampf mit der Häresie. Auch ihm waren die Predigt der katholischen Lehre und Reform des Klerus neben der Expro- priierung der Häretiker die einzigen Waffen“ (Der hl. Dominikus $. 28). re =. einheitlich und durchgreifend umzugestalten versucht. Aber seit dem Beginn seines Pontifikats und unverändert bis zu sei- nem Tode hat Innozenz bei allen Maßnahmen, zu denen sich die Kurie gegenüber der religiösen Bewegung und der Ketzerei ver- anlaßt sah, mit fester Beharrlichkeit eine Haltung eingenommen und Ziele verfolgt, die eine grundsätzliche Abkehr von der Po- litik seiner Vorgänger bedeuteten. Er hat die Kluft zwischen der religiösen Bewegung und der hierarchischen Kirche zu über- brücken versucht, indem er der Forderung der apostolischen Wanderpredigt und der evangelischen Armut Wirkungsmöglich- keiten innerhalb der Kirche selbst zugestand, sofern nur dabei die rechtgläubige Lehre unangetastet und die päpstliche und hierarchische Autorität grundsätzlich anerkannt blieb. Er hat dadurch die Bekenner des evangelischen Lebens, der freiwilli- gen Armut und der apostolischen Predigt vor die Entscheidung zwischen Kirche und Ketzerei gestellt, ohne daß weiterhin wie früher das Bekenntnis zur römischen Kirche gleichbedeutend war mit Verzicht auf die Ideale der religiösen Bewegung. Er hat andererseits die Ketzerei, soweit sie sich durch solche Zu- geständnisse nicht in die kirchliche Ordnung wieder einfügen ließ, mit rücksichtsloser Strenge und unter Einsatz aller Kräfte und Mittel bekämpft. Und er hat endlich diesem Kampf gegen die Ketzerei gerade diejenigen Kreise dienstbar gemacht, die wie die Ketzer teilhatten an der religiösen Bewegung, aber sich hatten einfügen lassen in den Verband der katholischen Kirche. Aus dieser Politik ergab sich einerseits die Bildung einer Reihe von Gemeinschaften, Kongregationen und Orden, in denen die religiöse Armutsbewegung ihre kirchlich anerkannten, recht- gläubigen Formen fand, vor allen Dingen der Bettelorden, ande- rerseits die neuen Formen der Ketzerbekämpfung, der Albi- genserkrieg, später die Inquisition. Das soll nicht heißen, daß Innozenz diese neuen Gebilde und Methoden geschaffen oder auch nur gewollt hätte. Die lebendigen Kräfte, die zu ihnen führten, sind nicht von ihm ausgegangen, und er hatte an ihnen keinen Anteil. Seine Politik war nicht der Ausdruck einer reli- giösen Wandlung der kirchlichen Leitung, sondern sie entsprang der klaren Einsicht in die Aufgaben der Kirche angesichts der religiösen Bewegung dieser Zeit, die durch die bloßen Verbote BT ne. und Verurteilungen, ohne ein aufbauendes Werk der Kirche nicht zu bewältigen war. Innozenz III. hatte die religiösen Kräfte seiner Zeit nicht erlebt, aber erkannt, und es ist seine bedeutende Leistung, daß er sie mit Klugheit und Geschick, mit Vorsicht und Energie einzufügen verstand in die hierarchische Kirche. Er hat dadurch nicht nur die Gefahr beschworen, daß sich die hierarchische Kirche hoffnungslos von den lebendigen religiösen Kräften jener Zeit isolierte, sondern er hat auch die Bahn geebnet und die Wege gewiesen für die neue Gestaltung des christlichen Lebens in der katholischen Kirche des 13, Jahr- hunderts: seine Politik hat darüber entschieden, daß aus der ge- staltlosen Gärung der religiösen Bewegung die großen neuen Orden und Ordnungen hervorgehen konnten, 1, Humiliaten. Die ersten Schritte des Papstes in der Frage der religiösen Bewegung sind nur ungenügend bekannt, lassen sich nur unge- fähr aus späteren Dokumenten erschließen. Es muß im Anfang seines Pontifikats ein Erlaß ausgegangen sein, der die Kreise der religiösen Armutsbewegung zur Aussöhnung mit der Kirche aufiorderte, gegen die unnachgiebigen Ketzer aber ein strenges, durchgreifendes Vorgehen androhte. Ob dieser Erlaß sich allge- mein an die ganze Kirche wandte oder nur einzelnen oberitalie- nischen Bistümern galt, wissen wir nicht. Seine Auswirkung läßt sich nur in Oberitalien feststellen”? zunächst in Verona. Dort war der an den Archipresbyter und die Kanoniker von Verona gerichtete päpstliche Erlaß in einer Weise durchgeführt worden, die Innozenz zu erneutem Eingreifen nötigte. Er hatte 2. Das Vorgehen Erzbischof Philipps von Mailand (1196—1206) gegen die Waldenser, deren „Schule“ in Mailand enteignet und zerstört wurde, steht vielleicht mit diesen Maßnahmen im Zusammenhang; genau läßt sich das Ereignis nicht datieren, es ist nur bekannt aus späteren Verhandlun- gen des Erzbischofs Ubertus mit Durandus von Huesca, dem Führer der katholischen Armen (s. u. $. 100 ff.) über die Wiederherstellung und Rück- gabe dieser Schule an die mit der Kirche versöhnten Waldenser im Jahre 1209, s. Ep. 12, 17 MPL 216 Sp.29f.; vgl. u. 8.110; auch S.75 Anm. 7. : 8. Brief Innozenz’ an den Bischof von Verona vom 6. Dez. 1199; Ep.:2, 228 MPL 214 'Sp.' 788f.; vgl. Zanoni S. 72ff. — Die Stelle, aus der die zu 95 u energisches Vorgehen gegen die Ketzer gefordert, zugleich aber distinctio verlangt, besonnene Unterscheidung derer, die wirk- lich als Ketzer zu gelten hätten, von den Rechtgläubigen. Ob Innozenz diesen Unterschied genauer bestimmt hatte, ist unbe- kannt. Der Klerus von Verona aber hatte ohne Rücksicht auf diese Mahnung zur distinctio unterschiedslos über alle Anhänger der religiösen Armutsbewegung, Katharer, Arnoldisten, Walden- ser und Humiliaten, die Exkommunikation verhängt und sie als Ketzer verfolgt. Davon waren auch solche Humiliaten betroffen worden, die vorher dem Bischof ausdrücklich Gehorsam gegen die römische Kirche geschworen hatten, die also dem päpst- lichen Erlaß gemäß sich mit der Kirche ausgesöhnt hatten. Daraufhin beauftragte Innozenz den Bischof von Verona, diese Humiliaten noch einmal über ihren Glauben zu prüfen und Er- kundigungen über ihre Lebensweise einzuziehen, Erwiese sich der Verdacht gegen ihre Rechtgläubigkeit als unbegründet, so sollte der Bischof sie für katholisch erklären und alle Maß- nahmen gegen sie einstellen; ergäbe aber die Prüfung, daß sie in manchen Fragen vom rechten Kirchenglauben abwichen, aber bereit wären, ihre Irrtümer aufzugeben und der Kirche Gehor- sam zu leisten, dann sollte sie der Bischof absolvieren, nachdem sie durch den in solchen Fällen üblichen Eid ihre Irrlehren öffentlich widerrufen, sich zum Kampf gegen sie bereit erklärt, sich zur Bewahrung des rechten Glaubens verpflichtet und dem päpstlichen Stuhl Gehorsam und Verehrung gelobt haben.‘ ursprüngliche Maßnahme des Papstes zu erschließen ist, lautet: Accepimus, quod auctoritate litterarum nostrarum, quas dilectis filüs nostris archipresbyteris et canonicis ecclesie tue contra Gazaros, Arnaldistas, Pauperes de Lugduno et Humiliatos, qui nondum redierunt ad mandatum apostolice sedis, et hereticos universos direrimus, dietus archipresbyter tam contra Humiliatos quam wuniversos hereticos sint distinctione quam posueramus in litteris nostris, ercommunicationis sententiam promulgavit, cuius occasione sententie nonnulli quosdam, qui, licet inviti, a populo Humiliati dicuntur, licet nul- lam heresim sed fidem, sicut dicitur, sapiant orthodozam et in humilitate cordis et corporis studeant Domino famulari, qui etiam in manibus tuis stare mandatis ecclesie juraverunt, evitant et eis tanguam excommuni- catis communicare sicut hactenus non presumunt. 3 4. MPL 214 Sp. 789: Quia vero non est nostre intentionis innozios cum Zei Ze Aus diesem Schreiben des Papstes lassen sich zwar die vorangegangenen Maßnahmen im Einzelnen nicht genau er- schließen, aber es zeigt doch ganz deutlich die Richtlinien, nach denen Innozenz die Behandlung der religiösen Bewegung und der Ketzerei in Angriff nahm. Er verlangt scharfes Vorgehen gegen die Ketzerei, zugleich aber Vorsicht und Bedacht bei der Entscheidung, wer als Ketzer verfolgt werden soll. Der Brief begründet diese Haltung in einer Einleitung, die sehr bezeich- nend ist für die neue Wendung der kurialen Ketzerpolitik.° Sie spricht von zwei Aufgaben der Kurie: Strenge gegen die Ketzer, damit die wahrhaft Schuldigen nicht unbestraft bleiben, aber andererseits discretio bei der Entscheidung über Ketzerei, damit nicht Unschuldige verdammt werden. Erinnert man sich dabei an den Ausspruch Alexanders Ill. von 1162, es sei besser, Schuldige freizusprechen als Unschuldige zu strafen,® so wird gerade aus der Gegenüberstellung dieser gleichklingenden Äußerungen der bedeutsame Unterschied in der Haltung der beiden Päpste deutlich. Alexander hatte mit jenem Grundsatz seine Unentschiedenheit in der Stellungnahme zu den flandri- nocentibus condemnare, fraternitati tue per apostolica scripta mandamus atque precipimus, quatenus tales ad tuam presentiam convoces et inquiras tam ab alüs de vita et conversatione ipsorum quam ab eis de articulis fidei et aliis que videris inquirenda; et si nihil senserint quod sapiat here- ticam pravitatem, eos catholicos esse denunties et predicta sententia non teneri. Quod si forsan aliquid contra fidem sapiant orthodoxam et parati fuerint ab errore discedere ac mandatis apostolicis obedire, recepto ab eis juxta formam ecclesie juramento, quod solet a talibus exhiberi, benefi- cium eis absolutionis impendas, mandans eisdem sub debito juramenti prestiti, ut errorem, quem approbaverant, publice improbent et in alüs studeant pro viribus confutare, de cetero etiam fidem orthodoxam servent et sedem apostolicam venerentur. 5. MPL 214 Sp. 788f.: Licet in agro Ye familias evangelici zizania sepe pullulent inter messes, et vineam domini Sabaoth interdum nitatur tinea demoliri, sic tamen prudens agricola vinitorque discretus salubre debet remedium invenire, ne vel triticum evellatur inter zizania vel in dejectione tinee vinea corrumpatur. Similiter etiam, licet ad abo- lendam hereticam pravitatem invigilare debeat sollicitudo pastoris, solli- cite tamen debet attendere, neveldamnetinnoziosvelnocen- tes absolvat. 6. S. o. S. 56. ER schen Ketzern vor dem Reimser Erzbischof rechtfertigen wollen. Innozenz aber forderte durch seine These im Gegenteil zur Ent- scheidung auf, die eine Unterscheidung zwischen Ketzerei und rechtgläubiger Frömmigkeit voraussetzt. Er hat ähnliche For- meln später oft wiederholt, und alle seine Maßnahmen in der Ketzerfrage haben diesem Grundsatz genau entsprochen. Sein ganzes Bestreben ging darauf aus, in der religiösen Bewegungs, die durch alle Verbote, durch Ausschluß aus der Kirche und Verketzerung nur immer gefährlicher gesteigert worden war, zu sondern zwischen den unwiderbringlich und unbelehrbar der Ketzerei verfallenen Elementen und denjenigen Gruppen, die in der Kirche bestehen und in sie wieder einbezogen werden konnten. Gegen jene mit aller Schärfe vorzugehen, diesen aber ein Daseinsrecht in der Kirche zu schaffen, das waren die beiden Hauptziele seiner Politik gegenüber der religiösen Bewegung. Der Brief Innozenz’ an den Bischof von Verona zeigt außer- dem, daß es dieser Politik gleich anfangs gelungen war, die Humiliaten Oberitaliens, die 1179 von Alexander III. abgewie- sen und 1184 von Lucius III, als Ketzer exkommuniziert worden waren, wenigstens teilweise wieder mit der Kirche zu versöhnen. Dieser Erfolg beschränkte sich nicht auf Verona.” Schon 1198 oder 1199 waren zwei Führer der Humiliaten® als Vertreter der ganzen Gemeinschaft zu Verhandlungen mit Innozenz III. an die Kurie gekommen, um darüber zu verhandeln, in welchen Formen sich das Humiliatentum künftig im Rahmen der Kirche entfalten konnte.” Sie unterbreiteten dem Papst die Statuten, nach denen die Humiliaten in ihren Gemeinschaftshäusern bis- her gelebt hatten und künftig leben wollten. Diese proposita, die wir nicht kennen, wurden von Innozenz zunächst einer 7. Auch daraus glaube ich schließen zu dürfen, daß Innozenz’ erster Erlaß sich auch an andere Bistümer gewendet hatte; s. o. 72. 8. Jacobus de Rondenario (Rondineto) in Como und Lanfrancus aus Lodi. 9. Zanoni S. 89, 9, 341 (Chronik des Giovanni di Brera von 1421), 350f. (Chronik des Marcus Bossius von 1493, der die beiden Humiliaten schon 1198 nach Rom gehen läßt). Se Kommission!” überwiesen, die daraus ein propositum regulare zusammenstellen sollte; dieses wurde dann einer Kardinalskom- mission'' zur Prüfung und Korrektur vorgelegt und schließlich von Innozenz selbst einer letzten Durchsicht unterzogen. Nach diesem umständlichen Verfahren,'? das fast zwei Jahre in An- spruch nahm, wurde im Juni 1201 die neue Humiliaten-Resel bestätigt. Sie bestand aus einer Verbindung von Bestimmungen der Regeln Benedikts und Augustins, ergänzt durch einige der Humiliaten eigentümliche Angaben.’ Die ursprünglich von den Humiliaten eingereichten Statuten haben offenbar nur insofern als Grundlage gedient, als die neue Regel grundsätzlich auf die Lebensformen dieser Gemeinschaften zugeschnitten werden mußte; andererseits hat man soweit als irgend möglich auf die vorhandenen Ordensregeln zurückgegriffen. Die Regel sollte für zwei verschiedene Arten von Humiliatengemeinschaften gelten, denen beiden sowohl Männer als Frauen zugehörten: für klösterlich lebende Laiengemeinschaften, den sogenannten zweiten Orden,'* und für Klerikergemeinschaften, die als Chor- herren, als Kanoniker und Kanonissen lebten.” Gemeinschaf- 10. Bischof Albert von Vercelli und zwei Zisterzienser-Äbte aus Klö- stern bei Vercelli und Lodi; der letztere starb, ehe die Aufgabe durch- geführt war. 11. Petrus Capuanus (S. Marcelli) und Gratianus Pisanus (SS. Cosmae et Damiani) sowie der Zisterzienser Rainer, vielleicht der spätere Kardinal R. von Viterbo; vgl.E.v.Westenholz, Kard. Rainer von Viterbo S. 168. 12. Zanoni S. 92 weist darauf hin. daß Innozenz bei der Bestätigung der Regel des Trinitanierordens 1198 ganz ähnlich verfahren war; vel. Ep. 1, 481 MPL 214 Sp. 444. 13. Diese gemeinsame Regel für den ersten und zweiten Humiliaten- Orden bei Zanoni 8. 352ff. ? 14. Dieser Gruppe stellte Innozenz III. am 12. Juni 1201 einen Schutz- brief aus, gerichtet an die dilecti filüü de Braida, domo nova Mediolanensi, Modoeeiensi (= Monza) ... alüsque prelatis eiusdem ordinis et eorum fratribus et sororibus. Die Bezeichnung ‚„Humiliaten“ wird nicht gebraucht, die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Orden nicht erwähnt. Dieser Schutzbrief für den Orden hat keine Kardinals-Unterschriften; s. H. Tira- boschi, Vetera Humiliatyrum monumenta II, 1767, S. 135 ff. 15. Schutzbriet vom 16. Juni 1201 in der Form eines „großen 'Pri- vilegs“ mit Kardinals-Unterschriften, ss Tiraboschi II S. 139ff. Be- merkenswert ist die Erlaubnis, neu eintretende Mitglieder (laicos littera- BIT ten dieser Art, die ein „gemeinsames Leben" führten und auf die daher die neue Regel Anwendung finden konnte, sind unter den Humiliaten nicht damals erst geschaffen worden, sondern sie haben längst vorher bestanden. Schon vor dem Lateran- konzil 1179 lassen sich bei den Humiliaten in Mailand Gemein- schaften von Männern und Frauen nachweisen, die in einem Haus zusammenwohnen und gemeinsam arbeiten;'* in anderen lombardischen Städten bestanden zweifellos ähnliche Humi- liatengemeinschaften, und diese Laiengemeinschaften wurden durch die neue Regel als zweiter Orden organisiert. Ebenso ist schon seit den siebziger Jahren die Zugehörigkeit von Kleriker- Gemeinschaften zu den Humiliaten bezeugt,'" die durch die Regelung als erster Orden organisiert wurden. Nur weil schon vor 1200 solche Gemeinschaften von Laien und von Klerikern bei den Humiliaten bestanden, konnte eine Regel ausgearbeitet werden, die nur auf solche klösterlich lebende Gemeinschaften anwendbar war." Aber diese Regel war nicht anwendbar auf diejenigen Humiliaten, die nicht in Gemeinschaftshäusern, sondern mit tos, qui apud eos habitum susceperint regularem) durch den Praepositus der Gemeinschaft, sofern er selbst Priester ist, zu Klerikern tonsurieren zu lassen; sie erhalten auch die Exemption vom Interdikt: vgl. dazu Schreiber, Kurie und Kloster im 12. Jahrhundert T S. 158f. 16. Zanoni S. 33. 17. Z. B. die Kanoniker in Viboldone bei Mailand: vgl. Zanoni S. 88; Pierron S. 17; Tiraboschi II S. 117f., 123. 18. Pierron S. 16f., der sich nur auf die 3 Bullen von 1201 stützt, hält die Sonderung der 3 Gemeinschaftsformen der Humiliaten für das Werk Innozenz’; auch Zanoni S. 90ff. denkt, erst die Regulierung durch Innozenz hat den ersten vom zweiten Orden gesondert, weil sich nicht alle in Gemeinschaft lebenden Humiliaten zu Klerikern machen ließen. Mir scheint, die dreifache Gliederug hat nur Sinn, wenn die soziologische Wirklichkeit sie forderte. Es gab drei Gruppen unter den Humiliaten: Verheiratete, die in ihren eigenen Häusern lebten: unverheiratete Laien, die in Gemeinschaftshäusern zusammenlebten; und Kleriker. Solange keine kirchenrechtliche Regelung ihrer Gemeinschaft bestand, brauchte sich diese Gruppierung nicht organisatorisch auszuwirken. Wollte man sie aber kirchenrechtlich erfassen, so konnte man die Verheirateten und ein- zeln Lebenden nach bisher bekannten Ordensformen überhaupt nicht „regulieren“, die Laien nur als Mönche, die Kleriker nur als Kanoniker. So ergab sich die Gliederung in drei „Orden“ der Humiliaten. ORT ihren Familien in ihren eigenen Häusern lebten, also für den ursprünglichen und stärksten Zweig der Genossenschaft.'” Diese „Laienbrüderschaft" konnte durch die neue Regel so wenig wie durch irgendeine andere der vorhandenen Ordensregeln erfaßt werden, weil ihr fehlte, was der eigentliche Gegenstand aller „Regulierungen” war: das gemeinsame Leben. Als nun die Kurie die Humiliaten als eine rechtmäßige Gemeinschaft in die Kirche einbeziehen wollte, stand sie vor der doppelten Aufgabe, erstens eine Rechtsform zu finden, die eine religiöse Gemein- schaft ohne „gemeinsames Leben” organisatorisch erfaßte, zu- gleich aber dieses neuartige Gebilde mit den anderen Humi- liatengruppen, die als Laien oder als Kleriker in Gemeinschaft lebten und in den Formen der benediktinischen Mönchsregei und der augustinischen Klerikerregel organisiert wurden, zu einer Gemeinschaftsform zusammenzufassen, in der die ur- sprüngliche Einheit aller Humiliaten gewahrt blieb. Die Lösung dieser beiden Aufgaben ist bei diesem ersten Versuch nur un- vollkommen gelungen, vor allem deswegen, weil er unter mög- lichst weitgehender Bewahrung alter Ordensformen durchge- führt wurde, die nur insoweit durch neue Organisationsformen ergänzt wurden, als es ganz unvermeidlich war. Aber gerade als erster Versuch zur Lösung dieser neuartigen Aufgabe, die in späteren Fällen kühner und glücklicher gelöst wurde, ist die Organisation der Humilialen wichtig und interessant. Der dritten Gruppe der Humiliaten, den nicht in Gemein- schaft lebenden Laien, ist eine eigentliche „Regel" überhaupt nicht gegeben worden. Um trotzdem für ihre Lebensformen eine rechtsgültige kirchliche Anerkennung zu schaffen, und um nicht die regulierten Gruppen von den Humiliaten abzuspalten und den Rest ganz aus der Organisation auszuschließen, fand Innozenz eine Form, die bis dahin unbekannt war, in den folgen- den Jahrzehnten aber eine gewisse Bedeutung erlangte. Er gab 19. Die Chronik von Laon S. 29 sagt ausdrücklich: Fuerunt tunc cives quidam in civitatibus Lumbardorum, qui in domibus cum familia sua degentes quendam modum religiose vivendi eligentes ete. s. o. S. 66. Die Ordenschronisten des 15. Jahrhunderts haben stets diese Gruppe der Hu- miliaten, den „dritten Orden“, als primum membrum ordinis bezeichnet. En... den einzeln lebenden Humiliaten nicht eine „Regel“, aber er approbierte ihr propositum, eine kurze Zusammenfassung ihrer religiösen und ethischen Lebensnormen, die von den Humiliaten bei der Kurie eingereicht, von Papst und Kardinälen geprüft und in einigen Punkten verändert und durch eine Bulle vom 7. Juni 1201 bestätigt wurde.” Darin wurden zunächst die sittlich- religiösen Grundsätze anerkannt, die den Humiliaten schon 1179 von Alexander III. nicht verwehrt worden waren: Vermeidung des Kleiderluxus, Erwerb des Lebensunterhalts durch Hand- arbeit, Enthaltung von Wucher und Rückgabe von unrecht er- worbenem Gut, Abgabe überschüssiger Einkünfte als Almosen an die Armen, Einhaltung der Ehepflichten, und ein friedferti- ges sittenreines Leben in Demut, Geduld und Liebe. Darüber hinaus wird diesen Laienverbänden auch erlaubt, sich zur Ein- haltung der sieben kanonischen Gebetsstunden durch je sieben Vaterunser zu verpflichten. Sie müssen andererseits Gehorsam gegen die Prälaten der Kirche geloben und sind, als Laien, auch zur Zahlung des kirchlichen Zehnts verbunden.?' Alle diese Be- 20. Tiraboschi II S. 128: Cum vestrum nobis fuisset propositum presentatum, illud coram nobis et fratribus nostris perlegi fecimus dili- genter et correctis quibusdam illud in favorem vestrum curavimus appro- bare. — Die Bulle ist gerichtet an die ministri aus Mailand, Monza, Como, Pavia, Brescia, Bergamo, Piacenza, Lodi, Cremona alüsque ministris eius- dem ordinis (!) eorumque fratribus et sororibus. — Auch in den Bullen für den 1. und 2. Orden (Tiraboschi II S. 136, 140f.) werden die der Kurie von den Humiliaten eingereichten Vorschläge als proposita bezeichnet, der Entwurf zu einer Gesamtregel als unum regulare propositum, die aus- gearbeitete Regel als institutio regularis (und demgemäß der 1. Orden als ordo canonicus secundum deum et institutionem vestram per sedem apo- stolicam approbatam). 21. Die Bestimmungen über die Zehnt-Abgaben zeigen am deutlichsten die dreifache Gliederung der Humiliaten: die Kanoniker des 1. Ordens er- halten die übliche Befreiung vom Neubruch-Zehnt: Sane novalium vesiro- rum, que propriüs manibus aut sumptibus colitis (vgl. Schreiber, Kurie und Kloster I S. 270 ff.), sive de fructibus hortorum aliarumque possessio- num, que sunt infra clausuras ecclesiarum vestrarum, seu de nutrimentis animalium (vgl. Schreiber I S. 291) nullus a vobis decimas exrigere vel extorquere presumat, sed vos potius decimas, que a laicis in feudum perpetuum possidentur, ab ipsis cum episcopi dioecesani consensu redi- mere de concessione nostra presentis privilegii auctoritate possitis, re- en, stimmungen bedeuten weder von seiten der Kurie noch der Humiliaten ein bemerkenswertes Zugeständnis., Schwieriger war die Frage der Erlaubtheit des Eides. Die Humiliaten woll- ten ihren Mitgliedern das Schwören überhaupt verbieten,” genau wie die Katharer und Waldenser. Die Kurie aber ge- stattete ihnen in dem Propositum nur, sich zur Unterlassung des unnötigen, unbesonnenen, freiwilligen, von niemandem verlang- ten Schwurs zu verpflichten, während sie die Zulässigkeit des Eids in zwingenden Fällen anerkennen mußten. Unter Anfüh- rung vieler Schriftstellen wird in dem Propositum und ebenso in den beiden Bullen für den 1. und 2. Orden? festgestellt, welche Art des Schwörens dem Christen erlaubt sei und welche verboten. Die ausführliche Begründung dieser Bestimmungen zeigt, daß die Kurie den Humiliaten möglichst weit entgegen- kommen, ihre grundsätzliche Ablehnung jedes Schwurs aber nicht billigen wollte und diese Entscheidung einer besonderen Erklärung für bedürftis hielt. Weitaus am wichtigsten ist aber eine Bestimmung des Pro- positum, die den Humiliaten gestattete, an jedem Sonntag an einem geeigneten Ort Versammlungen abzuhalten und dabei erprobte, fähige Brüder mit Erlaubnis des Bischofs predigen zu demptas pacifice possidere. — Die Angehörigen des 2. Ordens müssen von ihrem Besitz. den Zehnten zahlen, ihre Einkünfte aber aus Handarbeit, Gartenbau und Viehzucht sind zehntfrei (Bulle vom 12. Juni, Tirabo- schi II S. 136f.): Sane de predüs et aliis possessionibus, quas habetis vel estis in posterum habituri, ecclesüs, ad quas pertinent, decimas persol- vetis. De artificiis autem, que proprüs manibus exercetis, ortorum fructi- bus et vestrorum animalium nutrimentis nullus a vobis decimas exigere vel extorquere presumat, ut ex üs largiores oblationes ecclesiis et uberio- res eleemosynas indigentibus: impendatis. Die Mitglieder des 3. Ordens aber dürfen als Laien ohne Klostergemeinschaft natürlich keine Zehnten besitzen, sondern sind ohne Einschränkung zur Zahlung des Zehnten ver- pflichtet (Propositum vom 7. Juni 1201, Tiraboschi II S. 131): Deeci- mas quoque nolite possidere, quoniam eas laicis possidere nullatenus licet. ... Decimas igitur et primicias clericis, ad quos pertinent, distribuendas canonice secundum. dispositionem. diocesani episcopi persolvetis. Die Be- gründung dieser Verpflichtung durch Bibelzitate läßt vermuten, daß man den Wunsch der Humiliaten in diesem Punkte nicht erfüllt hatte. 22. Chron. anon. Laudun. S. 29: juramentis et causis abstinentes. 23. Tiraboschi II S. 129ff., 137£., 145£. ME lassen; mit der Einschränkung, daß sich diese Predigten auf die Sittenpredigt beschränken müssen, auf Mahnung zu recht- schaffenem Leben und tätiger Frömmigkeit; theologische Fragen (de articulis fidei et sacramentis ecclesiae) dürfen die Prediger nicht behandeln.‘ — Was den Humiliaten 1179 verboten wor- den war, ist ihnen durch diese Bestimmung erlaubt worden: Versammlungen abzuhalten und dabei zu predigen. Die Vor- behalte bei dieser Erlaubnis konnten ihre Bedeutung für die Humiliaten nicht wesentlich beeinträchtigen. Für die Predigt- Versammlungen wird die Erlaubnis der Bischöfe vorausgesetzt. Aber das besagt keineswegs dasselbe wie die Auskunft, die Alexander III. im Jahre 1179 den Waldensern gab: sie dürften nur predigen, wenn die Bischöfe sie dazu auffordern. Denn in dem Propositum der Humiliaten wurden die Bischöfe ausdrück- lich angewiesen, diese Erlaubnis nicht zu verweigern. Die Ge- nehmigung der Versammlungen wurde also nicht in das Er- messen der Bischöfe gestellt, das Einverständnis mit ihnen konnte vielmehr nur Ort und Zeit der Versammlungen betreffen. Ebenso hatte aber auch die Beschränkung auf die „Sitten- predigt" unter Ausschluß der „Glaubenspredigt' nicht so sehr eine unmittelbar praktische als vielmehr eine kirchenrechtliche Bedeutung, Es ist sehr unwahrscheinlich, daß die Humiliaten jemals die Erlaubnis zur „Glaubenspredigt" erstrebt haben. Ohne Zweifel sind ihnen immer die sittlichen Fragen des reli- giösen Lebens, nicht theologische Glaubensfragen wichtig ge- wesen, Allerdings hatten sie 1179 um die Genehmigung nach- gesucht, pro fide catholica se opponere. Aber dieses Eintreten 24. Tiraboschi I S. 133£.: Vestri quoque de cetero moris_ erit, singulis diebus dominicis ad audiendum Dei verbum in loco idoneo con- venire, ubi aliquis vel aliqui fratrum probate fidei et experte religionis, qui potentes sint in opere ac sermone, licentia diocesani episcopi verbum erhortationis proponent his, qui convenerint ad audiendum verbum Dei, monentes et inducentes eos ad mores honestos.et opera pietatis, ita quod de articulis fidei et sacramentis ecclesie non loquantur. Prohibemus autem ne quis episcopus contra prescriptam formam impediat huiusmodi fratres verbum exhortationis proponere, cum secundum apostolum non sit spiritus ertinguendus. — In der Regel und den Bullen für den ersten und zweiten Orden steht nichts Entsprechendes. Ben > RER zur Verteidigung des katholischen Glaubens ist ihnen nach 1201 durch das Verbot der Predigt de articulis fidei et sacramentis ecclesiae keineswegs verwehrt worden, sondern gerade als Boll- werk und als Streiter gegen die Ketzerei haben sie bei Männern der Kirche höchste Anerkennung gefunden. Durch die Schei- dung in Sittenpredigt und dogmatische Predigt, die in dem Pro- positum der Humiliaten zuerst auftritt, wollte die Kurie offen- bar den Unterschied zwischen der den ordinierten Priestern vor- behaltenen Predigt und der den religiösen Laien in ihren Ver- sammlungen erlaubten Predigt kennzeichnen. Weil hier zum ersten Mal eine neue Art von Predigten anerkannt wurde, mußte sich eine neue Unterscheidung der Predigtarten heraus- bilden. Aber dadurch änderte sich nichts an der Tatsache, daß die Humiliaten 1201 die päpstliche Anerkennung gefunden haben für jene Gemeinschaftsformen, die ihnen 1179 verboten worden und um derentwillen sie aus der Kirche als „Ketzer“ ausgeschieden waren. Durch dieses Zugeständnis ist es der Kurie nicht nur gelungen, die Humiliaten wieder in den kirch- lichen Verband einzubeziehen; sondern sie hat damit zum ersten Male bewiesen, daß sie bereit war, ihre grundsätzlich ableh- nende Haltung gegenüber der religiösen Bewegung aufzugeben und die Bildung religiöser Laienverbände und sogar die Laien- bußpredigt in der Kirche zuzulassen. Der Grundsatz, daß nie- mand predigen dürfe, der nicht dazu ordiniert sei, blieb dabei im Prinzip gewahrt, aber er wurde dadurch wesentlich modifi- ziert, daß zum ersten Male eine Laiengemeinschaft die päpst- liche Vollmacht erhielt, ihre eigenen Prediger aufzustellen — ein Ereignis von weittragender Bedeutung für die Zukunft 2°- Neben diesem wichtigsten Ergebnis der Verhandlungen Innozenz’ III. mit den Humiliaten ist die Frage nach der organi- satorischen Einheit der drei Ordensgruppen weniger belang- reich, aber auch sie bedarf noch der Klärung. Die Gliederung in drei Orden hatte sich daraus ergeben, daß die Humiliaten 25. Es ergibt sich aus dieser Darstellung von selbst die Unrichtigkeit der Behauptung Scheebens (S. 126): „Die Humiliatenorden haben keine neue Ordensform hervorgebracht, wie sie auch keine neuen Ordensziele aufstellten“. Er unter kirchenrechtlichen Gesichtspunkten kein homogenes Ge- bilde darstellten, da sowohl Laien als Kleriker dazu gehörten und da sie teilweise in vita communis lebten und teilweise nicht. Keine der bisher bestehenden Rechtsformen ließ sich daher gleichmäßig auf alle Glieder der Humiliaten-Gemeinschaft an- wenden. Man scheute aber den Versuch, dieser neuartigen Sachlage durch eine grundsätzlich neue Ordensform gerecht zu werden, in der die ungleichartige Gesamtheit durch eine gemein- same Regel organisiert wurde. Soweit wie irgend möglich hielt man an den alten Formen fest, obgleich dadurch die Gesamtheit in drei Gruppen zerfiel, von denen sich die eine mit den For- men der Kanonikerregel, die zweite mit den Formen der Mönchsregel, die dritte überhaupt nicht durch eine eigentliche „Regel bilden ließ. Auf diese Neuordnung aber hätten sich die Humiliaten schwerlich einlassen können, wenn nicht gegen den völligen Zerfall ihrer Gemeinschaft in drei Einzelgruppen Vorsorge getroffen worden wäre durch ein organisatorisches Band, das sie alle drei umfaßte. Auch das war mit keiner der gebräuchlichen Ordensiormen zu bewerkstelligen. Denn noch nie hatte die Aufgabe vorgelegen, eine Gemeinschaft von Kano- nikern, mönchisch in Gemeinschaft lebenden Laien und einzeln in ihren Familien lebenden Laien in einen gemeinsamen kirchen- rechtlichen Verband zusammenzuschließen. Es galt also eine neue Form zu finden und sie in die anderen, aus alten und neuen Bestandteilen gemischten Bestimmungen für die einzel- nen Gruppen hineinzuarbeiten, Das ist in den Verhandlungen von 1199—1201 so unvollkommen gelungen, daß man über das Resultat kaum volle Klarheit gewinnen kann, daß es auch nicht für lange Zeit brauchbar blieb, sondern bald durch eine neue Regelung ersetzt werden mußte. Als erster Versuch zur Lösung einer solchen Aufgabe ist es gleichwohl beachtenswert. In dem Propositum für den 3, Orden und ebenso in der Bulle für den 2. Orden steht nichts über eine gemeinsame Or- ganisation aller drei Orden, ebenso wenig über die innere Or- ganisation jedes einzelnen Ordens. Es ergibt sich daraus nur, daß die Vorsteher des 3. Ordens als Ministri, die des 2. Ordens BE» als Praelati bezeichnet wurden.”* Aus der Bulle für den ersten Orden aber, die genaue Bestimmungen enthält über die innere Organisation, über die Ordensleitung und den Modus ihrer Wahl,’ geht hervor, daß entsprechend den 4 Praepositi majores des 1. Ordens auch in den beiden anderen Orden die Ober- leitung in den Händen von je 4 Vorstehern liegt.” Jährlich wenigstens einmal sollen nun diese 12 obersten Leiter des gan- zen Ordens in einem „Generalkapitel" gemeinsam über die Ordensangelegenheiten beraten (über die Spiritualia unter Aus- schluß der Laien). Dadurch sollte also die Zusammengehörig- keit der drei „Orden organisatorisch gesichert bleiben. Aber 1246 ist man dazu übergegangen, einen General-Minister für die gesamte Humiliatenschaft zu wählen, der die Leitung und das Visitationsrecht über alle drei Orden hat.’ 26. In den Adressen der beiden Bullen bei Tiraboschi II S. 128 und 135. 27. Tiraboschi II S. 143f. Die einzelnen Ordenshäuser haben wie alle Kanoniker Pröpste. Die Pröpste von 4 bestimmten Ordenshäusern werden (nach dem Muster des Zisterzienserordens) den anderen als pre- positi principales oder mujores übergeordnet; in jährlich wechselndem Turnus hat einer von ihnen die Gesamtleitung (und damit verbunden die Visitationspflicht) über alle Ordenshäuser. Läßt sich einer der 4 etwas zu Schulden kommen, können ihn die anderen 3 absetzen. Zur Neuwahl eines Propstes ist ein ziemlich kompliziertes Verfahren vorgeschrieben: die Gesamtheit des betreffenden Ordenshauses wählt einen arbiter, dieser bestimmt 3 Elektoren (2 Kleriker und einen Laienbruder), und diese nehmen nach dreitägigem Fasten des ganzen Kollegiums die Abstimmung unter allen „Brüdern und Schwestern“ vor und entscheiden, wenn nicht Einstimmigkeit erzielt wird, über die „bessere Wahl“. Natürlich kann rur ein Kleriker gewählt werden. Die 4 majores prepositi müssen den Gewählten approbieren, der zuständige Bischof muß ihn formell konfir- mieren, darf aber diese Konfirmation nicht verweigern. Die Wahl gilt auf Lebenszeit oder bis zur Absetzung. 28. Also 4 prepositi majores ım 1. Orden, 4 prelati majores im 2. und 4 ministri majores im 3. Orden. Diese genaue Unterscheidung der pre- positi, prelati und miänistri findet sich nach den 3 Bullen Innozenz’ II. von 1201 allerdings urkundlich erst wieder bezeugt in einer Bulle In- nozenz’ IV. von 1246 bei Tiraboschi II S. 19; vel. Zanoni S. 132. 29. Bulle Innozenz’ IV. vom 13. Oktober 1246, Tiraboschi II S.198 ff. er 7 Außer der jährlichen Zwölfer-Konferenz scheinen aber von Anfang an noch andere Verbindungen zwischen den drei Orden bestanden zu haben, durch die sich der ursprüngliche enge Zu- sammenhang erhielt. Die gemeinsame Regel für den 1. und 2. Orden trifft nämlich auch ihrerseits Bestimmungen über die Wahl eines Leiters der Ordenshäuser. Sie drückt sich aber dabei so ungenau aus, daß nicht einmal sicher zu ermitteln ist, welche Stellung der dabei zu Wählende eigentlich einnimmt. Keinesfalls kann es sich um die Wahl der Pröpste für die Häu- ser des ersten Ordens handeln, obgleich die Regel, die diese Bestimmungen trifft, auch für den ersten Orden gilt. Der Praelatus, um dessen Wahl es sich hier handelt, wird im Gegen- satz zu den Praepositi des 1. Ordens jeweils nur auf ein Jahr gewählt (oder wiedergewählt), und der Wahlmodus ist ein ganz anderer.” Es kann sich aber auch schwerlich (wie die Bezeich- nung Praelatus vermuten lassen könnte), um die Vorsteher der Gemeinschaftshäuser des 2, Ordens handeln. Erstens hätten diese Bestimmungen dann nichts zu suchen in der gemeinsamen Regel für den 1. und 2. Orden, sondern hätte (wie die Bestim- mungen über die Wahl der Praepositi des 1. Ordens) in der be- sonderen Bulle für den 2. Orden Plaiz finden müssen. Zweitens hätten dann an der Wahl nur Angehörige des zweiten Ordens teilnehmen dürfen, da der 3. Orden seine eigenen Minister wie der 1. Orden seine eigenen Pröpste hat. An dieser Wahl des „Prälaten” aber nehmen nach den ausdrücklichen Bestimmun- gen der Regel nicht nur Mitglieder des 2, Ordens teil, auch nicht 30. Es geschieht durch die sogen. via compromissi: die Gesamtheit der Wählenden (s. u.) bestimmt 3 Elektoren, und diese wählen unmittelbar den Prälaten; 2 Stimmen entscheiden gegen eine; können sich nicht 2 Elektoren auf einen Kandidaten einigen, so werden 3 neue Elektoren be- stimmt. Von einer Approbation und Konfirmation des Gewählten ist nichts gesagt. Aber er wird nach der Wahl im Oratorium mit einem T'e- Deum und einem liturgischen ÖOfficium durch einen Priester als pater omnium eingesetzt! Vgl. den Wortlaut der Regel bei Zanoni S. 354f. — Die beiden Wahlmodi: die durch 3 Wahlmänner vollzogene Abstimmung unter der Gesamtheit, und die Wahl durch einige wenige dazu bestimmte Wähler sind die zwei Möglichkeiten, die auch das Laterankonzil 1215 ($ 24, Mansi XXII S.1013f.) für eine kanonische Wahl für zulässig erklärt. ran = nur Mitglieder der beiden Orden, für die die Regel gilt, sondern auch die Laien des dritten Ordens, die in dieser Regel nur an dieser einen Stelle überhaupt erwähnt sind, werden zu dieser Wahlhandlung zusammengerufen und sollen mit wählen. Da es sich bei dieser durch die Angehörigen aller drei Orden voll- zogenen Wahl keinesfalls um die Praepositi des 1. Ordens und schwerlich um die Praelati des 2. oder die Ministri des 3, Or- dens handeln kann (von denen überdies nicht anzunehmen ist, daß sie nur auf ein Jahr gewählt wurden), so ist es das Wahr- scheinlichste, daß dadurch neben den Leitern der drei Orden noch ein Leiter der lokalen Gemeinschaft aller Humiliaten ge- wählt wurde, ein Pater omnium, wie sein Titel lautet. Die Neu- ordnung von 1201 hat dadurch anscheinend dem früheren Zu- stand Rechnung getragen, daß sie neben den einzelnen Leitern der Ordenshäuser und Laienbrüderschaften und neben dem jährlichen „Generalkapitel”, auf dem von jeder Ordensgruppe die vier obersten Leiter zusammenkamen, auch noch eine ge- meinsame Leitung der lokalen Humiliaten-Gesamtheit bestehen ließ in Gestalt eines jährlich zu wählenden Vorstehers. Die unklare Ausdrucksweise der Regel war vermutlich nur deshalb möglich, weil damit nicht eine neue Einrichtung geschaffen wurde, die genauer juristischer Bestimmung bedurft hätte, son- dern für eine alte, den Humiliaten geläufige Gewohnheit nur die kirchliche Zustimmung gegeben und der juristische Modus fest- gelegt zu werden brauchte.‘ 31. S. die Regel bei Zanoni 8.354: Prelatus iste.. a vobis omni tempore hoc modo eligatur. Omni anno in septuagesimali die religiosi, amici et adjutores Christi familie in unum conveniant, qui adhuc in mundo juste conversantes in timore Domino serviunt, ac pro posse suo injuste habita reddentes, qui infirmos visitant, superflua etiam pauperibus distri- buunt Dominum diligentes et proximum, quibus fraterna caritate conce- dimus, ut omni anno in predicto die convenientes tres quos voluerint de fratribus eligant etc. 32. Für die Auffassung spricht es auch, daß dieser ganze Abschnitt der Regel nur in der älteren, durch eine Bulle Gregors IX. vom 7. Juni 1227 überlieferten Fassung erhalten, in späteren Kopien der Regel aber getilgt ist. Nachdem durch Innozenz IV. die Einheit der 3 Orden durch die Wahl eines Magister generalis totius ordinis Humiliatorum i.J. 1246 neu geregelt wurde, kam jene ältere Regelung anscheinend in Wegfall; > To .—. Alle diese Regelungen schufen trotz größtmöglicher Wah- rung alter Formen dennoch ein neues Gebilde, das den neu- artigen religiösen und soziologischen Bedingungen der Humi- liaten-Gemeinschaft entsprechen sollte. Freilich fehlte der neuen Ordensform alle Klarheit, Einfachheit und Bestimmtheit, die sie für die Zukunft hätte vorbildlich machen können. Es ist daher auch nie wieder eine Gemeinschaft nach dem Muster der Humiliaten organisiert worden. Aber die Kurie hat diesen ersten Versuch auch nie wieder ganz verworfen; manche Maßnahmen, die hier zum ersten Male getroffen wurden, haben sich auch für die Zukunft bewährt. Aber wichtiger als diese kirchenrecht- lichen Formen im Einzelnen ist die neue Einstellung der Kurie zu der religiösen Bewegung, die sich in ihnen ausspricht. Daß sich Innozenz der grundsätzlichen Bedeutung dieses Falles be- wußt war, zeigen seine Vorbemerkungen zu den für die Humi- liatenorden ausgestellten Bullen. Die Geister zu prüfen, nach reiflichem Bedacht die Schafe von den Böcken zu sondern, um nicht das Böse gut und das Gute bös zu nennen, um nicht Ge- rechte zu verurteilen und Schuldige unbestraft zu lassen; nach allen Kräften des menschlichen Geistes discretio walten zu lassen und wie ein Arzt das Unheilbare auszuschneiden, damit es nicht wuchere, das Heilbare aber zu heilen — diese Aufgabe will der Papst mit der Neuordnung der Humiliaten in Angriff nehmen. Diese Grundsätze sind in ihrer biblischen Umkleidung so geschickt stilisiert, daß sie die neue Politik gegenüber der religiösen Bewegung klar begründen, ohne die Politik seiner Vorgänger geradezu bloßzustellen. Es war richtig zu seiner Zeit, non omni spiritui credere (1. Joh. 4,1); jetzt aber ist es oder umgekehrt: weil jene ältere Regelung nicht mehr wirksam war, baten die Humiliaten um die Erlaubnis zur Wahl eines Generals für alle drei Orden, um deren Einheit zu gewährleisten. — Zanoni 8.58 und 131f. sieht in dieser Wahlbestimmung der Regel gleichfalls einen Niederschlag der ursprünglichen Einheit der Humiliaten; aber was die Aufnahme dieser Bestimmung in der Regel bei der Neuordnung besagt und um wessen Wahl es sich dabei eigentlich handelt, das hat Zanoni nicht erörtert und daher auch nicht gesehen, daß es sich dabei nicht um die Wahl des Vorstehers innerhalb der einzelnen Ordenszweige handeln kann, sondern um den Prälaten für die lokale Gesamtheit aller drei Orden. ee geboten, den verlorenen Sohn freudig wieder aufzunehmen, die verirrten Schafe zur Herde zurückzuführen, und nach der Mah- nung des Apostels „den Geist nicht zu erlöschen‘. Diese Ge- danken und Bilder kehren in Innozenz’ späteren Äußerungen zur Frage der religiösen Bewegung immer wieder. Wollte man sie als bloße biblische Verbrämung unbeachtet lassen, so würde man den Schlüssel zum Verständnis der Ketzer- und Ordens- politik Innozenz’ III. aus der Hand geben. Denn seine kirchen- 33. Bulle für den 1. Orden vom 16. Juni 1201, Tiraboschi IS. 139: Non omni spiritui credere, sed probare si ex deo sunt spiritus, aposto- lica nos docet auctoritas, cum angelus Satane in angelum lucis se sepius transfiguret et multi veniant ad nos in vestimentis ovium, qui instrinsecus sunt lupi rapaces, secundum evangelicam veritatem. Unde tanto est con- sultius et maturius procedendum, cum agnos separamus ab hedis, immo cum oves, que sine pastore videbantur errare, reducimus ad ovie, vel verius de ovili Christi esse testamur, quanto frequentius specie recti deci- pimur et vitium sepe falso veritatis pallio fibulatur. Debet igitur usque adeo subtiliter pensare singula discretio judicantis et, quantum judi- cium permittit humanum, res etiam perscrutari latentes, ne vel justos dammet vel nocentes absolvat, neve dicat bonum malum vel malum bonum, ponens tenebras lucem aut lucem tenebras, medentium . tenens formam, qui prudenier manus moderantur officium, ne dum pars corrupta vel cauterio uritur, vel aliter amputatur, cum ea trahatur vel ledatur etiam pars sincera. — Bulle für den 2. Orden vom 12. Juni 1201, ebda. S. 135: Diligentiam pi patris et pastoris veri sollicitudinem in Evangelio Dominus nobis ipse commendat, ad primum parabolam de filio prodigo et a patre post reditum tam anulo quam stola prima donato, ad secundum de centesima ove perdita et reducta et dragma re- perta, tam ad nostram quam omnium fidelium instructionem inducens. Unde tenetur quilibet prelatorum et presertim apostolice sedis antistes, cui principaliter sunt oves Christi commisse, non solum catholicos, qui in ecclesiastica unitate consistunt, sed ab aliquibus in quibusdam creduntur non plene sequi semitam veri- tatis, correctis hüs in quibus exorbitare videntur, in pio proposito con fovere, sed errantes etiam revocare, quia Dominus non justos sed peccatores ad penitentiam se asserit evocasse. Debet enim ea, que scandalum ‘in ecclesia pariunt, apostolice correctionis moderamine rese care et quod superstitiosum visum fuerat ecclesiastice districtionis lima polire, ut resecatis superfluis prodeant in lucem obsura, et certa fiant que dubia videbantur. Das Propositum für den 3. Orden erwähnt nichts von der früheren häretischen Gefährdung, bekennt sich nur zu der Aufgabe, religiöse Bildungen zu schützen, zu stärken, zu sichern. u politischen Entscheidungen haben diesem Programm genau ent- sprochen. Dieser erste Schritt zu einer Einbeziehung der religiösen Bewegung in die Kirche hat gute Erfolge gehabt. Zwar scheinen sich nicht alle Humiliaten sofort in die neue Ordnung gefügt zu haben.’ Die große Masse der Humiliaten aber hat in den neuen, 34. Noch am 12. Dezember 1206 beauftragt Innozenz III. den Magisirat von Faenza mit der Vertreibung der Humiliati, Pauperes de Lugduno seu quilibet pravitatis heretice sectatores (Ep. 9, 204 MPL 215 Sp. 1042 f.), rechnet also mit Humiliaten, die nicht mit der Kirche ausgesöhnt sind. In einer Bulle an dieselbe Stadt vom 10. März 1206 waren die Ketzer bezeich- net worden: qui vocantur Pauperes de Lugduno vel etiam Patareni (Ep.), 18 MPL 215 Sp. 819£.). Also verwendet Innozenz damals noch Patareni und Humiliati als Wechselbegriffe, wie es früher geschehen war (Zanoni S.39ff., 42, 272) und dem Brief Jakobs von Vitry von 1216 zufolge aucu damals noch von böswilligen Leuten getan wurde. Die mit der Kirche ausgesöhnten Humiliaten haben diesen Namen anfangs nicht offiziell ge- tragen, sie haben sich sogar gegen ihn verwahrt (s. o. S. 73 Anm. 3). Erst 1211 werden sie zum ersten Male in dem Schreiben eines päpstlichen Le- gaten, 1214 in einem päpstlichen Schreiben als Humiliaten bezeichnet, s. Tiraboschi II S. 155f. — Ohne Kenntnis dieses Zeugrisses ist viel- fach behauptet worden, ein Teil der Humiliaten habe sich 1201 von denen, die sich mit der Kirche aussöhnten, getrennt und mit den Waldensern ver- bunden und sei seitdem als „lombardische Arme“ bezeichnet worden; vgl. Preger, Abh.d. Akad. Münch. XIII, 1 1877 S.210ff.; K.Müller, Walden- ser S. 58ff.; Pierron S.15 u. ö.; De Stefano, Le origini dell’ordine degli Umiliati S. 861£.; Scheeben, Dominikus S.117, 126. Auch Za- noni (S.79ff.), der nicht wie die andern die Humiliaten vor 1201 mit den italienischen Waldensern identifiziert, hält es für wahrscheinlich, daß ein Teil der Humiliaten die neue Ordnung ablehnte und sich an die Walden- ser anschloß. Denn nach dem Bericht des Salvus Burce (um 1235; Döllinger, Sektengesch. II S.64, 74) traten die Lombardischen Armen gerade um die Zeit (c. 1199) hervor, als sich die Humiliaten mit der Kirche versöhnten; und manche Eigenart, die sie von den französischen Walden- sern unterscheidet, haben sie tatsächlich mit den Humiliaten gemeinsam (Handarbeit, Zugehörigkeit von Verheirateten u.a.). Aber Salvus Burce sagt ausdrücklich, die Lombardischen Armen seien vor ihrem Anschluß an die Waldenser „in der römischen Kirche gewesen“; das trifft gerade für die Humiliaten vor 1199 nicht zu; die Übereinstimmungen in Einzelheit :n erweisen keinen Zusammenhang (ebenso wenig die anderen von Zanoni angeführten Argumente); und wenn die Lombardischen Armen gegenüber den französischen Waldensern 1218 die radikaleren sind, eine eigene Hier- archie gegen die katholische Kirche stellen wollen, die kirchlichen Sakra- a kirchlich anerkannten Formen eine rege Tätigkeit entfalten kön- nen. Fünfzehn Jahre nach der Neuordnung berichtet Jakob von Vitry, dessen Blick für die Erscheinungen der religiösen Bewegung durch reiche Erfahrung geschult war, er habe in der Ketzerstadt Mailand feststellen können, daß die Humiliaten fast die einzigen sind, die der Ketzergefahr wirksam standhalten und entgegenwirken. 150 Gemeinschaftshäuser dieser frommen Män-. ner und Frauen gab es nach seinem Zeugnis um 1216 allein im Bistum Mailand, ungerechnet die Angehörigen des 3. Ordens, die in ihren eigenen Häusern lebten; sie haben alles um Christi willen verlassen, leben von der Arbeit ihrer Hände, predigen und hören das Wort Gottes — denn sie haben vom Papst die Erlaubnis zu predigen und gegen die Ketzer zu wirken.” In größerem Zusammenhang hat Jakob von Vitry später noch ein- mal ein Loblied auf die Humiliaten angestimmt,°® ihre Demut im äußeren und inneren Leben gepriesen und ihr erfolgreiches Wirken gegen die Ketzer gelobt. Andere Zeugen aus der Mitte des Jahrhunderts haben in dieses Lob eingestimmt.‘” Schwierig- mente nicht empfangen usw., so spricht auch das nicht für eine Herkunft von den Humiliaten. 3. Jakob von Vitry, Brief vom Jahre 1216 bei H. Boehmer, Analekten? S. 65. 36. Historia orient. et oceident. 8. 335ff. (zitiert bei Zanoni 8. 259f.); da heißt es sogar: Fratres eorum tam clerici quam laiei litterati « summo pontifice, qui regulam eorum et canonica instituta confirmavit, auctoritatem habent predicandi non solum in sua congregatione, sed in plateis et civitatibus, in ecclesüs secularibus, requisito tamen consensu eorum qui presunt locis illis prelatorum. 37. Vgl. die Predigten des Humbert de Romanis, zitiert bet Zanoni S.261ff. — Burchard von Ursberg (Chron. ed. Holder- Egger und v. Simson $. 108) beurteilt zwar die Humiliaten anders, be- schreibt sie aber ganz ähnlich: Humiliati quippe nulla habita auctoritate aut licentia prelatorum, mittentes falcem in messem alienam, populis pre- dicabant et vitam eorum plerumque regere satagebant et confessiones audire et ministerüs sacerdotum derogare. Que volens corrigere dominus papa ordinem Predicatorum instituit et confirmavit. Illi quippe rudes et illiterati cum essent, operibus manuum instabant et predicabant accipien- tes necessaria a suis credentibus. Burchard hat seine Kenntnisse über die Humiliaten wahrscheinlich bei seinem Aufenthalt in Italien i.J. 1210 er- worben, aber offenbar von Leuten, über die Jakob von Vitry noch 1216 schrieb: a maliciosis et secularibus hominibus patroni nuncupantur, er keiten hat die Kurie mit den Humiliaten in Zukunft kaum mehr gehabt.” Sie haben später mehr auf wirtschaftlichem Gebiet und in der städtischen Verwaltung eine Rolle gespielt als in der religiösen Bewegung.”” Wichtig aber bleibt ihre Rolle in der religiösen Bewegung um die Jahrhundertwende, weil der Kurie mit ihnen zum ersten Male die Durchführung der dringenden Aufgabe gelungen war, die Anhänger der relisiößsen Bewegung dem Ketzertum zu entziehen, sie durch rechtliche Neuordnung in den Verband der Kirche einzugliedern und sie zugleich als Gegenwirkung gegen die häretische Gefahr zu benutzen. Es war der erste Versuch zu einer Überbrückung der Kluft zwi- schen der hierarchischen Kirche und der religiösen Bewegung. 2. Waldenser. War es Innozenz III. gelungen, die Humiliaten mit der Kirche auszusöhnen, indem er ihnen 1201 gewährte, was ihnen 1179 verwehrt worden war: Gemeindebildung, Laienpredist und Betätigung ihrer evangelischen Frömmigkeitsideale im Rahmen der Kirche, so mußte es möglich scheinen, mit gleichem Erfolgs auch die Rückkehr der Waldenser in die Kirche zu betreiben, die wegen ähnlicher Forderungen von der Kirche abgewiesen die sie also noch lange nach der päpstlichen Approbation als Ketzer be- argwöhnten. Zanonis Annahme (S.86), daß Burchards Beschreibung auf diejenigen Humiliaten gemünzt sei, die sicn 1201 nicht mit der Kirche versöhnt hatten, sondern sich an die Waldenser anschlossen (also nach Zanonis Meinung auf die „Lombardischen Armen“), ist unbeweisbar und wenig wahrscheinlich. 38. In einer Bulle vom 13. Dezember 1226 mußte Honorius III. den Humiliaten die Befolgung der päpstlich approbierten Regel einschärfen, weil er erfahren hatte, daß man teilweise noch immer Statuten aus der Zeit vor der Neuordnung als verpflichtend gelten ließ, welche non solum in quibusdam predecessoris nostri regule obviabant, sed etiam quiddam minus catholicum sapiebant (G.Giulini, Documenti illustrativi della storia della cittä e campagna di Milano VII, 1857, S. 155). Aber die päpst- liche Bulle unterstellt selbst, das sei er simplicitate potius quam er fastuose presumptionis malitia geschehen. 39. Über die Bedeutung der Humiliaten in der Wollindustrie und in der Stadtverwaltung handelt Zanoni ausführlich im 2. und 3. Teil seines Buches. —.ı 192 = worden waren. Wenn man auch ihnen erlaubte, was man den Humiliaten zugestanden hatte, fielen dann nicht die Gründe ihrer Trennung von der Kirche fort, konnten sie dann nicht in ähnlichen Formen wie die Humiliaten als kirchliche Gemein- schaft anerkannt werden? Zwei Umstände erschwerten allerdings diese Aufgabe. Die Humiliaten waren seßhaft, sie lebten vom eigenen Erwerb, und sie bildeten wenigstens teilweise schon vor 1201 geschlossene Hausgemeinschaften. Die Waldenser aber waren ein Verband heimatlos wandernder Prediger ohne Besitz und Einkommen, die von den Almosen ihrer Hörer leben wollten. Einen der- artiSen Predigerverband kirchenrechtlich zu organisieren und der hierarchischen Kirche reibungslos einzugliedern war eine weit schwierigere und neuartigere Aufgabe als die Regulierung der Humiliaten. Zweitens aber hatte sich gerade infolge dieser Eigenart das Waldensertum in den zwanzig Jahren seit dem Laterankonzil viel entschiedener fortentwickelt als die Humi- liaten. Die wandernden Waldenserprediger hatten ihre religiö- sen Ideen weithin über die Länder verbreitet. Eine lokal be- grenzte Organisation hätte also das Waldensertum nicht er- fassen können. Zugleich aber hatte sich ihre Lehre und ihre Gesinnung durch ihr Schicksal und ihre Tätigkeit in diesen zwanzig Jahren so stark gewandelt, daß es fraglich war, ob eine einfache Aufhebung des Verbots von 1179 und das Zugeständnis der Gemeindebildung und Predigt die Trennung der Waldenser von der Kirche rückgängig machen konnte. Schon vor dem Laterankonzil hatten sich Waldes und seine Gefährten gegenüber dem Predistverbot des Erzbischofs von Lyon auf das Herrenwort berufen: „Gehet hin in alle Welt und . prediget das Evangelium aller Kreatur” (Marc. 16, 15) und auf die Worte der Apostel: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen” (Act. 5,29). Als ihnen auch die Kurie verbot, wozu sie sich durch das Evangelium berufen glaubten, sahen sie sich vor die Entscheidung gestellt, der Weisung der Kirche zu gehorchen, oder dem, was sie für die Weisung des Evangeliums hielten, Die Überzeugung von ihrer evangelischen Berufung 40. Stephan von Bourboned. Lecoy de la Marche S. 202. ee hielt stand; das Vertrauen in die Kirche wurde erschüttert. Da ihnen aber das Evangelium als einzige Lebensnorm galt, so such- ten sie nun auch ihren Ungehorsam gegen die Kirche und ihr weiteres Wirken trotz des päpstlichen Verbots zu rechtfertigen durch Berufung auf die Schrift. Die Auseinandersetzungen zwischen Waldensern und Katholiken in den beiden letzten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts‘' lassen deutlich erkennen, 41. Die wichtigsten Quellen darüber: „Liber contra Waldenses“ des Bernhard von Fontcaude (f 119; MPL 204 Sp. 793—840; Bibl. max. vet. patrum XXIV S. 1585 ff.; vgl. K. Müller, Waldenser S. 141); ihm liegt eine Disputation zwischen Katholiken und Waldensern im Bis- tum Narbonne um 1190 zugrunde, der schon ein erfolgloser Versuch zur Bekehrung der Waldenser durch Bischof Bernhard von Narbonne (1181— 1191) vorangegangen war. Die letzten Kapitel der Schrift Bernhards von Fontcaude betreffen jedoch nicht die Waldenser, sondern andere Ketzer (vgl. die Vorrede, MPL 204 Sp. 795: adjectis etiam quibusdam alüs trac- tatibus contra alias hereses), nach der Überschrift des Buchs (in der Aus- gabe der Bibl. Patr.) Arriani; das letzte Kapitel bespricht die (katharische) „Blasphemie“, daß Gott die Welt nicht geschaffen habe und nicht lenke; die beiden vorhergehenden Kapitel (10/11) beschäftigen sich mit verschie- denen Irrlehren über das Schicksal der Seele nach dem Tod. Unsicher ist, ob das 9. Kapitel über die Irrlehre, daß Almosen, Fasten, Messen und Ge- bete für Tote wirkungslos seien, die Waldenser betrifft; ein Gegenstand der Disputation, die den 8 vorangehenden Kapiteln zugrunde liegt, sind diese Irrlehren wahrscheinlich nicht gewesen. — Von gleicher Bedeutung ist die Schrift „De fide contra hereticos“ von Alanus von Lille (F 1202), deren 2. Teil sich mit den Waldensern beschäftigt (MPL 210 Sp. 377ff.). Alanus hat sich längere Zeit in Montpellier aufgehalten, die Schrift ist dem Grafen Wilhelm VIII. von Montpellier (F 1202) gewidmet. Auch auf dem Laterankonzil 1179 war Alanus zugegen; eine Anekdote er- zählt von einem Streit zwischen ihm und den Ketzern vor dem Papst, MPL 210 Sp. 15; B. Haur&au, M&m. de l’Acad. des inser. et belles lettres XXX VII, 1886, S. 5; M. Manitius, Gesch. d. lat. Lit. d. MA. III, 1931, S. 794 £., 802; der Zweifel von Ch.Schmidt, Hist. des Cathares II S. 233 ff. an der Verfasserschaft des Alanus von Lille ist hinfällig. — Be- merkenswert sind weiter die Vorwürfe gegen Bernardus Primus und seine Genossen vor 1210, die sie als Waldenser verdächtigen sollten (in einer Bulle Innozenz’ III. Ep. 13, 94 MPL 216 Sp. 292f.) und die An- gabe des Petrus von Vaux-Cernay (Hist. Albig. c. 2 S. 10), der rur 4 errores der Waldenser anzuführen weiß: sie tragen Sandalen wie die Apostel, halten das Schwören wie das Töten unter allen Umständen für sündhaft und glauben im Notfall die Eucharistie vollziehen zu dürfen, ohne ordiniert zu sein. — Interessant ist auch die Beurteilung der Walden- ER ER, wie sich der Gegensatz immer schärfer entwickelt hat, gerade weil beide Parteien unablässig und in gutem Glauben bemüht waren, ihre Überzeugung aus der Bibel zu begründen. Gegen die katholische Forderung unbedingten Gehorsams gegenüber der Kirche, dem Papst und den Prälaten suchen die Waldenser aus den Evangelien zu beweisen, daß der Christ nur Gott Ge- horsam schuldet und den Priestern nur, soweit sie den Geboten Gottes gemäß leben, wie die Apostel lebten.” Gegen die katho- lische These, daß nur predigen darf, wer vom Papst oder den Bischöfen dazu ordiniert ist, erklären die Waldenser, daß nach dem Willen des Evangeliums jeder predigen dürfe, auch die Laien und sogar die Frauen, und daß es keiner kirchlichen Or- dination dazu bedürfe.‘* Dieselbe Frage war aber auch inzwi- schen für den Vollzug der Sakramente brennend geworden. Als Exkommunizierte können die Waldenser an den kirchlichen Sakramenten nicht teilhaben. Da sie aber diese Entscheidung nicht als gültig anerkennen, und da sie nach der Weisung der Evangelien wie die Apostel glauben handeln zu dürfen, so stellen sie dem katholischen Anspruch, daß allein die ordinier- ser durch Joachim von Fiore (Tract. super IV Evang., ed. E. Buon- aiuti, 1930, S. 187; geschrieben wahrscheinlich um i200/2): Non minus timeat homo non secundum preceptum, sed ex proprio arbitrio facere illa opera que videntur esse bona, quam facere etium pura mala.. Hinc argu- endi sunt supra hereticos (d. h. mehr als die Ketzer, die Katharer) Puu- peres Lugdunensium; er wirft ihnen vor allem vor (ib. S. 151 und 319). daß sie circa hoc exerceant omnem disputationem suam et ommino dicant fideles Christi non debere operari cibum qui perit, sed qui permanet in vitam eternam — eine Forderung, die freilich auch Joachim selbst uner- müdlich erhoben hat; aber die Waldenser gehören zu denen, qui habent zelum Dei, sed non secundum scientiam (S. 318), und daß sie eigenmächtig, ex proprio arbitrio und nicht secundum preceptum handeln, ist schlimmer als Ketzerei. 42. Bernhard von Fontcaude c. 1, 2 und 6; Alanus c. 2-6; Confessio des Bernardus Primus: soli deo esse obediendum, et si homini, soli justo, qui deum habet in se. 43. Bernhard c. 4, 5 und 8 (vgl. dazu die Bemerkungen von P. Alphandery, Revue de l’hist. des Religions LII S. 216f.); Alanus e.1; Confessio des Bernardus Primus: licere laico ac illitterato (bei Migne falsch: litterato) sine licentia cuiuslibet hominis predicare; mulieribus evangelium in ecclesia licitum esse docere. Fan ten Vertreter der hierarchischen Kirche das Recht und die Macht haben zum wirksamen Vollzug der Sakramente, die Be- hauptung entgegen, auch der fromme Laie könne binden und lösen, das Altarsakrament vollziehen und Beichte hören.** Die Waldenser haben in diesen Jahrzehnten keineswegs die Be- rechtisung der katholischen Priester zur Spendung der Sakra- mente überhaupt bestritten; aber sie haben einerseits verlangt, daß es ein „guter Priester” sein müsse, wenn die Sakramente wirksam sein sollten, und daß andererseits „im Notfall" auch ein „guter Laie” die Beichte hören und das Abendmahl reichen dürfe.” Diese Gegensätze mußten sich aber immer mehr ver- schärfen und um so bewußter hervortreten, je mehr über die strittigen Fragen diskutiert wurde. Schon Alanus von Lille hat erkannt, worin der entscheidende Gegensatz lag: nach katholi- scher Meinung gibt der Ordo und das Officium, nach der Meinung der Waldenser aber gibt das Meritum allein das Recht, zu binden und zu lösen, zu weihen und zu segnen, die Sakramente zu verwalten und das Wort Gottes zu predigen.‘ 44. Bernhard c. 2: Alanus c. 7—8; Confessio des Bernardus Primus: bonum laicum conficiendi eucharistiam potestatem habere, malum autem sacerdotem nequaquam; justum laicum confitentes sibi absolvere posse. 45. Vgl. Alanus c. 7; Petrus von Vaux-Cernay c. 2, s. o. S. 93 Anm. 41 Noch 1218 haben die französischen Waldenser gegen die lombardischen Armen den Standpunkt vertreten, daß sie die Sakramente, Beichte und Kommunion auch von den guten katholischen Priestern empfangen und sie nur „im Notfall“ selbst verwalten, s. das Sendschreiben bei Preger, Abh. d. Akad. München XIII, 1, 1877, S. 237; K. Müller, Waldenser S. 42 ff. Die lombardischen Armen hatten erst kurz vor 1218 diesen Standpunkt aufgegeben. 46. Alanus c. 8 Sp. 385: Aiunt predicti heretici, guod magis operatur meritum ad consecrandum vel benedicendum, ligandum et solvendum, quam ordo et officium. Unde ipsi, quamvis ordinati non sint, quia se justos esse fingunt et merita apostolorum habere, modo sacer- dotali benedicere presumunt. Dicunt etiam se posse consecrare, ligare et solvere, quia meritum dat potestatem, non officium, et ideo qui se dicunt apostolorum vicarios, per merita debent habere eorum officia. In quo mazime contra ecclesiam navigant et se contra demonstrant esse. Dagegen z.B. Bernh. von Fontcaude c.2 Sp. 800: Spiritus sanctus plerumque potius dignitatem sacerdotis pensat quam meritum et per eum electis providet. Zune Die Idee der apostolischen Nachfolge steht gegen die Idee der apostolischen Sukzession im hierarchischen Ordo.“ Dieser Gegensatz mußte überbrückt werden, wenn die Waldenser und die Armutsbewegung überhaupt wieder in die Kirche einbe- zogen werden sollte. Im Vergleich dazu spielen die anderen Fragen, in denen sich die Waldenser von der Kirche schieden, keine wesentliche Rolle. Wie die Humiliaten erklärten sie jeden Schwur und jede Lüge für Todsünde, ebenso das Töten;‘* außerdem haben sie an der Wirksamkeit der Fürbitte für Tote gezweifelt, viel- leicht anfangs nur für den Fall, daß sie durch unwürdige Prie- ster geschah.” In allen eigentlich dogmatischen Fragen aber standen die Waldenser nach wie vor auf dem Boden der Kirche, und genau wie die Humiliaten haben sie, Seite an Seite mit katholischen Priestern, gegen die „Ketzerei” gekämpft, das heißt gegen die dualistischen Irrlehren der Katharer.‘’ Eine 47. Vgl. z.B. Bernhard von Fontcaude c.2 Sp. 799: Magisterium eccle- sie.. (est) a nullis omnino attentandum nisi ab his, qui in locum discipu- lorum successerunt, id est ab episcopis et viris ecclesiasticis, quibus id officii dominus delegavit. 48. Alanus c.15—23; Confessio des Bernardus Primus: juramentum in quolibet articulo sub ecclesie forma factum peccatum esse mortale; Petrus von Vaux-Cernay c.2 3.0.8. 93 Anm. 41; vgl. auch Philipp de Greve (in einer Predigt nach 1230, bei Haskins, Studies in mediaeval culture S. 250): der Ketzer ergründet nicht die interiora, d.h. die spirifuales sen- sus sacre scripture; unde quidam ezterioribus adherentes exciderunt a fide, sicut Pauperes a Lugduno, quos sequens Ethardus fornarius Remensis civis nuper dampnatus dicere presumebat, quod in nullo casu iurare licet, superficialiter inducens verbum Domini Mat. 5, 34: „Ego dico vobis non iurare omnino“ etc.; asserebat etiam quod in nullo casu licet occidere, propter illud Mat. 13, 29: „Non colligatis zizania ne simul eradicetis cum eis et triticum“; dicebat etiam quod licet cuilibet confiteri, iuzta illud Jacobi 5, 16: „Confitemini alterutrum peccata vestra“. 49. Alanus c. 12—14; Confessio des Bernard Prim: orationes aut missas mali sacerdotis vivis vel mortuis non proficere. 50. Wilhelm von Puy-Laurens, Hist. Albig., Prolog 8.119: Erant qui- dam Arriani, quidam Manichei, quidam etiam Waldenses sive Lugdunenses. Qui licet inter se essent dissides, omnes tamen in animarum perniciem con- tra fidem catholicam conspirabant. Et illi quidem Valdenses contra alios acutissime disputabant. Unde et in eorum odium aliquando admittebantur a sacerdotibus ydiotis. Vgl. die Aussage eines Zeugen des Inquisitions- u Wiedervereinigung mit der Kirche war nach alledem schwieri- ger als bei den Humiliaten, lag aber nicht außerhalb des Be- reiches der Möglichkeiten. A. Die Waldenser in Metz 1199. Innozenz III. hat gegenüber den Waldensern von Anfang an eine ähnliche Taktik befolgt wie gegenüber den Humiliaten. Er hat allerdings, so viel wir wissen, niemals planmäßig die Aufgabe in Angriff genommen, das ganze Waldensertum wie- der mit der Kirche zu vereinen. Aus eigener Initiative scheint er überhaupt keine Schritte dazu unternommen zu haben. Mehr- mals aber mußte er sich entscheiden, wie mit waldensischen Gruppen verfahren werden sollte, wenn sie von sich aus die Aussöhnung mit der Kirche suchten, und dabei trat die neue Haltung der kurialen Politik unter Innozenz gegenüber der Armutsbewegung, ihre Richtung auf eine Neugestaltung des kirchlichen Lebens immer deutlicher hervor und gewann immer sichtbarere Gestalt. Ein lokales Ereignis von geringer Bedeutung veranlaßte Innozenz zuerst im Sommer 1199 zur Stellungnahme gegenüber dem Waldensertum. Der Bischof von Metz hatte an die Kurie berichtet, daß in seiner Diözese und in der Stadt Metz geheime Versammlungen von Laien abgehalten würden, Männern und Frauen, die einander aus französischen Übersetzungen der Hei- lisen Schrift vorlasen und predisten, den Verboten der Priester unter Berufung auf die Bibel den Gehorsam verweigerten und voll Verachtung gegen alle, die ihrem Kreis nicht angehörten, geradezu erklärten, sie könnten besser als einfältige Priester die Heilsworte vermitteln. Die Bitte des Metzer Bischofs um Rat“ prozesses in Toulouse 1245 über die Zeit um 1215/20 (bei ©. Douais, Les höretiques du comte de Toulouse S.150): Valdenses persequebantur diectos hereticos... et ecclesia sustinebat tunc dictos Valdenses et erant cum clericis in ipsa ecclesia, cantantes et legentes, et credebat (testis) eos esse bonos homines. — Auch Bernardus Primus predigte vor 1210 als Walden- ser gegen die Ketzer, s. u. S. 118. 51. Der Brief Bischof Bertrams von Metz ist nicht erhalten, aber zu erschließen aus dem Brief Innozenz’ an den Bischof und das Kapitel von ER | en beantwortete Innozenz durch einen Brief an den Bischof und das Kapitel von Metz und einen Hirtenbrief an die Diözese. Bei aller Anerkennung für das Bemühen um Schriftkenntnis und für das Streben nach einem evangeliengemäßen Leben erklärte er in längeren Erörterungen mit ausführlicher exegetischer Be- Sründung die Zusammenkünfte in geheimen Konventikeln und die Anmaßung des Predigtamtes durch nicht von der Kirche be- stellte Prediger grundsätzlich für unzulässig und drohte bei Zu- widerhandlung mit strengem Vorgehen. Das war genau der Standpunkt Alexanders III. und des Laterankonzils von 1179. Aber Innozenz ersuchte zugleich den Metzer Bischof um Fest- stellungen und Mitteilungen, woher die von den Sektierern be- nutzten Bibelübersetzungen stammen und was ihre Tendenz sei; wie es mit dem Glauben der Leute bestellt sei, die diese Über- setzungen benutzen, und warum sie sie benutzen; und endlich, ob sie dem Papst und der Kirche die schuldige Ehrfurcht er- weisen.’” Dieses Ersuchen begründete der Papst mit seiner Unr- kenntnis über die Sektierer, über ihr Leben und ihre Anschau- ungen, und er fügte hinzu, man müsse doch annehmen, daß so- wohl die Übersetzer als die Prediger, die diese Übersetzungen Metz vom 12. Juli 1299 (MPL 214 Sp. 698f.) und aus einem Hirtenbrief an Stadt und Bistum Metz (undatiert, wahrscheinlich vom gleichen Datum; Sp. 695ff... Die Dokumente über diesen Vorfall hat am besten H. Suchier, Z. f. roman. Philol. VIII S. 418ff. zusammengestellt und be- sprochen; vgl. auch G. Voigt, Bischof Bertram von Metz (Jahrh. d. Gesellsch. f. lothr. Gesch.- und Altertumskunde V, 189) S.51ff. Auch Caesarius von Heısterbach, Dial. mirac. V 20 (ed. Strange I S. 299.) erzählt über die haeresis Valdosiana, ab uno eorum sie dicta, in Metz unter Bischof Bertram, der 2 von den Wanderpredigern wieder- zuerkennen behauptete, die in seiner Gegenwart in Montpellier propter haereses damnati sunt et eiecti. Auf die Frage, wer sie zur Predigt er mächtigt und bestellt habe, antworten sie: Spiritus. Der Bischof aber konnte nichts gegen sie ausrichten 'propter quosdam potentes civitatis, "qui eos in odium episcopi fovebant. 52. MPL 214 Sp. 699: Inguiratis etiam sollicite veritatem, quis fuerit auctor translationis illius, que intentio transferentis, que fides utentium, que causa docendi, si sedem apostolicam et catholicam 'ecclesiam veneren- tur, ut super his et aliis, que necessaria sunt ad indagandam plenius veri- tatem, per litteras vestras sufficienter instructi, quid statui debeat melius intelligere valeumus. 8 ’ a: Zn benutzten, nicht ganz ungebildete Leute sein könnten. Darauf teilte ihm der Metzer Bischof in einem zweiten Bericht’” mit, daß die Sektierer den päpstlichen Verfügungen den Gehorsam verweigerten, daß sie heimlich und öffentlich erklärten, man dürfe nur Gott gehorchen, daß sie auch weiterhin ihre Versamm- lungen abhielten, trotz des Verbots predigten, und erklärten, ihre französische Bibel allen Verboten von Bischöfen und Päp- sten zum Trotz behalten und benutzen zu wollen. Aber auch mit dieser Auskunft gab sich Innozenz nicht zufrieden, er traf auch daraufhin noch keine endgültige Entscheidung. Immer noch bestand er darauf, man müsse zuvor erfahren, was diese Leute eigentlich glauben, wer sie sind und wie sie leben. Da er von dem Bischof darüber keinen Aufschluß bekommen hatte, beauftragte er nunmehr drei Zisterzienseräbte mit dieser Unter- suchung. Sie sollten entscheiden, ob es sich um Ketzer handle — die Angaben des Metzer Bischofs genügten also nach des Papstes Meinung nicht zu dieser Entscheidung — und sollten demgemäß entweder gemeinsam mit dem Bischof gegen die Ketzerei energisch vorgehen oder aber dem Papst eine zu- reichende Aufklärung über die Art der Sektierer geben. Die drei Äbte haben dann tatsächlich die Metzer Sektierer für Ketzer erklärt, ihre Bibelübersetzungen verbrannt und die Ketzerei aus dem Bistum ausgerottet.‘* Eine „Bekehrung‘ der Waldenser im Bistum Metz ist also nicht gelungen. Aber es verdient Beachtung, mit wie aufmerksamer Zurückhaltung In- nozenz diesen Fall beurteilt hat und nach welchen Kriterien er ihn entschieden wissen wollte. Konventikelbildung, unbefugte Predigt und Ungehorsam gegen die bischöflichen Anordnungen erklärt er natürlich für unerlaubt; aber damit ist für ihn die Sache nicht erledigt. Er forscht nach dem Glauben der Sektie- rer, nach ihrem religiösen Verhalten, ehe er eine Entscheidung 53. Er ist nur aus dem Schreiben Innozenz’ an die drei Äbte von Citeaux, Morimond und La Cröte vom 9. Dezember 1199 (MPL 214 Sp. 793 ff.) zu erschließen. 54. Das weiß man aus dem Bericht des Alberich von Troisfontaines, MG.Ser. XXIII S. 878, der die Ketzer richtig als Waldenser bezeichnet. Äußerungen des Papstes, des Bischofs oder der drei Äbte sind über die Sache weiter nicht erhaiten. — 10 — darüber treffen will, ob sie Ketzer sind. In dem Brief an den Metzer Bischof hat er das programmatisch begründet: die Kirche hat gewiß die Pflicht, die Füchse zu fangen, die den Weinberg des Herrn zerstören, das heißt die Ketzer zu vernich- ten. Aber sie darf nicht um dieser Aufgabe willen die wahre und schlichte Frömmigkeit gefährden, das religiöse Empfinden des einfachen Gläubigen lähmen und verwirren. Sie muß sich hüten, die religiöse Einfalt der Ketzerei in die Arme zu trei- ben.°° Innozenz hatte also, wie diese Worte zeigen, seit dem Beginn seines Pontifikats die Gefahr erkannt, daß durch die starre Haltung der bisherigen päpstlichen Politik die ganze religiöse Bewegung zur Ketzerei werden mußte. Er wollte die- ser Gefahr begegnen durch eine besonnene und energische Scheidung zwischen Ketzerei und kirchentreuer religiöser Be- wegung. Und diese Politik läßt sich nun in den folgenden Jah- ren Schritt für Schritt weiter verfolgen, von den Verhandlungen mit den Humiliaten über die Aussöhnung einiger waldensischer Gruppen bis zur Entstehung der Bettelorden. B. Durandus von Huesca und die Katholischen Armen. Die neuen Wege der Ketzerbekämpfung. Im Anfang des Jahres 1207 fand in Pamiers in Südfrank- reich eine der zahlreichen Disputationen zwischen Katholiken und Ketzern statt, durch die in diesen Jahrzehnten die Kirche auf friedlichem Wege die Ketzerei zu bekämpfen suchte. Den Anlaß dazu gab die Durchreise des Bischofs Diego von Osma, 55. MPL 214 Sp. 698£.: Sicut ecclesiarum prelatis incumbit ad capien- das vulpes parvulas, que demoliri vineam domini moliuntur (Cant. 2, 15; vgl. meinen Aufsatz über den „Typus des Ketzers“ S. 100), prudenter et diligenter intendere, sic est eis summopere precavendum, ne ante messem zizania colligantur, ne forsan quod absit cum eis etiam tritieum evella- tur. Sane sicut non debet heretica pravitas tolerari, sic enervari non debet religiosa simplicitas, ne vel patientia nostra hereticis audaciam subministret, vel simplices impatientia multa confundat, ut mobis diruptis convertantur in arcum perversum et in hereticos de sim- plicibus commutentur. — Ähnlich der Anfang des Briefes In- nozenz’ an die drei Zisterzienser-Äbte vom 9. Dezember 1199, MPL 214 Sp. 793, wo Innozenz gleichfalls discretio fordert. — 11 — der sich in den vorangehenden Monaten unermüdlich in Predig- ten und Disputationen gegen die Ketzer Südfrankreichs betätigt hatte. Als er damals in sein spanisches Bistum heimkehrte, glaubte er nur vorübergehend dieses Werk der Ketzermission unterbrechen zu müssen, das inzwischen sein Freund und Be- gleiter Dominikus, der Subprior von Osma, fortführen sollte. Diego ist aber dann nicht wieder nach Frankreich gekommen, noch im Jahre 1207 ist er gestorben, und was er begonnen hatte, ging ganz in die Hände des Dominikus über. In Pamiers kam bei seiner Durchreise®® in Gegenwart der Bischöfe von Toulouse und Conserans und mehrerer Äbte eine Disputation mit Waldensern zustande, unter denen, wahrschein- lich führend, gleichfails ein Spanier namens Durandus von Huesca beteiligt war. Während Bischof Diego bei allen seinen Disputationen mit den südfranzösischen Katharern, den Albi- gensern, nur wenig greifbare Erfolge erzielt hatte,’’ gelang ihm gegenüber den Waldensern in Pamiers seine Absicht bei weitem besser. Die Waldenser wurden, wie uns gleichzeitige Quellen berichten, besiegt und widerlegt, das anwesende Volk, vor allem die Ärmeren, stellten sich größtenteils auf die Seite der Katho- liken, einige Waldenser aber, an ihrer Spitze Durandus, gingen in sich, wandten sich an die Kurie, taten Buße und erhielten die Erlaubnis regulariter zu leben. Über den Verlauf des Ge- sprächs und über die Gründe, die diese waldensische Gruppe veranlaßten, ihren Weg an die Kurie zu nehmen, ist nichts nähe- res bekannt. Aber es läßt sich wahrscheinlich machen, daß die 56. Daß auch Dominikus bei dieser Disputation in Pamiers anwesend war, wird nirgends bezeugt; ist eine bloße Vermutung, daß er „seinen Bi- schof wenigstens bis nach Pamiers begleitet hat”; Scheeben, Domini kus S.51 und 127; Pierron S.24f. 57. Petrus von Vaux-Cernay c.6 S.22 sagt zusammenfassend über diese Missionsversuche: parum aut nichil predicando sive disputando pro- ficere potuerant; auch c.9 S.30: eadem predicatio.. non multum profeeit, immo pene penitus fructu frustrata est exoptato,; vgl. auch Wilhelm von Puy-Laurens c.10 8.129. 58. Darüber zwei Berichte: Petrus von Vaux-Cernay c.6 S.20f.; Wil- helm von Puy-Laurens c. 8 S. 127; vgl. Pierron S. 26; Scheeben S. 51 ff. Ma — veränderte politische Haltung der Kurie unter Innozenz auch dabei den Ausschlag gab. Denn die Methode der Ketzerbekämpfung hatte in diesen Jahren eine entscheidende Wendung genommen, Bischof Diego war 1206°° mit seinem Begleiter Dominikus an der Kurie ge- wesen. Auf der Rückreise trafen sie in Montpellier mit drei Zisterziensern zusammen, die seit zwei Jahren als päpstliche Legaten gegen die Ketzer tätig gewesen waren,‘ nun aber, weil ihre Bekehrungsversuche völlig erfolglos geblieben waren, resigniert auf ihre Mission verzichten wollten. Das Eintreffen Diegos und seines Begleiters aber führte zu einer Wiederauf- nahme der Ketzermission mit einer neuen Taktik. Diego ent- wickelte vor den Legaten ein neues Programm:®* apostolische Wanderpredigt zu treiben wie die Ketzer selbst, ohne den Prunk und die Machtzeichen der hierarchischen Kirche einherzuziehen, zu leben wie die Ketzer, aber zu lehren wie die Kirche. Der Bischof Diego selbst und sein Subprior Dominikus stellten sich an die Spitze dieser neuartigen Ketzermission®® und zogen monatelang als arme Prediger, von Almosen lebend, durch die Städte Südfrankreichs, forderten die Albigenserprediger zu Dis- putationen heraus und suchten das Volk für den Kirchenglauben zurückzugewinnen, indem sie die Forderung nach dem aposto- lischen Leben selbst erfüllten, die bis dahin nur von den häre- tischen Wanderpredigern erhoben worden war. 59. So (übereinstimmend mit der Angabe Peters von Vaux-Cernay c.3 8.11) nach der Chronologie Scheebens, die er in einer Neu-Aus- gabe des Jordanus zu rechtfertigen verspricht. Die Berechnung auf 1205 bei Pierron S.24f. scheint mir nicht schlüssig. 60. Abt Arnald von Citeaux, Petrus de Castro Novo und Radulfus, beide aus Fontfroid. 61. Peter von Vaux-Cernay c.3 8.12: Injuncte sibi legationi pre tedio renuntiare volentes, eo quod nichil aut parum hereticis predicando pro- ficere potuissent. 62. Diego rät, ut ceteris omissis predicationi ardentius insudarent et ut possent ora obstruere malignorum, in humilitate procedentes, exempl» ypü Magistri, facerent et docerent, irent pedites, absque auro et argento, per omnia formam apostolicam imitantes, ib. c.3 8.12. 63. Denn die Legaten, hec omnia quasi quandam novitatem per se arripere non volentes, dixerunt quod, si quis favorabilis auctoritatis eos sub hac forma vellet precedere, ipsum libentissime sequerentur; ib. c.3 8.12. — 13 — Es ist eine umstrittene Frage, inwieweit diese neue Taktik der Ketzerbekämpfung der eigenen Initiative Diegos entsprun- gen war. Von einem päpstlichen Auftrag für Diego an die Le- gaten in Montpellier ist nichts bekannt. Trotzdem darf man vermuten, daß an der Kurie zwischen dem Papst und dem Bi- schof von Osma die Frage der Ketzerbekämpfung besprochen worden war, und daß Innozenz entsprechende Weisungen ge- geben hatte. Denn was Diego den Legaten in Montpellier vor- trug, entsprach genau den Anweisungen, die Innozenz schon früher für das Vorgehen gegen die Ketzer gegeben hatte. Als er am 31. Mai 1204 den Zisterzienserabt Arnald und zwei Mönche von Fontfroid mit der Mission gegen die Ketzer be- auftragte, mahnte er sie am Schluß seines Schreibens eindring- lich, durch ein offen sichtbares bescheidenes Auftreten alle törichten Einwände zu entkräften und in Worten und Taten alles zu vermeiden, was selbst einem Ketzer Grund zu Vor- würfen geben könnte.” Die zisterziensischen Legaten haben freilich aus dieser Mahnung offenbar keine ernsthaften Folge- rungen gezogen. Diego hat aber 1206 als er von der Kurie nach Montpellier kam, ganz genau im Sinne dieser früheren päpst- lichen Weisung geraten und gehandelt. Wahrscheinlich hatte also Innozenz die Anwesenheit der beiden Spanier an der Kurie benutzt, um für eine energischere Durchführung seiner Absich- ten zu sorgen.°” Dem Legaten Raoul von Fontfroid hat der 64. Ep. 7, 76 MPL 215 Sp. 358 ff.: Taliter autem vos procedere volu- mus et monemus, ut modestia vestra, cum nota fuerit universis, obmutes- cere faciat imprudentum hominum ignorantiam, nec appareat quidquam in verbis vel actibus vestris, quod hereticus etiam valeat reprobare. 65. Eine päpstliche Anweisung für das Vorgehen Diegos und Domini- kus’ in Montpellier vermutete schon A. Luchaire, La croisade des Albi- geois S.189f.; ebenso P. Mandonnet, St. Dominique 8.33f.; Gui- raud, Cartulaire I S. CCCVI; Pierron S. 24. — Scheeben S. 27 und Anm.19 S.429 hat gegen diese Behauptungen heftig polemisiert und sie als „leere Phantastereien“ bezeichnet, die nur möglich seien „bei einer mehr als oberflächlichen Beurteilung der Quellen und einer Kombinations- gabe, die in der Geschichtsforschung nur Unheil stiften kann“, „Für diese These findet sich nicht die Spur eines Beweises.“ Vielleicht wird auch Scheeben die in der vorigen Anmerkung angeführte Briefstelle für eine solche Spur halten müssen, die ihm wie den anderen genannten Forschern A aa > Papst überdies am 17, Dezember 1206 durch ein besonderes Schreiben die Durchführung der neuen Methode aufgetragen: geeignete Leute unter die Ketzer zu schicken, die in Nachfolge des armen Lebens Christi in schlichter Kleidung unter die Ketzer gehen und sie durch Beispiel und Rede zurückgewinnen sollen.“ Es läßt sich natürlich nicht feststellen, wie weit im entgangen war. Gegen Scheebens Darstellung dieser Vorgänge (S. 32 ff.) ist zweierlei einzuwenden: 1. Bischof Diego war nach Rom gegan- gen, um von Innozenz die Erlaubnis zu erhalten, auf sein Bistum zu ver- zichten und als Missionar zu den Sarazenen zu gehen; diese Erlaubnis wurde ihm aber verweigert, und nach Scheebens Meinung war das einzige Ergebnis der Verhandlungen zwischen Innozenz und Diego, daß der Papst dem Bischof „den einfachen Befehl gegeben hat, nach Osma zurückzukehren“ (so sagt Petrus von Vaux-Cernay: precipit ei, ut ad sedem propriam remearet). Statt diesen Befehl auszuführen, hätte sich dann Diego eigenmächtig zum Führer der Ketzermission in Südfrankreich gemacht, noch dazu mit Methoden, die ganz seiner eigenen Initiative ent- sprungen und ohne päpstliche Billigung gewesen wären; erst dreiviertel Jahre später schien es ihm Zeit, daß er „sich des bündigen Befehls des Papstes erinnern und an die Rückkehr in seine Diözese denken mußte“ (S. 51; vgl. S. 68). Die Unstimmigkeiten in dieser Darstellung übersieht Scheeben, weil er beweisen will, daß Diego „ohne erkennbaren Einfiuß Innozenz’ III.“ im Sommer 1206 in Montpellier „die Idee des Prediger- ordens konzipiert habe. — 2. Scheeben weiß nichts von der politi- schen Haltung Innozenz’ gegenüber der religiösen Bewegung und uJer Ketzerei. Nur deshalb kann er einen so einfachen Gegensatz zwischen dem Papst und seinen Legaten auf der einen Seite und Diego und Domini- kus auf der anderen Seite zeichnen, den Zisterzienserabt Arnald „als Re- präsentanten der politischen Macht seines Herrn“, Diego als „Vertreter der apostolischen Liebe des göttlichen Heilands“ dramatisch gegenüber- stellen, immer wieder von den „pomphaften Legaten des mächtigen Pap- stes Innozenz“ im Gegensatz zu dem „einfachen Bischof Diego‘ sprechen (S. 28, 32f.) und in dessen Rede in Montpellier „apostolischen Freinut gegenüber den Gesandten des Papstes“ sehen. Diese Darstellung befrie- digt vielleicht Gemütsbedürfnisse, fördert aber nicht die historische Einsicht. 66. Ep.9, 185 MPL 215 Sp.1024f. — Luchaire S.89 sieht in diesem Brief „expression exacte et pröcise du courant d’idees, qui a produit saint Dominique et ere& le premier ordre mendiant“. Dagegen sagt Scheeben S. 431, daß Luchaire „die Kausalzusammenhänge nicht rich- tig darstelle‘. Aber Luchaire stellt an dieser Stelle überhaupt keine „Kausalzusammenhänge“ dar. Scheeben behauptet dagegen, der Brief enthalte „eine Approbation der Idee Diegos, ohne den Bischof zu nennen“ er 2 einzelnen die neue Methode der Ketzermission Diegos und seines Begleiters Dominikus durch päpstliche Anregung oder Anweisung bestimmt war. Nachweislich aber hat Innozenz schon vor dem Auftreten Diegos den Gedanken eriaßt, der ketzerischen Armutsbewegung und Wanderpredigt durch kirch- liche Prediger in apostolischer Armut entgegenzuwirken, wie es in der Lombardei schon seit Jahren durch die Humiliaten ge- schah, und ohne Zweifel hat er die Wege gewiesen für die Durchführung dieses neuen Verfahrens im Kampfe gegen die Ketzerei in Südfrankreich, Der Erfolg der Disputation von Pamiers im Jahre 1207 wird erst durch diesen Sachverhalt verständlich. Die „Bekehrung“ der Waldenser-Gruppe um Durandus von Huesca hätte schwer- lich gelingen können, wenn ihnen nicht die sichere Aussicht er- öffnet werden konnte, daß sie ihre Rückkehr in die Kirche nicht mit dem Verzicht auf ihre religiöse Wirksamkeit als Wander- prediger erkaufen mußten, sondern künftig auf dem Boden der Kirche für ihre religiösen Ziele tätig sein konnten, Tatsächlich erhielten sie ein Jahr nach der Disputation von Pamiers die päpstliche Erlaubnis, weiterhin genau wie früher, nur unter aus- drücklicher Anerkennung der kirchlichen Autorität und Lehre, als arme apostolische Wanderprediger zu wirken. Aller Wahr- scheinlichkeit nach ist ihnen das schon bei ihrer Bekehrung zu- gesagt worden. Eine solche Zusage konnten aber die katholi- schen Disputatoren in Pamiers dem Waldenser Durandus und seinen Genossen nicht machen, ohne von der Kurie dazu er- mächtigt oder doch ihrer Zustimmung sicher zu sein.” Die neue und stellt (S. 68) den Brief geradezu als Antwort auf eine Anfrage über die Meinung des Papstes betreffs der neuen Missionsmethode dar. Das ist nicht nur unbeweisbar, sondern falsch: der Brief enthält einen Auftrag, nicht eine Approbation und nicht eine Antwort. Das Motiv seiner Miß- deutung enthüllt Scheeben wiederum gleich im folgenden Satz: „Domini- kus entwickelt diese Idee unabhängig von Rom‘; oder wie es an anderer Stelle heißt (S.441): „Im geistigen Kampf mit der Häresie hat die Kurie erst die Führung übernommen, als die Mendikantenorden schon bestanden“. 67. Scheeben S. 128 glaubt dagegen nur vermuten zu dürfen, „daß die Anregung zur Gründung dieses Vereins (der „Katholischen Armen“ des Durandus) von Dominikus und Diego ausgegangen ist“, glaubt aiso auch hierbei an ein eigenmächtiges Vorgehen der beiden Männer ohne vorherige päpstliche Zustimmung. — 106 — kirchenpolitische Einstellung der Kurie unter Innozenz III. war die Voraussetzung für die neuen Formen der Ketzerbekämpfung und für die Zurückgewinnung der religiösen Bewegung in die Kirche, Im Jahre 1208, ein Jahr nach der Disputation von Pamiers, war der frühere Waldenser Durandus mit mehreren Genossen in Rom an der Kurie,* und dort wurde ihre Rückkehr zur Kirche formell vollzogen und ihr künftiges Verhalten geregelt. Sie wurden einer Glaubensprüfung unterzogen und mußten eine ausführliche Glaubensformel beschwören, in der die katholische Lehre gegenüber den Ketzereien der Zeit deutlich formuliert war.°° Daraufhin erhielten sie die päpstliche Bestätigung ihres Propositum conversationis, durch das ihre Stellung in der Kirche und ihre künftige Tätigkeit geordnet wurde, Dieses Propositum ist keine eigentliche Ordensregel, und die Genossenschaft der „Katholischen Armen”, die dadurch ge- bildet wurde, ist nicht als religiöser Orden zu bezeichnen.’° Es 68. In einem Brief Innozenz’ vom 12. Mai 1210 (Ep. 13, 78 MPL 216 Sp. 274) werden außer Durandus sechs andere namentlich genannt und weitere socii eorum erwähnt, die im Winter 1208 an der Kurie gewesen seien. Daß das nur eine Abordnung der Gruppe war, geht daraus hervor, daß sie am pro se quam pro fratribus suis verhandelten (vgl. Ep. 11, 196 MPL 215 Sp. 1510). Daher wurden dann die Erzbischöfe von Aragon, Tarragona und Narbonne beauftragt, die Abschwörungsformalitäten an den übrigen Brüdern zu vollziehen; Ep. 13, 78 MPL 216 Sp. 274f. 69. Schon in dem Brief Innozenz’ III. an den Bischof von Verona vom 6. Dez..1199 (Ep.2, 228 MPL 214 Sp. 789; s. 0.8.74 Anm.4) ist für die Rück- kehr der als Ketzer Verdächtigten zur Kirche ein juramentum juxta formam ecclesie, quod solet a talibus ezxhiberi gefordert. Bei Durandus von Huesca und dann bei Bernhard Prim ist der Wortlaut dieser Formel zuerst bekannt. 70. Pierron S$. 53 meint, die „Katholischen Armen“ des Durandus hätten „einen religiösen, von der Kirche anerkannten Predigerorden“ ge- bildet, keine bloße societas, seien auch später von Alexander IV. als Orden (ordo pauperum catholicorum) bezeichnet worden; auch nach Schee- bens Meinung (S. 129) waren sie ein „religiöser Orden, ..kein loser Ver- ein, sondern eine fest organisierte Genossenschaft von Predigern“. Aber Gregor IX. hat 1237 ausdrücklich erklärt, Innozenz III. habe ihnen nullum de approbatis regulis gegeben, hielt also das Propositum der Katholischen Armen nicht für eine „Regel“ und erkannte deshalb (nach der Vorschrift des Laterankonzils von 1215) die Genossenschaft nicht als approbierten Orden an, sondern wies sie an, unam de religionibus approbatis anzu- — 117 — ist vielmehr ein erster Versuch, eine Organisationsform zu schaffen für einen Verband kirchlich anerkannter Wander- prediger. Mit dem Propositum des dritten Humiliatenordens hat es gemein, daß die Gelübde und die Organisationsiormen eines religiösen Verbandes kirchlich approbiert wurden, ohne eine der alten, nur für die vita communis geeigneten Ordens- regeln zugrunde zu legen, ohne auch über die Frage der Lei- tung und inneren Gliederung der Genossenschaft, über die Aui- nahme neuer Mitglieder und dergleichen Bestimmungen zu trei- fen. Aber bei der neuen Genossenschaft fehlte auch der Rück- halt und Anschluß an mönchisch oder kanonisch regulierte Ge- meinschaften, wie sie der erste und zweite Orden der Humilia- ten bildeten, und dadurch wie auch durch ihren Zweck und ihre Aufgabe stellt die neue Genossenschaft noch weit deutlicher als die Humiliaten eine ganz neuartige Form religiöser Ver- bände dar. Ihre Mitglieder, die vorher als waldensische Wanderpredi- ger tätig gewesen waren, zum großen Teil Kleriker und fast alle gebildet," wurden durch die Neuordnung zu kirchlichen nehmen, ebenso Innozenz IV. im Jahre 1247. — Pierron S. 53 sagt: „Die Beobachtung der evangelischen Räte als Gebote, die Einhaltung des Stundengebets, gemeinschaftliches Fasten, das Recht, ihre Vorsteher selbst zu wählen usw. gibt der ganzen Genossenschaft den Charakter eines reli- giösen Ordens, wie diese damals in der Kirche üblich waren“. Diese Auffassung verfehlt das eigentliche Problem. Derartige Prediger-Verbände, die nicht auf Grund der bestehenden Ordensregeln lenedikts und Augustins organisiert waren, sind damals eine ganz neue Frscheinung; „üblich‘ ist nichts an ihnen. Ob sie als „Orden“ gelten soll- ten oder nicht, hing von der weiteren Entwicklung und von künftigen Entscheidungen ab. Tatsächlich konnten sich die „Katholischen Armen“ nicht (wie die Franziskaner) als Orden durchsetzen. Formale Merkmale, die das spätere oder das frühere Kirchenrecht als wesentlich für den Ordens-Charakter anerkannte, geben dabei nicht den Ausschlag, denn die- ses Kirchenrecht selbst hat sich erst gebildet durch die Entscheidung darüber, welche Gebilde als approbierte Orden gelten sollten und welche nicht. Innozenz III. stand vor der Aufgabe, neue Formen religiöser Ge- nossenschaften zu bilden, die unter bisher geltende kirchenrechtliche Be- griffe nicht einzureihen waren. 71. Ob sie vor der päpstlichen Anerkennung der neuen Genossenschaft alle zu Klerikern gemacht und tonsuriert wurden, wie Pierron S. 59 behauptet (vgl. auch Scheeben S. 129), steht nicht fest, — 18 — Wanderpredigern. Die grundlegende Bedingung war dabei die Anerkennung der hierarchischen Sakramentskirche, Sie mußten Gehorsam und Ehrfurcht gegen Papst und Bischöfe geloben; sie mußten die Wirksamkeit der Sakramente unabhängig von der Würdiskeit des Priesters anerkennen; sie mußten bekennen, daß nur der vom Bischof dazu ordinierte Priester die Sakramente verwalten dürfe, daß jeder andere, der sich das anmaßt, ein Ketzer sei; und sie mußten sich demgemäß verpflichten, alle Sakramente nur von den zuständigen Bischöfen und Priestern zu empfangen. In diesen Punkten hat die Kirche den früheren Waldensern keinerlei Zugeständnisse gemacht. Das aber waren gerade diejenigen waldensischen Ketzereien, die sich erst nach und infolge der Ausstoßung aus der Kirche entwickelt hatten. In einigen untergeordneten Fragen mußten sie gleichfalls den waldensischen Standpunkt grundsätzlich aufgeben: sie mußten wie früher die Humiliaten zugestehen, daß der Eid in ernst- haften Fällen zulässig und daß das Blutvergießen durch die weltlichen Gewalten in Notfällen keine Todsünde sei. Die Kurie kam aber ihren früheren waldensischen Überzeugungen immerhin soweit entgegen, daß sie die Gesinnungsireunde die- ser „katholischen Armen‘, soweit es mit Genehmigung der welt- lichen Gewalten durchführbar sei, von der Pflicht zum Kriegs- dienst gegen Christen und zum Schwören in weltlichen Ange- legenheiten'? entband. Außerordentlich weitgehende Zugeständnisse aber hat die Kurie der neuen Genossenschaft in der Frage ihres religiösen Lebens und Wirkens gemacht. Von ihren waldensischen Lebens- gewohnheiten haben die „Katholischen Armen” fast gar nichts aufgeben müssen, sondern alles mit kirchlicher Genehmigung fortführen können.” Sie dürfen auf Besitz und Eigentum in jeder Form verzichten und von den Gaben der Gläubigen 72. Pro rebus secularibus veluti pro petendo communi; Ep. 11, 198 vom 18. Dez. 1208 MPL 215 Sp. 1514. — Durandus gab übrigens später Anlaß zu der Beschwerde, daß er noch immer behaupte, keine weltliche Gewalt könne ohne Todsünde ein Todesurteil vollstrecken; s. u. S. 113. 73. Die Übereinstimmung zwischen dem Propositum für die „Katholi- schen Armen“ mit den Gewohnheiten der Waldenser zeigt im Einzelnen Pierron Kap. 3-8. 51ff. leben,'* sie dürfen frei predigen, dürfen durch ihre Predigt Ge- sinnungsgenossen werben und diese zu Sondergemeinschaften zusammenschließen. Sie mußten zwar grundsätzlich zuge- stehen, daß die Berechtigung zur Predigt an den Auftrag und die Erlaubnis des Papstes oder eines Bischofs gebunden ist, aber sie erhielten als Genossenschaft die päpstliche Vollmacht zur Predist, ohne daß es für ihre einzelnen Mitglieder einer be- sonderen päpstlichen oder bischöflichen Genehmigung be- durite.”” Sie dürfen einerseits gegen die Ketzer predigen, die Feinde der Kirche und des Papsttums, um das verirrte Volk zu belehren und zur Kirche zurückzuführen, andererseits in ihren „Schulen‘® für ihre Brüder und Freunde. Auch diese Unter- scheidung der zwei Predigtweisen haben die „Katholischen Armen” ohne Zweifel aus der Zeit ihres Wirkens als Waldenser beibehalten. Wichtig ist, daß ihnen die Kurie auch die Predigt in ihren „Schulen“ für ihre Anhänger zugestand, die wie bei den Waldensern immer als „Freunde bezeichnet werden: Leute, die in der „Welt, im bürgerlichen Dasein blieben, sich aber der Seelsorge und Leitung der „Katholischen Armen” wie früher der Waldenser unterstellten.” Wie die Wanderpredigt, so er- 74. Die Armutsformel des Propositum heißt: Seculo abrenuntiavimus, et que habebamus, velut a domino consultum est, pauperibus erogavimus et paupers esse decrevimus, ita quod de crastino solliciti esse non cura- mus, nec aurum nec argentum vel aliquid tale preter victum et vestimen- tum quotidianum a quoquam accepturi sumus,; Ep. 11, 196 MPL 215 Sp. 1512£.; Pierron S. 173. Fast wörtlich genau so später in der Confessio und dem Propositum des Bernhardus Primus und seiner Genossen, Ep. 13, 9 und 15, 137 MPL 216 Sp. 290 und 648; Pierron S. 176 und 177f. 75. Die Erlaubnis zur Predigt vor Brüdern und Freunden, also in den Gemeinden wurde zwar mit der Bedingung gegeben: cum prelatorum licen- tia et veneratione debita,; aber bei einer späteren Fassung des Propositum (12. Mai 1210 MPL 216 Sp. 224 und 215 Sp. 1513) wurden diese Worte ab- geändert: cum prelatorum conscientia et assensu, ita quod ab eis propter hoc nec ecclesiarum frequentatio nec clericorum predicatio postponatur; es wird also nur eine Vereinbarung über die Zeit verlangt; vgl. Pierron S. 173 und ®. 76. Die Scholae sind z. B. in Mailand eine Form von religiösen Zu- sammenkünften, die es schon in der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts gab, s. ZanoniS. 114f. 77. Ep. 11, 198 vom 18. Dez. 1208 MPL 215 Sp. 1514: ö, qui remanen- — 0 — laubte also Innozenz den Katholischen Armen auch die „Kon- ventikelbildung‘, während Alexander III. beides den Walden- sern. verwehrt hatte. Wie unmittelbar und unverändert sich in den „Freunden“ der Katholischen Armen die waldensischen Gemeinden fort- setzen, lehrt ein Vorfall in Mailand. Als Durandus und seine Genossen auf dem Rückweg von der Kurie im Frühjahr 1209 in Mailand tätig waren, erklärten sich ungefähr 100 Waldenser- prediger zur Aussöhnung mit der Kirche bereit unter der Be- dingung, daß ihnen ihre „Schule” zurückgegeben würde, um sie wie früher benutzen zu können. Dort hatten sie als Waldenser ihre Versammlungen abgehalten und vor Brüdern und Freunden gepredist. Weil sie aber als Ketzer exkommuniziert worden waren, hatte ihnen Erzbischof Philipp von Mailand (1196— 1206) das Grundstück weggenommen und das Gebäude zerstört. Die Aussöhnung mit der Kirche machten sie nun von der Wiederherstellung und Rückgabe abhängig, damit sie wieder in ihrer Schule in gewohnter Weise das Wort Gottes predigen könnten.”* Trotz der Befürwortung durch Durandus ist ihnen diese Bedingung vom damaligen Erzbischof UÜbertus und von Innozenz III. nicht ohne weiteres erfüllt worden. Aber der Papst regelte die Sache in einem diplomatischen Brief an Über- tus:”° zwar dürfe die Aussöhnung mit der Kirche nicht an so äußerliche Bedingungen geknüpft sein, sondern müsse um des ewigen Lohnes willen erfolgen; wenn die Waldenser aber um ihres Seelenheils willen bereit seien, sich unter derselben Form wie Durandus mit der Kirche auszusöhnen, soll ihnen der Erz- bischof, sofern es nach seiner Meinung der Ehre der Kirche und dem Heile der Neubekehrten zustatten komme, dieses oder ein anderes geeignetes Grundstück überlassen, auf dem sie mit tes in seculo ad honorem dei et salutem animarum suarum in vestro pro- ponunt consilio permanere. Sie wurden damals vom Kriegsdienst gegen Christen und vom Eid in weltlichen Dingen dispensiert, womit man ohne Zweifel ihre bisherigen waldensischen Anschauungen schonen wollte. 78. MPL 216 Sp. 29: ad proponendum in schola prefata more so- lito verbum dei. 79. Am 3. April 1209, Ep. 12, 17 MPL 216 Sp. 29. — 11 — ihren Freunden zu gegenseitiger Ermahnung und Erbauung zu- sammenkommen könnten. Deutlicher als durch diesen Vorfall könnte es gar nicht er- wiesen werden, daß Innozenz den ‚„bekehrten”' Waldensern genau das zugestand, um dessentwillen sie einst exkommuniziert und verfolgt worden waren. Der „Bekehrte war in diesem Falle in Wahrheit die Kurie. Die neue päpstlich anerkannte Predigergenossenschaft hat sich aber natürlich nicht darauf beschränkt, frühere Waldenser- prediger und Waldensergemeinden wieder mit der Kirche zu versöhnen. Ihre wesentlichste Aufgabe war ohne Zweifel nach wie vor, durch ihre Bußpredigt immer mehr Menschen für ein wahrhaft christliches, evangelisches Leben zu gewinnen. Daß sie auch darin nicht erfolglos waren, zeigt ein Vorfall in der südfranzösischen Diözese Elne, aus dem zugleich ersichtlich wird, daß auch die Katholischen Armen neben der Genossen- schaft der tätisen Wanderprediser und dem lockeren Verband der in der Welt lebenden „Freunde noch andere Gemein- schaftsformen zur Organisierung der religiösen Armutsbewegung suchten. Ihre Predigt hatte in Elne einige Leute dazu bekehrt, daß sie „Buße taten“, ein Sündenbekenntnis ablegten, alles un- recht erworbene Gut zurückgaben und sich zu einer Lebens- gemeinschaft zusammenschließen wollten, in der sie unter Ver- zicht auf Privateigentum, in einfacher Kleidung, zur Keusch- heit verpflichtet, sich der Leitung der Katholischen Armen unterstellen wollten.” Im Frühjahr 1212, als Durandus wieder an der Kurie war, suchte er um die päpstliche Genehmigung dieser Lebensform nach. Innozenz beauftragte am 26. Mai den Bischof von Elne mit einer Prüfung der Verhältnisse und einer Auskunft, ob in dieser neuen Gemeinschaft die Reinheit des Glaubens und der Sitten gewährleistet sei; in diesem Fall soll er die päpstliche Zustimmung erteilen. Diese Gemeinschaft in 80. Vgl. dazu L. Zanoni, Valdesi a Milano nel secolo XIII, Arch. stor. lombardo IV 17, 1912, S. 5ff. 81. Brief Innozenz’ an den Bischof von Eine vom 26. Mai 1212, Ep. 15, 82 MPL 216 Sp. 601f.: ..sub disciplina et visitatione catholicorum paupe: rum permansuri,. — 12 — Elne umfaßte Männer und Frauen, aber auch Kleriker gehörten dazu. Es müssen vermögende Leute gewesen sein; einer von ihnen hatte sich erboten, aus seinem Erbgut ein Gemeinschafts- haus mit getrennten Abteilungen für Männer und Frauen, außerdem ein Hospital und eine Kirche zu erbauen und einen Teil der Ausstattung des Hauses zu besorgen, Alle wollten sich — guoniam sex opera pietatis proficiunt ad salutem — um Gottes willen in den Dienst der Armen stellen, Kranke pflegen, Waisen unterstützen, armen Wöchnerinnen helfen und im Win- ter die Armen mit Kleidung versorgen, Aber diese sozialen Ziele sind nur die Ergänzung der religiösen Pflichten, die sie übernahmen — Fasten,‘ Beten und Predigtgottesdienste® — und der Verzichtleistungen, zu denen sie sich verpflichteten, Die Formen dieser neuen Gemeinschaften brauchen hier im einzelnen nicht weiter untersucht zu werden.‘ Es galt nur zu zeigen, daß die „Katholischen Armen” auf dem Boden der Kirche genau die gleiche Tätigkeit entfalteten wie vorher, als sie noch Waldenser waren. Sie predigten zur Buße, sie suchten die Reichen zu bekehren, daß sie ihre „unrecht erworbenen Güter“ hingaben und ein armes, evangeliengemäßes Leben führ- ten, und sie sorgten für die Gemeindebildung ihrer Anhänger und Freunde, sei es in den Konventikeln und ‚Schulen‘, wo sie zu erbaulicher Predigt zusammenkamen, sei es in gesonderter klösterlich lebenden Gemeinschaften, wo sie sich ausschließlich frommen Werken widmen konnten. 82. Enthaltung von Fieisch an vier Wochentagen, Enthaltung von Fisch und Fleisch in der Fastenzeit vor Ostern und an allen Feiertagen von Allerheiligen bis Weihnachten außer an Sonn- und Festtagen. 83. Singulis diebus dominicis exhortationis verbum convenient audi- turi. — Der Bischof von Eine soll deshalb besonders kontrollieren, w£, guod de verbo exhortationis singulis diebus dominicis audiendo predicatur, taliter et a talibus fiat, guod derogari non possit fidei orthodoxe seu cano- nice discipline. 84. Pierrons Vergleich dieser Gemeinschaft in Elne mit dem drit- ten Humiliatenorden (S. 42) ist falsch, da hier Keuschheit gelobt wurde,. von Handarbeit nicht die Rede ist, Männer und Frauen getrennt leben und in vita communis, also eher dem zweiten Humiliatenorden entsprechend, aber ohne Verpflichtung auf eine approbierte Klosterregel. — 113 — Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Bischöfe keinen wesentlichen Unterschied zwischen diesen „Katholischen Ar- men” und den häretischen Waldensern finden konnten, und daß ihnen die päpstliche Anerkennung dieser Genossenschaft unverständlich blieb, Sie schickten noch im Sommer 1209, wahrscheinlich unmittelbar nach der Rückkehr des Durandus nach Südfrankreich, zwei Zisterzienser an die Kurie, um sich über das Auftreten der Katholischen Armen zu beschweren.” Sie klagten sie an, daß sie in ihren Versammlungen und Gottes- diensten auch solche Waldenser zuließen, die noch nicht wieder mit der Kirche versöhnt seien; daß sie entlaufene Mönche in ihre Genossenschaften aufnähmen; daß sie ihre frühere, den Katholiken anstößige Kleidung in nichts geändert hätten; daß sie durch die Predigten vor ihren Brüdern und Freunden in ihren „Schulen“ viele Menschen vom Besuch der ordentlichen Gottesdienste abhielten, an denen sogar die ordinierten Kleri- ker ihrer Genossenschaft nicht regelmäßig teilnähmen; daß sie endlich immer wieder behaupten, keine weltliche Gewalt könne ohne Todsünde ein Todesurteil vollstrecken. Innozenz hat an- läßlich dieser Beschwerden einen sehr ernsten Brief an Duran- dus und seine Genossen geschickt,‘® sie in allen Punkten ver- mahnt und an ihre Zusicherungen erinnert; um sich keinem Ver- dacht auszusetzen, sollen sie sich künftig bei ihrer Predigt unter den Ketzern mit anderen bewährten Predigern zusammen- schließen. Weitaus interessanter aber und für die Politik In- nozenz' und seine Stellungnahme gegenüber der Armuts- bewegung wieder überaus bezeichnend ist die Antwort, die der Papst an die Erzbischöfe von Narbonne und Tarragona schickte”’” Die Warnung, Durandus habe die Kirche getäuscht, um der gerechten Strafe zu entgehen, beantwortet Innozenz großzügig mit der Überzeugung, sie werden sich, wenn das wahr 85. Der Brief ist leider nicht erhalten, nur teilweise aus den Antwor- ten Innozenz’ zu erschließen. 8. Ep. 12, 69 vom 5. Juli 1209, MPL 216 Sp. 75 ff. 87. Ep. 12, 67 und 68 vom 5. Juli 1209, MPL 216 Sp. 73f. In dem Brief an Durandus sagt Innozenz, daß die Beschwerden von dem Erz- bischof von Narbonne und den Bischöfen von B£ziers, Uzes, Nimes und Carcassonne ausgegangen waren. — 114 — sein sollte, in ihren eigenen Stricken fangen. Das Verhalten der Kirche gegen sie müsse aber von einem andern Grundsatz ausgehen: sie muß vor allem die Bösen von den Guten, die perversi von den justi zu scheiden bemüht sein. Denn sie hat, wie Innozenz immer wiederholt, die doppelte Aufgabe, die Irrenden von der Ketzerei zurückzuführen, die Gläubigen aber bei der katholischen Wahrheit zu erhalten. Aber die zweite Aufgabe ist die wichtigere! Ließe man die Irren- den in ihrem Irrglauben zugrunde gehen — das wäre immer noch weniger schlimm, als wenn man die Gerechten, die Gläu- bigen ihrem gerechten Glauben entiremdete.” Das heißt: wenn es der Politik der Kurie nicht gelingen sollte, die Ketzerei er- folgreich zu bekämpfen, so wäre das immer noch erträglicher, als wenn der Kurie durch ihre Ketzerpolitik die Verantwortung dafür zufiele, gläubige und gerechte Menschen als Ketzer aus der Kirche ausgeschlossen und dem rechten Glauben entzogen zu haben. Deshalb ermahnt Innozenz die Bischöfe zu äußerst nachsichtiger und schonender Behandlung der neu für die Kirche gewonnenen „Katholischen Armen“. Wenn sie nur in der substancia veritatis unanfechtbar beharren, so mag ihnen zunächst die Beibehaltung mancher Gewohnheiten aus der Zeit ihrer Zugehörigkeit zum Ketzertum nachgesehen werden, Viel- leicht können sie dadurch sogar um so erfolgreicher unter den anderen Ketzern für die Rückkehr zur Kirche arbeiten; viel- leicht wird dadurch auch ihnen selbst der Übergang in ihre neue Lebensform leichter.‘ Gegen die Beschwerden der Bischöfe nimmt Innozenz die Genossen des Durandus natürlich nicht in 88. MPL 216 Sp. 74: Sic enim erroneos ab heretica pravitate inten- dimus revocare, ut velimus fideles in catholica veritate fovere, cum tole- rabilius sit perversos in sua perversitate perire quam iustos a sua iustitia declinare. 89. Si vero de pristina superstitione quidgquam retineat ad cautelam, ut facilius capere possit vulpeculas que moliuntur vineam domini, toleran- dus est prudenter ad tempus.. dummodo circa substanciam veritatis de corde puro et conscientia bona et fide non ficta procedat.. Quod si etiam a prisca consuetudine non subito recedat ex toto, aliquid sibi de illa reser- vans, ut verecundie parcendo quasi veterem legem sepeliat cum honore, nec sic est penitus confutandus, dummodo sicut prediximus non aberret in substancia veritatis. — 15 — Schutz; aber er mahnt zu überlegtem Vorgehen: freundliche Mahnung sei meist wirksamer als drohende Strenge. Wieder greift er zu dem Bild des Arztes, der die Wunde erst mit Oel behandelt und dann erst, wenn es nötig ist, mit Wein (vgl. Luc. 10,34). Bei diesen „Kranken‘ sei aber früher schon die Be- handlung mit „Wein“, mit der Schärfe erfolgt, und um so mehr müsse jetzt mit „Oel", mit der Milde an ihnen gearbeitet wer- den.” Diese in biblische Allegorik gekleideten Sätze enthalten das Urteil Innozenz’ über die Politik seiner Vorgänger, deren voreilige Strenge und Schärfe gegen die religiöse Bewegung die Entwicklung der Frömmigkeit zur Ketzerei verschuldet hatte. Zwar läßt Innozenz unmittelbar darauf eine andere Metapher folgen, die das frühere Vorgehen der Kurie verständlich machen und rechtfertigen soll. Immer aber begründet er dabei nur seine eigne Absicht und Weisung, nunmehr mit aller Vorsicht und Behutsamkeit das Versäumte nachzuholen, den früher Aus- geschlossenen den Rückweg in die Kirche zu ebnen und zu die- sem Zweck der Armutsbewegung und der Wanderpredigt eine Wirkungsmöglichkeit in der Kirche selbst zu schaffen. Darin liegt die Bedeutung jener Neubildungen der Humiliaten, der Katholischen Armen und bald nachher der Genossenschaft des Bernhardus Primus. Die Genossenschaft der Katholischen Armen hat allerdings keine große Entfaltung und keinen langen Bestand erlebt. Der Widerstand der Prälaten in Spanien, Südfrankreich und Nord- italien und ihre rückständige Ketzerpolitik hat eine volle Aus- wirkung der Absichten des Papstes durchkreuzt. Es gab immer neue Schwierigkeiten. In Aragonien wurden die Prediger von 90. Prius enim infundendum est oleum, et, si necesse fuerit, super- infundendum est vinum, quamvis circa conversos huiusmodi post vinum infusum sit oleum infundendum, cum dudum perversi ercommunicationis fuerint mucrone percussi, nunc vero conversi communionis sint amplezu fovendi. Nam et prudens chirurgicus ad curationem diri wulneris prius adhibet medicamenta mordacia; sed cum sanari jam ceperit, curam ipsius suavi unguento consumat. Das Bild von Oel und Wein wird sehr häufig gebraucht in dieser Zeit; vgl. z.B. die Statuten des Laterankonzils von 1215 c. 21, Mansi XXUH S. 1010; Brief Jakobs von Vitry 1216 bei Boehmer, Analekten? S. 65. — 116 — den Zivilbehörden verfolgt. Fast überall sucht man ihnen die Almosen zu entziehen, von denen sie leben wollten. Immer von neuem wurden sie als Ketzer verdächtigt. Man versuchte ihnen gegen ihren Willen andere Vorsteher aufzudrängen. Vier Jahre lang hat Innozenz immer wieder zugunsten der Genossenschaft eingegriffen und die Bischöfe ermahnt, die Versöhnung der Waldenser mit der Kirche unter denselben Bedingungen in An- griff zu nehmen wie bei Durandus und seinen Genossen, wenig- stens aber diejenigen Waldenser, die darum ersuchten, unter den vorgeschriebenen Formen wieder in die Kirche aufzu- nehmen. Aber es war alles vergebens, die Bischöfe leisteten der neuen Politik der Kurie gegenüber der religiösen Bewegung keine Folge. In einem Brief an den Erzbischof von Tarragona vom 12, Mai 1210 erhob Innozenz geradezu den Vorwurf gegen die Bischöfe, sie entzögen durch ihre Härte viele von der Gnade Gottes angespornte Menschen der göttlichen Barmherzigkeit, das heißt sie schlössen religiöse Menschen als Ketzer aus der Kirche aus.” — Nach 1212 sind die Katholischen Armen in den Briefen Innozenz’ nicht mehr erwähnt, die Kurie gab ihre Be- mühungen um die Kräftigung der Genossenschaft auf. Wahr- scheinlich war Innozenz inzwischen zu der Überzeugung gekom- men, auf anderen Wegen das gleiche Ziel besser erreichen zu können. Die Genossenschaft hat noch einige Jahrzehnte weiter be- standen. 1237 ersuchten die „armen Prediger“ in den Diözesen Tarragona und Narbonne Gregor IX., ihren Verband als Orden unter dem Namen der „Katholischen Armen" zu bestätigen oder ihnen die Annahme einer anderen approbierten Ordensregel zu gestatten. Gregor hat daraufhin den Dominikaner-Provin- zial von Aragonien damit beauftragt, die Genossenschaft zu visitieren und zu reformieren und sie zur Annahme einer appro- 91. Ep. 13, 383 MPL 216 Sp. 275: Sicut accepimus... ad reconcilia- tionem illorum, qui sub prescripta forma reconciliari ecclesie poposcerunt, nondum a vobis fuwit processum, uno se per alium excusante, qua de causa multi qui humiliter petierunt intrare hactenus remansisse foras ecclesiam asseruntur. (Nolumus) sicut etiam nec velle debemus, ut qui trahi gratia divina creduntur, per duritiam vestram ab infinita dei misericordia repel- lantur. — 117 — bierten Ordensregel zu veranlassen — das approbierte Pro- positum von 1208 ließ er also nicht als Ordensregel gelten." Eine grundsätzliche Neuordnung scheint aber 1237 nicht zu- stande gekommen zu sein. Denn 1247 klagten der Erzbischof von Narbonne und der Bischof von Elne über das unbefugte Predigen der Katholischen Armen, die keine approbierte Regel befolgen, ungelehrt sind und Irrtümer verbreiten, und In- nozenz IV. verbot ihnen daraufhin die unbefugte Anmaßung des Predigtamts und verlangte ihren Eintritt in einen approbierten Orden.” Das ist die letzte Spur der Katholischen Armen in Spanien und Südfrankreich. Der lombardische Zweig wurde 1256 mit in den Orden der Augustiner-Eremiten verschmolzen."‘ Der Widerstand der Bischöfe und das Nachlassen der päpst- lichen Förderung ließ es nicht dazu kommen, daß die Genossen- schaft des Durandus von Huesca bei der großen Neuordnung der Ordensfragen durch das Laterankonzil als selbständiger Orden anerkannt wurde und für die Zukunft Bedeutung ge- wann: sie blieb ein Versuch, der fallen gelassen wurde, als aus- 92. Pierron S. 167f.; Ripoll, Bullar. Ord. Praed. IT S. 9%: Quia sicut ex parte prioris et fratrum predictorum pauperum in Tarracon. et Narbon. provineis ezistentium fuit propositum coram nobis, idem prede- cessor noster (Innozenz Ill.) nullam eis concessit de regulis approbatis, sed retento pauperum catholicorum nomine ipsis, ut procederet in azymis sinceritatis et veritatis, injunzit, nobis humiliter supplicarunt, ut vel eis nomen catholicorum pauperum confirmare vel unam de approbatis regulis concedere curaremus .. 93. Innozenz IV. an den Erzbischof von Narbonne und den Bischof von Eine, 5. Juni 1247, s. Haur&au, Notices et extraits des mss. de la Bibl. Nat. XXIV, 2 S.203 (vgl. E. Berger, Registres d’Innocent IV., I S. 410 n. 2752; Pierron S.170): Cum, sicut ex parte vestra fuit proposi- tum coram nobis, in provincia Narbonensi sint quidam fratres, qui Recon- ciliati seu Pauperes Catholici nuncupantur ei dicebantur olim pauperes de Lugduno, nec vivant sub regula approbata, usurpentque sibi officium prae- dicationis, guamquam sint penitus idiotae ac errores praesumant praedi- care, fraternitati vestrae mandamus, quatenus ipsos universos et singulos, quod de cetero talia non attentent, sed sine mora intrent aliquas de appro- batis religionibus, distrietione quae convenit, appellatione postposita, com- pellatis. 94. Pierron S.168ff. und 49£.; L.Torelli, Secoli Agostiniani IV, 1675, S. 544; Zanoni, Arch. stor. Lombardo IV 17 8.19 ff, — 18 — sichtsreichere Verbände die Aufmerksamkeit der Kurie auf sich zogen, C. Die Genossenschaft des Bernardus Primus. Was Innozenz mehrfach von den Bischöfen vergebens for- derte: auf dem mit der Aussöhnung des Durandus beschritte- nen Wege fortzufahren und weitere Gruppen der Armutsbe- wegung und der Wanderpredigt in die Kirche einzubeziehen, das konnte er selbst zwei Jahre später noch in zwei anderen Fällen ins Werk setzen: im Jahre 1210 approbierte er eine Gruppe armer Wanderprediger unter der Führung des Bernhard Prim und Wilhelm Arnaldi; und wahrscheinlich im selben Jahre kam Franz von Assisi mit elf Gefährten an die Kurie und erhielt die päpstliche Erlaubnis zur apostolischen Predigt und zum Leben in völliger Armut. Die beiden Ereignisse sind im Hin- blick auf ihre geschichtliche Bedeutung unendlich verschieden. Der Predigerbund des Bernhard Prim hat außer drei Briefen, in denen sich Innozenz III. mit ihm befaßte, fast keine Spuren in der Geschichte hinterlassen, die kleine Genossenschaft des Franziskus ist zu einem weltbewegenden Orden geworden, Aber aus der Perspektive jener Jahre, in denen diese Genossenschaf- ten entstanden, und aus der Perspektive der Kurie gesehen, die ihnen kurz nacheinander die kirchliche Anerkennung gewährte, stehen die beiden Ereignisse einander an Bedeutung sehr nahe, sind auch für die Haltung des Papstes gegenüber der religiösen Bewegung gleichermaßen aufschlußreich. Bernhard Prim” und seine Genossen hatten sich, ehe sie 1210 an die Kurie kamen, %. Pierron, Kap. 6 u. 7, der diesen Gegenstand am ausführlichsten behandelt hat, gibt eine vollkommen irrige Darstellung, die von nieman- dem berichtigt wurde. Er hält Bernhard und seine Genossen für lombar- dische Waldenser, nennt sie deshalb „Wiedervereinigte Lombarden“. Da er außerdem glaubt, die pauperes Lombardi seien „diejenigen Humiliaten, die sich weigerten, mit der Stammgenossenschaft (1201) zur Kirche zurück- zukehren“, so sucht er überall die Übereinstimmung dieser „Wiederver- einigten Lombarden“ mit den Humiliaten nachzuweisen. Um den wirk- lichen Sachverhalt zu erfahren, muß man von seiner Darstellung ganz ab- sehen und sich nur an die wenigen Dokumente halten. Pierrons Irrtümer werde ich nur in den wichtigsten . Punkten widerlegen. — 119 — als Prediger gegen die Ketzer in Südfrankreich betätigt.” Sie galten als Waldenser, denn sie wirkten als arme Wanderpredi- ger ohne kirchlichen Auftrag und hatten auch, ohne ordiniert zu sein, manchmal die eucharistische Konsckration vollzogen. Deswegen war der Klerus gegen sie eingeschritten, es war zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen,’ man legte ihnen alle Irrlehren zur Last, die sich sonst bei den Waldensern fan- den, und beschuldigte sie der Ketzerei. Da wandten sie sich wie einst Waldes an den Papst, gingen an die Kurie und recht- fertigten sich.” Sie gaben zu, eigenmächtig das Sakrament vollzogen zu haben, aber sie versicherten, es sei nicht aus An- maßung und nicht aus Verachtung des priesterlichen Sakra- mentsvollzugs geschehen, sondern aus Glaubenseifer und christ- licher Liebe und vor allem aus der Erwägung, man dürfe die einfachen Gläubigen, die unter den Ketzern leben, nicht ohne Sakrament sich verhärten lassen, Aber sie verpflichteten sich, das künftig nicht mehr zu tun, es auch bei anderen nach Kräf- ten zu verhindern und die Überzeugung zu verfechten, daß nur 9%. Aussage des Notars Pons Amiel aus Miraval (Aude) in einem In- quisitionsprozeß am 5. Dezember 1245: dizit, quod vidit apud Lauracum (Laurac-le-Grand, Aude) in platea Isarnum de Castris hereticum dispu- tantem cum Bernardo Prim Valdense presente populo eiusdem castri.. et sunt 37 anni (also im Jahre 1208); Douais, Les Höretiques du comte de Toulouse S. 150; vgl. Guiraud, Cartulaire I, S. CXLIX. — Bei Douais ist verdruckt: Valdensem, aber im Text richtig übersetzt. Pierron 8.172 druckt diese Notiz ab, entnimmt ihr aber, daß Bernhard 1209 „in Südfrankreich das Apostolat gegen die Waldenser führte“, „gegen die Waldenser predigte“ (S. 12 und 121)! Daß Bernhard und seine Ge- nossen vor 1210 gegen die Ketzer gewirkt hatten, geht auch mit aller Deutlichkeit aus ihrer Confessio von 1210 hervor, s. u. S. 120. 97. Ep. 13, 94 MPL 216 Sp. 292: Super eo quod nonnullos clericorum scandalizasse dicuntur, eis in plurimis detrahendo, ipsos aspere redar- guimus_ etc. 98. Ep. 15, 146 MPL 216 Sp.668 an den Bischof von Cremona: Cum olim dilectus filius Bernardus Primus et sociü eius, qui super heresis crimine fuerant infamati, ad magisterium sacrosancte romane ecclesie con- fugissent, proponentes se fore paratos nostre correctionis disciplinam recipere humiliter ac devote, fidem eorum ezaminavimus diligenter ac demum investigavimus perspicaciter propositum eorum. — 120 — der ordinierte Priester das Sakrament verwalten könne.” Sie sichern außerdem für die Zukunft ehrerbietiges Verhalten gegen den Klerus zu, nachdem sie wegen ihrer früheren Verstöße von Innozenz scharf getadelt worden waren. Alle anderen Be- schuldigungen aber, die ihnen waldensische Irrlehren zur Last legen, weisen sie als unwahr zurück und entkräften sie durch ein ausführliches Glaubensbekenntnis, das mit dem der Katho- lischen Armen vom Jahre 1208 sgroßenteils gleichlautend ist. Darauf bestätigte ihnen Innozenz, daß sie ihre Unschuld er- wiesen haben, daß sie also zu Unrecht beschuldigt worden waren.” Waren sie also gar nicht „Waldenser” gewesen, da man ihnen die waldensischen Irrlehren fälschlich zur Last ge- 99. Confessio fidei des Bernhard Prim und seiner Genossen von 1210, Ep. 13, 94 MPL 216 Sp.291 (Pierron S.177): sie wollen nur von den ordinierten Priestern die Sakramente empfangen; specialiter autem de fractione panis, super qua infamati sumus, diximus et dicimus, quia nunguam factum fuit causa presumptionis nec causa contemptus sacrificü sacerdotis, sd causa ardoris fidei et charitatis et causa deliberationis, ne indurarentur simplices fideles inter hereticos permanentes etsacramentum euchari- stie non accipientes; sed nunc et in perpetuum abdicamus et ab- jicimus et abdicabimus a nobis et ab omnibus nobis credentibus, secundum nostrum posse, ab opere et a credulitate, corde credentes et ore confiten- tes sacramentum corporis et sanguinis Christi nec esse conficiendum nec posse confici nisi a sacerdote per impositionem manus visibilis episcopi secundum morem ecclesie visibiliter ordinato. 100. Nach dem umfangreichen „Glaubensbekenntnis“ in Ep. 13, 94 MPL 216 Sp. 292f. heißt es: Licet autem in subscriptis articulis, sicut a quibus- dam accepimus, assererentur errasse.. (es folgen mehrere waldensische Lehren, vgl. o. S. 93ff.), ipsi tamen ex prescripta confessione, in qua tan- guntur articuli prenotati, super his suam innocentiam ezcusa- runt, ilud infitiantes omnino, quod.. (folgen weitere Irrlehren, deren sie beschuldigt worden waren) quidam eos referunt asiruxisse. — Es handelt sich also gar nicht um Sätze, „die Bernhard bisher geglaubt“, und sein früheres Wirken darf man danach nicht beurteilen, wie es K. Müller, Die Waldenser S.17 und Pierron behaupten. Vielmehr er- klärte Innozenz offiziell, die Beschuldigungen haben sich in allen diesen Punkten als falsch erwiesen. Ihre Erklärung über die Eucharistie (s. o. Anm. 99) schließt ohnehin die Möglichkeit aus, daß sie tatsächlich gelehrt hätten: bonum laicum conficiendi eucharistiam potestatem habere, wie man ihnen vorgeworfen hatte. TE legt hatte? Aber sie hatten gepredigt, sei es auch gegen die Ketzer, und sogar das Sakrament gespendet, ohne von der Kirche dazu beauftragt und ordiniert zu sein, und das genügte, um sie nach dem Ketzergesetz von 1184 und nach der herrschen- den Meinungs der klerikalen Hierarchie der Ketzerei für schul- dig zu erweisen; und wenn sie sich auch von den dualistisch- katharischen Irrlehren ebenso fernhielten wie von den anti- hierarchischen Folgerungen radikaler Waldenser, so waren sie doch als unbefugte Prediger unvermeidlich der Verdächtigung ausgesetzt, offen oder heimlich an solchen häretischen Über- zeugungen teilzuhaben. Die Lage der religiösen Bewegung in dieser Zeit wird durch das Auftreten des Bernhard Prim hell beleuchtet. Die Waldenser stehen im Kampf gegen die „Ketzer; unter denen, die von den Zeitgenossen „Waldenser" genannt werden, verfechten durchaus nicht alle die radikalen antihier- archischen Lehren der waldensischen Propaganda; aber ohne Rücksicht auf ihre dogmatische Rechtgläubigkeit werden alle apostolischen Wanderprediger von der Kirche und ihren Ver- tretern als Ketzer behandelt. Ein einziger Ausweg bietet sich, seit Innozenz III. die Tiara trägt: apostolische Wanderprediger können sich ihre Tätigkeit durch die Kurie autorisieren lassen, wie es 1208 Durandus von Huesca getan hatte. Aber auch Bernhard Prim und seine Genossen haben von dieser Möglich- keit erst Gebrauch gemacht, als sie der Konflikt mit dem Klerus und die häretische Beschuldigung zur Rechtfertigung an der Kurie zwang. Vielleicht hat es noch viele Gruppen ähnlich ge- sinnter apostolischer Wanderprediger gegeben, die ebenso be- reit gewesen wären, sich mit der Kurie zu verständigen, um ihr relisiöses Werk unangefochten vom Klerus fortführen zu kön- nen; aber es blieb einem zufälligen Anlaß und ihrer eigenen Initiative überlassen, ob sie diesen Schritt taten, solange nicht eine von der Kirche autorisierte Organisation tatkräftig die rechtgläubige Umgestaltung der Armutsbewegung in allen christlichen Ländern in Angriff nahm und dadurch alle Kräfte an sich zog, die im Sinne der evangelisch-apostolischen Be- wegung wirken, mit der Ketzerei aber nichts zu tun haben woll- ten. Die Humiliaten waren auf die Städte der Lombardei be- schränkt; die „Katholischen Armen“ haben es nicht verstanden, = ihren Verband zu einer umfassenden Organisation zu entfalten, und sind überdies trotz der Förderung der Kurie durch den Widerstand der Bischöfe gehemmt worden und schließlich daran gescheitert. Erst die Franziskaner und die Prediger des Dominikus haben schließlich die gewaltige organisatorische Auf- gabe ergriffen und durchgeführt, und dadurch erst haben sie eine welthistorische Bedeutung weit über die früheren Prediger- verbände hinaus gewonnen. Ehe sie sich über die Länder ver- breiteten, bot sich für die einzelnen Gruppen der Armutsbe- wegung nur die Möglichkeit, die zuerst Innozenz III. ihr eröfi- net hatte: sich von der Kurie eine besondere Erlaubnis für ihre Tätigkeit und Lebensform zu erwirken. Nach den Humiliaten, nach Durandus von Huesca haben nun auch Bernhard Prim und seine Genossen diesen Weg be- schritten. Am 18. Juni 1210 wurde in einem Rundschreiben an Erzbischöfe und Bischöfe die päpstliche Anerkennung der neuen Genossenschaft verkündet." Die Bestimmungen über ihre künftigen Lebensformen wurden im Rahmen eines großen Glaubensbekenntnisses niedergelegt und den Bischöfen mitge- teilt. Erst zwei Jahre später wurden sie zu einem besonderen Propositum conversationis zusammengefaßt und päpstlich approbiert.'” Dieses Propositum ist nach dem Vorbild der ent- sprechenden Urkunde für die Katholischen Armen abgefaßt und nur in wenigen Punkten verändert. Das Bekenntnis zur Armut und zu völliger Besitzlosigkeit ist ganz das gleiche; aber ein Zu- satz erklärt, daß sie neben der Hauptaufgabe des Schriftstudi- ums und der Predigt auch Handarbeit betreiben wollen.'"* Ein 101. Ep. 13, 94 MPL 216 Sp.289ff.; teilweise bei Pierron 8.176ff. 102. Ep.15, 137 vom 23. Juli 1212 MPL 216, 648ff.; bei Pierron 8. 179 ff. als „zweite Regel der Wiedervereinigten Lombarden“. Dieses Schreiben Innozenz’ an Bernhard und seine Brüder beginnt: Ne quis de cetero vestrum- valeat calumniari propositum, sicut olim diligenter exami- navimus fidem vestram, ita. nunc conversationem vestram prudenter in- vestigare curavimus et utramque litteris apostolicis fecimus comprehendi, ut illas in testimonium habeatis. 103. Et quamquam officium nostrum sit precipue, ut ommes discant sripturas sacras et omnes idonei exhortentur, tamen, dum tempus ingruit, proprüs manibus laboramus, ita dumtazxat ne pretium accipiamus conven- tum. Die Handarbeit sollte .also offenbar nicht den Lebensunterhalt für E03 anderer Zusatz regelt den Umgang mit den Frauen, mit Schwe- stern, die zu der Genossenschaft gehören, über die wir aber nichts näheres wissen; sie sollen von den Brüdern streng ge- trennt gehalten werden.” Die Bestimmungen über die Predigt sind fast dieselben wie für die Katholischen Armen,’ die Vor- schriften über Gebete und Fasten nur leicht verändert, alles andere stimmt meist wörtlich überein. Die Gemeinschaftsform, die für die Katholischen Armen gefunden worden war, schien das Muster werden zu sollen, nach dem das Armutsprinzip, die Wanderpredigt und die Bildung von Gesinnungsgemeinden ins kirchliche Leben einbezogen werden konnte.'" die Prediger sichern; der Bettel oder die Entgegennahme von Almosen ist auch hier keineswegs verboten, vgl. o. S. 109. Das ist übrigens der ein- zige Punkt, der die Vermutung erlaubt, Bernhard und seine Genossen stammten aus der Lombardei; denn bei der oberitalienischen Armutsbe- wegung wurde das Prinzip der Handarbeit überall vertreten, bei den fran- zösischen Waldensern war es dagegen geradezu verpönt. — Warum Bern- hard von A. Luchaire (Croisade des Albigeois S.105) als deutscher Katharer, von L. Zanoni (Arch. stor. lomb. IV 17 S.5) und P. AI- phand&ry (Les idees morales chez les heterodoxes latins S. 31f.) als deutscher Waldenser bezeichnet wird, ist unerfindlich. 104. Suspectum mulierum consortium devitando, ut nemo nostrum solus ad solam, nec etiam ad loquendum, nisi audientibus aut videntibus legitimis testibus et certis personis accedat. Nunquam in una domo fra- tres et sorores presumant dormire, nunguam ad unam mensam residere. — Die Beteiligung von Frauen an der Predigt hatten Bernhard und seine Genossen schon in ihrem Glaubensbekenntnis abschwören müssen, aus dem auch hervorgeht, daß sie des „verdächtigen Umgangs‘ mit Frauen beschuldigt worden waren. — Bei den Katholischen Armen ist von der Beteiligung von Frauen an der Predigt oder von der Zugehörigkeit von Frauen zu der eigentlichen Genossenschaft nirgends die Rede, daher fehit auch dieser Punkt in ihrem Propositum. 105. Vgl. o. S. 109. Nur ist hier nicht von einer Schola die Rede, wo die Predigt unter Brüdern und Freunden geregelt wird; dagegen ist dabei der Zusatz gemacht: (..fratribus et amicis), clericis et laicis, ut discant necessaria pro hereticis convertendis, also auch die „Gemeindepredigt“ soll im Dienst der Ketzerbekämpfung stehen; dafür ist nur conscientia et consensus der Prälaten gefordert, wie später auch bei den Katholischen Armen (vgl. o. S. 109). Für die dritte Aufgabe der Prediger, arguere gentem errantem et ad fidem modis omnibus trahere et in gremio sacro- sancte romane ecclesie revocare wird hier die licentia prelatorum gefor- dert; in dem Propositum des Durandus war davon nicht die Rede. 106. Zwischen den Angaben über die Lebensweise der Genossenschaft — 124 — Außer den beiden Bullen Innozenz’ III., der Confessio von 1210 und dem Propositum von 1212, und einer päpstlichen Empfehlung für Bernhard Prim und seine Gefährten an den Bi- in der Confessio fidei von 1210 und in dem Propositum conversationis von 1212 ist kein wesentlicher Unterschied. Die meisten Bestimmungen sind wörtlich gleichlautend, auch die Bestimmung über die Handarbeit, die also Pierrons Behauptung (S.126 und 151/4) nicht rechtfertigt, die Hand- arbeit sei inzwischen „bedeutend in den Hintergrund getreten“. Über- haupt legt Pierron zu viel Gewicht auf den Unterschied der beiden „Regeln“. Ein wirklicher Unterschied besteht nur in der Frage der Pre- digt. 1210 war darüber ziemlich unbestimmt gesagt: Habemus autem mandatum orare, ut deus mittat operarios in messem suam, id est predi- catores in populum suum, qui debent benigne et humiliter impetrare sibi dari ex licentia summi pontificis et prelatorum ecclesie, ut possint ad- monere et exhortari in doctrina sana et adversus omnes hereticos, gratia dei adjuwvante, cum omni virtute animi et studio, ut eos ad fidem catholicam convertant, desudare et credenies eorum privatis et publicis admonitionibus sicut decet ab eorum credulitate et heresi separare et ab omnibus vitis et peccatis compescere tam seipsos quam suos auditores, a superbia scilicet et inani gloria, invidia, ira, cupiditate et avaritia, gulositate, luxuria, mendacio, detractione, blas- phemia, odio, fraude, periurio et homicidio. — Pierron S. 124 be- hauptet, die Predigt der „Wiedervereinigten Lombarden‘ sei dadurch „auf die Exhorte und die Ermahnung beschränkt‘ worden; „da sie in Glaubens- sachen noch unerfahren waren, konnte der heilige Stuhl ihnen die Disputa- tion mit den Häretikern, in der vorzugsweise die Glaubenswahrheiten der Kirche zur Sprache kamen, wohlweislich nicht gestatten“. Aber der Text besagt das Gegenteil, die Predigt gegen die Ketzer, die Bernhard mit seinen Genossen schon vor 1210 ausgeübt hatte, steht (genau wie 2 Jahre später in dem Propositum) im Vordergrund; überhaupt ist in dem Propo- situm von 1212 nur (nach dem Muster des Propositum des Durandus) be- stimmter formuliert worden, was hier unbestimmter gesagt ist. Nur die enge Bindung an die Auswahl der Prediger durch die Prälaten, die am Schluß der Confessio stand (precipientes eisdem ne passim sibi presumant predicationis officium: arrogare, sed preterguam ecclesiarum rectores in . fide recta et sana doctrina noverint esse probatos, licentiam eis tribuant exhortandi competentibus horis et locis) fiel später weg. — Statt auf den weitgehenden Gleichlaut der beiden Proposita für Durandus und Bernhard Prim ausdrücklich hinzuweisen, hat Pierron überall die Übereinstim- mung der „Regel“ für die „Wiedervereinigten Lombarden“ mit den Ge- wohnheiten der Humiliaten aufweisen wollen, weil nach seiner These beide von derselben „Stammgenossenschaft“ abgezweigt sind, den lombardischen Waldensern — Humiliaten. Die falsche These verdirbt seine ganze Dar- stellung. Schon die Tatsache, daß die „Wiedervereinigten Lombarden“ genau wie die Katholischen Armen den vollständigen Verzicht auf Eigen- — 125 — schof von Cremona vom 1. August 1212’ ist über die Genossen- schaft des Bernardus Primus kein Dokument erhalten,’ und es ist nichts über ihre Verbreitung und ihr Schicksal bekannt; das Schweigen aller Urkunden und Quellen läßt vermuten, daß sie nirgends größere Bedeutung erlangte. Der deutsche Propst Burchard von Ursberg, der 1210 in Rom gewesen war, hatte die „Waldenser“ unter Führung des Bernardus Primus gesehen, als sie um die Bestätigung ihrer Genossenschaft nachsuchten. Aber ihm sind nur die Beschuldigungen gegen sie zu Ohren ge- kommen; daß sie freigesprochen wurden und daß Innozenz III. ihren Predigerverband anerkannte, hat er nicht erfahren, und er berichtet auch nichts über ihre weiteren Schicksale.” Es ist seine eigene irrige Kombination, daß der Papst damals an ihrer Stelle eine andere Genossenschaft bestätigt habe, die gleich- tum und die Einhaltung der evangelischen Räte als Gebote gelobten, unterscheidet sie grundsätzlich von der in der Welt lebenden Laienbrüder- schaft der Humiliaten. Die amici oder (wie sie in der Confessio von 1210 auch genannt werden) auditores gehören hier wie bei allen waldensischen Gruppen nicht zu der organisierten Predigergenossenschaft; bei den Hu- miliaten dagegen bildet diese Laiengemeinschaft (der sogenannte 3. Or- den) den eigentlichen Verband. 107. Ep. 15, 146 MPL 216 Sp. 668, vgl. o. S.119; Innozenz fordert den Bischof auf, Bernhard und seinen Genossen Schutz, Rat und Hilfe zu ge- währen, da sie auf Grund ihres Glaubensbekenntnisses sub protectione beati Petri et nostra genommen seien. 108. Daß auch gegen sie sich der Argwohn der Bischöfe geltend machte, wie Scheeben S.178 sagt, ist nicht bezeugt. 109. Chron. ed. Holder-Egger und v. Simson S.107f. ad ann. 1212: Vidimus tunc temporis aliquos de numero eorum qui dicebantur pauperes de Luduno apud sedem apostolicam cum magistro suo quodam, ut puto, Bernardo, et hi petebant sectam suam a sede apostolica confir- mari et privilegiari. Sane ipsi dicentes se gerere vitam apostolorum, nichil volentes possidere aut locum certum habere, circuibant per vicos et castella. Ast dominus papa quedam superstitiosa in conversatione ipso- rum eisdem obiecit, videlicet quod calceos desuper pedem precidebant et quasi nudis pedibus ambulabant; preterea cum portarent quasdam cappas quasi religionis, capillos capitis non attondebant nisi sicut layci. Hoc quoque probrosum videbatur in eis, quod viri et mulieres simul ambula- bant in via et plerumque simul manebant in domo una, et de eis dicereiur, quod quandoque simul in lectulis accubabant, que tamen omnia ipsi asserebant ab apostolis descendisse. ST zeitig aufgetreten war und sich anfangs pauperes minores, spä- ter fratres minores nannte: die Franziskaner, bei denen das Ideal des armen Wanderlebens noch reiner verwirklicht und nicht durch Irrlehren und bedenkliche Sonderheiten getrübt ge- wesen sei. Der Propst Burchard hat sich diese historischen Zu- sammenhänge nach seiner eigenen Überlegung zurechtgelegt, wie er auch glaubte, die „Prediger‘‘, die Dominikaner, seien an Stelle der häretisch verdächtigen Humiliaten vom Papst be- stätigt worden.''" Beides entspricht nicht dem geschichtlichen Tatbestand; aber in gewissem Sinn hat der deutsche Propst trotzdem das Richtige gesehen: die beiden neuen Orden des Franziskus und Dominikus sind in der Tat „an die Stelle‘ jener Neubildungen getreten, die im ersten Jahrzehnt des 13. Jahr- hunderts entstanden waren; sie haben in großartigsem Ausmaß jene Aufgaben erfüllt, an deren Lösung sich die von den Wal- densern herkommenden Predigerverbände und die Humiliaten ohne entscheidenden Erfolg versucht hatten; und wahrschein- lich hat wirklich Innozenz III. und seine Nachfolger jene frühe- ren Versuche und Gebilde fallen lassen und den jungen Neu- bildungen so viel fördernde Aufmerksamkeit zugewandt, weil 110. Vgl. o. S. 90. Burchard (Chron. ed. Holder-Egger und v. Simson S.107) leitet seine Betrachtung über die Zusammenhänge von Waldensern und Humiliaten mit den beiden Bettelorden so ein: Que (religiones Mino- rum fratrum et Predicatorum) forte hac occasione sunt approbate, quia olim due secte in Italia exorte adhuc perdurant, quorum alii Humiliatos, alii Pauperes de Luduno se nominabant. Später sagt er (8.108): Alü, videlicet Predicatores, in locum Humiliatorum successisse creduntur. Über die Franziskaner heißt es (im Anschluß an das Zitat in der vorigen Anm.): Ceterum dominus papa in loco illorum exurgentes quosdam alios, qui se appellabant pauperes minores, confirmavit, qui predicta superstitiosa et probrosa respuebant, sed precise nudis pedibus tam estate quam hieme ambulabant et neque pecuniam nec quicquam aliud preter victum accipie- bant, etsi quando vestem necessariam quisquam ipsis sponte conferebat; non enim quicquam petebant ab aliquo. Hi tamen postea attendentes, quod nonnunguam nimie humilitatis nomen gloriationem importet, et de nomine paupertatis, cum multi eam frustra sustineant, apud deum vanius inde gloriantur, maluerunt appellari minores fratres quam minores paupe- res, apostolice sedi in omnibus obedientes. Ein anderer deutscher Chro- nist, Abt Emo von Wittewierum (7 1237), identifiziert dagegen die Humiliaten mit den Franziskanern, s. u. S. 221f. Anm. 47. A durch sie das gleiche Ziel sicherer und allgemeiner erreicht werden konnte: die religiöse Bewegung, die Idee der freiwilli- gen Armut und der apostolischen Predigt unter Wahrung der Rechtgläubigkeit und der kirchlichen Autorität einzubeziehen in das Gefüge der katholischen Kirche und einzuseizen zum Kampi gegen die Ketzerei. 3. Franziskus. Als Franziskus mit seinen elf Gefährten — wahrscheinlich im selben Jahre wie Bernhard Prim''' — von Assisi nach Rom 111. Ob die ersten Franziskaner 1209 oder 1210 an die Kurie kamen, steht nicht genau fest. Für 1209 entscheidet sich G. Schnürer (Franz von Assissi S. 41) und H. Holzapfel (Handbuch S.5f.), gestützt auf die Chronologie von L. Patrem (Miscell. Francesc. IX, S.91f.). Das ausschlaggebende Argument ist der Bericht in I Cel. 16 über das Verhalten der in Rivotorto bei Assissi versammelten Brüder beim Vorbeizug Kaiser Ottos IV. auf dem Wege nach Rom zur Kaiserkrönung. Dieses Ereignis erzählt Thomas von Celano nach dem Bericht über den Aufenthalt des Franziskus in Rom und die erste päpstliche Approbation. Die Kaiser- krönung fand am 4. Okt. 1209 statt, von Ende Mai bis Anfang Oktober 1209 war Innozenz nicht in Rom. Wenn also Thomas von Celano die Ereignisse in richtiger chronologischer Folge erzählt, können die Franzis- kaner spätestens im Frühjahr 1209 in Rom bei Innozenz gewesen sein, „nach alter Überlieferung am 16. April“ (Schnürer). Daß Celanos Erzählung die richtige Zeitfolge bewahrt, will L. Patrem dadurch be- weisen, daß Franz vor seiner Romreise niemals in Rivotorto gewesen sei. Die dafür herangezogenen Zeugnisse aus I Cel. und Leg. 3 Soc. sind aber nicht beweiskräftig, im Gegenteil ist es sicher, daß sich die ersten Brüder schon vor der Romreise in Rivotorto aufgehalten haben; vgl. Legenda antiqua ed. Delorme S.1, 33, 37; Spec. perf. c. 24, 27 u. 36; Chron. 24 General, AF III S.5f.; Franeiscus Bartolus, Tract. de Indulg. ed. Saba- tier S.4, wo Rivotorto als primus locus istius ordinis bezeichnet wird, ubi incepit primo ordo b. Francisci; Faloci-Pulignani, Miscell. France. XXVI S.51f.; M. Carmichael ib. IX S. 23; H. Holzapfel, Handbuch S.5f. Folglich kann die Episode in Rivotorto im Jahre 1209 vor der Romreise und der Bestätigung der ersten „Regel“ stattgefunden haben und ist für deren Datierung nicht verwendbar, zumal da Schnürer (S.134 n.6) gezeigt hat, daß Otto IV. nicht auf seiner Reise nach Rom, sondern nur bei seiner Rückkehr im Dezember 1209 bei Rivotorto vorbei- gezogen sein kann, Celanos Bericht also ungenau ist. Für das Jahr 1210 hatte sich schon Wadding, Annal. ad 1210 n.1, ebenso Sabatier, Vie de S. Frangois S.100 entschieden, beide mit nicht ganz stichhaltiger Begründung; ebenso datieren H. Boehmer, Analek- — 12383 — zog, um die päpstliche Erlaubnis und Bestätigung für ihr Wir- ken als arme wandernde Bußprediger zu erhalten, stand die Kurie trotz aller früheren Maßnahmen und Erfahrungen wie- derum vor einer neuen Entscheidung, bei der sich nicht einfach die schon mehrfach erprobten Grundsätze auf einen neuen Fall gleicher Art anwenden ließen. Bisher hatte es Innozenz Ill. immer mit Gruppen von Wanderpredigern und religiösen Ge- meinschaften zu tun gehabt, die seit langem bestanden und sich betätigten, durch die frühere Politik der Kurie aber aus der Kirche ausgeschlossen und zu Ketzern erklärt worden waren. Um solche Gemeinschaften für die Kirche zurückzugewinnen und die religiöse Bewegung nicht weiterhin in einen bedroh- lichen Gegensatz zur hierarchischen Kirche hineintreiben zu lassen, hatte ihnen Innozenz alle mit der Grundidee der hier- archischen Kirche irgend verträglichen Zugeständnisse gemacht. Als Franziskus und seine Genossen an die Kurie herantraten, war es die Frage, ob die gleichen Zugeständnisse: Wander- predigt, freiwillige Armut und Gemeindebildung, auch einer neu entstandenen Genossenschaft gemacht werden sollten, die noch nicht wie die Waldenser und Humiliaten durch die frühere Politik der Kurie gegen die religiöse Bewegung betroffen wor- den war, noch nicht durch Ungehorsam gegen päpstliche Ver- bote in die Gefahr gekommen war, als Ketzerei verfolgt zu wer- den, und bei der es sich also nicht um Rückgewinnung für die Kirche handelte. Es mußte sich zeigen, ob Innozenz’ Verhalten gegen Waldenser und Humiliaten nur eine Taktik im Kampf gegen die Ketzerei war oder aber der allgemeinen Einsicht ent- sprang, daß die neuen religiösen Kräfte und Ideen nicht länger aus der Kirche ausgeschlossen bleiben dürften. ten (1. Aufl., 1904) 8.124 und A. Fortini, Nova vita di S. Francesco S.176 die Romreise auf 1210. Von den Quellen führt nur die Chronik der 24 Generalminister (AF III S. 6f.) als genaues Datum das Jahr 1210 an, aber keine Angabe der älteren Quellen widerspricht eindeutig diesem An- satz. Er wird bestätigt durch Burchard von Ursberg (s. o. 8.125f.), der 1210 in Rom war und schwerlich hätte glauben können, daß Innozenz an Stelle des Bernhard Prim den Franziskus bestätigt habe, wenn die Fran- ziskaner schon ein Jahr vor dem Gesuch des Bernhard Prim bestätigt worden wären. — 129 — Franziskus trat vor Innozenz wie dreißig Jahre zuvor Wal- des vor Alexander III. Aber die Kurie war durch die Erfahrung eines Menschenalters belehrt. Innozenz hatte erkannt, wie ver- hängnisvoll die Abweisung und das Verbot seiner Vorgänger gewirkt hatte. Er hatte mehrfach versucht, die Folgen jener unheilvollen Entscheidung rückgängig zu machen oder zu mil- dern. Allerdings waren diese Versuche, die Innozenz selbst mehr als einmal mit Heilmitteln verglichen hatte, erstens auf die besonderen Bedingungen der mit der Kirche ausgesöhnten Ketzer zugeschnitten, und zweitens waren es gleichsam vor- läufige, noch schwebende Maßnahmen, deren Erfolg noch nicht abzusehen war. Daher bedurfte es, als mit Franziskus eine neue, selbständige, unbescholtene Gruppe der religiösen Ar- mutsbewegung die Kurie zur Stellungnahme autforderte, aufs neue einer schwerwiegenden Entscheidung, ob die Kurie der Armutsidee und der Wanderpredigt auch in diesem Fall freie Auswirkung in der Kirche gewähren und in welcher Form die neue Genossenschaft, die sich nicht wie Waldenser und Humi- liaten bereits eine gewisse Organisation geschaffen hatte, aufge- baut und der Kirche eingegliedert werden sollte. Innozenz hat diese Fragen nicht sofort entgültig entschie- den. Er hat die junge Genossenschaft zunächst gewähren lassen, ohne ihr eine bestimmte kirchenrechtliche Stellung an- zuweisen, und erst ihre Entwicklung im Laufe des nächsten Jahrzehnts hat aus der kleinen Bußprediger-Genossenschaft einen anerkannten Orden werden lassen. Diese Zurückhaltung der Kurie und damit die frühen Schicksale der franziskanischen Gemeinschaft werden verständlich aus der allgemeinen kirch- lichen und religiösen Lage und aus der kirchenpolitischen Hal- tung Innozenz’ Ill. Franziskus und seine elf Begleiter trafen in Rom den Bi- schof Guido von Assissi, der die Bekehrung und die Anfänge der Wirksamkeit des Franziskus in Assisi mit Teilnahme und Zustimmung verfolgt hatte.” Durch ihn fand Franz den Zu- 112. Die Vermutung liegt nahe, daß Franziskus für seine Romreise gerade den Zeitpunkt wählte, als der Bischof von Assisi in Rom war, um sich seiner Vermittlung zu bedienen. — 130 ° — gang zu einem der bedeutendsten und einflußreichsten Mit- glieder des Kardinalskollegs, Johann Colonna, einem früheren Benediktiner in St. Paul bei Rom, der von einer Legation in das Albigenser-Gebiet im Jahre 1200/01 mit den Fragen der Ar- mutsbewegung und der Ketzerei vertraut sein mußte, zur Zeit von Franz’ Romreise aber Vertreter des Papstes in der Bußver- waltung war.''” Der Kardinal hat es übernommen, das An- liegen des Franziskus vor den Papst zu bringen. Leider lassen sich die Verhandlungen im einzelnen nicht genau verfolgen. Schon Johann Colonna hatte sich bemüht, Franz zur Annahme einer Mönchs- oder Eremitenregel, also irgendeiner Form der Benediktinerregel zu veranlassen, und Innozenz selbst scheint gleichfalls zunächst vorgeschlagen zu haben, eine der geltenden Ordensregeln zu befolgen.‘ Man empfahl also den Wander- predigern, sie sollten Mönche werden. Aber Franziskus ist auf diese Vorschläge nicht eingegangen. Er wollte nicht Mönch oder Eremit werden und keinen Orden gründen gleich den schon bestehenden.'” Wie der Ausgang der Verhandlungen 113. H, Zimmermann, Die päpstlichen Legationen S. 30f.: K. Wenck in Festschr. f. P. Kehr S.466ff.; M. Bihl, AFH XIX 8.282 ff. — Kardinal Johann starb zwischen 21. April 1214 und November 1215, vor dem Laterankonzil von 1215. 114. Nach I Cel. c. 13 $ 33 hat der Kardinal den Vorsatz des Franzis- kus zwar sehr gelobt, verum quia homo erat providus et discretus, cepit eum de multis interrogare, et ut ad vitam monasticam seu eremiticam diverteret suadebat. — Die Leg. 3 Soc. c. 12 S 47/8 (S.99) und der Anon. Perus. ec. 7 8 32/3 (S. 43f.) wissen nichts von solchen Vorschlägen des Kardinals, der vielmehr so sehr dem Vorsatz des Franziskus zugestimmt hätte, daß er ihn bat, als einer seiner Brüder gelten zu dürfen; vielmehr habe erst der Papst Einwände gegen das strenge Armutsprinzip erhoben und seine Durchführbarkeit bezweifelt. — Nach Angelo Clareno, Hist. Trib. (ed. Döllinger, Sektengesch. II S.429f.) hat Innozenz selbst Franz aufgefordert, quod aliquem ordinem vel regulam de approbatis assumeret. 115. Gegen die Behauptung K. Müllers, Anfänge des Minoriten- ordens 8.33, Franz habe also kein Ordensmann werden wollen, erhob H. Felder, Gesch. der wiss. Studien S.5 den Vorwurf, das sei ein Miß- verständnis der Terminologie der Ordensgeschichte: vita monastica und heremitica bezeichneten nur die alten Orden und Ordensregeln „im Gegen- satz zu den neuen, speziell dem Franziskanerorden“, der ein kirchlicher — 1311 — und die Berichte darüber zeigen, hat die Kurie ihre Einwände, Bedenken und Gegenvorschläge schließlich fallen lassen und die Wünsche des Franziskus wenigstens insofern gewährt, daß einer weiteren Betätigung und Entfaltung der neuen Bußpredi- ger-Gemeinschaft keine Schwierigkeiten bereitet werden sollten, ohne daß sie sich zur Annahme einer der alten Ordensregeln hatte verpflichten müssen. Der Kardinal Johann Colonna hat in der entscheidenden Verhandlung mit Innozenz durch seine Fürsprache den Ausschlag gegeben. Einige Kardinäle hatten die schwerwiegenden Einwände erhoben, das Vorhaben des Franziskus sei erstens eine „Neuerung und daher unstatthaft, und es sei außerdem undurchführbar, weil eine Gemeinschaft bei so strenger Durchführung des Armutsprinzips nicht lebens- fähig wäre. Der Kardinal Johann hat diese Einwände ent- kräftet durch den Hinweis darauf, daß sich Franz als Norm für die neue Lebensform ausschließlich auf evangelische Anweisun- gen berief, die man also weder als Neuerung bezeichnen, noch für unerfüllbar halten dürfe, ohne einen lästerlichen Vorwurf Orden, aber kein ordo monasticus oder heremiticus sei. — Das ist ein überaus deutliches Beispiei für die Unfähigkeit, geschichtliche Entschei- dungen aus ihrer Situation heraus zu verstehen, ohne bei ihrer Erklärung das Ergebnis dieser Entscheidungen vorwegzunehmen. Nur weil Franzis- kus keine der „alten“, d. h. der zu seiner Zeit vorliegenden Ordensregeln annehmen und also kein „Ördensmann‘ werden wollte in dem Sinne, den das Wort damals ausschließlich haben konnte, und weil zweitens durch eine Reihe weiterer kirchlicher Entscheidungen die von allen früheren Ordensformen völlig abweichende Genossenschaft der Franziskaner den- noch die Approbation als kirchlicher Orden fand, nur dadurch sind die „neuen“ Ordensformen und damit eine neue Terminologie entstanden, die Felder schon bei Franz’ frühestem Verhalten voraussetzt. 1210 gab es keine andere Möglichkeit, ein „Ordensmann“ zu werden, als durch An- nahme einer mönchischen oder eremitischen Regel, d. h. irgendeiner Aus- gestaltung der Benediktinerregel — oder, für Kleriker, der Augustiner- regel. Lehnte Franz das ab, so bedeutet das, er wollte nicht Mönch, nicht „Ordensmann“ werden. F. Mandonnet, Origines de l’Ordo de Poeni- tentia S.204 sagt im Grunde dasselbe mit der vorsichtigeren Formulierung, es sei nicht die Absicht des Franziskus gewesen „a constituer un Ordre religieux & l’instar des anciennes et nombreuses corporations existants deja dans l’&glise“. Vgl. auch W. Goetz, Die ursprünglichen Ideale des hl. Franz S.26 f. — 132 — gegen Christi eigene Worte zu erheben.''* Mit diesen bedeut- samen Worten des Kardinals Johannes ist unseres Wissens zum 116. Diese Worte des Kardinals Johannes sind nur in der offiziellen Legende Bonaventuras c.3 $ 9 (Opera VIIl S.512) überliefert: Dis- tulit tamen (Innocentius) perficere, quod Christi postulabat pauperculus, pro eo quod aliquibus de cardinalibus novum aliquid et supra vires hu- manas arduum videretur. Aderat autem inter cardinales vir venerandus dominus Joannes de sancto Paulo, episcopus Sabinensis, omnis sanctitatis amator et adiutor pauperum Christi. Qui divino spiritu inflammatus summo pontifici dixit et fratribus suis: „Si petitionem pauperis huius tanguam nimis arduam novamque refellimus, cum petat confirmari sibi formam evangelice vite, cavendum est nobis, ne in Christi evangelium offendamus. Nam si quis intra evangelice perfectionis observantiam et votum ipsius dicat contineri aliquid novum aut irrationabile vel impos- sibile ad servandum, contra Christum evangelü auctorem blasphemare convincitur“. — Über die Glaubwürdigkeit dieses Berichts s. H. Tile- mann, Die Individualität des Franziskus von Assisi, 1914, S. 149; K. Wenck in: Festschrift f. P. Kehr S. 473. Die Fürsprache des Kardinals vor Innozenz erwähnen auch die älteren Legenden: I Cel. c. 13 $ 33 nur allgemein: Coram domino papa studuit eius negotia de cetero promovere; Leg. 3 Soc. c. 12 8 48 (S. 99) und Anon. Perus. c. 7 $ 34 (8.44) lassen den Kardinal gleich anfangs zu In- nozenz zur Empfehlung der Franziskaner die Worte sprechen: Inveni virum perfectissimum, qui vult vivere secundum formam sancti evangelü et evangeliorum perfectionem in omnibus observare; per quem credo quod dominus vult in toto mundo fidem sancte ecclesie reformare,; in die Ver- handlungen zwischen Innozenz und Franz greift der Kardinal nach die- sen Legenden nicht ein, übrigens ist es hier (vor allem nach der wohl ursprünglicheren Legende des Anon. Perus.) Innozenz selbst, der die Ein- wände gegen die Durchführbarkeit des strengen Armutsprinzips erhebt. — Angelo Clareno, Hist. Tribul. (ed. Döllinger, Sektengesch. II S.429f.) erzählt: nachdem Innozenz wegen seiner Bedenken gegen die Durchführbarkeit des strengen Armutsprinzips die Annahme einer der geltenden Ordensregeln empfohlen hatte, Franz aber das ablehnte und bei seinem Vorsatz blieb, func dominus Johannes de Sancto Paulo episcopus Sabinensis et dominus Hugo episcopus Hostiensis dei spiritu moti astiterunt sancto Francisco et pro his que petebat coram summo pon- tifice et cardinalibus plura proposuerunt rationabilia et efficacia valde. Diese Beteiligung des Kardinals Hugolin von Ostia ist sonst nicht bezeugt, aber unmöglich ist sie nicht; denn die Ansicht, Hugolin habe Franz erst später kennen gelernt, hat sich als unhaltbar erwiesen, s. L. Zarncke, Der Anteil des Kardinals Ugolino an der Ausbildung der drei Orden des hl. Franz, S.104ff.; vgl. u. S. 146. Hugolin ist im Jahre 1210 immer an der Kurie gewesen, wie seine Unterschriften (bei Potthast, Reg. Pontif.) beweisen. — 133 — ersten Male an der Kurie das Ideal der perfectio evangelica in der Form, wie es die ganze religiöse Bewegung der Zeit be- seelte, als rechtmäßige Lebensform innerhalb der Kirche aner- kannt worden, nicht nur als ein Zugeständnis aus taktischen Erwägungen im Kampi gegen die Ketzerei, sondern um seines wahren evangelischen Anspruchs willen. Die Kurie konnte sich der Einsicht nicht länger verschließen, daß ihr nicht nur die äußere Handhabe, sondern auch das religiöse Recht fehlte, das Ideal des evangelisch-apostolischen Lebens zu unterdrücken. Entsprechend fiel Innozenz’ Entscheidung aus. Er verbot nicht, was Franz wollte, er ließ ihn gewähren. Franz und seine Genossen sollten unbehindert weiter als Bußprediger herum- ziehen. Nur an zwei Bedingungen wurde diese Erlaubnis ge- krüpft, die auch sofort erfüllt wurden. Franz und seine Ge- nossen mußten die Tonsur empfangen und damit zu Klerikern werden; der Kardinal Johannes hat diese Anordnung durchge- führt.” Außerdem mußte Franz dem Papst und die elf Brü- der ebenso ihrem Führer Franziskus Gehorsam geloben. Da- durch wurde die Grundfrage jedes kirchlichen Verbandes, die Frage der Führerschaft geregelt. Dieses Gehorsamsgelübde war ein erster Ansatz zu einer ordensmäßigen Organisation, und die mündliche Erlaubnis des Papstes ein erster Ansatz zu ihrer Bestätigung. Darüber hinaus hat Innozenz der Genossen- schaft nichts für ihre künftige Gestaltung vorgeschrieben. Er hat die von Franz zusammengestellten evangelischen Sätze, die er als seine erste Regel" bezeichnete und die gelegentlich auch sein Propositum conversationis genannt werden,''* nicht schrift- lich bestätigt und der Genossenschaft keine schriftliche Erlaub- nis zur Predigt geschweige denn ein formelles Privileg gegeben. Auf Grund des päpstlichen Entscheids hätte die Genossenschaft des Franziskus als ein approbierter Orden noch viel weniger 117. Anon. Perus. c. 7 $ 36 (8.44): Dictus autem Cardinalis propter devotionem, quam habebat in fratrem, omnibus ilis duodecim fratribus clericam fecit dari; Leg. 3 Soc. ce. 12 $ 52 (S.100): datis tonsuris beato Francisco et alis XI fratribus sicut dictus cardinalis procuraverat, volens omnes illos duodecim esse clericos; Bonaventura ce. 3 $ 10 (8.512): laicis fratribus omnibus, qui servum dei fuerant comitati, fecit coronas parvulas fieri, ut verbum dei libere predicarent. 118, II Cel, c. 11 8 16. — 1314 — gelten können als jene früher und gleichzeitig mit der Kirche ausgesöhnten Waldensergruppen, die doch wenigstens die schriftliche Anerkennung ihrer Lebensregel und damit auch ihrer Predigt durch eine päpstliche Bulle erhalten hatten. Diese Zurückhaltung der Kurie erklärt sich ohne Zweifel daraus, daß noch niemand absehen konnte, ob die kleine Predigergenossen- schaft eine Zukunft haben und eine Bedeutung gewinnen würde, die eine kirchenrechtliche Organisation durch päpstliche Maß- nahmen verlangte und rechtfertigte.. Die Kurie hat sich zum Abwarten entschlossen und schließlich Franz den Bescheid mit auf den Weg gegeben: wenn sich seine Genossenschaft ver- größert haben würde, solle er wieder an die Kurie kommen, dann würde eine weitergehende und verbindlichere Regelung getroffen werden.'® 119. I Cel. ec. 13 $ 33: Innozenz segnet Franz und seine Brüder und sagt: Ife cum domino fratres et prout dominus vobis inspirare dignabilur, omnibus penitentiam predicate. Cum enim omnipotens dominus vos nu- mero multiplicabit et gratia, ad me cum gaudio referetis, et ego vobis his plura concedam et securius majora committam; fast gleichlautend Leg. 3 Soc. c. 12 $ 49 (S.99). Bonaventura c.3 $ 10 (S.512): Postulata concessit et adhuc concedere plura promisit; approbavit regulam, dedit de peni- tentia predicanda mandatum. — Schnürer, Franz v. Assisi S.46 glaubt, die Predigterlaubnis für Franz und seine Genossen sei damit ausdrücklich auf die „Sitten- und Bußpredigt‘“ beschränkt, aber für später eine weitere Ermächtigung, „d.h. auch die dogmatische Kanzelrede“ in Aussicht ge- stellt worden; das habe Innozenz davon abhängig machen wollen, ob die Genossenschaft weitere Anhänger gewann, „insbesondere eine größere An- zahl von genügend gebildeten Klerikern aufwies“. — Das ist eine willkür- liche und sicherlich unzutreffende Deutung der in Aussicht gestellten majora. Franz konnte damals gar keine andere Erlaubnis erbeten haben als die zur Bußpredigt; die „dogmatische Kanzelrede“ konnte nicht in seiner Absicht liegen, erst recht konnte es der Kurie nicht einfallen, die- sen zwölf wandernden armen Bußpredigern für die Zukunft die Berechti- gung dazu zu versprechen. Nicht nur, daß die Quellen das nicht sagen, sie schließen in ihrer Gesamtheit diese Deutung geradezu aus. Niemand konnte damals daran denken, daß aus der Genossenschaft des Franzis- kus ein Orden würde, in dem gebildete Kleriker als dogmatische Kanzel- prediger wirken würden. Für den Charakter der franziskanischen Predigt besonders aufschlußreich sind die Angaben des „Dialogus de vitis fr. min.“ (ed. L. Lemmens S.8) über die Predigten des Antonius in Padua, der doch vor seinem Eintritt in den Orden ein gelehrter Kenner der Bibel — 135 — Bei aller Vorsicht und Zurückhaltung in den Verhandlun- gen mit Franziskus hatte sich die Kurie grundsätzlich dazu ent- schlossen, dieser Genossenschaft armer Wanderprediger ihre Erlaubnis zu erteilen, obgleich dadurch nicht unmittelbar der Ketzerei Abbruch getan wurde und es sich nicht um Aussöhnung von Häretikern handelte. Den Aufbau und die Ausgestaltung dieser Genossenschaft hat allerdings Innozenz nicht selbst in die Hand genommen, wahrscheinlich auch nicht gefördert. Sie blieb sich selbst überlassen und war sich über ihr Wesen und ihre Bestimmung noch jahrelang im Unklaren.'”" Welchen An- teil noch Innozenz Ill. an der weiteren Entwicklung der Pre- digergenossenschaft zum Orden genommen hat, läßt sich schwer feststellen. Weltpolitische Ereignisse von größerer aktueller Bedeutung haben in den folgenden Jahren die ganze Aufmerk- samkeit der Kurie in Anspruch genommen und ihrer Haltung gegenüber den religiösen Bewegungen der Zeit abermals eine entscheidende Wendung gegeben. 4. Das Laterankonzil 1215, Seit Beginn seines Pontifikats hatten zwei Gedanken die Ketzerpolitik Innozenz’ III. beherrscht: einerseits die hart- und der Theologie gewesen war, aber diese Kenntnisse verbarg und ver- leugnete, als er Franziskaner wurde. 120. Noch nach der Rückkehr von Rom überlegten die Brüder, ob sie künftig in der Welt als Bußprediger wirken oder sich als Einsiedler von der Welt zurückziehen sollten; I Cel. e. 14 $ 35: Conferebant, .. utrum inter homines conversari deberent an ad loca solitaria se conferre; vgl. Bonaventura c.12$1 (8.539) über die magna dubitationis cuiusdam agonia des Franziskus, der seine Gefährten fragt: Quid.. consulitis, quid lauda- tis? An quod orationi vacem, an quod predicando discurram; s. a. Wad- ding, Annal. ad 1212 n. iOff. — Noch auf dem Generalkapitel 1221, auf dem bereits 5000 Brüder versammelt gewesen sein sollen, bemühte sich eine Partei, die Annahme einer der alten ÖOrdensregeln Benedikts, Augu- stins oder der Zisterzienser durchzusetzen, scheiterte aber am Wider- spruch Franz’, s. Legenda antiqua ed. Delorme S.65 n. 114 (und gleich- lautend in anderen Quellen, s. Angelo Clareno, Expositio regulae ed. Öliger S.128). Noch damals steht also die Ordensform nicht fest, erst 1223 ist die endgültige Ordensregel durch eine päpstliche Bulle bestätigt worden. — 136 — näckige und unbelehrbare Ketzerei aufs schärfste und mit allen Mitteln zu bekämpfen, andererseits aber zu versuchen, nach Möglichkeit religiöse Kreise, die der Ketzerei verfallen waren, wieder in die Kirche einzubeziehen und mit der Kurie zu ver- söhnen und zu verhüten, daß durch unbesonnene kirchliche Maßnahmen weiterhin religiöse Menschen der Ketzerei in die Arme getrieben würden. Der Ausbruch der Albigenserkriege im Jahre 1209, den In- nozenz wahrscheinlich nicht gewollt, aber auch nicht verhindert hat, brachte die eine Seite seiner Ketzerpolitik in grausamer Härte zur Auswirkung. Um so mehr müßte man erwarten, daß Innozenz auf dem großen Konzil, das sein Lebenswerk krönen sollte, eine großzügige Verwirklichung jener Ideen ins Werk gesetzt hätte, von denen er sich vorher von Fall zu Fall bei der Behandlung der religiösen Armutsbewegung und der Genossen- schaften von Wanderpredigern hatte leiten lassen. Am 19, April 1213 wurde das Konzil ausgeschrieben,'”' am 11. November 1215 trat es zu seiner ersten allgemeinen Sitzung zusammen, in zwei weiteren Sitzungen am 20, und 30. Novem- ber wurde es zu Ende geführt. Neben der Wiedergewinnung des heiligen Landes stand die Reform der von der Ketzerei be- drohten Kirche als Hauptpunkt auf dem Programm. Konnte das Konzil diese Aufgabe der Kirchenreform in einer Beseitigung von Mißständen und in der Wiederherstellung alter reiner For- men in Mönchtum und Klerus erschöpft sehen? Verlangte nicht die immer schärfere Spannung zwischen der hierarchischen Kirche und den religiösen Bewegungen eine entschlossene und grundlegende Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse? Und ließ nicht Innozenz’ bisheriges Verhalten erwarten, daß er sich dieser Aufgabe bewußt und zu ihrer Durchführung bereit war? Über den Verlauf des Konzils ist sehr wenig bekannt. Wir wissen fast nichts über die Verhandlungen, die vorher und wäh- rend des Konzils geführt wurden, nichts von den vorbereiten- den Beratungen der Ausschüsse, wir kennen nicht die Kräfte, die seinen Ausgang bestimmten. Nur seine Beschlüsse liegen vor. 121. Ep. 16, 30 MPL 216 Sp. 823 ff. — 137 — In diesen Beschlüssen'?” nimmt die Behandlung der Ketzer- frage die erste Stelle ein. Voran steht ein ausführliches Be- kenntnis des katholischen Glaubens; darauf folgt die Verurtei- lung der Irrlehre Joachims von Fiore über die Trinität'” und weiter die Erklärung des Banns über jede Ketzerei wider den vorher formulierten katholischen Glauben. Die ausführlichen Bestimmungen über das Vorgehen gegen die Ketzerei in den Konzils-Statuten von 1215 enthalten jedoch keinen einzigen neuen Satz. Sie sind nichts anderes als eine Zusammenstellung von älteren Bestimmungen, teils aus dem Ketzeredikt Lu- ceius’ III, von 1184, teils aus einem Erlaß Innozenz’ III., durch den er 1199 das Vorgehen gegen die Ketzer in Viterbo geregelt hatte.” Wörtlich oder in unwesentlicher Umformung und ge- nauerer Ausführung sind die Bestimmungen dieser früheren Ketzer-Erlasse durch das Konzil wiederholt worden, ohne durch wesentliche Zusätze ergänzt zu werden. Es wurden keine neuen Strafen für Ketzerei angeordnet; die durch einen Eid zu be- kräftigende Verpflichtung jeder weltlichen Gewalt zum Kampf gegen die Ketzerei wurde nur schärfer betont als früher; die Inquisitionspflicht der Bischöfe in ihren Diözesen wurde fast wörtlich gleichlautend wie in dem Ketzeredikt Lucius’ III, ange- ordnet; kurz die Methode des Vorgehens gegen die Ketzer ist unverändert so beibehalten worden, wie sie schon vor 1200 ge- handhabt worden ist, ohne daß die Erfahrungen während des Papats Innozenz' III. das Konzil zu neuen Maßnahmen ver- anlaßt hätte. Wichtiger ist, wie sich das Konzil zu der entscheidenden Frage verhielt, wer als Ketzer beurteilt werden sollte. Es ver- dient zunächst erwähnt zu werden, daß das Konzil, indem es allen Klerikern die Beteiligung an Wasser- und Feuerproben streng verbot,'” die Entscheidung über die Ketzerei grundsätz- 122. Mansi XXI S. 981—1067. 123. Dazu anhangsweise die Verurteilung Amalrichs von Bena, vgl. u. S. 374. 124. Ep. 2, 1 vom 25. März 1199 an Klerus, Konsuln und Volk von Viterbo, MPL 214 Sp.536; in diesem Schreiben wird zum ersten Mal die Ketzerei mit dem Majestätsverbrechen gleichgesetzt. 125. Cap. 18, Mansi XXII S. 1007: Nec quisquam purgationi aque — 138 — lich und endgültig dem Zufall der „Gottesurteile” entzog, wie es Innozenz III, schon 1212 in einem Brief an den Bischof von Straßburg gefordert hatte mit der Begründung,’ man dürfe Gott nicht versuchen. Erwartete man aber die Entscheidung über die Ketzerei nicht mehr von dem magischen Spruch der Ordale, so war eine klare Besinnung und Bestimmung über die Kriterien, nach denen rechtgläubige Fromme von Ketzern zu unterscheiden waren, um so unerläßlicher. In dem Ketzeredikt von 1184 war diese Frage dadurch gelöst worden, daß erstens eine Reihe von Ketzernamen aufgeführt, zweitens die unbefugte Anmaßung der Predigt, drittens Verbreitung falscher Lehren über die kirchlichen Sakramente für häretisch erklärt und es endlich viertens der Kirche und den Bischöfen vorbehalten wor- den war, bestimmte Fälle als Ketzerei zu verurteilen. Das Konzil von 1215 hat diese Bestimmungen wesentlich verein- facht: es hat eine katholische Glaubensformel vorausgeschickt und alle dagegen verstoßenden Irrlehren für Ketzerei erklärt.'” ferventis vel frigide seu ferri candentis ritum cuiuslibet benedietionis aut consecrationis impendat. 126. Ep. 14, 138 vom 9. Jan. 1212, MPL 216 Sp. 502: Licet apud judi- ces seculares vulgaria exerceantur judicia ut aque frigide wel ferri can- dentis sive duelli, huiusmodi tamen judicia ecclesia non admisit, cum scriptum sit in lege divina: Non tentabis dominum Deum tuum. Veranlaßt wurde dieses Schreiben durch die Verurteilung der Ketzer (wahrschein- lich Waldenser) in Straßburg im Jahre 1211, über die in den Marbacher Annalen (ed. H. Bloch 1907 S.86f.) berichtet wird: Heretici .. compre: hensi sunt in civitate Argentina. Producti vero cum negarent heresım, iudicio ferri candentis ad legittimum terminum reservantur; quorum nume- rus fuit LXXX vel amplius de utroque sexu. Et pauci quidem ex eis inno- centes apparuerunt, reliqui omnes coram ecclesia convicti per adustionem manuum dampnati sunt et incendio perierunt. \Vgl. auch Caesarius von Heisterb., Dial. mirac. III, 17 ed. Strange I 8.133, der aber nur von 10 Ketzern spricht, qui cum negarent, per iudicium candentis ferri con- vieti sententia incendü sunt damnati. 127. Der 8 3 De hereticis der Konzilsstatuten von 1215 (Mansi XXII S.986) beginnt: Excommunicamus et anathematizamus omnem heresim extollentem se adversus hanc sanctam orthodozam catholicam fidem, quam superius exposuimus, condemnantes universos hereticos quibus- cumque nominibus censeantur, facies quidem habentes diversas, sed cau- — 139 — Dadurch wurde also das Dogma eindeutig zum Kriterium zwi- schen Rechtgläubigkeit und Ketzerei gesetzt, und es bedurfte keiner weiteren Bestimmung durch Angabe von Ketzernamen und Ketzerlehren. Ein weiteres Merkmal für Ketzerei wurde aber trotzdem aus dem Ketzerdekret von 1184 in die Konzils- statuten von 1215 übernommen: die unbefugte Predigt wird mit denselben Worten als Ketzerei verurteilt! Die Wiederholung dieser Bestimmung ist an sich nicht überraschend. Denn von der Erklärung, daß die unbefugte Predigt durch nicht ordinierte Prediger häretisch sei, ist die Kirche nie abgegangen, und auch Innozenz hatte sie bei allen Verhandlungen mit Anhängern der religiösen Bewegung und der Wanderpredigt niemals fallen lassen, sondern hatte Waldenser wie Humiliaten ausdrücklich zu ihrer Anerkennung genötigt. Aber er hatte dabei zugleich versucht, zwischen dem Drang zur apostolischen Wanderpredigt und dem kirchlichen Verbot der Predigt durch nicht Ordinierte zu vermitteln, indem er eine neue Form von Predigerverbänden anerkannt hatte, denen die päpstliche Vollmacht zur Predigt ihrer Mitglieder wenigstens in bestimmten Grenzen erteilt wurde. Wenn jetzt das Konzil das Verbot der unbefugten Pre- digt erneuerte, so hätte man erwarten müssen, daß es auch zu dieser neuen Gemeinschaftsform von Predigerverbänden Stel- lung nahm, die der Frage der Predigterlaubnis ein ganz neues Gesicht geben mußten. Aber das ist nicht geschehen; oder viel- das ad invicem colligatas, quia de vanitate conveniunt in idipsum (vgl. Ep. 2, 1 MPL 214 Sp. 537). — Darauf folgen die Strafbestimmungen. 128. Quia vero nonnulli sub specie pietatis, virtutem eius juxta quod ait apostolus abnegantes, authoritatem sibi vendicant predicandi, cum idem apostolus dicat: „quomodo predicabunt nisi mittantur“, omnes qui prohibiti vel non missi preter authoritatem ab apostolica sede vel catho- lico episcopo loci susceptam publice vel privatim predicationis officium usurpare presumpserint, ercommunicationis vinculo innodentur et nisi quantocius resipuerint, alia competenti pena plectantur; Mansi XXII S. 990 (Decret. V tit. 7 c. 13 ed. Friedberg II S. 787). Bis presump- serint gleichlautend mit dem Ketzererlaß Lucius’ IIL, Mansi XXII S. 477 (Deer. V tit. 7 c. 9, ed. Friedberg II S.780): der dort unmittelbar vorangehende Satz, die Verurteilung der Katharer, Patarener, Waldenser, Humiliaten usw. wurde in den Konzilsstatuten von 1215 nicht wiederhoit. 2.100 =, mehr: das Konzil hat Beschlüsse gefaßt, die dem Gedanken solcher Predigerverbände geradezu entgegenstehen. Das Konzil hat ausdrücklich anerkannt, daß die Bischöfe als ordinierte Prediger nicht mehr imstande sind, die Predist- pflichten allein durchzuführen, daß sie das Bedürfnis nach Pre- digt nicht befriedigen könnten. Aber um diesem Mangel abzu- helfen, hat es nur die Anstellung geeigneter Prediger durch Bi- schöfe und Erzbischöfe angeordnet, die ihnen in der Predigt und Seelsorge behilflich sein und von ihnen unterhalten werden sollen.” Dem Drang der religiösen Kreise nach apostolischer Predigt konnte durch derartige Bestimmungen natürlich nicht Genüge geleistet werden. Außerdem hat aber das Konzil einen Beschluß gefaßt, der die Entstehung von Prediger-Verbänden, denen die päpstliche Vollmacht zur Predigterlaubnis für ihre Mitglieder erteilt wer- den konnte, unmöglich machen mußte und daher in einem un- verkennbaren Gegensatz zu den früheren Entscheidungen und Maßnahmen Innozenz’ steht. Es wurde verboten, „neue Orden” — oder richtiger: neue Ordensformen zu „erfinden; wer Mönch werden will (ad religionem converti), soll eine der approbierten Regeln annehmen, und wer ein Kloster gründen will, soll es der Regel und den Gewohnheiten eines der appro- bierten Orden unterstellen. Begründet wird diese Vorschrift damit, daß allzu starke Verschiedenheit der Ordensformen Ver- wirrung in der Kirche stifte. Die Bedeutung dieses Beschiusses wird erst klar, wenn man sich die Situation vergegenwärtigt, in der er gefaßt wurde und auf die er gemünzt war. Als dieses Verbot neuer Ordens- 129. Cap. 10 der Statuten, Mansi XXII S.998. 130. Cap. 13, Mansi XXIII S.1002: Ne nimia religionum diversitas gravem in ecclesia dei confusionem inducat, firmiter prohibemus, ne quis de cetero novam religionem inveniat; sed quicumque volue- rit ad religionem converti, unam de approbatis assumat; similiter qui voluerit religiosam domum fundare de novo, regulam et institutionem accipiat de religionibus approbatis. — Eine gewisse Vereinheitlichung der bestehenden Ordensformen bedeutete auch die in Cap. 12 gegebene Vor- schrift, daß künftig alle Orden jährliche Generalkapitel nach dem Muster der Zisterzienser halten mußten. — 141 — formen erlassen wurde, waren Ansätze zu neuen Ordensformen zahlreich vorhanden, aber keines dieser neuen Gebilde war zu einem „approbierten Orden” in kirchenrechtlichem Sinn ge- diehen. Die Humiliaten konnten als approbierter Orden gelten, soweit sie im 1. und 2. Orden auf Grund einer Regel organisiert waren, die aus den Regeln Benedikts und Augustins gebildet war, und soweit sie in vita communis lebten; der dritte Humi- liatenorden aber war zweifellos kein approbierter Orden und hatte keine approbierte ‚Regel‘, sondern befolgte nur ein von der Kurie gebillistes Propositum. Die aus früheren Waldensern und Wanderpredigern entstandenen Genossenschaften des Du- randus von Huesca und Bernardus Primus waren zwar von der Kurie anerkannt und zugelassen, aber auch sie hatten keine approbierte „Regel” und waren also keine approbierten Orden, als der Beschluß des Konzils zustande kam, und infolgedessen wurde ihnen später auch auf Grund dieses Beschlusses die Eigenschaft als rechtmäßige Orden abgesprochen. Wir haben gesehen, daß auch die Predigergenossenschaft des Franziskus allein auf Grund der Verhandlungen mit der Kurie im Jahre 1210 noch nicht als approbierter Orden gelten konnte; und end- lich war auch der Predigerverband, den Dominikus im Anfang des Jahres 1215 in Toulouse zur Durchführung der Ketzer- mission in Südfrankreich begründet hatte, vor dem Konzil noch nicht als Orden approbiert worden. Mit dem Wunsch, eine Regel für diesen Predigerverband durch die Kurie bestätigt und ihn als Orden anerkannt zu sehen, ist Dominikus kurz vor dem Konzil nach Rom gekommen; mit dem Bescheid, daß künftig nur auf der Grundlage der alten approbierten Ordensformen neue Orden gebildet werden dürften, hat er die Kurie wieder verlassen müssen.'?' Wenn in diesem Zeitpunkt das Konzil verbot, neue Ordens- formen zu erfinden, so konnte das nichts anderes bedeuten als einen hemmenden Eingriff in die Entwicklung dieser neuen Ge- meinschaftsformen. Nicht als Abschluß und Festigung einer vollzogenen Entwicklung, nicht als Richtschnur einer künftigen Gestaltung, sondern nur als Einspruch und Abwehr gegen die 131. Jordanis, De initiis ec. 27 ed. Berthier 8. 14. — 142 — im Entstehen begriffenen Neubildungen ist der Konzilsbeschluß zu verstehen. Er wollte verhindern, daß Orden, klösterliche Gemeinschaften und Mönche einer neuen Art entstünden, die sich von den Formen des benediktinischen Mönchtums und der augustinischen Kanoniker grundsätzlich unterschied. Dadurch aber mußte zugleich die Ausgestaltung der Wanderprediger- Genossenschaften, die Innozenz anerkannt hatte, zu approbier- ten Orden unmöglich werden. Dieser Konzilsbeschluß läuft also zweifellos den früheren Maßnahmen Innozenz’ III. geradewegs zuwider. Entweder hat demnach Innozenz in der letzten Zeit seines Lebens einen ande- ren politischen Kurs eingeschlagen, oder aber die Entscheidun- gen des Konzils entsprechen nicht seinen eigenen Absichten. Um das zu entscheiden, muß man das Verhalten des Papstes in seinen letzten Lebensjahren mit den Beschlüssen des Konzils vergleichen. Da über seine Stellung zu den anderen früher von ihm geförderten neuen Genossenschaften in der Zeit des Kon- zils und in dem folgenden halben Jahr bis zu seinem Tod nichts bekannt ist, so kommt es im Wesentlichen darauf an, wie sich Innozenz mit Rücksicht auf den Konzilsbeschluß gegenüber der Genossenschaft des Franziskus verhalten hat. Auf Grund der Genehmigung durch Innozenz i, J. 1210 hätte die Predigergenossenschaft des Franziskus wie gesagt als approbierter Orden noch viel weniger gelten können, als zum Beispiel die Katholischen Armen. Diese waren immerhin durch eine päpstliche Bulle legitimiert und besaßen eine Urkunde, die ihr Propositum als rechtmäßig bestätigte. Franz aber hatte nur eine mündliche Erlaubnis, sonst nichts. Wenn das Konzil 1215 verbot, neue Ordensformen zu schaffen, und alle „Religiosen” zur Annahme der alten anerkannten Mönchsregeln verpflich- tete, so kann gar kein Zweifel bestehen, daß die ursprüngliche, von Innozenz gutgeheißene „Regel des Franziskus nicht unter diese approbierten Regeln und seine kleine Genossenschaft nicht unter die approbierten Orden gezählt wurde. Gerade der- artise Bünde wandernder Bußprediger sollten offenbar durch das Verbot „neuer Ordensformen” verhindert werden, Trotzdem ist die franziskanische Genossenschaft durch den Konzilsbeschluß nicht unterdrückt worden, sondern hat sich in — 13 — den folgenden Jahren zu einem Orden ganz neuer Art ent- wickelt, ohne sich, wie die Dominikaner, auf eine der alten approbierten Ordensregeln zu verpflichten. Die Ordensbestim- mung des Laterankonzils hat also auf Franziskus und seine Ge- nossen keine Anwendung gefunden. Wie konnte das geschehen? Wir sind über die Entwicklung des Ordens in diesen Jah- ren außerordentlich schlecht unterrichtet. Erst 1219 wird der Orden in einer Bulle Honorius’ III. überhaupt zum ersten Male urkundlich genannt, und damals wie auch in einer päpstlichen Bulle des folgenden Jahres wird ausdrücklich erklärt, daß die Minoriten als ein approbierter Orden zu gelten haben,'”* ob- gleich der innere Charakter des Ordens auch damals noch keineswegs feststand. Da aber die Erlaubnis Innozenz’ von 1210 für sich allein nicht genügen konnte, um der Genossenschaft des Franziskus gegen die Ordensbestimmung des Laterankonzils die Anerkennung als approbierter Orden zu gewährleisten, so muß inzwischen irgend etwas geschehen sein, was die Franziskaner, ohne daß sie, wie das Konzil es verlangt hatte, eine approbierte Ordensregel annahmen, die Eigenschaft als approbierter Orden verliehen hatte. Versuchen wir dieses Ereignis genauer zu be- stimmen. Auf das Laterankonzil waren auch die Führer aller Orden berufen worden. Wäre Franz schon damals der Führer eines approbierten Ordens gewesen, so hätte er als solcher daran teil- nehmen müssen. Das war, wie wir sahen, nicht der Fall. 132. Die erste die Franziskaner betreffende, an alle Prälaten gerichtete Bulle Honorius’ III. vom 11. (oder 14.) Juni 1219 (Sbaralea, Bullar. Fran- eisc. IS.2; Pressutti, Regesta Honorii III. Bd. I S. 349 Nr. 2109) lautet: Cum dilecti filii frater Franciscus et socü eius de vita etreligione minorum fratrum, abjectis vanitatibus huius mundi, elegerint vite viom a Romana ecclesia merito approbatam, ac serendo semina verbi dei apostolorum eremplo diversas circumeant mansiones, universitatem vestram rogamus et hortamur in domino, per apostolica vobis scripta mandantes, quatenus latores presentium de predictorum fra- trum collegio ezistentes, cum ad vos duxerint declinandum, ipsos recipia- tis sicut catholicos et fideles, alias eis ob reverentiam divinam et nostram erhibentes vos favorabiles et benignos. Die nächste die Franziskaner be- treffende Bulle vom 29. Mai 1220 an die Prälaten in Frankreich erklärt ausdrücklich, guod nos ordinem talium (fratrum minorum) de approbatis habemus, Sbaralea I S.dö, Pressutti I S.407 n. 2461. — 14 — War dagegen die Genossenschaft des Franziskus damals noch kein approbierter Orden, so mußte sie von dem Verbot neuer Ordensformen durch das Konzil betroffen werden — wenn nicht vor oder auf dem Konzil etwas eingetreten war, was diese Sachlage änderte. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Ge- nossenschaft des Franziskus — der nach der Weisung Innozenz’ wieder an die Kurie kommen sollte, wenn sich seine Gefolg- schaft vergrößert haben würde! — außer der mündlichen Er- laubnis von 1210 eine wirksamere päpstliche Bestätigung er- halten hatte, ehe das Ordensverbot des Konzils in Kraft trat, ist also sehr groß, und schon diese Überlegungen legen die Ver- mutung nahe, daß diese Bestätigung im Zusammenhang mit dem Konzilsbeschluß erfolgt ist, daß zwischen Innozenz und Franz, ehe das Ordensverbot zustandekam, Verhandlungen geführt worden sind, durch welche die franziskanische Genossenschaft diesem Verbot entzogen wurde. Diese Vermutung läßt sich aus den Quellen zur Genüge bestätigen. Von einer Anwesenheit des Franziskus in Rom zur Zeit des Laterankonzils im Herbst 1215 weiß zuerst die Chronik der 24 Generalminister ausdrücklich zu berichten, allerdings eine ver- hältnismäßig späte Quelle des 14. Jahrhunderts.” Dieser Be- hauptung liegt wahrscheinlich eine 1260/2 von Gerhard Frachet aufgezeichnete, aber schon seit ungefähr 1245 bezeugte Tradi- tion des Dominikanerordens über eine Begegnung der beiden Ordensgründer in der Zeit des Laterankonzils zugrunde.’ Das ist die eine, für sich allein freilich nur schwache Spur von einem Aufenthalt Franz’ in Rom im Jahre 1215.’ 133. AF III S. 9: Anno domini MCCXV tempore concilü generalis bea- tus Franciscus Romam adiüt et sanctum Dominicum, qui ibi tunc erat pro sui ordinis approbatione, reperit, quem dei ostensa visio sibi favorabilem fecit. 134. Vitae fratrum, MOPH I S.9f. Diese Tradition beruft sich als Quelle auf einen /rater quidam minor, religiosus et fide dignus, qui socius beati Francisci multo tempore fuit. Nach Gerhard Frachet auch in der Legenda aurea ed. Graesse S.470 und bei Heinrich von Herford ed. Potthast 8.180 zum Jahre 1215. Vgl. B.Altaner, Franziskan. Studien IX S.12£. 135. B. Altaner, a.a.O. hält zwar jene Tradition für „legendär‘, denn sie erzählt von einer Vision,’die Dominikus von Franz gehabt haben — 145 — Eine zweite, davon unabhängige Spur findet sich in der älteren franziskanischen Überlieferung. Thomas von Celano er- zählt in der zweiten Legende,'®* Franz und Dominikus seien ein- mal in Rom im Hause des Kardinals Hugolin zusammengetrof- fen; der Kardinal habe beide gefragt, ob sie es nicht zum Besten der Kirche für ratsam hielten, ihre Brüder zu Bischöfen und Prälaten zu machen; beide haben erklärt, das sei mit ihrem Ideal des religiösen Lebens unvereinbar. Als sie dann zusam- men von dem Kardinai weggingen, bat Dominikus um den Gürtelstrick des Franziskus und erhielt ihn, und beim Abschied soll er zu Franziskus gesagt haben: „Bruder, ich wollte, es würde Ein Orden aus unseren beiden und wir lebten nach Einer Form in der Kirche“. Die Überlieferung sagt nicht, wann diese Szene stattgefunden haben soll. Aber man hat mit Recht be- merkt: wenn diese Zusammenkunft und dieses Gespräch sich wirklich so abgespielt hat, wie die Legende berichtet,'”” dann kann es nur vor der päpstlichen Bestätigung des Dominikaner- ordens (22. XII. 1216) geschehen sein; nur damals konnte Do- minikus den Wunsch äußern, seine Predigergenossenschaft mit der des Franziskus unter einer gemeinsamen Regei zu einem Orden zu vereinigen. Am verständlichsten wäre dieser Vor- schlag in der Zeit des Laterankonzils, als Dominikus noch für soll; aber er glaubt, sie könne einen „historischen Kern“ haben; nur müßte die Begegnung zwischen Franz und Dominikus nach Altaners Meinung (S.16f.) nicht in der Zeit des Konzils, sondern in den Jahren 1216/17 stattgefunden haben. 136. Geschr. 1244/46; p. TI c.109/10 ed. d’Alengon S. 280ff.; AF X S. 215 ff. — Ebenso Spec. perf. c. 43 ed. Sabatier 1928 S. 109 ff. 137. L. Zarncke, Der Anteil des Kardinals Ugolino 8.14 und 109 hält (mit K. Hase, Franz v. Assisi S.73 und Grützmacher, Pro- testant. Real-Enzykl. IV S.773) die Erzäblung für unhistorisch, für eine tendenziöse Legende, erfunden im Kreise der Zelanten und Spiritualen im Kampfe gegen die laxen Grundsätze des Elias von Cortona zu dem Zweck, gegen den Aufstieg der Franziskaner zu hohen Kirchenämtern zu polemi- sieren. Aber Zarncke äußert diese Meinung selbst nur als unbeweis- bare Vermutung. Gerade der Schlußpassus, auf den es in unserem Zu- sammenhang wesentlich ankommt, läßt sich schwerlich als Erfindung aus den angeführten Gründen verstehen. Sonst wird der Bericht durchgehends für zuverlässig gehalten, vgl. H. Fischer, Der hl. Franziskus von Assisi während der Jahre 1219—1221, Freiburg/Schw. 1907, S. 86 ff. — 146 — die wenigen Mitglieder seiner Predigergenossenschaft nach einer Ordensform suchte.” Auch diese Spur weist also, wenn auch wiederum für sich allein ohne sichere Gewähr, auf einen Aufenthalt des Franziskus in Rom um die Zeit des Konzils und auf Verhandlungen, die damals über die Fragen der künftigen Ordensgestaltung geführt worden sind. Die dritte und sicherste Spur aber zeigt, ohne von Franz’ Aufenthalt in Rom zu berichten, daß tatsächlich im Zusammen- hang mit dem Konzil etwas geschehen ist, wodurch der Bestand des Ordens über die mündliche Erlaubnis hinaus gegen den Ordensbeschluß des Konzils gesichert wurde: Innozenz hat, wie die Ordensüberlieferung mit ziemlicher Gewißheit bezeugt, auf 138. Vgl. Van Ortroy, Analecta Bollandiana XXXI S.461f. Man hat diese Auffassung abgelehnt mit der einzigen Begründung, daß Franz und Kardinal Hugolin nach I Cel. $ 74 erst bei einer Zusammenkunft in Florenz persönliche Bekanntschaft geschlossen hätten, deren Datum zwar gleichfalls unsicher ist, keinesfalls aber vor 1217 liegt (vgl. E. Brem, Papst Gregor IX. S.112ff.; A. Callebaut, AFH XIX 8.530 ff.); also könne auch die Zusammenkunft des Franziskus und Dominikus im Hause Hugolins nicht vor 1217 stattgefunden haben; s. Altaner, Franziskan. Studien IX S.9; ebenso AF X S.55. Aber Zarnckes Untersuchung hat gezeigt (S.105), daß die Angabe in I Cel. $ 74 nicht die Möglichkeit aus- schließt, „daß schon vor Florenz sich die Freundschaft (zwischen Franz und Ugolino) angebahnt hätte, vielleicht schon 1210 an der Kurie“. Ich füge dazu noch einige Belege: Daß Hugolin schon 1210 bei der Genehnii- gung der Regel zugegen war — was an sich doch höchst wahrscheinlich ist — sagt auch Angelo Clareno, s. o. S. 132. Die sehr wertvolle Legenda antiqua ed. Delorme S.47 c. 82 berichtet ausführlich über das Zu- sammentreffen in Florenz, aber diesem Bericht zufolge kann das schwer- lich die erste Bekanntschaft Franz’ mit dem Kardinal gewesen sein; des- ‚halb sagt auch A. Callebaut AFH XIX S.541: '„Aucun lien special unissait le Saint au cardinal avant sa rencontre & Florence, bien qu’ils se connussent et qu’ils s’estimassent deja“. Die Leg.3 Soc.c.15 $ 61 (S.103) und Anon. Perus. c. 10 $S 42/43 (S. 46f.) behaupten, daß gleich nach dem Tod des ersten Fürsprechers des Ordens, des Kardinals Johannes von St. Paul (f nach April 1214, vor dem Konzil) der Kardinal Hugolin sich des Ordens annahm und Franz und die Brüder zu ihm gingen. — Domini- kus war mit Kardinal Ugolino wahrscheinlich schon 1215 zur Zeit des Konzils bekannt, ss. Scheeben S.181. Im Winter 1216/17 war er dann mehrfach Gast im Hause Ugolins, s. Scheeben S. 211, 224ff.; E.Brem S. 102 ff. — 1497 — dem Konzil öffentlich die Anerkennung des Ordens oder der Regel verkündet.’ Aus alledem ergibt sich mit großer Wahr- scheinlichkeit,'*" daß Franziskus 1215 in Rom war und mit der Kurie über die Angelegenheiten seines Ordens verhandelt hat, und daß Innozenz damals öffentlich eine neue Anerkennung des Ordens aussprach, die ihn davor bewahrte, durch den Ordens- 139. Zwei sehr gute Quellen aus dem Leo-Kreis, die Legenda antiqua ed. Delorme S.39 c. 67 und die Intentio regulae fr. Leonis c. 3 ed. L. Lemmens, Documenta antiqua Franciscana I S. 85 berichten, In- nozenz III. habe 1210 die Regel approbiert und bewilligt et postea in con- cilio omnibus annuntiavit. Angelo Clareno hat in der Expositio regulae (ed. Oliger S.16) die Stelle aus der Intentio regulae zitiert und sagt auch an anderer Stelle (ib. S. 6, aber wahrscheinlich nur auf Grund jenes Zi- tates; vgl. auch S. 101): Postea vero in generali concilio Roma .. celebrato anno domini MCCXV prelatis omnibus annuntiavit se vitam et evangeli- cam regulam sancto Francisco et eum sequi volentibus concessisse; und in einem Brief (ALKG I S.559): ..et a papa Innocentio fuit omnibus an- nuntiatum in concilio generali, quod de sua auctoritate et obedientia sanc- tus Franciscus evangelicam vitam et regulam assumpserat et Christo in- spirante servare promiserat. — Gegen die Glaubwürdigkeit dieser Be- hauptung hatte L. ÖOliger (Expositio Regulae S.16 n. 3) nur das Be- denken, daß an der entsprechenden Stelle der Leg. 3 Soc. c. 12 (S. 100), des Spec. perf. (c. 26, ed. Sabatier 1928 S.74) und des Speculum vitae (ce. 25, Venedig 1504 f. 20v) die Worte in consistorio statt in concilio stehen, die den Sinn völlig verändern. Aber die von F. Delorme ge- fundene Vita antiqua scheint mir den Ausschlag zugunsten der Lesart in concilio zu geben; denn deren Text ist zweifellos älter und fast immer zuverlässiger als das Speculum perfectionis. 140. Wadding, Annal. ad 1215 n. 33f. führt noch weitere Zeugnisse für die Approbation des Ordens auf dem Laterankonzil an, die aber ent- weder keine derartigen Angaben enthalten (Matthäus Paris, Burchard von Ursberg, Leg. 3 Soc.) oder aller Wahrscheinlichkeit nach auf die oben genannten Zeugnisse zurückgehen (Marianus, Gonzaga, S. Antoninus, Chronicon magnum Belgieum). Sbaralea I S.2 behauptet, die Bestäti- gung der Regel durch das Konzil von 1215 sei auch durch Bonaventura, Alexander von Hales und Jordan von Sachsen bezeugt; ich fand keine entsprechenden Angaben. Vgl. auch Mansi XXII S. 1078. — Unabhängig von den anderen Quellen ist vielleicht die Angabe einer Fürstenbergischen Chronik des 17. Jahrhunderts: der Abt Berthold von Thennenbach, der Bruder des damaligen Abts von Clairvaux (der gleichfalls auf dem Konzil anwesend war), zieht 1215 nach Rom auf das Konzil und „Ailfft neben anderen den Franziscaner Orden bestättigen‘‘; s. Fürstenberg. Urkunden- buch I S. 80. — 148 — beschluß des Konzils verboten oder zur Annahme einer der alten approbierten Ordensregeln gezwungen zu werden. In welcher Form das geschah und inwieweit sich dadurch das Ver- hältnis zwischen der Kurie und dem neuen Orden änderte,’ wissen wir nicht. Das Entscheidende ist: zur gleichen Zeit, als das Konzil die Entstehung neuer Ordensformen verhindern wollte, sorgte Innozenz dafür, daß der Bestand der franziskani- schen Predigergenossenschaft in alter Form gesichert wurde und sich tatsächlich zu einer „neuen Ordensform"” entwickeln konnte. In engem Zusammenhang damit steht ein anderes Ereignis, das gleichfalls der Absicht des Konzilsbeschlusses zuwiderläuft. Seit 1212 lebte Klara Sciffi mit mehreren anderen Frauen bei der Kirche des hl. Damian in Assisi, die ihnen von Bischof Guido überlassen worden war, in einer klösterlichen Gemein- schaft, die keine der alten anerkannten Klosterregeln befolgte, sondern sich nur an die Anweisungen einer schlichten formula vitae hielt, die Franziskus den Frauen gegeben hatte. Die mündliche Erlaubnis des Papstes für die Predigergenossen- schaft des Franziskus vom Jahre 1210 konnte keinesfalls zu- gleich die Berechtigung enthalten, auch klösterliche Frauen- gemeinschaften im Geiste der evangelischen Armutsidee zu bilden. Eine andere Genehmigung für die Frauengemeinschaft unter Klaras Führung lag noch nicht vor. Das Konzil ver- pflichtete 1215 alle neuen Klöster zur Annahme einer appro- bierten Klosterregel. Diese Bestimmung hätte ohne Zweifel 141. ‘'Ganz verfehlt ist die Annahme von Hefele-Knöpfler, Con- ceiliengeschichte V S. 904 (die schon Wadding, Annal. I, 1731, S.82 gegen Bzovius, Annal. ad 1215 n. 6 und 1216 n. 12 widerlegt hatie): wenn Franziskus tatsächlich auf dem Laterankonzil den Papst um bBe- stätigung seiner Stiftung gebeten habe, ..so erhielt er wohl eine ähnliche Antwort wie Dominikus“, nämlich die Anweisung, eine der approbierten Ordensregeln anzunehmen! Das ist vielmehr ohne allen Zweifel nicht ge- schehen, und gerade diese Tatsache bedarf der Erklärung. 142. V. Kybal, Die Ordensregeln des hl. Franz S. 13 zieht mit Recht die Möglichkeit einer Fortentwicklung des ursprünglichen Regeltextes im Zusammenhang mit der Neubestätigung von 1215 in Betracht. Unser Quellenbestand ermöglicht aber im einzelnen keinen Einblick in diese Vorgänge. — 149 — auch das S. Damians-Kloster in Assisi treffen und zur Annahme einer approbierten Klosterregel zwingen müssen. Trotzdem hat das Kloster zunächst weiter bestanden, ohne sich auf eine andere Regel als die formula vitae des Franziskus zu verpflich- ten.'** Einige Jahre später hat es zwar vorübergehend eine andere, auf der Benediktiner-Regel beruhende Regel formell anerkannt, die der Kardinal Hugolin für die Frauenklöster Mittelitaliens ausgearbeitet hatte und auch von S. Damian be- folgt wissen wollte;'** aber trotzdem ist die frühere „Lebens- formel‘ in dem Kloster immer in Geltung geblieben. Als spä- ter alle Frauenklöster, die unter jener Regel Hugolins lebten, zur Annahme von Klosterbesitz genötigt werden sollten, ist es der hl. Klara und ihrem Kloster S. Damian gelungen, sich die- ser Verpflichtung zu entziehen, jene Regel abzuwerfen und nach langem Widerstand der Kurie die päpstliche Anerkennung einer eigenen Regel zu erwirken, die nach dem Muster der Franziskanerregel gebildet war, die wesentlichen Bestimmungen der ursprünglichen formula vitae des Franziskus für S. Damian beibehielt und damit eine ganz neuartige Form klösterlicher Frauengemeinschaften ohne Gemeinbesitz schuf.” Das alles war nur möglich, weil sich Klara und die Schwestern von S. Damian gegenüber der Kurie auf eine besondere Maßnahme Innozenz’ III. berufen konnten, die den Ordensbeschluß des Konzils von 1215, die Verpflichtung aller Klöster zur Annahme einer der alten Klosterregeln, für S. Damian unwirksam machte. Klara hatte von Innozenz III. ein Privilegium paupertatis er- halten, eine offizielle, in der Form eines echten Klosterprivilegs gehaltene Bestätigung, daß die Schwestern von S. Damian in ihrer Gemeinschaft leben durften, ohne wie andere Klöster Eigentum anzunehmen und sich damit feste Einkünfte zu sichern. Da aber alle alten, approbierten Klosterregeln und besonders 143. Für Oligers Vermutung (AFH V S. 204), Klara habe vielleicht schon 1215 infolge des Konzilsbeschlusses formell die Benediktinerregel angenommen, findet sich in den Quellen keinerlei Anhaltspunkt; sie zeigt nur, wie sehr das Verständnis der Vorgänge von der Berücksichtigung der Maßnahmen Innozenz’ abhängt. 144. S. u. S. 260. 145. Vgl. u. S. 280 f. und 283. — 10 — die Regeln für Frauenklöster auf der Voraussetzung beruhten, daß zwar die einzelnen Religiosen eigentumslos waren, die Klö- ster aber durch ihren Besitz über ausreichende Einkünfte für ihre Insassen verfügten, so war das Privilegium paupertatis für Klara zugleich eine Garantie dafür, daß S. Damian nicht zur Annahme und Befolgung einer der alten approbierten Kloster- regeln verpflichtet und gezwungen werden konnte.'‘ Wann Innozenz dieses wichtige Dokument ausgestellt hat, wissen wir nicht genau. '*' Aber es ist die wertvolle Mitteilung überliefert, daß Innozenz im vollen Bewußtsein der Neuartigkeit und Eigenart dieses Privilegs, das allen üblichen Klosterprivi- legien geradezu entgegengesetzt war, den Entwurf dieser Ur- kunde eigenhändig niedergeschrieben habe.“ Er muß sich also 146. Dieses Privilegium paupertatis für Klara und die Schwestern in S. Damian ist nur überliefert in einem alten Druck: Firmamenta trium ordinum, Paris 1512, V fol. 5a; danach bei Sabatier, Miscell. Francesc. XXIV S.14f. Die Echtheit dieser Urkunde ist oft bestritten worden, vgl. Lempp, ZKG XIII S. 239; E. Wauer, Entstehung und Ausbreitung des Klarissenordens S.2f.; L. Oliger AFH V S. 191; L. Zarncke, Anteil des Kardinals Ugolino S.23;, Wauer und Zarncke zweifeln nicht nur an der Echtheit dieser Urkunde, sondern überhaupt an der Ausstellung eines Privilegium paupertatis durch Innozenz III. Alle diese Zweifel hat P. Sabatier, Il Privilegio di Povertä; quando S. Chiara d’Assisi l’ottenne dal Sommo Pontefice? in: Miscell. Francesc. XXIV S.1—-33 über- zeugend widerlegt. L. Zarncke hat Sabatiers Beweisführung nicht gekannt. Auf Sabatiers Ergebnisse stütze ich mich im Folgenden. 147. Sabatier glaubt auf Grund der Vita S. Clarae, es sei im Mai 1216 in Perugia geschehen; ähnlich Cristofani, Storia della chiesa e chio- stro di S.Damiano, 1882, S.90f. (zwischen Anfang Juni und 16. Juli 1216). Aber die Vita ermöglicht keine genaue Zeitbestimmung; es ist auch mög- lich, daß die Erteilung des Privilegs bereits 1215 erfolgte, im gleichen Jahr, als Klara zur Äbtissin in S. Damian gemacht wurde (vgl. Oliger AFH V S..192); vielleicht hat Innozenz, wie 1210 bei der Zustimmung zu den Plänen des Franziskus, auch bei der Genehmigung des Armutsprinzips in S. Damian verlangt, daß die innere Organisation durch die Regelung der Führerfrage gesichert würde. 148. Thomas von Celano, Vita S. Clarae c. 14, AASS August II 8. 757 £.: Volens denique religionem suam intitulari titulo paupertatis, a bonae memoriae Innocentio papa tertio paupertatis privilegium postulavit. Qui vir magnificus, tanto virginis fervori congratulans, singulare dixit esse propositum, quod nunquam tale privilegium a sede apostolica fuerit po- stulatum. Et ut insolitae petitioni favor insolitus arrideret, pontifex ipse — 151 — völlig klar darüber gewesen sein, daß er durch dieses Privileg eine durchaus neue Form von klösterlichen Frauengemeinschaf- ten legitimierte, Ob nun dieses Privileg vor, während oder nach dem Konzil ausgestellt wurde, es stand jedenfalls zu der Ab- sicht des Konzilsbeschlusses in einem unverkennbaren Wider- spruch, denn es ermöglichte gerade das, was das Konzil ver- hindern wollte: die Entstehung neuer Formen religiöser Gemein- schaften, die nicht auf der Grundlage einer der alten Ordens- formen lebten.‘ Kraft dieses Privilegs hat sich die Gemein- schaft der hl. Klara als eine neue Form von Frauenklöstern gegen das Verbot des Laterankonzils durchgesetzt. Klara hat es sich von den folgenden Päpsten immer wieder bestätigen lassen,'° bis die neue Lebensform der Klarissengemeinschaften endgültig anerkannt wurde durch die Bestätigung der von Klara selbst vor ihrem Tod ausgearbeiteten Regel, in der das Armuts- gelöbnis und die ursprünglichen Weisungen des heiligen Franz für die Schwestern von S. Damian gewahrt blieben.’ Durch die Bestätigung der franziskanischen Gemeinschaft auf dem Laterankonzil und durch das Armutsprivileg für Klara und die Schwestern von Damian hat Innozenz III. bewiesen, daß cum hilaritate magna petiti privilegii primam notulam sua manu conscrip- sit; vgl. Sabatier a.a.0. S.12f. 149. Die entscheidende Formel dieses Privilegs lautet: Sicut ergo sup- plicastis, altissimae paupertatis propositum indulgentes, ut recipere pos- sessiones a nullo compelli possitis. — In der feierlichen Schutzformel am Schluß des Privilegs steht an Stelle der Worte prefatum monasterium, wie sie in entsprechenden Privilegien für Benediktinerinnen-Klöster- auftritt, hier nur die Formel: Vos et ecclesia vestra; es ist also absichtlich ver- mieden, von einem Kloster zu sprechen. 150. Vgl. auch das Testament der hl. Klara (dessen Echtheit freilich gleichfalls umstritten ist) AASS 12. Aug. II S.748 n. 43: Ad majorem cau- telam sollicita fui a domino papa Innocentio, sub cuius tempore coepimus, et ab alis successoribus suis nostram professionem sanctissimae pauper- tatis, quam et patri nostro promisimus, eorum privilegüs facere corro- borari, ne aliquo tempore ab ipsa ullatenus declinaremus.: — Die Bestäti- gung durch Honorius III. kennen wir nicht; durch Gregor IX. in der Bulle vom 17. September 1228, Sbaralea I 771; durch Innozenz IV., wie Thomas von Celano, Vita S. Clarae c. 47 (AASS Aug. II S.764) berichtet, im No- vember 1251: auch diese Bulle ist nicht. erhalten. 151. Vgl. u. S. 283. — 12 — er bis zu seinem Ende dem Grundsatz treu geblieben ist, den er bei seiner Politik gegenüber der religiösen Bewegung seit Be- ginn seines Pontifikats befolgt hatte: dem Gedanken der Wanderpredigt und der freiwilligen Armut ein Daseinsrecht und ein Wirkungsfeld in der Kirche zu schaffen, um ihre Anhänger nicht der Ketzerei verfallen zu lassen, und zu diesem Zwecke neue Formen des religiösen Lebens anzuerkennen, zu finden und zu fördern. Die neuen Gemeinschaftsbildungen seit 1200 von den Humiliaten bis zu den Franziskanern verdanken es dieser einsichtigen und besonnenen Politik des Papstes, daß sie sich als kirchlich anerkannte Verbände entwickeln konnten, und noch der Fortbestand der Genossenschaft des Franziskus und des Klosters der Klara Sciffi in S. Damian in ihren alten, selbst- gewählten Formen über das Laterankonzil hinaus ist aller Wahrscheinlichkeit nach nur durch Innozenz’ Willen gesichert worden. Denn der Ordensbeschluß des Konzils steht allerdings mit dieser Politik im Widerspruch, und man muß deshalb annehmen, daß er nicht den Absichten des Papstes entsprach, sondern gegen seinen Willen durchgesetzt wurde.'”* Wir haben keine sicheren Anhaltspunkte dafür, wer diesen Beschluß gegen die päpstliche Ordenspolitik zustande gebracht hat. Das Wahrscheinlichste ist es, daß einerseits die Bischöfe und Prälaten, deren Widerstand gegen die päpstliche Politik bei der Behandlung der religiösen Bewegung sich schon früher bemerkbar gemacht hatte,” und die überdies ihre 15la. Daß ein solcher Zwiespalt zwischen den Absichten des Papstes und den Entscheidungen des Konzils angenommen werden darf, lehrt der Bericht des Giraldus Cambrensis (Spec. Ececles. IV, 19 MG Ser. XXVII, S. 421, Opera ed. J. S. Brewer IV S. 304f., über einen Vorgang auf dem gleichen Laterankonzil: Innozenz wollte die Bestimmung durchsetzen. daß jede Bischofskirche ein Zehntel ihrer Jahreseinkünfte an die Kurie abzuführen habe; die Konzils-Mehrheit ging aber auf diesen Plan nicht ein und brachte ihn dadurch zum Scheitern. 152. Eine Opposition gegen den Franziskanerorden hat unter den Prä- laten und Kardinälen auch nach 1215 noch bestanden. Bei der Zusammen- kunft in Florenz 1217 sagte Kardinal Hugolin zu Franz: multi praelati sunt et alü, qui libenter impedirent bona tuae religionis in curia romana; — 153 — Seelsorgerechte bedroht sehen mochten, und andrerseits die alten Orden, voran die Zisterzienser, um nicht neuartige Ordensformen neben sich aufkommen zu lassen, gemeinsam die kirchenpolitischen Maßnahmen Innozenz’ während der letzten 15 Jahre durchkreuzen wollten.’ Volle Klarheit wird darüber nie zu gewinnen sein, weil fast alle Nachrichten, über die Vorgänge auf dem Konzil fehlen. Aber der Gegensatz zwi- schen dem Willen des Konzils und dem Willen Innozenz’ liegt offen zutage: nicht nur widerspricht der Konzilsbeschluß den früheren Maßnahmen des Papstes, sondern Innozenz hat auch die Stiftung des Franziskus und das Kloster S. Damian bewußt gegen die Auswirkung dieses Beschlusses gesichert. Die Ab- sicht des Konzils, die „neuartigen‘ Orden im Keim zu ersticken, noch ehe sie als rechtmäßige Orden anerkannt waren, ist da- durch vereitelt worden. Gegen den Widerstand der Prälaten hat Innozenz III. die Umgestaltung und Erneuerung der Kirche im 13. Jahrhundert angebahnt. Der Widerstand der Prälaten und des Klerus gegen die von der Kurie anerkannten apostolischen Prediger hat sich, wie früher gegen die Humiliaten und gegen die Katholischen Armen, so auch gegen die Franziskaner noch spürbar gemacht, als sie seit 1217 ihr Wirken über alle Länder hin organisierten, aber die päpstliche Protektion hat ihn dann bald gebrochen. Es ist, wenn man den Charakter und die Zusammenhänge der Armuts- bewegung kennt, nicht im Geringsten verwunderlich, daß die Franziskaner in Frankreich sowohl wie im Rheinland zunächst ego autem et alii cardinales, qui diligimus tuam religionem, libentius pro- tegimus et adiuvamus ipsam, si manseris in circuitu istius provinciae, Leg. antiqua ed. Delorme c.82 S.47; vgl. auch I Cel. 874, AF X S.55 bei der Erzählung dieser selben Zusammenkunft in Florenz: O quanti mazime in principio, cum haec agerentur, novellae plantationi ordinis insidiabantur ut perderent, die alle durch Kardinal Hugolin unschädlich gemacht wor- den seien. 153. Vgl. P. Mandonnet, St. Dominique S.50f. Auch Scheeben, Dominikus S. 176: „Dieser Beschluß mag vonseiten der Konzilsväter als Rüge (?) für Innozenz III. gemeint gewesen sein.“ Aber Scheeben glaubt, Innozenz habe die Stichhaltigkeit der Gründe, die das Konzil zum Verbot neuer Orden bestimmten, schon vorher anerkannt; diese Ansicht glaube ich als unhaltbar erwiesen zu haben. als Ketzer erscheinen mußten,'”' denn es bestand in der Tat kein wesentlicher und sichtbarer Unterschied zwischen ihrem Auftreten und dem der „ketzerischen‘ Wanderprediger. Eine Pariser Synode unter Bischof Otto hatte noch um 1207/08 allen Priestern streng verboten, ungelehrte Prediger auf Straßen und Plätzen predigen zu lassen; die Pfarrkinder sollten unter An- drohung von Strafen davor gewarnt werden, solchen Predigern zuzuhören, weil die Gefahr bestehe, daß sie Irrtümer und Ketze- reien verbreiten.” Als etwa zehn Jahre später die Franzis- kanerbrüder nach Frankreich kamen, hat man gegen diese un- gelehrten Prediger natürlich denselben Verdacht sehabt wie gegen alle anderen: man hielt sie für Albisgenser; der Bischof und die Magister von Paris, vor denen sie sich gegen diesen Verdacht rechtfertigen sollten, waren auch durch den Vorweis ihrer Regel nicht völlig zu überzeugen; sie richteten eine An- frage an die Kurie und wurden erst durch eine Bulle Hono- rius’ III. über den rechtgläubigen, kirchlichen Charakter dieser armen Wanderprediger belehrt.'‘® 154. In Italien sind Franziskus und seinen Gefährten zwar oft als Ver- rückte oder als Betrunkene, als Gauner oder als Betrüger verspottet und beschimpft worden, aber niemals, so viel wir wissen, als Ketzer; die Legende des Anonymus Perus. $ 17 (ähnlich Leg. 3 Soc. $ 35) bemerkt, die ersten sechs Brüder in Assisi seien von Verwandten und Mitbürgern schlecht behandelt und verlacht worden, quwia eo tempore nullus invenie- batur, qui omnmia sua relinqueret et iret petendo elemosinam hostiatim; demnach läßt sich auch die Bekehrung des Franziskus schwerlich auf das Vorbild oder den unmittelbaren Einfluß anderer Wanderprediger oder Waldenser zurückzuführen. 155. Mansi XXII 8.683 $S 41: Item districte prohibetur sacerdotibus, ne permittant predicare aliquos ignaros sive illiteratos etiam extra eccle- siam sive in vüs sive in plateis sive in alüs locis parrochie sue, et sepe de dominicis diebus sacerdotes moneant et etiam sub pena exzcommuni- cationis inhibeant parochianis suis, ne tales audiant propter pericula here- sum et errorum quos seminant. —.Zur Datierung (nicht 1197, sondern 1207/8) s. Theloe S. 173. 156. Jordanus, Chron. c. 4 (ed. H. Boehmer S.4): Fratres vero, qui in Franciam venerunt, interogati si essent Ambigenses, responderunt quod sic, non intelligentes quid essent Ambigenses, nescientes tales esse hereticos, et sic quasi heretici sunt reputati. Episcopus vero et magistri Parisienses tandem eorum regulam perlegentes et evangelicam et catho- — 15 — Noch schlimmer ist es den Franziskanern bei ihrem ersten Missionsversuch in Deutschland im Jahre 1219 ergangen. Ähn- lich wie in Frankreich haben sie sich mit ihren mangelhaften Sprachkenntnissen gegen den Häresieverdacht nicht zu verteidi- gen gewußt; sie wurden gefangen gesetzt und gezüchtigt und mußten schließlich froh sein, daß sie wenigstens nach Italien zurückkehren konnten, ohne etwas ausgerichtet zu haben.'” Aber auch als sie, besser vorbereitet und unter Führung deut- scher Brüder, zwei Jahre später mit größerem Erfolg nach Deutschland zurückkamen, sind sie vom Kölner Klerus — eben- so wie die Dominikaner — wieder als Ketzer verdächtigt wor- den; man glaubte jene ,„Pseudopropheten”, jenes „irrende Volk“ in ihnen zu sehen, vor dem ein halbes Jahrhundert vorher Hildegard von Bingen durch Wort und Schrift den Kölner Klerus gewarnt hatte.“ Und in der Tat trafen alle Merkmale, licam widentes super hoc dominum papam Honorium consuluerunt; qui eorum regulam autenticam utpote a sede apostolica confirmatam et fra- tres speciales filios Romane ecclesie et vere catholicos suis litteris declara- vit et sic eos a suspicione heresis liberavit. Gegen die übliche Annahme, es handle sich dabei um die Mission von 1219, sucht A. Callebaut, AFH XIX S.530 ff. zu beweisen, daß sich diese Vorfälle schon im Sommer 1217 ereignet haben; sein Beweis scheint mir jedoch nicht ganz über- zeugend; wahrscheinlich ist doch die Bulle Honorius’ III. vom 29. Mai 1220 (Sbaralea I S.5; Chartular. Univ. Paris. I S.95£. n. 37; vgl. o. S. 143) die Antwort auf die Anfrage des Pariser Bischofs, die nicht drei Jahre vorher erfolgt sein kann. 157. Jordanus c. 5 S.5f.; ungefähr 60 Brüder zogen nach Deutschland, verstanden aber die Sprache nicht und beantworteten alle Fragen mit Ja. Unde accidit, ut interrogati, si essent heretici et si ad hoc venissent, ut Teutoniam inficerent sicut et Lombardiam pervertissent, et respondissent „Ja“, quidam ex ipsis plagati, quidam incarcerati et quidam denudati nudi ad choream sunt ducti et spectaculum ludecre hominibus sunt effecti; vg\. Anon. Perus. $ 44 S. 47 und Leg. 3 Soc. $ 62 S. 108. 158. Caesarius von Heisterbach, Vita Engelberti I, 7 AASS Nov. IIl 8.650: Cum venissent Coloniam fratres de novo ordine Predicatorum et fratres qui dicuntur Minores, et graves eis essent quidam ex clero eisque coram archiepiscopo Engelberto diversa obicerent illos accusando, respon- dit: Quam diu res in bono statu est, stare sinite! Cumque instarent tam priores quam plebani et dicerent: Timemus ne isti sint illi, de quibus spiri- tus sanctus per os beate Hildegardis prophetavit, per quos clerus afflige- tur et civitas periclitabitur!, verbum notabile respondit: Si divinitus pro- — 156 — die Hildegard für den künftigen populus errans prophezeit hatte,'°° bis in alle Einzelheiten verblüffend auf die Bettelorden zu — nur mit dem Unterschied, daß sich inzwischen in der Lei- tung der Kirche die entscheidende Wendung vollzogen hatte, die eine andere Scheidung zwischen Irrtum und katholischem Glauben traf als die Vertreter des hierarchischen Gedankens im 12. Jahrhundert. Als um die Mitte des 13, Jahrhunderts Wil- helm von St. Amour vom Standpunkt der alten hierarchischen Idee aus und mit denselben Argumenten, mit denen früher auch die Kurie gegen die religiöse Armutsbewegung gekämpft hatte, die Bettelorden noch einmal als die „Pseudoapostel‘ der letz- ten Zeiten, als die Vorläufer des Antichrist entlarven wollte, da wurde er selbst als Ketzer verurteilt: die „Ketzerei” hat einen anderen Sinn und Gehalt bekommen, seit die Kirche eine andere Struktur erhielt, seit die Hierarchie und die religiöse Bewegung nicht mehr gegeneinander standen, sondern sich zu einem neuen Ganzen zusammengefügt hatten,!® phetatum est, necesse est, ut impleatur. Quo verbo compescuit omnes. — Vgl. J. Greven, Bonner Zeitschr. f. Theol. und Seelsorge II S. 37 ff. 159. Vgl. o. S. 25 Anm. 22. 160. Die weitere Ausgestaltung der Franziskaner zum Orden verfolge ich hier ebens wenig wie die Ordensbildung des Dominikus. Die Voraus- setzungen dieser Ordensentwicklung scheinen mir durch die vorausgehen- den Untersuchungen geklärt. Es käme bei einer weiteren Darstellung der Ordensgeschichte hauptsächlich auf zwei Punkte an: die Einfügung der Bettelorden in die hierarchische Kirchenverfassung durch Privilegierun- gen und Exemptionen; und die Ausbreitung ihrer Organisation über die Länder durch die Begründung von Konventen und die Provinzial-Eintei- lung. In den vorliegenden Untersuchungen aber ist es nicht auf die Ge- schichte der Orden abgesehen, sondern auf die Wandlung im Verhältnis zwischen Kirche und religiöser Bewegung, und diese Wandlung ist im Wesentlichen, was die Bettelorden betrifft, abgeschlossen, seit In- nozenz III. die Entfaltungsmöglichkeit für die religiöse Bewegung innerhalb der Kirche geschaffen hat: im 12. Jahrhundert stand die hier- archische Kirche in Abwehr gegen die gesamte religiöse Bewegung ein- schließlich der Ketzerei, im 13. Jahrhundert kämpft die Kirche gemeinsam mit der orthodoxen religiösen Bewegung (Bettelorden) gegen die Ketzerei. Il. Die soziale Herkunft der Humiliaten, Waldenser und Franziskaner. Um das Mißverständnis zu beseitigen, die religiöse Armuts- bewegung sei aus den untersten sozialen Schichten, aus dürfti- gen Handwerkerkreisen oder aus dem „städtischen Proletariat' hervorgegangen, sei also eine „soziale Bewegung”, aus wirt- schaftlicher Not geboren und gegen die höheren Stände gerich- tet, prüfen wir im folgenden die Zeugnisse für die soziale Her- kunft der Humiliaten, Waldenser und Franziskaner in den ersten Zeiten dieser Genossenschaften, Die Humiliaten selbst führten im 15. Jahrhundert die Ent- stehung ihres Ordens auf lombardischen Adel zurück, der schon im Anfang des 12. Jahrhunderts diese Gemeinschaften begrün- det und bei ihnen die Wollbearbeitung eingeführt habe. Diese Überlieferung ist durch die kritische Forschung widerlegt! und durch die Behauptung ersetzt worden, die Humiliaten-Bewegung sei (um 1150) entstanden in den untersten sozialen Schichten als Reaktion gegen ihre wirtschaftliche Bedrängnis. Für das niederste Proletariat, das durch das Aufkommen kapitalistischer Betriebsformen in ein elendes, gedrücktes und hilfloses Dasein wirtschaftlicher Abhängigkeit gesunken war, habe der Zu- sammenschluß zu einer religiösen Genossenschaft den einzigen Ausweg aus seiner Lage dargestellt, gleichsam die einzige Form, in der es „streiken‘ konnte. Die Arbeiterschaft der lombardi- schen Wollindustrie habe sich durch die Bildung religiös-wirt- schaftlicher Genossenschaften nicht nur gegen die Bedrückung und Ausbeutung durch die Unternehmer gewehrt, sondern sei durch diesen Zusammenschluß auch selbst wirtschaftskräftig geworden und nach wenigen Jahren in die Reihe der kapitalisti- schen Unternehmungen eingerückt. 1. Vor Zanoni schon A. de Stefano, Le origini dell ’ordine degli Umiliati; Rivista storico-critica delle scienze teologiche II, 1906. — 18 — Diese Anschauungen,” die im Sinne der materialistischen Geschichtsauffassung die geistigen und religiösen Bewegungen als Folgeerscheinungen sozialer und wirtschaftlicher Vorgänge verstehen wollen, beruhen auf folgender Überlegung. Die Humi- liaten sind von Anfang an in der Wollindustrie tätig; sie treten zur gleichen Zeit hervor, als sich die Wollfabrikation Ober- italiens von handwerklichen zu kapitalistischen Formen ent- wickelt, als sich die Spaltung in Unternehmer und Arbeiter, in Kapitalisten und Proletariat vollzieht, Die Humiliaten sind eine Reaktion gegen diese Entwicklung, und es ist klar (!), daß sie zum größten Teil nicht zu den kapitalistischen Unternehmern, sondern zu den proletarischen Arbeitern gehörten” Aus viel jüngeren Quellen entwirft Zanoni ein Bild von der Lage dieses Proletariats,* dem der wirtschaftliche Zusammenschluß zur Er- leichterung seiner Lage verboten gewesen sei und nur der Aus- weg offen gestanden habe, in religiösen Gemeinschaften eigene Produktion zu betreiben.” — Dagegen ist erstens zu bedenken, daß in der Zeit, als die Entwicklung zum Kapitalismus und damit die Aufspaltung in Unternehmer und Arbeiter in der norditalienischen Wollfabrikation begann — worüber wir sehr wenig wissen —, noch keineswegs alle ander Wollfabrikation Be- 2. Zanonis Behauptungen werden in der Civiltä Cattolica LXII, 1911, II S.443 folgendermaßen zusammengefaßt: „Gli Umiliati sono dunque dei proletari che si redimono dalla servitü propria dei laborantes sudanti alle merc® dei mercatores; che trovano nel Vangelo la dottrina della povertä laboriosa abbracciata per amore e proposito, e non hanno bisogno di farsi umilie poveri, perch® giä lo sono“. Zanoni selbst sagt S.108 über die Humiliaten: „Prendono una rivincitä su quella societä che sprezza i lavori minuti e che le venera appena ab- biano vestito un abito di religione“. 3. Zanoni S. 157. 4. Trotz Zanonis Versicherung darf man die Angaben späterer Quellen keinesfalls ohne weiteres auf die Anfangszeiten der kapitalisti- schen Betriebsform übertragen, über die es fast keine Zeugnisse gibt. 5. Der einzige quellenmäßige Beleg für diese Konstruktion ist der Hinweis auf eine Predigt des Dominikaners Humbertde Romanisin der Mitte des 13. Jahrhunderts (!), der über die Humiliaten sagt: humilem vitam laborantium ducunt; Zanoni meint, laborantes sei damals der übliche Ausdruck für die untersten Industriearbeiter gewesen. Aber selbst dann beweist dieses Zeugnis gar nichts für seine These. — 159 ° — teiligten entweder zu den Unternehmern oder zu den Arbeitern gehören mußten; Leute, die in den älteren handwerklichen For- men produzierten, kann und muß es noch lange Zeit daneben gegeben haben, und gerade solche Leute konnten in den An- fängen kapitalistischer Entwicklung viel eher gegen die neuen Betriebsformen ankämpfen als die wirtschaftlich ohnmächtigen Arbeiter. Zweitens aber hat der Protest gegen die kapitalisti- sche Entwicklung in der Form, wie die Humiliaten ihn verwirk- lichten, keinen Sinn bei Leuten aus dem besitzlosen Proletariat. Die Humiliaten bekannten sich schon 1179 zum Tragen ein- facher Kleidung aus ungefärbten Stoffen; ihr Propositum von 1201 bestimmt ausdrücklich über ihre Kleidung: Vestimenta nec nimium nitida nec plurimum debent esse abjecta, sed talia in quibus nihil irreligiosum possit notari, quia nec affectate sor- des (!) nec exquisite munditie conveniunt Christiano. Das ist gewiß ein Protest gegen den um sich greifenden Luxus der Kleidermoden,' aber ein religiös begründeter Protest, der als ein verpflichtendes Bekenntnis zu christlich einfacher Kleidung keinesfalls von einem mittellosen Proletariat erhoben werden konnte, das sich andere Kleidung ohnehin nicht hätte leisten können. Vollends aber entspricht die Lebensform zu der die Humiliaten sich verpflichteten, in keiner Weise den ökonomi- schen Zwecken, die ihr in jener Auffassung unterstellt werden. Wenn Zanoni meint (S. 169), die unermüdliche Arbeit der Hu- miliaten bei sparsam enthaltsamer Lebensweise mußte die rasche Anhäufung mobilen Kapitals zur Folge haben — so über- sieht er, daß andere Bestimmungen der Humiliaten-Regel und des Propositum eine Anhäufung von Kapital geradezu verbieten und unmöglich machen sollten. Die Regel verlangt, daß die Mitglieder des dritten Ordens alles „unrecht erworbene Gut” zurückgeben — die allgemeine Parole der religiösen Bewegung dieser Zeit!’ — und allen Überschuß aus ihren Einkünften den Armen geben;” und ebenso verpflichtet das Propositum dazu, Chron. anon. Laudun. ed. Cartellieri-Stechele S. 29. Zanoni S. 154. S. u. 8.19%. Zanoni S.354: pro posse suo injuste habita reddentes... super- flua etiam pauperibus distribuant. omnp» — 160 — alle den eigenen Bedarf überschreitenden Einkünfte als Al- mosen zu geben.'" Die Humiliaten hätten sich zu solchen Grundsätzen nicht bekennen können, wenn es Zweck und Ab- sicht ihres Verbandes gewesen wäre, aus armen Proletariern zu reichen Unternehmern zu werden; ganz abgesehen von den Ver- pflichtungen zu kanonischem Gebet, zum Fasten an zwei Wochentagen, von dem Drang zur Predigt in ihren Gemeinde- versammlungen, um dessentwillen sie es sogar über sich hatten ergehen lassen, als Ketzer aus der Kirche ausgestoßen und ver- folgt zu werden. Schon seit den siebziger Jahren des 12. Jahrhunderts schlossen sich Kleriker den Humiliaten an, und schon in früher Zeit auch Reiche und Vornehme.'' Nach der Humiliatenchronik des fr. Marcus Bossius!? gingen schon 1199 zwecks Approbation der Statuten mit Guido de Porta orientali guidam alii nobiles ex civitate Mediolani nach Rom. Jakob von Vitry bezeichnet übrigens schon 1216 die Humiliaten, Kleriker wie Laien, als fere omnes litterati. Diese Zeugnisse sind unvereinbar mit der Behauptung, die Humiliaten seien aus dem untersten Proletariat als wirtschaft- licher Zweckverband mit religiöser Verbrämung entstanden. Den Zuzug klerikaler, adliger, reicher und gebildeter Elemente zu den Humiliaten motiviert auch Zanoni aus der werbenden Kraft der religiösen Ideen, die sich die Humiliaten zu eigen ge- macht hätten, und auch er sieht sich deshalb gelegentlich ver- 10. Tiraboschi II S.131f.: De his autem fructibus et proventibus, qui remanent apud vos, eleemosynas debetis facere; ac totum quod a vestris justis ac necessarüs sumptibus superabundavit, pauperibus erogate. 11. Vgl.0.S.77; Jakob von Vitry, Hist. orient. et oceid. II, 28 S. 336: Fac- tum est, quod multosnobilesetpotentes cives, matronas etiam et virgines predicatione sua ad dominum converterent, quorum quidam seculo penitus renuntiantes ad eorum religionem transierunt, alü autem in seculo corporaliter remanentes, licet cum filüs et uxoribus remanserint, humiliati et a mundi negotiationibus abstracti (!) in habitu religioso et sobrietate victus et operibus misericordie permanentes utuntur hoc seculo ..velut non utentes. Sed et sacerdotes et clerici fallacibus huius seculi renunciantes delitüs assumpto paupertatis habitu regulari predictis Hu- miliatis sociantur. 12. Verfaßt 1493; Zanoni S. 351. — 161 — anlaßt, im Widerspruch mit seiner Hauptthese, die religiöse Frage als tiefste Wurzel der Humiliatenbewegung zu bezeich- nen.'” In Wirklichkeit wissen wir allerdings, daß reiche Bürger, Adlige, Geistliche und Frauen zu den Humiliatengemeinden gehörten; von der Zugehörigkeit „proletarischer”' Kreise wissen wir dagegen gar nichts. Wir kennen ihre religiösen Ziele, die ihnen auch geboten, von der Arbeit ihrer Hände zu leben, sich mit ihrem „gerechten Auskommen genügen zu lassen, keine Schätze zu sammeln, den Überfluß den Armen zu geben und kein „unrechtes Gut” zu erwerben — aber von eigentlich ökono- mischen Zwecken der Gemeinschaft hören wir nichts. Zanoni sieht eine Bestätigung seiner Auffassung des Hu- miliatenwesens darin, daß auch andere Gruppen der religiösen Armutsbewegung denselben sozialen Schichten entstammten, aus denen nach seiner Ansicht die Humiliaten hervorgingen.'* Seine Meinung, daß auch die Katharer ausschließlich den unter- sten sozialen Schichten angehörten, hat sich uns bereits früher als Irrtum erwiesen; über die Beginen wird später noch zu sprechen sein.” Von den Waldensern ist oft dasselbe behaup- tet worden.'* Aber in den Anfängen und bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts trifft die Behauptung auch bei ihnen nicht zu. Waldes selbst war ein durch Wuchergeschäfte reich geworde- ner Bürger mit beträchtlichem Landbesitz.'' Die ersten Ge- fährten, die ihm folgten, gaben ihren ganzen Besitz den Armen, um in freiwilliger Armut zu leben, waren also offenbar gleich- falls nicht unvermögende Leute gewesen.‘ Allgemeine An- 13. Z.B. S.87; dagegen S. 169. 14. Zanoni 8.3, 53f., 87, 157, 169 u. d. 15. Vgl. o. S. 29ff. und unten S. 188 ff. 16. Vgl. K. Müller, Waldenser S.6: „Männer und Frauen werden ohne Unterschied angenommen; meistens sind es Angehörige der unter- sten ärmsten Klassen‘: vgl. S. 29. Anders A. Hauck, Kirchengesch. IV S. 902 f. 17. Chron. anon. Laudun. S.20: Civis, qui per iniquitatem fenoris mul- tas sibi pecunias coaceraverat. Seinen mobilen Besitz gibt er nach seiner Bekehrung teils denen zurück, a quibus injuste habuerat, teils zur Aus- stattung seiner beiden kleinen Töchter, die er ins Kloster Fontevrault schickt, teils den Armen; die Immobilien (terrae et aquae, nemora et prata, lomus, reditus, vinae, molendina et furni) behält seine Frau. 18. 8.28: Cepit habere sui propositi consortes, qui eius eremplum — 12 — gaben über die soziale Herkunft der frühesten Waldenser feh- len; die Bezeichnung als idiotae und illitterati besagt, wie wir wissen, nichts über ihren Stand, und mehrere Zeugnisse bewei- sen, daß selbst diese Bezeichnung nicht auf alle Waldenser zu- traf. Der Führer der Waldenser, die 1199 in Metz das Ein- schreiten des Bischofs herausforderten, war ein magister pres- byter Crispinus.”” Die Waldenser, die nach der Disputation von Pamiers 1208 unter Führung des Durandus zur Kirche zurück- kehrten, waren ex magna parte clerici et pene omnes litterati, ebenso die Genossen des Bernhard Prim, die vor 1210 als „Waldenser‘‘ gewirkt hatten.” Die südfranzösischen Bischöfe klagten bei Innozenz III., daß sogar Mönche ihre Klöster ver- lassen haben, um sich den Wanderpredigern des Durandus, den „Katholischen Armen“ anzuschließen;”' und der religiösen Ge- meinschaft, die sich im Bistum Elne der Leitung der „Katholi- schen Armen‘ unterstellten, gehörten auch Kleriker an.” Wie bei den Katharern und bei den Humiliaten, so sind also auch bei den Waldensern und bei den von ihnen abgespaltenen, mit der Kirche versöhnten Wanderprediger-Verbänden neben Rei- chen, die sich zu freiwilliger Armut bekehrten, sehr stark auch Kleriker beteiligt. Der Abt Bernhard von Fontcaude hat in seinem Buch gegen die Waldenser die Frage erörtert, welche Menschen am meisten von den Waldensern verführt werden; größtenteils nennt er secuti, cuncta pauperibus largiendo paupertatis spontanee facti sunt pro- fessores. Bei Stephan von Bourbon (ed. Lecoy dela Marche S.294 f.) heißt es: Multos homines et mulieres ad idem faciendum ad se (convoca- vit), firmans eis evangelia, quos eciam per villas circumjacentes mittebat ad predicandum vilissimorum quorumcumque officiorum; was diese letzten Worte bedeuten sollen, ist mir unklar, aber schwerlich kann damit gesagt sein, die Anhänger des Waldes gehörten den untersten Schichten, den niedrigsten Berufen an; eher wohl: sie sollten auch den Angehörigen der untersten Schichten predigen. 19. Vgl. o. S. 97ff. Ep. 2, 142 MPL 214 Sp. 698f.; Innozenz III. be- merkte in seinem Brief an den Metzer Bischof selbst, die Sektierer könn- ten doch nicht illitterati sein, da sie Bibelübersetzungen lesen. 20. Ep. 11, 196 MPL 215 Sp. 1513 und Ep. 15, 137 MPL 216 Sp. 648. 21. Ep. 12, 69 MPL 216 Sp. 75. 22. Vgl. o. S. 111f.; Ep. 15, 82 MPL 216 Sp. 601. — 18 — dabei psychologische, nicht soziale Merkmale: unerfahrene, un- schuldige, einfältige, aufrichtige und schwache Menschen ver- fallen ihnen am leichtesten, voran die Frauen. Es ist bemerkens- wert, daß er zwar ein Bibelwort von der generatio, quae come- dit inopes de terra, et pauperes ex hominibus auf die Walden- ser anwendet, aber durch allegorische Interpretation geradezu die Auffassung ausschaltet, als würden Bedürftige und Arme von den Waldensern verführt: die inopes de terra soll man viel- mehr als quidam sensu tardiores, die pauperes ex hominibus als corde humiles verstehen!” Eine einzige Kategorie dieser Leicht- verführbaren ist durch ein Merkmal gekennzeichnet, das auch soziale Bedeutung hat: die Geizigen!”* Das kann nichts ande- res heißen, als daß den Waldensern oft die Bekehrung reicher Leute gelingt, und es paßt dazu, daß Bernhard von Fontcaude den Ketzern vorhält, sie besäßen vielfach mehrere Häuser zu ihrem Wohlergehen.” Alles spricht also dafür, daß die waldensischen Wander- prediger bis zum Anfang des 13. Jahrhunderts nicht, jedenfalls nicht nur aus den „untersten sozialen Schichten” stammten; wir wissen das von keinem einzigen, das Gegenteil wissen wir von vielen.” Seit der Mitte des 13, Jahrhunderts und später hat sich das freilich geändert. Da beschränkte sich nicht nur die Anhängerschaft der Waldenserprediger immer mehr auf kleine Leute, Handwerker und Bauern, sondern sie rekrutierten sich wohl auch selbst aus diesen Schichten.”” Aber diese späteren 23. Liber contra Waldenses c. 7 MPL 204 Sp. 821 ff. 24. Sp. 824: Sane et avari plerumque erigentibus culpis suis merentur seduci. 25. Sp. 836: Numquid molestum est vobis, si deus in qualibet urbe villa et castro domum habeat, ut honoretur a suis, cum multi vestrum habeant non unam, sed plures ad vestras voluntates? 26. Noch David von Augsburg (De inquis., ed. Preger S. 218) bemerkt: Siudent diligenter attrahere sibi aliquas potentes et nobiles feminas, ut per eas eciam viros vel cognatos earum sibi faciant faventes. 27. Der 1230/1 in Reims verbrannte Waldenser Ethard war Bäcker, s. Haskins, Studies in mediaeval culture S.245; ein 1235 in Chälons verurteilter Ketzer Arnolinus war Barbier, s. Alberich von Troisfontaines MG Ser. XXIII S. 937. Vgl. Frieß, Österr. Vierteljahresschrift f. kath. Theol. XI, 1872, S. 258: Schönbach, S.B. Wien 147 V, 1904, S. 120: W — 164 — Erscheinungen darf man natürlich nicht zum Verständnis des Ursprungs der Sekte heranziehen. Diese Beobachtungen über die sozialen Grundlagen der Armutsbewegung, über die soziale Herkunft der Wanderpredi- ger erhalten nun vollends ihre Bestätigung durch die entspre- chenden Feststellungen über die ersten Franziskaner. Auch im Franziskanertum hat man immer wieder eine religiöse Aktion der untersten Volksschichten sehen wollen, ohne sich um den wirklichen Tatbestand viel zu kümmern.” Wie Franziskus selbst, so kam auch der erste Gefährte, der sich ihm anschloß, Bern- hard von Quintavalle, aus genau demselben Milieu wie Waldes: ein reicher Kaufmann aus angesehener Familie, de nobilioribus, ditioribus et prudentioribus der Stadt Assisi.” Als nächster Gefährte folgte Petrus Cattaneo, vir litteratus et nobilis, der in Bologna die Rechte studiert hatte? und vielleich Kanoniker an der Kathedralkirche in Assisi gewesen war. Zu den 12 ersten Brüdern, die 1210 in Rom waren, gehörte außerdem ein alter Priester Silvester” und zwei Adlige;’” die Herkunft der übrigen ist unbekannt.” In diesem ältesten franziskanischen Prediger- bund sind also, soweit wir Bescheid wissen, ganz dieselben Gesellschaftsschichten vertreten, die sich überall als Träger der Wattenbach, Sitz.-B. d. Akad. Berlin 1886 S.51 über die Inquisition unter den Waldensern im Bistum Kammin 1393/94. 28. Untersuchungen über die soziale Herkunft der Franziskaner im 13. Jahrh. sind mir nicht bekannt. 29. Vita in AF II S. 35; vgl. I Cel. $ 24: Franciscus de tanti viri ad- ventu et comversione gavisus est; Leg. 3 Soc. ce. 29: qui erat dives valde; vgl. A. Fortini, Nova vita di San Francesco S.168f., 177. 30. Vgl. Jordanus, Chron. ed. H. Boehmer S.9 und 12; Saba- tier, Spec. perf. ed. 1898 S.71f.u.112; AFIII S.4; Fortini 8.169 u. 178. 31. II Cel. e. 75; Bonaventura III, 5; Anon. Perus. c. 12; nach For- tini 8.178 wahrscheinlich Kanoniker an der Kathedrale in Assisi. 32. Der miles Angelo Tancredi von Rieti, s. AF III S.4; Spec. perf. c. 85; Actus b. Franeisei 9, 23; und Moricus parvulus, nach Fortini 8. 178 aus der „famiglia nobile“ der Morico. 33. Fr. Illuminatus wird irrtümlich manchmal unter den 12 ersten Brüdern genannt; er war der Sohn cuwiusdam nobilis viri, hieß Accarino signore della Rocca Accarina; vgl. Sabatier, Vie S.258f.; Spec. perf. ed. 1898 S. 306f.; Lempp, Frere Elie S.173; Thomas Celan., Tract. de mirac. ec. 123 ed. d’Alencon S.407; Brief der 3 Socii. — 15 — religiösen Armutsbewegung fanden: reiche Bürger, Adlige und Geistliche. Thomas von Celano, dessen Legenden nur sehr dürftige Angaben über einzelne Brüder enthalten, bemerkt all- gemein: Ceperunt multi de populo, nobiles et ignobiles, clerici et laici, divina inspiratione compuncti ad s. Franciscum acce- dere,;”' Jakob von Vitry schrieb über die ersten Franziskaner, die er 1216 in Umbrien sah: Multi utriusque sexus, divites et seculares, .... seculum fugiebant;‘® und eine anonyme Legende läßt Franziskus vor seinen ersten sechs Gefährten prophezeien, daß non post multum temporis venient ad nos multi sapientes et prudentes et nobiles eruntque nobiscum und sieht diese Prophezeiung erfüllt, als anläßlich der Kanonisation des Heili- gen multi magni viri et nobiles relictis omnibus ad dominum sunt conversi.‘® Durchsucht man die Quellen zur ältesten Fran- ziskanergeschichte nach Angaben über die Herkunft der Brü- der, so findet man in der Tat alle Stände vertreten, Adlige” und Kleriker,”* Gelehrte (besonders Juristen)” und reiche 34. I Cel. c. 15 $ 37. 35. Jakob von Vitry, Brief von 1216 bei H. Boehmer, Analekten S.67. In der Historia oceidentalis II, 32 (ebda. S. 70; geschrieben von 1219 an, im wesentlichen auf Grund der Erfahrungen vor 1216) sagt Jakob über die Franziskaner: Multos non solum inferioris ordinis homines, sed generosos et nobiles ad mundi contemptum invitant, qui relictis oppidis et casalibus et amplis possessionibus temporales divitias in spirituales felici commercio commutantes habitum fratrum Minorum .. assumpserunt. 36. Anon. Perus n. 18 und 47, S.40 und 48: auch Bernhard von Bessa e.2 (AF III S.671): Quando ad eos declinabant divites huius mundi, reci- piebant eos alacriter et benigne, ut ipsos revocarent a malo et ad peni- tentiam provocarent. 37. Simon Tuscus, filius comitisse de Colazon, s. Jordanus, Chron. e.19, ed. Boehmer S.23; Actus b. Frane. c. 73. — Benvenutus da Gub- bio, miles, s. AF III S.189. Riccieri da Muceia, nobilis parentela, Student in Bologna, s. fr. Leonis Intentio regulae ed. Lemmens S.8; I Cel.$ 49: II Cel. $ 44a; Spec. perf. c. 2; Actus b. Franc. c. 36f. — Rufinus Seiffi, ein Verwandter Klaras, einer der 3 Socii, nobilis civis Assisi, de nobiliori- bus de Assisio, s. Actus b. Franc. c. 31, 32, 35; AF II S.46f. — Angelo da Borgo S.Sepulero, juvenis nobilis, s. Actus b. Franc. c. 29. — Masseo da Marignano, nobilis, s. Actus c. 10. — Ein giovane da San Severino, nobile di sangue, s. Fioretti c. 41. 38. Johannes qui erat clericus et sacerdos, AF III S. 186. — Caesarius von Speyer, clericus, s. Jordanus, Chron. e 9; vgl. unten S.183. — Massec — 166 — Kaufleute,** Künstler” und Handwerker.” In den Missions- gebieten der Franziskaner aber zeigt sich genau dasselbe Bild: den in Deutschland wirkenden Brüdern schloß sich ein Schnei- der Emanuel von Verona an, dann in Hildesheim ein Sohn des da San Severino, plebanus, s. Actus c. 53, 3 (vgl. AF III S.409). — Anvo- nius von Padua, aus einer adligen Familie in Lissabon (nobiliori genere progenitus), Augustiner-Chorherr in einem Stift bei Lissabon. — Gratianus, sacerdos de Romagnolae partibus oriundus; Dial. de vit. ss. fr. min. S.73. Jakob von Vitry berichtet 1220, daß sich der Prior von S. Michael in Accon, ein Magister und mehrere andere Kleriker den Franziskanern an- geschlossen hatten. Vgl. auch Leg. 3 Soc. ec. 54 und Mandonnet, Les Origines de l’Ordo de Poenitentia S. 207. 39. Johannes Parentis, der zweite Ordensgeneral, jurisperitus et judex in civitate Castellana, trat mit seinem Sohn in den Orden ein, s. AF Ill S.210; Jordanus, Chron. ce. 51. — Otto Lombardus, der 1230 erster Pro- vinzial der rheinischen Provinz wurde, jurisperitus, s. Jordanus ce. 57 S.49. — Fr. Anglicus jurisperitus, s. Jordanus c. 32 8.33. — Niccolo di Gug- lielmo dei Pepoli, juder sapiens, Actus c. 4; vgl. Sabatier, Vie S.275f. — Peregrino da Fallerone, Student in Bologna de Nobilioribus de Marchia Ancon., bene litteratus et in decretalibus eruditus s. Actus c. 36. — Jakob von Treviso und Marcus von Mailand, viri honesti et litterati, s. Jordanus c.32 8.33. — Simon Anglicus, vir scolasticus et magnus theologus, der dritte deutsche Provinzial, später Lektor in Magdeburg, s. Jordanus ce. 52 S.47. — Ambrosius Massanensis, litterarum studiüs mancipatus, divitias paupertate commutavit, cuncta quae habuit pauperibus eroganda distrazit, s. Dialogus de vitis fr. min, ed. Lemmens S.5lf. 40. Als die Brüder 1221 nach Deutschland zogen, gelang ihnen die erste Bekehrung in Trient an einem Bürger Peregrinus, vir dives, der die Brüder neu einkleidete, dann seinen Besitz verkaufte, den Erlös den Armen gab und sich den Brüdern anschloß. In Ylerda haben die Brüder einen vornehmen Bürger gewonnen, s. AF IM S.184f. 41. Fr. Paeificus, qui in seculo vocabatur rex versuum, nobilis et curialis doctor cantorum, vgl. Spec. perf. c. 59 und 100; Thomas Tuscus, MG Scr. XXII S.492; II Cel. e. 72. — Julian von Speyer, war Hofkapell- meister Ludwigs IX. in Paris gewesen. 42. Ein einziger Franziskaner der Frühzeit stammt nachweislich aus dem Handwerkerstand: Elias von Cortona, der Matratzenmacher gewesen war (suebat cultras, Salimbene MG Ser. XXXII S.96), aber zugleich die Kinder in Assisi lesen lehrte (docebat puerulos in civitate Assisü psalterium legere) und später scriptor (Notar) in Bologna geworden war (Thomas von Eceleston ed. Little S. 79), also „ein geistig aufstrebender Handwerker‘, von dem man schwerlich sagen darf: „il sortait des rangs les plus humbles de la soeiete“ (Sabatier, Vie 8.233; vgl. E. Lempp, . — 167 — Grafen von Poppenburg, der Kanoniker an der Domkirche ge- wesen war, der magister puerorum Albert und ein miles; außer- dem erwähnt Jordanus unter den in Deutschland gewonnenen Brüdern einen Hermann von Weißensee, der früher Kaplan in Eisenach gewesen, dann Deutschordensritter geworden war; einen rechtsgelehrten Priester Nikolaus de Reno, und mehrere viri probi, honesti et litterati.‘ Gleichfalls vorwiegend aus adligen, reichen, geistlichen und gebildeten Kreisen stammen die ersten englischen Franziskaner, so weit sie Thomas von Ececleston erwähnt.“ Wenn man demnach die soziale Herkunft der Franziskaner überhaupt allgemein kennzeichnen will, so muß man das Wesentliche darin suchen, daß Angehörige aus allen Ständen und Schichten unterschiedslos dem Orden beitraten, daß aber am stärksten beteiligt sind das reiche Bürgertum, der Adel und die Geistlichkeit, nicht aber die armen Schichten des Hand- werks oder gar des industriellen Proletariats. In dieser Be- ziehung unterscheidet sich die Zusammensetzung des Franzis- kanerordens in seinen Anfängen nicht wesentlich von anderen Gruppen der religiösen Armutsbewegung, weder von dem Katharertum noch von den Waldensern und Humiliaten. Frere Elie). In der ersten Zeit trat der Brüderschaft auch fr. Johannes Simplex bei, der älteste Sohn eines armen Bauern, s. Leg. antiqua ed. De- lorme c. 19 S.11; Spec. perf. c. 57. — Vgl. ferner die Bekehrung der drei latroni, Actus b. Franc. c. 29. 43. Marquard Longus de Aschenburg, Marquard Parvus aus Mainz, Konrad von Worms; Jordanus Chron. c. 34/5, 40/1, 47, 54. 44. De adventu minorum in Angliam ed. Little c. 4 S. 27: in Oxford traten multi probi bachelari et multi nobiles in den Orden; vier milites, die in London eintraten, nennt Thomas c. 2 namentlich, ebenso acht Ma. gister und mehrere Kleriker, Priester, Adlige aus London, auch den reichen Kaufmann ‚Johannes Iwyn (c. 4 S. 26), der den Brüdern das erste Grundstück zu ihrer Niederlassung in London schenkte und später selbst dem Örden beitrat, endlich den Kanzler von Oxford, Eustachius de Nor- maneville (8.64), qui prius fuerat multum nobilis et dives magister artium et decretorum. Thomas von Eccleston bemerkt (c. 10 8.55): Tales intra- bant frequenter personae, quibus videbatur de jure honorificentius pro- videndum. — Über die ersten französischen Franziskaner habe ich keine Notizen gesammelt, erinnere aber an den Magister Alexander von Hales, der 1222 in Paris in den Orden trat. — 168 — Absichtlich sind diese Feststellungen nur auf einzelne, gleichsam statistisch erfaßbare Angaben der Quellen begründet, um aus diesem sicheren Material ein richtiges Bild des Sach- verhalts zu gewinnen, das von keiner „Auffassung” abhängt. Nunmehr darf aber um so entschiedener betont werden, daß sich derselbe Tatbestand ergeben würde, wenn man aus dem Verständnis des geistigen und religiösen Gehalts der Armuts- bewegung zurückschließen wollte auf die Träger dieser Be- wegung, und daß es ein grobes Mißverständnis ihres eigent- lichen Sinns und ihrer Bedeutung ist, sie für eine Bewegung der untersten sozialen Schichten, der Armen zu halten.” Das Be- kenntnis zur freiwilligen Armut wäre verlogen gewesen, wenn die Armut aus Not ihm vorangegangen wäre; das Bekenntnis zur humilitas wäre eine leere Geste gewesen im Munde deren, die sich nicht tiefer erniedrigen konnten, als die Not sie gestellt hatte. In der religiösen Armutsbewegung aber wurden Armut und Erniedrigung als religiöser Wert erwählt und erlebt, weil sie die Überwindung und den Entschluß zum Verzicht auf die Güter und Ehren der Welt bedeuteten, eine Bekehrung forder- ten, eine Umkehr von dem einen Weg weltlichen Wohlstands und gesellschaftlichen Ansehens zu dem andern > das Evangelium wies. Das bedeutet nicht, daß wirtschaftliche und soziale Er- scheinungen gleichgültig sind für das Entstehen und den Ver- lauf der religiösen Bewegung; aber sie sind dafür in einem ganz anderen Sinne bedeutsam als man es meist geglaubt hat. Sie ist nicht eine Reaktion der Enterbten, der Verarmten, der Aus- geschlossenen gegen die führenden Schichten in Kirche, Gesell- schaft und Wirtschaft ihrer Zeit; sondern sie ist eine religiöse Reaktion in den Reihen dieser führenden Schichten selbst gegen die gesellschaftliche, wirtschaftliche, kulturelle Entwicklung. Sie strebt nicht nach „Besserung der gesellschaftlichen Verhält- 45. Vgl. auch J. C. De Haan, Tijdschrift voor Geschiedenis 42 S. 161, der gegen G. Volpes (Movimenti religiosi S. 113f.) Auffassung der Apostelbrüder Segarellis und fra Doleinos (1260—1307) als einer durch wirtschaftliche und soziale Ursachen und Tendenzen bestimmten Bewegung sowohl sehr triftige Quellenzeugnisse als auch sehr richtige grundsätzliche und methodische Einwände vorbringt. — 169 — nisse‘‘,** sondern genau nach dem Gegenteil: sie widerstrebt um der Religion willen den Verlockungen und dem Umsichgreifen weltlich-profaner Kultur und Gesinnung. Der wirtschaftliche und kulturelle Aufschwung im Klerus, im Adel und im kaufmännischen Bürgertum im Laufe des 12. Jahrhunderts, die glänzende Lebensentfaltung und die Freude an den Schätzen des irdischen Daseins, die in Klöstern und an Bischofshöfen, auf den Burgen und in den Städten die Herzen erfüllte und das Streben lenkte, gefährdete den Rang des Re- ligiösen als der höchsten und wesentlichsten Aufgabe und machte es zum bloßen Rahmen irdischer Werke und Freuden. Gegen diese Entwicklung hat sich die religiöse Bewegung ge- wendet. Das Evangelium gewann neue Kraft über die Geister, als andere Mächte seinen Anspruch auszuschalten drohten — ähnlich wie später wieder in der deutschen Reformation — und es hat seine neuen Bekenner gefunden gerade unter denen, die in die Verlockungen der weltlichen Kultur selbst verstrickt waren. Als Abkehr von dieser Kultur durch freiwillige Armut und freiwillige Niedrigkeit hat sich deshalb diese Rückwendung zum Religiösen geäußert. Arm zu sein und von der Welt ver- achtet, das schien deshalb auf einmal die wesentlichste Forde- rung des Evangeliums in einer Welt, die in einem bisher uner- hörten Maße der Freude an irdischem Reichtum und Ansehen zu verfallen drohte. Und diese Forderung wie einst die Apostel unermüdlich in aller Welt zu predigen, das galt deshalb von nun an als die höchste Aufgabe jedes „guten Christen‘, 46. Fr. Glaser, Die Franziskanische Bewegung, 1%03. IV. Die Anfänge der religiösen Frauenbewegung. Innozenz IIl., der der religiösen Bewegung die Möglichkeit zum Anschluß an die Kirche, zum Wirken im Rahmen der katholischen Hierarchie eröffnet hatte, ist am 16. Juli 1216 in Perugia gestorben. Am Tag darauf erschien an der Kurie ein Mann, der vom Papst nicht nur die Weihe zum Bischof von Accon hatte erhalten wollen, sondern auch ein Anliegen hatte, das nicht ihn selbst, sondern die religiösse Bewegung in Flan- dern, Frankreich und Deutschland betraf: Jakob von Vitry. Da schon am 18. Juli die Wahl und sechs Tage später die Krönung Honorius’ III. erfolgte, so konnte Jakob nach einem kurzen Auf- enthalt in Perugia seine Wünsche von dem neuen Papst erfüllt sehen. Am 31. Juli wurde er zum Bischof geweiht, und in der- selben Zeit erwirkte er für die „frommen Frauen im Bistum Lüttich und in ganz Frankreich und Deutschland“ die päpstliche Erlaubnis, in Gemeinschaftshäusern zusammenzuwohnen und einander durch gegenseitige „Ermahnungen“ im rechten Tun zu bestärken;! das heißt: klösterliche Frauengemeinschaften ohne Anschluß an einen bestehenden Orden und ohne Annahme einer approbierten Klosterregel zu bilden und Erbauungspredigten oder Exhorten in diesen Gemeinschaften zu halten. Honorius scheint diese Erlaubnis nur mündlich gegeben zu haben, ohne ihr weitere Weisungen beizufügen; bekannt ist sie nur aus der brieflichen Mitteilung Jakobs von Vitry. 1. Brief Jakobs von Vitry an seine Freunde in Flandern vom Ok- tober 1216 bei H. Boehmer, Analekten S.66: Inpetravi, ut liceret mu- lieribus religiosis non solum in episcopatu Leodiensi, sed tam in regno quam in imperio, in eadem domo simul manere et sese invicem mutuis exhortationibus ad bonum invitare. — Regnum und imperium verstehen hier auch Greven und Hauck als Frankreich und Deutschland. Über die Adressaten von Jakobs Brief s. J. Greven, Anfänge der Beginen S. 138. — 11 — Damit waren zum ersten Male Erscheinungsformen der religiösen Bewegung an die Kurie herangetreten, mit denen sie sich bis dahin nicht befaßt hatte. Alle Maßnahmen und Ent- scheidungen Innozenz’ III. gegenüber der Armutsbewegung, der Wanderpredigt und der Ketzerei hatten fast ausschließlich den romanischen Ländern gegolten, und immer in erster Linie männ- lichen Predigerverbänden, denen nur als Begleiterscheinung bei der Wanderpredigt und in den Gesinnungsgemeinschaften auch religiöse Frauen zugehörten. Jetzt aber suchten religiöse Frauengemeinschaften aus deutschen und nordfranzösischen Gebieten, aus dem Bistum Lüttich, um die Anerkennung der Kurie nach. Während sich im Süden, in Italien, Südfrankreich und Spanien, die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Ketzerei und die Bildung neuer kirchlich approbierter Prediger- genossenschaften vollzogen hatte, entwickelte sich vom Norden her die religiöse Bewegung in einer anderen Form, die sich später mit der vom Süden ausgehenden Bettelordensbeweguns überschnitt und durchdrang und dadurch die religiöse Entwick- lung des 13. Jahrhunderts in eigenartiger Weise mitbestimmte. Jakob von Vitry, der als Vertreter dieser religiösen Frauen- bewegung in Belgien, Nordfrankreich und Deutschland an die Kurie kam,” hat wahrscheinlich als Erster die ganze Weite und Vielgestaltigkeit, aber auch den gemeinsamen Wesenszug und die einheitliche Bedeutung der religiösen Bewegungen in den verschiedenen europäischen Ländern am Anfang des 13. Jahr- hunderts gesehen und erkannt.” Er hatte jahrelang als Augu- stiner-Chorherr in der Nähe jener Maria von Oignies gelebt’ als ihr Schützling, ihr Beichtiger und ihr „Prediger“, die der Mittel- 2. Schon vor Jakob von Vitry war ein anderer Beauftragter der religiösen Frauen Belgiens auf dem Weg an die Kurie gewesen — viel- leicht um auf dem Laterankonzil zu erscheinen? — war aber unterwegs in den Alpen gestorben; vgl. Thomas von Chantimpr6, Vita Lur- gardis II c. 1; AASS 16. Juni III S. 245 (IV, 1867 S. 197): Curiam Roma- nam Joannes (von Lier) pro negotis adiens religiosarum mulierum, que per Brabantiam ab emulis turbabantur, veniens circa montes Alpium est defunctus. 3. Vgl. Ph. Funk, Jakob von Vitry, Leben und Werke, 1909; J. Greven, Anfänge der Beginen S.54 ff. — IR — punkt der religiösen Frauenkreise in Belgien war, die auch selbst einmal geplant hatte, nach Südfrankreich ins Gebiet der Albigenser zu gehen, „um Gott dort zu ehren, wo er von so vielen verlassen sei.“ Nach ihrem Tod (23. Juni 1213) schrieb Jakob die Lebensgeschichte dieser Frau, um — wie es der Bi- schof Fulko von Toulouse gewünscht hatte — das Bild der „modernen Heiligen” wirksam den südfranzösischen Ketzern entgegenhalten zu können’ Als er dann durch Italien zur Kurie reiste, zeigte sich ihm überall dasselbe Bild: er sieht, wie die Humiliaten in der Lombardei und die Franziskaner in Um- brien ganz ähnlich wie die religiösen Frauen in Belgien das Ideal der freiwilligen Armut und Keuschheit verwirklichen, wie auch sie verständnislos und böswillig oft als Ketzer verleumdet werden, obgleich sie nach seiner Überzeugung die einzigen lebendigen religiösen Kräfte in der Kirche sind, die einerseits der Ketzerei und andrerseits dem Verfall und der Erstarruns des kirchlichen Lebens Einhalt tun können. Er hat seinen Freunden in Belgien über diese Erfahrungen berichtet; er hat ohne Zweifel auch in den religiösen Kreisen Italiens von der verwandten Bewegung unter den belgischen Frauen erzählt, und er hat dadurch vielleicht mehr als irgendein anderer die einzelnen Gruppen der religiösen Bewegung aus ihrer lokalen Enge und Vereinzelung gelöst und mit dem Bewußtsein er- füllt, daß sich überall in der Kirche der gleiche Geist einer neuen Frömmigkeit regte. Jakob von Vitry hat wahrscheinlich auch Franziskus selbst gesehen und mit ihm gesprochen.° Auf dem Pfingstkapitel des folgenden Jahres beschloß die franzis- 4. Vita II, 9 AASS 23. Juni IV S. 658 (V, 1867, S. 565). 5. Der Prolog zur Vita der Maria von Oignies, AASS 23. Juni IV S.638 (V, 1867, 8.549), wendet sich an den Bischof Fulko von Toulouse und erinnert ihn an seine Äußerung bei einem Aufenthalt in Belgien: valde tibi et aliüis multis esse commodum, si contra hereticos provincie tue ea, que Deus in sanctis modernis in diebus nostris operatur, in publicum posses predicare. 6. Franziskus war in Perugia, als Innozenz III. starb und als Jakob von Vitry dort ankam, ss. Thomas de Eccleston ed. Little 8.119: Innocentius.... in cuius obitu fuit presentialiter sanctus Franciscus; vgl. A. Callebaut AFH XIX 8.545 ff. — 13 — kanische Brüderschatt, ihre Tätigkeit über die ganze christliche Welt auszuweiten; und bei der Verteilung der Missionsgebiete hat Franziskus sich selbst die nordfranzösische Provinz, die Gallia belgica vorbehalten, weil dort von frommen Menschen mehr als sonst in der Christenheit der Leib Christi verehrt werde.” Wahrscheinlich wurde Franziskus zu diesem Entschluß bestimmt durch die Kenntnis von der religiösen Bewegung unter den Frauen in Belgien, die er durch Jakob von Vitry erhalten hatte” Auch der Kardinal Hugolin, der in dieser Zeit seine Aufmerksamkeit den frommen Frauengemeinschaften Mittel- italiens, der Genossenschaft des Franziskus und dem Prediger- Verband des Dominikus zuzuwenden begann, hat damals wahr- scheinlich zuerst durch Jakob von Vitry Aufschluß über die neuen Formen der Frauenfrömmigkeit in Belgien erhalten.’ Die „religiösen Frauen", für die Jakob von Vitry 1216 die Erlaubnis Honorius’ III. erwirkte, sind von der Geschichts- forschung lange Zeit wenig beachtet worden. Erst seit man er- kannte, daß sich aus ihren Kreisen das Beginentum entwickelt hat,'” wurde ihnen einige Aufmerksamkeit zugewandt. Aber 7. Legenda antiqua ed. Delorme S. 46 c. 79: Eligo provinciam Francie, in qua est catholica gens, marime quia inter alios catholicos sancte ecclesie reverentiam magnam ezhibent corpori Christi, quod mihi plurimum gratum est. Propter quod libentius cum ilis conversabor; vgl. II Cel. ec. 152 $S 210 (AF X S. 245). „Galliam Belgicam sibi reservavit“, sagen Wadding und die Bollandisten. 8 A.Callebaut AFHXIX S.545 ff. glaubt sogar, Franz könne durch Jakob schon etwas über die Fronleichnams-Visionen der Juliane von Cor- nillon erfahren haben, die bis in das Jahr 1208 zurückreichen sollen, aber erst in den 40er Jahren zur Einführung des Fronleichnamsfestes führten. 9. Jakob hat Kardinal Hugolin schon bei seinem ersten Aufenthalt in Perugia kennen gelernt: aber erst später, bei einer Reise von Accon an die Kurie, hat er ihm die Vita der Maria von Oignies und eine Reliquie von ihr überreicht. Beides ergibt sich aus Thomas von Chantım- pres Zusätzen zu Jakobs Vita, AASS 23. Juni IV S.672 (V, 1867, S. 577f.). Callebaut nimmt irrig an, Jakob habe dem Kardinal schon 1216 die Vita gegeben. 10. J. Greven, Anfänge der Beginen, und Grevens Aufsatz im Histor. Jahrb. XXXV, 1914; eine kurze Zusammenfassung seiner For- schungsergebnisse gibt Greven in der Zeitschrift „Der Belfried‘“ I, 1916/7, S. 355 ff. Von den späteren Arbeiten über die Ursprungsgeschichte — a — sowohl die Entstehung dieser Bewegung als ihre Eigenart und ihre Auswirkung bedürfen noch gründlicher Untersuchung, ehe sich ihre Bedeutung für die religiöse Entwicklung des 13. und 14. Jahrhunderts ganz erkennen läßt. Ohne die Aufmerksamkeit der Kurie im gleichen Maße auf sich zu ziehen wie im romanischen Süden, hatte sich die reli- giöse Bewegung in den nördlichen Ländern bis zum Anfang des 13. Jahrhunderts teils in Orden und Klöstern, teils in irregulä- ren, ketzerischen Kreisen immer stärker entfaltet. Anders als in den romanischen Ländern sind hier am stärksten die Frauen von den neuen religiösen Ideen ergriffen worden; das weibliche Element steht bei der religiösen Bewegung der nördlichen Ge- biete durchaus im Vordergrund. Gleichfalls im Unterschied vom Süden haben sie sich während des 12. Jahrhunderts großen- teils in das Ordens- und Klosterleben eingefügt. Die Eigenart der nordfranzösischen Ordensgründungen am Anfang des 12. Jahrhunderts hatte dafür die Richtung gewiesen. Aus der Wanderprediger-Bewegung waren, wie wir früher sahen, nur in Nordfrankreich neue Ordensformen entstanden, während sie im Süden dem Schicksal der Ketzerei verfiel. Die für den Süden bedeutsamste Ordensbildung des 12. Jahrhunderts, die Zister- zienser, sind nicht aus der Wanderprediger-Bewegung hervor- gegangen, sondern aus den Klöstern als eine Erneuerung des benediktinischen Mönchtums; sie haben daher weder Seelsorger- aufgaben 'erfüllen noch die religiösen Frauenkreise in sich ein- beziehen wollen. Gewiß stand die zisterziensische Reform in ihren Anfängen gleichfalls unter dem Einfluß der apostolischen Ideen dieser Zeit, vor allem der Armutsidee; aber sie stellte diese Ideen völlig in den Dienst der Klosterreform. Gegen den Gedanken einer religiösen Erneuerung nach apostolischem Vor- bild und evangelischer Strenge außerhalb der Klöster, gegen die unregulierte religiöse Bewegung haben die Zisterzienser wäh- rend des ganzen 12, Jahrhunderts, von Bernhard von Clairvaux der Beginen sind besonders wichtig L.J.M.Philippen, De Begijn- hoven, 1918 (mit einer vollständigen Bibliographie über das Schrifttum zur Beginenfrage S. 435ff.) und mehrere Abhandlungen von J. van Mierlo. — 15 — bis zum Pontifikat Innozenz’ III., mit dem heftigsten Eifer ange- kämpft, und der Kurie sind sie immer das gefügigste Werkzeug zur Abwehr der religiösen Bewegung gewesen. Schon ein früher Beobachter hat die große Bedeutung der aus der Wanderprediger-Bewegung hervorgegangenen Prämon- stratenser gegenüber den monastischen Zisterziensern darin er- kannt, daß der Orden Norberts auch die religiösen Frauen in das Ordensleben einbezog.'' In der Tat zeigen die überaus zahlreichen Gründungen von Frauenklöstern des Prämonstra- tenserordens im Nordosten Frankreichs und in Deutschland bis in den Anfang des 13. Jahrhunderts,'” daß die Gründung Nor- berts dort einem Bedürfnis entgegenkam, das in den romani- schen Ländern durch keinen religiösen Orden — sondern nur durch das Ketzertum gestillt werden konnte. Der Prämonstra- tenserorden selbst hat allerdings in späterer Zeit zur Bewälti- gung dieser Aufgabe kaum mehr etwas getan, er hat sich ihr vielmehr zu entziehen versucht. Wie er seine seelsorgerlichen Ziele bald aufgab zugunsten eines rein klösterlichen Lebens nach dem Vorbild der Zisterzienser, so hat er sich auch der Zugehörigkeit von Frauen zu entledigen gesucht, zunächst in- dem er sie aus dem gemeinsamen Klosterverband der Doppel- klöster ausschied, später indem er ihnen auch die Zugehörigkeit zum Orden überhaupt verwehrte.'* Aber das Entscheidende ist, 11. Hermann von Tournai, vgl. o. S. 48. 12. Es bedarf allerdings noch genauer Untersuchungen über die Frauenklöster der Prämonstratenser, bevor sich vollkommen sichere An- gaben machen lassen. Vorläufig sei verwiesen auf J. Greven, Anfänge S.112ff.; H. Lamy, L’Abbaye de Tongerloo S.92ff.; meinen Aufsatz: Zur Geschichte der Beginen im 13. Jahrh., im Archiv f. Kulturgesch. XXI S. 315 ff., sowie auf die Klosterlisten in Haucks Kirchengeschichte, auf das Monasticon Westfaliae von Schmitz-Kallenberg, das Verzeich- nis der Stifter und Klöster Niedersachsens von H. Hoogeweg und das Hessische Klosterbuch von W. Dersch. 13. Vgl. o. S. 49; Le Paige, Bibl. Praemonstr. Ordinis S. 354f. — Wann der Beschluß gefaßt wurde, künftig keine Frauen mehr in den Orden aufzunehmen, ist nicht genau bekannt. Am 13. Mai 1198 schreibt In- nozenz III. an die Prämonstratenser-Äbte (Ep. 1, 198 MPL 214 Sp. 174): Olim in communi capitulo statuistis et postmodum sub interminatione gravis pene sepius innovastis, ut nullam de cetero in sororem recipere teneamini vel conversam, presertim cum ex hoc aliquando incommoda fueritis multa perpessi, und bestätigt diesen Beschluß. Nach Innozenz’ — 116 — daß durch die Zugehörigkeit zum Prämonstratenserorden, durch die Befolgung der Augustiner-Regel und der Prämonstratenser- gewohnheiten zum erstenmal für religiöse Frauen aller Schich- ten die Gelegenheit geboten war, in strenger Klausur, in unbe- dingter Verpflichtung zu enthaltsamem, armen, beschaulichen Leben eine Daseinsform im Sinne der die Zeit bewegenden reli- giösen Ideen zu verwirklichen. Als der Orden die Entstehung solcher Frauengemeinschaften nicht mehr förderte, als er sogar ihre Aufnahme verweigerte, wurde es erst recht deutlich, daß diese prämonstratensischen Frauenklöster keineswegs nur ein Ergebnis der Ordenspropaganda gewesen waren, sondern der Niederschlag einer starken, aus eigenem Antrieb und Bedürfnis lebendigen religiösen Frauenbewegung, die nicht erlosch, als der Orden von Premontre sich ihr verschloß, sondern immer stärker anschwoll und sich neue Formen suchte. Es braucht hier nicht noch einmal im Einzelnen dargestellt zu werden, wie sich in- folge der Weigerung der Prämonstratenser die neu entstehen- den Frauenklöster seit dem Ende des 12. Jahrhunderts großen- teils dem Zisterzienserorden anschlossen und dessen Gewohn- heiten befolgten, die nicht weniger streng als die der Prämon- stratenser waren, und wie sich endlich, als auch die Zisterzien- ser die Aufnahme weiterer Frauenklöster verweigerten,'* jene Gemeinschaften bildeten, die keinem Orden angehörten, keine bestimmte Ordensregel befolgten, aber sich in aller Strenge zu den Geboten der weiblichen Frömmigkeit in Keuschheit und Armut, Gebeten und Fasten verpflichteten.” Tod schickte der Abt Gervasius von Premontre an die Kurie, um den abermals vom Generalkapitel erneuerten Beschluß de non recipiendis sororibus auch vom neuen Papst wiederum bestätigen zu lassen, s. C.L. Hugo, Sacrae antiquitatis monumenta S.9”. Jakob von Vitry sagt in der Hist. orient. et eccident. II 22 S.324/5: Prudenter igitur licet sero in generali capitulo Premonstratenses unanimiter firmaverunt, quod femi- nas de cetero in ordine suo non essent recepturi, ohne den Zeitpunkt die- ses Kapitelsbeschlusses anzugeben. Der Beschluß mußte übrigens noch 1270 wiederholt werden und ist erst dann endgültig wirksam geworden, s. Greven, Anfänge S.116f.; vgl. das Kapitel De non recipiendis soro- ribus (D. 4 c.13) in der Fassung der Prämonstratenser-Statuten von 1290 bei Le Paige, Bibl. Praemonstrat. Ordinis S. 826. 14. Vgl. u. S. 203 ff. 15. J. Greven, Anfänge S.119ff. u. Hist. Jahrb. XXXV S.316f., wo — 11 — Nicht weniger wichtig für das Verständnis der religiösen Bewegung in den nördlichen Ländern als die von J. Greven auf- gezeigte ordensgeschichtliche Entwicklung sind aber die häre- tischen Strömungen in Nordfrankreich, Flandern und dem Rheinland, die außerhalb der Orden und Klöster verlaufen, Die Keizerei hat in diesen Gebieten während des ganzen 12, Jahr- hunderts einen wesentlich anderen Charakter als in Südfrank- reich und der Lombardei. Man hat auch dort immer wieder über Ketzer geklagt und von Zeit zu Zeit Ketzer verbrannt.” Gegen das Ende des Jahrhunderts glaubt man sogar feststellen zu können, daß die Katharer oder Patarener in Flandern be- sonders stark vertreten sind.‘ Nur ein einziges Mal erwähnt er seine Auffassung zusammenfaßt: „Ein selbständiges Beginenwesen bil- dete sich dadurch, daß die Prämonstratenser beim Ausgang des 12. Jahr- hunderts sich ihres weiblichen Ordenszweiges zu entledigen suchten, die Zisterzienser nun sofort die Frauen in neugegründeten Abteien sich an- gliederten, ohne aber die Menge der Zuströmenden fassen zu können und ohne auf die Dauer bei ihrem Entgegenkommen zu beharren. So trat das Beginenwesen an die Stelle der von den Prämonstratensern bewirkten (?) Frauenbewegung, bestand anfangs (etwa seit 1199) als Vorstufe und Not- behelf neben den Abteien der Zisterzienserinnen und schließlich (seit 1228) als selbständige Gemeinschaft, weil die Zahl jener Abteien geschlossen wurde‘. Mit Recht betont Greven gegen Hauck: „Nichts deutet bei den frommen Frauen auf ein Sichabwenden vom Klostergedanken, vielmehr zeigt sich bei ihnen allen ein so eifriges Hindrängen zu den Ordenshäusern, daß der Rahmen der bestehenden Ordensformen gesprengt wurde“. 16. Am Niederrhein sind nach den Ketzerverfolgungen von 1143/5 (s.0.8.19f.) nur noch einmal 1163 acht „Katharer“, darunter zwei Frauen, in Köln verbrannt worden, die aus Flandern gekommen waren; worin ihre Ketzerei bestand, ist unbekannt; vgl. Chron. reg. Colon. ed. Waitz S. 114; Annal. Colon. max, MG Ser. XVII S. 778; Caesarius von Heisterbach, Dial. mirac. V, 19 ed. Strange I S.298f. — Aus dem letzten Drittel des Jahrhunderts sind nur dürftige Spuren von Ketzerver- folgungen in Deutschland überliefert, ss. Theloe S.60. 17. Giraldus Cambrensis, Gemma ecclesiae I, 11 MG Ser. XXVII S. 412 (um 1197) Heretici illi nostri temporis, qui Patari seu Catari dicuntur ..scilicet in Flandrie finibus magis abundant. — Vgl. auch die besondere Ausfertigung des Ketzerdekrets von Verona 1184, die Lucius III. am 5. März 1185 an den Bischof von Arras sandte (Fredericg I S.56ff.): Fraternitatem tuam super his, que contra hereticos sunt statuta, tanto specialius reddimus certiorem, quanto tibi in episcopatu tuo laborem con tra eos majoris credimus certaminis imminere. — 18 — aber ein Chronist; daß Ketzer in Flandern, die der Erzbischof von Reims 1183 verbrennen ließ, dualistische Lehren vertreten hätten.'* Sonst wird den Ketzern immer nur die Ablehnung der Sakramente in der kirchlichen Form, vor allem der Ehe, der Kindertaufe und der Eucharistie zur Last gelegt; und besonders stark wird in diesen Gegenden immer wieder betont, daß die Ketzer ihr Wesen sub specie religionis catholicae et habitu spiri- tualis vitae treiben.'” Mehrere Vorfälle zeigen deutlich, daß auch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in diesen Gebieten Erscheinungen als Ketzerei betrachtet und verfolgt worden sind, die mit den dogmatischen und weltanschaulichen Irrlehren der südfranzösischen Ketzer gar nichts zu tun haben wollten, son- dern nur durch die religiösen und ethischen Forderungen,- die sie selbst erfüllen und von anderen, vor allem vom Klerus er- füllt sehen wollten, die Verdächtigung als Ketzer auf sich ge- lenkt haben. Schon 1145 hatte der Klerus von Lüttich einen Ketzer auf seine Bitten an die Kurie geschickt, während seine Gefährten in verschiedenen Klöstern untergebracht worden waren, bis der Papst über ihre Behandlung weiter verfügte.” Und in ähnlicher Weise haben Leute, die in Flandern und Bel- sien als Ketzer verdächtigt wurden, in den folgenden Jahr- zehnten mehrfach an die Kurie appelliert, um die häretischen Beschuldigungen des Klerus zu entkräften und ihren Willen zu kirchlicher Rechtgläubigkeit zu bekunden. Wie sich 1162 Alex- ander III. nicht entschließen konnte, die vom Reimser Erz- bischof und vom französischen König als Manichäer und Popu- likaner verdächtigten Bürger aus Flandern, die sich zu ihrer Rechtfertigung an die Kurie gewandt hatten, als Ketzer zu ver- urteilen,” so hat auch Calixt III. den Priester Lambert aus Lüttich gegen die Anklagen des Bischofs und des Klerus in Schutz genommen, die ihn der Ketzerei beschuldigten, weil er 18. Wilhelm von Nangis. Recueil XX 8.741; Fredericg I 8.50. 19. Annales Rodenses zu 1135, s. Fredericgq I S.30; Brief des Klerus von Lüttich an Lucius I. von 1145, ib. S.32; Hildegard von Bin- gen Ss. 0. $S. 25 Anm. 22. 20. Brief des Lütticher Klerus an Lueius II. bei Fredericq I 8.32f. 21. Vel. 0. S. 55f. — 1719 — — genau wie man es immer den „Ketzern‘ vorwarf — Irrlehren über die Eucharistie, über Taufe und Beichte verbreitet haben sollte, und weil seine Anhänger angeblich den Kirchenbesuch vernachlässigten und die Kommunion verschmähten. Lambert hat dagegen nicht nur an die Kurie appelliert, sondern sich auch schriftlich gegen die Vorwürfe verteidigt und erklärt, man habe ihn nur deshalb der Ketzerei bezichtigt, weil er rücksichtslos gegen die Sünden des Klerus gepredigt und weil er die Laien der Stadt Lüttich zu religiöser Einkehr und Besinnung aufge- rufen und zu frommen Sonntagsgemeinden zusammenge- schlossen hatte, die durch lebendige Verwirklichung der christ- lichen Lehre der gefährlich wachsenden Verweltlichung ent- gegenwirken sollten.” Zweifellos stand Lambert und seine Anhänger tatsächlich in keinerlei Beziehung zur eigentlichen Ketzerei. Sein Eifer galt der Reform des Klerus und der Er- neuerung des christlichen Lebens durch Befolgung der evange- lischen und apostolischen Weisungen, und gerade wegen dieser Bestrebungen war er vom Klerus und vom Bischof als Häretiker verdächtigt worden. Gewiß darf man diesen Einzelfall nicht ohne weiteres verallgemeinern; aber andere Quellen enthüllen genau dasselbe Bild. Ein kluger und mutiger Zeitgenosse, der Pariser Magister Petrus Cantor, hat gegen den Unfug der Gottesurteile, die in diesen nördlichen Ländern in einem Aus- maße wie nirgends sonst immer wieder mangels klarer und be- wußter Entscheidung und Verantwortung den häretischen Cha- rakter religiöser Erscheinungen erweisen mußten, eine groß- zügige, offene Polemik geführt,” und es kann kein Zufall sein, daß er die besten Argumente gegen die ungerechte Sinnlosig- keit dieser Gottesurteile, die nichts zu beweisen vermögen, durch Beispiele frommer Frauen in Flandern glaubt erbringen zu können, Frauen, die man nur deshalb der Ketzerei beschul- digte, weil ihnen gerüchtweise Beziehungen zu Katharern nach- gesagt wurden, oder aber weil sie den unzüchtigen Wünschen 22. Vgl. A. Fayen, L’Antigraphum Petri et les lettres concernantes Lambert de Bögue, S. 255ff.; Greven, Anfänge S. 158ff. J. van Mierlo, Verslagen en Mededeelingen 1925/6. 23. Verbum abbreviatum, MPL 205 Sp. 230; die erweiterte Fassung Sp. 545 ff. — 180 °— des Klerus widerstrebt und ihre Keuschheit hatten bewahren wollen.”* Der Entschluß, aus religiöser Überzeugung keusch zu leben, machte die Frauen häresieverdächtig, und die Probe des glühenden Eisens oder das Untertauchen im kalten Wasser gab dann den Ausschlag, ob die Verdächtigen als Ketzer verbrannt oder als Heilige verehrt wurden. Diese Beispiele bei Petrus Cantor sind weder unglaubwürdig noch können solche Fälle ganz vereinzelt gewesen sein. Hat doch auch ein Zisterzienser- Chronist um dieselbe Zeit von der Verbrennung eines Mädchens in Reims berichtet, das für eine Anhängerin der Publicani ge- halten wurde, weil sie sich von einem Kleriker nicht hatte ver- führen lassen, sondern den Verlust ihrer Keuschheit der ewi- gen Verdammnis gleichachtete — eine Gesinnung, die von ihrer „Meisterin noch überdies mit erstaunlicher Bibelkenntnis aus der Schrift gerechtfertigt wurde.” 24. Sp. 230: Quaedam matronae honestae, nolentes consentire libi- dini sacerdotum de semine Chanaan genitorum, ab eis in libro mortis scriptae sunt et accusatae ut Catharae et damnatae etiam a quodam. petente et siulto zelatore fidei christianae; dasselbe in der anderen Fassung Sp. 545: Huiusmodi sententia praeceps (Feuerprobe) data est in Flandria quondam, quando episcopi et sacerdotes et officiales principum et praelatorum quoscumque volebant de haeresi vocabant et in libro mortis scribebant. Et sic multas matronas quae eis (ut in Daniele legitur) non consentiebant, nota haeretica necabant et multos burgenses redimebant et multos innocentes cum nocentibus involvebant... Quaedam matrona dei gratia evasit et quaesivit a magistro, quid ageret de caetero prae pudore, quia notam illam contrazerat, tamen falso, absorberi vellet a terra; ma- gister miro modo consolatus est eam dicens quod sancta esse de caetero tenebatur et inter reliquias, si decederet, collocanda, quia naturam suam ignis in illam non esercuerat et Dominus in ea et per eam miraculum operatus fuerat. — Vgl. Sp. 230 und 546f. die Erzählung über eine Klaus- nerin, der niemand mehr Almosen gab, weil sie mit Katharern verkehrt haben sollte, die deshalb einen gebildeten Kleriker fragt, wie sie sich vom Verdacht der Ketzerei reinigen könne, und auf seinen Rat im Vertrauen auf ihre Unschuld sich einem Gottesurteil unterzieht; da es gegen sie aus- fällt, wird sie verbrannt. 25. Radulphus Abt von Coggeshall berichtet das, ohne den Vorfall zu kritisieren (Chron. angl., Recueil XVIII S.9%2f.); er erzählt sogar gutgläu- big, die Magistra des keuschen Mädchens habe sich der Verhandlung ent- zogen, indem sie durch das Fenster in die Luft verschwand, malignorum spirituum ministerio, ut credimus, subvecta.. Radulphus zählt aus diesem — 11 — Wie aber in diesen einzelnen Fällen religiöse Frauen aus- schließlich um ihres Bekenntnisses zum Ideal der Keuschheit willen der Ketzerei beschuldigt und verbrannt worden sind, so ist die ganze religiöse Frauenbewegung im Bistum Lüttich, ehe Jakob von Vitry ihr die Anerkennung der Kurie erwirkte, vom Diözesanklerus als Ketzerei verdächtigt worden. Eben deshalb nannte man die Frauen, die einzeln oder in Gemeinschaften in freiwilliger Armut und Keuschheit lebten, um das Evangelium zu befolgen, mit demselben Ketzernamen wie die Katharer in Südfrankreich: Beginen.”® Anlaß die ganze Liste der katharischen Ketzerlehren auf, einschließlich der Gerüchte über unterirdische Orgien; denn virginitatem predicant in operimentum sue turpitudinis. 26. Vgl. Greven, Anfänge S.70ff.; Hist. Jahrb. XXXV S.33 ff., 35f£., 44 f., 47. — J. van Mierlo, De bijnaam van Lambertus li Beges en de vroegste beteekenis van het woord Begijn (Verslagen en Mededeelingen 1925 S.424 ff.) hat deshalb auch sprachlich das Wort Begine für eine Ver- stümmlung des Wortes Albigenses gehalten, mir scheint, mit überzeugen- den Gründen, obgleich er nicht von allen Seiten Zustimmung gefunden hat (vgl. Arch. f. Kulturg. XXI S.296). Sicher ist, daß der Kölner Chronist am Anfang des 13. Jahrh. das Wort Beggini als Eigenname der Äl- bigenser anführt (Chron. reg. Colon. ed. Waitz S.185: qui Beggini dice- bantur; S.187: heresis, cuius cultores Beggini denominabantur, vgl. ebd. S.229, 233 £.), also nicht etwa die südfranzösischen Ketzer aus Analogiegründen mit einem Namen belegt, der ursprünglich eine belgisch- niederrheinische Erscheinung bezeichnete, wie L. J. M. Philippen meint (Les Beguines et l’heresie Abligeoise S.233ff.). Zweitens hat man tatsächlich die religiösen Frauen in Flandern und im Bistum Lüttich als Katharerinnen verdächtigt, indem man sie Beginen nannte. Daraus folgt wenn nicht zwingend, so zum mindesten mit großer Wahrscheinlichkeit, daß das Wort „Begine“ identisch ist mit „Albigenser‘. Vgl. auch J. van Mierlo, Öphelderingen bij de vroegste geschiedenis van het woord begijn (Versl. en Mededeel. 1931 S. 983 ff... Dagegen erbringen die neueren Bemühungen um die Etymologie des Wortes Begine von romani- stischer Seite nichts Neues und Überzeugendes zu seiner Erklärung; s. E. Gamillscheg, Z. f. roman. Philol. XL, 190, S.138f. und 382 f.; J. Brück, ib. S.690f.; L. Spitzer ib. XLI, 1921, S. 351 ff. — Daß aber schon der Lütticher Priester Lambert als Beginus (= Ketzer) bezeichnet worden und daraus später sein Beiname le Begue (= der Stotternde) ge- bildet worden sei, wie Greven und van Mierlo annehmen, ist nir- gends in den ursprünglichen Quellen bezeugt; der Beiname für Lambert scheint vielmehr erst in der Mitte des 13. Jahrhunderts ersonnen worden — 12 — Als die Frauenklöster der Prämonstratenser und der Zister- zienser nicht mehr imstande und nicht mehr willens waren, die immer stärker anwachsende religiöse Frauenbewegung in sich zu fassen, als andererseits das blinde, gehässige Vorgehen des Weltklerus gegen die Betätigung evangelischer Frömmigkeit außerhalb der Klöster, als sei es eine ketzerische Gefahr, nicht länger erträglich war, hat sich das Beginentum als neue reli- giöse Lebensform entwickelt und Schutz gesucht an der Kurie. Wie J. Greven gezeigt hat, ist die Entscheidung über die spätere Gestaltung des Beginentums wesentlich bestimmt worden durch Ereignisse in dem Städtchen Nivelles in Brabant (Diözese Lüt- tich), wo Maria von Oignies lange Zeit gewirkt hatte und eine Reihe von Ordensleuten und Klerikern, allen voran Jakob von Vitry, sich der religiösen Frauen angenommen hatten, Keines- wegs ist aber die ganze Bewegung erst von dort ausgegangen, sondern sie hatte schon seit Jahrzehnten überall in den nörd- lich-germanischen Ländern zu ähnlichen Erscheinungen und Zu- ständen geführt. Der Zudrang zu den Prämonstratenserinnen- Klöstern, später dann zu den Frauenklöstern, die sich dem Zisterzienserorden anschlossen oder nach seiner Regel lebten, ist in West- und Norddeutschland nicht weniger stark gewesen als in Nordfrankreich und Belgien.”” Seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts zeigen sich auch die außerklösterlichen Formen der weiblichen Religiosität bereits weithin über die europäischen Länder des Nordens verbreitet und sind keineswegs erst von Nivelles aus nach Deutschland und Frankreich vorgedrungen. Deshalb konnte Jakob von Vitry sich schon 1216 auch zum Für- sprecher der „frommen Frauen” in Frankreich? und Deutsch- zu sein, um eine unverfängliche Etymologie für das Wort Begine zu schatf- fen und Lambert zum Stifter des Beginentums zu erklären; vgl. Arch. f. Kulturgesch. XXI S.297 und unten S. 186. 27. Vgl. meinen Aufsatz im Archiv für Kulturgesch. XXI S.315 ff.; J. Linneborn, Die westfälischen Klöster des Zisterzienserordens S. 262ff. Auf deutschem Gebiet sind zwischen 1200 und 1250 über 150 Frauenklöster entstanden, die dem Zisterzienser-Orden eingegliedert wur- den oder seine Konstitutionen befolgten. 28. Urkundlich bezeugt finden sich die Beginen in Frankreich natür- lich erst später, als sich der Name „Beginen“ für die. frommen Frauen durchgesetzt hatte, vgl. Le Grand, Les Beguines de Paris S. 300 ff. — 183 — land machen. Der Ritter Philipp von Monmirail, der in from- mem Eifer zahlreiche Zisterzienserinnen-Klöster und Beginen- häuser stiftete, hatte Kenntnis von religiösen Männern und Frauen in allen Ländern von der Lombardei bis nach Flandern und Brabant, ja sogar in Griechenland.” Aus Deutschland kennen wir ein Beispiel von religiöser Wirksamkeit unter den Frauen aus dem Anfang des 13, Jahrhunderts, das in mehr- facher Hinsicht aufschlußreich ist. Cäsarius von Speyer hatte, ehe er Franziskaner wurde, als Weltpriester in Speyer durch seine Predigten darauf hingewirkt, daß die Frauen in demütiger Frömmigkeit auf allen weltlichen Luxus verzichten sollten. Er wollte also offenbar ähnliche Gedanken verwirklichen wie frü- her der Priester Lambert in Lüttich. Genau wie dieser ist er deswegen als Ketzer verleumdet und mit dem Feuertod bedroht worden, dem er nur durch die Fürsprache seines einflußreichen Lehrers entgehen konnte, indem er Speyer verließ.” Wir wüß- ten von dieser Episode nichts, wenn Caesarius nicht später im Franziskanerorden die Möglichkeit gefunden hätte, für das gleiche Ideal zu wirken, um dessentwillen er früher verketzert 29. Thomas von Chantimpre, Bonum univ. de apibus II, 38 (8.391): Nobilis Philippus miles de Monmirail.. totum tempus suum vel in oratione ac dewotione continua vel in sanctis collocutionibus exrpendebat; noverat enim multos valde religiose vite viros et feminas, quos in Grecie, Longobardie, Burgundie, Provincie, Gallie, Flandrie, Brabantie partibus illustraverat, quorum wirtutes, mores et verba miro cum fervore et deside- rio referebat et ad meliora per hoc mentes audientium exeitabat,.. Vir enim habuit de omnibus paternis bonis necessarium vite victum, et tamen octo monasteriorum Cisterciensis ordinis fundator ezstitit indefessus, ezceptis congregationibus bequinarum, quas usque ad quinque milia et eo amplius in diversis locis in Christi servitio mancipavit. — Stephan von Bourbon (ed. Lecoy de la Marche S.20f. $ 11) sagt über Philipp von Monmirail: multa monasteria albarum monialium in Franeia construzit, und gibt eine Geschichte von einer Begine wieder, die ihın jener erzählt hatte (s. u. S. 413). 30. Jordanus, Chron. c.9 ed. Boehmer 8.8: Cesarius.. adhuc secularis eristens magnus predicator et evangelice perfectionis imitator fuit; ad cuius predicationem dum in civitate sua matrone quedam deposito ornatu humiliter incederent, viri earum indignati ipsum quasi hereticum incendio tradere voluerunt; sed per magistrum Conradum (seinen Lehrer, später Bischof von Hildesheim) ereptus Parisius est reversus. — 184 — worden war, und wenn nicht einer seiner Ordensbrüder die Er- innerung an seine frühere Tätigkeit aufgezeichnet hätte. Über- all aber müssen um diese Zeit Versuche ähnlicher Art gemacht worden sein, die religiösen Kräfte in der Frauenwelt zu wecken und zu sammeln. Von diesen Vorgängen ist im Einzelnen nur wenig bekannt, und die Wege der gegenseitigen Beeinflussung dieser religiösen Frauenbewegung lassen sich nicht genau ver- folgen; nur die allgemeine religiöse Stimmung und die weite Verbreitung dieser Gesinnung unter den Frauen Belgiens, Nord- frankreichs, Deutschlands und sogar bis über die Alpen nach Mittelitalien hin liegt klar vor Augen. Die Schwester Hadewich, die wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts unter den Beginen in Nivelles lebte, hat nicht nur in ihren Visionen die geistig bedeutendste Gestal- tung dieser religiösen Stimmung geschaffen; sie hat auch in einer „Liste der Vollkommenen” am eindringlichsten das Be- wußtsein von den Zusammenhängen der neuen Frauenfrömmig- keit weit über die Länder hin bekundet. Unter den „Vollkom- menen” nennt sie Beginen in Flandern und Brabant, in Seeland, Holland und Friesland. Sie unterhielt aber auch Beziehungen zu einer Klausnerin, „die fern in Sachsen wohnte“, sie wurde von frommen Frauen aus Köln besucht, sie kannte gleichgesinnte Frauen und Jungfrauen „jenseits des Rheins“, in Thüringen und in Böhmen, in England und in Paris.” Auch Hadewich hat es 31. S. die Liste der Vollkommenen in Hadewichs Visionen, ed. J. van Mierlo S. 179ff. — In der Beurteilung der Persönlichkeit und der Lebensumstände der Schwester Hadewich schließe ich mich an die Untersuchungen J. van Mierlos an, der die Gleichsetzung Hadewichs mit der Brüsseler Ketzerin Bloemardinne, die Ruysbroeck wegen freigeistiger Lehren bekämpft haben soll (nach dem Zeugnis der um 1415/20 verfaßten Ruysbroeck-Vita des Pomerius), überzeugend wider- legt und gegen alle Einwände mit großer Wahrscheinlichkeit nachge- wiesen hat, daß Hadewich noch in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts lebte und schrieb, um 1180/90 geboren war, einer adligen Familie in Ant- werpen entstammte, seit ihrem 11. Lebensjahr von der religiösen Bewegung ergriffen wurde, aber nicht in ein Kloster eintrat, sondern in Nivelles, dem Mittelpunkt des Beginentums, als Leiterin einer Beginengemeinschaft eine führende Rolle in der religiös-ekstatischen Frauenbewegung gespielt hat, hochbetagt zwischen 1260 und 1269 gestorben ist und um des Rufes — 185 — noch erlebt, daß eine dieser religiösen Frauen, eine Begine, „um ihrer gerechten Minne willen“ um 1235 durch den Inquisitor Robert le Bousgre verbrannt worden ist”” — einen Mann, der auf Grund seiner einstigen Zugehörigkeit zu den Ketzern in Mailand die Ketzer schon an ihrem Reden und Gehaben glaubte erkennen zu können. Kein Wunder, daß er in diesem Wahn gerade unter der religiösen Bewegung im Nordosten Frankreichs und in Belgien, die so viele äußere Ähnlichkeit mit der Ketzerei im Süden hatte, grausames Unheil anrichtete, so daß ihn schließ- lich die Kirche selbst abberufen und strafen mußte.’ Die Bezeichnung der frommen Frauen als „Beginen” ist aber schon für Hadewich mit keinem häretischen Makel mehr behaftet, und dieser Bedeutungswandel des Wortes Begine läßt am besten erkennen, wie sehr sich in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts die Anschauungen über die religiöse Eigen- art der neuen Frauenfrömmigkeit geklärt haben. Noch um 1215 war es eine häretische Verdächtigung, wenn man die Frauen Beginen nannte, denn es war der Name der Ketzer in ihrer Heiligkeit willen in dem Zisterzienserkloster Villiers neben anderen heiligen Männern und Frauen der Zeit (darunter Juliana von Cornillon) im Jahre 1269 feierlich beigesetzt worden ist. Über van Mierlos ein- zelne Arbeiten vgl. das Literaturverzeichnis oben S. Zusammenfassung seiner Ergebnisse in der Revue d’ascötique et de mystique V, 1924, S.269 ff. und in der Einleitung zur Ausgabe der Visionen Hadewichs. Vgl. auch T.Brandsma, Wanneer schreef Hadewych hare Visioenen? in: Studia Catholica II, 1926, S. 238 ff. 32. Hadewich, Visionen (ed. J. van Mierlo I S.189) nennt in der „Liste der Vollkommenen“ unter den vor ihr verstorbenen Zeitge- nossen eine beghine, die meester Robbaert doedde om hare gherechte minne. 33. P. Fredericg, Geschiedenis der Inquisitie I S.50ff.; J.Frede- richs, Robert le Bougre, premier inquisiteur general en France, 1892; J. van Mierlo, Dietsche Warande 1921, I S.455ff.; Ch.H.Haskins, Robert le bougre and the beginnings of the inquistion in northern France, American Hist. Review VII, 1902, S. 437 ff., 631 ff. — Studies in mediaeval eulture S.193 ff. — Die durch den Inquisitor Robert getötete Begine, von der Hadewich spricht, ist wahrscheinlich die am 17. Februar 1236 in Cam- brai verbrannte Alaydis, eine ältere Frau, die in weitem Umkreis wegen ihrer Frömmigkeit berühmt gewesen war, ehe Robert sie „entlarvte“; s. Alberich von Troisfontaines, MGSer. XXIII S.937; T. Brandsma in: Studia Catholica II S. 238 ff. — 186 — Südfrankreich; aber schon seit 1223 ist in Kölner Schreinsakten unbefangen von den religiösen Frauen als Beginen die Rede; in den dreißiger Jahren beginnt auch die Urkundensprache von den Frauen zu reden, „die das Volk Beginen nennt“; und un- gefähr seit 1245 bezeichnen sich die Frauen selbst mit diesem Namen:’* die alte Bedeutung des Wortes ist vergessen,’ und der neuen Bedeutung, die man ihm unterlegt, fehlt jeder häre- tische Beigeschmack. Man kann den allgemeinen Charakter dieser von den nörd- 34. Vgl. L.J.M.Philippen, De Begijnhoven S.31f.: 1232 werden die Frauen in Löwen noch einfach als mulieres religiosae bezeichnet, 1233 in Gent als religiosae mulieres caste et sub disciplina vivere volentes, 1235 in derselben Stadt als pauperes religiosae mulieres, 1241 in Lüttich als mulieres religiosae; 1239 nennt sie der Bischof von Cambrai zuerst religio- sae mulieres quae beghinae dicuntur. — Über die gleiche Namens- entwicklung in Deutschland s. Archiv f. Kulturgesch. XXI S. 307: 1233 ist in .einer Urkunde des Bischofs von Osnabrück von femine religiose, quas sorores vocant die Rede; 1240 werden dieselben Frauen als femine, quas sorores vel beggynas vocant bezeichnet. Ebenso hat sich in den deut- schen Synodal-Statuten der Name zwischen 1233 und 1244 durchgesetzt, s. u. S. 326. — Eine Bulle Gregors IX. von 1233 spricht von den virgines continentes perpetuam deo voventes castitatem, in einer Bulle von 1235 heißen sie zuerst sorores conversae, quae Beginae vulgariter appellan- tur; diese Umschreibung haben die päpstlichen Bullen immer beibehalten; als echten Eigennamen haben sie das Wort Begine fast nie verwendet. 35. Der Chronist Matthäus Paris sagt zum Jahre 1243, die Be- deutung des Namens und die Herkunft der Beginen sei unbekannt, MGSer. XXVII 8.417: Temporibus.... sub eisdem quidam in Alemannia sub nume- rosa multitudine, mulieres precipue, habitum ei mores religiosorum sibi assumentes, Beguinos sive Beguinas sese fecerunt appellari, ratione nominis incognita et auctore penitus ignoto. Schon Gautier de Coincy sagt in einem Gedicht spätestens um 1220 (s.u.8. 378 ff.; Barbazan-Meon I S. 320 v. 1516 ff.): begin, ce dient (= dicunt), se derive | et vient a benignitate. | .. Je i sai autre derivoison: ..Begin se viennent de begon, | et de begin revient begars. Vgl. Wilhelmvon S.Amour, Opera 8.266: Beginae ideo appellantur, ut asserunt, quasi benignae, wel quasi bono igne ignitae; über ähnliche falsche Etymologien des Wortes vgl. A. Hilka, Z. f. roman. Philol. XLVII S. 165. Schon seit 1220 machte man sich also Gedanken über die Herkunft des Wortes Be- gine; weil man seine ursprüngliche Bedeutung nicht mehr kannte, suchte man ihm durch eine erdachte Etymologie eine neue Bedeutung unterzu- schieben. — 187° — lichen Ländern ausgehenden religiösen Frauenbewegung nur dann richtig erfassen, wenn man die Betrachtung nicht auf das eigentliche Beginenwesen beschränkt, das sich erst im Laufe der Zeit gegenüber anderen Formen der Frauenfrömmigkeit ein- deutig abgrenzt. Noch weniger darf man die Kenntnis des Beginentums in späterer Zeit heranziehen, um daraus auf die Eigenart der Bewegung im Anfang des 13. Jahrhunderts zurück- zuschließen. Es gilt vielmehr, den gemeinsamen Gehalt und die gleichartige Bedeutung der gesamten religiösen Frauen- bewegung dieser Zeit zu kennzeichnen, um von diesem Aus- gangspunkt her verständlich zu machen, wie sich die Bewegung durch bestimmte Maßnahmen und Entscheidungen der Kurıc, der religiösen Orden und der Frauengemeinschaften selbst zu den verschiedenen Organisationsformen ausgestaltet hat, die dann ihre selbständige Entwicklung nahmen. Mit der allgemeinen religiösen Bewegung ihrer Zeit hat die Frauenbewegung das Ziel einer christlichen Lebensgestaltung in evangeliengemäßem Sinne gemein, das sie vor allem durch freiwillife Armut und Keuschheit zu erreichen glaubt.” Von der häretischen Armutsbewegung unterscheidet sich diese Frauenfrömmigkeit hauptsächlich durch den Verzicht auf 36. Die Annales prineipum Hannoniae des Franziskaners Jakob von Guise (7 1399), die aus der Tradition des Zisterzienserinnen- Klosters Fontenelles schöpfen, beschreiben die Lebensweise der Beginen- gemeinschaften (wie sie anfangs, seit 1212, auch in Fontenelles bestand, ehe sich 1217 das Kloster daraus entwickelte): Nec regula speciali aut statutis obediencialibus, habitu approbato aut cerimoniüs regularibus minime vinciebantur, sed solum divinis preceptis et consiliüs evangelicis et juxta collationes in vitis patrum contentas, observationes grosso et rudı modo prout melius poterant innitebantur obnize, MG Ser. XXX, 1 S. 264. — Jakob von Vitry schildert in seiner Beginenpredigt (ed. Greven, Hist. Jahrb. XXXV S.46f.) die Frauenbewegung und die Entstehung des Beginentums zusammenfassend: Quedam prudentes et devote wirgines, cum in domibus parentum inter seculares et impudicas personas absque magno et gravi periculo non valeant commorari, mazime his diebus, ad monasteria confugiunt, que dominus in universo mundo multiplicavit. Que autem monasteria, in quibus recipiantur, reperire non possunt, simul in una domo vivunt ...et sub disciplina unius, que aliis honestate et pru- dentia preminet, tam moribus quam litteris instruuntur, in vigilüs et ora- tionibus, in ieiunüs et variis afflitionibus, in labore manuum et paupertate, in abjectione et humilitate. — 18 — apostolisches Wirken und auf die polemische Forderung an Klerus und Kirche, gleichermaßen die apostolischen Normen zu erfüllen, um rechtskräftig die kirchlichen Ämter verwalten zu können. Man würde aber wiederum den Sinn dieser Frauen- frömmigkeit und ihre religiösen Lebensziele völlig mißverstehen, wenn man ihre Ideale, ihr Bekenntnis zu Armut und Keuschheit als höchsten religiösen Werten nur für ein Spiegelbild und eine Verbrämung irdischer, ‘durch die Zeitverhältnisse geschaffener Nöte halten wollte. Die oft geäußerte Meinung, diese religiöse Frauenbewegung des 13. Jahrhunderts erkläre sich aus der wirtschaftlichen und sozialen Notlage der Frauen in den unte- ren, ärmeren Volksschichten”” und sei in erster Linie von sol- chen Frauen ausgegangen, die infolge des Männermangels nicht zur Ehe kommen konnten und daher eine andere „Versorgung“ suchen mußten, steht nicht nur im Widerspruch zu allen Quellenbefunden, sondern sie mißversteht auch durchaus den Sinn dieser Religiosität. In den Frauenklöstern der Prämonstratenser — der ersten Form, in die die religiöse Frauenbewegung einging — waren, wie ein Chronist summarisch meldet, Frauen aller Schichten, besonders auch aus adligen und reichen Familien, und aller Altersstufen vertreten.”® Die Zisterzienserinnen in Belgien wie in Deutschland kamen zum allergrößten Teil aus dem Adel oder aus dem städtischen Patriziat; daß sie nicht Nonnen wur- den, um dadurch „versorgt zu sein, läßt sich selbst aus den dürftigen Zeugnissen, die wir über diese Klöster haben, hin- reichend erweisen.”” Über die sozialen Motive des frühen Be- 37. Noch A. Hauck, Kirchengesch. Deutschlands V S.382 sagt über die religiös-ekstatischen Frauen im Anfang des 13. Jahrhunderts: „Sie ge- hörten den mittleren und niederen Schichten der Bevölkerung an“. 38. S. o. S. 48; Einzeluntersuchungen über die ständische Schichtung in Prämonstratenserinnen-Klöstern fehlen; doch vgl. Lamy, L’abbaye de Tongerloo. 8.100. 39. Vgl. J. Linneborn, Festgabe für H. Finke 1904 S.340 ff.; Grundmann, Archiv f. Kulturgesch. XXI S.317; Jakob von Vitry, Hist. orient. et oceid. 8S.305f. sagt über den Zustrom von Frauen zum Zisterzienserorden: Confluebant virgines, currebant viduae et mulieres conjugatae de consensu maritorum suorum carnale matrimonium in spiri- tuale commutabant... Matronae nobiles et potentes in saeculo — 189 — ginentums hat sich Jakob von Vitry ganz ähnlich geäußert wie über die Zisterzienserinnen; er habe, betont er, viele Frauen darunter gesehen, die den Reichtum ihrer Eltern verschmäht und die Ehe mit vermögenden und vornehmen Männern ausge- schlagen hatten, um in Armut, von der Arbeit ihrer Hände lebend, dürftig in Nahrung und Kleidung, sich ganz ihren reli- giösen Zielen zu widmen.’ Soweit sich die sozialen Verhält- nisse der religiösen Frauen in der Zeit des frühesten Beginen- tums im Einzelnen feststellen lassen, kann in der Tat kein Zwei- fel bestehen, daß nicht der Mangel an Vermögen, sondern die Flucht vor dem Reichtum ihren Entschluß zu freiwilliger Armut bestimmt hat, und daß ihnen nicht die Möglichkeit der Ver- heiratung, sondern der Wille zur Ehe fehlte. Marie von Oignies selbst, Vorbild und Mittelpunkt der Frauenfrömmigkeit im Bistum Lüttich um 1200, war ein Kind wohlhabender und ange- sehener Eltern bürgerlichen Standes, und sie war seit ihrem 14. Jahre verheiratet. Aber sie hat gemeinsam mit ihrem Gatten auf die Ehe verzichtet und ihr Vermögen den Armen geschenkt, um zunächst, genau wie später Franziskus, im Dienst an den Leprosen Ernst zu machen mit den Forderungen des Evange- liums und auch andere zu einem religiösen Leben zu bekehren. relictis haereditatibus terrenis et immensis possessionibus praeeligebant abiectae esse in domo domini magis quam habitare in tabernaculis pecca- torum. Illustris prosapiae virgines oblata matrimonia contemnentes relic- tis ingenuis parentibus et blandientis saeculi deliciis projectis ornamentis et vestibus pretiosis Christo sponso virginum jungebantur in paupertate et humilitate et vwitae durioris asperitate domino devotissime servientes temporales divitias et fallaces delicias pro spiritualibus sapienter permu- tantes. — Auch in dem „Leven van Sinte Lutgard“ werden die Zisterzien- serinnen in Aywieres meist als edele nonne, edele nonne wel geboren usw. bezeichnet werden (ed. Veerdeghem v. 3775, 4980 ff., 10581 ff., 5353 usw.). In den Zisterzienserinnen-Klöstern Süddeutschlands leben gleichfalls fast lauter Adlige, ss. Bruschius. Monast. Germ. cent. I S.101 über Pircken- feld, S.144 über Schlüsselau, S. 112 über Wasserschaffen-Heiligen Kreuz- tal, S. 36f. über Himmelkron im Vogtland. 40. Hist. Jahrb. XXXV S.47: Multas enim vidimus, que divicias paren- tum contempnentes et maritos nobiles ac potentes sibi oblatos respuentes in magna et leta paupertate viventes nichil aliud habebant nisi quod nendo et manibus propriüs laborando acquirere valebant, vilibus indumentis et cibo modico contente. — 190 — Später lebte sie in einer Zelle bei dem Chorherrnstift Oignies in evangelischer Armut als geistiger Mittelpunkt einer frommen Schwesterngemeinschaft." Genau wie sie haben aber während der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts auch viele andere Frauen sich von ihren Ehegatten, die dann in einen Orden eintraten, getrennt, um sich einer Beginengemeinschaft oder späterhin einem jener Dominikanerinnenklöster anzuschließen, zu denen sich besonders in Süddeutschland die Beginenvereinigungen fortbildeten. Jakob von Vitry erwähnt solche Fälle im Allgemeinen schon bei seiner Schilderung der Zisterzienserinnen (s. 0. S.188 Anm. 39), ebenso bei der Beschreibung der Beginenbewegung im Prolog zur Vita der Maria von Oignies (AASS Juni IV S. 637): Multe ex maritorum consensu a licitis amplezibus abstinentes. celibem et vere angelicam vitam ducentes, tanto maiori corona digne sunt, quanto in igne posite non arserunt. Aus den ältesten süddeutschen Dominikanerinnen-Klöstern, vielfach noch aus ihrem „beginenartigen“ Anfängen, sind viele Einzelfälle die- ser Art bekannt: In Engelthal lebte Adelheid von Trochau, deren Mann in den Deutschen Orden eingetreten war (Büchlein, ed. Schröder S.14). In Unterlinden trat als eine der ersten um 1232 Benedikte von Mühlhausen (nobilis juvencula; voluptatibus et delicüs huius seculi habundavit) mit ihrer kleinen Schwester ein, deren Mann (vir nobilis atque miles) Zisterzienser wurde (Vitae sororum ed. Ancelet- Hustache S. 347ff.), ferner Adelheid von Rheinfelden (in seculo multis divicüs et honoribus redundabat; nobili prosapia orta,; ex divi- ciarum suarum habundancüs pauperum sororum inopiam in primevo tempore largissime supplevit), deren junger Gatte (miles in rebus seculi valde preclarus) Dominikaner wurde (S.394 ff.), ebenso wie der Gatte der Gertrud von Westfalen, einer Nichte des Dominikaner-Provinzials Hermann von Havelberg (de progenie nobili et preclara; S.481). Rein- lind von Riseck trat mit zwei Töchtern in Unterlinden ein, vier andere Töchter gingen in andere Dominikanerinnen-Klöster, der Mann wurde mit zwei Söhnen Deutsch-Ordensritter (S.464f.). Elsbeth von Stoffeln wurde mit zwei Töchtern Nonne in Diessenhofen-Katharinental, ihr Mann und vier Söhne wurden Johanniter (Alemannia XV S.167). Auch Agnes von Wangen lebte nach der Trennung von ihrem Mann in die- sem Kloster, der anfangs nicht in die Trennung willigen wollte, später Kaplan im selben Kloster wurde (ib. 8.171). Gisela von Umkirch hatte in Adelhausen einer Einkleidung beigewohnt und bat seitdem vier Jahre lang ihren Gatten, in die Trennung einzuwilligen; schließlich 41. Vgl. Greven, Anfänge 8.89 ff.; Vita von Jakob von Vitry, AASS Juni IV S. 689f. (V, 1867, S. 550£.). — 11 — ging sie mit ihrer Tochter in das Kloster, ihr Mann’ und ihr Sohn in den Deutschen Orden (FDA XIII S. 164). Johann von Ravensburg, der Stifter des Klosters Löwenthal bei Buchhorn (Friedrichshafen), wurde Dominikaner, seine Frau wurde Priorin in Löwenthal (FDA N.F. II S.47). Der Vogt Heinrich von Gera trat in den Deutschen Orden ein, als seine Frau 1238 das Kloster Cronschwitz gründete und dort Nonne wurde (Urk.-B. der Vögte von Weida, Gera und Plauen (Thür. Gesch.- Quellen V) I, 1885, S. 34f. n. 71 u. 69). Auch über die italienische Frauenbewegung sagt Thomas von Celano in der Vita s. Clarae (c. AASS August II S.757:) Plures.... matrimonio juncti mutuo consensu continentium se lege vincientes viri ad ordines, urores ad monasteria transeunt. Ebensooft wird aber in den Quellen auch berichtet, daß junge Mädchen, besonders aus dem Adel, die Gelegenheit einer vorteilhaften Heirat, meist zum heftigen Zorn ihrer Eltern und Verwandten, abgeschlagen haben, weil sie sich keinem anderen Bräutigam als Christus verloben wollten, weil sie also auch nicht „versorgt‘' sein, sondern lieber in Armut und außerhalb ihres gesellschaftlichen Kreises ihren religiösen Überzeugungen leben wollten. Jakob von Vitry hat diese Tatsache nicht nur für Zisterzienser-Nonnen bezeugt (s. o. S. 189 Anm. 39), sondern auch in seiner Beginen-Predigt geradezu gemahnt: Quando puella virginitatem suam custodire propo- suit et parentes offerunt ei maritum cum divitüs, conculcet et respuat, et marime.. quando sunt male acquisite. Das war keine weltfremde Moralpredigt, sondern viele fromme Frauen hatten sich schon vorher genau so verhalten. Wir wissen, daß zum Beispiel Ida von Nivelles mit neun Jahren nach dem Tod ihres Vaters (1209), der sie nicht ohne Erbe zurückgelassen hatte, durch ihre Verwandten mit einem Bürger in Nivelles verlobt werden sollte, daß sie aber entfloh, um „in Keusch- heit dem Herrn dienen“ zu können und magis in Christi paupertate quam in affluentia rerum temporalium et numerosa prolis feconditate gloriari; sie schloß sich einer Gemeinschaft von sieben pauperes virgi- nes religiose viventes in Nivelles an und wurde sechs Jahre später Zisterzienserin in La Ram6e (Hist. Jahrb. XXXV S. 57). In Unter- linden trat 1239 Hedwig von Gundolsheim ein, deren Vater (rebus, familia et progenie satis celebris et famosus) sie standesgemäß hatte vermählen wollen; alle Bemühungen der Familie hatten ihren Entschluß zum Eintritt in das Kloster nicht zu ändern vermocht (Vitae sororum S.374); in demselben Kloster lebten Adelheid von Müntzenheim, die ihrem propositum virginitatis treu blieb trotz aller Versuche ihrer Ver- wandten und Freunde, die 13jährige reiche Waise zur Ehe mit einem reichen, angesehenen Mann zu veranlassen; ferner Stephanie von Fer- —_— 12° — rette, die Tochter des Grafen Friedrich von Ferrette (alto sanguine generata), die um den Verlust ihrer Schönheit gebetet hatte, als ihre Eltern sie verheiraten wollten, um der Ehe entgehen und ins Kloster eintreten zu können (S.464f., 369f). Am anschaulichsten ist in der Lebensgeschichte der Gräfin Jolande von Vianden geschildert, wie die hochadlige Familie (darunter der Kölner Erzbischof Konrad von Hoch- staden) sich jahrelang vergeblich bemühte, das Mädchen zu einer vor- teilhaften Ehe zu veranlassen, wie aber die religiösen Wünsche, die sie seit ihrem neunten Lebensjahre bestimmten, immer wieder obsiegten und sie schließlich zu den Dominikanerinnen in Marienthal führen (vgi. u. 8.229). Auch die Vita der Begine Christine von Stommeln (geb. 1242 als Tochter eines reichen Bauern) berichtet: Cum esset duodecim annorum, cum eam parentes ipsius matrimonio tradere vellent, Christi ancilla hoc renuens et parentibus ignorantibus fugiens perrezit Colo- niam — zu den Beginen; AASS 22. Juni V (1867) S. 368. Wie der Verzicht auf die Ehe, so ist auch der Verzicht auf Reichtum, Besitz und gesellschaftliches Ansehen in den religiö- sen Frauenkreisen allen Zeugnissen dieser Zeit zufolge nicht aus Zwang und Not, sondern aus freier Wahl erfolgt, und nur dieser freiwillige Entschluß zur Armut und Erniedrigung ist dabei immer als religiöser Wert empfunden und gepriesen wor- den, niemals die Armut aus Notdurft. Soweit wir überhaupt über die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse jener Frauen Bescheid wissen, die in freiwilliger Armut als Beginen oder in den Frauenklöstern der Zisterzienser und Bettelorden lebten, sind es nicht arme Frauen niederer Schichten, sondern reiche, zum mindesten wohlhabende Frauen der höheren Stände, des Hochadels, des Dienstadels, des städtischen Patriziats und der reich gewordenen Kaufmannskreise. Aus dem Ritter- und Kauf- mannsstand kamen alle jene Frauen, die in der religiösen Be- wegung Belgiens am Anfang des Jahrhunderts eine Rolle spiel- ten;"” adlige Frauen leben in dem von Ludwig IX, gegründeten 42. Greven, Anfänge 8. 92ff., 63; vgl. auch die Annales principum Hannoniae, MGSer. XXX, 1 S.264ff. über die Gründung der Beginen- gemeinschaft (später Zisterzienserinnen-Kloster) in Fontenelles bei Valen- ciennes durch zwei Töchter eines „edlen Ritters“, denen sich virgines adulescentulae nobiles ac potentum filiae anschlossen. Bei manchen reli- giösen Frauen Belgiens heben es die Hagiographen besonders hervor, dab sie nicht aus dem Adel stammten, sondern von mediocribus parentibus: — 193 — Pariser Beginenhaus,’®* auch die provengalischen Beginen, die sich um die Jahrhundertmitte der Douceline von Digne an- schlossen, gehören großenteils zu hochadligen Familien‘ und vollends finden sich in den religiösen Gemeinschaften Süd- deutschlands, die sich später größtenteils dem Dominikaner- orden einfügten, fast nur Frauen des Adels und des reichen städtischen Patriziats. Alle einzelnen Belege dafür anzuführen ist nicht möglich, es mögen einige bezeichnende Hinweise genügen: Die Vitae sororum von Unter- linden (S.336) betonen: Plures ex ilis nobiles eztiterunt, diviciüs pos- sessionibus magnis et dignitatibus seculi preminentes; hec omnia prop- ter Christum respuerunt, paupertatem volunlariam ut vere pauperes spiritu secute, Christo viti vere votis omnibus adheserunt; ungefähr die Hälfte der im Nonnenbuch erwähnten Frauen ist nachweislich ad- das bedeutet, wie es einmal ausdrücklich heißt, daß sie weder dem Adel noch den armen Schichten angehören, sondern dem reichen Bürgertum. Über Maria von Oignies sagt Jakob von Vitry: Quae mediocribus orta parentibus, licet divitiis et multis bonis temporalibus abundaret (!), nun- quam tamen eius animum bona transitoria ab annis puerilibus allexerunt (AASS Juni IV 8.639; die Bollandisten glaubten irrtümlich, die Korrektur non mediocribus anbringen zu müssen). Ebenso heißt es von Ida von Leau: mediocri prosapia provenit, aber ihr Vater ist multa valetudine temporali sufficienter preditus, und ihre Verwandten sind non minimae potentiae secularique gloria radiantes rerumque temporalium affluentia dapsili non mediocriter abundantes — aber Ida macht von ihrer dives parentela keinen Gebrauch; AASS 29. Okt. XIII S.109. — Ida von Nivelles war gleichfalls mediocribus orta parentibus, ebenso Beatrix von Nazareth (s. Henriquez, Quinque prudentes virgines S. 199), deren Vater ein sehr reicher Bürger von Tirlemont war, der aus seinem Vermögen drei Zister- zienserinnen-Klöster gründete; vgl. J. v. Mierlos Einl. zu Beatrix’ Traktaten. Über Christine von Stommeln, deren Vater Bauer war, sagt Petrus de Dacia in seiner Vita (ed. Paulson 8.111): Zligens pocius esse cum deo in paupertate quam cum parentibus in deliciis permanere. 43. Vgl. die Vita Ludoviei Gottfrieds von Beaulieu (Recueil XX S. 12): Domum insuper Parisius honestarum mulierum, que vocantur be- guine, de suo adquisivit et eisdem assignavit, in qua religiose et honeste conservantur circiter quadringente,; et pluribus erceptis mazime pauperi- bus nobilibus, quamdiu viverent, de sustentatione quotidiana providit — d. h. mehreren Beginen, die dem armen Adel entstammten, gab Lud- wig IX. eine Rente; die anderen mulieres honestae hatten das nicht nötig. 44. Vgl. Vie de Ste Douceline par Philippine de Porcellet ed. J. B Albanes, 1879; ed. E. Gout 1927. — 14 — liger Herkunft, ihr Reichtum ist bei vielen besonders erwähnt (S. 381, 419, vgl. o. S.190£.); bei den andern ist die adlige Herkunft zwar nicht sicher, aber mehrfach wird auch bei ihnen besonders gesagt: rebus et divitiis competenter habundabat (S.412), possessionibus habundans et divitüs copiosis (S. 428), dives et delicata nimis (8.466). In Oetenbach bei Zürich sind fast nur Frauen des hohen und niederen Adels und der Zürcher Geschlechter vertreten (Zürcher Taschenbuch N.F. XII, 1889, S.235); in St. Gertrud in Köln meist städtisches Patriziat (Löhr, An- nalen d. hist. Ver. f. d. Niederrhein CX S.87£., 91£., 96 ff.) und ebenso in den sieben Straßburger Dominikanerinnen-Klöstern (W.Kothe, Kirchliche Zustände Straßburgs S.46). In den französischen Domini- kanerinnenklöstern sind von Anfang an (und bis ins 17. Jahrhundert) fast ausschließlich adlige Frauen (Chapotin, Hist. des Dominicains de la prov. de France S. Xf.), und in den italienischen Frauengemein- schaften fand Kardinal Hugolin, als er 1218 ihre Organisation in die Hand nahm, nicht ohne Verwunderung lauter Frauen und Jungfrauen, denen nach menschlichem Ermessen infolge ihres adligen Standes ein sorgenloses Dasein in der Welt sicher gewesen wäre, hätten sie nicht den Glanz und Reichtum der Welt verschmäht, um in Armut ein reli- giöses Leben zu führen (Bulle Honorius’ III. an Kard. Hugolin vom 27. Aug. 1218, Sbaralea I, 1: virgines et aliae mulieres, quibus secun- dum instabilitatem prosperitatis mundanae prosperum statum in seculo sua videtur nobilitas polliceri). Clara Sciffi, die einzige dieser religiö- sen Frauen Mitteltaliens, deren Leben wir genauer kennen, ist in der Tat aus reichem städtischem Adel, und ihr sind, wie ihr Biograph sagt, nobiles et illustres amplis contemptis palatüs in das Klosterleben ge- folgt: Flectitur nobilitatis apex ad eius sectanda vestigia et a superbı sanguinis genere sancta humilitate degenerat; nonnullae ducum ac regum matrimonio dignae Clarae invitante preconio arctam penitentiam faciunt, et quae potentibus nupserant, Claram suo modulo imitantur. Und 1263 konnte der Papst von den Töchtern von Königen und ande- ren Magnaten sprechen, die dem Orden der hl. Klara zugehörten (AFH III S. 672). Erst diese Feststellungen lassen die wesentlichen Züge der religiösen Frauenbewegung in der ersten Hälfte des 13. Jahr- hunderts ins richtige Licht treten und ihre wirklichen Motive verständlich werden. Wie in der gesamten Armutsbewegung, so erhebt sich auch hier eine Reaktion gegen den Reichtum und gegen die wirtschaftlich-kulturelle Entwicklung nicht von außen her, von den dadurch Geschädigten, sondern aus den eigenen Kreisen derer, die an dieser Entwicklung zum Reichtum und irdischen Wohlergehen beteiligt sind. Dabei klingt bezeich- nenderweise auch in der belgisch-deutschen Armutsbewegung — 195 — genau dasselbe Motiv dieser Abkehr vom Reichtum auf, das schon bei Waldensern und Humiliaten eine wichtige Rolle spielte: man will keinen Anteil haben an dem „unrecht erworbe- nen Gut‘; man empfindet die neuen Möglichkeiten der Bereiche- rung und des sozialen Aufstiegs als unvereinbar mit dem Geist des Evangeliums und dem Willen Gottes; und deshalb haben so viele Frauen sich freiwillig zum Leben in Armut entschlossen, statt vom Vermögen ihrer Eltern oder Gatten zu leben.” Es war die erste Tat des Waldes nach seiner Bekehrung gewesen, daß er das „unrechte Gut” denen zurückgab, denen er es als Kaufmann genommen hatte.” Ebenso hatten sich die Humilia- ten’ und die von Durandus von Huesca bekehrten Anhänger der „Katholischen Armen” zur Rückgabe des „unrecht erwor- benen Gutes" verpflichtet. Nichts kennzeichnet wohl das innere Verhältnis der religiösen Bewegung zu der wirtschaftlich-sozia- len Entwicklung klarer als diese Flucht vor dem Reichtum und vor der gesellschaftlichen Stellung in die Armut und in eine 45. Jakob von Vitry, Prolog zur Vita der Maria von Oignies AASS Juni IV S.636 (vgl. Greven, Anfänge 8.65): ..sanctarum virginum caterve, que spretis pro Christo carnalibus ülecebris, contemptis etiam amore regni celestis huius mundi divitüs, in paupertate et humilitate sponso celesti adherentes, labore manuum tenuem victum querebant, licet parentes earum multis divitiis abundarent. Ipse tamen obliviscentes populum suum et domum patris su, malebant angu- stias et paupertatem sustinere quam male acgquisitis divitiis abundare vel inter pomposos seculares cum periculo re- manere. Vgl. auch Jakobs Beginenpredigt, oben S. 191. Auch Ida von Löwen ist ein Kind reicher und angesehener Eltern, macht aber, erfüllt von dem desiderium paupertatis et abjectionis, zum lebhaften Unwillen ihres Vaters von dessen Gütern famquam de perperam acquisitis so wenig wie möglich Gebrauch, sondern erwirbt sich ihren Lebensunterhalt selbst, indem sie nachts spinnt oder webt (nendo), und kann von ihrem Verdienst sogar noch den Armen Almosen geben; AASS 13. April II S.158, 163 ff. 46. Chron. Laudun. ed. Cartellieri-Stechele S.21: De mobi- libus his, a quibus injuste habuerat, reddidit. 47. Vgl. die Regel bei Zanoni S.354 (s.0.8.159): pro posse suo in- juste habita reddentes; vgl. das Propositum des 3. Ordens bei Tirabo- schi ILS. 131: usuras et omnia male ablata reddite! 48. Brief Innozenz’ III. an den Bischof von Elne Ep. 15, 82 MPL 216 Sp. 601: Pro posse suo proposuerunt restituere quidquid possident minus juste necnon male quelibet acquisita. — 196 — von der Gesellschaft verachtete Lebensweise,“ vor allem aber die Losung des Verzichts auf die Nutznießung des „unrecht er- worbenen Gutes“. Es zeigt sich darin besonders deutlich, daß in der religiösen Bewegung nicht ein Protest der „Armen und Unterdrückten” gegen die wirtschaftliche Entwicklung, gegen die Anhäufung des Reichtums und des Luxus, gegen die An- fänge der kapitalistischen Wirtschaftsform und der „Ausbeu- tung“ zum Ausdruck kommt oder sich mit ihr verbündet, daß vielmehr der religiöse Protest gegen diese Entwicklung von solchen Kreisen erhoben wurde, die an ihr Anteil hatten und denen sie zugute kam: wie Waldes, wie die Humiliaten und wie Franziskus, so haben auch die Beginen nicht gegen den Reich- tum der anderen protestiert, sondern sich ihrem eigenen Reich- tum entzogen um des religiösen, evangelischen Ideals willen, das Verzicht auf die Güter der Welt, freiwillifge Armut und Ent- behrung verlangt. Man darf gewiß auch in dieser Richtung die wirtschaftlichen Motive der religiösen Bewegung nicht über- schätzen, als seien sie die einzige oder ausschlaggebende Ur- sache der sanzen Erscheinung, als sei die religiöse Bewegung 49. Die Verachtung und der Spott der reichen, vornehmen Verwanät- schaft über die Frauen, die sich zu freiwilliger Armut entschlossen haben, ist vielfach bezeugt; vgl. z. B. die Vita der Maria von Oignies I, 15 AASS, Juni IV S.640: seculares et consanguinei.. dentibus contra eos: frende- bant, et quos prius venerabantur divites, contemnebant et irridebant pro Christo factos pauperes; auch II, 3 S. 652 über das Verhalten der Gesell- schaft gegen den von Maria bekehrten Ritter Iwan von Reves. — Bruder Hermanns Leben der Gräfin Jolande von Vianden ed. J. Meier, bes. Vers. 1615 ff. 50. Auch die Landgräfin Elisabeth von Thüringen, deren Leben erst im Zusammenhang mit der gesamten religiösen Frauenbewegung richtig zu verstehen ist, hat diese Losung, der Weisung ihres Beichtigers Konrad von Marburg folgend, zu der ihrigen gemacht: sich zu enthalten ab ilicite acquisitis, ss A.Huyskens, Quellenstudien zur Gesch. d. Hl. Elisabeth S.116. Da E. Busse-Wilson diesen Zusammenhang nicht sieht, hat sie in ihrem Leben der heiligen Elisabeth von Thüringen 8.126 eine „kirchenpolitische Tendenz‘ Konrads von Marburg hinter dieser Forde- rung gesucht, zu der er schlau und intrigant seinen Zögling mißbraucht hätte. In. Wirklichkeit ist es eine längst vor Elisabeth und Konrad er- klingende religiöse Forderung, die Elisabeth gewissenhaft zu befolgen strebt. — 17 — überhaupt nur eine Reaktion auf wirtschaftliche Vorgänge, etwa eine Folgeerscheinung der Anfänge des Kapitalismus. Die Idee der freiwilligen Armut hat, auch außerhalb der Klöster, zu wir- ken begonnen und weite Kreise erfaßt, als von solchen wirt- schaftlich-sozialen Ursachen noch gar nicht die Rede sein konnte, und sie hat ihre Polemik zuerst nicht gegen wirtschait- liche, sondern gegen kirchliche Erscheinungen gerichtet: der innere Widerspruch zwischen der Lebensweise des Klerus und den Forderungen der Evangelien ist der erste Anstoß ihrer Ent- faltung. Aber im weiteren Verlauf hat allerdings die wirtschait- liche Entwicklung ihr einen bedeutsamen Aufschwung gegeben und eine bestimmte Richtung gewiesen. Es kann kein Zufall sein, daß die religiöse Armutsbewegung sich am kräftigsten und eigenartigsten in jenen Gebieten entfaltet hat, in denen im 12. Jahrhundert auch der Handel und die Industrie die bedeutend- sten Fortschritte gemacht hat: in der Lombardei, in Südfrank- reich und in Belgien. Überall in diesen Ländern hat sich die Idee der freiwilligen christlichen Armut zugespitzt zu der Losung, auf die Nutznießung „unrecht erworbenen Gutes” zu verzichten und statt dessen von der Arbeit seiner Hände oder aber von Almosen zu leben,” weil hier überall der Widerspruch zwischen dem Leben der reich gewordenen städtischen Gesell- 51. Genau wie Franziskus wollte, daß seine Brüder ihren Lebensunter- halt durch eigne Handarbeit verdienen und im Notfall auch betteln dür- fen, wie auch zum Beispiel die Anhänger des Bernhard Prim auf den Er- werb aus eigner Arbeit und auf Almosen ihrer Hörer angewiesen sein wollten (s. o. S. 122f.), so haben auch die religiösen Frauen Belgiens ihren Lebensunterhalt durch Handarbeit erworben und in besonderen Fällen auch Almosen gebettelt; ss. Greven, Anfänge S.99ff.; Hist. Jahrb. XXXV S.53, 58, 65; vgl. oben S.189 A.40. Auch Gautier de Coincy (um 1220; s. u. S. ) sagt über die ihm verhaßten Beginen: vilain mestier et ort (= art?) aprenent; Barbazan-Meon IS. 310 v. 1227. Caesarius von Heisterbach, Dial. mirac. IV 84 (ed. Strange I S.251): virgo quedam de Nivella nata domum patris et parentes amore Christi deserens quibusdam feminis religiosis illius provincie se sociavit, cum quibus de opere manuum suarum vwictitans orationibus ieiunüsque vacavit. Die Handarbeit der Beginen hat fast immer in Spinnen oder Weben bestanden — also genau wie bei den Katharern: in beiden Fällen hat sich diese Tätigkeit offenbar als geeignetste Erwerbsquelle für religiöse „Heim- arbeiter‘‘ und „Gelegenheitsarbeiter“‘ erwiesen! — 18 — schaft oder auch der saturierten adligen Gesellschaft zu den christlich-evangelischen Idealen auf Menschen mit religiösem Lebensernst dieselbe Wirkung übte wie früher der Widerspruch zwischen dem Leben des Klerus und den Evangelien: Abkehr von der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kultur, Verzicht auf ihre Güter, um in freiwilliger Armut die christlichen Ideale verwirklichen zu können. V. Die Eingliederung der religiösen Frauenbewegung in die Bettelorden. Als Honorius III. im Jahre 1216 den frommen Frauen in Belgien, Frankreich und Deutschland das Zusammenleben in religiösen Gemeinschaften erlaubte, konnte er sich schwerlich eine Vorstellung von dem Ausmaß und der Bedeutung der reli- giösen Frauenbewegung machen. Wir wissen auch nicht, in welcher Form diese Erlaubnis erteilt wurde und wie weit sie sich erstrecken sollte. Jedenfalls aber war sie keine ausreichende und endgültige Stellungnahme der Kurie zu der Frage, in wel- chen Formen diese religiösen Frauengemeinschaften in der Kirche anerkannt werden und welche Gestalt sie gewinnen sollten. Es ist immer der Grundsatz der Kurie gewesen, daß das „religiöse Leben” im eigentlichen Sinn, die völlige und aus- schließliche Hingabe an religiöse Aufgaben und Lebensformen, um im Gefüge der Kirche bestehen zu können, sich an bestimmte Regeln binden und durch feste Ordnungen gesichert werden müsse, Die Begriffe religio und ordo konnten deshalb in der Bedeutung „religiöser Orden’ nahezu gleichbedeutend werden, weil wahre „Religion immer zugleich auch wahre „Ordnung“ sein sollte” Gerade in der Zeit, als die Kurie vor der neuen schwierigen Aufgabe stand, die großen religiösen Laien- bewegungen in das Gefüge der Kirche einzuordnen, hat der 1. P. Mandonnet, Les origines de l’Ordo de Poenitentia S. 194 zitiert aus einer ungedruckten Schrift des deutschen Dominikanerprovin- zials Hermann von Minden: Nota quod nominibus istis „ordo“ et „religio“ et huiusmodi indifferenter utimur; ferner den Satz: Religio ordinem, ordo regulam, regula instituta genuerunt. Vgl. auch W. Goetz, Hist. Viertei- jahrschr. VI S.30£. Ar aa Kardinal Hugolin, der spätere Papst Gregor IX., der diese Auf- gabe besonders deutlich erkannte, diesen entscheidenden Grundsatz in aller Klarheit formuliert: Jede wahre religio, jede kirchlich anerkannte religiöse Lebensweise muß auf bestimmten Regeln und Normen, Vorschriften und Strafbestimmungen be- ruhen; denn ohne genaue und strenge Regelung des Gemein- schaftslebens und der Gemeinschaftszucht ist jede vita religiosa in Gefahr, den rechten Weg und die sichere Grundlage zu ver- lieren.” Diesem Grundsatz gemäß war die Kurie immer bemüht, alle religiösen Bewegungen in die festen Formen regulierter Orden einzufügen. Nicht um die religiösen Bewegungen „sich dienstbar zu machen" oder nach ihren Zwecken zu formen, wie es ihr die neuere Franziskustorschung oft vorgeworfen hat; son- dern aus der im tiefsten Grunde der mittelalterlichen Welt- anschauung verwurzelten Überzeugung, daß auch das religiöse Leben erst dann und nur dann seinen wahren Wert und zugleich seine Sicherheit und Beständigkeit haben kann, wenn es durch feste Ordnungen eingefügt ist in den universalen, in den richti- gen Ordo der christlichen Welt. Mit der kirchlichen Anerkennung einer religiösen Bewegung ergab sich daher immer zugleich die Aufgabe, bestimmte Regeln, Ordnungen und Lebensformen für sie zu schaffen. Das Laterankonzil von 1215 hatte aber verboten, neue Ordensformen zu erfinden. Eine religiöse Bewegung konnte also seitdem nur dann die kirchliche Anerkennung finden, wenn sie sich in die bestehenden Ordensformen einfügen ließ. Eine eigene Ordensform, die sich zur Aufnahme einer großen religiö- sen Frauenbewegung eignete, gab es aber nicht. Die vita reli- $iosa der Frauen war immer nur im Anschluß an Männerklöster, in Verbindung mit Mönchsorden reguliert worden. Die Ein- 2. Prolog zu der Regel für die italienischen Frauenklöster, Sbara- lea I 8.263 und 395: Cum omnis vera religio et vitae institutio appro- bata certis constet regulis et mensuris, certis etiam constet legibus dis ciplinae, quisquis religiosam ducere vitam cupit, nisi certam atque rectam conversationis suae regulam disciplinamque vivendi observare studuerit diligenter, eo ipso a rectitudine deviat, quo rectitudinis lineas non obser- vat, et ibi deficiendi incurrit periculum, ubi per discretionis virtutem cer- tum ac stabile proficiendi collocare neglezerit fundamentum. — 201 — fügung der religiösen Frauenbewegung in die kirchlichen Ord- nungen konnte also nur durch Anschluß an die bestehenden Männerorden vollzogen werden. Tatsächlich hat die Kurie bei der Behandlung der religiö- sen Frauengemeinschaften dieses klar vorgezeichnete Ziel immer verfolgt. Sie hat es aber erst nach langwierigen Bemühungen erreichen können. Denn die dafür in Betracht kommenden Männerorden versuchten sich lange und hartnäckig der Auf- gaben zu erwehren, die ihnen mit der Eingliederung der religiö- sen Frauenbewegung zugemutet wurden. Durch das ganze 13. Jahrhundert zieht sich deshalb ein wechselvolles Ringen um die organisatorische Gestaltung der religiösen Frauenbewegung. Die Frauen selbst suchen Anlehnung an die großen Orden; die Kurie ist bemüht, ihnen diesen organisatorischen Anschluß zu schaffen; die Orden aber sträuben sich dagegen und suchen sich mit allen Mitteln der Verpflichtung zu entziehen, Frauengemein- schaften in ihren Ordensverband aufzunehmen und zu betreuen. Mit diesen Auseinandersetzungen hat sich die Kirchen- und Ordensgeschichtsschreibung zwar schon oft beschäftigt. Aber die wirklichen Zusammenhänge hat sie nie durchschaut. Denn immer hat man nur die Geschichte der weiblichen Zweige der einzelnen Orden, niemals die religiöse Frauenbewegung als ein einheitliches Ganzes ins Auge gefaßt. Die Entwicklung des Verhältnisses der einzelnen Orden zu ihren weiblichen Zweigen greift aber so stark ineinander ein, verkettet sich so eng in gegenseitiger Einwirkung und Folgewirkung, daß sie überhaupt nicht als eine Angelegenheit jedes Ordens für sich, sondern nur als eine Auseinandersetzung der religiösen Frauenbewegung als Ganzes mit der Gesamtheit der religiösen Orden zu verstehen ist. Alle Bemühungen, die Entwicklung des Klarissenordens in seinen Beziehungen zu den Franziskanern klarzustellen und die Entstehung und Bedeutung seiner verschiedenen Regeln daraus begreiflich zu machen, sind daran gescheitert, daß man sich dabei nicht um das gleichzeitige Schicksal der Dominikanerin- nen in ihrem Verhältnis zum Predigerorden gekümmert hat — und umgekehrt. Und das Verhalten der Dominikaner wie der Franziskaner zu ihren weiblichen Gliedern wird wiederum erst verständlich, wenn man weiß, wie schon die Prämonstratenser — 202 — und Zisterzienser sich vor ganz ähnliche Fragen der Eingliede- rung weiblicher Ordenszweige gestellt gesehen hatten. Vor allem aber wird es erst bei der Zusammenschau der einzelnen „Ordensgeschichten” sichtbar, welche Rolle die Kurie bei allen diesen Auseinandersetzungen gespielt hat. Solange man alle diese Fragen vereinzelt untersucht, scheinen die Maßnahmen der Kurie wie der Orden voller Widersprüche, zusammenhang- los und oft unbegreiflich. Im Zusammenhang der allgemeinen Auseinandersetzung zwischen der religiösen Frauenbeweguns und den verschiedenen religiösen Orden aber klärt sich das alles auf zu einem sinnvollen, einheitlich verständlichen kirchen- politischen Geschehen. Deshalb sollen diese Vorgänge hier ziemlich ausführlich dargestellt werden. Einmal, weil auf viele oft erörterte und dennoch ungelöste Fragen der Ordensge- schichte durch diese Betrachtung, die die religiöse Frauen- bewegung als einheitliches Ganzes erfaßt, plötzlich volles Licht fällt.” Zum andern aber, weil der innere Zusammenhang, die 3. Die Ausführlichkeit der folgenden Untersuchungen rechtfertigt sich für jeden, der die widerspruchsvollen Erörterungen über die Frage der Cura monialium im Zisterzienser-Orden (bei Winter, Hauck, Kirchesch, Gr. Müller u. a.) und im Dominikaner-Orden (bei Mor- tier, Danzas, Denifle, Baur, Wilms, Finke, Rother u. a.) und über die Entwicklung des Klarissen-Ordens und seiner Regel (bei Lempp, Lemmens, Wauer, Oliger u. a.) kennt. Ich verzichte auf eine Berichtigung der zahlreichen Einzelirrtümer dieser ordensge- schichtlichen Literatur, um meine Untersuchung nicht noch mehr an- schwellen zu lassen. Jene Irrtümer und Unklarheiten sind nur durch mangelhafte Berücksichtigung der allgemeinen, die einzelnen Ordensge- schichten übergreifenden Zusammenhänge und durch ungenügende Ver- wertung und unscharfe Interpretation der urkundlichen Quellen verschul- det, die ich deshalb reichlich zitieren werde — nicht durch abweichende „Auffassungen“. Sobald man, wie ich es versuche, die geschichtlichen Zu- sammenhänge allseitig beachtet, die Politik der Kurie, die Tendenzen der religiösen Frauenbewegung und das Verhalten der Bettelorden immer zu- gleich in Anschlag bringt und vor allem den engen Zusammenhang zwi- schen den Vorgängen im Dominikaner- und im Franziskaner-Orden be- rücksichtigt, stellen sich die Ereignisse als ein klar überschaubarer und verständlicher geschichtlicher Ablauf dar, dessen einzelne, bisher oft so widerspruchsvoll und unerklärlich erscheinende Akte wie die Glieder einer Kette ineinandergreifen. Nur unbedeutende Nebenfragen bleiben infolge lückenhafter. Überlieferung ungeklärt. — 203 — Eigenart und die geschichtliche Bedeutung der religiösen Frauenbewegung sich durch nichts klarer erweist als durch die jahrzehntelangen Bemühungen um ihre Eingliederung in die be- stehenden Orden. Alle beteiligten Kräfte: die religiöse Frauen- bewegung selbst, die Kurie und die religiösen Orden versuchen dabei ihren eigenen Willen durchzusetzen. Die Eigenkraft der religiösen Frauenbewegung war aber stark genug, um schließ- lich gegen den Willen der Orden durch die Vermittlung der Kurie ihre organisatorische Angliederung zu erreichen. 1. Zisterzienserorden und Frauenklöster. Die Prämonstratenser hatten sich schon vor 1200 der Ver- pflichtung, einen weiblichen Ordenszweig zu betreuen, ent- zogen.‘ Daraufhin hatten die religiösen Frauengemeinschaften überall Anschluß an die Zisterzienser gesucht, denn das war der einzige Orden, der dafür zunächst noch in Betracht kam.’ Aber nach kurzer Zeit lehnte es auch der Orden von Citeaux ab, die Mühe und die Verantwortung für die organisatorische Leitung und die Seelsorge immer neuer Frauengemeinschaften zu übernehmen. Seit 1212 wird auf den Generalkapiteln der 4. 8.0.8. 49f. und 175£. 5. Gregor Müller, Cistereienser-Chronik XXXVIH, 1%5, S. 233 denkt, um 1200 müsse im Zisterzienser-Orden ausdrücklich die Aufnahme von Frauenklöstern in den Orden beschlossen worden sein, da sich die Ordensgesetzgebung dann seit 1212 mit den moniales des Ordens befaßt, während dem Orden vorher keine Nonnen organisatorisch zugehörten. Aber diese Vermutung scheint mir unnötig; der Auschluß von Frauen- klöstern ergab sich ungewollt aus den Verhältnissen, nicht aus Rechts- bestimmungen, und erst als sich Schäden und Schwierigkeiten dabei her- ausstellten, griff die Ordensgesetzgebung ein. 6. Das Verhältnis des Zisterzienserordens zu den Frauenklöstern ist nirgends völlig klargestellt. Hinweise bei F. Winter, Cistereienser des nordöstl. Deutschlands II S.4f., 17; A. Hauck, Kirchengesch. IV 8.425; H. Kirchesch, Zisterzienserinnenkloster Namedy S. 4ff.; Gr. Müller, Vom Zisterzienser-Orden, Cistereienser-Chronik XXXVII S. 233f., 252; W. Ronneberger, Das Zisterzienser-Nonnenkloster zum hl. Kreuz bei Saalburg S.24ff.; J. Zeimet, Die Cistercienserinnenabtei St. Kathari- nen b. Linz a. Rh. S. ff. — Da mir die neue, kritische Ausgabe der Generalkapitelsbeschlüsse des Zisterzienserordens von J. M. Canivez (Bd. I, 1933, bis 1220) noch nicht vorliegt, benutze ich die älteren, unge- —- 1,204 == Zisterzienser über die Frauenklöster des Ordens geklagt. Zu- nächst darüber, daß sie oft zu nahe bei Männerklöstern liegen’ und daß die Klausur in ihnen nicht gehalten wird, obgleich Frauenklöster nur unter der Bedingung strengster Klausur zum Zisterzienserorden gehören dürften. Selbst das Verlassen des Klosters zum Zweck der Einrichtung neuer Zweiggründungen wird nur bei vorhergehender Zustimmung des Generalkapitels gestattet, andernfalls als Klosterflucht betrachtet‘ Und doch macht sich auch schon die Überfüllung der Klöster bemerkbar und veranlaßt die Festsetzung einer Höchstzahl von Nonnen für jedes Kloster, die nicht überschritten werden darf.’ Schon 1220 wurde dann beschlossen, dem Orden künftig keine Frauen- nauen Drucke von Martene-Durand, Thes. nov. aneed. IV S. 1243 ff, und S&ejalon, Nomasticon Cisterciense. 7. 1212 (c.13; Mart&ene-Durand IV S.1311£.); 1218 wurde be- stimmt, Frauenklöster müssen 6 Meilen von Männerklöstern und 10 Meilen untereinander entfernt sein (S. 1322; Sejalon S. 282). 8 1213 (c.2 8.1312 vgl. Sejalon 8.279): Moniales, que jam incor- porate sumt ordini, non habeant liberum egressum, nisi de licentia ab- batis, sub cuius cura consistunt...Si que vero fuerint incorporande de cetero, non aliter admittantur ad ordinis unitatem, nisi penitus includende; Inhibetur..., ne presumant mittere moniales suas ad aliquem locum con- stituendum nisi de licentia capituli generalis; quod si presumptum fuerit, que sic misse fuerint, pro fugitivis habeantur. — Das Klausurgebot wird aufs neue eingeschärft 1219 (c.10 8.1324; vgl. Sejalon S.282 c.12 zu 1218). Die vom Kölner Erzbischof gewünschte Inkorporation von Nonnen wurde damals davon abhängig gemacht, ob sie in strenger Klausur leben (c. 23 8.1325). — 1225 (c.6 S.1340) wurde verfügt: Nullus preter visitatores claustra earum ingrediatur, nec detur eis licentia loquendi nisi per fene- stram ad hoc honestius preparatam, et per eamdem fenestram loquantur etiam de confessione; Klöster, in denen vier Jahre nach der Inkorporation die strenge Klausur noch nicht durchgeführt ist, sollen aus dem Orden ausgeschlossen werden; die Bestimmung wurde 1228 (c.8 8.1349) wieder- holt und verschärft, ebenso 1268 (c.2 8.1429). 9. 1219 (e.10 8.1324; vgl. Sejalon S.282 c.12 zu 1218): abbas visi- tator taxet numerum personarum, quem transgredi non licebit; 1225. (ce. 6 S. 1340) wiederholt mit dem Zusatz: guod abbatisse et priorisse, que taxa- tum numerum transgredi presumserint, sciant esse deponendas,; 1239 wer- den besondere Inspektoren genannt, die in neu inkorporierten Frauen- klöstern Besitz und Einkünfte festzustellen und danach die Höchstzahl der Nonnen zu taxieren haben (c.6 S. 1369; vgl. 1267 c.2 S.1427 und :1242 c.13 8.1378). : | aid — 205 — klöster mehr zu inkorporieren.'” Dieses Verbot bezog sich zu- nächst nur auf bereits bestehende Frauenklöster, die in den Ordensverband eintreten wollten. Es blieb also immer noch die Möglichkeit offen, neue Zisterzienserinnen-Klöster zu errichten, wenn sie reichlich genug ausgestattet wurden, um den Nonnen das Leben in strenger Klausur ohne Zuschüsse und Almosen zu gewährleisten.‘ Nur wünschte der Orden von der Pflicht ent- bunden zu sein, Ordensbrüder zu ständigem Aufenthalt in den Frauenklöstern wohnen und ihre weltlichen Angelegenheiten verwalten zu lassen.'” Aber 1228 beschloß das Generalkapitel, überhaupt keine Frauenklöster mehr in den Orden aufzu- nehmen, weder bereits bestehende noch neu zu errichtende. Die Befolgung der Zisterzienser-Gewohnheiten in Frauenklöstern, die noch nicht zum Orden gehörten, konnte man zwar nicht ver- bieten; aber der Orden weigerte sich, in ihnen Seelsorge- und Visitationspflichten zu übernehmen,’ und verbot aufs strengste 10. 1220 c.4 S.1327 (vgl. Sejalon 8.283 c.9): Inhibetur auctoritate capituli generalis, ne aliqua abbatia monialium de cetero ordini incor- poretur. 11. 1225 (e.6 S.1340f.) wurde bestimmt: Nec ulle de cetero incor- porentur ordini; incorporande ad novas mittantur abbatias, donec peractis competenter edificiis ita possessionibus et rebus necessarüs suf- ficienter dotate (fuerint), quod possint penitus includi et incluse sustentari de suo, ita quod eas non oporteat mendicare. — Das Verbot von 1220 wurde 1221 (c.27 S.1332) zugunsten des Klosters Pantemont, dessen In- korporation dem Bischof von Amiens früher versprochen worden war, 1223 auf Wunsch des Bischofs von Toulouse zugunsten des Klosters Depontio und seiner Filialen (c.29 S. 1337) durchbrochen. 12. 1222 (c.12 S.1334): Supplicandum domino pape, ne compellat nos ad mittendos monachos nostros et conversos ad cohabitandum cum monia- libus et in temporalibus eisdem providendum; vergit enim ista res ad prejudicium ordinis et perıculum animarum. 13. 1228 (c.7 S.1348): Nulla monasteria monialium de cetero sub no- mine aut sub jurisdictione ordinis nostri construantur vel ordini socientur. Si quod vero monasterium ordini nondum sociatum vel etiam construen- dum nostras institutiones voluerit emulari, non prohibemus, sed curam animarum earum non recipiemus nec visitationis officium eis impendemus. Qui vero super hoc petitionem faciendo ad capitulum reportaverit wel ali- quid scienter procuraverit, per quod possit institutio tam utilis enervari, si monachus fuerit vel conversus, a domo propria emittatur non reversurus nisi per capitulum generale; si abbas fuerit, sit in pane et aqua et extra — 206 — allen Ordensangehörigen jede Bemühung, die diesem Beschluß irgendwie zuwider lief. Nur mit der Möglichkeit, daß der Papst den Orden anwies, weitere Frauenklöster zu inkorporie- ren, mußten die Zisterzienser allerdings auch weiterhin rech- nen,'* und auf diesem Umweg über die Vermittlung der Kurie haben in der Tat in den folgenden Jahren noch viele Frauen- gemeinschaften ihren Anschluß an den Zisterzienserorden ge- funden.'” Grundsätzlich konnte der Orden solche päpstlichen Anweisungen zur Inkorporation von Frauenklöstern nicht ab- stallum abbatis usque ad sequens capitulum generale, in capitulo veniam petiturus. 14. Dem Abdruck der Kapitelsbeschlüsse bei Mart&ne-Durand ist nicht zu entnehmen, daß 1228 auch über die Behandlung der ez pre- cepto domini pape zu inkorporierenden Frauenklöster ein Beschluß gefaßt wurde. Es ergibt sich aber aus den Akten des Kapitels von 1239 (c.6 8.1369). In den Institutiones capituli generalis von 1256 Dist. XV c.1 (Sejalon S.360) steht der Wortlaut des Beschlusses anschließend an die in der vorigen Anm. zitierte Bestimmung: Si qua vero ez precepto domini pape aut alia necessitate suscipere oportuerit, non prius ordini socientur, donec, peractis competenter edificüs, ita possessionibus et rebus necessarüs sufficienter dotata fuerint, quod possint moniales penitus in- cludi et incluse secundum ordinem vivere, ita quod eas non oporteat mendicare,; vgl. den Beschluß von 1225 oben Anm. 11. 15. Vgl. dazu die Statuten des Generalkapitels von 1230 (ce. 7 und 11 8.1352); 1231 (e.11 8.1353); 1235 (S.1362f.). — Am 26. Juni 1232 weist Gregor IX. den Abt von Clairvaux an, das Nonnenkloster Löwen- brücken der Visitation und Seelsorge des Abtes von Himmerode zu unter- stellen und in den Ordenstatuten unterweisen zu lassen juzta eiusdem ordinis constituta. (Mittelrhein. Urk.-B. III S.360 n. 459). 1233 inkor- poriert der Abt von Citeaux dem Orden das Nonnenkloster Heiligkreuztal (bei Riedlingen) ad petitionem vestram, de mandato domini pape, cuius litteras super hoc recepimus speciales, et de assensu et beneplacito nostri capituli generalis (Wirtemb. Urk.-B. III S.320 n. 825; die Schwestern be- folgten schon vorher die Benediktiner-Regel und die Zisterzienser-Insti- tutionen, s. ebd. S. 284 ff. n. 790). Ebenso 1235 das Nonnenkloster Marien- born in Ramsdorf (später Coesfeld; s. Westf. Urk.-B. III S.180 n. 330). — Da in den Kapitelsbeschlüssen der folgenden Jahre (1235 c.1 8.1360; 1244 c.7 S.1382; 1268 c.2 S.1429) immer wieder von moniales ordini de cetero sociande die Rede ist, so sind Inkorporationen durch päpstliche Vermittlung offenbar auch weiterhin häufig gewesen. Übrigens ist auch das Verbot für Ordensmitglieder, sich nicht um die Inkorporation neuer Frauenklöster zu bemühen, nicht immer befolgt worden; vgl. u. S. 226. — 207 — lehnen. Er konnte nur die Kurie von seinem Beschluß in Kennt- nis setzen, künftig keine Frauenklöster mehr aufzunehmen, da- mit der Papst nicht weitere Inkorporationen verfügte, ohne über den Willen des Ordens unterrichtet zu sein. Das Generalkapitel von 1230 beschloß deshalb, der Kurie eine entsprechende Mit- teilung zu machen und sie um die Zusicherung zu bitten, daß künftig päpstliche Verfügungen über die Inkorporation von Frauenklöstern nur dann wirksam sein sollten, wenn darin der entgegenstehende Ordensbeschluß ausdrücklich außer Kraft ge- setzt wird." Diese Bitte wurde zweifellos erfüllt: wie später den Bettel-Orden, so ist damals schon den Zisterziensern zuge- sichert worden, daß die Inkorporation von Frauenklöstern durch päpstliche Verfügung künftig nur bei Hinzufügung der soge- nannten „Abrogationsklausel“ verbindlich sein sollte, das heißt nur bei ausdrücklicher Außerkraftsetzung der gegen die Auf- nahme neuer Frauenklöster gerichteten Ordensbeschlüsse.'' Da- durch sollte verhindert werden, daß die Kurie oder die päpst- liche Kanzlei die Wünsche von Frauenklöstern nach Inkorpora- tion erfüllte, ohne sich in jedem Fall bewußt zu sein, daß der Orden diese Maßnahmen nicht wünschte. Vielleicht hätte die Kurie trotzdem versucht, die religiöse Frauenbewegung im Anschluß an die Zisterzienser zu organi- 16. 1230 (e.7 8.1352): Injungitur abbatibus ad curiam profecturis, ut insinuent domino pape statutum capituli generalis de monasteriis monia- lium ordini de cetero non sociandis, et impetretur ab eo, quod si quas ad capitulum direzerit litteras, non facta mentione de praedicto statuto, non habeant firmitatem. 17. Vgl. u. S. 243f. Eine entsprechende Bulle für den Zisterzienser- orden ist mir nicht bekannt. Vgl. aber die Bulle Alexanders IV. an das Generalkapitel in Citeaux vom 20. Juni 1257 (Westfäl. Urk.-B. III S. 328 n. 621): das Nonnenkloster in Rengering (Diöz. Münster), das seit über 40 Jahren die Institutionen der Zisterzienser befolgt, hat um päpstliche Vermittlung gebeten, um dem Orden inkorporiert zu werden; der Orden soll das Kloster inkorporieren, si tot redditus habeat, de quibus commode valeant sustentari, ..gerendo curam earumdem sicut aliorum monasterio- rum ipsius ordinis specialem, non obstante statuto de non incorpo- randis amodo eidem ordini monialibus aut ipsarum monasteris, ut dicitur, a nobis nuper facto iuramento, confirmatione sedis apostolice seu quacum- que firmitate alia roborato, sive quavis alia dicte sedis indulgentia, de qua plenam et expressam oporteat in presentibus mentionem fieri. — 208 — sieren, den Widerstand des Ordens zu überwinden, wie sie es später gegenüber den Bettelorden getan hat, und wenigstens die organisatorische Eingliederung jener Frauenklöster zu er- zwingen, die ohnehin die Zisterzienser-Gewohnheiten befolgten'* — wenn sich ihr nicht gerade in dieser Zeit die Aussicht eröff- net hätte, mit Hilfe der neuen Orden des Dominikus und Fran- ziskus besser zu dem gleichen Ziele zu kommen. Denn diese jungen Orden waren noch in der Bildung begriffen; sie breiteten sich eben erst über die Länder aus; sie standen mit ihren eige- nen Zielen der religiösen Eigenart der Frauenbewegung ohne- hin näher als die Zisterzienser; und es mußte um so mehr die Hoffnung bestehen, mit ihrer Hilfe die religiöse Bewegung unter den Frauen in die geregelten Bahnen des Ordenslebens einzu- fügen, als sich die beiden neuen Orden in ihren Anfängen selbst an die Aufgabe gewagt hatten, neue Lebensformen für religiöse Frauengemeinschaften in Zusammenhang mit den neuen Orden zu schaffen. 2. Dominikanerorden und Frauenklöster in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Dominikus hatte schon in der frühesten Zeit seines Wirkens gemeinsam mit dem Bischof Diego von Osma die Aufgabe in Angriff genommen, eine Lebensform für religiöse Frauengemein- schaften zu schaffen, lange ehe er an den Aufbau seines eigenen Predigerordens ging. Die Gründung eines Frauenklosters in Prouille im Jahre 1206 stand im engsten Zusammenhang mit der Ketzerbekämpfung in Südfrankreich, die Diego und Dominikus damals mit neuen Mitteln durchzuführen versuchten. Sie diente unmittelbar dem Zwecke, die religiöse Bewegung unter den Frauen der höheren Stände in kirchliche Bahnen zu leiten, ihnen im Rahmen der Kirche eine Möglichkeit zur Verwirklichung 18. Zwischen 1229 und 1235 schrieben die Bischöfe von Minden und von Ratzeburg an Gregor IX.: Cum plurima sint cenobia dominarum ordi- nis Cisterciensis in Alamannia eidem ordini nondum adhuc incorporata vel a sede apostolica talis ordo sit confirmatus, supplicamus sanctitati vestre, ut ordinem talium dominarum, cum ordinem Cisterciensium obser- vent, licet non incorporate, dignemini vestra auctoritate confirmare; Westfäl. Urk.-B. V S. 354f. n. 356. N ihrer religiösen Ziele zu bieten, die sie bis dahin nur bei den Ketzern gesucht und gefunden hatten. Die Predigt des Diego und Dominikus hatte, wie glaubhaft erzählt wird, manchen Frauen erst die Augen darüber geöffnet, daß es Ketzer seien, die sie bisher als ihre Meister verehrt, denen sie zugehört und die sie für „gute Menschen“, für bons hommes gehalten hatten; weil diese Leute ein evangelisches Leben in christlicher Armut als apostolische Prediger führten, hatten sie, selbst von dem religiösen Drang der Zeit ergriffen, in ihnen die wahren Chri- sten gesehen, und mußten erst durch die Predigt der neuen Mis- sionare belehrt werden, daß das Wirken und die Lehre jener unvereinbar sei mit dem christlichen Glauben der römischen Kirche.” Daraufhin haben sie sich „bekehrt“, und Diego und Dominikus schlossen sie in Prouille zu einer Gemeinschaft zu- sammen. So ist das erste jener Frauenklöster entstanden, die später zum Dominikaner-Orden gehörten.” Die Gemeinschaft 19. Stephan von Bourbon (ed. Lecoy de ia Marche 8.35 $ 27): Als Dominikus in Fanjeaux predigte, traten neun matronae an ihn heran und sagten: /llos homines, contra quos predicas, usque modo credidimus et vocavimus „bonos homines“ (vgl. 0. S. 22). Nach Stephans Bericht hat Dominikus die Bekehrung dieser Frauen durch eine Dämonen-Beschwö- rung bewirkt; das kann aber die Glaubwürdigkeit der geschichtlichen Umstände kaum schmälern, die ähnlich auch in anderen Quellen berichtet werden; vgl. B. Altaner, Dominikus 8.36 und 124f. 20. Damit stimmt vollkommen die Angabe bei Jordanis, De initiis c. 18 (ed. Berthier S. 10) überein: Ad susceptionem autem quarumdam feminarum nobilium, quas parentes earum ratione paupertatis erudiendas et nutriendas tradebant hereticis, earum miseratus opprobrıum servus Dei Didascus quoddam instituit monasterium ..Prulianum; (auf Beschluß des Generalkapitels 1259 wurde Dominikus für Didascus in den Text gesetzt, MOPH III 8.98). — Ferner nennt Bischof Fulko von Toulouse in der ältesten Urkunde für Prouille vom Jahre 1206 die Frauen in Prouille . mulieres conversae per praedicatores ad praedicandum contra haereticos et ad repellendam haeresim pestiferam delegatos (Guiraud, Cartulaire I S.in. 1; vgl. II S.73 n. 322), und in einer anderen Urkunde vom 15. Mai 1211: dominae conversae religiose viventes; ähnlich bezeichnet Erzbischof Berengar von Narbonne am 17. April 1207 die Frauen in Prouille als priorissa et moniales noviter conversae monitis et exemplis fr. Dominici Oxomensis sociorumque eius (ib. S. 109 n. 348 und S. 158 n. 401). Scheeben, Dominikus S.73 will die Worte mulieres conversae in den beiden zuletzt angeführten Urkunden nicht im Sinne von: „bekehrte — 210 — wurde von Dominikus und seinen Genossen geleitet, die in den nächsten Jahren von Prouille aus ihre Ketzermission betrieben. Sie unterschied sich anfangs nicht wesentlich von ähnlichen Frauengemeinschaften der Prämonstratenser oder anderen Augustinerinnen-Kongregationen. Man weiß nicht sicher, ob die Frauen von Anfang an auf klösterliche Gelübde verpflichtet wurden.” Wahrscheinlich legte Dominikus der Ordnung in Prouille die Augustiner-Regel zugrunde?” und fügte als Aus- führungsbestimmungen gewisse Konstitutionen bei, die uns nur in späterer Umformung (als Konstitutionen von $S. Sisto”) er- halten sind.” Ketzerinnen‘“, sondern: „für ein religiöses Leben gewonnene Frauen“ ver- stehen; die anderen Zeugnisse veranlassen ihn nur zu dem Zugeständnis (S. 80), daß sich, „wenn man einem späteren Biographen glauben darf“, auch einige bekehrte Häretikerinnen dem Verein anschlossen. Seine An- sicht, daß trotz der übereinstimmenden Zeugnisse die ersten Frauen in Prouille nicht vor ihrer „Bekehrung‘“ den Ketzern anhingen, weiß Scheeben nur mit der Bemerkung zu begründen, es sei „nicht recht einzusehen, wie Dominikus gerade rekonziliierte Häretikerinnen für geeignet gehalten habe, den Unterricht in den katholischen Glaubenswahrheiten und die Erziehung zu einem katholischen Leben zu übernehmen“. Dagegen ist zu sagen, daß erstens die Frauen von Prouille in Wirklichkeit mit solchen Aufgaben gar nicht betraut wurden (s. u. S. 211 Anm. 24), und daß zwei- tens in anderen Fällen (Katholische Arme, Bernhard Prim) tatsächlich „rekonziliierte Häretiker“ von der Kirche zur Predigt gegen die Ketzerei herangezogen wurden. 21. Scheeben kann seine Behauptung: „Irgendwelche klösterlichen Verpflichtungen waren die Frauen nicht eingegangen“, nur auf das Ar- gumentum ex silentio stützen, daß bis 1211 von einem „Kloster“ Prouille nicht gesprochen wird und daß die (schon vorher auftretenden) Bezeich- nungen „Priorin‘“ und „moniales‘“ nichts für eine klösterliche Gemeinschaft nach einer approbierten Ordensregel beweisen. 22. Scheeben-S.88 vermutet, daß Dominikus i.J. 1211 in Prouille die Regel Augustins einführte, ohne aber die Schwestern durch Gelübde. auf sie zu verpflichten. S.197 sagt er, Prouille sei bis 1216 eine „freie, von keiner alten Ordensregel abhängige Organisation gewesen“, eine Ge- meinschaft, die „nach einer durchaus modernen, von Dominikus entworfe- nen Regel“ lebte; 1216 habe sich die Einführung einer neuen, dem Pre- digerorden konformen Regel in Prouille als notwendig erwiesen (S. 199; dagegen S.243: „an und für sich brauchte die Änderung der Regel der Predigtbrüder nicht notwendig auch eine Änderung der Regel der Schwe- stern zur Folge zu haben“). 23. Über die Konstitutionen von S.Sisto s. Scheeben S.247f.; — 21l — Dominikus hat Prouille Ende 1214 der Leitung seines Mit- arbeiters Natalis übertragen, der als Prior mit einigen anderen Brüdern zur Seelsorge und Unterstützung der Frauen in Prouille blieb, Während der Verhandlungen mit Innozenz III. in Rom im Oktober 1215 erwirkte Dominikus die Aufnahme des Klosters in den päpstlichen Schutz.”” Als der Predigerorden begründet A Simon, L’Ordre des Penitentes S.38ff., 142ff.; Ripoll VII S. 410. 24. Scheeben hat erweisen wollen, daß Prouille ursprünglich nicht ein Frauenkloster, sondern ein Teil des von Diego und Dominikus ge- schaffenen „Predigtwerks“ sein sollte, ein „apostolischer Frauenverein‘ (S. 76), der „in ausgedehntem Maße in der Laienseelsorge verwandt“ wurde (S.248), dessen Aufgabe die Kindererziehung und die religiöse Unter- weisung Erwachsener gewesen sei; die Frauen von Prouille machten nach seiner Meinung „Missionsreisen in die Umgebung von Prouille, besuchten katholische Familien, unterrichteten Kinder und Erwachsene in den Lehren der Kirche und warben für ihr Missionswerk“, und sie „sammeln und erziehen die Kinder katholischer Eltern in Internaten‘“ (S.74). Aber für diese ganze „missionarische“, seelsorgerliche Tätigkeit der Frauen von Prouille gibt es nicht ein einziges Zeugnis. Diese willkürliche Konstruk- tion, die Prouille in genaue Analoge zu den „Ketzerschulen“ setzt, be- gründet Scheeben (S.435 Anm.137) nur mit der „Frontstellung zu den Häretikern und ihren Internaten, von der Jordanis spricht“ (s. o. S. 209 Anm. 20), und mit der „Zugehörigkeit der Frauen zu dem Missionswerk“, die Scheeben durch eine („offenbar stark verstümmelte‘“) Urkunde vom Jahre 1207 bewiesen sieht, in der zwei Eheleute sich und ihren Besitz domino deo et b. Mariae et omnibus sanctis dei et sanctae praedi- cationi et domino Dominico de Osma et omnibus fratribus et sororibus, qui hodie sunt vel in futuro erunt, widmen und diese Schenkung ad sanc- tam praedicationem von anderer Seite bestätigen lassen (Guiraud, Cartulaire II S.1 und 234). Aus dieser sehr unklaren Urkunde schöpft Scheeben überhaupt seine Anschauung über das „Missionswerk“, jene an- geblich Männer und Frauen umfassende Unternehmung des Diego und Dominikus, die Dominikus selbst als sancta praedicatio bezeichnet habe (S. 74, vgl. S.97: „das sich von einer Missionsstation in China oder Afrika nicht unterscheidet“). Aber historisch begründet ist diese ganze Kon- struktion Scheebens nicht. Schon A. Danzas, Etudes sur les temps primitifs de l’ordre de St. Dominique IV S.4f. hat gegen eine solche un- historische Auffassung der Gründung von Prouille überzeugende Einwände erhoben. — Seit 1211 läßt dann Scheeben das andere Ziel der Gemein- schaft von Prouille, das „mönchisch-asketische Leben der Frauen“ — nach unserer Meinung das einzige Ziel der Gemeinschaft von Anfang an — „immer mehr in den Vordergrund treten“, und zwar zunächst — aus Kapitalmangel! (S. 80). 25. Vgl. Scheeben S.172ft. — 212 — war, ging das Frauenkloster Prouille in seinen Besitz über; die Brüder, die wie bisher zur geistlichen und weltlichen Fürsorge für die Frauen in Prouille blieben,’®* bildeten einen selbständi- gen Brüder-Konvent unter einem eigenen Prior.” ; Prouille blieb nicht das einzige Frauenklosier, das schon zu Lebzeiten des Dominikus in dieser Weise mit dem Prediger- orden verbunden war. Auf einer Reise nach Spanien im Winter 1218 leste Dominikus in Madrid die Grundlage zu einem Frauen- kloster, das in den folgenden Jahren von seinem Bruder Manes als Prior betreut und wie Prouille von einigen Brüdern versorgt wurde; über seine Entstehung und Einrichtung wie über die Herkunft der Nonnen in Madrid ist wenig bekannt.” Im Dezember 1219 war dann Dominikus von Honorius III. mit der Reform eines römischen Frauenklosters beauftragt wor- den. Zur Durchführung dieser Aufgabe berief er einige Nonnen aus Prouille nach Rom und setzte auch hier einige Brüder zur Leitung ein. Und so wurden im Jahre 1221 in dem vom Papst geschenkten, neu errichteten Kloster S. Sisto in Rom die dorthin 26. Einer Bulle Gregors IX. an den General Jordanis vom 24. März 1236 zufolge (Ripoll I S.86 n. 149; Guiraud I S.7 n.7) war ein Prior und vier clerici fratres durch Dominikus für die cura in spiritualibus et temporalibus in Prouille eingesetzt; eine Bulle Innozenz’ IV. vom 18. August 1248 (Ripoll I S.183 n. 200; Guiraud I S.8f. n. 10) be- zeichnet sie als reciores, qui curam vestri gerant in spiritualibus et tem- poralibus diligentem. 27. Balme-Lelaidier, Cartulaire de St. Dominique II, 1897, S. 9 ff. 28. Jordanis, De initiis c. 39 (ed. Berthier 8.19): Perrezit in Hispaniam s. Dominicus ibigque duabus domibus instauratis, una apud Madrid, quae nunc est monialium, altera vero apud Segobiam, quae prima fuit domus fratrum Hispaniae, revertens inde Parisius venit anno 1219. — Gerhard Frachet, Vitae fratrum, MOPH I S.224: Duo fratres His- pani missi ad predicandum venerunt ad Matritum ad sorores, quibus b. Dominicus dedit habitum sancte religionis. — Bulle Gregors IX. vom 7. April 1236 an den General und den spanischen Provineial (Ripoll| S.87 n. 153): 5b. Dominicus.. posuit aliquos fratres pro custodia predicti monasterü et pro audiendis monialium ipsarum confessionibus necnon pio reficiendis ipsis cibo spirituali. — Vgl. Scheeben S.259ff. und 295. Ein Brief des Dominikus an die Priorin und den Konvent in Madrid aus den Jahren 1220/21 ist neben einigen Urkunden das einzige von ihm erhaltene Schriftstück, s. Qu6tif-Echard I 8.37; B. Altaner, Dominikus S. 210. — 213 — übergeführten Benediktinerinnen von $. Maria in Trastevere nach den Grundsätzen von Prouille reformiert.’” Mit der Sorge für diese drei Frauenklöster — Prouille, Madrid und S. Sisto in Rom — war der Predigerorden betraut, als Dominikus starb. Die Gründung eines vierten Klosters die- ser Art war in seinen letzten Lebensjahren in Angriff genommen worden, aber nicht zustande gekommen. Als die Prediger- brüder 1218 zuerst nach Bologna gekommen waren, hatte ihr Wirken vor allem in zwei Gesellschaftskreisen Erfolg gehabt: unter den Dozenten und Studenten der Universität, und unter den Frauen des Stadtadels. Der Eindruck ihrer Predigt auf die Frauen der vornehmen Gesellschaft kam ihnen zunächst inso- fern zustatten, als sich deren Familien dadurch zur wirtschaft- lichen Förderung der neuen Genossenschaft bewogen sahen.’ Aber die Wirkung der neuen Prediger ging tiefer. Es war eine Erweckung zu religiössem Leben. Zuerst Diana von Andalö, damals ungefähr 18 Jahre alt, und nach ihr bald andere Frauen des Bologneser Adels ließen ihre ganze Lebensführung von dem relisiösen Geist durchdringen, den die Predigerbrüder verkün- disten.” Als Dominikus selbst im August 1219 in Bologna war, leste Diana vor ihm in der St. Nikolaus-Kirche in Gegenwart anderer Frauen und Predigerbrüder die Gelübde ab — Gelübde, deren Inhalt nicht genau zu bestimmen ist, die aber in Diana 29. Ripoll, I S.13 n.23; vgl.Scheeben S.2%ff., 322, 328f. Mit der Reform waren erst die Gilbertiner von Sempringham beauftragt wor- den; erst als diese sie nicht durchführten, übertrug Honorius die Aufgabe dem Dominikus. 30. Durch die Fürsprache der jungen Diana von Andalö hat sich ihr Vater angeblich dazu bestimmen lassen, den Predigern ein Grundstück für ihren Klosterbau zu schenken; und infolge der Begeisterung der adli- gen Damen Bolognas erpergefacta est devotio militum nobilium et con- sanguineorum dominarum, qui ceperunt fratres adjuvare et venerari. Beide Angaben stammen aus der anonymen, wahrscheinlich von der Schwester Angelica zwischen 1264 und 1283 geschriebenen Darstellung der Anfänge des St. Agnes-Klosters in Bologna (ed. AOP I S.181ff.), die auch für das Folgende hauptsächlich benutzt ist; vgl. B. Altaner, Briefe Jordans S.63; Scheeben 9.350 ff. 31. Ceperunt preterea multe nobiles domine et illustres matrone de civitate Bononie ipsius (Diana) eremplo cum fratribus predicatoribus /amiliaritatem et colloquium habere de salute anime; AOP IS. 181. — 214 — den Plan reifen ließen, in Bologna ein Frauenkloster zu grün- den, das wie Prouille von den Dominikanern geleitet werden sollte. Sie hat darüber mit Dominikus gesprochen, und obgleich manche Brüder Bedenken dagegen erhoben, vor der Vollendung des Brüderkonvents an die Errichtung eines Frauenklosters zu gehen, entschied Dominikus, daß sofort mit dem Bau begonnen werden solle, und beauftragte vier Brüder, einen geeigneten Platz dafür zu suchen (1220). Weiter ist die Ausführung die- ses Planes jedoch damals nicht gediehen. Angeblich verweigerte der Bischof von Bologna seine Zustimmung zum Klosterbau auf dem dafür ausersehenen, zu nahe bei der Stadt gelegenen Ge- lände, Aber diese Begründung vermag nicht verständlich zu machen, warum die Brüder gar nicht weiter nach einem geeig- neteren Bauplatz suchten, sondern die Sache von da an ganz auf sich beruhen ließen. Diana selbst wurde durch den Wider- stand ihrer Eltern behindert, für die Ausführung ihres Planes zu wirken, Sie scheint mit seiner Verwirklichung in absehbarer Zeit nicht gerechnet zu haben; denn am 22. Juli 1221 trat sie bei den Benediktinerinnen in Ronzano bei Bologna ein.‘ Vielleicht ist die Gründung eines Frauenklosters in Bologna nach Art von Prouille damals nicht nur am Widerstand des Bischofs von Bologna und der Eltern Dianas gescheitert. Man- ches spricht dafür, daß Dominikus selbst in der letzten Zeit seines Lebens über die Angliederung weiterer Frauenklöster an seinen jungen Orden anders urteilte als früher. Auf seinem Sterbebett, bei einem letzten Gespräch über Ordensfragen, warnte er die Brüder vor allem eindringlich vor der Gemein- schaft mit Frauen und zumal mit jungen Frauen.” Wollte er 32. Gegen den Willen ihrer Eltern, die sie mit Gewalt wieder aus dem Kloster entfernen ließen. Als sie danach krank im Hause ihrer Eltern lag, trat sie mit Dominikus wieder in brieflichen Verkehr. Nach ihrer Ge- sundung floh sie am 1. Nov. 1222 wieder nach Ronzano, und ihre Familie fand sich nunmehr mit ihrem unbeirrbaren Willen ab. 33. Jordanis, De initiis c. 56 (ed. Berthier S.28f.): In ipso sue egritudinis lectulo duodecim ex fratribus discretioribus advocans cepit ad fervorem et promotionem ordinis ac perseverantiam sanctitatis exhor- tari, admonens feminarum mazime juvencularum suspecta vitare consor- lia, quoniam: hoc genus illecebrosum est nimis et efficax illaqueandis ani- mabus nondum ad. purum ezcoctis.: „En, inquit, usque ad hanc horam in — 215 — damit nur eine Mahnung an die moralische Haltung der einzel- nen Brüder aussprechen? Hat nicht vielmehr schon den Ordensstifter selbst bei dieser letzten Aussprache über die Zu- kunft des Ordens die Frage beschäftigt, ob sich der Orden wei- terhin Frauengemeinschaften angliedern und ihnen zu Seelsorge und Verwaltung Brüder zur Verfügung stellen sollte, die da- durch der großen Aufgabe des Ordens, der Predigt, entzogen würden? Gerade im letzten Lebensjahr des Dominikus, in der- selben Zeit, als auch die Zisterzienser die Aufnahme neuer Frauenklöster verweigerten, als auch Franziskus gegen den An- schluß von Frauenklöstern an seinen Orden kämpfte, gewann diese Frage, wie wir noch sehen werden, auch für den Prediger- orden eine neue Bedeutung und nötigte ihn, sich über sein künf- tiges Verhalten in der Frauenfrage neu zu entscheiden. Tat- sächlich ist unmittelbar nach dem Tode des Stifters der Wider- spruch gegen die Angliederung neuer Frauenklöster im Orden wirksam geworden, und zwar zuerst gerade gegenüber der von Diana von Andald betriebenen Errichtung eines Frauenklosters unter dominikanischer Leitung in Bologna. Denn nach Dominikus’ Tod hatte Diana ihren Plan wieder aufgenommen, und die Dominikaner, voran der neue General Jordanis von Sachsen, der schon vorher als Provinzial der Lom- bardei zu Diana in freundschaftlichen Beziehungen stand, haben sie zunächst tatkräftig unterstützt. In der Himmelfahrtswoche des Jahres 1223 wurde im Beisein Jordans und mehrerer Brü- der das neu errichtete Kloster S. Agnes von Diana und vier anderen Schwestern bezogen; drei Wochen danach (29. Juni) hat der General die Schwestern feierlich in die Ordenstracht eingekleidet und die Predigt der Brüder hat bald auch andere Frauen zum Eintritt in das Kloster gewonnen.”* Der General erwirkte bei Honorius III. nach einigen Schwierigkeiten die carnis incorruptione misericordia me divina servavit; non tamen hanc me imperfectionem evasisse confiteor, quin magis me afficerent juvencularum colloquia quam vetularum affatus“. 34. AOP I S.182: Paulo post due nobiles domine de Ferraria earum collegio sociate sunt. — S.183: Fratres predicantes per Lombardiam et Marcham convertebant dominas ac earum collegio sociare curabant ,. de nobilioribus Lombardie et Marchie. — 216 — Übersiedlung von vier Schwestern aus S. Sisto in Rom nach S. Agnes in Bologna, ut eas docerent ordinem et modum reli- gionis.” Aber trotz alledem bestand zwischen dem neuen Frauenkloster und dem Orden noch nicht dasselbe Verhältnis wie in Prouille, Madrid und Rom. Denn die Dominikaner hatten sich nicht verpflichtet, Schutz, Seelsorge und Verwaltung von S. Agnes durch einen besonderen Konvent ständig dort wohnen- der Brüder in gleicher Weise zu übernehmen wie in jenen älte- ren Klöstern.‘ Es zeigte sich bald, daß der Orden nicht ge- willt war, das neue Kloster wie die drei alten zu behandeln. Persönliche Gründe kann das nicht gehabt haben. Gerade der Nachfolger des Dominikus im Generalat stand zu Diana und ihrem Kloster von Anfang an und bis zu seinem Tod in nahen freundschaftlichen Beziehungen, besuchte sie so oft er konnte und schrieb ihnen von allen Reisen Briefe, die sein enges per- sönliches Verhältnis zu den Frauen in Bologna bezeugen.’’ Es scheint auch — wenn der Bericht über die Anfänge von S.Agnes hierin zuverlässig ist” — daß Jordanis selbst den vollständigen Anschluß von S. Agnes an den Orden befürwortet hat. Aber 35. Über die Einzelheiten vgl. B. Altaner, Briefe Jordans 8.75 ff. 36. Nach dem anonymen Bericht über die Anfänge von S. Agnes (AOP I S.183) ließ Jordanis täglich im Kloster die Messe zelebrieren und hatte im Anfang Laienbrüder (conversi) bestellt, qui in eadem residerent domo ac procurarent temporalia ipsarum, also nicht wie in den drei älteren Frauenklöstern /ratres clerici unter einem eigenen Prior! Der Bericht fährt fort: Sed tempore procedente sororibus visum est melius, ut in domo earum residere minime tenerentur conversi vel clerici; et ideirco felix pater ordinavit hoc,.. ut quotidie ipsis celebrarent divina, licet in domo earum residere non tenerentur. — Da der ganze Bericht darauf ausgeht, das S. Agnes-Kloster als domus ordinis und damit den Anspruch der Schwestern auf die Cura der Prediger zu erweisen, sind seine Angaben und Motivationen mit Vorsicht zu verwenden; aber die Tatsachen sind ohne Zweifel zuverlässig angeführt. 37. Vgl..B. Altaner, Briefe Jordans 8.119 ff. 38. AOP I 8.183: Frater Guala ex voluntale magistri (Jordanis) sum- mum pontificem Honorium adiüt literasque preceptorias impetravit, ut magister ordinis domui S. Agnetis teneretun curam gerere sicut alicuius domus fratrum ordinis, sicque.. magister Jordanus literis sibi presentatis in generali capitulo, quod tunc celebratum fuit Bononie, ex voluntate om nium definitorum recepit eamdem domum — 217 — der Widerstand gegen die Eingliederung weiterer Frauenklöster war inzwischen im Orden so stark geworden,’® daß es der Ver- mittlung der Kurie bedurfte, um den Orden zur Übernahme der- selben Verpflichtungen gegenüber S. Agnes zu veranlassen, die er in Prouille, Rom und Madrid erfüllte. Honorius III. hat den Generalminister durch eine Bulle in ziemlich schroffem Ton‘ angewiesen, S. Agnes in dieselben Beziehungen zum Orden auf- zunehmen wie die drei anderen Klöster.” Kraft dieser Bulle 39. AOP I S. 183 (anschließend an die oben Anm. 36 zitierte Stelle): Tempore autem procedente ceperunt quidam fratres questionem facere de predicta domo ac predictis sororibus molestiam inferre. Unde predicius pater instante capitulo generali apud Parisium (nach Altaner, Briefe Jordans S.91 wahrscheinlich 1226) una cum diffinitoribus habuit consilium cum magistris Parisiensibus, qui simul tale dederunt responsum, videlicet quod eandem domum non poterant a sua cura sequestrare absque mortali peccato. Et tunc ipse beatus pater vwalde duriter reprehendebat ilos quı aliqualem querimoniam sive questionem movebant de predicta domo, et erhortabatur eos ac monebat valde, presens et absens, ut illam domum diligerent ac consolarentur utpote domus ordinis. — Derartige Kund- gebungen Jordans und des Kapitels sind freilich nicht bekannt. 40. B. Altaner, Briefe Jordans S.92 bringt die Angabe -der Kloster- tradition (s. 0. S. 216 Anm. 38) und den Text der Bulle durch die Ver- mutung in Einklang, Jordanis habe selbst diese „merkwürdig unfreund- liche Fassung“ der Bulle gewünscht, um sich „eine Rückendeckung und sichere Position“ gegenüber der Opposition zu verschaffen, die alle Seel- sorge in Frauenklöstern ablehnen wollte. Aber die Quellen sind zu dürf- tig, um diese Vorgänge mit Sicherheit erkennen zu lassen. 41. Ripoll VII S.7: Ad audientiam nostram pervenit, quod licet in Christo filie Diana fundatriz et quedam alie sorores domus s. Agnetis.. secundum ordinem fratrum Predicatorum in manus bone memorie fr. Do- minici predecessoris tui professionem fecerint, firmam spem fiduciamque tenentes sub eodem ordine perpetuo permanere, tu tamen domum ipsam, priorissam et alias sorores degentes inibi quasi pro derelictis habens, circa eas officii tui debitum (quod non sine admiratione referimus) non exerces. Ne igitur ipse spe, quam tui predecessoris tempore ipso docente ac duce ad eundem noscuntur ordinem habuisse, per tuum defectum doleant se frustratas, discretioni tue per apostolica scripta mandamus atque preci- pimus, quatenus eas et locum earum sub custodia et correctione tua sus- cipias sicut cetera loca eiusdem ordinis tue discretioni com- missa. Dat. 17. Dez. 1226. — Dadurch sollte nicht ein früherer Zustand wiederhergestellt werden, sondern Diana setzte erst damals ihren An- spruch auf Inkorporation durch. Das zeigt auch ein Brief Jordans an Diana vom Anfang 1227 (Altaner, Briefe Jordans $.26f.): Scripsisti — 218 — hat der General Jordanis die Inkorporation auf dem General- kapitel in Bologna 1227 durchgesetzt und vollzogen. Damit war zum ersten Male durch päpstliche Vermittlung gegen den Widerstand innerhalb des Ordens die Aufnahme eines Frauenklosters in den Ordensverband erwirkt worden. Dieser Vorgang hat sich später vielfach wiederholt. Inzwischen aber traf der Orden Maßnahmen, um sich gegen die Eingliede- rung weiterer Frauenklöster zu sichern. Auf dem „Capitulum generalissimum" in Paris 1228, auf dem die erste Gesamtfassung der Ordenskonstitutionen be- schlossen wurde — im gleichen Jahre also, als auch die Zister- zienser die Aufnahme neuer Frauenklöster grundsätzlich ab- lehnten — wurde unter strengem Gehorsam und bei Strafe der Exkommunikation allen Ordensbrüdern verboten, die Über- nahme weiterer Frauenklöster durch den Orden zu betreiben oder die Gelübde von Frauen entgegenzunehmen und sie einzu- kleiden.”” Was diesen Beschluß hauptsächlich veranlaßte, dar- auf hat der General Jordanis selbst in zwei Briefen an Diana von Andalö und an den Provinzial der Lombardei hingewiesen, mihi, quod adhuc non placuit tibi mori,.. eo quod domus s. Agnetis non fuit sub ordine stabilita et confirmata. Nunc autem securius cupis dis- solvi et esse cum Christo. — Kurz vorher beglückwünschte der General die Frauen in S. Agnes zu ihrem Erfolg (Altaner 8.12): Zt ego audiens novos rumores de consolatione, qua tu consolata es, et in sorores super beneficio, quod noviter traditum est tibi, gratulor omnibus sororibus, qua- rum gaudium meum est... Litteras autem, quas mihi summus pontifex destinavit pro te, tuae custodiae committo, sisque ipsarum fidelis servatrir. 42. ALKG I S. 222, Dist. II c.27: In virtute spiritus sancti et sub pena excommunicationis districte prohibemus, ne aliquis fratrum nostrorum de- cetero laboret vel procuret, ut cura vel custodia monialium vel quarum- libet aliarum mulierum nostris fratribus committatur; et si quis contraire presumpserit, pene gravioris culpe debite subjaceat. Prohibemus etiam, ne aliquis decetero aligquam tondeat vel induat vel ad professionem recipiat. — H. Wilms, Gesch. der deutschen Dominikanerinnen S.44 nimmt an, schon das Generalkapitel zu Paris 1224 habe beschlossen, in keinem Nonnenkloster mehr die Seelsorge zu übernehmen. Für diese Annahme findet sich kein Beleg, sie beruht wohl auf falscher Datierung der Jor- danisbriefe 48 und 49, die sich auf das Kapitel von 1228 beziehen (s. u.). Wilms setzt die Bulle Honorius’ IH. von 1226 zu jenem angeblichen Kapitelsbeschluß in eine falsche Beziehung. — 219 — Man hatte in Bologna geglaubt, der Kapitelsbeschluß von 1228 richte sich gegen das Kloster S. Agnes und werde das eben erst mühsam vollendete Werk der Diana lähmen; denn man be- fürchtete, wenn es allen Brüdern verboten wurde, die Gelübde von Frauen entgegenzunehmen, so könnten künftig auch keine neuen Schwestern für S. Agnes durch die Dominikaner aufge- nommen und eingekleidet werden. Der General der von diesen Besorgnissen hörte, versicherte dagegen, der Beschluß solle nicht die bereits zum Orden gehörigen Frauenklöster treffen, zumal ja gegen sie gerichtete Maßnahmen des Kapitels gegen die päpstlichen Anweisungen verstoßen würden; es sei auch tat- sächlich von keinem Kapitel und von keiner Instanz ein Be- schluß gegen die dem Orden bereits inkorporierten Frauen- klöster erwogen worden. Der neue Kapitelsbeschluß aber ziele auf ganz andere Verhältnisse, In manchen Ordensprovinzen und besonders in Deutschland haben die Prediger-Brüder oft jungen Frauen und Dirnen, die sich zur Buße bekehren und Keuschheit geloben wollten, ohne weiteres die Gelübde abge- nommen und eingekleidet werden. Der General, der von diesen Ordensbeschluß einschreiten.** Aus diesen Erklärungen des Dominikanergenerals wird deutlich sichtbar, in welchen Verhältnissen die Schwierigkeiten in der Beziehung des Ordens zu den Frauengemeinschaften eigentlich begründet lagen. Nicht die wenigen Frauenklöster 43. B. Altaner, Briefe Jordans S. 48: Alia fuit causa quare illud statuimus, non propter sorores nostras quidem, sed propter personas ex- traneas mulierum, quas fratres nostri in diversis provincüs, dum converti vellent, tondere, induere vel ad professionem continentie recipere facile consueverunt. S.49 an den Provinzial der Lombardei: Nec enim unguam in aliquorum definitorum conscientiam hoc ascendit nisi propter eos dumtazat fratres, qui in aliquibus provincis, velut in Theutonia et etiam alias, dum in predicatione exirent, meretrices aut jwvenculas virgines sive converti volentes ad penilentiam sive ad votum continentie se offerentes facile tondere, induere vel ad professionem recipere consueverunt. Ego.. scio quod cum predicta institutio facta fuit, nec verbum nec intentio de sororibus ordinis ulla fuit; id enim esset eas a nobis quasi penitus seque- strare,; und das hätte das Kapitel gar nicht verfügen können, nam in pape prejudicium fecissemus, cuius precepto eis sumus tamquam et alüs fra- tribus ordinis obligati. — 20 — der romanischen Länder haben den Orden veranlaßt, seine Haltung in der Frage der Eingliederung von Nonnenklöstern zu ändern. Sondern der weibliche Zudrang zum Orden in den nördlichen Provinzen, vor allem in Deutschland nötiste ihn zu einer grundsätzlichen Stellungnahme. Es ist sehr wohl möglich, daß schon Dominikus selbst in der letzten Zeit seines Lebens durch Nachrichten über die Verhältnisse in Deutschland be- denklich geworden war, ob die Bereitschaft des Ordens zur An- gliederung von Frauengemeinschaften aufrecht erhalten werden sollte. Denn die Zustände in Deutschland, auf die Jordanis 1228 hinweist, hatten sich schon längere Zeit vorher bemerkbar gemacht, seit überhaupt die Dominikaner nach Deutschland ge- kommen waren. Das zeigen die Mitteilungen Jordans über sei- nen Freund Heinrich, den ersten Prior von Köln,‘* dessen Wir- ken als Prediger vor allem unter Jungfrauen, Witwen und Büßerinnen von starkem Erfolg war, dessen früher Tod beson- ders von den Kölner Frauen beweint und beklagt wurde.” Solchen starken, unmittelbaren Widerhall in Frauenkreisen konnte das erste Auftreten der Dominikaner in Deutschland und zumal in Köln nur deshalb finden, weil es gar nicht erst der Bettelordens-Propasanda bedurfte, um unter diesen frommen Frauen eine religiöse Bewegung zu entfachen. Hier trafen viel- mehr die Wellen der vom Süden ausgehenden Bettelordens- bewegung und der religiösen Frauenbewegung der nördlichen Länder aufeinander. Die Folge war der ungeheure Andrang religiöser Frauen zu den neuen Orden, den der Orden nicht ge- wollt hat, gegen den er sich sogar mit allen Kräften gesträubt 44. Die Frage, ob vor Heinrich ein anderer Prior in Köln war, ist hier unwichtig; vgl. J. Greven, Bonner Z. f. Theologie und Seelsorge II S. 37: G. Löhr, QF XV S. 1; Scheeben, Dominikus S. 361. 45. Jordanis, De initiis ed. Berthier S.25: Missus pro priore Co- loniam, gquam copiosum ibidem et uberem manipulum animarum in virgini- bus, in viduis, in veris penitentibus per assiduam predicationem lueri- fecerit Christo... tota adhuc clamat Colonia. Hier auch die Erzählung von dem wunderbaren Erlebnis einer verheirateten venerabilis matrona in Köln nach Prior Heinrichs Tod, der er früher deutsche Erbauungsbriefe geschrieben hatte, vgl. u. S. 459. Ferner Altaner, Briefe Jordans S.44f. n.44 und S.54 n. 52. — 21 — hat, den er aber schließlich hinnehmen mußte. Das hat den Verlauf der Ordensgeschichte während des 13. Jahrhunderts in Deutschland sehr wesentlich beeinflußt. Ein Kolmarer Dominikaner-Chronist hat in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts sehr zutreffend die Lage geschil- dert, die die Dominikaner in Deutschland vorfanden.‘° Vielfach bestanden schon Gemeinschaften von Klausnerinnen, in der Nähe irgendeiner Kapelle lebend, deren sich der Orden an- nahm, um sie zu Frauenklöstern auszugestalten. Ferner hatten sich schon vor der Ankunft der Bettelorden in Deutschland Gemeinschaften von „armen Schwestern“ gebildet, die religiöse Tracht trugen, ohne einem bestimmten Orden anzugehören oder als Kloster anerkannt zu sein; auch aus solchen Schwestern- schaften sind durch die Mithilfe der Dominikaner Frauenklöster erwachsen. Außerdem haben sich dann Jungfrauen und Wit- wen, vor allem adligse und reiche Frauen den Dominikanern angeschlossen und wurden in adligen Klöstern zusammen- gefaßt. Dieses von einem dominikanischen Chronisten entworfene Bild von dem Zusammentreffen des Predigerordens mit der religiösen Frauenbewegung in Deutschland‘ läßt sich in allen 46. De rebus alsatieis ineuntis seculi XII, MGSer. XVII S.234f., ge- schrieben von dem Verfasser der großen und kleinen Kolmarer Annalen; vgl. R. Reuss, De scriptoribus rerum Alsaticarum historieis, 1898, S. 19; Papst, Annalen und Chronik von Colmar S. XII. — Fratres predicatores quedam mulierum claustra in Theotonia construxerunt, que postea lauda- biliter in omnibus profecerunt. Hec autem hoc modo inchoata a patribus referuntur. Fratres predicatores cum primitus in Theutoniam pervenis- sent, invenerunt quasdam mulierculas inclusas prope capellas, quas multi- plicarunt et in mulierum claustra mutaverunt. Aliquando etiam pauperes sorores, hoc est mulierculas aliquas, que aliqualem habitum religionis deferebant, acceperunt easque in locum aligquem posuerunt et cum eis clav- stra monialium construxerunt. Interdum etiam viduas, virgines, nobiles, divites acceperunt et cum eis nobilia construxerunt. Ea autem, que inchoaverunt, in religione, divitiis et honore et in omnibus alis laudabi- liter processerunt. Darauf folgt eine interessante Beschreibung ihrer Tracht und der Einrichtungen dieser Klöster. Vgl. unten S. 346 f. Anm. 46. 47. Auch der Prämonstratenser-Abt Emo von Wittewierum (Friesland; geschrieben 1234/7) zählt neben den Bettelorden, Humiliaten und Beginen die religiösen Frauengemeinschaften als eine besondere Erscheinung aus —_— 22 — einzelnen Punkten bestätigen durch die Beobachtung der an- fänglichen Entwicklung jener deutschen Frauenklöster, die spä- ter zum Dominikanerorden gehörten. Zwar liegen diese Anfänge vielfach im Dunkeln. Aber die ältesten erhaltenen Urkunden geben über die Anfänge vieler Klöster doch zureichenden Auf- schluß, wenn man sie in Zusammenhang bringt mit den ausführ- licheren Klosterüberlieferungen, die in mehreren Dominikane- rinnen-Klöstern in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts auf- gezeichnet worden sind. Allerdings läßt sich diese Entwicklung nicht in zeitlicher Folge schildern. Denn nahezu gleichzeitig, wenn auch nicht überall gleichmäßig gut bezeugt, vollzieht sich überall in Deutschland im zweiten Viertel des 13, Jahrhunderts diese Eingliederung der religiösen Frauen in den Dominikaner- orden. Am besten wird sich an einigen gut bezeugten und durchaus typischen Beispielen zeigen lassen, wie dieser Prozeß vor sich ging. Es handelt sich dabei hauptsächlich um zwei Möglichkeiten: einerseits um solche Frauengemeinschaften, die schon vor der Ankunft der Bettelorden in Deutschland oder doch ohne ihren Einfluß entstanden sind und sich schon mehr oder weniger klösterlich organisiert haben, ehe sich der Domini- kanerorden ihrer annimmt; andererseits um Gemeinschaften, die erst unter der Einwirkung der Dominikaner entstanden sind und sich mit ihrer Hilfe zu Klöstern entwickelt haben. Das Verhält- nis des Ordens zu den Frauengemeinschaften ist jedoch in bei- den Fällen ziemlich das gleiche, und als es zur Entscheidung kam, ob der Orden diese Frauenklöster inrem Wunsche gemäß inkorporieren sollte oder nicht, spielten die anfänglichen Unter- schiede der Entstehungsgeschichte schon keine Rolle mehr. Bei einer großen Zahl deutscher Frauenklöster, die später dem Dominikanerorden eingegliedert wurden, ist über die Ur- sprungsgeschichte nur soviel festzustellen, daß das Kloster aus einem freien Zusammenschluß religiöser Frauen entstand, die zunächst ohne bestimmte Klosterregel und ohne Ordenszuge- der Zeit Gregors IX. auf; MGSer. XXIII S.517: Multe siquidem novitates in diebus domni Gregorü noni pulularunt. Prima est religio Predicatorum, qui ut nubes volant; item Humiliatorum seu Nodosorum vel Nudipedum (— Franziskaner); item quorundam simplicium, qui dicuntur Beggini; item collegia communium feminarum. EIER nm hörigkeit aus eigenem Ansporn und aus eigner Kraft ihre reli- giösen Ideale der Armut und Keuschheit in solchen Gemein- schaften verwirklichen wollten. Man hat ‘in solchen Fällen meist gesagt, an der Stelle des späteren Klosters habe vorher eine Gemeinschaft von Frauen bestanden, die „nach Art der Beginen“ lebten; das Kloster sei aus einer „Beginensammlung“ hervorgegangen.“* Das am besten bekannte Beispiel einer solchen Entwicklung von einer freien, aus eigenem Antrieb entstandenen, „beginen- artigen‘ Frauengemeinschaft zum Dominikanerinnenkloster bie- tet das Kloster Engelthal bei Nürnberg. Das Nonnenbuch aus dem 14. Jahrhundert“ und die erhaltenen Urkunden ergeben 48. Vgl. L. Baur, FDA XXIX (N.F. II) S.38f. über Neidingen a.d. Donau (vgl. Fiekler, Gymn.-Progr. Donaueschingen 1845/46); S.41 über Katharinenthal; S.47f. über Löwenthal bei Buchhorn (Friedrichshafen); S.49 über die drei Frauenklöster in Konstanz; S.54 über Saalgau-Siessen; S.56 über S. Katharina in St. Gallen (vgl. A. Hauber, Zentralbl. f. Bib- liothekswesen XXXI S.361); S.57 über Mariaberg bei Reutlingen; S.27 über Adelhausen bei Freiburg (vgl. König, FDA XII S.132). H.Wilms, Verzeichnis S.24 über Wien; S.31 über Augsburg; S.50 über Ammersch- weiler; S.63 über Koblenz. Steichele, Das Bistum Augsburg III S. 467 über Dorf-Kemnaten. Heimbucher, Orden u. Kongregationen °I S.581. Riezler, Gesch. Baierns II S.220ff. — Auch das Kloster Weil bei EBß- lingen ist aus einer Gemeinschaft von „Conversen‘ entstanden, die 1230 aus Eßlingen nach Weil übersiedelten (Wirt. Urk.-B. III S.269 n. 778); Beziehungen zu den Dominikanern sind erst 1245 nachweisbar, als das Kloster dem Orden inkorporiert wurde. — Ebenso ist das S. Gertrud- Kloster in Köln, das eine bedeutende Rolle in der deutschen Mystik spielte, aber leider keine Klostertradition hinterlassen hat, aus einer Beginengemeinschaft entstanden; 1257 verlegte die „Rekluse“ Helwig und ihre Mitschwestern ihre Wohnung nach der Kapelle S. Gertrud und sie erhalten einen Schutzbrief; sie befolgen damals die Augustinerregel, stehen aber noch nicht unter dominikanischer Leitung; erst seit 1263 wird die In- korporation in den Dominikanerorden betrieben, erst 1283 wird sie voll- zogen; s. G. Löhr, Annalen des hist. Vereins f. d. Niederrhein CX S.65 ff. 49. Der Nonne von Engelthal Büchlein Von der Genaden Überlast, ed. K. Schröder. Die „Fundation des Frauenklosters zu Engelthal“ bei G.E.Waldau, Vermischte Beyträge zur Gesch. der Stadt Nürnberg II, 1787, S.121 ff. ist nur ein Auszug aus dem Engelthaler Büchlein, verfaßt von einer Nonne des Katharinen-Klosters in Nürnberg, um eine Vorge- schichte ihres Klosters zu geben, das 1294 von Nonnen aus Frauenaurach begründet wurde; Frauenaurach (b. Erlangen) ist um 1269 von Engel- — 224 — gemeinsam ein vollständiges und sicheres Bild von den Anfän- gen des Klosters, das für die Ordensgeschichte des 13, Jahr- hunderts höchst lehrreich ist. Sein Ursprung knüpft an ein be- kanntes Ereignis an. Als die junge Elisabeth von Ungarn im Jahre 1211 zur Verlobung mit dem Sohn des Landsrafen von Thüringen durch Nürnberg zog, blieb eine ihrer Begleiterinnen, die Harfnerin Alheit, in der Stadt zurück und bekehrte sich zu einem Leben in Buße und Gottesminne; sie saz ze Nornberch in einem haus und warde reht als ein lucern, wanne sie waz vor weit erkant von irm sundigen ampt. Wahrscheinlich nicht lange danach bildete sich in Nürnberg eine kleine Samenunge von Beginen, eine Gemeinschaft frommer Frauen, die nach der reli- giösen Stimmung dieser Zeit durch Keuschheit und freiwilligen Gehorsam sich Gottes Lohn zu gewinnen trachteten.”’ Diese Gemeinschaft bat die Büßerin Alheit, sich ihr anzuschließen und ihre Meisterin zu werden.°' Unter ihrer Leitung beginnen sie dann ihr gemeinsames Leben. Ihr Hab und Gut legen sie zu thaler. Nonnen angefangen worden. Einzelne Angaben der „Fundation“, die das Engelthaler Büchlein nicht enthält, beruhen vielleicht auf guter mündlicher Tradition. Einige Urkunden über Engelthal bei J.C.Mar- tini, Beschreibung des Frauenklosters Engelthal, 1762; vgl. Fr. Hei- dingsfelder, Regesten der Bischöfe von Eichstätt S.223f. 50. Ez waz ein cleinew samemunge von begin in der stat, da ward man predigen, wie grozzen lon unser herre wolt geben umb die reinicheit und umb willigew gehorsam; Engelthaler Büchlein S.1; die Frauen sind aber damals sicherlich noch nicht als Beginen bezeichnet worden, denn dieser: Name tritt in Süddeutschland erst später auf (s. o. S. 186). Urkund- lich sind Beginen in Nürnberg erst 1280 bezeugt, ss. Würfel, Historisch- genealog. und diplomat. Nachrichten zur Nürnberger Stadtgesch. II S. 723; Waldau, Neue Beitr. zur Gesch. der Stadt Nürnberg I S.224. Sie haben natürlich mit den „Beginen‘“ des Engelthaler Büchleins nichts zu tun. 51. Wann das geschah, ist nicht festzustellen. Die Verfasserin des Engelthaler Büchleins wußte es nicht genau; sie saßen etliche Jahre zu Nürnberg (bis 1239), sagt sie, der zahl waiz ich niht. Es können mehrere Jahre vergangen sein zwischen der Bekehrung Alheits in Nürnberg (1211) und ihrem Zusammenschluß mit den Beginen. Nach Angabe des Domini- kaner-Chronisten Joh. Meyer ist das Kloster unter dem General Jordan von Sachsen entstanden (1222—1236), ss. Wilms, QF XXIV S.71 Anm. 2. Auf Begründung des eigentlichen „Klosters“ in Engelthal (seit 1240) kann das nicht zutreffen, vielleicht aber auf die Entstehung der Gemeinschaft in Nürnberg. — 225 — gemeinsamem Besitz zusammen, aber zur Fundierung eines Klosters reicht es zunächst nicht aus.”” Aber ihr Dasein regeln sie ganz nach den Formen des Klosterlebens, ohne sich jedoch auf eine bestimmte Regel zu verpflichten und ohne sich der Seelsorge des zuständigen Pfarrers (von S.Lorenz) und dem Gehorsam gegen ihn zu entziehen. Sie wählen eine Subpriorin; sie lesen, so gut sie es verstehen, die Stundengebete; die Meiste- rin hält die Tischlesung in deutscher Sprache. Das fromme Leben dieser Frauen, der sorores Rottharinne, wie man sie nach ihrer Meisterin, der Rotterin (= Harfnerin) Alheit nennt,’* wird bald weit herum bekannt. Schon aus diesen ersten Zeiten der Gemeinschaft wird von besonderen Gnadenerlebnissen und Ver- zückunsgen der Schwestern berichtet. Gaben und Stiftungen fließen ihnen zu. Ein Laienbruder holt die Schenkungen von weit herbei. Der Stolz der Gemeinschaft sind wertvolle Gaben der Königin Kunigunde von Böhmen (1230/48). Die weitere Entfaltung aber wurde gestört, als Nürnberg nach der Bannung Friedrichs II, durch Gregor IX. im Jahre 1239 unter dem Inter- dikt stand. Die Frauen hielten es für geraten, sich wenigstens vorübergehend eine andere Stätte zu suchen. Sie wandten sich an den Reichsministerialen Ulrich von Königstein, um bei ihm Unterkunft zu finden, und im Sommer 1240 erhielten sie von ihm drei Höfe in Engelschalksdorf zum Geschenk.” Das be- deutete einen wichtigen Wendepunkt in der Geschichte der Ge- meinschaft. Sie hatten einen „Stifter gefunden, der es ihnen ermöglichte, für immer an der neuen Stätte zu bleiben, die sie 52. Engelthaler Büchlein 8.2: seit sie niht hetten dez guts, daz sie ein closter gestiften mohten. 53. S. die Urkunde Ulrichs von Königstein von 1240 bei Martini S.8f.; s. folg. Anm. 54. Die Schenkungsurkunde Ulrichs von Königstein ist bei Martini S.9 falsch datiert auf 1245; das richtige Datum 28. Juli 1240 bei Fr. Hei- dingsfelder, Regesten S.224; es paßt auch allein zu der Darstellung im Engelthaler Büchlein und zu der folgenden Urkunde von 1243. Im Büchlein ist nur die Angabe ungenau: da sie da gewont heten in daz virde jar, da kam die groez vinster, denn es kann damit nur die Sonnenfinster- nis vom 6. Okt. 1241 gemeint sein. Zeugen der Schenkung von 1240 an die sorores cognomine Rottharine Norimberc qguondam deo militantes sind 5 Reichsministerialen und 5 Nürnberger Bürger. — 226 — Engelthal benannten, dort zunächst eine Kapelle zu errichten (für den hl. Lorenz, in Erinnerung an ihre Nürnberger Pfarre) und bald darauf an die Begründung eines Klosters zu gehen. Als kurz danach das Enkelkind des Herrn von Königstein, sein einziger männlicher Erbe, bei dem Engelthaler Hof tödlich ver- unglückte, vermachte er den Schwestern vollends seinen ganzen Besitz in dem Dorf Schweinach und nahm ihn nur auf Lebens- zeit gegen eine jährliche Pension von ihnen zu Lehen.” Da- Gdurch war nun die Frauengemeinschaft, die noch in der ersten Zeit ihres Aufenthaltes in Engelthal nur mit großer Mühe durch eigne Feld- und Hausarbeit ihren Unterhalt erwerben konnte,’ gut genug ausgestattet, um die wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine Klostergründung zu erfüllen. Und nun erst, nachdem sich die Frauengemeinschaft aus eigner Kraft durchgesetzt und zum Kloster entwickelt hatte, begannen die Mönchsorden in die- ser Klostergeschichte eine Rolle zu spielen. Es kamen sieben Äbte vom grauen Orden, von den Zisterziensern, so berichtet das Nonnenbuch, und baten diese „heilige Sammlung‘ inständig, sich ihrem Orden anzuschließen. Trotz aller Maßregeln des Ordens gegen die Aufnahme neuer Frauenklöster bemühten sich also noch in den vierziger Jahren Zisterzienser-Äbte, so gut fundierte Klöster, wie es Engelthal inzwischen geworden war, für ihren Orden zu gewinnen.’ Der Stifter Ulrich von König- 55. Urkunde von 1243 bei Martini S.6f. Unter den Zeugen befin- den sich neben Adligen und Nürnberger Bürgern auch der Abt von Kastel und der Abt von S. Egidien in Nürnberg. Ulrich von Königstein. spricht von den sorores in Engelthal, cuius fundator eztiti. 56. Engelthaler Büchlein S.3. 57. Tatsächlich ist eine ganze Reihe von süddeutschen Frauenklöstern, die aus freien, „beginenartigen‘“ Gemeinschaften entstanden und genau wie Engelthal durch adlige Stifter „klosterfähig“ geworden waren, in die- ser Zeit in den Zisterzienserorden aufgenommen worden: Niederschönen- feld bei Burgheim (östl. Donauwörth) i. J. 1241, s. Mon. Boica XVI S. 259; Joh. Knebel, Chronik des Klosters Kaisheim S.66ff.; Steichele, Das Bistum Augsburg II S.590, 678. — Oberschönenfeld wahrscheinlich vor 1240, sicher vor 1248; s.J.Knebel S.45ff., 67; Steichele S. 39; Th. Wiedemann in Steicheles Beitr. zur Gesch. des Bistums Augsburg II S.193ff., P. Braun, Gesch. der Bischöfe von Augsburg II S.543 und Gesch. der Grafen von Dillingen und Kiburg S.420; S.Riezler, Gesch. Baierns II S.220; die Gemeinschaft hat angeblich schon seit 1211: bestan- — 227 — stein wollte jedoch nicht, daß sich Engelthal den Zisterziensern anschlöße; er wünschte, daß die Schwestern in frawelichem Ge- wande gingen, widerstrebte also anscheinend überhaupt dem Gedanken, daß aus den Schwestern, die keinem Orden ange- hörten, Nonnen würden im eigentlichen Sinne.” Diese Abnei- gung gegen die „Vernonnung” der religiösen Frauen ist damals in Süddeutschland nicht ganz vereinzelt.” Aber diese Abnei- $ung konnte sich gegen die Entwicklungstendenzen der Ordens- geschichte nicht durchsetzen. Wollte Engelthal ein Kloster mit allen Rechten werden, so mußte es sich einem Orden an- schließen. Hatte es die Inkorporation in den Zisterzienserorden abgelehnt, so blieb ihm kaum ein anderer Weg als der Anschluß an den Dominikanerorden übrig,” der auch tatsächlich kurz den, in den 20er Jahren hat ihr der Vogt Volkmar von Kemnat den Klostergrund gestiftet. — Stahelsberg, um 1245 gegründet, 1252 nach Zimmern verlegt, s. Steichele III S.667ff. — Heckenbach (Heppbach, Heggbach; zw. Biberach und Ochsenhausen), angeblich 1233 gegründet a duabus conversis feminis, Beginas vocabant, quarum una erat ex nobili gente Rosenburgiorum, altera vero er Laudenburgensi familia, denen sich andere puellae nobiles anschlossen, s. G. Bruschius, Monast. Germ. centuria I fol.67f.; M.Crusius, Annales Suev. III, 1 c.9.— Baindt, 1240 durch die Stiftung des Schenken Konrad von Winterstetten als Zisterzien- serinnen-Kloster begründet (Wirt. Urk.-B. IV S. 10 n. 964: III S. 457 n. 952), hatte seit 1227 als freie Gemeinschaft in Seefelden am Bodensee und später fünf Jahre lang cum summa difficultate in Boos bei Saalgau be- standen; s. Bruschius a.a.0. 58. Engelthaler Büchlein S.3; auch der Ministeriale Konrad von Lauffenholz, ein Freund des Stifters, der früher Marschall der Deutsch- herren in Preußen gewesen war und sich dann bei dem Engelthaler Klo- ster niedergelassen hatte, het dar umb ein leiden, daz man die frawen nunnen hies; ib. S. 5. 59. Vgl. u. S. 394 ff. und 419. 60. Einige Frauenklöster haben auch geschwankt, welchem Orden sie sich anschließen sollten: Wonnenthal bei Kenzingen, seit 1242 bezeugt, schloß sich 1245 den Dominikanern an, ging aber 1254 zum Zisterzienser- orden über, s. Z. für Gesch. des Oberrheins VIII S.481; Mone, Quellen- sammlung zur bad. Gesch. IV S.47; FDA N.F. I S.133 ff. und II S.38£.: Wilms, Verzeichnis S.76; ebenso gehörte Alzey in Hessen 1248 zum Dominikanerorden, schloß sich aber vor 1262 den Zisterziensern an; Neu- burg am Neckar war seit 1224 zisterziensisch, wurde 1287 den Domini- kanern unsterstellt, kehrte aber vor 1300 zum Zisterzienserorden zurück: s. Wilms, Verzeichnis S.75f. — 2233 — darauf vollzogen wurde. Wie und wann die Frauen in Engel- thal zuerst mit den Predigern in Beziehung traten, wissen wir nicht. Als Bischof Friedrich von Eichstätt 1244 das Kloster bestätigte und in seinen Schutz nahm, verpflichtete er die Schwestern auf die Augustin-Regel und die Statuten von S. Sisto in Rom.°' Ob schon damals die Dominikaner die Seelsorge in Engelthal übernahmen, ist aus der Urkunde des Bischofs nicht zu erschließen. Ungefähr in derselben Zeit aber müssen sich die Dominikaner von Regensburg des Klosters angenommen haben.°” 1248 haben dann die Frauen von Engelthal durch Ver- mittlung Innozenz’ IV. ihre Aufnahme in den Orden erwirkt. Wir verfolgen die Geschichte des Klosters Engelthal hier nur bis zu diesem Punkt, um an diesem für viele Fälle typischen Beispiel zu zeigen, wie schon vor der Ankunft der Bettelorden in Deutschland und lange Zeit ohne ihre Mitwirkung religiöse Frauengemeinschaften aus „beginenartigen” Anfängen zu selb- ständigen Klöstern herangewachsen waren, durch adlige Stifter sich eine wirtschaftliche Grundlage geschaffen haben und erst in diesem fortgeschrittenen Stadium der Klosterbildung mit den Dominikanern in Berührung kamen und Aufnahme in den Orden fanden. Aber die religiöse Frauenbewegung in Deutschland war noch in Gärung, als die Bettelordens-Prediger kamen, sie hatte nur zu einem Teil bereits feste Formen in klösterlichen Gemein- schaften angenommen, und vielfach hat ihr erst die Predist und 61. Heidingsfelder, Regesten S.223f. n. 730 vom 9. Juni 1244: conventui novelle plantationis in Engelthal ville quondam diete Swinach ...ordinem et regulam b. Augustini cum conslitutionibus sororum mona- sterü s. Sirti Rome vobis tradimus. 62. In der Erzählung des Engelthaler Nonnenbuchs sind die Vorgänge nicht ganz klar: schon S.5 werden Szenen geschildert, die die Anwesen heit der Prediger in Engelthal voraussetzen; S.6 wird berichtet, wie die Schwestern zum ersten Male im Advent nach dem orden sungen, und da- nach (S.7) heißt es: In den selben zeiten do fugt ez sich also, daz die pre- diger von Regensburch in dise gegend wurden wandeln. Da gehizen sie in, sie wolten in irer gehorsam sein. Darauf gab die Meisterin ihr Amt auf, sie wählten eine Priorin, diese ging mit einer Schwester und einem Laienbruder nach Rom (Lyon) und erwarb dort die Bestätigung aller Klosterprivilegien (1248, vgl. unten S. 250£.). — 229 — das Vorbild der neuen Orden, besonders der Dominikaner die Wege gewiesen und Gestalt gegeben. „Ein Zunder, der alsbald Feuer fing, als der Funke der dominikanischen Predigt auf ihn fiel” — so hat ein Dominikanerdichter‘* die seelische Lage unter den deutschen Frauen beschrieben in jener Zeit, als die Frauen- bewegung und die Bettelordensbewegung aufeinanderstießen und sich durchdrangen. Gerade die Lebensgeschichte der Frau, auf die dieses Wort gemünzt war, ist für das Schicksal der reli- giösen Frauenbewegung und ihrer Berührung mit dem Prediger- orden außerordentlich bezeichnend. Schon als Kind von neun Jahren wollte die Tochter des Grafen von Vianden in ein Zister- zienserinnen-Kloster gehen, um ganz ihrem Bräutigam Christus und niemals einem sterblichen Gatten verbunden zu sein; aber ihre hochadlige Familie, der viel an einer vorteilhaften Ehe- schließung gelegen war, hinderte sie daran, und fast wäre es ihr nach jahrelangen Bemühungen gelungen, Jolande von ihrer frommen Sehnsucht nach dem Kloster zu heilen, einer glänzen- den Verlobung schienen die Wege gebahnt — da traten die Dominikaner in Jolandes Leben, und von da an gab es für sie kein Schwanken mehr: gegen den Widerstand ihrer ganzen ein- flußreichen Verwandtschaft setzte sie ihren Eintritt in eine jener armselig-dürftigen Frauengemeinschaften durch,°* die unter dem geistlichen Einfluß der Prediger sich gebildet hatten. Für Hun- derte von deutschen Frauen hat die Predist der Dominikaner dieselbe Bedeutung gehabt, den letzten Anstoß gegeben zu dem Entschluß, die Sehnsucht dieser Zeit nach dem religiösen Leben in freiwilliger Armut zu verwirklichen, und die Wege gewiesen zur Gestaltung dieser Lebensweise. So ist unter dem Einfluß der Dominikanerpredist in Deutschland — obgleich es den Brü- dern vom Orden verboten war, die Bildung religiöser Frauen- gemeinschaften anzuregen oder zu fördern, obgleich sie keine 63. Bruder Hermanns Leben der Gräfin Jolande von Vianden, ed. v. J. Meier S.7 v. 530f.: dy zarde was ein zunder, dat al ze balde vür ent- feit. Vgl. auch Thomas von Chantimprö6, De apibus II c.29 S. 317 ff. 64. Marienthal bei Mersch in Luxemburg, 1232 begründet, von Schwe- stern des Straßburger S. Markus-Kloster eingerichtet. Durch den Eintritt Jolandes, die 1258 Priorin in Marienthal wurde, hat sich das Kloster schnell zu Bedeutung und Wohlstand erhoben. — 230 — Frauen zur Ablegung der Gelübde zulassen durften — eine außerordentlich große Zahl solcher Gemeinschaften entstanden, die sich dann entweder aus den Mitteln der Frauen, die sich ihnen anschlossen, oder aus den Stiftungen adliger Gönner die Grundlage für ein Kloster schufen, in geistlichen Dingen von den Predigern gefördert und beraten, aber wirtschaftlich =; organisatorisch auf sich selbst angewiesen. Die Beschreibung der Stiftung des Klosters Ötenbach bei Zürich zeichnet am anschaulichsten das Bild einer solchen Ge- meinschaft und ihrer Entwicklung zum Kloster. Die „große Heiligkeit" der Predigerbrüder gab um 1234° den Anstoß und das Vorbild für den Zusammenschluß frommer Frauen zu ge- meinsamem Leben in freiwilliger Armut, anfangs in einem „öden zerfallenen Haus‘ in Zürich bei Wasser und Brot und von „Ab- fällen” zehrend — obgleich es Töchter wohlhabender Züricher Geschlechter waren, — aber schon drei Jahre später so zahl- reich geworden, daß sie an den Bau eines Klosters am Öten- bach gehen konnten." Die Dominikaner haben diesen Schwe- stern zwar als Seelsorger, Beichtiger und Prediger beigestanden, und das war ihnen „der größte Trost, denn sie hatten allezeit gute und heilige Lehre von ihnen”. Aber sie haben sich weder an der Organisation noch an dem wirtschaftlichen Ausbau des Klosters beteiligt. Im Unterschied von Engelthal und vielen anderen Gemeinschaften ähnlicher Art haben die Frauen von Ötenbach auch nicht die Hilfe eines Stifters in Anspruch ge- nommen, um ihr Kloster zu fundieren.* Sie waren also im 65. Hrsg. v. H. Zeller-Werdmüller und J. Bächtold, Zür- cher Taschenbuch 1899 S. 213 ff. 66. Das Stiftungsbuch S.236 sagt, die Schwestern lebten seit fünf Jahren zusammen, als sie (1239) das päpstliche Immunitätsprivileg er- warben. Ob die „Beginengemeinschaft‘, mit der sich die 3 Begründe- rinnen von Ötenbach vereinigten, schon länger bestand, ist nicht festzu- stellen. Die Dominikaner waren seit 1229 in Zürich. 67. Am 13. Aug. 1237 fordert Gregor IX. die Gläubigen der Diözese Konstanz auf zur Mithilfe beim Bau des Klosters; kurz danach nimmt er das Kloster in päpstlichen Schutz; Urk.-B. Zürich II S.i1f. n. 509/10. 68. Das Klosterbuch (S. 232f.) berichtet mit Stolz, daß si keinen stifter hetten ze anfang ires klosters noch keinen herren, auf des hilf si sich trösten. — 231 — wesentlichen auf das angewiesen, was die Schwestern selbst in die Gemeinschaft mitbrachten,“* und auf Almosen. Gerade der „gute Ruf ihres seligen Lebens" aber, daß sie die ermesten und die pesten Leut seien, hat viele Frauen aus vornehmen und reichen Familien der Gemeinschaft zugeführt.” Gerade der Ar- mutsgedanke, dem so viele Frauen in Ötenbach „Ehre und Gut’ opferten, hat also das Kloster schließlich reich gemacht, so daß für die immer wachsende Zahl — damals sınd es schon 120! — um 1285 ein neues steinernes Kloster an Stelle des alten Holzbaus errichtet werden konnte. Daß aber in den ersten Zeiten, besonders vor der Inkorporation in den Dominikaner- orden (1245), die Gemeinschaft wirklich mit großer armut und gepresten, in großer armut zeitliches guts, aber reich an gött- licher minne und in warer diemütigkeit gelebt hatte, das schil- dert das Stiftungsbuch mit eindringlichen Zügen. Die Domini- kaner waren dabei nur der geistliche Rückhalt. Sie haben sich halb wider Willen und gegen das Ordensverbot der Gemein- schaft angenommen, die aus eigner religiöser Schwungkraft sich entfaltete. Wie in Ötenbach haben sich unter der Wirkung der Domi- nikanerpredigt in Deutschland allerwärts Frauen zu gemein- samem Leben zusammengeschlossen und, wenn sie zahlreich und vermögend genug geworden waren, ein Kloster begründet. Die Eingliederung in den Orden vollzog sich dann später, wie wir noch sehen werden, überall in denselben Stufen.” Wahrschein- 68a. Auch in einer Urk. von 1248 für Wonnenthal (bei Kenzingen) heißt es, die Schwestern haben ihr Kloster de sua substantia et fidelium elemo- sinis erbaut, s. Mone, Z.f.d. Gesch. d. Oberrheins VIII, 1857, 8.485: vgl. dazu K. Bürger in FDA N.F. I 1900 S. 133. 69. Stiftungsbuch S. 231; 238; 219: Der reich got wolt von diser lautern armut ein soliche stiftung machen, do die höchsten herren von dem land ire kind dar ein opferten durch ir selen heil; S.232: der gut smack ires seligen lebens trang weit aus in die weli, daß edel herren von der stat und von dem land ire kind darein opferten und denen auch ze hilf ka- ment mit irem zeitlichen gut. — Über die in Oetenbach vertretenen Fami- lien des Hochadels, der Ministerialität und des Züricher Patriziats s. ib. S. 235 Anm. 6. 70. In Adelhausen bei. Freiburg haben adlige Damen eine religiöse Lebensgemeinschaft begonnen, noch ehe (1235) die Dominikaner sich in — 232 — lich die früheste und in gewisser Beziehung die wichtigste Grün- dung dieser Art war das S. Markus-Kloster in Straßburg. Über seine Anfänge sind leider keine alten Aufzeichnungen vorhan- den, aber aus den erhaltenen Urkunden läßt sich das Wichtigste erschließen. Seit 1224 waren die Dominikaner in Straßburg. Im folgenden Jahre wurde einigen frommen Frauen, die be- schlossen hatten deo famulari et regularem vitam ducere, eine früher als Asyl für Arme und Pilger benutzte Kapelle über- lassen, wobei auch die Wahl einer Magistra und der Eintrilt von Conversen zur Besorgung der Arbeit vorgesehen wurde. Daß bei der Bildung dieser Frauengemeinschaft der Einfluß der Dominikaner wirksam war, läßt sich nicht nur aus chronologi- schen Gründen vermuten, sondern ergibt sich auch aus anderen Zusammenhängen, Dem Dominikanerprior soll, der Urkunde von 1225 zufolge, bei strittigser Wahl der Meisterin durch den Dekan von S. Thomas die Entscheidung übertragen werden; ebenso soll er nötigenfalls mit der Korrektion der Meisterin be- Freiburg niederließen; aber von Straßburg aus hatte sich offenbar ihre Wirkung schon vorher auch dorthin erstreckt, und die Straßburger Pre- diger haben die Gemeinschaft in Adelhausen von Anfang an gefördert. Sehr bald, als durch die Dominikanerpredigt die verwitwete Gräfin ven Sulz, eine Schwester Rudolfs von Habsburg, sich der Gemeinschaft an- schloß, konnten sie an die Errichtung eines Klosters gehen; vgl. den knappen Bericht in der Chronik der Anna von Munzingen, FDA XIII S. 152; dazu E. Krebs, Die Mystik in Adelhausen S.41ff. (S.50ff. über die Gräfin von Sulz). — Den Frauen, die sich in Kolmar zusammen: schlossen, stand der Straßburger Prior Walter von Anfang an ratend zur Seite; sie waren vermögend genug, um sofort ein Kloster zu gründen; 1232 hat der Prior Walter die ersten Schwestern in Unterlinden eingekleidet, großenteils hochadlige Damen; vgl. A.M.P. Ingold, Le monastere des Unterlinden S. 222f. 71. Urk.-B. Straßburg I S.97 n. 118; die Kapelle war 1182 von dem Dekan von St. Thomas gegründet worden. H. Wilms, Verzeichnis S. 54 gibt den Inhalt der Urkunde falsch wieder, als hätten die Schwestern vor- her in einem Reklusorium zusammen gelebt. Davon ist in der Urkunde nicht die Rede, vielmehr heißt es: gwibusdam mulieribus religiosis, que ibidem deo famulari et regularem vitam ducere decreverunt, woraus man schließen darf, daß sie sich erst damals zusammenschlossen. Vgl. M. Barth, Die Rolle des Dominikanerinnenklosters St. Marx zu Straßburg in der Frühgeschichte des Ordens; Archiv für elsäß. Kirchengesch. VII, 1932, S. 101 ff. — 233 — auftragt werden. Eine wenn auch lockere organisatorische Ver- bindung dieser Frauengemeinschaft mit den Dominikanern be- stand also von Anfang an. 1230 erscheinen als Zeugen einer bischöflichen Urkunde, die dem Markus-Kloster die Übersied- lung an einen geschützteren Ort (in die Nähe des Dominikaner- konvents) gestattet, nebeneinander drei Stiftsherren von S. Tho- mas und drei Dominikaner.'” Seitdem scheinen sich die Domini- kaner immer ausschließlicher des Klosters angenommen zu haben, Das zeigen vor allem die Satzungen, die in S. Markus befolgt wurden, Sie wollten unter einer Regel leben, hatten die Frauen 1225 erklärt; aber eine bestimmte Regel ist dabei nicht genannt. Seit 1233 haben mehrere andere Frauenklöster die Satzungen, die in S. Markus befolgt wurden, die „Konstitutionen der Schwestern von S. Markus‘ übernommen. Diese Konstitu- tionen sind uns nicht erhalten und werden nirgends näher be- schrieben. Da aber Gregor IX. in einer Bulle vom 30. Januar 1237 das Markuskloster zum Ordo sancti Sixti de Urbe rech- net,’”® so stimmten zweifellos die Konstitutionen von S. Markus im allgemeinen mit den Konstitutionen von S. Sisto, d. h. mit den Satzungen der dem Dominikanerorden unterstellten Frauen- klöster überein. Man muß daher annehmen, daß die von den Straßburger Predigern angeregte Frauenvereinigung von An- fang an nach den Satzungen lebte, die von den dem Orden unterstellten Frauenklöstern befolgt wurden und von den Straß- burger Dominikanern vermittelt worden waren. Ob und wie diese Konstitutionen von S. Markus von den Konstitutionen von S, Sisto abwichen, läßt sich nicht nachprüfen. Aber man darf vermuten, daß hier wenigstens jener Schlußabschnitt wes- gelassen wurde, der die Anwesenheit eines Konvents von minde- stens sechs nach der Augustinerregel lebenden Brüdern bei 72. Urk.-B. Straßburg I S. 173 n. 220. Die Angabe von Wilms, Verzeichnis S.54, das Kloster sei 1230 den Dominikanern unterstellt wor- den, ist falsch; Schoepflin, Alsatia diplomatica I, 1772, S.365, auf den Wilms verweist, druckt nur die eben angeführte bischöfliche Urkunde ab, die die Verlegung des Klosters betrifft. 73. Urk.-B. Straßburg I S.197 n.252, wo der priorissae et conventui monasterü S.Marci Argentinensis ordinis S.Sirti de Urbe die Aufnahme weiterer Schwestern untersagt wird, cum monasterium westrum sororum multitudine pregravetur. — 234 — jedem Frauenkloster verlangte. Denn diese Bestimmung ist in S. Markus so wenig wie in anderen Frauenklöstern durchgeführt worden, nicht einmal später (nach 1245), als sie dem Orden rechtmäßig unterstellt waren. Das Straßburger S. Markus-Kloster ist mit diesen zweifel- los nach dem Rat der Dominikaner eingeführten Konstitutionen vorbildlich geworden für viele andere Frauenklöster, die zu den Dominikanern in ein ähnliches Verhältnis traten, vor allem für die süd- und westdeutschen Klöster, an deren Organisation die Straßburger und die von ihnen abgezweigten Züricher Domini- kaner beteiligt waren. Wo man sich ihres Rats und ihrer Mit- hilfe bei der Einrichtung solcher Frauenklöster bediente, emp- fahlen sie das Straßburger St. Markus-Kloster als Vorbild. In einer Urkunde vom 19. Dezember 1233 erlaubte der Bischof von Konstanz den Schwestern in Töß bei Winterthur dank der Für- sprache des Grafen Hartmann von Kiburg, in ihrem neu errich- teten Kloster die Augustinerregel und die Konstitutionen der Schwestern von S. Markus in Straßburg zu befolgen.” Ebenso nahm Adelhausen die Gewohnheiten von S. Markus an.’” Die Nonnen von Husern (Klingenthal) bei Basel werden 1236 ge- radezu als sorores ordinis sancti Marci in Argentina bezeichnet.'® Ein vom Provinzial-Kapitel in Trier 1236 geschriebener Brief des Straßburger Priors Volknand zeigt, daß auch die Klöster S. Martin in Trier und Mersch (Marienthal) durch Schwestern des Straßburger S.Markus-Klosters eingerichtet und von den Dominikanern betreut wurden.”” Kirchheim und das von die- sem abgezweigte Sirnau,’® sowie Diessenhofen-Katharinenthal”® befolsten gleichfalls die Konstitutionen von S. Markus. 74. Urk.-B. Zürich I S.358 n. 484. 75. Am 12. Oktober 1234 stellt der Bischof von Konstanz einen Schutz- brief aus für guasdam pauperculas et religiosas sorores apud Adelhusen, que sub habitu religionis imitando regulam b. Augustini de ordine predi- catorum a nobis eisdem sororibus... indultam secundum consuetudinem sancti Marci in Argentina deo devote famulari voverunt; s. König, FDA XII 8.234. 76. Th. Walter, Urkunden und Regesten der Stadt Rufach, 1908. S. 19f. n. 35—37. 77. Urk.-B. Straßburg I S. 196 n. 251. 78. Urkunde vom 22. Juli 1241 im Wirtemb. Urk.-B. IV S.33 n. 982. 79. Urk. vom 15. Juli 1242 im Urk.-B. Zürich II S.71 n. 567. — 235 — Andere Frauenklöster, die sich von den Dominikanern be- raten ließen, aber nicht im Einflußbereich des S.Markus-Klosters und der Dominikaner von Straßburg und Zürich standen, über- nahmen einfach die Konstitutionen des Klosters S. Sisto in Rom, vielleicht gleichfalls mit gewissen Modifikationen; es wird tat- sächlich kein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Konsti- tutionen bestanden haben.” So ist Anfang 1235 das Kloster Altenhohenau am Inn von dem Grafen Konrad von Wasserburg auf den Rat der Prediger für „Schwestern des Ordens von S. Sixtus” begründet worden; zu demselben „Orden“, wird 1237 das Hl.-Kreuz-Kloster in Regensburg gerechnet,‘” 1244 das Kloster S. Lambrecht bei Luxemburg;*® nach den Konstitutioner von S. Sisto richten 1237 die Nonnen von Ötenbach ihr Kloster ein,‘ ebenso 1239 die Frau des Vogts von Gera, Jutta von Weida, das von ihr gegründete Kloster Cronschwitz.”’ 1244 verpflichtete sich Engelthal auf diese Konstitutionen.‘® 80. Wie schon die oben erwähnte Tatsache zeigt, daß auch S. Markus selbst von Gregor IX. dem Ordo S. Sizti zugerechnet wurde. 81. Monumenta Boica XVII S.1 n.1; Graf Konrad beurkundet: no- vellam plantationem sororum ordinis s. Syzti consilio predicatorum et aliorum prudentum virorum in veteri Hohenawe inchoavimus. Die Non- nen werden 1238 als Dominae s. Sizti, 1239 und 1242 als religiosae sorores s. Sizti bezeichnet, ib. S. 4 n.3 und S.6 n.5. Die Klostertradition, daß die erste Nonne, Cäcilia Romana, die noch von Dominikus selbst das Ordenskleid empfangen hatte, aus S.Sisto nach Altenhohenau gekommen sei, kann ich nicht nachprüfen; H. Wilms, Gesch. der deutschen Domini- kanerinnen S.35 hält es für möglich, daß sich die Priorin Cäcilia von Bologna vorübergehend in Altenhchenau aufgehalten und das Kloster ein- gerichtet habe. 8. Th. Ried, Codex chronol.-diplom. episc. Ratisbon. I S.381f. u. 396, eine Schenkung für die sorores de ordine s. Sirti in der Filiale des Regensburger Hl. Kreuz-Klosters in Schwarzhofen; 2 Dominikaner unter den Zeugen. Vgl. ib. S.382 n. 397 und S. 402f. n. 415. Das Regensburger Kloster entstand aus pauperes sorores, die anfangs vor der Stadt wohnten, denen 1233 Regensburger Bürger ein Grundstück in der Stadt schenkten; der Bischof bestätigte diese Schenkung an die „armen Schwestern“, quas dudum etiam in nostram protectionem recepimus, s. Ried S. 372f. n. 388. 83. Stauber, Mitt. d. hist. Ver. d. Pfalz IX S.209f. 84. Urk.-B. Zürich II S.11 n. 509. 8. Urk.-B. der Vögte von Weida, Gera und Plauen I S.35 n.71. 8. S. o. S. 228. Über das Kloster Unterlinden sagt A. Danzas. — 236 — Die Befolgung der Konstitutionen von S. Markus in Straß- burg oder von S. Sisto in Rom stellte jedoch noch keine organi- satorische Beziehung zwischen den Frauenklöstern und den Dominikanern her, setzte keinen kirchen- oder ordensrechtlichen Verband zwischen beiden voraus. Man darf zwar annehmen, daß überall, wo die Konstitutionen von S. Markus befolgt wur- den, der Einfluß der Dominikaner sich geltend gemacht und ihr Rat mitgewirkt hatte; die Konstitutionen von S. Sisto dagegen sind auch von manchen Frauenklöstern übernommen worden, ohne daß die Dominikaner ihre Hand im Spiele hatten. Denn die päpstliche Kurie hat von sich aus diese Gewohnheiten des ihr unmittelbar unterstehenden Klosters in Rom als geeignete Grundlase für die Bildung neuer Frauenklöster empfohlen. Das geht am klarsten daraus hervor, daß Gresor IX. im Jahre 1232 alle Klöster des seit 1227 in Deutschland bestehenden Maria- Magdalenen-Ordens, der anfangs nach den Zisterzienser-Insti- tutionen eingerichtet worden war, auf die Augustiner-Regel und die Konstitutionen von S. Sisto verpflichtete.” Die Dominikaner sind daran sicherlich nicht beteiligt gewesen,‘ sie haben, soviel wir wissen, bei der Entstehung dieses „Reuerinnen”-Ordens gar nicht mitgewirkt. Es lag vielmehr offensichtlich in der Ab- sicht Gregors IX., die Regulierung der religiösen Frauen- bewegung möglichst einheitlich durchzuführen, neue Frauen- klöster nach Möglichkeit in denselben Formen einzurichten, die sich bei den bereits bestehenden bewährt hatten, um gemäß dem Grundsatz des Laterankonzils von 1215 eine übermäßige Etudes IV S.64, die beiden Gründerinnen seien nach Rom gegangen, um die Einrichtungen von S. Sisto kennen zu lernen und nach Unterlinden zu übertragen; als Quelle gibt er eine elsässische Chronik an, wahrscheinlich ist der Kolmarer Chronist gemeint, dessen Bericht (s.u.S.249f.) Danzas willkürlich und irrig deutet. Die Schwestern in Unterlinden befolgten vermutlich die Konstitutionen von S. Markus, da sie von Straßburger Dominikanern betreut wurden. 87. A. Simon, L’Ordre des Penitentes S. 29 ff. 8. Für die Behauptung B. Altaners, Briefe Jordans 8. 9:. „Zwi- schen diesem neuen Orden und dem Predigerorden bestanden von Anfang an zahlreiche Beziehungen“, fehlt jeder Beleg. Daß die Umgestaltung des Reuerinnen-Ordens nach den Konstitutionen von S. Sisto der Initiative Gregors IX. entsprang. zeigt Simon S.31. m u Mannigfaltigkeit zu vermeiden. Zur Zeit Gregors IX. kamen für Frauenklöster drei Regeln in Betracht, deren gemeinsames Merkmal die strengste Klausur war: die von Gregor selbst in seiner Kardinalszeit für die italienischen Frauenklöster ausge- arbeitete Regel,‘ auf die er alle neuen Frauenklöster Italiens zu verpflichten bemüht war; die für Frauen eingerichteten Zisterzienser-Institutionen, und die Konstitutionen von S. Sisto. In Deutschland hat Gregor die Einführung dieser beiden zuletzt genannten Regeln befürwortet, seit den dreißiger Jahren infolge des Widerstrebens des Zisterzienserordens aber vorzugsweise die Konstitutionen von S. Sisto.” Haben die religiösen Frauengemeinschaften in Deutschland Anlehnung an den Dominikanerorden gesucht, hat die Kurie ihre Ausgestaltung nach dem Vorbild der Dominikanerinnen- klöster gefördert, so haben andererseits auch die Predigerbrüder selbst, seit sie überhaupt in Deutschland wirkten, an der Be- Sründung, der Ausgestaltung und dem inneren Leben dieser deutschen Frauenklöster außerordentlich regen Anteil genom- men. Das zeigen die einzelnen Klostergeschichten, das ist für manche Klöster auch urkundlich bezeugt,’' und einzelne Domi- nikaner haben sich durch ihren besonderen Eifer für die religiö- sen Frauen geradezu berühmt gemacht, allen voran der Straß- burger Prior Walter, den ein späterer Ordenschronist sogar als 89. S. unten S. 257f. 90. Bezeichnend ist der Auftrag Gregors IX. vom 2. April 1232 an den Bischof, den Dominikaner-Prior und einen Domkanonikus von Straßburg, die von Augustinerinnen bewohnten Klöster St. Stephan in Straßburg und Eschau zu reformieren: entweder auf der Grundlage der Zisterzienserregel oder aber der Gewohnheiten von S. Sisto; Urk.-B. Straßburg I S.177£. n. 227; vgl. IV, 1 S. 53f. n. 51; Regesten d. Bischöfe von Straßburg I S.60 n. 985. 91. In einer Bulle vom 26. September 1238 an den deutschen Domini- kaner-Provinzial (Mittelrhein. Urk.-B. III S. 480 n. 630) sagt Gregor IX., daß die Schwestern des Klosters St. Martinsberg bei Trier ad erhortacio- nem fratrum tui ordinis religionis habitum assumentes, se juxta ipsorum doctrinam et consilium in divine legis observantiam direzerunt; deshalb soll der Provinzial sie durch die Dominikaner von Trier in spiritualibus provideri lassen, aber sine juris prejudicio alieni; das Kloster war also damals noch nicht exempt. — 2383 — „Gründer“ mehrerer Frauenklöster bezeichnet.” Selbst der Ordensgeneral Johannes von Wildeshausen hat sich noch im Anfang seines Generalats im gleichen Sinne betätigt und auf ihren Wunsch die Einkleidung der Schwestern in Kirchberg vollzogen.” Dieses enge Zusammenwirken zwischen religiösen Frauen und Dominikanern in Deutschland hatte sich ganz von selbst aus der Überschneidung der beiden religiösen Bewegungen er- geben, die einander gegenseitig befruchteten und belebten. Ge- wollt und geplant hatte dieses Ergebnis niemand. Sondern der Gang der geschichtlichen Bewegung führte einen Zustand her- bei, der von keiner Seite her bewußt und einheitlich vorgezeich- net, geleitet und geordnet wurde, dem infolgedessen die recht- liche Organisation fehlte, der sogar mit den bestehenden Rechts- verhältnissen im Widerspruch stand. Nach geltendem Recht unterstanden die religiösen Frauengemeinschaften, die sich überall spontan bildeten, den zuständigen Diözesanbischöfen und der Seelsorge der ordentlichen Pfarrgeistlichkeit, solange sie nicht als selbständige Klöster anerkannt und eximiert oder 92. Joh. Meyer, De viris illustr. QF XII S.28. Prior Walter hat die Gründung ‘von Unterlinden angeregt und die Einrichtung des Klosters geleitet, auch oft an seinen Kapitelversammlungen teilgenommen, vgl. Gerhard Frachet, Vitae fratrum, MOPH I S.222. Er hat auch in Adelhausen gewirkt. 93. Gerbert, Hist. nigrae silvae II, 1788, S.101: Johannes.. anno 1241 seu potius 1242 in locali visitatione monasterium dieti ordinis in Germania ex itinere suo ad novum virginum contubernium Kirchbergense fortuito delatus, flagitantibus hisce virginibus habitum s. Dominici contulit. \Vg]. Fr.Petrus, Suevia ecelesiastica 8.459. — L.Baur, FDA N.F.H S.34f. hält es für möglich, daß der General Johannes das Kloster Kirchberg for- mell in den Dominikanerorden aufgenommen hat; von der Einkleidung berichte auch das Schwesternbuch. Tatsächlich ist Kirchberg das einzige deutsche Frauenkloster, das schon vor den Inkorporationen von 1245 und der Neuordnung der Cura-Frage in den folgenden Jahren, in einer Ur- kunde des Bischofs von Konstanz vom 11. März 1240 als conventus ordinis Predicatorum bezeichnet wird (Wirtemb. Urk.-B. IV, 8.436 n. 139). Aber die formelle Inkorporation erfolgte erst 1245. — Die Mitwirkung des Generals Johannes bei der Begründung des Klosters Paradies bei Soest, 1252, gehört nicht hierher, weil inzwischen sich das Verhältnis des Ordens zu den Frauenklöstern grundlegend gewandelt hatte; s. u. S. 285 Anm. 192. — 239 — einem Orden inkorporiert waren. Obgleich sich nun einerseits die Bischöfe gegen die Loslösung aller dieser Frauengemein- schaften aus dem Diözesanverband sträubten, und obgleich sich andererseits noch viel stärker der Dominikanerorden gegen die Aufnahme aller dieser Frauenklöster in den Ordensverband wehrte, so hat sich doch gegen diese Widerstände von beiden Seiten, gefördert durch die päpstliche Kurie, der Wille der Frauengemeinschaften zum Anschluß an die Bettelorden durch- gesetzt. Nichts könnte klarer die selbständige Schwungkraft der religiösen Frauenbewegung in Deutschland bezeugen. Der Widerstand der Bischöfe gegen die Loslösung der Frauengemeinschaften aus dem Diözesanverband ist vor allem durch den Kolmarer Dominikaner-Chronisten bezeugt.’' Als sich die Frauengemeinschaften immer mehr entwickelten, so erzählt er, da ließ sich der Bischof von Straßburg durch Leute, die den Schwestern mißgünstig waren, dazu bestimmen, seinen Anspruch auf die Leitung der Frauenklöster in temporalibus et spirituali- bus geltend zu machen. Da sie keinem Ordensverband ange- hörten und nicht auf Grund einer gültigen Klosterregel entstan- den waren, glaubte der Bischof die ordentliche Rechtsprechung, die Aufsicht und die Fürsorge über diese Klöster für sich be- anspruchen zu dürfen, und mit der Wahrnehmung dieser Rechte beauftragte er Kanoniker, denen die Schwestern zum Gehorsam verpflichtet sein sollten. Die Frauen konnten nun grundsätz- lich nicht bestreiten, daß sie nach ordentlichem Rechte dem Diözesan-Bischof unterstellt waren. Sie wiesen aber darauf hin, 94. MG Ser. XVII 8.235: Multum he sorores profecerunt, et de hoc quidam doluerunt. Hii episcopo Argentinensi, quod se de cura istarum dominarum intromitteret, direrunt, quia cura earum ad eum pertineret, co quod de nullius ordinis regula prodiüssent. Ipse autem consiliis eorum acquiescens, honestos quosdam ex suis canonicis misit ad dominas memoratas, mandans eis, qualinus canonicis suis loco sui in omnibus obedirent, eo quod juder earum ordinarius esset et deberet eis tam in temporalibus quam in spiritualibus providere. Sorores canonicis taliter responderunt: Scimus, domini, quod wobis et domino nostro episcopo tenemur obedire, sed in quantum et in quibus casibus, ignoramus; unde vos suppliciter rogamus, quatinus circa nos auctoritatem suspendatis, donec investigare possimus, in quibus vobis teneamur casibus obedire. Canonici precibus dominarum acquieverunt et in libertate sua permiserunt sicut antea residere. — 240 — daß die Rechtsstellung ihrer Klöster ungeklärt sei, daß sie nicht genau wüßten, wie weit sich die bischöfliche Befugnis ihnen gegenüber erstrecke. Bis darüber Klarheit geschaffen sei, sollte der Bischof die Ausübung seiner vermeintlichen Rechte suspen- dieren, Der Kolmarer Chronist, der diese Vorgänge erzählt, schöpft seine Kenntnis aus der Überlieferung über die Zustände im Straßburger Bistum, in erster Linie wahrscheinlich in Unter- linden. In anderen Bistümern ergaben sich aus dem gleichen Sachverhalt wahrscheinlich ähnliche Auseinandersetzungen.”° Die Frauengemeinschaften bemühten sich dann aber, sobald sie vermögend genug waren, um die wirtschaftlichen Voraussetzun- gen eines Klosters zu erfüllen, überall um ein päpstliches Im- munitätsprivileg, das sie aus dem ordentlichen Diözesanverband herauslöste.°® Weitaus heftiger als der Widerstand der Bischöfe gegen die Lösung der Frauengemeinschaften aus dem ordentlichen Diözesanverband war aber der Widerstand des Dominikaner- ordens gegen die Aufnahme der Frauenklöster in den Ordens- verband. Was die einzelnen Dominikaner in Deutschland zur Förderung der religiösen Frauengemeinschaften taten, verstieß ja gegen die Vorschriften des Ordens, der gerade mit Rücksicht auf die deutschen Verhältnisse auf dem großen Generalkapitel in Paris 1228 verboten hatte, die Aufnahme neuer Nonnenklöster und Frauengemeinschaften in den Orden zu betreiben, in ihnen 95. In einigen wenigen Fällen haben päpstliche Bullen die Fürsorge der Dominikaner für die Frauenklöster nur unter ausdrücklicher Wahrung der bischöflichen Rechte gutgeheißen; vgl. oben Anm. 91 über St. Martins- berg bei Trier. 96. Die meisten Frauenklöster haben allerdings erst 1245 und in den folgenden Jahren das Schutz- und Immunitätsprivileg erworben, im Zu- sammenhang mit den Bemühungen, durch päpstliche Vermittlung dem Dominikanerorden unterstellt zu werden; das Kloster Ötenbach schon 1239, s. Urk.-B. Zürich II S.24 n.524. Sie sind alle nach der Formel des Privilegium speciale ordinis s.. Augustini ausgefertigt, s. M. Tangl, Die päpstlichen Kanzleiordnungen S. 233; zur Kennzeichnung der Ordens- zugehörigkeit heißt es dabei immer nur: secundum deum et beati Augustim. regulam, ohne Erwähnung der Institutionen oder Konstitutionen, die in den Klöstern befolgt wurden. — 241 — die Seelsorge zu übernehmen, die Gelübde religiöser Frauen entgegenzunehmen, sie in die Ordenstracht einzukleiden oder zu tonsurieren. Dieser Beschluß war völlig unwirksam geblie- ben. Die Bildung neuer Frauengemeinschaften und ihre Ver- bindung mit dem Orden ist gerade in den folgenden Jahren von den deutschen Dominikanern aufs kräftigste gefördert worden. Wahrscheinlich hat sich dadurch wenige Jahre später ein Generalkapitel veranlaßt gesehen, noch schärfere Maßnahmen zu ergreifen und durchzuführen. Der Wortlaut dieses Kapitels- beschlusses ist nicht bekannt, aber aus seinen Auswirkungen läßt er sich erschließen. Gregor IX. erwähnt in einer Bulle an den Ordensgeneral vom 24. März 1236 einen „kürzlich“ auf einem Generalkapitel gefaßten Beschluß, der die Brüder in Zu- kunft von der Cura mulierum entbinden, die Beziehungen des Ordens zu den Frauenklöstern also überhaupt aufkündigen sollte. Infolge dieses Kapitels-Beschlusses hatten sich sogar die Dominikaner in Prouille, der von Dominikus dort eingesetzte Prior und die vier anderen fratres clerici geweigert, die Leitung des Klosters weiterhin zu führen, und die Nonnen von Prouille hatten sich darüber bei der Kurie beschwert. Kurz darauf be- klagte sich ebenso das Frauenkloster in Madrid, daß die Brü- der, die dort nach dem Willen des hl. Dominikus die Seelsorge der Nonnen besorgten, vom General und den Definitoren des Ordens ohne besondere Ursache abberufen worden seien und durch Weltpriester ersetzt werden mußten. In beiden Fällen wies Gregor den Ordensgeneral auf Wunsch der Frauen an, wiederum Ordensbrüder zur Übernahme der Seelsorge in diesen Klöstern zu bestellen.” Wenn man sogar die ältesten, von 97. RipollIS.86 n. 149 (vom 24. März 1236 betr. Prouille; auch bei Guiraud, Cartulaire IS.7 n.7) und S.87 n.153 (vom 7. April 1236 betr. Madrid). In der ersten Bulle heißt es: occasione cuiusdam constitutionis nuper edite in capitulo generali, scilicet ne fratres supradicti ordinis curam deinceps habeant mulierum, haben die Dominikaner in Prouille die Leitung niedergelegt; in der zweiten, gleichfalls an den Ordensgeneral ge- richteten: vos paucis abhinc diebus et definitores ordinis vestri voluntarie et sine aliqua causa ipsos (fratres) ab ipsarum cura remowvistis. Vielleicht steht auch eine nicht erhaltene Bulle Gregors IX. für S. Agnes in Bologna, von der der Bericht über die Anfänge dieses Klosters spricht (AOP I S. 183), zu diesen Vorgängen in Beziehung; vgl. B. Altaner, Briefe Jordans S. 104. _— 22 — Dominikus selbst gegründeten Nonnenklöster aus dem Ordens- verband ausschließen wollte, so konnte das nur heißen, daß der Orden überhaupt iede Beziehung zu der religiösen Frauen- bewegung ablehnen wollte. Die Folgen davon hätten sich in Deutschland am stärksten spürbar machen müssen. Aber dar- über berichten die Quellen fast gar nichts.” Tatsächlich ist auch dieser Beschluß nicht wirksam geworden. Nicht nur, weil sich die deutschen Dominikaner in ihren Beziehungen zu den religiösen Frauengemeinschaften durch ihn nicht beirren ließen und weil ihn die Klöster Prouille, Madrid und vielleicht auch Bologna durch Beschwerden an der Kurie durchkreuzten. Er fand auch innerhalb der Ordensleitung selbst keine einmütige Billigung und wurde deshalb nach kurzem wieder außer Kraft gesetzt. Der General Jordanis hatte an den Generalkapiteln der Jahre 1234 und 1235 krankheitshalber nicht teilnehmen können.” Auf einem dieser Kapitel muß jener Beschluß gefaßt worden sein.'” Er fand aber nicht die Zustimmung des Gene- rals.’” Das Capitulum generalissimum von 1236 unter Jordans 98. Das Stiftungsbuch von Ötenbach (Zürcher Taschenbuch N.F. XII S.222£.) berichtet: Nun fügt es sich, daß in allen lenderen der cristen- heit gar vil frawen clöster gestiftet wurden, die da nach prediger ordens gewonheit und unter‘ir meisterschaft und lere leben wölten, und dar. umb, daß der orden nit ze fast mit den frawen clöstern beswert würde, so ver- pot der erwirdig heilig Jordanus.. in dem grossen capitel general, daß kein pruder sich sölte unterwinden sölischer clöstern. Und dar umb so wolten die prediger von Zürich auch disen armen guten swestern weder peicht hören noch predigen und teten sich ir ab aller dingen. Hie umb warent si gar beswert, wann niemant wolt sich ir annemen. Und in diser leidung warent si vil zeites. — Das grosse capitel general ist das „Genera- lissimum“ von 1228, die Weigerung der Züricher Dominikaner wurde aber — auch der Chronologie des Stiftungsbuches nach — durch den Beschluß von 1234/35 veranlaßt. 99. Altaner, Briefe Jordans S.102 und 108. 100. In den Akten des Kapitel von 1234 und 1235 ist dieser Beschluß nicht erwähnt (MOPH III S.4f.), aber sie sind nicht vollständig und nicht im Original bekannt; der später wieder aufgehobene Beschluß wurde offenbar aus den Akten getilgt. 101. Brief Jordans an Diana n.47 ed. Altaner 8.47: Quoniam ibidem (auf dem Generalkapitel in Paris) presens non aderam, definitores, qui de statu domus s. Agnetis parum cognoverant, quiddam ordinaverunt vobis non utile, quod dum ego postmodum intellezi, videns quod non bene — 2493 — Leitung hat ihm daher nicht zu Gesetzeskraft verholfen, und damit war er hinfällig — denn nach der Ordensverfassung er- hält ein Beschluß erst Gesetzeskraft, wenn ihm drei aufeinander folgende Generalkapitel zugestimmt haben. Infolgedessen blieb in den Beziehungen des Ordens zu den Frauenklöstern alles beim Alten, solange der General Jordanis lebte, der über die schon von Dominikus gegründeten Klöster und besonders über S. Agnes in Bologna, dessen Schwestern er persönlich sehr nahe stand, schützend seine Hand hielt, sonst allerdings mit den führenden Ordenskreisen einig war in der Ablehnung der Aufnahme neuer Frauenklöster in den Orden; und solange Gregor IX. lebte, der gleichfalls die begründeten Ansprüche der alten Dominikanerinnenklöster auf Leitung und Seelsorge der Brüder wahrnahm, die Abneigung des Ordens gegen weitere Verpflichtungen in Frauenklöstern aber respek- tierte. Während des kurzen Generalats des Nachfolgers Jor- dans, des Juristen Raimund von Peäüaforte (1238/41), wurde in dieser Frage nur ein Schritt getan, der an den bestehenden Zu- ständen gleichfalls nichts änderte, sondern nur eine formal- rechtliche Sicherung gegen künftige Veränderungen darstellte. Der Orden ließ sich von Gregor IX. durch eine Bulle vom 25. Oktober 1239 zusichern, daß er zur Übernahme von Seel- sorgeverpflichtungen in Nonnenklöstern und bei anderen religiö- sen Frauen, ebenso zur Aufsicht und Visitation in Klöstern und Kirchen, zur Durchführung von Rechtshändeln und zur Ver- kündung von Bannbullen künftig nicht mehr durch päpstliche Bullen verpflichtet werden dürfe, es werde denn dabei die vor- liegende Zusicherung ausdrücklich durch eine „Abrogations- factum esset, penitus retractavi. Altaner S.101ff. datiert diesen Brief mit guten Gründen auf Juli 1234; jener Beschluß wäre demnach auf dem Generalkapitel in Paris 1234 gefaßt worden (das ist ohnehin wahrscheın- licher, als daß ein solcher Beschluß in Bologna 1235 gefaßt wurde). Es ist nur verwunderlich, daß dann erst 1236 die Beschwerden von Prouille und Madrid über die Folge jenes Beschlusses von der Kurie berücksichtigt wurden, obgleich ihn Jordan außer Kraft gesetzt haben will, sobald er ihn erfuhr. Altaner S.105 vermutet, daß trotz Jordans Einspruch auf dem folgenden Kapitel 1235, weil Jordan wieder abwesend war, die Opposition gegen die Frauenklöster wiederum sich durchsetzte. En klausel“ außer Kraft gesetzt.” Begründet wurde das damit, daß alle solche Verpflichtungen die Ordensbrüder an der Er- füllung ihrer wesentlichen Aufgaben, der Predigt und der Kontemplation, behindere.. Durch diese Bulle, die sich der Orden von den beiden folgenden Päpsten bestätigen und neu ausfertigen ließ,'” wurden jedoch keineswegs alle Seelsorge- verpflichtungen der Dominikaner in Frauenklöstern aufgehoben. Nur sollte die Kurie dem Orden nicht noch mehr Frauenklöster zur Leitung und Seelsorge überweisen, ohne sich dabei zum mindesten bewußt zu sein, daß sie damit gegen den Willen des Ordens handelte. Genau dieselbe Zusicherung hatten die Zister- zienser schon im Jahre 1230 von der Kurie erbeten,'” und der Franziskanerorden hat sich am 6. März 1250 von Innozenz IV. eine Bulle ganz gleichen Wortlauts erwirkt.'” Die Eingliede- rung weiterer Frauenklöster in die Bettelorden durch päpstliche Verfügung wurde zwar in Wirklichkeit dadurch keineswegs ver- hindert; aber es zeigt sich hier mit aller Deutlichkeit, daß das gegen den Wunsch der Orden geschah. Ob schon um 1239 Bemühungen von seiten der Frauen- klöster im Gange waren, durch päpstliche Vermittlung die Auf- nahme in die Bettelorden zu erreichen, und ob die erwähnte Bulle solchen Versuchen zuvorkommen sollte, wissen wir nicht sicher.” Die Verhältnisse blieben weiter in der Schwebe bis 102. Ripoll IS. 107: inspirationis divine gratia faciente vos, quos in lucem gentium dei sapientia dedisse dignoscitur, ad hoc continuis desu- datis affectibus, ut spiritualem consequendo letitiam, que per quietem contemplationis acquiritur et predicationis sacre studio obtinetur, sic de- curratis presentis vite spatium, quod amnuente Jesu Christi clementia vobis tandem ac prorimis proveniat gloria perpetue claritatis. Digne igitur, quia per ea, que vobis a sede apostolica committuntur, prin- cipalis vestri propositi nonnunquam ezecutio impeditur et non modicum saluti detrahitur animarum, auctoritate apostolica vobis presentium indul- gemus, ut ad correctionis seu visitationis officium monasterüs vel eccle- siis impendendum necnon ad ezecutiones causarum et denuntiationes ex- communicatorum procedere vel recipere curam monialium seu religiosarum quarumlibet nulli fratrum vestrorum de cetero per literas apostolicas teneantur, nisi expresse de hac indulgentia fecerint mentionem. 103. Von Innozenz IV. am 16. Nov. 1257, Ripoll IS. 354 n. 189. 104. S. o. S. 207. 105. Sbaralea IS. 538 n. 319. 106. 1239 hatte das Kloster Ötenbach zwei Schwestern mit einem FE ei zum Jahre 1241, als Gregor IX. starb und der Deutsche Johan- nes von Wildeshausen zum Ordensgeneral gewählt wurde. Erst dieser Wechsel in der Leitung der Kirche und des Ordens hat die Ereignisse in Fluß gebracht. Die ältere Generation, die den Willen des Stifters und seines Ordens kannte und achtete, ebenso aber um die Bedürfnisse der religiösen Frauenbewegung Bescheid wußte, beides aber nicht auf einen Nenner bringen konnte und deshalb das Verhältnis zwischen dem Orden und den religiösen Frauengemeinschaften ungeklärt und unentschie- den gelassen hatte, machte einem tatkräftigen Nachwuchs Platz, der nun energisch die Lösung dieser Fragen in Angriff nahm, aber erst nach der Überwindung außerordentlicher Schwieris- keiten eine Neuordnung herbeiführen konnte. Der Orden ergriff zuerst die Initiative, Gleich das erste Generalkapitel unter der Leitung des neuen Generals in Bologna 1242 verhängte Strafen über alle Brüder, welche Nonnen oder anderen religiösen Frauen die Sterbesakramente gereicht, sich in ihre Leitung eingemischt oder Visitationspflichten bei ihnen übernommen hatten, und verbot allen weiteren Verkehr mit ihnen. Auf päpstliche Bullen sollten sich die Brüder zur Ent- schuldisung und Rechtfertigung ihrer Fürsorge für Frauen- klöster nur dann berufen dürfen, wenn darin durch die Abro- gationsklausel die Zusicherung von 1239 erfüllt war.'” Dadurch Leutpriester nach Rom geschickt. Es scheint mir möglich, daß schon da- mals versucht werden sollte, die Aufnahme in den Dominikanerorden durch päpstliche Vermittlung zu erwirken, wie es sechs Jahre später vielen Frauenklöstern tatsächlich gelang, und daß dadurch die Gegen- maßnahme des Ordens veranlaßt war. Die ötenbacher Schwestern er- hielten aber damals nur das Schutzprivileg für ihr Kloster (am 6. Mai 1239, s. Urk.-B. Zürich II S.24 n.524):; inkorporiert wurden sie erst 1245; s. das Stiftungsbuch S. 224 ff. 107. MOPH III S. 24: Fratribus, qui monialibus vel alüs religiosis mulie- ribus sacramentum extreme wunctionis administraverunt wel prelatos earum instituerunt vel destituerunt, vel officium vwisitacionis in earum domibus ezercuerunt, injungimus septem dies in pane et aqua, septem psalmos et septem disciplinas, et in virtute obedientie districte precipimus, quod a talibus abstineant et eas de cetero non communicent. Qui autem eas visitaverint, non ercusentur ab hac pena wel precepto propter litte- ras domini pape, nisi in eis contineatur: „non obstante privilegio“ etc. vel domini pape preceptum speciale. — 246 — sollte also, unter Berufung auf die Bulle Gregors IX. von 1239, allen Brüdern die Betätigung als Seelsorger und Visitatoren in Frauenklöstern, die nicht rechtmäßig dem Orden unterstellt waren, verwehrt werden, Aber der neue General ging noch weiter. Er berief auch den Prior des Brüderkonvents in S. Sisto in Rom ab, untersagte den Brüdern, sich zur Seelsorge der Frauen von S. Sisto dauernd in dem Kloster aufzuhalten, und verbot sogar den Laienbrüdern (Conversen), im Bezirk des Klosters zu wohnen.!* Offenbar hatte Johannes Teutonicus die Vakanz nach dem kurzen Papat Cölestins IV. (f 10. Nov. 1241) ausnutzen wollen, um die engen Beziehungen des Ordens zu dem Kloster S.Sisto, das dem römischen Stuhl unmittelbar unterstand, zu lockern und dadurch auch die Verpflichtungen gegenüber den alten Dominikanerinnenklöstern zu vermindern. Die Kurie aber hat gegen diese Maßnahmen energisch Einspruch erhoben, bald nachdem Innozenz IV. den päpstlichen Stuhl be- stiegen hatte (25. Juni 1243), und der Orden mußte das alte Verhältnis zu S. Sisto wieder herstellen.!” Unter dem neuen Papst erfolgte dann der große Gegenzug der Frauenklöster gegen die Abwehrmaßnahmen des Ordens. Den Anstoß dazu gab nicht ein deutsches, sondern das einzige französische Frauenkloster, das damals Anschluß an den Domi- nikanerorden suchte, Montargis, zwischen Orl&ans und Sens ge- legen. Dort hatte die Tochter des mit Dominikus befreundeten 108. Brief Innocenz’ IV. an den General und die Definitoren des General- kapitels in Bologna vom 14. Mai 1244, RipollI S.143: Sicut intellezimus, tu frater episcope (Johannes Teutonicus) priorem predicto monasterio subtrahens nec alium subrogare curans eidem, ut frater ibi permanens confessiones earum non audiat et conversus non equitet nec in earum possessionibus personalem residentiam faciat, contra consuetudinem super üs servatam hactenus mandavisti. 109. Vgl. auch den Brief Innozenz’ an S.Sisto vom 3. Februar 1244, RipollI S.131 mit der Zusicherung, daß das Kloster sub magisterio et doctrina magistri et prioris provincialis Tusciae.. maneatis. Diese sollen ihnen de fratribus suis in monasterio vestro sufficientes deputare fratres lam clericos quam conversos et priorem discretum et providum ibidem restituere debeant residentem, qui vos et eos verbo instruat et exemplo et corrigat etiam delinquentes, wie es bisher unter den früheren Generalen geschah. ° Die beim Kloster residierenden Dominikaner sollen aller Rechte des Ordens teilhaftig sein. ig‘ j NA Grafen Simon von Montiort, die verwitwete Gräfin Amicie von Joigny, begeistert für das religiöse Werk des Stilters, ein Klo- ster für 50 Frauen gegründet; und da sie schon zu ihrem Leid- wesen sich als Frau nicht unmittelbar dem Predigerorden hatte anschließen können, so bemühte sie sich wenigstens um Auf- nahme ihres Frauenklosters in den Ordensverband.''" Der Orden aber verweigerte auch ihr die Inkorporation. Als sich aber seit Ende 1244 die Kurie in Lyon aufhielt, benutzte Amicie von Joigny diese Gelegenheit zu persönlichen Verhandlungen mit Innozenz IV. und erreichte es, daß durch eine Bulle vom 8. April 1245 die Inkorporation des Klosters Montargis in den Dominikanerorden verfügt wurde." 110. Chronicon ordinis (wahrscheinlich von Gerhard Frachet) ed Reichert MOPH I S.322 (vgl. auch VII S.2): Filia comitis Simonis, scilicet domina Amicia de Joviniaco... voluit multociens, quod filius suus unigenitus... intraret ordinem, si fratres voluissent; et in extremis agens ipse apud Cyprum in ezercitu regis Francorum (Ludwig IX.) habitum nostrum suscepit et factus est frater. Ipsa quoque, sicut dizit, quia homo non erat nec poterat esse frater, ut saltem soror fieret, fecit domum soro- rum de Monte-Argis et bene dotavit, in qua tazatus est numerus 50 soro- rum, que speciali prerogativa sanctitatis et religionis fulgerent in Francia, inter quas et ipsa sepulta requiescit. Wann das Kloster gegründet ist, ist unbekannt; die Gallia Christiana (XII S.256) läßt es bereits um 1207 entstehen und behauptet, nach der Klostertradition habe es Dominikus selbst mehrmals besucht. — Der einzige Sohn Amicies ist Gaucher (nicht Johann von Montfort, wie Reichert meint), den Innozenz in Bullen der Jahre 1245 öfters als familiaris noster bezeichnete, s. u. S. 248. Amicie starb 1252. — In Montargis trat auch die Schwester Heinrichs III. von England ein, die Witwe Simons von Montfort (Earl of Leicester), des Bruders Amicies de Joigny, der 1264 den englischen Thron usurpiert hatte und 1265 im Kampf gegen den englischen Thronfolger fiel. Ebenso eine Tochter Friedrichs II., Blanchefleur, deren Grabschrift lautet (Gallia Christiana ?XII S. 257): Por !’amour de Dieu et sa virginite depita l’empire et tout le monde selement de ses amis, vint en France en cette maison en habit de beguinage jusquä la fin et trespassa le 20 de Juin 1279. 111. MOPH I S.322: Fuit autem (Amicia) tanti fervoris et animi in domus predicte promocione, quod, cum fratribus multis se opponentibus licenciam construendi illam habere non posset aliquo modo ab ordine, in propria persona multociens ivit ad curiam pape et obtinuit litteras effi- cacissimas ad suum desiderium consummandum. Die Inkorporations-Bulle an den General und den französischen Provinzial bei Ripoll I 8.148 n. 84. Vgl. unten S. 272. — 248 — Dadurch war gleichsam der Damm gebrochen, der die Frauenklöster bis dahin außerhalb des Ordens gehalten hatte, Der Vorgang des Klosters Montargis war für die deutschen Frauengemeinschaften beispielgebend, und in rascher Folge er- wirkte sich eine nach der andern durch die Kurie in Lyon die Aufnahme in den Orden. Amicie von Joigny begnügte sich nicht damit, die Inkorporation ihres eigenen Klosters durchge- setzt zu haben; sie hat auch mehreren deutschen Frauenklöstern dazu verholfen. Als erstes folgte nach Montargis das St. Agnes- Kloster in Straßburg, dem dank der Fürsprache Amicies und ihres Sohnes Gaucher am 7. Mai 1245 die Inkorporationsbulle ausgestellt wurde.” Welche Beziehungen zwischen Amicie von Joigny und den Frauen von St. Agnes in Straßburg bestan- den, wissen wir nicht, Nach der Mitteilung des Kolmarer Dominikaner-Chronisten” war den süddeutschen Frauen- gemeinschaften von ihren dominikanischen Freunden geraten worden, sich mit Briefen ihrer Verwandten an den Papst zu wenden und die Inkorporation zu erbitten; es ist nicht unmög- lich, daß Verwandte der Gräfin von Joiguy unter den Frauen in St. Agnes lebten. Aber auch andere deutsche Frauenklöster haben sich der Fürsprache der Familie des Grafen von Montiort bei Innozenz IV. bedient. Amicies Sohn Gaucher verwandte sich an der Kurie für die Klöster in Offenburg (Baden)''* und 112. RipollIS.148 n. 85 und n. 86 die entsprechende Anweisung an den General und den Provinzial der Teutonia; vgl. E. Berger, Reg. n. 1252/53; Text s. u. S. 272f. Es heißt in der Bulle: ad supplicationem no- bilis mulieris Amicie domine de Jovignaco et Galcheti nati eius familiaris nostri. In einer Bulle vom 7. August 1247 an General und Provinzial, durch die er auf die Durchführung der Inkorporation des St. Agnes-Klo- sters dringt (Urk.-B. Straßburg IV,1 S.79f. n.125) sagt Innozenz: idem monasterium incorporavimus ordini vestri, nobili muliere Amicia de Jo- vigniaco et Gualchero nato eius familiari nostro interponentibus super hoc non sine multe intercessionis instantia partes suas. — Die Inkorporations- bulle wurde wiederholt am 1. Juni 1247 (Urk.-B. Straßburg IV,1 8.76 n. 114; Berger n. 2789/90), am 7. August 1247 und am 12. Okt. 1247 (Ber- gern. 3155 und 3329); vgl. unten S. 276 Anm. 170 und S. 278 Anm. 174. 113. S. u. S. 249 Anm. 119. 114. Diözes. Straßburg; inkorporiert am 11.Juli 1246, Ripoll IS. 166 f. n. 156/7; Berger n.2221/22. Über das Kloster ist sonst fast nichts bekannt; vgl. Wilms, Verzeichnis S. 77. — 249 — Husern;’"° ihr Vetter, Graf Johann I. von Montfort für das St. Markus-Kloster in Straßburg,‘ für S. Margarethe in Eckbols- heim" und noch ein anderes elsässisches Kloster." In den Bullen für die zahlreichen anderen deutschen Frauenklöster, die in diesen Jahren dem Dominikanerorden unterstellt wurden, ist eine solche Fürsprache nicht ausdrücklich erwähnt.''* Aber es setzte geradezu eine Walliahrt deutscher Klosterirauen nach Lyon ein. Aus vielen Klöstern, die sich nicht auf wirksame Für- sprecher an der Kurie verlassen konnten, machten sich zwei Schwestern persönlich auf den Weg nach Lyon, um ihre Wün- sche bei Innozenz durchzusetzen,''” und sie sollen dabei sogar 115. Später nach Klingenthal bei Basel verlegt; am gleichen Tage wie Offenburg inkorporiert, Ripoll I S.167 n. 158/99; Berger n. 2224; Urk.-B. Basel I S.133 n.190; Wilms, Verzeichnis S.45f. 115a. Inkorporiert am 4. Juli 1245, Ripoll I 8.151 n. 94; wiederholt am 21. Febr. 1246, Berger n.1700, und am 13.März 1246, Ripoll S. 158 n. 123, wo es heißt: consideratione dilecti filiüi nobilis viri Johannis comitis Montisfortis nobis pro vobis supplicantibus. 116. Berger n. 1827. 117. Ripoll verzeichnet Inkorporationsbullen für Edenehim vom 19. März 1246 (I S.159 n.127) und für Ohenheim vom 13. Mai 1246 (S. 164 n.145); Berger n.1768 für Ehenheam vom 13. März 1246; wahrscheinlich ist in allen drei Fällen Oberehenheim i. Elsaß gemeint; vgl. Wilms, Verzeichnis S. 77. 118. Aber Kardinal Hugo von St. Cher spricht in einem Brief vom 13. März 1254 (Ripoll VII S.33 n.382) von den monasteria, que ipse (Innozenz IV.) ad preces et interventum multorum nobilium et magnatum auctoritate sedis apostolice.. nostro ordini univit. — Das Kloster Himmel- wonne-Löwenthal (bei Buchhorn-Friedrichshafen) hat Innozenz IV. am 2. Juni 1250 auf Bitten des Ritters Johann von Ravensburg, des Stifters dieses Klosters, der deswegen persönlich an der Kurie war, sowie des mit ihm verwandten Abtes von St.Gallen und des Bischofs von Konstanz den Dominikanern unterstellt; Wirtemb. Urk.-B. IV S. 217, 227 n. 1151/9. 119. Kolmarer Chronist, De rebus alsaticis MGSer. XVII S.235 (an- schließend an das Zitat oben S.239 Anm. 94): Post hec fratres predicatores ülis dominabus consuluerunt, ut ad papam cum literis cognatarum suarum quam citius festinarent et libertatem quam possent a papa et a cardindli- bus obtinerent. Acquiescentes igitur consiliis eorum ad curiam perrere- runt; de quolibet pene claustro due ad eundem vperrezerunt. Et mediante fratre Johanne episcopo et magistro ordinis predicatorum, que a papa et cardinalibus petiverunt, (obtinuerunt). Commisit enim eas papa magistro ordinis predicatorum et incorporavit ordini eorum, ita quod deberent gaudere omni privilegio obtento et obtinendo. — Aus m — die Unterstützung einflußreicher Dominikaner an der Kurie selbst gefunden haben!” — obgleich der Orden, wie wir sehen werden, bald genug Verwahrung gegen die massenhaften päpst- lichen Inkorporationen einlegte. Zunächst aber hat nichts die Entwicklung aufhalten können, der durch das Vorgehen von Montargis die Bahn gebrochen war. In unaufhörlicher Kette hat ein Kloster nach dem andern sich bei Innozenz IV, in Lyon das Klosterprivileg und die Aufnahme in den Dominikaner- orden verschafft. Am 4, Juli 1245 waren mit St. Markus zu- gleich noch vier andere Straßburger Frauenklöster dem Orden unterstellt worden,'” bis zum Ende des Jahres 1246 folgten Adelhausen bei Freiburg ging die Witwe des Grafen von Sulz, eine Schwe- ster Rudolfs von Habsburg, zu dem concilium ze Lewen... umb den orden, den erwarb si da, FDA XIII 8.154; inkorporiert am 15. Juli 1245, ib. 8.235f. — Aus Kirchberg bei Sulz ging die erste Priorin Williburg von Hochberg und Schwester Mechthild von Zimmern nach Rom (d.h. an die Kurie) und erwarben den Schutzbrief (2. Mai 1245) und die Inkorpora- tion (24. Okt. 1245), s. Württemb. Vierteljahrsh. f. Landesgesch. N.F. III, 1894, S.291 ff. — Aus Engelthal ging die Priorin Diemut von Gailenhausen in Begleitung einer Schwester und eines Laienbruders nach Rom und er- warb am 20. Sept. 1248 die Inkorporation und am 10. Okt. 1248 den Schutzbrief; s. Engelthaler Büchlein S.7;, Martini, Beschreibung des Frauenklosters Engelthal S.13ff.; Heidingsfelder, Regesten S.224 n. 720. — In den Vitae sororum von Unterlinden (ed. J. Ancelet- Hustache 8.337) ist nur kurz erwähnt, guanta instancia et labore pre- dicatorum ordinem a domino apostolico impetrarunt, curiam Romanam in persona propria adeundo. 120. Nach Angabe des Kolmarer Chronisten hat General Johannes selbst die Inkorporationswünsche beim Papst gefördert; das Engelthaier Büchlein (8.7) sagt: Da waz ein brediger auf dez pabstes hof, und da er irn ernst und ir heilikeit vernam, da braht er mit dem pabst all ir begirde zu und mer dann sie selber das zu konde, und bestetigt ir der pabest ir privilegia und ir brif. Es ist ungewiss, ob damit der General Johannes oder einer der beiden Dominikaner-Kardinäle, vielleicht Hugo von St. Cher gemeint ist, der damals an der Kurie war, auch das Privileg für Engelthal. mit unterzeichnete und sich später als eifrigster Förderer der religiösen Frauenbewegung in Deutschland bestätigte. 121. Ripoll I 8.150/51 n. 89ff.; Berger, Reg. n. 1379/80; Urk.-B. Straßburg I 8.224f.: S. Katharina (Wiederholung der Inkorporationsbulle „mit unwesentlichen Zusätzen“ am 20. August 1249, s. Urk.-B. Straßburg 18.225 A.1); S.Elisabeth; S. Nikolaus und Matthäus (— S.Nikolaus zu den Hunden; wiederholt 1248, s. QF III S.80); S. Johannes. — 251 — mindestens 21 weitere deutsche Klöster und bis 1250 noch min- destens fünf.'”” Im Laufe von fünf Jahren hatte also der Orden allein in der deutschen Ordensprovinz mindestens 32 Frauen- klöster übernehmen müssen,'”* dazu Montargis in Frankreich. 122. Bei Ripoll I, 151ff. sind Bullen für folgende Klöster verzeich- net: Sirnau (später Eßlingen) am 14. Juli 1245 (vgl. Wirt. Urk.-B. IV S.105f. n. 1048; Berger, Reg. n. 1494/46). — Weil am 9. Sept. 1245 (vgl. Württ. Urk.-B. V S.442f. n. 55/6; Berger n. 1495/96). — Medingen, Gotteszell bei Schwäbisch-Gmünd (vgl. Wirt. Urk.-B. IV S. 130 ff. n. 1069/70). — S. Maria in Arena (später S. Katharina) in Augsburg, und Ebenheim (vgl. o. S. 249 Anm. 117) am 13. März 1246. — Alten- hohenau am Inn (vgl. Mon. Boica XVII S.10ff. n. 11/12; Berger u. 1814/55) und Merenbrunnen (= Weißenburg i. Els.) am 21. April (nach Berger n. 1827 Merinbrunne am 20. April) 1246. — Würzburg am 10. Juli 1246. — Offenburg i. Baden und Husern bei Basel (später Klingenthal) am 11. Juli 1246 (vgl. Urk.-B. Basel I S.133 n. 190; Berger n. 2221/4). — Cronschwitz am 9. Nov. 1246 (vgl. Urk.-B. der Vögte von Weida, Gera und Plauen I S.45f. n. 87). Gleichlautende Bullen, die nicht bei Ripoll verzeichnet sind, sind für folgende Klöster erhalten: Aus dem Jahre 1245: Ötenbach bei Zürich vom 12. Juli, s. Urk.-B. Zürich IE 8.129 n. 623. — Adelhausen bei Freiburg vom 15. Juli, s. FDA XIII S.235f.; wiederholt am 18. Mai 1249, s. Berger n. 4523/24. — Wonnenthal vom 4. Sept., s. F.J.Mone, Quellensammlung zur bad. Gesch. IV S.47; Berger n. 1486/87 (Wimental),. — Töss vom 2. Sept. s. Urk.-B. Zürich I S.132ff. n. 626/27. — Kirchberg vom 24. Okt. s. Wirt. Urk.-B. IV S. 114 n. 1055; Berger n. 1770/71. — Unter- linden bei Kolmar vom 4. Sept., s. Ingold, Le monastere des Unter- linden 8.226 n. 5/6. — Diessenhofen-Katharinental, s. FDA XI S.20 (ohne Angabe des Tagesdatums). 20. April 1246 S. Margarethe in Eckbolsheim, später Straßburg, s. Berger n. 1827/28. — 1246 auch Sylo-Schlettstadt, s. Annal. Col- mar. MGSer. XVII 8.190; Hauck, Kirchengesch. IV S.996; Alsatia illustr. II S. 381. — 2. August 1247 S. Lambrecht bei Neustadt a. d. Hardt (wiederholt am 20. Sept. 1248) s. Urk.-B. zur Geschichte der Bischöfe zu Speyer ed. Remling I S. 401f. n. 435; A. Stauber in den Mitteilungen d. hist. Ver. d. Pfalz IX 8.79. — 11.Sept. 1248 Mersch b. Luxemburg, s. Berger n. 4138/39. — 20. Sept. 1248 Engelthal, s. Fr. Heidingsfelder, Regesten S.224 n. 730. — 27. Januar 1249 Kirchheim, s. Berger n. 4335/36; Wirt. Urk.-B. VI S. 470 n. 50/1. — 2. Juni 1250 Himmelwonne- Löwenthal, Wirt. Urk.-B. IV S. 217 n. 1151. — 1250 auch S. Barbara in Trier, s. J. Marx, Gesch. des Erzstifts Trier IV, 1862, S. 457. 123. Es ist nicht unmöglich, daß in diesen Jahren noch einige andere —_— 22 — Bedenkt man dabei, daß während des ganzen Generalats Jo- hanns von Wildeshausen — 1241 bis 1252 — nur 4 neue Männer- klöster in Deutschland entstanden sind und nur 24 in sämtlichen Ordensprovinzen, so läßt sich ermessen, welche außerordent- liche Bürde dem Orden durch diese massenhaften Inkorpora- tionen übertragen war. Daß er diese Aufgaben nicht unverzüg- lich und reibungslos überall bewältigen konnte, zeigt schon die Tatsache, daß viele Inkorporationsbullen in mehriacher Wieder- holung ausgestellt werden mußten und daß es in manchen Fäl- len noch nachdrücklicher päpstlicher Anweisungen an die Do- minikaner bedurfte, die durch die Inkorporationen übernomme- nen Verpflichtungen ohne Weigerung durchzuführen.'** Welche Bedeutung aber diese Vorgänge von 1245 und den folgenden Jahren für den Dominikanerorden hatten, worin die Verpflichtungen des Ordens gegenüber den ihm unterstellten Frauenklöstern bestanden und wie sich der Orden zu diesen neuen Aufgaben verhielt, das kann erst völlig klargestellt wer- den, wenn zuvor die entsprechende Entwicklung im Franzis- kanerorden erörtert wird. Denn das Verhalten der beiden Bettelorden zur religiösen Frauenbewegung steht in dieser Zeit in einem engen, bisher nicht durchschauten Zusammenhang. deutsche Frauenklöster in gleicher Weise dem Orden unterstellt wurden. ohne daß die betreffenden Bullen erhalten sind. Anders liegt es bei Klo- ster Alzey in Hessen, das der Dominikanerprior von Worms, einer Bulle Innozenz IV. vom 15. Januar 1248 zufolge, dem ordo s. Augustini inkor- porieren sollte, dioecesani eposcopi in omnibus jure salvo. Die Bulle ist bei Ripoll I S.181 n. 193 nur im Auszug wiedergegeben (vgl. auch Berger n. 3547), hat aber mit den Inkorporations- oder „Kommissions“- Bullen für die übrigen Frauenklöster nichts gemein und verfügt nicht die Unterstellung unter den Dominikanerorden. 124. Urk.-B. Straßburg IV, 1 S.79f. n. 125 an den General "und den deutschen Provinzial vom 7. August 1247: cum dilectas in Christo filias priorissam et conventum monasterii s. Agnetis Argentinensis ac idem monasterium incorporavimus ordini vestro... presentium wobis auctori- tate precipiendo mandamus, quatinus quod super hoc a nobis factum est, gratum et firmum habentes non attemptetis per vos nec permittatis a per- sonis eiusdem ordinis contra hoc aliquid ullo umquam tempore attemptari. Vgl. auch die Bulle Innozenz’ IV. an dieselben betreffs Durchführung der Inkorporation von Himmelwonne (Löwenthal) vom 1. Okt. 1250, Wirt. Urk.-B. IV S.227 n. 1159. — 253 — 3. Franziskanerorden und Frauenklöster in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Franziskus hatte sein Werk nicht wie Dominikus mit der Organisation und Leitung religiöser Frauen begonnen, und er hat sich sein Leben lang bemüht, die Angliederung von Frauen- gemeinschalten an seinen Orden zu verhindern. In dem ur- sprünglichen Bußprediger-Bund, der 1210 die päpstliche Ge- nehmigung erhielt, konnten Frauen keinen Platz finden, denn niemals hätte die Kurie Frauen zur Bußpredigt zugelassen. Na- türlich sollte sich die Wirkung der franziskanischen Bußpredist auch auf die Frauen erstrecken, sollte sie den Verlockungen der Welt entreißen und zur „Bekehrung” führen. Was aber dann aus den Frauen werden sollte, die dem Ruf der franziskanischen Predigt folgend sich „bekehrten”, darüber hat sich Franziskus anfangs offenbar keine Gedanken gemacht. Ihm kam es auf die Erweckung zum religiösen Leben an, nicht auf die Formen dieses Lebens. Das hat sich gerade bei der Bekehrung Klara Sciffis durch Franziskus klar gezeift. Am Palmsonntag 1212 hat sie in der Portiuncula in Gegenwart der Brüder ihre Konversion vollzogen, ihren Besitz verschenkt, um Gott in freiwilliger Armut zu die- nen, den Schmuck ihrer Kleidung und ihres Haares abgelegt und die „Zeichen der heiligen Buße‘ empfangen.’ Was bedeu- tete das für die künftige Gestaltung ihres Lebens? In der Ge- meinschaft wandernder Bußprediger konnte sie selbstverständ- lich nicht bleiben. Vielmehr brachte sie Franziskus unmittelbar nach ihrer Bekehrung in ein Benediktinerinnen-Kloster zum hl. Paul bei Bastia. Ob das als ein provisorischer Aufenthalt ge- dacht war oder ob Klara in dieses Kloster eintreten wollte,'” wissen wir ebensowenig, wie wir die Gründe kennen, die sie schon nach wenigen Tagen in ein anderes Benediktinerinnen- 125. Thomas von Celano, Vita s. Clarae c.8, AASS. Aug. II S. 756: sancte penitentie suscepit insignia; vgl. I Cel. 8, 18 und die Kanonisationsbulle von 1255 bei Sbaralea II S. 81ff. 126. Die Vita c.8, AASS. Aug. II S. 756 sagt: donec aliud provideret altissimus, will aber damit schwerlich die Gedanken Franz’ und Klaras wiedergeben. u Kloster übersiedeln ließen, S. Angelus de Panso bei Assissi.'”" Aber auch dort blieb sie nur kurze Zeit. Hatte Klara, wie es wahrscheinlich ist, die Absicht gehabt, bei diesen Benediktine- rinnen zu bleiben und dort Profess zu tun, so mußte es ihr bald klar geworden sein, daß der Aufenthalt in einem wohlsituierten Benediktinerinnen-Kloster unvereinbar war mit ihrem Ideal völliger freiwilliger Armut und entbehrender Selbsterniedrigung nach dem Vorbild des Franziskus.” Sie trennte sich deshalb gemeinsam mit ihrer Schwester von den Benediktinerinnen und zog, von Franziskus beraten, in die Damians-Kirche vor den Toren von Assisi, deren Gebäude der Bischof Guido von Assisi dem Heiligen zu diesem Zwecke überließ. Dort schlossen sich ihr bald andere Frauen an, und diese Gemeinschaft lebte, ohne sich auf eine Ordensregel zu verpflichten, nach den Anweisun- gen des Franziskus, die sich in ihrem einfachen Bekenntnis zu evangelischer Armut und Einfalt nicht wesentlich von der ur- sprünglichen „Regel der ersten Franziskaner unterschieden haben können, nur natürlich keine Verpflichtung zu evangeli- scher Predigt enthielten, dafür aber strenge Fastenbestimmungen einfügten.'” Wahrscheinlich durch die Ordensbestimmungen des Laterankonzils von 1215 sah sich dann die Gemeinschaft in S. Damian veranlaßt, sich ein Privileg zu erwerben, um ihren Ver- zicht auf alles Eigentum, ihr Bekenntnis zum strengen Armuts- prinzip aufrecht erhalten zu können und nicht zur Annahme einer anderen Klosterregel genötigt zu sein. Ungefähr gleich- zeitig und vermutlich im Zusammenhang damit wurde die innere Organisation der Gemeinschaft ausgestaltet, indem Klara zur Äbtissin ernannt wurde.'” Vielleicht wurde auch damals die 127. Dort schloß sich ihr ihre Schwester Agnes an. 128. Vita s. Clarae c. 10 S. 756: Ubi cum non plene mens eius quies- ceret,tandem ad ecclesiam s. Damiani beati Francisci consilio commigravit. 129. Diese forma vivendi oder formula vitae, die Franziskus den Schwestern in S. Damian gegeben hatte, ist erwähnt in der Regel Klaras von 1253 c.6 (Seraphicae legislationis textus S. 62f.) und in einer Bulle Gregors IX. an Agnes von Böhmen vom 11 Mai 1238, Sbaralea I S. 243 n. 264. 130. Drei Jahre nach ihrer Bekehrung cogente beato Francisco suscepit tandem regimen dominarum, Vita ce. 12 S. 757; vgl. die Kanonisationsbulle bei Sbaralea II 8.82. Einen Zusammenhang zwischen dem Privilegium IHRER strenge Klausur eingeführt. Und somit war, von der Kurie an- erkannt, ein Kloster entstanden, das sich von allen anderen Frauenklöstern wesentlich dadurch unterschied, daß es sich nicht von seinem Besitz und den daraus fließenden Einkünften erhielt, sondern genau wie die franziskanische Gemeinschaft auf Almosen oder Erwerb durch eigene Arbeit angewiesen war und auf alles Eigentum verzichtete. Dieser Gemeinschaft Klaras in S. Damian hat Franziskus mit besonderer Liebe nahegestanden, ihr wollte er die Fürsorge seines Ordens immer erhalten wissen." Aber das war auch das einzige Frauenkloster, das er „gegründet‘, dessen Entstehung er unmittelbar veranlaßt und dessen Zugehörigkeit zum Orden er gewünscht und anerkannt hat. Außer S. Damian sollte nach seinem Willen kein anderes Frauenkloster dem Orden ange- gliedert oder von den Ordensbrüdern gegründet und gefördert werden. Allen Versuchen, dem Orden die Fürsorge für andere Frauenklöster zu übertragen, hat er sich aufs schärfste wider- setzt und den Brüdern streng verboten, Frauen in den Orden aufzunehmen.'”? Allerdings aber sind zur gleichen Zeit wie S. Damian zahl- reiche andere Frauengemeinschaften in Mittelitalien entstanden, die wie die Frauen von S. Damian auf Eigentum und Besitz ver- zichteten und ohne Befolgung einer bestimmten Klosterregel, paupertatis (vgl. o. S. 149 ff.) und der Ernennung Klaras zur Äbtissin ver- mutet auch L. Oliger AFH V S.192 und 204. 131. Die Regel Klaras von 1253 (S.62) führt die Worte aus der forma vivendi des Franziskus für S. Damian an: Volo et permitto per me et fra- tres meos semper habere de vobis tamquam de ipsis curam diligentem et sollicitudinem specialem. 132. Bei Verhandlungen mit dem Kardinal Hugolin im Jahre 1219 hat Franz erklärt, preter unum ilud, in quo Claram reclusit, nullum_ aliud. se ezstruxisse aut exstrui procurasse atque ita huius solius curam assump- sisse tam quoad disciplinam regularem quam quoad tenuem victum mendi- citate per se aut socios conquirendum. Neque quidquam sibi tandumdem displicere, quam ut fratres in alüs partibus monialibus domicilia constitui et per se regi impensius voluerint, ss Wadding, Annal. Minor. ad 1219 n.44 (I, 1731, S.311) nach einer handschriftlichen Chron. ant. des Hugolin de Monte; Marianus I c.9. — Fr. Thomas von Pavia sagt nach den Angaben des fr. Stephanus, eines Gefährten des Heiligen: Nec unguam ipse aliud monasterium mandavit fieri, licet tempore suo aliqua monasteria constructa fuerint procuratione quorumdam; s. L. Oliger AFH V S. 419. SIE = ohne Anschluß an einen Orden oder an Männerklöster in frei- williger Armut lebten. Über die Entstehung dieser Gemein- meinschaften ist so gut wie nichts bekannt. Man weiß auch nicht, seit wann sie bestanden und ob sie durchweg erst eine Folgeerscheinung der franziskanischen Predigt sind und durch Klaras Vorbild angerest wurden. Möglich ist es durchaus, daß solche religiöse Frauengemeinschaften in Mittelitalien auch un- abhängig von Franziskus und Klara entstanden sind als ein Niederschlag der allgemeinen Armutsbewegung, wie sich ja auch in Belgien, Frankreich, Deutschland ganz ähnliche Gemein- schaften unabhängig von den Bettelorden gebildet hatten. Die Gleichartigkeit des religiösen Ideals und der Lebensweise bei diesen religiösen Frauen Mittelitaliens und bei den Franziska- nern und den Schwestern von S. Damian — das einzige Argu- ment, das sich für eine unmittelbare Abhängigkeit anführen läßt!?® — ist kein ausreichender Beweis dafür, daß erst durch Franz und Klara die „Weltfluchtbewegung“ unter den italieni- schen Frauen ausgelöst worden ist. Es ist möglich, daß die Armutsbewegung wie in anderen Ländern so auch in Italien aus eignem Antrieb und unabhängig von Franziskus zur Bildung von Frauengemeinschaften geführt hat, die in freiwilliger Armut leben wollten.'* Sicher ist, daß sie nicht von Franziskus oder seinen Brüdern „gegründet” worden sind,’ und daß zwischen ihnen und dem Franziskanerorden anfangs keinerlei organisa- torische Beziehungen bestanden. Zweifellos hat aber die fran- ziskanische Predigt und das Beispiel Klaras die religiöse Be- wegung unter den italienischen Frauen wesentlich verstärkt und ihre Richtung bestimmt. Als Jakob von Vitry 1216 in Perugia war, hielt er die Minoriten und die religiösen Frauengemein- 133. L. Lemmens, Zum Leben und Werke der hl. Klara (Der Katho- lik IV 12) S.5f. und 9 glaubt, das charakteristische Merkmal dieser Frauenklöster: voller Verzicht auf jede irdische Habe, gestatte „ohne weiteres, im Beispiel und der Predigt Franceisei und Claras den Ursprung dieser großen Armutsbewegung zu schauen“. Daß das nicht richtig ist, zeigen die gleichartigen Frauengemeinschaften der nördlichen Länder. 134. Vgl. L. Zarncke, Ugolino S. 27 ff. 135. Vgl. o. S. 255 Anm. 132 die Behauptung des Thomas von Pavia: tempore suo aligqua monasteria constructa fuerunt procuratione quorundam. sr schaften schon für eine einheitliche, zusammengehörige Erschei- nung, ohne aber über organisatorische oder genetische Zusam- menhänge etwas zu sagen." Erst seit 1218 ist von den italieni- schen Frauengemeinschaften in zuverlässigen Dokumenten die Rede. Damals hat sich Kardinal Hugolin als Legat in Toscana ihrer angenommen — wahrscheinlich war er von den Frauen selbst um eine Vermittlung ersucht worden'’”’ — und er hat sich bei Honorius III. dafür verwandt, daß sie dem päpstlichen Schutz unterstellt wurden.‘ Er schildert die Frauen aus vor- nehmen, wohlhabenden Familien, die den Glanz der Welt und ihren Reichtum fliehen und alles Eigentum aufgeben, um in Armut in ihren Gemeinschaften bei ihren Bethäusern leben zu können.'? Aber er sagt nicht das Geringste darüber, daß diese Frauen durch Franziskaner bekehrt wurden, daß.Klara ihnen das Beispiel gegeben hatte, oder daß sie in irgendeiner Bezie- hung zum Minoritenorden stehen. Hugolin hat diese Frauen- gemeinschaften gegen die Ansprüche und Eingriffe der Bischöfe und weltlicher Personen in Schutz genommen, hat sich von der Kurie die Vollmacht erteilen lassen, ihre Klöster und Kirchen und die ihnen geschenkten Grundstücke zum Eigentum der römi- schen Kirche zu erklären, und hat dann die Frauengemeinschaf- 136. Brief Jakobs von Vitry bei H. Boehmer, Analekten S. 67: Multi enim utriusque sezus, divites et seculares, omnibus pro Christo relictis seculum fugiebant, qui fratres minores vocabantur; dann berich- tet er zunächst nur über die Franziskaner, fügt dann einen Abschnitt über die religiösen Frauen ein:Mulieres vero juxta civitates in diversis hospicüis simul commorantur, nichil accipiunt, sed de labore manuum vivunt. Valde autem dolent et turbantur, quia a clericis et laicis plus quam vellent hono- rantur. Darauf fährt er in der Beschreibung der Franziskaner fort. — In der Historia occidentalis, die Jakob von Vitry während seines Aufenthalts im Orient (1220/27) schrieb, ist bei der Beschreibung der Franziskaner gar nichts über die Zugehörigkeit von Frauen gesagt. 137. L. Zarncke S. 36f. 138. Der Brief Hugolins steht in der Bulle Honorius’ III. für Monticelli in Florenz vom 27. August 1218, Sbaralea I S.1. 139. Quamplures virgines et alie mulieres, quibus secundum instabili- tatem prosperitatis mundane prosperum statum in seculo sua videtur nobilitas polliceri, ...desiderant fugere pompas et divitias huius mundi et fabricari sibi aligqua domicilia, in quibus vivant nihil possidentes sub celo, ezceptis domicilüs ipsis et construendis oratorüs in eisdem. ru: ten zu einem Orden zusammengefaßt und ihnen eine Regel ge- geben, um ihr religiöses Leben in geordnete Bahnen zu lenken. Aber er hat dabei weder die Franziskanerregel noch die Forma vivendi der Schwestern in S. Damian zugrunde gelegt. Da die durch Franziskus und Klara für ihre Gemeinschaften noch von Innozenz III. erwirkte Befreiung von dem Ordenserlaß des Laterankonzils für diese Frauenklöster nicht galt, so mußten sie und der aus ihnen gebildete neue Orden jener Bestimmung gemäß auf eine der alten Ordensformen und Regeln verpflichtet werden. Hugolin wählte dazu die Benediktiner-Regel. Aber auch dabei zeigt sich wieder, wie widersinnig die Ordensbestim- mung des Laterankonzils war angesichts der wirklichen religiö- sen Entwicklung dieser Zeit, wie hinderlich es war, die neue religiöse Wirklichkeit unter alte Rechtsformen zwingen zu müs- sen. Hugolin verpflichtete die Frauenklöster, um keine „neue Ordensform” zu schaffen, auf die Benediktinerregel; aber sie wurden dadurch nicht zu Benediktinerinnen. Es wurde nur eine juristische Formalität damit erfüllt, um der Bestimmung des Konzils Genüge zu tun. Geltung sollte die Verpflichtung auf die alte Regel aber nur insoweit haben, als die Lebensweise der Schwestern nicht durch die besonderen Bestimmungen in Hugolins neuer Regel geordnet wurde. Tatsächlich aber wur- den alle Verhältnisse in den neuen Klöstern durch neue, ihrer Eigenart entsprechende Bestimmungen geregelt. Als später die Frage aufgeworfen wurde, welche Bedeutung dann die Ver- pflichtung auf die Benediktinerregel überhaupt habe, wurde autoritativ erklärt, sie sei nur für die drei Hauptgelübde ver- bindlich: Gehorsam, Verzicht auf Privateigentum und Keusch- heit.'* 140. Vgl. L. Oliger AFH V S. 203£.; Lemmens, Römische Quartal- schr. XVI S.102ff., und Der Katholik IV, 12 S.10; L.Zarncke S.43f. gegen Lempp und Sabatier. Die Regel Ugolins (in den Bullen vom 24. Mai 1239 und 13. Nov. 1245, bei Sbaralea I S.264 und 395) beginnt: Regulam beatissimi Benedicti.. vobis tradimus (concedimus) observan- dam in omnibus, in quibus eidem vivendi formule vobis a nobis tradite.. (secundum quam. specialiter vivere decrevistis) contraria minime com- probatur. 141. Als Agnes von Prag 1243 um eine Änderung der Regel bat und 2.77 Wie Kardinal Hugolin den italienischen Frauenklöstern eine eigene, nur formell an die Benediktiner-Regel angelehnte Ver- fassung gab, so unterstellte er sie auch der Obhut eines eigenen Visitators — dessen Befugnisse sich aber nich tt mit auf Klaras S, Damians-Kloster erstreckten! — und ernannte dazu einen Zisterzienser namens Ambrosius.' Mit der Seelsorge und der Visitation dieser Klöster sollte der Regel gemäß jeder erprobte und erfahrene Priester betraut werden können'** — von Fran- ziskanern ist dabei mit keinem Wort die Rede. Mit einer eige- nen Regel und einem eigenen Visitator bildeten also diese Frauenklöster eine Kongregation für sich, die auch mit einem besonderen Namen als ordo pauperum dominarum de valle Spoleti sive Tuscia bezeichnet wurde,'** und die noch immer in keinerlei organisatorischer Verbindung weder mit den Franzis- kanern noch mit den Schwestern von S. Damian stand. um Streichung der Anfangsworte: Regulam b. Benedicti vobis tradimus observandam, mit der verständigen Begründung: cum impertinens et im- possibile reputelur, quod in ordine due regule debeant observari, ant- wortete ihr Innozenz IV. am 13. November 1243 (Sbaralea I S.316). Gregor IX. habe seinerzeit selbst erklärt: Regula ipsa sorores sui ordinis non ligat ad aliud nisi ad obedientiam, abdicationem proprü ac perpetuam castitatem, que substantialia cuiuslibet religionis eristunt; und Innozenz IV. fügt hinzu, die Schwestern seien auf die Benediktiner-Regel verpflichtet worden, u? per ipsam quasi precipuam de regulis approbatis vestra religio authentica redderetur, nulla tamen propter hoc necessitate inducta, ut ipsam teneamini observare (!). Dieselbe Erklärung gab Innozenz IV. am 15. April 1244 allen Klarissen und betonte: vobis ad merendum premia perennis wite sufficit, quod solam predictam formulam (die Regel Hugo- lins).. observetis, ohne also die Bestimmungen der Benediktiner-Regel zu beobachten; Sbaralea I S.350; Oliger AFH V 8.447. 142. Thomas von Pavia, Oliger AFH V S.419: ..frater Ambrosius de ordine Cisterciensium penitentiarius, cui dictus dominus Ugolinus curam predictorum monasteriorum commiserat, preterguam monasterü sancte Clare. 143. Sbaralea I S.266 u. 398. 144. In einem Formular Hugolins für die Exemption solcher Frauen- klöster wird die Regel bezeichnet als forma vite et religionis pauperum dominarum de valle Spoleti sive Tuscia per dominum Hugonem .. auctori- tate domini pape eisdem sororibus tradita, s. Oliger AFH V S. 196. In Urkunden über das Frauenkloster S. Apollinaris in Mailand heißt die Regel 1224 regula ordini Spoletano a domino papa concessa, oder forma Eongen. Ms Der Kardinal hat es aber nicht dabei bewenden lassen, die Frauenklöster unter einer gemeinsamen Regel zu einer Kongre- gation ausgestaltet zu haben. Diesen Klöstern fehlte der An- schluß an einen Männerorden, der die regelmäßige Seelsorge und die Visitation in ihnen übernommen hätte, und der Plan Hugolins ging unverkennbar dahin, die „armen Frauen” an den Minoritenorden anzuschließen und sie in dasselbe oder doch in ein ähnliches Verhältnis zu ihm zu bringen, wie es in S. Damian bestand. Zweierlei sollte dazu führen: einerseits sollten die Schwestern in S. Damian dieselbe Regel annehmen, die Hugolin den anderen Frauenklöstern gegeben hatte; andererseits sollten die Franziskaner in diesen die Seelsorge und Visitation über- nehmen wie in S. Damian. In dem ersten Punkt hat der Kar- dinal sein Ziel zunächst erreicht, aber die spätere Entwicklung hat dieses Ergebnis wieder rückgängig gemacht; im zweiten Punkt hat er anfangs nichts erreicht, aber die spätere Entwick- lung hat seine Ziele nach manchen Schwierigkeiten verwirklicht. Verhandlungen zwischen Kardinal Hugolin und Franziskus über die Frauenfrage haben schon 1218 oder Anfang 1219 statl- gefunden, ehe Franz seine Missionsreise nach dem Orient an- trat.‘ Wahrscheinlich gelang es dem Kardinal gleich damals, die Zustimmung des Heiligen dazu zu erhalten, daß die Schwe- stern von S. Damian die von Hugolin für die anderen Frauen- klöster geschaffene Regel annahmen.'“* Das war aber wiederum vite pauperum dominarum clausarum in valle Spoliti marentium, und der Orden ordo de Spolito, s. J. A. Saxius, Archiepise. Mediolan. series II S.671ff.; vgl. auch AFH XVII S.345 und 346f. (ordo Spolitanus), 348 f. (ordo pauperum monialium de Tuscia), 349 (religio monialium de Tuscia), 351 (ordo Spoleti); erst 1234 monasterium dominarum ordinis S. Damiani, ebd. S. 358, 360ff. Doch vgl. unten Anm. 146. 145. S. u. S. 262; also in derselben Zeit, als Hugolin seine Regel für die Frauenklöster schuf, die zwischen August 1218 und 29. Juli 1219 ent- standen ist. 146. Darüber berichtet nur eine Bulle Gregors IX. an Agnes von Prag vom 11. Mai 1238, Shbaralea I S. 243: Predictam regulam (die Regel Hugolins) studio compositam vigilanti et acceptatam a predicto sancto necnon per felicis recordationis Honorium papam.. postmodum con- firmatam dicte Clara et sorores concesso ipsis ab eodem intercedentibus nobis exemptionis privilegio solemniter sunt professe; vgl. auch die — 261 — ein Vorgang von wesentlich formaler Bedeutung, und die Ver pflichtung auf die Hugolin-Regel bedeutete für S. Damian nicht viel mehr als die Verpflichtung der anderen Frauenklöster auf die Benediktinerregel. Klara und ihre Schwestern konnten die Hugolin-Regel formell annehmen, weil sie im wesentlichsten Punkt keinen Widerspruch zu der formula vitae des Franziskus enthielt, die in S. Damian befolgt wurde: sie sagte nichts dar- über aus, ob die Klöster Eigentum besitzen sollen oder nicht. Wir wissen, daß in anderen Fragen die Schwestern von S. Da- mian auch weiterhin ihrer formula vitae und den Weisungen des Franziskus gemäß lebten, auch wo die Hugolin-Regel abwei- chende Bestimmungen traf, so zum Beispiel bezüglich der Fasten, die in S. Damian weniger streng gehalten wurden als es die Hugolin-Regel vorschrieb.'* Sobald aber später die Hugolin-Regel derart abgeändert wurde, daß die Bestimmungen über Klostereigentum dem Armutsprinzip der Schwestern von S. Damian zuwiderliefen, verweigerte Klara die Anerkennung dieser Regel, und so ging die Einheitlichkeit in der Regulierung der von Hugolin organisierten Frauenklöster und S. Damians wieder verloren.'* Von größerer Bedeutung war es für die italienischen Frauen- klöster, ob es dem Kardinal Hugolin gelang, den Franziskanern Bulle Innozenz’ IV. an Agnes von Prag vom 13. Nov. 1243, Sbaraleal S. 315. Daß Franz der Hugolin-Regel, d. h. ihrer Annahme durch S. Da- mian vor seiner Abreise nach Ägypten zugestimmt hatte, ergibt sich m.E. aus der Urkunde Hugolins für Monticelli vom 27. Juli 1219 (mit der päpst- lichen Bestätigung vom 9. Dez. 1219, Sbaralea IS. 3). Die Gründe, die L. Zarncke (S.47 und 77) dafür anführt, daß S. Damian die Hugolin- Regel erst nach 1225 angenommen haben könne, sind nicht stichhaltig, werden vielmehr widerlegt durch die Urkunde vom 11. Febr. 1223 über die Gründung des Klosters S. Apollinaris in Mailand für moniales, que debent ibi vivere secundum ordinem et regulam beati Damiani de valle Spolliti iuxta civitatem de Sixri (— Assisi; s. AFH XV S.343). Tatsächlich wurde in Mailand die Hugolin-Regel befolgt (s. ebd. S. 355 u. 523); die Formel der Urkunde setzt aber voraus, daß auch S. Damian diese Regel damals schon angenommen hatte, 147. Vgl. den Brief Klaras an Agnes von Prag, AFH XVII S.517; =. Lemmens in Der Katholik IV 12 S.12; L.Zarncke S.56f. 148. Über die Sonderstellung des Klosters Monticelli bei Florenz vgl. L. Zarncke S. 32f. und 45ff. m = deren Seelsorge und Visitation zu übertragen. Diese Bemühun- gen stießen aber bei Franziskus auf unbedingte Ablehnung. In den Verhandlungen mit dem Kardinal vor seiner Orientreise erklärte Franz: wie er und seine Brüder außer S. Damian keine Frauenklöster gegründet haben, so wollten sie auch nirgends die Seelsorgepflichten übernehmen; und er bestand darauf, daß keinerlei Beziehungen zwischen den von Hugolin regulierten Frauenklöstern und den Minoriten bestehen sollten, daß jene religiösen Frauen auch nicht durch ihren Namen eine Zugehörig- keit zu den Minoriten beanspruchen dürften: weder die Bezeich- nung Minorissae noch die Bezeichnung als „Schwestern — als Seitenstück zu den „Brüdern‘' — sollte ihnen erlaubt sein.'* Der 149. Wadding Annal. 1219 n. 44 (I, 1731, 8.311), s. o. S. 255 Anm. 132 und anschließend: sed guod ultra modum angebat, illud erat, quod suum eis nomen communicaverint et Minorissas vocari decreverint. Quare in- stanter egit cum illustrissimo et prudentissimo viro (Hugolin), ut quantum fieri liceret elongaretur a fratribus cura et familiaritas sanctimonialium, si consultum volebat illorum fame et projectui, et quod illo solo nomine pauperum dominarum aut inclusarum audirent, donec tempus aliud con- venientius et aptius imprimeret. Ad plures rationes, quas vir sanctus pio et cordato ordinis protectori subjunzit, ille rem tractandam cum pontifice in se assumpsit et Clare sociarumque sedulam curam ac piam subven- tionem viro dei ex corde commendavit. — Thomas von Pavia, Oliger AFH VS. 419 (anschließend an das Zitat oben S. 255 Anm. 132): Et cum intellexisset, quod mulieres congregate in diclis monasierüs dicebantur sorores, vehementer turbatus fertur dizisse: „Dominus a nobis uxores ab- stulit, dyabolus autem nobis procurat sorores“. Dominus Ugolinus... ipsas sorores magna affectione fovebat; et cum quadam die b. Francisco, volenti ab eo recedere, eas recommendaret: „frater, inquit, recommendo tibi dominas illas“; tunc b. Franciscus hilari vultu respondit: „Sancte pater, de cetero non sorores nominentur minores, sed domine, sicut nunc recommendando eas dizistis. Et eztunc dicte sunt domine, non sorores. Bald darauf starb fr. Ambrosius, der Visitator der Frauen- klöster; jenes Gespräch fand also vor Franz’ Orientreise statt. L. Zarnckes ($.36,74) Zweifel an der Zuverlässigkeit dieser Berichte scheinen mir ebenso unbegründet wie Oligers Behauptung (AFH V S.201f.): 1218/19 habe Hugolin noch gar nicht die Absicht haben können, die Franziskaner mit der Seelsorge in den Frauenklöstern zu betrauen, weil sie damals noch keine festen Wohnsitze hatten. Auf jeden Fall konnte der Kardinal versuchen, dasselbe Verhältnis zwischen Minoriten und Frauenklöstern herzustellen, wie es in S. Damian bereits bestand. Daß die Seßhaftigkeit der Franziskaner dabei wenn nicht vorausgesetzt, so doch gefördert wurde, mag für Hugolin’ ein Grund mehr zur Förderung, für Franz zur Ablehnung dieser Verhältnisse gewesen sein. u — Kardinal hat sich zunächst damit abgefunden, daß Franz von Beziehungen seines Ordens zu den Frauenklöstern nichts wissen wollte, hat die Franziskaner nicht zur Seelsorge in den Frauen- klöstern herangezogen, hat diesen einen zisterziensischen Visi- tator gegeben und hat sie auch, dem Wunsch des Heiligen ent- sprechend, als pauperes dominae, nicht als sorores minores be- zeichnen lassen. Als aber dann Franziskus fern von Italien war, starb der Visitator der Frauenklöster, der Zisterzienser Ambrosius, und diese Gelegenheit benutzte Hugolin zu einem Versuch, die Frage ohne Wissen und Zustimmung des Ordenstiiters neu zu regeln. Der Bruder Philippus Longus, dem vielleicht Franziskus die Sorge für S. Damian in seiner Abwesenheit übertragen hatte, spielte dabei dem Kardinal geradezu in die Hand. Er ließ sich die Fürsorge für jene Frauenklöster übertragen, trat also offen- bar die Nachfolge des Zisterziensers Ambrosius an, ließ sich auch die päpstliche Vollmacht erteilen, Franziskanerbrüder zum Dienst in den Frauenklöstern heranzuziehen und gegen die Be- drücker der Frauen die Exkommunikation zu verhängen.' Als Franziskus von diesen Vorgängen erfuhr, war er darüber ge- radezu empört. Das sei der Ruin des Ordens, meinte er, und zu einem Bruder sagte er: Bisher saß uns die Fistel im Fleisch und es war noch Hoffnung auf Heilung; nun aber ist sie in die Knochen gedrungen und wird unheilbar sein.” Er kehrte nach 150. Thomas von Pavia, s. Oliger AFH V S.419: Als Ambrosius ge- storben war, tZunc /r. Philippus Longus procuravit sibi committi mona- steria supradicta, auctoritatem habere a summo pontifice, ut in eorum obsequia secundum arbitrium suum fratres deputaret minores. Jorda- nus, Chron. ce. 13 ed. BoehmerS. 12: fr. Philippus, qui erat zelator dominarum pauperum, contra voluntatem b. Francisci, qui omnia per humilitatem maluit vincere quam per judicii potestatem, impetravit litte- ras a sede apostolica, quibus dominas defenderet et turbatores earum ezcommunicaret. — Vgl. L. Zarncke S. 72ff., die aber durch schlecht begründeten Zweifel an der Zuverlässigkeit des Thomas von Pavia (der sich auf fr. Stephan, einen Genossen des Franziskus, beruft), das Verständ- nis der Zusammenhänge erschwert. Daß das Auftreten eines fr. Ambrosius in einer Bulle von 1228 nicht gegen die Behauptung spricht, der Visitator Ambrosius sei 1219 bereits gestorben (Zarncke S.73), hat schon Oli- ger AFH V S.420 Anm.1 gezeigt. 151. Thomas von Pavia, Provinzialminister in Toscana (+ 1278/79), a Italien zurück, verhandelte mit der Kurie und erwirkte, daß die während seiner Abwesenheit gefallenen Entscheidungen rück- gängig gemacht wurden.””” Wie aber statt dessen die Frage der Seelsorge und Visitation in den Frauenklöstern in den nächsten Jahren geregelt wurde, ist aus den Quellen nur ungenügend zu ersehen.” In den Entwurf zur neuen Ordensregel vom Jahre 1221 fügte Franziskus die Bestimmung ein: kein Bruder darf die Gehorsamsgelübde irgendeiner Frau entgegennehmen; mehr als „geistlichen Zuspruch” dürfen die Franziskaner frommen Frauen nicht bieten; ihre Bekehrung zur Buße mögen die Frauen dann vollziehen wo immer sie wollen.'”‘ Damit sollte jede organisa- macht diese Mitteilungen auf Grund des Zeugnisses des fr. Stephanus, den er als simplex et tanta puritate preditus, ut vic eum crederes posse men- tiri beschreibt: Quo audito b. Franciscus turbatus est valde, maledixitque Uli (fr. Philippo) sicut sui ordinis destructori; dicebatque dictus fr. Ste- phanus, quod hoc verbum ab ore b. Francisci audivit: Huc usque fistula fuit in carne spesque curationis erat; ex nunc autem in ossibus radicata incurabilis prorsus erit. 152. Jordanus, Chron. c. 14 ed. Boehmer S.14f. Cum ergo b. Franciscus domino Hostiensi pape suo (d. h. dem Ordensprotektor Hugo- lin) causas turbationis sue retulisset, litteras fratris Philippi in continenti revocavit. Von der Absetzung fr. Philipps als Visitator und der Aufhebung seines Rechts, Franziskaner in den Frauenklöstern heranzuziehen, sagt Jordanus nichts, da er auch vorher diese Neuerungen gar nicht er- wähnt hat. Aber sie ergibt sich aus der Regel von 1221, die weder L. Zarnceke noch L. Oliger heranziehen, von selbst. 153. Vgl. unten Anm. 157. 154. Regula non bullata c. 12 bei H. Boehmer, Analekten S.9: Et nulla penitus mulier ab aliquo fratre recipiatur ad obedientiam, sed dato sibi consilio spirituali ubi voluerit agat penitentiam. — K. Müller, An- fänge des Minoritenordens S.17f. wollte diesen Satz als einen stehenge- bliebenen Rest der ältesten Regel von 1210 auffassen, weil diese Bestim- mung keinen Sinn mehr gehabt hätte, nachdem seit 1212 der „zweite Orden“ bestand. W. Goetz, Hist. Vierteljahrschr. VI S. 27 vermutete dagegen, es handle sich um ein Verbot der Aufnahme von Mitgliedern in den Klarissenorden durch jeden beliebigen Bruder und sieht darin ein „Zeichen der fortschreitenden Organisation der beiden ursprünglich enger verbundenen Ordenszweige“. Beide Auffassungen scheinen mir unhaltbar, weil es noch 1221 keinen „Klarissenorden“ in dem hier voraus- gesetzten Sinne gab. Aus der Situation dieser Zeit ist die Bestimmung nur verständlich als Abwehr jeder organisatorischen Verbindung zwischen Franziskanern und Frauenklöstern (außer S. Damian). Eu torische Verbindung der Minoriten mit religiösen Frauengemein- schaften unterbunden sein. Die Brüder dürfen natürlich als Bußprediger auf Frauen einwirken, sie dürfen aber nicht den Anschluß von Frauen an den Orden betreiben oder zulassen. Diese von Franziskus entworfene Regel ist aber nicht rechts- kräftig geworden und in der Regel von 1223, die die päpstliche Bestätigung erhielt, fehlt jener Satz, und statt dessen ist eine Bestimmung eingefügt, daß nur solche Brüder die Frauenklöster betreten dürfen, die dazu eine besondere Erlaubnis des päpst- lichen Stuhls haben." Der Orden hatte sich aber dazu bereit finden lassen müssen, daß wenigstens in einzelnen Fällen nach besonderer Vereinbarung mit der Kurie manche Brüder in Frauenklöstern Zutritt haben und tätig sein dürften. Tatsäch- lich wissen wir wenigstens von einem Fall aus dem Jahre 1223, daß einem Frauenkloster franziskanische Visitatoren und Kor- rektoren gegeben wurden.‘ Die Verhandlungen über diese 155. Regula bullata e.11 bei H.Boehmer, Analekten S23f. Ne ingre- diantur monasteria monacharum praeter ilos, quibus a sede apostolica concessa est licentia specialis. — Die Tragweite dieser Bestimmung war schon bald nach Erlaß der Regel umstritten. In der Bulle „Quo elongati“ vom 28, Sept. 1230 (Sbaralea I S.70) sagt Gregor IX: Quamquam hoc (das Verbot, Nonnenklöster zu betreten) de monasterüs pauperum monia- lium inclusarum fratres hactenus intelligendum esse crediderint, cum earum Sedes apostolica curam habeat specialem, et intellectus huiusmodi per constitutionem quamdam tempore date regule, vivente adhuc b. Francisco, per provinciales ministros fuisse credatur in generali capitulo declaratus, certificari nihilominus postulastis, an hoc de omnibus genera- liter, cum Regula nullum ezcipiat, an de solis monasterüs monialium pre- dictarum intelligi debeat: nos utique generaliter esse prohibitum de qua- rumlibet cenobiüs monialium respondemus; et nomine monasteriü volumus claustrum, domos et officinas interiores intelligi, pro eo quod ad alia loca, ubi etiam homines seculares conveniunt, possunt fratres illi causa pre- dicationis vel eleemosyne petende accedere, quibus id a superioribus suis pro sua fuerit maturitate vel idoneitate concessum; exceptis semper predictarum monasteriorum inclusarum locis, ad que nulli datur acce- dendi facultas sine licentia sedis apostolice speciali. — Über den erwähn- ten Kapitelsbeschluß ist sonst nichts bekannt. Vgl. u. S. 280 Anm, 180. 156. Bischof Acto von Camerino für das Frauenkloster bei Sanseverino, 15. Juni 1223 (Oliger AFH V S. 200): Concedo ipsis mulieribus licen- tiam habendi visitatores et correctores de fratribus minoribus, illos vide- licet, quos frater Franciscus vel eius successores vel capitulum ipsorum fra- — 266 — Frage zwischen der Kurie, dem Ordensprotektor Hugolin und Franziskus scheinen demnach keine eindeutige Regelung er- geben zu haben. Es wurde kein franziskanischer Visitator für alle Frauenklöster eingesetzt,"”” die Beziehung zwischen Mino- riten und Frauenklöstern wurde nicht generell geregelt, aber die Kurie konnte in besonderen Fällen Franziskaner zu Visitations- und wahrscheinlich auch Seelsorge-Pflichten in den Frauen- klöstern heranziehen. Daß dieser unentschiedene Zustand nur ein Kompromiß war zwischen dem Widerstreben des Franziskus und den Absichten der Kurie, zeigte sich unmittelbar nach dem Tode des Heiligen. Durch eine Bulle vom 14. Dezember 1227 übertrug Gregor IX. trum constituerint et ordinaverint ad corrigendum ei visitandum dictas mulieres. Falls die Franziskaner die Visitation nicht ausüben oder die Frauen den Franziskanern die Visitation verwehren, behält sich der Bi- schof die Visitationsrechte vor. In einer Urkunde vom 4. Dez. 1224 wurde diese Urkunde inseriert und bestätigt. Die Beteiligung von Franzis- kanern bei der Gründung anderer Frauenklöster, die Oliger (AFH V S. 199) glaubte nachweisen zu können, um zu zeigen, daß Franz und der Orden „non adeo contrarii erant curae et visitationi etiam praeter S. Damianum“, stellt L. Zarncke S.70, mit Recht in Frage; erstens ist nicht sicher, daß die als Zeugen genannten fratres Franzis- kaner sind, zweitens besagt ihre Zeugenschaft nichts für eine organisa- torische oder seelsorgerliche Beziehung zu den Frauenklöstern. In ande- ren Exemtions-Privilegien für Frauenklöster ist nirgends gesagt, wem die Seelsorge- und Visitationspflichten übertragen werden, vgl. AFH XVII, 1924, S. 345. 1224 wurden die pauperes sorores ordinis de Spolito in Mai- land in den Besitz der Kirche S. Apollinaris, die ihnen der Erzbischof auf Bitten Kard. Ugolinos schenkte, durch den Propst und Presbyter Wilhelm scti. Nazarü in Brovio und durch frater Leo de ordine fr. Min. eingeführt (Saxius S. 673). Das hatte der Erzbischof verfügt. In welcher Beziehung aber der Franziskaner zu den Schwestern stand, ist daraus nicht zu ersehen. 157. In einer Urkunde des Erzbischofs von Mailand vom 2. Nov. 1224 für das Mailänder $. Apollinaris-Kloster (bei Saxius, Ser. epise. II S. 672; vgl. Oliger AFH V S.420 und XV 8.75) erscheint unter den Zeu- gen ein Brunetus filius quondam Oldradi de Carmaniago, qui de mandato domini pape est provisor et rector omnium monialium ordinis de Spolito — offenbar kein Franziskaner, da er nicht frater genannt wird. Wahr- scheinlich war er in der Betreuung der Frauenklöster an Bruder Philipps Stelle getreten. Er u dem General des Franziskanerordens wieder die Sorge für die pauperes moniales reclusae,'* und schon vorher war wieder ein franziskanischer Visitator für alle Frauenklöster angestellt wor- den, zunächst der Bruder Pacificus,'® dann aber, als diesem das Amt zu schwer wurde, wiederum jener Bruder Philipp, der schon 1219/20 dieses Amt angenommen und dadurch die Ent- rüstung des heiligen Franz erregt hatte.'” Es hätte nicht sinn- fälliger in Erscheinung treten können, wie vollständig die Kurie erreicht hatte, was Franziskus mit allen Kräften hatte verhin- dern wollen und, so lange er lebte, aufzuhalten vermocht hatte. 22 Frauenklöster Mittelitaliens’“ wurden damit der Seelsorge und der Visitation der Franziskaner unterstellt, ähnlich wie bis- her nur das S. Damians-Kloster, mit dem sie schon wenigstens formell die Regel gemeinsam hatten und mit dem sie nun künftig auch unter einen gemeinsamen Namen zusammengefaßt wurden als Ordo s. Damiani.'”? An diesem Verhältnis zwischen dem „Orden von S. Damian” und den Franziskanern, die die Cura der Frauenklöster über- nommen hatten und die Visitation bei ihnen besorgten, hat sich 158. Sbaralea I S.36: Tibi et successoribus tuis curam committimus monialium predictarum in virtute obedientie districte precipiendo man- dantes, quatenus de ilis tamquam de ovibus custodie vestre commissis curam et sollicitudinem habeatis. 159. Spätestens seit dem 28. Juli 1227, s. die Bullen Gregors IX. an die Frauenklöster in Mailand (AFH XVII S. 349), Vallegloria bei Spello (Mittarelli, Annales Camaldulensium IV, 1759, S.296), Siena (Sbara- lea I S.33f.) und L. Oliger AFH VS. 221. 160. Brief des neuen Ördensprotektors, Kard. Rainald, an die Frauen- klöster vom 18. August 1228; Oliger AFH V S. 446: Admissis precibus devotissimi deo et vobis fratris Pacifici, cui honus jam importabile vide- batur,.. fratrem Philippum... visitatorem vobis duzimus de speciali mandato summi pontificis deputandum, .. qui pro vobis tot subiit angustias et labores. 161. Sie werden in der Adresse des eben genannten Briefs des Kar- dinals Rainald aufgezählt; an der Spitze steht S. Damian in Assisi. 162. In dem Brief des Kard. Rainald von 1228 werden die einzeln ge- nannten pauperia monasteria nicht mit einem gemeinsamen Namen be- zeichnet, aber als einheitiiche Gruppe zusammengefaßt. Seit 1234 setzt sich in den Urkunden die Bezeichnung pauperes moniales inclusae ordinis s. Damiani durch, s. AFH XVII S. 358, 360; Sbaralea I S. 207, 209, OR vom Tod des Franziskus bis zum Tode Gregors IX. nichts ge- ändert. Worin die Verpflichtungen der Minoriten gegenüber den Frauenklöstern im Einzelnen bestanden, scheint weder vonseiten des Ordens noch vonseiten der Kurie genauer fest- gelegt worden, aber auch nie strittig geworden zu sein. Erst in der letzten Zeit Gregors IX. werden Anzeichen spürbar, daß dieses Verhältnis durch einen neuen Zudrang von Frauen zum Orden von S. Damian gestört zu werden droht. In einer Bulle vom 21. Februar 1241 befahl Gregor allen Erzbischöfen und Bi- schöfen, gegen Frauen einzuschreiten, die barfuß, mit dem Strick gegürtet, in der Tracht des Ordens von S. Damian herum- ziehen, als Discalceatae oder Chordulariae oder Minoretae be- zeichnet werden und zum Orden von S. Damian zu gehören be- haupten. Da aber die strengste Klausur die Grundbedingung der Zugehörigkeit zu diesem Orden sei, so bezeichnet Gregor das Treiben dieser Frauen als religio simulata, die den Ruf der Nonnen des Damians-Ordens gefährde und den Franziskanern zur Last falle, und er verlangt deshalb, daß sie ihre unrecht- mäßige Ordenstracht ablegen.‘ Man könnte sich über diese „Minorissen” und ihre religio simulata schwerlich ein richtiges Bild machen, wüßte man nicht aus späteren Dokumenten, daß es sich um Frauen handelte, die sich zu franziskanischen Idea- len bekennen wollten und Anschluß an den Orden von S.Da- mian suchten, denen aber dieser Anschluß auf regulärem Wege nicht möglich war, weil keine neuen Klöster des Ordens von S. Damian errichtet wurden. Tatsächlich ist keine einzige Neu- $ründung eines Frauenklosters dieses Ordens von 1228 bis 1245 bekannt, wohl aber bestand das Bedürfnis und das Bestreben danach in den Kreisen der religiösen Frauenbewegung. Bald nach Gregors Tod sind dann genau wie bei den Domi- nikanern auch im Franziskanerorden diese Fragen ins Rollen gekommen. Zunächst wurde — wir wissen nicht durch welchen Anlaß — die Frage akut, ob die Franziskaner verpflichtet seien, bei den Frauenklöstern, die ihrer Cura unterstanden, Brüder zu dauerndem Aufenthalt wohnen zu lassen, ähnlich wie es in den vier ursprünglich dem Dominikanerorden unterstellten Frauen- 163. Sbaralea IS. 290 n. 331. EN klöstern der Fall war, aber auch in einigen Klöstern des Ordens von S. Damian herkömmlich gewesen sein muß. Der Orden hat sich durch eine Bulle vom 17. Juli 1245 von Innozenz IV. ver- briefen lassen, daß er dazu nur in solchen Frauenklöstern ver- pflichtet sei, in denen dieser Zustand schon unter Gregor IX., also vor 1241 bestand, und daß er in anderen Frauenklöstern dazu nur verpflichtet werden könnte, wenn ihn päpstliche Bul- len — unter Außerkraftsetzung der vorliegenden Zusicherung — ausdrücklich von Fall zu Fall dazu nötigten.'* Diese Bulle ist anscheinend von manchen mißverstanden und mißbraucht wor- den, als berechtige sie die Franziskaner dazu, sich aller Ver- pflichtungen der Seelsorge und Visitation in denjenigen Frauen- klöstern zu entledigen, bei denen nicht schon vor 1241 Ordens- brüder residierten., Deshalb wies Innozenz IV., den Bitten der Frauenklöster entsprechend, drei Monate später durch eine neue Bulle den Orden an, bei den moniales inclusae ordinis s. Damiani ohne Einschränkung die Visitationen durchzuführen, ihnen predigen, Beichte hören, Messe lesen und die Sakramente reichen zu lassen und zu diesen Zwecken in den nötigen Fällen die Klausur der Frauenklöster zu betreten.” Neue Bestimmun- 164. Sbaralea I S.367f. n. 84 (Berger, Reg. n. 1483): Paci et tranquillitati vestre paterna volentes in posterum sollicitudine providere, auctoritate vobis presentium indulgemus, ut in monasterüs monialium inclusarum Ordinis s. Damiani, in quibus tempore fel. rec. Gregorü pape predecessoris nostri aliqui fratres vestri Ordinis deputati non fuerint, morari minime teneamini, nec ad id per litteras apostolicas impetratas seu etiam impetrandas arctari possitis, nisi littere ipse plenam fecerint de hac indulgentia mentionem; proviso, ut in monasteris, in qui- bus tunc temporis fratres deputati fuerunt, ponantur ‚secundum discre- tıonem Ministrorum Provincialium idonei et maturi qui monasteriorum ipsorum monialibus in spiritualibus dumtazat deserviant, jurisdicetioni et correctioni Ministrorum suorum sicut et ceteri nihilominus parituri.. Dat. Lyon, 17. Juli 1245. — Ich gebe die Bulle vollständig wieder, weil sie immer mißverstanden wurde, als habe Innozenz damit die Pflicht zur Cura überhaupt für die betreffenden Nonnen aufgehoben (und dann drei Monate später das Gegenteil verfügt), während es sich in Wahrheit um die Pflicht zur Residenz von Franziskanern bei Nonnenklöstern handelt. Schon Sbaralea hat das mißverstanden, ebenso Wauer, Oligeru.a. 165. Sbaralea IS. 387f. (Berger n. 1960) vom 16. Okt. 1245; ent- — 270 — gen wurden dadurch nicht getroffen, nur die Durchführung und Aufrechterhaltung der bisherigen Gewohnheiten eingeschärft. Diese Zweifel über die Residenz-Pflicht und die Cura- Pflichten der Franziskaner gegenüber den Frauenklöstern des S. Damians-Ordens fallen nun in dieselbe Zeit, als Innozenz IV. in Lyon die ersten Verfügungen über die Inkorporation von Frauenklöstern in den Dominikanerorden erließ. Ob der Fran- ziskaner-Orden nur durch diese Vorgänge im Predigerorden be- unruhigt war und der Möglichkeit vorbeugen wollte, daß auch ihm die Sorge für neue Frauenklöster aufgebürdet würde, oder ob er schon Kenntnis hatte von den Bestrebungen, die ihn ge- nau wie den Dominikaner-Orden vor vollendete Tatsachen stell- ten, wissen wir nicht. Auch die Versuche der Franziskaner, sich gegen die Übernahme weiterer Frauenklöster zu sichern, waren jedoch vergebens. Am 2. Juni 1246 hat Innozenz IV. an einem Tage 14 Frauenklöster in Italien, Frankreich und Spanien dem Franziskanerorden unterstellt, und zwar, wie wir noch sehen werden, genau in derselben Form, wie er gleichzeitig die In- korporation der deutschen Frauenklöster in den Dominikaner- orden verfügte. Aber Innozenz IV. hat es bei diesen 14 uns be- kannten Inkorporationsbullen nicht bewenden lassen. Die Fran- sprechende Mitteilungen an die Frauenklöster vom 21. Okt. 1245 Sbara- lea S. 388 (Berger n. 1961). Am 8. Nov. 1245 schickte Innozenz IV. eine gleichlautende Bulle an den Generalminister und den Provinzial der Mark Ancona für die Frauenklöster dieser Provinz, Sbaralea I 39. Ein Widerspruch zwischen dieser Bulle und der vorhergehenden vom 17. Juli, wie immer behauptet wird, besteht nicht. — Am 13. Nov. 1245 bestätigte Innozenz die von Kard. Hugolin verfaßte Regel des Ordens von S. Damian, Sbaralea I S. 394 ff. 166. S’baralea I S. 413 (Berger n. 1949f.).. Text der Bulle s. u. S.272f. Die Adressaten sind drei spanische Klöster: in Medina del Campo, Burgos und Zamora; eines in Bordeaux; die andern 10 in Italien: in Ascoli; fünf im Bistum Fermo: Offida (vgl. den Schutzbrief vom 23. Okt. 1245, Berger n. 1575), Ripatransone, Castanea (?), S. Francesco (Ber- ger: S. Thomas) de Monte Sancto (?) und S. Maria de Virginibus in Fermo; S. Maria de Campo Martio in Verona; S. Maria Magdalena in Alessandria (Schutzbrief vom 6. Okt. 1245, Berger n. 1540); S. Maria Magdalena vor Norcia (Schutzbrief vom 15. Juni 1245, Berger n. 1329); S. Michael de Auximano. — 271 — ziskaner haben sich in den folgenden Jahren mehrfach beklagt, daß der Papst oder der Ordensprotektor, Kardinal Rainald, ent- sprechende Bullen auch an Frauen gegeben habe, die zuchtlos und undiszipliniert in der Welt herumziehen, sich sorores mino- res nennen lassen und angeben, sie wollten Klöster des Ordens von S. Damian gründen'® — also an Frauen ganz derselben Art, wie die „Minorissen”, gegen die Gregor IX. schon 1241 einge- schritten war. Solche Frauen, die noch nicht in festen Gemein- schaften lebten und vergeblich Anschluß an den Orden von S. Damian suchten, hatten sich also die Situation an der Kurie in Lyon zunutze gemacht, und Innozenz hatte ihnen dieselben oder ähnliche Bullen ausstellen lassen wie vielen bereits bestehen- den Klöstern, durch die sie der franziskanischen Seelsorge unterstellt wurden. Ehe wir nun diese Ereignisse weiter verfolgen und nach der Rückwirkung dieser kurialen Maßnahmen bei den Orden fragen, müssen wir die Verhältnisse genauer betrachten, wie sie durch die päpstlichen Verfügungen geschaffen worden waren. 167. Am 20. April 1250 schreibt Innozenz IV. an Erzbischöfe und Bi- schöfe der Lombardei, der Mark Treviso und der Romagna: Sicut nuper a viris accepimus fide dignis, quedam muliercule interius onerate pec- catis, foris tamen sanctitatis,. cuius virtutem prorsus abnegant, speciem pretendentes ... absque jugo discipline damnabiliter evangantur cir- cumeundo varias regiones,.. sub nomine ordinis s. Damiani.. se velle monasteria eiusdem ordinis construere profitentes, super ipsorum funda- tiones litteras a nobis impetrant tacita veritate; darunter leide der Ruf des Franziskanerordens; deshalb setzt der Papst diese Bullen außer Kraft: Sbaralea I S.541. Am 30. Sept. 1250 fordert Innozenz den Bischof von Salamanca zum Einschreiten gegen herumziehende Frauen auf, die se fore ordinis s. Damiani mentiuntur, über die sich die zum S. Damians-Orden gehörenden Nonnen von Salamanca beschwert hatten; der Text der Bulle ist großenteils gleichlautend wie die Bulle Gregors IX. von 1241; Sbara- lea IS. 556. Am 8. Juli 1252 (ib. S. 619; das Datum ist ungewiß, s. Lempp ZKG XIII 5.228) beantwortet Innozenz eine Eingabe der Fran- ziskaner über moniales quamplurium monasteriorum, que ordinis s. Damiani fore se asserunt, die sich von Innozenz und Kardinal Rainald Briefe verschafft haben, u? monasteriorum ipsorum sollicitudinem gerentes et curam eis correctionis et visitationis officium impendatis et ministretis ecclesiastica sacramenta; s. u. S. 305. 272 24907914 219u1a -oUd wniowum wm44 -D4| sıpıamao.d 79 sy -Dıauaßb WM.LOo4StUnW sısturw 1019 -unao.ıd 79 vmıauoab — 3 ul -u109 aynjos D.ı3saa 04d sıyalapısap sıasvumu X wnlourw wn4Dm4ıl 17019 -unno.ld 49 Sıurpıo 04 Ze -guab ‘sayuejnwe]'" —=a ıngıbl — 5 "In2undsourp “29N04S0dF — u Yuprunag 149UDS sıurpıo X NA14SDuow umimsnypu wnlormu "AU09 79 9SSYDggdD —=«x D ‘FEL U EIF 'S IT e9[eıegqg ‘uerwegq 'S U0A SU9HPIQ SAP A9ISOTYJ WOYJEISISEYUN uISUeySIzu@I] Uop aIp Any uoyng -nAOI]JOS wNnIEIs9A wnIewIue ‘usngrzungsgo wonbonbau Dpuaungo wm nas D7Ua]90 apas DaNOISodD qn mızquaßınpur 190 Siurp4o smısdı jauorgnmysuod m1.10.14u09 “iorid 99 4ogsıbou ombısdı ‘ımyuspa9uo9 wmıesodur [oA yJuns 8SS99U09 9Pas BOIoJsode qe yOozrpa.ıd ıuıpıo anb ‘sırdajlarıd soYuapnes sı ‘sıyeaougw 019499 ap “ALıany 91odurs) o1d ınb “sıuıp4o 179,p oruognay,L sımıounaoıd sılorLd 79 119sıbpuL BULIIOP 99 OLISISIHEeUL qns In ‘ysaruangoıs sSnwmwonyru IDMLOIIND WopDa syaıpn.dns snunymwwuos zuorıd 49 0.1451BDw umıuasa.ld 940MLOIIND wInI4sS9A WNLIHISeUOW 9 SoA “Iyeurppur snqroaıd 214sS9A SIUOIOAOP “saJunpuawuoa oumwop uw wmpsodo4d wm.saa wmd sou %s143499/0 sıunpıo smisdı awmogmay,L word "72 04451dow *"apwmoo ID SDPUDAalasgqo sıyLlarnp JapmaDpnn] psnuaraDy ‘“unzadwosa sıgoa anb ‘som wn4omawWpaLld Sturpio um.ımıl snqwormpisu 9p SayuejnweJ OUIWOP 940A9P eIogIT UWE} oyuom ‘snqufemsnef9 SLSe9 ur 910d100 asnjour SoA ‘sıqou we109 wnyısodosd Jıny ®ıgsaA ayaed x9 noIs „ıindı umg aq’ingunasoup orbrılins alobıpur snzaos waerombnıl 1ordo4d 1Lowu ozuonb ‘sıon.ıoa ınb -9s0..d orpnıs 19q99p rlor4uadoıd ozung ‘an osuods wmago snqıippdum sıs -U399D yumınd as amb ‘sawb.na sajuapnıd sppubiuag Sıpas 2904S0dF "wouoryoIp -3u9q WEIINOISOAE 79 WOEINTES „X M4aISDUOW InyusAuo9 70 ossıiorıd '"snq -eI]I} O9SLIYQ UL SIOAJIP IEP WINIOAIOS snAIas Ssndoosıde snıyu99ouuf ‘a -oW 39 SOA —y 11450U sıımmun] sma 1pu YayaıH) 19 09Dubraof ap amwop arsruy SWL nu Ssıygou am 045 auydw 949971p wouon -vDoyddns pp souU =; sıyog9ajp " muwos DD — 9 ** snuog9ey UNLOIDNPILT un. 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Die Neuordnung der Beziehungen zwischen Bettelorden und Frauenklöstern 1245. Die Beziehungen zwischen dem Dominikanerorden und den deutschen Frauenklöstern einerseits, dem Franziskanerorden und den Klöstern des Ordens von S. Damian andrerseits wurden durch die päpstlichen Verfügungen von 1245 und den folgenden Jahren ganz gleichartig geregelt, und die Verhandlungen zwi- schen den beiden Orden und der Kurie greifen vielfach inein- ander. Erst wenn man die Frage für beide Orden zugleich be- handelt, erschließt sich die Bedeutung der Neuordnung dieser Jahre. Die Bullen, welche die Unterstellung der deutschen Frauen- klöster unter den Dominikanerorden und der Klöster des S. Da- mians-Ordens unter den Franziskanerorden verfügen, haben ‚alle gemeinsam folgenden Inhalt:'* die Frauen werden sub magisterio et doctrina des Ordensgenerals und des betreffenden Provinzials gestellt; sie haben Anteil an allen dem Orden ver- liehenen Privilegien. Der General und der Provinzial haben die sollicitudo et cura animarum in den Frauenklöstern zu über- nehmen, persönlich oder durch geeignete Vertreter die Visita- tionspflicht zu erfüllen; die freie Wahl der Priorin oder Äbtis- ‘sin steht aber dem Kloster allein zu. Sie haben bei den Nonnen Beichte zu hören und die Sakramente zu reichen. Weil aber ‘die Ordensbrüder nicht verpflichtet sind, dauernd in den -Frauenklöstern zu residieren, so sollen die Ordensinstanzen ge- .eignete Kapläne anstellen, die in dringenden Fällen die Beichte ‘hören und die Sakramente spenden können. Die Klöster dürfen Besitz und Einkommen haben, auch wenn es die Gewohnheit ‚oder die Statuten des betreffenden Ordens bisher anders be- stimmt hatten. Das sind die Regelungen, die gleichlautend für alle Frauen- :klöster galten, die Innozenz IV. den Bettelorden unterstellte. Die Bullen für die Frauenklöster des Dominikanerordens ent- "halten noch zwei Zusätze, die in den Bullen für die Klöster des S. Damians-Ordens fehlen: erstens werden Bestimmungen der Ordens-Konstitutionen oder päpstlicher Bullen, die der Ver- 168. S. den Vergleich der Bullen S. 272. — 275 — pflichtung zur Seelsorge in Frauenklöstern entgegenstehen, außer Kraft gesetzt (bei "); zweitens werden die Ordensinstan- zen beauftragt, in den Frauenklöstern für die Einführung der Ordens-Konstitutionen zu sorgen, soweit sie für diese in Be- tracht kommen (bei ”). In den Bullen für die den Franziskanern unterstellten Frauenklöstern waren diese beiden Zusätze über- flüssig. Denn ausdrückliche Bestimmungen gegen die Über- nahme der Cura monialium waren weder vom Orden erlassen noch von der Kurie verbrieft worden; und da die betreffenden Frauenklöster künftig nach der Regel des Ordens von S. Da- mian leben sollten, brauchten bei ihnen nicht erst durch die Franziskaner besondere Konstitutionen eingeführt zu werden wie in den deutschen Frauenklöstern, die zwar im einzelnen schon vielfach nach gleichartigen Konstitutionen lebten (Kon- stitutionen von S. Sisto oder von S. Markus), aber keinen Ordensverband mit gemeinsamer Regulierung gebildet hatten.’ Nur die Bullen für die beiden zuerst dem Dominikaner- orden unterstellten Frauenklöster, Montargis und S. Agnes in Straßburg, weichen noch durch andere Merkmale von sämt- lichen anderen Bullen ab. Sie fügen am Schluß (bei *) noch eine Bestimmung an, daß zur Verwaltung von Besitz und Eigen- tum des Klosters der General und der Provinzial einige geeis- nete Männer ernennen sollen, die sie auch wenn nötig wieder absetzen und durch andere ersetzen dürfen. Während es ferner bei den übrigen den Dominikanern unterstellten Frauenklöstern heißt, sie hätten bisher diejenigen von den Institutionen des Ordens befolgt, quae vobis competunt, bleibt diese Einschrän- kung (bei "°) in den Bullen für Montargis und S. Agnes weg. Endlich heißt es nur in diesen beiden ersten Bullen (bei }), das Kloster werde auf seinen Wunsch dem Dominikanerorden „‚‚in- korporiert”, während alle anderen Frauenklöster den Domini- kanern und den Franziskanern „kommittiert" werden. 169. Daher werden auch (bei #2) die Frauenklöster der Franziskaner als ordinis s. Damiani bezeichnet, während bei den anderen keine Ordens- bezeichnung beigefügt ist; ebenso ist deshalb am Schluß der Bulle (bei v) bei den franziskanischen Klöstern von ihrem Orden, bei den dominika- nischen vom Dominikanerorden die Rede. — 26 — Diese Unterschiede der verschiedenen Bullen sind nicht zu- fällig und belanglos. Sie sind der Niederschlag einer schwan- kenden Haltung der Kurie gegenüber den Frauenklöstern, die Aufnahme in den Orden wünschten; sie erklären sich aus dem Widerstreben des Ordens gegen diese Inkorporationen; und sie sind der Ansatzpunkt für die ersten Gegenmaßnahmen der Dominikaner gegen die päpstlichen Verfügungen. Weil die ver- schiedenen Bullen — für S. Agnes und Montargis einerseits, für die übrigen deutschen Frauenklöster andrerseits — nicht ganz übereinstimmten, bat der Orden Anfang 1246 zur Klar- stellung der neuen Verhältnisse bei der Kurie um Aufklärung, welche Verpflichtungen gegenüber den Frauenklöstern ihm eigentlich durch die päpstlichen Anordnungen auferlegt seien. Er ließ zweifellos in seiner Anfrage die Kurie zugleich wissen, wie er selbst sich diese neuen Verhältnisse wünschte.!'° In- nozenz IV. beantwortete diese Anfrage in einer Bulle vom 4, April 1246 an den General und die Provinziale der Domini- kaner mit der Zusicherung, es sollten dem Orden durch die päpstliche „Kommission von Frauenklöstern in Zukunft keine anderen Verpflichtungen erwachsen als eben jene Pflichten der Visitation, Seelsorge und Organisation, die in den päpstlichen „Kommissions''-Bullen aufgezählt sind und hier wörtlich wieder- holt werden — nicht aber, so muß man sich die Bulle sinnvoll ergänzt denken, die Pflicht zur Verwaltung des Besitzes der Frauenklöster durch Ordensbrüder, die darüber hinaus in den „Inkorporations''-Bullen für Montargis und S. Agnes festgesetzt wird.’ Die Anfangsworte dieser Bulle zeigen auch, mit wel- 170. Daß die Bulle vom 4. April 1246 ad magistri et priorum ordinis instantiam ausgestellt wurde, also die Antwort auf eine Anfrage und einen Vorschlag des Ordens war, sagt eine Bulle für S. Agnes in Straßburg vom 12. Okt. 1247, Ripoll IS. 178 n. 186; s. u. Anm. 174. 171. Der Schluß der Bulle vom 4. April 1246 heißt bei RipollI 161 n. 132: Quocirca (discretioni vestre per apostolica scripta) mandamus, quatenus omnia premissa juxta constitutionis huiusmodi tenorem, cum eas vestroincorporari Ordininos velimus, curetis diligen- ter et sollicite adimplere. In der gleichlautenden Bulle für die Franzis- kaner vom 12. Juli 1246 bei Sbaralea IS. 420 n. 142: non (statt nos) velimus; aber Sbaralea bemerkt dazu, das nos der Dominikanerbulle sei richtiger. — In einer Bulle v. 12. Okt.1247 (Ripoll I S.178n.186), die den 2. Wu — chen Argumenten sich die Dominikaner gegen die vollständige Inkorporation der Frauenklöster sträubten und auf einer Be- schränkung ihrer Verpflichtungen gegenüber den Nonnen be- standen. Sie fürchteten sonst in der Erfüllung der Hauptaui- gabe ihres Ordens, in der Predigt behindert zu werden.'”? Die Franziskaner ließen sich bald danach (12. Juli 1246), kurz nachdem durch die päpstlichen Verfügungen auch ihnen eine große Anzahl neuer Frauenklöster unterstellt worden war, ganz die gleiche Zusicherung geben, daß sie infolge dieser und aller künftigen „Kommissionen von Frauenklöstern keine weiteren Verpflichtungen zu übernehmen hätten als die in jenen Kommissionsbullen festgelegten.'”® Worum es bei diesen Verhandlungen eigentlich ging, das wird erst recht klar durch den Einspruch, den Amicie von Joigny und ihr Sohn Gaucher zugunsten der Klöster Montargis und S. Agnes in Straßburg gegen diese den Dominikanern ge- Text jener Bulle vollständig wiederholt, heißt es statt dessen: cum eas vestro incorporari ordini nolimus. In einer Abschrift der Bulle vom 4. April 1246 in Ms. theol. lat. Oct. 109 der Berliner Staats-Bibl. fol. 36Y heißt es velimus, das Wort nos fehlt (das Datum heißt dort Lugd. II kl. aprilis statt 1I nonas Apr. bei Ripoll); andere Handschriften konnte ich nicht einsehen. Nach dem sachlichen Zusammenhang muß die richtige Lesart sein: nolimus oder non velimus. Ripoll und Sbaralea haben offenbar den Zusammenhang nicht verstanden und deshalb korrigiert. Es ist gemeint: Die Frauenklöster sollen eurem Orden nicht „inkorporiert“ werden, son- dern nur „kommittiert“; die aus dieser „Kommission“ erwachsenden Pflichten kann also der Orden übernehmen, ohne daß er deshalb von der Weigerung, Frauenklöster zu „inkorporieren‘, ablassen muß. 172. RipollIS.160f.n.132: Licet olim quibusdam vestrum per nostras litteras formas dissimiles continentes quedam monialium monasteria duze- rimus committenda, cupientes tamen ipsarum utilitatibus sie vestro ministerio providere, ne cursus predicationis, quam ex injuncto vobis officio diligentius erercetis, animarum curandis languoribus fructuo- sus occursu occupationum multiplicium valeat retardari, presentium auctoritate statuimus, ut dicte moniales vel alie, si quas vobis de cetero sub quacumque forma committi contigerit, apostolice sedis indulgentia concessa vel in posterum concedenda non obstante, nisi erpressam fecerit de presentibus mentionem, hoc solum a vobis commissionis nostre beneficio consequantur. 173. Sbaralea IS. 420 n. 142, wörtlich gleichlautend wie RipollI S.160f. n. 132, nur mit der abweichenden Motivierung: ne sancte contem- plationis otium occursu occupationum multiplicium valeat impediri. = gebene Zusicherung erhoben. Wenn der Orden nur die in den „Kommissions"-Bullen festgesetzten und in der Bulle vom 4, April 1246 zusammengefaßten Verpflichtungen gegenüber den Frauenklöstern übernehmen würde, so sei — erklärte Amicie von Joigny — ihr Vorhaben durchkreuzt und um seinen eigent- lichen Sinn betrogen.''* Sie glaubte also, mit der bloßen „Kom- mission” an den Dominikaner-Orden sei den von ihr betreuten Frauenklöstern nicht gedient, und bestand auf der völligen „In- korporation. Das hieß faktisch: sie hielt es nicht für genügend, wenn die Frauenklöster in spiritualibus, durch Visitation und Seelsorge von den Dominikanern betreut wurden, sondern be- anspruchte auch in temporalibus, in der Verwaltung von Besitz und Einkommen der Klöster die Fürsorge von Dominikaner- brüdern, die von Ordenswegen .dazu bestellt werden sollten. Gerade darauf wollte sich aber der Orden nicht einlassen, weil dadurch Ordensangehörige ihrer eigentlichen Aufgabe, der Pre- digt, entzogen würden, Wahrscheinlich hatte schon bald nach der Inkorporation von Montargis und S. Agnes der Orden Ein- spruch gegen weitere „Inkorporationen" dieser Art erhoben, so daß Innozenz IV. allen Frauenklöstern, die später Anschluß an den Orden suchten, nur die abgeschwächte „Kommission“, die nur die Spiritualia betraf, nicht aber die „Inkorporation”, die sich auch auf die Temporalia erstreckte, gewährte.'”” Durch die 174. Bulle Innozenz’ IV. für ‘8. Agnes in Straßburg vom 12. Okt. 1247 (Ripoll I S.178.n. 186) und gleichlautend für Montargis (ib. S. 179 n. 187) wiederholt zunächst die „Inkorporations“-Bulle (vom 7. Mai resp. 8. April 1245), dann die Bulle für die Dominikaner vom 4. April 1246, durch die inzwischen auf Ansuchen des Ordens die Beziehungen zwischen Orden und Frauenklöstern generell geregelt worden sei, und fährt dann fort: Quare dicta nobilis (Amicie) ei natus eius, attendentes, quod ex con- stitutione ipsa- intentionis sue fraudabantur effectu(s), duxerunt ad no- stram super hoc providentiam recurrendum. 'Quia: vero intentionis nostre non fuit, ut dictum monasterium et priorissa et sorores eiusdem facta eis a nobis gratia in toto vel in parte per constitutionem huiusmodi fraudaren- tur, sed potius volumus vos ad omnia, que in constitutione et concessione a nobis predictis monasterio, priorisse et sororibus factis continentur, teneri ac dictam incorporationem suum robur in perpetuum ob- tinere, deshalb beauftragte er die Dominikaner mit der Erfüllung aller in der- „Inkorporations‘“-Bulle enthaltenen Verpflichtungen. RER 175. ‚In einigen- Fällen- kommen allerdings Abweichungen von der hier — II Bulle vom 4. April 1246 mochten die Dominikaner geglaubt haben, auch die ‚„Inkorporation“ von Montargis und S. Agnes in Straßburg rückgängig machen und in eine bloße „Kommission” verwandeln zu können; aber der Einspruch der Gräfin von Joisny hielt die Ansprüche der beiden Klöster auf volle Inkor- poration aufrecht. Selbst die Frauenklöster, die schon früher zum Dominikanerorden gehört hatten, mußten fürchten, daß die Neuordnung der Beziehungen zwischen Orden und Frauen- klöstern auch auf sie Anwendung finden sollte, und haben da- gegen ihre alten Rechte geltend gemacht: Prouille ließ sich be- stätigen, daß es Anspruch auf die Rectores habe, die Dominikus zur Leitung des Klosters in spiritualibus et temporalibus einge- setzt hatte,'’* und das S. Agnes-Kloster in Bologna ließ sich am 13. Februar 1251 eine Inkorporationsbulle ausstellen.’ Noch einschneidender war die Rückwirkung der Ereignisse von 1245/46 auf die Umgestaltung des Ordens von S. Damian. Die Franziskaner hatten sich, wie wir sahen, ebens wie die Do- minikaner zusichern lassen, daß sie nur zur Seelsorge und Visi- lation und zur Anstellung von Kaplänen in den Frauenklöstern verpflichtet werden konnten.'”® Sie hatten sich außerdem schon vorher von der Verpflichtung entbinden lassen, Brüder zu dauerndem Aufenthalt in Frauenklöstern zu bestellen, die entwickelten Terminologie vor. Die Bulle für das Kloster Altenhohenau am Inn vom 21. April 1246 (Mon. Boica XVII S. 10ff., n. 11/2; bei Ripoil I S.161 n. 134 nur Regest) stimmt im Text völlig mit den „Kommissions“- Bullen anderer Frauenklöster überein, hat aber am Schluß denselben Satz wie die „Inkorporations“-Bullen über die Güterverwaltung. — Anderer- seits ist den Nonnen von S.Dominikus in Imola durch den Bischof von S.Sabina am 28. März 1252 eine Bulle ausgestellt und am 11. Mai 1252 von Innozenz IV. bestätigt worden (Ripoll I S.206 n. 252 und VII S.27 n. 367), die inhaltlich mit anderen „Kommissions“-Bullen übereinstimmt, auch nichts über die Güterverwaltung sagt, aber statt committere die Worte incorporare wel unire braucht; ebenso wahrscheinlich die nicht er- haltene Bulle für S.Maria de Nazareth bei Pavia, vgl. die Bulle vom 26. Febr. 1253, Ripoll IS. 226 n. 292; s. u. S. 287f. Anm. 197. 176. Ripoll I S.183 n. 200; Guiraud, Cartulaire I n. 10; vom 18. Aug. 1248. Trotzdem ist am 27. April 1249 eine „Kommissions“-Bulle für Prouille ausgestellt worden, s. Guiraud I S.9 n. 11. 177. Ripoll VII S.24f. n. 364. 178. 12. Juli 1246, Sbaralea I S.420 n.142; 8. 0. S. 277, rag. neuerdings dem Orden unterstellt würden.!"” Mit der von Kar- dinal Hugolin verfaßten Regel des Ordens von S. Damian waren diese Bestimmungen ohne Widerspruch vereinbar, denn darin war über das Verhältnis der Frauenklöster zum Franziskaner- erden gar nichts gesagt. Wohl aber glaubten einzelne Frauen- klöster, vor allem S. Damian selbst, sich durch das Herkommen den Anspruch erworben zu haben, daß Minoriten ständig bei ihnen residierten,'°° und soweit dieses „Gewohnheitsrecht” schon unter Gregor IX. bestanden hatte, hatte es Innozenz IV, durch die Bulle von 1245 anerkannt.’ Infolgedessen waren die Be- ziehungen der Franziskaner zu den Frauen des Ordens von S. Damian nicht in allen Klöstern gleichmäßig. Ganz ähnlich lagen die Dinge in der Frage des Kloster- besitzes. Alle Inkorporations- und Kommissions-Bullen der Jahre 1245/46 und später erklären ausdrücklich, daß die Frauenklöster Besitz und Einkommen haben sollen, und setzen entgegenstehende Bestimmungen außer Kraft. Die Regel des Ordens von S. Damian ließ auch diese Frage offen, aber Gre- 179. 17. Juli 1245, Sbaralea IS. 367f. n. 84; s. o. S. 269. 180. Als Gregor IX. durch die Erklärung der Franziskaner-Regel in der Bulle „Quo elongati“ vom 28. Sept. 1230 (Sbaralea I S.68 n. 56) die Beziehung der Minoriten zu den Frauenklöstern des S. Damians-Ordens dahin regelte, daß die Brüder nur mit besonderer päpstlicher Erlaubnis und nur die äußere Klausur betreten dürften (s. o. Anm. 155), da hat Klara, ähnlich wie später Amicie von Joigny, heftig protestiert; s. Vita c. 37 (8. 762): Cum semel papa Gregorius prohibuisset, ne aliquis frater ad monasteria dominarum sine sua licentia pergeret, dolens pia mater cibum sacre doctrine rarius habituras sorores, cum gemitu dizit: Omnes nobis auferat de cetero fratres, postquam vitalis nutrimenti nobis abstulit prebi- tores. Et statim omnes fratres ad ministrum remisit, nolens habere eleemosynarios, qui panem corporalem acquirerent, postquam panis spüri- tualis eleemosynarios non haberet. Quod cum audiret papa Gregorius, statim prohibitum illud in generalis Ministri manibus relazavit. — Wir kennen diese Ereignisse nicht aus Urkunden, sondern nur aus der Legende, wissen also über die Art der Zugeständnisse an Klara nicht näher Be- scheid. Wahrscheinlich wurde dem Kloster S.Damian damals die dauernde Residenz von Minoriten zugebilligt. Das scheint auch die Meinung von L. Oliger, AFH V S.422f., der auch bei einigen anderen Klöstern des Ordens von S.Damian in den folgenden Jahren dauernd residierende Franziskaner nachweist. 181. S. o. Anm. 164, — 281 — sor IX. hatte sich bemüht, die Frauenklöster zur Annahme von Eigentum zu veranlassen. Auch dabei waren aber einige Klö- ster des Ordens und vor allem S. Damian selbst den Wünschen Gregors nicht gefolgt, sondern hatten ihr „Recht auf Eigentums- losigkeit"' durchgesetzt,'* und daher bestand auch in dieser Frage keine Einheitlichkeit in den Frauenklöstern des S. Da- mians-Ordens. Der durch Innozenz IV, verfügte Anschluß zahlreicher neuer Frauenklöster an den Orden im Jahre 1246 gab nun den Anstoß zu einer Neuregelung, durch die die Verhältnisse eindeutig und einheitlich für alle Klöster geordnet werden sollten, und zwar so, wie es die „Kommissions''-Bullen von 1245/46 und die Bulle vom 12. Juli 1246 über die Beziehungen der Minoriten zu den Frauenklöstern festgesetzt hatten. Am 6. August 1247 hat In- nozenz eine neue Regel für die moniales inclusae ordinis s. Da- miani erlassen,'°* die gleichmäßige Verhältnisse in allen zu dem Orden gehörenden Frauenklöstern herstellen sollte.” Die Regel Hugolins, die als Grundlage beibehalten wurde, ist in der neuen Regel erstens in einigen Punkten verändert worden, in denen schon Gregor IX. im Laufe der Zeit Milderungen und 182. Vita s. Clarae c. 14 (8.758): Papa Gregorius.. paterno affectu sanctam istam arctius diligebai. Cui cum suaderet, ut propter eventus temporum et pericula seculorum aliquas possessiones assentiret habere, quas et ipse liberaliter ofjerebat, fortissimo animo restitit et nullatenus acquievit. Ad quam respondente pontifice: Si votum formidas, nos te a voto absolvimus, „Sancte pater, ait, nequaguam a Christi sequela in perpe- tuum absolvi desidero“. Statt Gregors Wünschen nachzugeben, ließ sich Clara am 17. Sept. 1228 das Privilegium paupertatis erneuern. — Über andere Klöster, die den Eigentumsverzicht aufrecht erhielten. vgl. Oli- ger AFH VS. 45f. 183. Sbaralea I S.476ff. n. 227; C. Eubel, Epitome 8.241 ff. n. 15. 184. In einer Bulle vom 23. August 1247 an die Frauenklöster des Ordens von S. Damian (Sbaralea IS.488 n. 236), die die Annahme und Durchführung der neuen Regel befahl, alle über die neue Regel hinaus- gehenden Verpflichtungen für hinfällig erklärte und entsprechende Vor- schriften, Gelübde oder päpstliche Verordnungen aufhob, werden als Mo- tive für die Neufassung der Regel genannt: erstens die unerfüllbaren Här- ten der alten Regel, zweitens die infolge vielfacher, aber nicht einheit- licher Dispense eingetretene Verschiedenartigkeit der Lebensweise in den einzelnen Klöstern. 202 Änderungen eingeführt hatte (Noviziats-Jahr, Fasten); zweitens wurde sie durch Bestimmungen über jene beiden Fragen er- $änzt, die in der Hugolin-Regel offen geblieben waren, prak- tisch in den Klöstern des Ordens nicht einheitlich gehandhabt wurden, durch die „Kommissions"-Bullen von 1246 aber grund- sätzlich neu geordnet worden waren: die Beziehung zwischen den Frauenklöstern und den Franziskanern, und die Annahme von Klosterbesitz. Alle Klöster des Ordens von S. Damian sollen künftig der Visitation und Seelsorge der Franziskaner unterstehen, die aber nicht zu dauerndem Aufenthalt bei den Frauenklöstern verpflichtet sind, sondern geeignete Kapläne zur Ausübung der Seelsorge in dringenden Fällen anstellen sollen, Alle Klöster sollen ferner Besitz und Einkommen annehmen, ungeachtet früherer widersprechender Bestimmungen. In: die- sen beiden Punkten stimmt die neue Regel völlig mit den Bullen von 1246 überein. Sie fügt noch eine Anordnung hinzu, die durch diese neuen Verhältnisse erforderlich wurde: zur Verwal- tung des Klosterbesitzes sollen die Franziskaner in jedem Frauenkloster einen Prokurator anstellen und dessen Tätigkeit durch die Visitatoren überwachen lassen;' diesem Beamten fällt also die Fürsorge in temporalibus zu. Über die „Kommis- sions“-Bullen von 1246 hinausgehend werden die Beziehungen zwischen dem Damians- und dem Minoriten-Orden noch durch drei Bestimmungen enger gestaltet: die von den Frauenklöstern gewählte Äbtissin muß durch den General und den Provinzial der Franziskaner bestätigt werden; die Gründung neuer Frauen- klöster muß durch ein Generalkapitel der Franziskaner bewilligt werden; und die Frauenklöster haben das franziskanische Bre- vier zu befolgen. Dieser Versuch, eine einheitliche Regelung in allen dem Franziskanerorden unterstellten Klöstern des Ordens von S. Da- mian durchzuführen, scheiterte jedoch daran, daß die neue Regel nicht von allen Frauenklöstern angenommen wurde. Nur einige erst nach 1250 dem Orden unterstellte deutsche Frauen- klöster haben sich nachweislich auf die neue Regel verpflich- 185. In manchen Klöstern, bei denen keine Franziskaner residierten, sind schon vor 1247 Prokuratoren nachweisbar, s. Oliger AFH V 8.425. Eu a tet.” Aber von keinem einzigen Kloster in Italien, Frankreich und Spanien wissen wir, daß es die neue Regel annahm; viele ließen sich vielmehr ausdrücklich bestätigen, daß sie weiterhin nur die alte, von Hugolin verfaßte Regel befolgen durften.‘ Der Widerstand gegen die neue Regel war so stark, daß Innozenz IV. schon am 6, Juni 1250 dem Kardinal-Protektor Rainald erklären mußte, die Klöster des Ordens von S. Damian sollten nicht zur Annahme der neuen Regel gezwungen werden.'‘* Ausschlaggebend aber war dabei das Verhalten des Klo- sters S. Damian und der hl. Klara. Die Annahme der neuen Regel hätte auch dieses Kloster zur Annahme von Eigentum ge- zwungen und seine Beziehungen zu den Franziskanern ge- lockert. Diese Gefahr hat noch einmal die franziskanische In- brunst Klara Sciffis geweckt und zur Entscheidung aufgerufen. Sie hat die neue Regel Innozenz’ nicht nur abgelehnt, sondern sie nahm die Gelegenheit wahr, um unter Verzicht auf alle organisatorischen Kompromisse für ihr Kloster eine eigene Regel nach ihrem Sinn zu schaffen, die keine Beziehung mehr zu der Regel Hugolins hatte, auf die auch das S. Damians-Kloster bis- her formell verpflichtet gewesen war, sondern sich aufs engste an die Franziskaner-Regel anschloß. Ihr wesentlichstes Merk- mal im Unterschied von der abgelehnten Regel Innozenz’ IV. aber war das Bekenntnis zum strengen Armutsprinzip nach den Anweisungen des hl. Franz und der Anspruch auf die Seelsorge der Franziskaner in dem Umfange, wie es Franziskus den 186. Pfullingen am 21. Okt. 1252, s. C. Eubel, Epitome S.61; Wirtemb. Urk.-B. TV S.308 n. 1239. — Straßburg am 18. Januar 1255, Sbaralea II S.8; Urk.-B. Straßburg I S.291 n. 384. 187. Oliger AFH V S.426f. 188. Eubel, Epitome 8.249 n. XXI. — Die im „Firmamentum trium ordinum“ (Paris 1512) erwähnte Bulle Innozenz’ IV. vom 18. März 1253. „Recto assumpto tramite“ (vgl. Sbaralea I S.770 n.38), die dem Gene- ral und allen Provinzialen befiehlt, quod nullo modo cogerent nec cogere possent abbatissas et moniales ordinis s. Clare seu s. Damiani ad obser- vantiam dicte sue nove regule ab ipso noviter institute, sed potius voluit et mandavit anliquam primam ... regulam ... perpetuis temporibus obser- vandam, ist nicht im Wortlaut bekannt, besagt aber offenbar dasselbe wie die Bulle vom 6. Juni 1250. Oliger AFH V 8.433 will sie für unecht erklären; aber sie ist wahrscheinlich im „Firmamentum“ nur falsch datiert. ar Schwestern von S. Damian zugesichert hatte: außer einem Kap- lan sollen ein Kleriker und zwei Laienbrüder zu ständigem Auf- enthalt in S. Damian verpflichtet sein." Über die Verhandlungen, die zur päpstlichen Anerkennung dieser von Klara entworfenen Regel führten, ist nichts bekannt. Am 16. September 1252 hat sie der Kardinal-Protektor Rainald für das Kloster S. Damian bestätigt, und als kurz darauf In- nozenz IV. nach mehr als siebenjähriger Abwesenheit wieder nach Italien kam, hat er der hl. Klara an ihrem letzten Kranken- lager sowohl das Privilegium paupertatis, das ihr immer den Rückhalt gegeben hatte gegen alle Versuche zur Umgestaltung ihres Klosters, aufs neue durch eine Bulle bestätigt,'” als auch bald darauf ihre Regel konfirmiert — zwei Tage vor dem Tode der Heiligen, am 9. August 1253. Der Geist der franziskanischen Armut der Frühzeit hat sich in diesem letzten Werk der hl. Klara noch einmal gegen die Ordenspolitik der Kurie und gegen die organisatorischen Ziele, die seither den Orden beherrschten, durchgesetzt. Die Vereinheitlichung der Ordensform in den Frauenklöstern, die Gregor IX. in seiner Kardinalszeit vorsich- tig angebahnt hatte, war gescheitert, als sie Innozenz IV, allzu schematisch durchführen wollte, noch ehe die religiöse Kraft der franziskanischen Ideen ganz erloschen war. 5. Die Frage der Cura monialium im Dominikanerorden. Dringender noch als für die Franziskaner ergab sich für den Predigerorden aus den Inkorporationen und Kommissionen neuer Frauenklöster durch Innozenz IV. die Notwendigkeit zu einer grundsätzlichen Neuordnung. Die ihm unterstellten Klö- ster bildeten noch keinen gemeinsamen Ordensverband und be- 189. Regel c. 12 (Seraphicae legislationis textus S.74): Capellanum etiam cum uno socio clerico bone fame, discrelionis provide, et duos fra- tres laicos sancte conversationis et honestatis amatores in subsidium paupertatis nostre, sicul misericorditer a predicto ordine fratrum minorum semper habuimus, intuitu pietatis dei et beati Francisci ab eodem ordine de gratia postulamus. 190. Sbaralea I S.671ff.; Seraphicae legislationis textus S.49ff.; vgl. P. Sabatier, Miscell. Francesc. XXIV S.19 ff. — 285 — folgten keine gemeinsame Regel wie die Klöster des Ordens von S. Damian. Sie waren zwar alle auf die Regel Ausustins ver- pflichtet; aber die bildete immer nur die Grundlage einer Kloster-Regulierung und bedurfte genauerer „Ausführungsbe- stimmungen" durch besondere Konstitutionen. In vielen den Dominikanern unterstellten Frauenklöstern wurden zwar die Konstitutionen des Klosters S. Sisto in Rom befolgt, in anderen die von S. Markus in Straßburg. Aber jene Konstitutionen von S. Sisto ließen sich nicht einfach auf alle Klöster übertragen. Denn sie bestimmten, daß zu jedem Frauenkloster ein Konvent von mindestens sechs Dominikanern gehören sollte, die ständig dort wohnten. Gerade diese Verpflichtung wollte aber der Orden gegenüber den neuen Klöstern, die ihm Innozenz unter- stellt hatte, nicht auf sich nehmen, und er konnte daher die Kon- stitutionen von S. Sisto weder bestehen lassen, wo sie schon be- folgt wurden, noch in anderen Klöstern einführen. Die päpst- lichen „Kommissions '-Bullen hatten deshalb dem Orden den Auftrag erteilt, die Konstitutionen des Dominikanerordens in den Frauenklöstern einzuführen, „soweit sie dafür in Betracht kamen"! Der Orden ist aber diesem Auftrag zunächst nicht nachge- kommen. Wie er sich in den ersten Jahren zu den ihm unter- stellten Frauenklöstern verhielt und wieweit er die päpstlichen Verfügungen zu erfüllen suchte, läßt sich nicht feststellen.‘ Jedenfalls stellten sich bei dem Versuch der Durchführung außerordentliche Schwierigkeiten heraus. Nach einigen Jahren setzte deshalb eine Aktion ein mit dem Ziel, den Orden von den ihm übertragenen Aufgaben wieder ganz zu befreien. Eine Ordenschronik erzählt, unter dem Generalat des Johannes Teutonicus (1241/52) seien an der Kurie große Anstrengungen gemacht worden, um den Orden von der Fürsorge für die 191. S. o. S. 272f.: ipsis de constitutionibus eiusdem ordinis illas, que ipsis competunt, sine difficultate qualibet erhibentes. 192. Es ist bemerkenswert, daß noch im Anfang des Jahres 1252 der General Johannes Teutonicus bei einem Aufenthalt in Soest die Gründung des Frauenklosters Paradies unter dominikanischer Leitung selbst anregte, vgl. den Bericht des Dominikaners Heinrich von Osthoven bei Seibertz, Quellen der Westfäl. Gesch. I, 1857, S. 4 ff. —_— 236 — Frauenklöster zu entlasten.” Auf dem Generalkapitel in Bo- logna im Mai 1252, dem letzten unter dem Generalat Jo- hanns von Wildeshausen, erfolgte die entscheidende Beratung, und die Beschlüsse des Ordens in der Frauenfrage wurden an die Kurie gebracht.'”* Der erste Erfolg war, daß Innozenz IV. durch eine Bülle vom 15. Juli 1252 dem Orden versprach, ihm innerhalb der nächsten zwanzig Jahre keine weiteren Frauen- klöster zu unterstellen.” Aber damit gab sich der Orden noch nicht zufrieden. Er wollte nicht nur für die Zukunft vorbeugen, 193. Chron. ord. ed. M. Reichert MOPH I S. 334 und VII 8.10: Sub re- gimine eius multum laboratum est in curia, quod ordo ezoneraretur a cura sororum; et licet super hoc bone littere impetrate fuissent, tamen tandem obtinuit, quod ille, que sub cura ordinis jam erant, in suo statu remanerent, ‘sed de recipiendo de novo alias cessaretur. 194. Daß die Frage auf dem Kapitel 1252 beraten und die dort gefaßten Beschlüsse durch die Definitoren an die Kurie gebracht worden waren, geht aus dem Brief Hugos von St. Cher vom 3. März 1254 hervor, Ripoll VII S.33n.382; in einem Brief desselben an den deutschen Provinzial vom 10. Februar 1257 (Annee dominicaine, Mars II S.888) heißt es, die Auf- hebung der Cura-Pflicht durch Innozenz IV. sei erfolgt procurantibus hoc quibusdam fratribus dicti ordinis. 195. Quia pretextu monialium quarumdam, quarum curam vobis. aposto- ‚lica sedes olim commisisse dignoscitur, humilitas vesira, prout accepimus, gravi scandalo perturbatur et etiam minus libere propter hoc predicationis potestis officium exercere, nos. inducti devocionis vestre precibus vobis auctoritate presentium indulgemus, ut per litteras apostolice sedis seu legatorum eius impetrandas, cuiuscumque tenoris ezistant, etiamsi habea- tur in eis: ‚Aliqua indulgentia non obstante‘ (Ripoll: in eis de his spe- cialis mentio), hinc ad futuros viginti annos nullam curam (Ripoll: nullum monasterium) de novo suscipere teneamini, misi littere ipse de huiusmodi annorum numero et die concessionis (Ripoll: de concessione) presentium plenam et expressam fecerint mentlionem. Ripoll VI S.30 n.375 druckt diese Bulle mit dem Datum: Perusü septimo kal. Juni pontif. a anno X, d. i. 26. Mai 1253. Weil aber Innozenz IV. vom 1. Mai bis . Oktober 1253 ununterbrochen aus Assisi ‘datiert, wo er am 25. Mai 5 eine Kirche weihte, hat Potthast, Reg. Pontif. n. 14605 das Datum korrigiert auf 26. Mai 1252 (anno IX statt anno-X). In der Hand- schrift Theol. lat. Okt. 109 der Staats-Bibl. Berlin fol. 36 hat die Bulle das .Datum Perusiü Idus Julü pont. n. anno X, d. i. 15. Juli 1252. Am gleichen Tage hat Innozenz IV. in Perugia den Dominikanern auch zwei andere Bullen ausgestellt, s. Potthast n. 14664/5. Außerdem ist der Text der Bulle in dieser Handschrift besser als bei Ripoll (s.o.), und die Richtig- keit des Datums von 1252 ergibt sich auch aus den sachlichen Zusammen- hängen. ii DM 5 er wollte auch die durch frühere Maßnahmen geschaffenen Zu- stände nicht anerkennen. Und wie Innozenz IV. früher die Wünsche der Frauenklöster nach Inkorporation rückhaltlos er- füllt hatte, so gab er nun auch dem entgegengesetzten Antrag des Ordens ohne Einschränkung nach. In einer Bulle vom 26. September 1252 erklärte er, er habe sich davon überzeugen müssen, daß der Orden in der Durchführung seiner wesentlich- sten, wichtigsten Aufgabe: der Predigt, vor allem gegen die Ketzer, behindert und beeinträchtigt werde durch die Verpflich- tungen, die ihm Innozenz selbst in Berücksichtigung der drin- senden Wünsche der Frauenklöster auferlegt habe. Da die große Aufgabe des Ordens den Vorrang habe und die Bedürf- nisse der Frauenrklöster auch auf anderem Wege erfüllt werden könnten, so entbindet der Papst den Orden von allen Verpflich- tungen gegen die ihm inkorporierten oder kommittierten Frauen- klöster mit Ausnahme von $. Sisto in Rom und Prouille.'” Mit einem Schlage hatten also die Frauenklöster wieder verloren, was sie nach langer Bemühung erreicht hatten. Es wurde ihnen zwar versichert, daß sie dadurch keineswegs aller Rechte wie- der verlustig gehen sollten, die sie durch die Inkorporation er- worben hatten; nur auf die Cura der Dominikaner konnten sie künftig keinen Anspruch erheben.'” 196. RipollI S.217 n. 269 („Evangelice predicationis officium“ etc.): Sane vehemens dudum nobis suasit consideratio pietatis, ut nonnullarum religiosarum mulierum collegia vestro insererentur ordini.. Verum sicut ex parte vestra fuit coram nobis et fratribus nostris expositum, per huius- modi sollicitudinem vesitro adversam proposito interrumpitur et turbatur in vobis lectionis et doctrine sacre profectus... Nos igitur. nolentes, ut privata nostre circa personas predictas miserationis humanitas in publice utilitatis dispendium convertatur, cum illarum necessitatibus, aliter valeat provideri, ab omni cura et sollicitudine quantumlibet meritoria monaste- riorum monialium incorporatorum vobis seu commissorum vel quomodo- libet unitorum (ausser S.Sisto und Prouille) vos et ordinem vestrum .. duximus penitus absolvendos. Vgl. auch H. Denifle, ALKG II S. 642. 197. Vgl. die Bullen Innozenz’ für das Kloster S. Maria de Nazareth bei Pavia vom 26. Febr. 1253 und für S. Dominikus in Imola vom 17. Juni 1253, Ripoll I S.226 n. 292 und VII S.31 n. 376: durch die Bulle vom 26. Sept. 1252, die die Cura-Pflicht der Dominikaner aufhob, nullum vobis, quo minus ezistentes unite ac incorporate ordini supradicto (exist... supradicto fehlt in der Bulle für Imola) universis privilegiis ac indulgen- — 28 — Diese Sachlage, bei der die früheren Verhältnisse aufge- hoben wurden, ohne eine Neuordnung an ihre Stelle zu setzen, war aber vollends unhaltbar. Wie es nicht anders zu erwarten war, bestürmten die davon betroffenen Schwestern die Kurie mit leiderschaftlichen Klagen und Beschwerden, und sie boten den ganzen Einfluß ihrer vornehmen und reichen Verwandt- schaft auf, um ihren Wünschen Nachdruck zu geben. In- nozenz IV. sah sich durch seine eigene Schuld eingeengt zwi- schen den beiden Fronten, deren Wünschen er abwechselnd nachgegeben hatte: aut der einen Seite der Orden, dem er eben erst verbrieft hatte, daß er keinerlei Verpflichtungen gegenüber den Frauenklöstern mehr haben sollte, auf der andern Seite die Masse der Frauenklöster und ihre einflußreichen und mächti- gen Füsprecher, die Anspruch auf die Seelsorge des Ordens erhoben.!” In dieser schwierigen Lage kamen.der Kurie zwei Umstände zu Hilfe und erleichterten die Aufgabe einer Neuregelung des Verhältnisses zwischen Dominikanerorden und Frauenklöstern. Der General Johannes Teutonicus starb am 5. November 1252, und mit ihm verlor der Orden den eifrigsten Anwalt seines Widerstandes gegen die Übernahme der Cura-Pflichten, Anderi- halb Jahre fehlte dann den Dominikanern überhaupt die offi- tüs eiusdem ordinis vobis competentibus gaudeatis atque alüs, que per unionem (Imola: incorporationem et commissionem) huiusmodi estis adepte, prejudicium valeat generari; ita tamen, quod dicti fratres per hoc ad gerendam monasteriü vestri (sollicitudinem aut) curam nullatenus teneantur. 198. Brief des Kardinals Hugo von St. Cher an den Provinzial der Lombardei und den Prior von Bologna vom 13. März 1254, Ripoll VI S.33 n. 382: nach der Aufhebung der Cura-Pflichten ad instantiam tamen magnam et perurgentem parentum earumdem sororum valde nobilium et plurimorum, qui super huiusmodi mutatione insperata et incredibili ve- hementer offensi domino ncstro summo pontifici suas preces nuper affec- tuosas et validas porrexerunt, quodammodo (Innocentius) coarctatur hinc- inde, nolens, quod ad petitionem fratrum concesserat, tam subito retrac tare, nec valens bono modo tot et tantorum petitionibus et obsecrationibus non prebere consensum. Vgl. das Schreiben Hugos von St. Cher an den deutschen Provinzial vom 10. Febr. 1257, Annee dominicaine, Mars II S.888£.: ad devotam instuntiam multorum nobilium pro ipsis sororibus domino pape supplicantium. — 289 — zielle Leitung; im Jahre 1253 fand infolge des Todes des Gene- rals verfassungsgemäß auch kein Generalkapitel statt. Die Kurie aber verstand diese Zeit zu nützen, um den Wünschen der Frauenklöster gemäß eine Neuordnung anzubahnen. Zwei- tens aber kam im Sommer des Jahres 1253 der Kardinal Hugo von St. Cher aus Deutschland zurück, wo er über zwei Jahre als Legat tätig gewesen war. In ihm fand sich ein Mann, der geeignet scheinen mußte, die Verhältnisse zwischen dem Orden und den Frauenklöstern neu zu ordnen. Selbst aus dem Domi- nikanerorden hervorgegangen, war er als Kardinal (seit 1244) stets um die Förderung dominikanischer Interessen bemüht ge- wesen und konnte als Vertrauensmann des Ordens im Kardi- nalskolleg gelten.” Andererseits hatte er sich während seiner Legation in Deutschland mit großem Eifer der religiösen Frauen- bewegung angenommen, hatte die Frauenklöster und -gemein- schaften nach Kräften unterstützt und gefördert und dabei einen Einblick in die Bedeutung und in die Bedürfnisse der religiösen Frauenbewegung gewonnen, wie vermutlich wenige neben ihm. In Rom nahm er an den langwierigen Beratungen teil, die über diese Frage geführt wurden, und erhielt schließlich von In- nozenz IV. den Auftrag und die Vollmacht, die Verhandlungen mit dem Orden in seine Hände zu nehmen und eine Entschei- dung herbeizuführen, die sowohl den Interessen des Ordens als auch der Frauenklöster gerecht würde.” Der Kardinal griff 199. Vgl. über ihn J.H.H.Sassen, Hugo von St.Cher, seine Tätigkeit als Kardinal 1244—1263, 1908. 200. Brief Hugos an den Provinzial der Lombardei und den Prior von Bologna vom 13. März 1254, Ripoll VII S.33 n.382: (Innozenz IV.) post diutinam deliberationem, quia non solum predictis sororibus, sed et ipsis fratribus et ordini detrimentum non modicum generari videbatur, de con- silio fratrum suorum et in presentia eorum nobis specialiter, quia de ordine fratrum, commisit hoc negotium, ut super hoc provideremus prout nobis videretur melius expedire. Der Auftrag Innozenz’ IV. an Kardinal Hugo in der Bulle vom 18. Febr. 1254 bei Ripoll VII S.32 n. 380 (auch inseriert in zwei späteren Schreiben des Kardinals bei H. Finke, Un- gedruckte Dominikanerbriefe S.52f. n.4 und Ann6e dominicaine, Mars II S.889) erwähnt die Aufhebung der Cura-Pflichten des Ordens; die früher dem Orden unterstellten Schwestern sicut accepimus magnum ezinde sustinent detrimentum. Quare petebant a nobis, ut ipsas eidem ordini San zunächst mit einer Stillhalte-Maßnahme ein. Er ordnete an, daß die Dominikaner in allen ihnen unterstellten Frauenklöstern die Seelsorge in der alten Weise ausüben sollten, bis mit dem Orden und dem künftigen, auf dem bevorstehenden General- kapitel zu wählenden General, weitere Vereinbarungen getrof- fen würden.’ Ob schon auf dem Generalkapitel zu Pfingsten 1254 in Buda (Budapest), auf dem Humbert von Romans zum Generalminister gewählt wurde, über die Beziehungen zum commendare sicut prius non obstante huiusmodi absolutione, paterna sollicitudine curaremus. Quia vero tu tamquam expertus, quid in huius- modi casu expediat, plenius scire potes, discretioni tue de consilio fratrum nostrorum committimus et nichilominus per apostolica scripta mandamus, quatinus super hoc diligenti deliberatione prehabita autoritate nostra ordines et disponas, prout eidem ordini et predictarum sororum saluti videris erpedire, non obstantibus aliquibus indulgeneüs, privilegüs seu litteris apostolicis generalibus vel specialibus sub quacumque forma ver- borum obtentis et obtinendis, per que id impedhri vel differri possit, et de quibus earumque totis tenoribus plenam et expressam fieri oporteat in presentibus mentionem; contradictores per censuram ecclesiasticam appel- latione postposita compescendo. 201. Kard. Hugo an den Provinzial der Lombardei und den Prior von Bo- logna, 13. März 1254, Ripoll VII S.33 n. 382: Hinc est, quod habito con- silio fratrum et peritorum quorundam auctoritate domini pape, qua fungi- mur in hac parte, vobis precipiendo mandamus, quatenus Monasterü et sororum sancte Agnetis Bononiensis per vos et fratres ordinis vobis sub- jectos curam in omnibus deinceps habeatis, sicut antea habebatis, donec cum magistro ordinis, qui in instanti capitulo eligetur, super hoc negotio quod nobis et ei visum fuerit ordinemus. Daß derselbe Auftrag an den deutschen Provinzial ergıng, erwähnt Kard. Hugos Brief vom 10. Febr. 1257, Annee dominicaine, Mars II S.889: Nos itaque prefato rosario dic- tas rosas reinserere sic volentes, quod tamen nullum ex hoc suis cultoribus videremur dispendium subinferre, prefatis magistro et priori provinciali Theutonie iterum tunc ad tempus sorores ipsas commisimus auctoritate.. domini Innocentü.. quousque videlicet in eorum generali capitulo com- missionem huiusmodi deliberatione previa admittendam voluntarie ducen- tur vel etiam rationabiliter recusandam, ut si ipsi dicte commissioni nostre immo apostolice voluntarium preberent assensum, sororibus ipsis uberio- rem gratiam faceremus. Vgl. die Bulle Alexanders IV. an den Prior von Bologna vom 22. April 1257, Ripoll I S.335: Kard. Hugo, dem In- nozenz IV. commisisse dicitur oraculo vive vocis, ut de sororibus predicti ordinis ordinaret, prout expedire videret, ordinavit, quod fratres dicli ordinis earum curam gererent, donec per Magistrum et generale capitulum predicti ordinis esset aliter ordinatum. — 291 — Frauenorden verhandelt worden ist, wissen wir nicht. Auf dem Kapitel des folgenden Jahres in Mailand sind zweifellos solche Verhandlungen geführt worden, aber sie kamen noch zu keinem abschließenden Ergebnis. Der Orden konnte sich offenbar schwer dazu verstehen, auf die von Kardinal Hugo gewünschte Neuordnung einzugehen. Dagegen faßte das Kapitel einen Be- schluß, der wenigstens für die Zukunft die Aufnahme von Frauenklöstern erschweren und unter feste Normen stellen sollte: Nur nach der Zustimmung von drei aufeinanderfolgenden Generalkapiteln darf künftig ein Frauenkloster der Seelsorge und Leitung des Ordens unterstellt werden — während die Ordensverfassung für die Errichtung neuer Predigerkonvente nur die Genehmigung eines Generalkapitels verlangte. Die Ka- pitel der beiden folgenden Jahre in Paris und Florenz haben diesem Beschluß Gesetzeskraft verliehen.” Über das Ver- halten des Ordens zu den bereits früher dem Orden eingeglie- derten oder unterstellten Frauenklöstern war jedoch damit noch nichts entschieden; nur für künftige Fälle war die Aufnahme neuer Frauenklöster erschwert. Immerhin hatte sich der Orden, wie dieser Beschluß zeigt, inzwischen davon überzeugen müssen, daß die vollständige Ablehnung aller Seelsorgeverpflichtungen gegenüber Frauenklöstern nicht aufrecht zu erhalten war. Bis zum Pariser Generalkapitel im Jahre 1256 waren dann die Verhandlungen des Kardinals mit dem Orden soweit ge- diehen, daß der Orden sich bereit erklärte, die Seelsorge in denjenigen Frauenklöstern auch weiterhin zu übernehmen, die vor 1254, ehe Hugo von St. Cher mit der Neuordnung beauf- tragt wurde, durch einen Generalmagister oder ein General- kapitel in den Ordensverband aufgenommen waren.?” Diesen 202. Zusatz zu dem Kapitel De domibus concedendis der Ordens-Kon- stitutionen: Sub eadem districetione prohibemus, ne magister vel capitulum aliquod curam monialium seu quarumlibet aliarum mulierum recipiat nisi per tria capitula fuerit approbatum; MOPH II S.75 (Inchoatio auf dem Kapitel Mailand 1255), S.79 (Approbatio auf dem Kapitel Paris 1256), S. 84 (Confirmatio auf dem Kapitel Florenz 1257). Daraufhin wurde der Be- schluß auch in die von Raimund von Penaforte redigierten Ordensstatuten eingetragen, s. ALKG V 8.549, Dist. II ce. I. 203. Bulle Alexanders IV. an den Prior von Bologna vom 22. April aa Klöstern — so hatte der Kardinal in einem Brief an das Generalkapitel erklärt, — könne der Orden nicht mit gutem Gewissen seine Seelsorge entziehen. Zwei weitere Klöster, S; Dominikus in Imola?* und das Inselkloster in Vesprim (Un- garn)°” sollten nach der Anweisung des Kardinals in dem glei- chen Schreiben ebenfalls dem Orden unterstellt werden. In allen anderen Frauenklöstern aber soll der Orden nicht zur Seelsorge verpflichtet: sein.” 1257, Ripoll IS. 335 n.153, anschließend an die oben S.290 Anm. 201 zitierte Stelle: idemqgue capitulum postmodum ordinasse dicitur, ut pre- dicti fratres illarum sicut prius dictarum sororum curam gererent, que per magistrum et capitulum predictos recepte fuerant in ordine supradicto. — Kard. Hugo an den deutschen Provinzial 10. Febr. 1257, Annee dominicaine, Mars II S.889: Magister et dejinitores generales capituli proximo Parisius celebrati sepedictas sorores in pace pristina reliquerunt, illas dumtaxat, que per magistros ordinis vel per capitula generalia ad curam et guberna- tionem ordinis sunt assumpte, paternam eis sollicitudinem adhibendo. — Vgl. Kard. Hugos Brief vom 5. Febr. 1262, unten Anm. 206. 204. Vgl. o. S. 287 Anm. 197. 205. Dieses Kloster war von König Bela von Ungarn für seine Toch- ter Margarete errichtet worden, welche erst auf dem Generalkapitel des Jahres 1254 (das ob devocionem regis et regine nach Buda verlegt worden war, s. MOPH I S.337), in die Hände des Generalministers Humbert die Gelübde abgelegt hatte. 206. Kard. Hugo schreibt unter Berufung auf den Auftrag Innozenz’ IV. vom 18. Febr. 1254: Nos igitur attendentes, quod illas domos sororum, que recepte sunt autoritate alicuius magistri vel capituli generalis ante coın- missionem seu mandatum apostolicum super hoc receptum, a cura nostri ordinis tamen bona consciencia repellere non possitis, autoritate commis- sionis seu mandati predicti ordinamus et volumus, quod huiusmodi domus predicte necnon et domus sororum de Ymula et domus, quam rex Ungarie fecit, sint sub cura ordinis nostri; ad curam aliarum, si que sunt, nolentes aliquatenus vos teneri. — Dieses Schreiben ist in den beiden Handschrif- ten, die es enthalten (s. H. Finke, Dominikanerbriefe S.52f. n. 4 und Annee dominicaine, Mars Il S.890) an den Generalminister und die De- finitoren des Generalkapitels in Florenz adressiert und trägt nur das Datum Feria V post oclavam pasche ohne Jahreszahl; beide Herausgeber haben es deshalb auf 1257 datiert. Aber dieses Datum kann nicht richtig, der Brief kann nicht an das Florentiner Kapitel von 1257 gerichtet sein. Denn 1. ist der Beschluß, den Kard. Hugo hier anregt, bereits auf dem Pariser Kapitel 1256 gefaßt worden (s. o. Anm. 203; beide dort zitierten Schreiben sind vor dem Kapitel in Florenz verfaßt); 2. hat Kard. Hugo auf dem Kapitei von 1257 in Florenz ganz andere Maßnahmen in dieser Frage ergriffen (s. u. S. 294); 3. sagt er selbst in einem Brief vom 5. Febr. — 293 — Über die Tragweite dieses Zugeständnisses vonseiten des Ordens scheint sich aber der Kardinal selbst keine zutreffenden Vorstellungen gemacht zu haben. Die Zahl der Frauenklöster, die vor 1254 durch den Ordensgeneral oder ein Generalkapitel in den Ordensverband aufgenommen worden waren und also nach der Vereinbarung von 1256 künftig der Seelsorge des Or- dens unterstehen sollten, war viel kleiner als er offenbar ange- nommen hatte. Für die drei von Dominikus selbst eingerichte- ten Häuser traf die Bedingung selbstverständlich zu; S. Agnes in Bologna ließ sich durch eine päpstliche Bulle vom 22. April 1257 ausdrücklich bestätigen, daß es gleichfalls zu den „durch einen Ordensmeister oder ein Generalkapitel aufgenommenen Klöstern” gehörte und daß infolgedessen der Dominikaner-Prior von Bologna von Kardinal Hugo beauftragt worden sei, die Seelsorgepflichten wieder zu übernehmen.” Bei allen anderen Frauenklöstern aber, vor allem bei denen in Deutschland, waren die 1256 festgesetzten Wiederaufnahme-Bedingungen nicht er- füllt: mit Ausnahme des Klosters Paradies bei Soest, das der General Johannes Teutonicus 1252 selbst in den Orden aufge- nommen hatte,’ waren sämtliche deutsche Frauenklöster nicht durch einen Ordensgeneral oder ein Generalkapitel, sondern 1262 (Finke S. 54 n. 6; Annee domin. S. 890) unmißverständlich, daß es sich um ein Kapitel vor 1257 handelt: Nos super isto negotio recepi- mus a domino Innocentio papa IV. litteras ... (s. o. Anm. 200). Porro post harum litterarum receptionem ordinavimus per nostras litteras (d.i. der hier in Frage stehende Brief), interveniente assensu vestro, Magister, et diffinitorum cuiusdam capituli generalis (F), quod illas domos mulierum, que fuerant recepte alicuius magistri autoritate vel capituli generalis unte commissionem seu mandatum upostolicum super hoc receptum, et quedam alia, que nominatim expressimus in nostris litteris, iterum essent sub or- dinis cura, nolentes ad alias vos teneri. Postmodum vero in capitulo generali Florencie celebrato, cui interfuimus, consuluimus etc. (s. u. Anm. 212; der Zusatz „F“ in der von Finke veröffentlichten Berliner Hand- schrift ist ein Irrtum; in den in Frage kommenden Jahren vor 1257 fand kein Generalkapitel in einer Stadt F... statt). — Das Schreiben Kard. Hugos ist also 1256 an das Pariser Kapitel geschrieben, auf dem der von ihm angeregte Beschluß tatsächlich gefaßt wurde. 207. Bulle Alexanders IV. bei Ripoll I S. 335 n. 168; vor dem Generalkapitel von 1257! 208. S. o. Anm. 192; vielleicht auch Kirchberg s. o. S. 238 Anm, 93, — er durch päpstliche Verfügung dem Orden unterstellt worden. Trotzdem hat Kardinal Hugo unter Berufung auf den Ordens- beschluß von 1256 den deutschen Provinzial beauftragt, die Seelsorgeverpflichtungen in allen Frauenklöstern wieder zu übernehmen, auf welche die festgesetzten Bedingungen zu- träfen,°° und hat darüber hinaus für mehrere Klöster, die in Wirklichkeit nur durch päpstliche Verfügung dem Orden unter- stellt worden waren, besondere Anweisungen zur Wiederauf- nahme der Seelsorgeverpflichtungen gegeben, immer unter Be- rufung auf den Ordensbeschluß von 1256.?"° Es mußte sich bald herausstellen, daß hier ein Irrtum vor- lag, daß der Beschluß von 1256 keine rechtskräftige Unterlage für die Wiederaufnahme der deutschen Frauenklöster in den Orden bot, und daß es also einer anderen Regelung bedurfte, um dieses Ziel zu erreichen. Schon auf dem Generalkapitel des Jahres 1257 in Florenz, auf dem Kardinal Hugo selbst anwesend war,’'' setzte er es deshalb propter quasdam causas durch, daß der Orden durch einen neuen Beschluß endlich bewilligte, was der Kardinal irrtümlich schon durch die Entscheidung vom Jahre vorher erreicht zu haben glaubte: in allen Frauenklöstern, die früher dem Orden unterstanden hatten, auch wenn sie nicht ursprünglich durch den General oder ein Generalkapitel in den Orden aufgenommen worden waren, sollte der Orden wieder die Seelsorgepflichten übernehmen.?'? Drei aufeinander folgende 209. Schreiben vom 11. Febr. 1257, Annee dominicaine, Mars II S. 888 ff. 210. Erhalten sind solche Anweisungen für Unterlinden bei Kolmar vom 10. Febr. 1257 (s. Pez, Bibl. ascet. VIII, S.148ff. n. XXI; Ingold, Le monastere des Unterlinden S. 227 Regest n. 14) und für S. Lambrecht vom 11. Febr. 1257 (.. Böhmer-Ficker, Regesta Imperii V n. 9094). — Das Kloster Montargis hat sich durch eine Bulle Alexanders IV. vom 23. Jan. 1257 (Ripoll IS. 328 n. 138) die Aufrechterhaltung seiner Be- ziehungen zum Orden verbriefen lassen, ohne auf den Ordensbeschluß von 1256 Bezug zu nehmen — offenbar deshalb, weil es befürchten mußte, den Bedingungen jenes Beschlusses gleichfalls nicht zu genügen. 211. Vgl. das Rundschreiben des Generals Humbert, MOPH V S.43f. (auch bei Berthier, Humberti de Romanis Opera de vita regulari I S. 508). 212. Brief Kard. Hugos vom 5. Febr. 1262 (Finke 8.54 n. 6; Annee domin. 8.890 f.), in dem der Kardinal den ganzen Gang der Verhandlungen — 295 — Generalkapitel haben dann diesem Beschluß zugestimmt.?’ Seit 1259 war es also endgültig entschieden, daß alle früher dem Orden unterstellten Frauenklöster wieder Anspruch auf seine Seelsorge hatten. Auf dem Kapitel in Florenz 1257 war zugleich das Gesetz rechtskräftig geworden, daß künftig Frauen- klöster nur nach Zustimmung von 3 Generalkapiteln dem Orden unterstellt werden können.?'* Im selben Jahr 1257 ließ sich der Orden auch von Alexander IV. nochmals bestätigen, daß In- korporationen von Frauenklöstern durch päpstliche Bullen nur bei Einfügung der Abrogationsklausel gültig sein sollten.?”® Mit diesen Entscheidungen im Jahre 1257 sind die lang- wierigen Auseinandersetzungen zwischen dem Orden, der Kurie und den Frauenklöstern über die Cura-Frage im Wesentlichen zum Abschluß gekommen, Die Gegenaktion des Ordens war darstellt (anschließend an die oben Anm. 206 zitierte Stelle): Postmodum vero in capitulo generali Florencie celebrato, cui interfuimus, consuluimus et rogavimus propter quasdam causas, ut assentirent diffinitores, quod etiam alia monasteria, quecumque fuerant aliquando sub ordinis curu, etiam si non a principio (sui) fuissent ab aliquo magistro vel capitule recepta, reciperentur iterum sub ordinis cura. Quod cum fuisset per tria capitula approbatum, dicuntur fratres ubique resumpsisse curam sororum, quam aliquando habuerant, quamvis non invenatur aliquod instrumentum, per quod posset fieri fides, quod nos circa huiusmodi receptionem ullimam aliquam aliam fec(er)imus commissionem preter preces et consilium supra- dictum. — Deshalb waren später Zweifel an der Rechtslage entstanden, die der Kardinal im Auftrag Urbans IV. durch diesen Brief beseitigen will. 213. S. vorige Anm. In den Akten der Generalkapitel findet sich dar- über nichts. Es handelte sich ja nicht um Ördensgesetzgebung, sondern sozusagen um ÖOrdenspolitik. Kard. Hugo stellt 1262 selbst fest, daß der 3eschluß nicht dokumentarisch festgelegt wurde. 214. Auf diesem regulären Wege ist z. B. das S. Agneskloster in Frei- burg durch die Generalkapitel 1281/83 inkorporiert worden (Wilms, Ver- zeichnis S. 48; es wurde durch Schwestern aus Adelhausen eingerichtet); das Kloster in Lienz durch die Kapitel 1277/79, s. Douais, Acta capit. prov. S. 233. — G. R. Galbraith, The constitution of the Dominican Order, 1925, S. 48 hat sich dadurch beirren lassen, weil er den Unterschied in den Bestimmungen über die Neugründung von Brüder-Konventen und über die Aufnahme von Frauenklöstern nicht beachtet. 215. 16. Nov. 1257, Ripoll IS. 354 n. 189 (Wiederholung der Bulle Gregors IX. vom 25. Okt. 1239). Dieselbe Bulle wurde noch einmal aus- gefertigt am 5. Dezember 1259, Ripoll IS. 385 n. 254. — 296 — gescheitert, die Frauenklöster hatten ihren Anspruch auf domini- kanische Leitung und Seelsorge durchgesetzt.” Es ist in der Folgezeit, bis zum Konzil von Trient, an den damals geschaffe- nen Verhältnissen kaum mehr etwas geändert worden. Unter dem Generalat Johanns von Vercelli hat Clemens IV, durch eine Bulle vom 6, Februar 1267 diese durch die Beschlüsse von 1257 geschaffene Ordnung sanktioniert, indem er die Bulle In- nozenz' IV. vom 26. September 1252, die den Orden von allen Cura-Pflichten entbunden hatte, und ebenso alle anderen frühe- ren Bestimmungen ausdrücklich außer Kraft setzte und die Be- ziehung der Dominikaner zu allen früher dem Orden unterstell- ten Frauenklöstern genau so regelte, wie das schon in den päpstlichen Kommissions-Bullen von 1245 an geschehen war, nur ergänzt durch die Bestimmung — die schon früher entspre- chend bei den Franziskanern eingeführt worden war —, daß der Provinzialprior die Wahl der Priorin in den Frauenklöstern zu bestätigen hat.” Andererseits hat die Ordensgesetzgebung kurz darauf in den Aufnahme-Bestimmungen für neue Frauen- klöster ausdrücklich auch die Möglichkeit anerkannt, daß Frauenklöster durch päpstliche Verfügung dem Orden unter- stellt wurden.? Beides waren rein formale Akte, die nur die 216. Felix Fabri O.Pr. in seinem „Tractatus de ceivitate Ulmensi‘ VI, 4 (ed. Veesenmeyer S. 167) irrt sich höchstens im Alter und in der Bezeichnung der vordominikanischen deutschen Frauengemeinschaften, wenn er die ganze Entwicklung kurz kennzeichnet: Multa.. monasteria monialium sunt incorporata ordini praedicatorum, quae tamen longe ante S. Dominicum sub regula sancti Augustini vivebant et sorores poenitentes dicebantur,.. nunc ordinis nostri. Non autem fuerunt per vim ordini subiectae, sed ordo ad earum instantiam fuit per sedem apostolicam coac- tus eas suscipere. 217. Ripoll1IS.481 n.59. — Die Bulle Innozenz’ IV. vom 4. April 1246, in der die Cura-Pflichten in den dem Orden unterstellten Frauenklöstern geregelt wurden (s. o. S. 276), ist von Nikolaus IV. am 8. Dezember 1289 noch einmal erneuert worden, Ripoll II S. 26. 218. Durch die Generalkapitel 1267/69 wurde die oben Anm. 202 zitieıte Bestimmung durch den Zusatz ergänzt: vel nisi per dominum papam ordini committatur; MOPH III S. 137, 144. Auf den Generalkapiteln 1285/87 ist eine Neufassung des ganzen Abschnitts beschlossen worden: Prohibemus districte, ne aliquis curam recipiat predictarum, nisi per tria capitula generalia fuerit approbatum, et nisi cura per dominum papam ordini com- — 297 — durch frühere Entscheidungen geschaffenen Verhältnisse be- stätigen. Aus diesem neuen Stand der Dinge erwuchsen nun dem Orden zunächst zwei Aufgaben: es mußten einheitliche Konsti- tutionen für alle dem Orden angegliederten Frauenklöster ge- schaffen werden; und es mußte festgestellt werden, welche Frauenklöster eigentlich den neuen Bestimmungen zufolge einen rechtmäßigen Anspruch auf Zugehörigkeit zum Orden hatten. Die erste Aufgabe war dem Orden schon in den Bullen von 1245 zugewiesen worden, aber er hatte sie damals nicht in Angriff ge- nommen, weil er hoffte, sich den ihm auferlegten Verpflichtun- gen wieder entziehen zu können. Als diese Hoffnung nach den Verhandlungen von 1257 nicht mehr bestand, ließ sich der Ordensgeneral Humbert von Romans am 27. August 1257 von Alexander IV. mit der Ausarbeitung einheitlicher Konstitutionen für die Frauenklöster beauftragen,’ und auf dem General- kapitel von 1259, auf dem die Wiederaufnahme der Frauen- klöster in den Ordensverband endgültig vollzogen wurde, legte der General auch diese neuen Konstitutionen vor und ließ sie durch die Provinziale allen Frauenklöstern mitteilen,’ Sie mittatur vel per alium qui possit facere commissionem predictam; MOPH III S.237, 242f., 248. Der deutsche Provinzial Hermann von Minden (1286/90) betont in einem Brief (Röm. Quartalschr. XXXIII S. 164), daß sich die Seelsorgepflicht des Ordens tam circa sorores, que per sedem apostolicam nobis commisse sunt, quam circa eas, que per aliquem Magi- strorum wel capitula generalia sine cuiusquam prejudicio sunt recepte er- streckt. 219. Finke, Dominikanerbriefe S. 53 n. 5: Nos de tua probata circum- spectione confisi, ut constitutiones monialium ordinis s. Augustini viven- cium secundum tui ordinis instituta ad uniformitatem reducere ac de illis corrigendis.. libere disponere valeas, prout secundum deum et salubrem statum monialium earundem et honestatem tui ordinis videris expedire, tibi auctoritate presentium concedimus facultatem. 220. Schreiben des Generals Humbert an die sorores curae fratrum ordinis praedicatorum commissae vom Generalkapitel in Valenciennes 1259, MOPH V S. 50f.: Adhuc noveritis, quod nos attendentes, quod vos sub una regula et unius professionis vivitis voto, in observantis reqularibus uniformes esse debetis, diversitates constitutionum, quas diverse sorores habebant, ad unam formam redegimus auctoritate apostolica nobis specia- liter commissa, quam vobis per provinciales transmittimus, volentes ut — 298 — sind nicht eine Umarbeitung der Konstitutionen von S. Sisto, sondern tatsächlich eine Anwendung der Konstitutionen des Dominikaner-Ordens auf die Frauenklöster, so weit sie dafür in Betracht kamen.” Mit eindringlichen Worten hat der Ordensgeneral die Frauen, die dadurch dem Orden eng ver- bunden wurden, ermahnt, sich dieser Zugehörigkeit würdig zu erweisen, so daß die Brüder die Pflichten in den Frauen- klöstern, die ihnen aufgezwungen worden waren, nicht mit Seuf- zen, sondern mit freudigem Willen erfüllen könnten.’ Um festzustellen, welche Frauenklöster berechtisten An- spruch auf die Cura der Dominikaner hätten, ließ das General- kapitel von 1257 in Florenz eine Aufforderung an alle Provin- zial-Prioren ergehen, bis zum nächsten Kapitel genaue Auf- stellungen darüber einzusenden, wie viele Frauenklöster in secundum huiusmodi constitutiones omnes amodo vivatis. Si que vero nollent huiusmodi formam recipere, pro sororibus ordinis minime habeantur. 221. Ob die in den AOP III S. 338ff. veröffentlichten Konstitutionen tatsächlich diese Fassung von 1259 sind, bleibt noch festzustellen. 222. Brief des Generals an die Schwestern des Ordens vom General- kapitel in Straßburg 1260, MOPH V S. 57: Satagite sic magis continue ac magis in omni perfectione proficere, ut semper beatus pater Dominicus et ordo suus glorificetur in vobis, et fratres, qui de vobis curam coguntur gerere, vestris sanctis conversationibus ezhilarati hoc pocius faciant voluntarii quam gementes. — Seit dieser Neuregelung kommt die Bezeich- nung Ordo s. Sixti oder Ordo s. Marci für deutsche Frauenklöster nicht mehr vor, sondern nur noch Ordo s. Augustini secundum instituta ordinis fratrum Praedicatorum oder ähnlich; s. z.B. die Urkunden für Paradies bei Soest, Westfäl. Urk.-B. V, 1 S.253 n. 551; für Steinach, Stetten, Offen- hausen: Ripoll I 8.361 u. 408; für Klingenthal: Urk.-B. Basel I S. 236; für St. Lambrecht: Remling, Urk.-B. z. Gesch. d. Bischöfe zu Speyer I S.403 n. 436; für Engelthal: Heidingsfelder, Regesten II S. 224 (zu 1267; ib. zu 1271: conventus sororum in E. sub regula s. Augustini et regimine fratrum ord. Praed.); für Altenhohenau: 1273 sorores inclusae ord. s. Augustini secundum instituta et sub cura fratrum ord. Praed. viven- tes, Mon. Boica XVII S. 18; Schwarzhofen: 1265 conventus devotarum feminarum .. domino sub habitu et regimine fratrum ord. Praed. famulan- tium; 1268 conventus sororum s. Augustini.. secundum constitutionem fratrum predicatorum deo militantium, s. W. Schratz, Urk. und Reg. zur Gesch. des Nonnenkl. zum hl. Kreuz in Regensburg, 1887, S. 150/2; vgl. ib. S. 152 und 9. U jeder Provinz bestünden, wieviele Schwestern in jedem Kloster lebten, welche Einkünfte ihnen zur Verfügung stünden und wo- rauf sich ihr Anspruch gründe, dem Orden unterstellt zu sein.”*" Die Rechtslage und der Umkreis der Verpflichtungen des Or- dens gegenüber den Frauenklöstern sollte dadurch eindeutig festgestellt werden. Diese Bestandsaufnahme war freilich nicht so einfach, daß sie schon bis zum Kapitel des folgenden Jahres durchgeführt werden konnte. Das Generalkapitel von 1259 in Valenciennes betonte nochmals ausdrücklich, daß nur die Frauen derjenigen Klöster als Ordensschwestern gelten dürf- ten, deren Aufnahme in den Orden durch den General, durch ein Generalkapitel oder durch päpstliche Verfügung dem zu- ständigen Provinzialprior nachgewiesen sei. Es wiederholte zu- gleich die Aufforderung an die Provinzialprioren, bis zum näch- sten Generalkapitel über die Anzahl der Klöster Bericht zu er- statten.””* Zu Anfang 1262 mußte Kardinal Hugo durch ein Schreiben an die Ordensleitung nochmals eingreifen, um alle Unklarheit über die getroffenen Entscheidungen zu beseitigen; kraft eines neuen päpstlichen Auftrags verfügte er, daß in Fäl- len, wo der Anspruch der Frauenklöster auf Zugehörigkeit zum Orden zweifelhaft sei, die Ordensleitung über Annahme oder Ablehnung entscheiden solle, vorbehaltlich der endgültigen Ent- scheidung des Kardinals.”” Von bestimmten Fällen, in denen 223. MOPH III S. 88: Mandat magister ordinis prioribus provincialibus vel eorum vicarüs, quod scribant ei ad sequens generale capitulum, quot domos sororum nostrarum habent in suis provincüs, et numerum sororum in qualibet domo, et quos habeant proventus et redditus, et qua auctoritate sunt eis commisse. 224. MOPH III S. 98: Injungimus districte et virtute obediencie, quod nulle mulieres pro sororibus habeantur a fratre quocumque, nisi de quibus constiterit prioribus provincialibus, in quorum provincüs sunt constitute, quod auctoritate alicuius magistri ordinis vel capituli generalis vel alicuius pape cure ordinis sunt commisse. Priores autem provinciales inquisicione facta super hiis diligenti in sequenti capitulo magistro referant, quot et quas et in quorum conventuum terminis de huiusmodi sororibus domos habeant. 225. Brief vom 5. Febr. 1262, Finke S.54 n. 6 (s. o. Anm. 212): Nos igitur dubium omne circa huiusmodi amputare volentes et conscienciis provideri, auctoritate domini pape Urbani, qui super hüs nobis novam ode damals der Anspruch der Frauenklöster auf Zugehörigkeit zum Orden strittig gewesen wäre, wissen wir nichts. Die nächste Sorge des Ordens galt der wirtschaftlichen Sicherung der ihm unterstellten Frauenklöster. Die Maß- nahmen, die in dieser Beziehung getroffen wurden, lassen be- sonders deutlich erkennen, welche Bedeutung die Eingliederung der Frauenklöster in den Orden für das Schicksal der religiö- sen Frauenbewegung hatte. Der General Humbert von Romans hat den religiösen Gehalt und die spontane Schwungskraft die- ser Bewegung gerade in der Zeit, als sie dem Orden eingefügt wurde, voll anerkannt.” Aber gleichzeitig erklärte er es für notwendig, die religiösen Frauengemeinschaften auf eine ge- sicherte wirtschaftliche Grundlage zu stellen. Der Orden ver- langte deshalb, daß allen ihm unterstellten Frauenklöstern aus- reichende Mittel für den Unterhalt der in strenger Klausur lebenden Nonnen zur Verfügung stünden. Er ließ in allen Klö- stern, die infolge der Neuordnung von 1257 in den Ordensver- band aufgenommen wurden, eine genaue Schätzung ihres Ver- mögens, ihres Besitzes und Einkommens durchführen, um da- nach eine Höchstzahl der in jedem Kloster aufzunehmenden Schwestern festzustellen, die nur in außerordentlichen Fällen überschritten werden durfte — nur dann, wenn entweder be- sonders vornehme oder besonders reiche Frauen Aufnahme be- fecit commissionem viva voce, ordinamus per presentes et committimus vobis, magister, tenore presencium, ut de monasterüs seu sororibus supra- dictis, de quibus est aligquod dubium, utrum sint de cura ordinis per ordi- naciones nostras supradictas, considerato statu et devocione earum possi- tis recipere sub cura ordinis illa vel illas, de quibus vobis videbitur expe- dire, reservantes nobis nichilominus adhuc potestatem alia vel aliter ordi: nanda, si nobis utile videatur. 226. Schreiben an die Schwestern vom Generalkapitel Straßburg 1260, MOPH V S. 56: Ecce nove vestre religionis in universo orbe fama diffun- ditur, iam in conspectum tocius ecclesie relucet fulgor nominis vwestri. Sanctorum quondam claritas fulgens iam comparet, jam excellentia qua- rumdam vestrarum insolitum stuporem adducit ubique, jam ommes genera- ciones deum timencium feminarum predicant vos beatas. Quis autem dinumerare valeat, quot et quante earum ad vestrum suspirant consorcium, quam felices se reputant, que hoc merentur assequi, quanto merore tabes- cunt, que non merentur admitti? I BB im gehrten, deren Abweisung dem Orden wirtschaftlichen Schaden oder die Feindschaft einflußreicher Kreise eintragen konnte.””” Klöster, in denen bisher mehr Schwestern gelebt hatten, als es nach diesen Schätzungen zulässig war, mußten solange neue Aufnahmen verweigern, bis die festgesetzte Höchstzahl erreicht war.” Kein neues Frauenkloster darf künftig in den Ordens- verband aufgenommen und der Cura der Dominikaner unter- stellt werden, in dem die wirtschaftliche Versorgung der Schwe- stern nicht ausreichend gesichert ist; und es bleibt überdies den Predigerbrüdern ebenso wie den Nonnen selbst nach wie vor untersagt, die Gründung neuer Frauenklöster oder ihre Auf- nahme in den Orden zu betreiben — es sei denn, sie erhielten 227. S. die Konstitutionen für die Frauenklöster in AOP III S. 342 c. 14: Magister ordinis vel prior provincialis pensatis facultatibus domus, que pro tempore fuerint, aligquem certum numerum sororum statuat, ultra quem non recipiatur aliqua in sororem, nisi talis esset persona, que sine gravi dampno vel scandalo recusari non posset. Schreiben des Generals Humbert an die Schwestern vom Kapitel in Straßburg 1260, MOPH V S. 57: Adhuc scire vos volumus, quod nos attendentes incommoda, que multa monasteria mulierum incurrunt er inmoderata receptione personarum, ordinavimus et tenore presentium ordinamus et districte precipimus vobis omnibus et singulis, apud quas nondum est personarum recipiendarum taxatus numerus, quod amodo nullam recipiatis in sororem vel aligquam in conversam wel familiarem, cui vos perpetuo obligatis, usque per nos vel per prowinciales priores, quibus subjacetis, vel per alios fratres, si aliquibus hoc durerimus committendum, predictus recipiendarum numerus fuit pretazatus, eciam si cui super hoc jam promissionem feceritis, per quam sitis ad recepcionem obligate. — Einem Brief des deutschen Provinzials Hermann von Minden (1284/90) zufolge dürfen laut Vorschrift des Generals nur so viele Nonnen in einem Kloster sein, daß aus dem Klostereinkommen auf jede jährlich 3 Mark Silber entfallen (Röm. Quartal- schr. XXXIII S. 162; das entspricht nach der Berechnung G. Löhrs einem Geldwert von etwa 520 M. um 1800), und die Höchstzahl darf nur überschritten werden, wenn besonders vornehme Personen die Aufnahme begehren, die ohne Nachteil für den Orden nicht abgewiesen werden könn- ten, oder besonders wohlhabende Frauen, deren Eintritt dem Kloster wirt- schaftliche Vorteile bringt, d. h. die mindestens 100 Silbermark in Geld oder Grundbesitz im Werte von 140 Mark ins Kloster mitbringen, so daß aus diesem Kapital drei Schwestern unterhalten werden können (wobei also eine Verzinsung des Geldes von 9%, des Grundbesitzes von knapp 6% % vorausgesetzt ist). So sei es in vielen Klöstern bereits seit einem Jahrzehnt gehalten worden. 228. S. u. S. 314 ff. — 3020 — vom Ordensgeneral dafür besondere Erlaubnis oder sie holten vorher die Zustimmung eines Generalkapitels ein.” Der Anschluß an den Dominikanerorden bedeutete also für die deutschen Frauenklöster zugleich wirtschaftliche Sicherung. Die Armutsbewegung ging unter der organisatorischen Leitung des Ordens in Gemeinschaftsformen über, die den Einzelnen ein sicheres Auskommen gewährleisteten und das religiöse Leben ordneten und disziplinierten. Ein großer Teil der religiösen Frauenbewegung in Deutschland hat dadurch ein neues und endgültiges Gepräge erhalten. Wir werden später sehen, wie 229. Konstitutionen für die Frauenklöster, AOP III S. 348 c. 30: Inhibe- mus sub pena excommunicationis, ne aliqua det operam directe vel.-in- directe scienter, quod aligua domus sororum construatur vel constructa ordini fratrum predicatorum committatur, nisi prius super hoc habeatur eonsensus capituli generalis. Eadem districtione ordinamus, ne unguam in aliquo casu domus aliqua recipiatur sub cura ipsius ordinis, nisi. cum sufficienti provisione in bonis temporalibus pro necessitatibus sororum. — Die Generalkapitel 1285/87 ergänzten das seit 1228 bestehende Verbot für die Dominikaner, sich um die Aufnahme neuer Frauenklöster in den Orden zu bemühen (s.0.S.218), durch den Zusatz: nisi de licentia magistri ordi- nis speciali; MOPH III S. 228, 231, 237. 230. Die Ordnung des Verhältnisses zwischen den Dominikanern und den Frauenklöstern in Deutschland hat besonders der Provinzialprior Her- mann von Minden 1284/90 wirksam gefördert, ohne daß dabei grundsätz- lich an den seit 1257 bestehenden Zuständen noch etwas geändert wurde; er hat nur für ihre Durchführung gesorgt. Vgl. Denifle, ALKG II S. 641 ff. und 649£.; G. Löhr, Röm. Quartalschr. XXXIII S. 159 ff. Eine von A. Simon, L’Ordre des Penitentes 8. 86 angekündigte Schrift von Ritzinger über Hermann von Minden ist m. W. nicht erschienen. — Ende 1286 wurden durch den Legaten Johannes Boccamazzi dem Domini- kanerorden vorübergehend die Klöster des Maria-Magdalenen-Ordens, un- gefähr 40 Klöster, zur Seelsorge und Visitation unterstellt (kommittiert); aber das war nur eine provisorische Maßnahme, veranlaßt durch Mängel in der Leitung jenes Ordens, guousque per sedem apostolicam aliud fuerit ordinatum (A. Simon S. 87, 251f., 254), und sie haben weder die Tracht noch die Regel und Konstitutionen der Dominikanerinnen angenommen (ib. S. 87 und S. 254f. n. 163 die Instruktion Hermanns von Minden über das Verhalten der Dominikaner zu den „Reuerinnen“); vielmehr hat ihnen Nikolaus IV. am 1. Januar 1291 die Augustin-Regel und die Konstitutio- nen von S. Sisto, die sie seit 1232 befolgten, aufs neue bestätigt (ib. S. 258 n. 169), und 1296 wurden sie wieder unter einen eigenen Praepositus ge- stellt (ib. S. 98 und 260 n. 174). Der Legat Johannes Boccamazzi hat durch er u dadurch zugleich auch die Voraussetzungen für die Entfaltung der „deutschen Mystik" geschaffen wurden. 6. Die Frage der Cura monialiumim Franzis- kanerorden. Kurz nachdem das Verhältnis des Dominikanerordens zu den ihm unterstellten Frauenklöstern durch die Vermittlung des Kardinals Hugo von St. Cher endgültig geordnet war, kam es zu einer ganz ähnlichen Krise im Franziskanerorden, in der sich gleichfalls die Beziehungen zu den Frauenklöstern ganz aufzu- lösen drohten, aus der schließlich aber auch hier eine dauer- hafte Neuordnung hervorging. Solange der Kardinal Rainald das Doppelamt als Pro- tektor des Ordens von S. Damian und des Franziskanerordens innehatte — das er auch nicht aufgab, als er 1254 als Alex- ander IV. den päpstlichen Stuhl bestieg — änderte sich grund- sätzlich nichts an den ungeordneten, zersplitterten Zuständen, die der mißglückte Versuch Innozenz’ IV. im Jahre 1247, durch seine neue Regel gleiche Zustände in allen Klöstern des Ordens von S. Damian herzustellen und ihre Beziehung zu den Minori- ten einheitlich zu gestalten, nur noch mehr verwirrt hatte. Im Orden von S. Damian galten nun drei Regeln nebeneinander; die Regel Hugolins, die in den meisten befolgt wurde, bestimmte nichts über den Klosterbesitz und nichts über die Seelsorge durch die Minoriten; die Regel Innozenz’ IV. von 1247 verlangte Klosterbesitz und Einkommen und übertrug den Minoriten die Visitation und Seelsorge, verpflichtete sie aber nicht zu dauern- der Residenz, sondern beauftragte mit den laufenden geistlichen und weltlichen Funktionen Kapläne und Prokuratoren; die Regel Klaras endlich, die außer S. Damian auch einige andere eine Bulle vom 8. Dez. 1287 auch noch einmal summarisch dem Domini- kanerorden alle deutschen Frauenklöster inkorporiert, die früher durcb ihn selbst oder durch einen Ordensgeneral oder ein Generalkapitel dem Orden unterstellt worden waren (ib. S. 256 n. 163/6); daß es, wie A. Si- mon (S.91 ff.) glaubt, die Absicht des Legaten war, dadurch die Klöster des Maria-Magdalenen-Ordens in den Dominikanerorden zu inkorporieren, und dieser Versuch erst 1291 durch die Bestätigung der S. Sisto-Regel rückgängig gemacht wurde, ist nicht beweisbar und nicht wahrscheinlich. 730 > Klöster befolgten,””' verbot Klosterbesitz und verpflichtete Fran- ziskanerbrüder zu dauerndem Aufenthalt im Kloster, Der Minoritenorden war zunächst hauptsächlich darauf be- dacht, daß nicht noch mehr Frauenklöster dem Damians-Orden angeschlossen und der franziskanischen Seelsorge unterstellt würden. Er ließ sich deshalb am 6. März 1250 von Innozenz IV. dasselbe Privileg ausstellen wie früher die Dominikaner,?”? das die Heranziehung des Ordens zu Visitations- und Seelsorge- pflichten in Frauenklöstern durch päpstliche Verfügungen ein- schränken sollte.” Als trotzdem unmittelbar danach Inno- zenz IV. den Franziskanern die Seelsorge in dem vom Bischof von Konstanz gegründeten Kloster Paradies bei Konstanz über- trus,®* ließen sie sich vom Kardinal-Protektor Rainald zu- sichern, daß in Deutschland außer den vier Klöstern des S. Da- mians-Ordens, die bisher Anspruch auf die Cura der Minoriten hatten, kein bestehendes oder neu zu gründendes Frauenkloster mehr ihrer Seelsorge unterstellt werden sollte.” — Außerdem wurde in die Ordens-Konstitutionen, die das General-Kapitel 231. Vgl. Oliger AFH V S. 435; sicher befolgten diese Regel die Klö- ster S. Agnes in Prag und Breslau. 232. Am 25. Okt. 1239 und am 3. Sept. 1243, nochmals wiederholt am 16. Nov. 1257, Ripoll IS. 107, 121, 354; s. o. S. 243f. Anm. 102. 233. Sbaralea IS. 538 n. 219. 234. Auftrag an den deutschen Provinzial vom 6. Juli 1250 (Sbara- lea I S.545 n. 331), die Cura in Paradies zu übernehmen, mindestens vier erprobte Schwestern des Damians-Ordens dorthin zu versetzen und selbst oder durch geeignete Brüder eisdem monialibus celebrare divina et exhi- bere ecclesiastica sacramenta et alia omnia, que in domibus eiusdem ordinis s. Damiani per fratres Minores consueverunt hactenus ezhiberi; die Schlußformel der Bulle: non obstantibus aliquibus statutis vel indul- gentüs seu privilegüs eidem a sede apostolica concessis, per que id impe- diri vel differri possit et de quibus specialem oporteat in presentibus fieri mentionem, setzt die Bulle vom 6. März 1250 für diesen Fall’außer Kraft. 235. Alexander IV. an den deutschen Provinzial und das Provinzial- kapitel in Eßlingen, 8. März 1255: Significastis siquidem mobis, quod dudum nos, tunc Ostiensis et Velletr. episcopus, per nostras vobis duzimus litteras concedendum, quod ezxceptis.. (Straßburg, Konstanz, Ulm, Pful- lingen) claustris ord. s. Damiani aliquorum claustrorum eiusdem ordinis constructorum aut construendorum in Alemannia nullatenus teneamini curam gerere vel habere; Alexander IV. bestätigt diese Zusicherung. > u in Narbonne im Jahre 1260 erließ, eine Bestimmung aufgenom- men, durch die es den Franziskanern ganz ähnlich wie den Dominikanern verboten wurde, sich für die Begründung von Frauenklöstern irgendwie zu betätigen oder sich von religiösen Frauen die Keuschheitsgelübde ablegen oder Gehorsam geloben zu lassen,’” also zur Vermehrung der Frauenklöster und zur Förderung der religiösen Frauenbewegung mitzuhelfen. End- lich hat der Orden wiederholt die Kurie zum Einschreiten gegen Frauen veranlaßt, die sich unter dem Vorwand, Klöster des Ordens von S. Damian gründen zu wollen, päpstliche Kommis- sionsbriefe verschafft hatten, ohne in strenger Klausur zu leben. Da diese sorores minores behaupteten, dem Minoritenorden zu unterstehen, hatten die Bischöfe den Orden für sie verantwort- lich gemacht und es war zu Konflikten gekommen.’” Deshalb ließ sich der Orden zusichern, daß er nur in exempten Klöstern zur Seelsorge verpflichtet sein sollte.?”* Die Beziehungen des Minoriten-Ordens zu den Frauen- klöstern des Ordens von S. Damian, die bereits der franziskani- 236. ALKG VI S. 106: Nullus frater aligqua monasteria monialium vel aligqua habitacula mulierum fieri aliqua ratione procuret nec a muliere votum continentie requirat seu oblatum recipiat aut ad faciendam sibi obedientiam inducat; et quicumque contrafecerit, tribus diebus tantum in pane et aqua jejunet. — Diese Konstitutionen sind 1260 durch Bonaven- tura geordnet und veröffentlicht worden, enthalten aber großenteils Be- schlüsse früherer General-Kapitel, die sich im Einzelnen nicht datieren lassen (Ehrle ALKG VI S.81). Sie wurden in späteren Redaktioren der Konstitutionen wiederholt. 237. Bulle Innozenz’ IV. an Erzbischöfe und Bischöfe der Lombardei, Mark Treviso und Romagna, Sbaralea I S.541 n. 322; s. o. Anm. 167. Dasselbe Schreiben richtet Alexander IV. am 8. Jan. 1257 an Erzbischöfe und Bischöfe der Gascogne und Aquitaniens, Sbaralea II S. 183f. n. 272. Vgl. auch die Bulle Innozenz’ IV. an den Bischof von Salamanca vom 30. Sept. 1250, Sbaralea IS. 556 n. 345, s. o. Anm. 167. 238. Bulle Innozenz’ IV. vom 8. Juli 1252, Sbaralea IS. 619 n. 419 (nach Potthast, Reg. Pont. vom 6. Juni 1253, nach Wadding vom 6. Juni 1252; s. Lempp, ZKG XIII S. 228). Schon am 27. Mai 1248 war dem Provinzial der Mark Ancona das de consilio fratrum minorum er- richtete Kloster S. Proculus in Esino bei Sinigaglia zur Cura überwiesen worden mit der Erklärung: cum asseratur eremptum, Sbaralea IS. 517 n. 279. — 306 — schen Cura unterstanden, blieben aber bei alledem unverändert. Erst als Alexander IV. am 25. Mai 1261 starb — also gerade in der Zeit, als die Kämpfe um das Verhältnis des Dominikaner- ordens zu seinen Frauenklöstern endgültig beigelegt waren — trat die Entwicklung der Beziehungen zwischen dem männlichen und dem weiblichen Ordenszweig in ein neues Stadium. Als die Vereinigung des Protektorats über den Orden von S. Damian und über den Minoritenorden in der Hand des Papstes fortfiel, bedurfte es wahrscheinlich gar keines besonderen Anlasses, um die bis dahin sorgsam überbrückten, aber nicht eindeutig und rechtsverbindlich gelösten Gegensätze zwischen Frauenklöstern und Franziskanern in der Curafrage wieder ausbrechen zu lassen.” Es wurde nicht wieder ein gemeinsamer Protektor für beide Orden ernannt, wie es zuerst Kardinal Hugolin und dann Kardinal Rainald-Alexander IV. gewesen war; sondern jeder Orden erhielt seinen eigenen Protektor. Daraufhin wur- den die Franziskaner aus denjenigen Frauenklöstern, in denen sie dauernd residierten, abberufen, und auch den anderen Frauenklöstern ist die Cura der Franziskaner entzogen worden — der Orden brach also alle Beziehungen zu den Frauenklöstern ab. Der Konflikt verschärfte sich, als der Protektor des Or- dens von S. Damian, Kardinal Stephanus Hungarus, sich durch Urban IV. ermächtigen ließ, die Franziskaner zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen in den Frauenklöstern zu zwingen, wenn nötig unter Verhängung von Kirchenstrafen. Der Protektor des Minoritenordens, Kardinal Johann Gaetano Orsini, erhob da- segen Einspruch, weil dadurch die Rechte und Freiheiten des Ordens beeinträchtigt wurden. Als der Zwiespalt sich ver- schärfte, griff Urban IV. vermittelnd ein und verlangte vom Kardinal-Protektor der Minoriten und vom Generalminister Bonaventura, es solle bis zum nächsten General-Kapitel zu 239. Der einzige brauchbare, aber nicht sehr zuverlässige Bericht über diesen Konflikt bei Philipp von Perugia (AF III S. 710; fast wörtlich ebenso in der Chronik der 24 Generalminister AF III S.329) sagt über den Anlaß nur: accidit, quod fratres ex certis dominarum ordinis s. Damiani temeritatibus, quibus sibi jus ministeriorum ab ordine vindicabant,.. fra- tres ipsi sive ordo ab earum obsequiüs absoluti sunt per dominum Urba- num, adjecta declaratione, quod ordo nullo eis debito tenebatur. = Pfingsten 1263 alles beim Alten bleiben, die Franziskaner soll- ten ihre Verpflichtungen gegen die Frauenklöster wie früher er- füllen; wenn es bis zu dieser Frist nicht zu einer Einigung über die strittigen Fragen käme, dann solle der Orden freie Hand haben, seine Verpflichtungen gegen die Frauenklöster aufzu- kündigen. Andererseits wurde dem Protektor des Frauenordens, Kardinal Stephan, alle Jurisdiktion über die Franziskaner ent- zogen und die ihm erteilte Ermächtigung widerrufen; und von den Frauenklöstern wurden Erklärungen gefordert, daß sie sich an die von Urban IV. vorgeschlagene Regelung halten wollten.?*° Tatsächlich haben manche Frauenklöster solche Erklärungen abgegeben,’ aber eine grundsätzliche Einigung zwischen den beiden Orden und ihren Protektoren wurde bis zum General- Kapitel 1263 nicht erzielt. Folglich hätten die Franziskaner der Erklärung Urbans IV. gemäß nunmehr gegenüber den Frauen- klöstern freie Hand gehabt. Aber in einem Brief an das General- kapitel beschwor der Papst den Orden, seine Beziehungen zu den Frauenklöstern trotzdem nicht zu lösen,?*?” und anscheinend faßte das Kapitel tatsächlich keinen entscheidenden Beschluß.?*? 240. Bulle Urbans IV. an Kardinal-Protektor Johann Gaetan und Bona- ventura vom 19. August 1262, Sbaralea II S. 574f. n. 168 mit dem fal- schen Datum 1264; Berichtigungen und Zusätze zum Text der Bulle gibt Z. Lazzeri AFH III S. 670/74, der den Verlauf dieses Konfliktes gründ- lich untersucht hat (AFH III S. 664 ff. und IV S.74ff.). Aus dieser Bulle sind die oben erwähnten Vorgänge zu erschließen. 241. Vgl. Lazzeri AFH IN S.673 ff. 242. 15. Mai 1263, Lazzeri AFH III S. 671f.; vgl. Sbaralea II S. 578: da das Kapitel über die Frage des Verhältnisses des Ordens zu den Frauenklöstern endgültig beschließen will, universitatem vestram rogamus et hortamur attente, quatenus... sorores easdem habentes in domino commendatas more solito vestre cure presidia ministretis. 243. In einer Aufzeichnung über die Beschlüsse dieses Generalkapitels, ALKG VI S. 37 steht zwar: Ut omnino dimitteretur cura sanctimonialium Damianitarum sive Clarissarum; aber diese Aufzeichnungen sind keine Originalakten, sondern „aus anderweitig bekannten Nachrichten zurecht- gemacht“ (Ehrle), und der erwähnte Beschluß ist wahrscheinlich aus den ungenauen Angaben in der Chronik der 24 Generalminister entnom- men — genau wie der vorhergehende Irrtum, auf dem Kapitel von 1263 sei beschlossen worden, ut peteretur in protectorem ordinis Joh. de Ur- sinis, der damals längst Protektor war. — Z. Lazzeri AFH III S. 676 Se age Vermutlich wurde vielmehr schon damals der Ausweg ange- bahnt, durch den Urban IV. mit diplomatischem Geschick der Sache eine andere Wendung gab: der Protektor des Minoriten- ordens, Kardinal Johann Gaetano Orsini, wurde am 14, Juli 1263 auch zum Protektor des Ordens von S. Damian ernannt.?** Er hat es, nachdem die beiden Ämter wieder in einer Hand ver- einigt waren, verstanden, den Konflikt vorsichtig beizulegen. Er wandte sich zunächst an den Ordensgeneral Bonaventura und veranlaßte ihn, Visitatoren für die Frauenklöster zu ernennen.” Bonaventura erklärte sich dazu bereit unter der Bedingung, daß die Frauenklöster, in denen der Orden die Visitation und die Seelsorge übernehmen sollte, zuvor öffentliche Erklärungen ab- gaben, daß der Orden zu diesen Leistungen in keiner Weise rechtlich verpflichtet sei und daß ihm niemals eine bindende Verpflichtung daraus erwachsen könne.’ Der Orden setzte also durch, daß künftig die franziskanische Seelsorge und Visita- tion in den Frauenklöstern nur als freiwillige, durch keine recht- mäßige Verpflichtung erforderte Leistung gelten durfte. Den Frauenklöstern aber blieb bei Anerkennung dieser Rechtslage tatsächlich die Seelsorge und die Visitation der Minoriten er- halten. Der damit geschaffene Zustand mußte aber eine Änderung der Regel des S. Damians-Ordens nach sich ziehen. Denn in glaubt wahrscheinlich mit Recht aus den weiteren Ereignissen schließen zu dürfen, daß 1263 auf dem Generalkapitel keine Entscheidung getroffen wurde. 244. Sbaralea II S. 474f.n. 72. 245. Vgl. AFH IV S. 81. 246. Die forma instrumenti publici seu lilterarum nostre libertatis, welche die Frauenklöster zu unterschreiben haben, steht im Brief Bona- venturas an den Visitator monialium Tusciae vom 29. Sept. 1263, AFH. III S. 679, ebenso in einem Brief des Kardinal-Protektors Johannes an die Frauenklöster in Toscana vom 11. Dez. 1263, AFH IV S. 80: Recognosei- mus, quod ordo fratrum minorum vel fratres eiusdem ordinis nobis seu monasterio nostro seu personis in eo degentibus ad obsequia seu ministe- ria echibenda aliquatenus ext debito non tenentur; die Frauenklöster dür- fen auf die de facto seu liberalitate sua vel mera gratia geleisteten Dienste der Franziskaner niemals einen rechtmäßigen Anspruch erheben oder um ihretwillen gegen den Orden Klage führen. 2: der Regel von 1247 war die Verpflichtung der Franziskaner zur Seelsorge und Visitation rechtlich festgelegt, und das war mit den neuen Vereinbarungen nicht verträglich. Deshalb wurde in einer neuen Fassung der Regel, die Urban IV. am 18. Oktober 1263 bestätigte,’ die Cura monialium dem Ordensprotektor übertragen. Zugleich wurde aber bestimmt, daß das Protek- torat über den Frauenorden und den Minoritenorden immer in einer Hand liegen müsse. Der Protektor hat geeignete Visita- toren anzustellen und für die Ausübung der Seelsorge in den Frauenklöstern zu sorgen — in erster Linie durch Franziskaner, aber es ist nicht rechtmäßig bestimmt, daß es Franziskaner sein müssen; der Protektor kann auch andere damit betrauen. In allen anderen Punkten weicht die neue Regel kaum von der durch Innozenz IV. im Jahre 1247 geschaffenen Regel ab; nur der Name des Ordens von S. Damian wurde jetzt, nach dem Tode der heiligen Klara, in die offizielle Bezeichnung Ordo sanctae Clarae umgeändert. Diese neue Regel ist dann nach manchen Widerständen von den meisten Klarissenklöstern angenommen worden;””* nur S. Damian und einige wenige Klöster befolgten auch weiterhin die Regel Klaras, und einige französische Klöster nahmen eine andere Regel an, die um 1254 von Isabella, der Schwester Lud- wigs des Heiligen von Frankreich, mit dem Rat von fünf fran- ziskanischen Theologen für das von ihr begründete Kloster Lonschamps bei Paris ausgearbeitet worden war.’ Die seit langem bestehenden Beziehungen zwischen Fran- ziskanern und Frauenklöstern hatten sich also durch diesen Konflikt tatsächlich nicht verändert.” Der Orden hatte nur 247. Sbaralea II S. 508 ff. 248. Vgl. Oliger AFH VS. 442. 249. Sbaralea II S. 477 in der Bestätigungsbulle Urbans IV. vom 27. Juli 1263; die vorhergehende Bestätigung durch Alexander IV. ist nicht erhalten; vgl. Oliger AFH V S.436 ff. Klosterbesitz erlaubt die Regel. Visitation und Seelsorge überträgt sie den Franziskanern, verpflichtet sogar franziskanische Confessores zu dauerndem Aufenthalt in. den Frauenklöstern: Confessores earum ac socii eorumdem sint de ordine fra- trum minorum ibi commorantes. 250. Vgl. den Brief des Kardinal-Protektors an den oberdeutschen Pro- vinzial vorm 10. Febr. 1268, ed. Delorme AFH VS. 48ff, — 310 — das formal-rechtliche Zugeständnis erwirkt, daß seine Leistun- gen gegenüber den Frauenklöstern nicht auf rechtskräftigen Verpflichtungen, sondern auf freiwilliger Bereitschaft des Or- dens beruhten. Er hatte auf diese Feststellung zweifellos des- halb so viel Wert gelegt, um sich die Möglichkeit einer ver- änderten Haltung für die Zukunft offen zu halten. Es bedurfte in der Tat in der folgenden Zeit, da eine endgültige rechtliche Regelung nicht zustande gekommen war, immer wieder neuer Verhandlungen und Abmachungen, um den bestehenden Zu- stand aufrecht zu erhalten. Solange das Protektorat des Jo- hannes Gaetanus währte, ist dem Orden immer wieder bestätigt worden, daß er nicht rechtlich zur Cura monialium verpflichtet sei; andererseits hat sich der Orden trotz einigen Widerstrebens immer wieder zur Durchführung seiner „freiwillig übernomme- nen” Aufgaben in den Frauenklöstern bereit finden lassen.” Je länger sich dann die tatsächlichen Beziehungen des Ordens zu den Frauenklöstern unverändert erhielten, befestigten und bewährten, je weniger an ihre Aufhebung zu denken war, um so bedeutungsloser wurde jener rechtliche Vorbehalt des Or- dens. Am Ende des 13. Jahrhunderts wurde er dann ganz fallen gelassen, ohne daß die Minoriten weiteren Einspruch da- gegen erhoben hätten. Bonifaz VIII. erneuerte am 4. Juni 1296 die Bulle, durch die zuerst Innozenz IV, 1246 die Franziskaner zu Visitation und Seelsorge in den Frauenklöstern verpflichtet hatte,” und am 8. April 1297 übertrug der neue Kardinal-Pro- 251. 1276 bittet der Kardinal-Protektor den neuen General-Minister Hieronymus von Ascoli und das Generalkapitel in Lyon, uZ fratres non ex debito, sed sui amore obsequüs insisterent sororum sancte Clare. Quod multum dicto generali et ordini fuit grave, s. Analecta Franeiscana III S. 359; es wurde aber bewilligt unter der Voraussetzung, daß die Klarisseu- klöster wie üblich das Instrumentum libertatis (s. o. Anm. 246 unterzeich- neten. — Das General-Kapitel von 1277 beschloß, dem Wunsche des Pro- tektors folgend, guod serviatur dominabus sancti Damiani modo consueto er mandato domini papa usque ad sequens capitulum generale, s. A. G. Little, Engl. Hist. Review XIII, 1898, S. 707; vgl. AFH VII S. 681; ALKG VI 8.47£.; AF II S.89. Vgl. dazu auch die Vita Nicolai IV. des Hieron. Rubeus, zitiert bei Z. Lazzeri AFH IV S.91. 252. Sbaralea IV S.396 n. 70 wiederholt die Bulle Innozenz IV. vom 12. Juli 1246 (s. o. S. 277) und fährt fort: mandamus, quatenus omnia — 31 — tektor Matteo Rosso Orsini dem General und den Provinzialen des Minoritenordens wieder in aller Form die Cura-Pflicht in allen Klarissenklöstern und gab zugleich den Auftrag, die An- nahme der Klarissen-Regel von 1263 in allen Klöstern durchzu- setzen, in denen sie noch nicht erfolgt war.” Neue Verhält- nisse wurden dadurch nicht geschaffen. Die seit langem be- stehenden Zustände wurden nur als rechtsverbindlich erklärt. Der Einspruch und Vorbehalt des Franziskanerordens gegen diese Verpflichtungen war wirkungslos geworden, In beiden Bettelorden sind also im Laufe des 13. Jahrhun- derts alle Versuche gescheitert, sich der Verpflichtungen gegen- über den Frauenklöstern zu entziehen. Die religiöse Frauen- bewegung und ihr Verlangen nach organisatorischer Leitung und Seelsorge durch die Orden hatte sich als mächtiger erwiesen als die ablehnende Politik der Bettelorden. Die Frauen haben zum größten Teil erreicht, was sie wollten. Die Gegenmaß- nahmen der Bettelorden waren erfolglos geblieben. Und die zur Vermittlung berufene Kurie, von Anfang an auf die Ein- gliederung der Frauengemeinschaften in die neuen Orden be- dacht, vorübergehend aber auch durch die Gegenargumente der Orden zu einer anderen Politik veranlaßt, hat schließlich den Wünschen und Bedürfnissen der religiösen Frauengemeinschaf- ten Rechnung tragen und die Bettelorden gegen ihren Willen dazu zwingen müssen, die organisatorische und geistliche Lei- tung der Frauenklöster zu übernehmen, Um 1300 war end- gültig ein Zustand erreicht, der in seiner Vielfalt, vor allem im Klarissenorden, die Spuren langer wechselvoller Auseinander- setzungen noch an sich trug. Die selbständige drängende Be- wegung unter der religiösen Frauenwelt war großenteils in die festen Formen des kirchlichen Ordenslebens eingefügt, so sehr sich auch die Bettelorden dagegen gesträubt hatten, diese schwierige Aufgabe zu übernehmen. Es blieb jedoch geschicht- lich bedeutsam, daß die religiöse Frauenbewegung nicht von premissa, etiamsi eedem littere de cetero nullatenus apparerent, circa pre- fata monasteria et eorum personas, sive ordinis s. Clare sive s. Damiani sive Minorisse (!) dicantur, exequi diligenter et sollicite studeatis, 253. Sbaralea IV S. 431ff. n. 114. — 312 — sich aus, sondern von außen her, durch politische Maßnahmen der Kurie und der Bettelorden ihre organisatorische Gestaltuns gewonnen hatte. Denn das hatte zur Folge, daß einerseits ver- hältnismäßig große Teile der religiösen Frauenbewegung in diese Organisationsformen nicht mit einbezogen wurden, sondern ihren eigenen Weg weiter suchen mußten und dabei der Ver- suchung zu häretischer Schwärmerei ausgesetzt blieben; daß andrerseits aber die von den Bettelorden organisierten religiö- sen Frauenkreise in diesem Ordensleben kein volles Genügen für ihre religiösen Bedürfnisse fanden und dadurch auf den „Weg nach innen” gewiesen wurden, der von der evangelischen, apostolischen Armut zur inneren, geistlichen Armut, von dem äußeren Verzicht zu der inneren Gelassenheit, von der religiö- sen Armutsbewegung zur Deutschen Mystik führte. 7. Statistische Angaben über die Frauen- klöster der Bettelorden im 13 Jahrhundert. Einige Mitteilungen über die Anzahl der Frauenklöster, die im 13, Jahrhundert den beiden Bettelorden angegliedert wur- den, und über die Anzahl der Schwestern, die in diesen Klö- stern lebten, mögen diese Untersuchungen ergänzen und auch zahlenmäßig ein Bild von der Bedeutung der religiösen Frauen- bewegung geben, soweit sie in diese Bettelordens-Klöster ein- gegangen ist. Der Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen Orden, Kurie und Frauenklöstern zeigt, daß für den Dominikanerorden die deutschen, für den Minoritenorden dagegen die Frauen- semeinschaften und Nonnenklöster Italiens und der anderen romansichen Länder im Vordergrund stehen. Einem domini- kanischen Klosterverzeichnis vom Jahre 1277 zufolge unter- standen dem Orden damals insgesamt 58 Frauenklöster; davon gehörten 40 zur deutschen Ordensprovinz, die übrigen 18 ver- teilen sich auf die 11 anderen Provinzen.?”* Brüderkonvente be- 254. Spanien 2, Frankreich 4 (zuerst Montargis; das nächste, Rouen, erst 1263!), Provence 1 (Prouille), Lombardei 3, Rom 3, Poien 2, Ungarn 2, Dacien 1; in den Provinzen Griechenland, England und Terra Sancta be- standen noch keine Frauenklöster. Vgl. Qu6tif-Echard, Script. Ord — 313 — standen damals in der deutschen Provinz 53, im ganzen Orden 414! — Im folgenden Jahrzehnt hat sich die Zahl der deutschen Frauenklöster unter dominikanischer Leitung noch bedeutend erhöht. Für 1287 gibt der Provinzialprior Hermann von Minden die Zahl 70 an.” — Im Jahre 1303, nach der Teilung Deutsch- lands in zwei Ordensprovinzen (Teutonia und Saxonia), zählt ein Klosterverzeichnis 74 deutsche Frauenklöster auf (65 in Teutonia, 9 in Saxonia); es gehörten aber nachweislich damals noch 7 weitere Klöster zum Orden?’ die das Verzeichnis nicht nennt. Insgesamt gehörten dem Orden 1303 diesem Verzeich- nis zufolge 141 Frauenklöster an,’ also noch immer in den bei- den deutschen Provinzen mehr als in den übrigen 17 damais be- stehenden Provinzen zusammen. Neben 65 Frauenklöstern der Provinz Teutonia nennt das Verzeichnis nur 46 (48) Männer- konvente, Dem Franziskanerorden dagegen waren noch im Jahre 1255 nur vier,” am Ende des Jahrhunderts neben 60 Minoritenkon- venten nur 18 (oder 19) Frauenklöster in der oberdeutschen Provinz unterstellt.” Auf dem General-Kapitel des Jahres 1316 in Neapel wurde eine Übersicht über die Anzahl der Klö- ster in allen Ordensprovinzen vorgelegt. Die drei deutschen Provinzen haben damals neben 203 Männerklöstern 40 Frauen- Praed. I S.1; H. Wilms, Gesch. der deutschen Dominikanerinnen S. 48 und Verzeichnis S. 5; Baur, FDA N.F. II S. 77; Mandonnet, Catholic Encyclopedia XII S. 369. 255. Finke, Dominikanerbriefe S. 46. 256. Wilms, Verzeichnis S. 75ff. führt außerdem 8 Klöster auf, die vor 1303, damals aber schon nicht mehr dem Orden unterstanden; und Ss. 79ff. 7 Klöster, die damals schon bestanden, aber erst in den nächsten Jahren dem Orden unterstellt wurden. 257. So Wilms, Gesch. S. 46; Denifle, ALKG II S. 643 zählt 160. Das Verzeichnis (bei Qu&tif-Echard I S.IVff.; bei Martöne, Am- pliss. Coll. VI S.539) ist nicht immer eindeutig. Die 2 spanischen Pro- vinzen haben 8, die 4 italienischen Provinzen 41 Frauenklöster, Ungarn 3, Deutsch-Österreich 8. 258. S. o. S. 304 mit Anm. 235. 259. Eubel, Gesch. der oberdeutschen Minoritenprovinz S. 12f, nati o morti in Bologna I, 1773, S. 229 Anm. 4, — 314 — klöster,?° die sämtlichen Provinzen Italiens neben 567 Männer- klöstern 198 Frauenklöster; die fünf Provinzen im Gebiet des heutigen Frankreich neben 247 Männerklöstern 47 Frauen- klöster. Diese Angaben gewinnen an Interesse, wenn man ihnen die Hinweise auf die Anzahl der Nonnen in einzelnen Klöstern hin- zufügt.”” Für die deutschen Klarissenklöster stehen allerdings vergleichbare Zahlen nicht zur Verfügung, für italienische nur in wenigen Fällen: im Jahre 1238 sollen im S. Damians-Kloster in Assissi 50 Schwestern gelebt haben, 1236 sind in S. Apolli- naris in Mailand 40 Schwestern bezeugt,’ 1264 in Monticelli bei Florenz 55, 1262 in S. Maria de Marca bei Castello Fioren- tino nur 17,?°* Reichlicher und interessanter sind die Angaben über die Anzahl der Nonnen in Dominikanerinnen-Klöstern. In Prouille, der ersten Gründung des Dominikus, glaubte der General Hum- bert von Romans im Jahre 1258, als die zulässige Höchstzahl nach Maßgabe des verfügbaren Kloster-Einkommens festgestellt wurde, die Anzahl der Schwestern vermindern und auf 100 be- schränken zu müssen.’ Sein Nachfolger Johannes von Vercelli 260. Nach einer um 1325 geschriebenen anonymen Chronik eines Basler Franziskaners, ed. L. Lemmens, Röm. Quartalschr. XIV S. 255: Aleman- nia superior 54 Männer, 22 Frauen; Saxonia 100 Männer, 15 Frauen; Colo- nia 40 Männer, 3 Frauen. — Wauer, Entstehung und Ausbreitung des Klarissenordens S. 70ff. kann in den 3 deutschen Franziskanerprovinzen im 13. Jahrh. nur 25 Klarissenklöster nachweisen. 261. Am meisten in den mittelitalienischen Provinzen; Tuscia: 50 Män- ner, 22 Frauen; Roma: 49 Männer, 22 Frauen; Provinz S. Francisci 66 Män- ner, 32 Frauen; Provinz $. Angeli Custodis 22 Männer, 20 Frauen; Marchia 88 Männer, 20 Frauen. 262. In den westfäl. Zisterzienserinnen-Klöstern lebten nach J. Linne- borns Berechnung (Festgabe für H. Finke 1904 S.336 f.) durchschnittlich mindestens je 30 Nonnen. — Die Zahl der Prämonstratenserinnen in Bonoeil, wohin die ursprünglich in Premontr& lebenden Nonnen nach mehr- fachem Wechsel ihres Aufenthalts übersiedelt waren, wurde 1240 auf 20 begrenzt; s. C.L.Hugo, Annales I Sp. 39. 263. AFH XVII S. 364. 864. Lazzeri AFH III S.675 und 673. 265. Guiraud, Cartulaire I S.255 n. 204: ordinamus, quod numerus sororum ibi sit centenarius, ita quod ultra non possit aliqua recipi vel — 35 — konnte diese Zahl 1287 auf 160 erhöhen, weil sich inzwischen die wirtschaftliche Grundlage des Klosters verbessert hatte.?°* Allerdings war Prouille bis zum Ende des 13. Jahrhunderts das einzige Dominikanerinnen-Kloster in der Provence. — In S. Sisto in Rom soll die Zahl der Schwestern noch zu Lebzeiten des Dominikus auf 104 gestiegen sein.” In S. Agnes in Bologna sind 1237 50 Schwestern bezeugt.’” Für die gleiche Zahl wurde das erste (und bis 1263 einzige) Dominikanerinnenkloster Nord- frankreichs, Montargis, eingerichtet.?‘® Weitaus erstaunlicher sind aber die Zahlen der deutschen Frauenklöster, die oft nahe beieinander und meist außerhalb der großen Städte lagen. 1237 stellte Gregor IX. fest, daß in den fünf neu errichteten Frauenklöstern Straßburgs nahezu 300 Frauen lebten, obgleich von den Einkünften der Klöster kaum 100 ausreichend unterhalten werden könnten!?’° 1245 leben in Adelhausen bei Freiburg 70 Schwestern adliger Herkunft;?"" in Kirchberg bei Sulz sind es schon 10 Jahre nach der Entstehung des Klosters (also um 1240) mehr als 60, am Ende des Jahr- hunderts 80 Nonnen;”'* das Kloster Medingen hat 1260 über 70 Schwestern und muß wegen dieser Überfüllung ein Tochter- concessio aliqua per litteras vel sub litteris de recipiendis fieri, ante numeri diminutionem predicti, nisi forte magister ordinis, qui pro tempore fuerit, et adauctis facultatibus domus, sororum numerum duzerit adau- gendum. 266. Ib. S. 260 n. 210; 1294 verlangte der General Stephan von Besangon die Innehaltung dieser Höchstzahl; auch von den jam receptis verbo, pro- visione et litteris darf keine eingekleidet werden, solange die Höchstzahi nicht unterschritten ist; s. ib. S. 264f. n. 213. 267. Danzas, Etudes IV S. 255. 268. G. Melloni, Atti e Memorie degli uomini illustri in santitä... nati o morti in Bologna I S.229 Anm. 4. 269. S. o. S. 247 Anm. 110. 270. 19. Dezember 1237, Straßburger Urk.-B. IV, 2 S. 53f. n. 51. 271. S. die Angaben des Dominikanerchronisten Johannes Meyer, FDA XII S. 134 Anm. und 136; ebenso 8. Dietlers Gebweiler Chronik ed. Schlumberger S. 11. 272. Kirchberger Nonnenbuch, ed. F.W.E. Roth, Alemannia XXI S. 117; Ph. Strauch ib. S.16 mit Verweis auf F. Petrus, Suevia ecclesia- stica S. 459 ff.; Beschreibung des Oberamtes Sulz, S. 234 f.; Das Königreich Württemberg III S. 399, — 316 — kloster in Obermedlingen errichten.” Ötenbach ist von 64 Schwestern im Jahre 1237 — drei Jahre nach dem ersten An- fang des Klosters! — auf 120 Schwestern im Jahre 1285 ange- wachsen.”’* Die Frauenklöster selbst suchten diesen enormen Zustrom einzudämmen und sich gegen die Aufnahme weiterer Schwestern zu sperren.?"° Vor allem aber griff der Dominikaner- orden ein, als er die Leitung und Seelsorge der Frauenklöster endgültig übernahm, und beschränkte die Anzahl der Schwe- stern so weit, daß aus dem verfügbaren Klosterbesitz jede ein bestimmtes Auskommen haben sollte. Die Höchstzahlen, die damals auf Anordnung des Generals für die deutschen Frauen- klöster festgesetzt wurden,?’® sind leider nicht bekannt. Wir wissen nur, daß sie in den meisten Klöstern auch in den folgen- den Jahrzehnten nicht eingehalten wurden,?" weil die vorhande- nen Klöster und die in ihnen festgesetzten Höchstzahlen für den Andrang religiöser Frauen nicht ausreichten. In Marienthal bei Mersch (Luxemburg) lebten 1299 nahezu 120 Nonnen)?” in Wederstede um 1303 über hundert. Daß diese Zahlen bei wei- tem das Maß überschritten, das der Wirtschaftskraft der Klö- ster entsprochen hätte, ergibt sich daraus, daß später die Höchstgrenze aufs neue und allgemein viel niedriger festgesetzt wurde.”’* Ötenbach ist das beste Beispiel, weil sich da der wirkliche Bestand mit der festgesetzten Normalzahl vergleichen läßt: 1285 lebten dort 120 Schwestern; 1310 aber erklärte der Provinzialprior Egnolf von Stoffen, aus dem Besitz und Ein- 273. AOP IV S.560. 274. Zürcher Taschenbuch N.F. XII S. 222 und 235. 275. Vgl. die Bullen Innozenz’ IV. für S. Markus in Straßburg vom 29. März 1249, für S. Johannes und S. Katharina in Straßburg vom 8. Sept. 1249; Urk.-B. Straßburg I S. 245 n. 329. 276. S. o. S. 3001. 277. Der deutsche Provinzial Hermann von Minden (1286/90) schreibt in einem Brief (ALKG II S. 650): Quia numerum statutum sibi a magistro ordinis sunt plurimum supergresse, ipsas inducite, quod sistant et retroce- dant, donec per sororum obitus priores limites attingantur. 278. Werveke, Cartulaire du Prieur& de Marienthal S.218 n. 242. 279. Für das 1264 gegründete St. Agnes-Kloster in Freiburg setzt der Provinzial Hermann von Minden 1284 die Höchstzahl auf 40 Schwestern fest; s. Römische Quartalschr. XXXIN S. 167. — 317 — kommen des Klosters könnten sich nur 60 Schwestern ausrei- chend erhalten. Aber in Oetenbach lebten auch damals noch viel mehr Nonnen, und der Provinzial stellte daher ein förm- liches Abbau-Programm auf, nach dem die Zahl vermindert wer- den sollte: erst wenn zwei Schwestern gestorben sind, darf künftig jeweils eine neue aufgenommen werden, bis der Kon- vent auf 60 Mitglieder gesunken ist.” Höhere Zahlen sind wohl nur in wenigen Klöstern zugelassen worden, in den meisten wurde die Höchstzahl noch niedriger angesetzt.” Diese Zahlen sprechen, wenn man sie zu lesen versteht, nicht nur über das äußere Ausmaß der religiösen Frauenbewegung im 13, Jahr- hundert, sondern auch über ihr Wesen und über das innere Leben der Frauenklöster. Trotz der ungenügenden wirtschaft- lichen Grundlage der Klöster konnten sie die Menge der Frauen. die in ihnen leben wollten, kaum fassen. Mit den Mitteln, die nach sorgfältigen Erwägungen in der Mitte des 13. und im An- fang des 14. Jahrhunderts einer bestimmten Anzahl von Nonnen einen gerade ausreichenden Lebensunterhalt gewähren konnten, ja wahrscheinlich mit noch geringeren Mitteln führten in der großen Frühzeit der religiösen Bewegung oft doppelt so viele Schwestern ihr freiwillig entbehrungsreiches Leben. Sie liebten die Armut, die wirkliche harte Armut, die erst später in den wohlausgestatteten Frauenklöstern zur „geistlichen Armut“ umgedichtet und „verinnerlicht wurde. Sie sahen den Sinn ihres Daseins darin, unter Verzicht auf alle Güter der Welt aus eigener Kraft und in der Gemeinschaft von Gleichgesinnten sich ein Leben zu formen, das nur den religiösen Zielen galt. Sie hatten eine Aufgabe gefunden für ihre geistigen und seelischen Kräfte, eine Aufgabe außerhalb der gesellschaftlichen Welt, in 280. Urk.-B. Zürich VIII S. 317 n. 3056 vom 12. Aug. 1310. 281. In Himmelskrone bei Worms beschränkt der Provinzial Egnolf von Stoffen 1307 die Anzahl der Nonnen auf 52, s. H. Boos, Urk.-B. der Stadt Worms II S. 31f. n. 47. In S. Gertrud in Köln wurde sie zwischen 1316 und 1323 auf 46 festgesetzt. Das Kloster Weil bei Eßlingen soll 1362 auf 70 Nonnen beschränkt worden sein (Bihlmeyer, Württ. Vierteljahrsh. N.F. XXV S.63f.), aber 1448 über 130 Schwestern gehabt haben (Mem- minger, Württ. Jahrb. II, 1819, S. 194). — 318 — deren Treiben die Frauen dieser Gesellschaftsschichten bis dahin verflochten waren, ohne sich selbständig in ihr entfalten zu können: Sie hatten den Sinn für dieses gesellschaftliche Treiben verloren, als sie ergriffen wurden von dem religiösen Sinn der Armut und der Keuschheit. Darin liegt der wesent- liche Gehalt der religiösen Frauenbewegung des 13. Jahr- hunderts. VI. Die Beginen im 13. Jahrhundert. Die Frauenklöster des Zisterzienserordens, der Domini- kaner und Franziskaner waren trotz ihrer erstaunlich großen Zahl und trotz ihrer Überfüllung nicht imstande, alle von der religiösen Bewegung ergriffenen Frauen in sich aufzunehmen und dem Ordensleben einzufügen. Wie wir gesehen haben, war es den religiösen Frauengemeinschaften nur unter besonderen Voraussetzungen möglich, die Anerkennung als selbständiges Kloster und den Anschluß an einen Orden zu finden. Alle Or- den nahmen nur solche Klöster und Gemeinschaften in ihren Verband auf, die vermögend genug waren, um alle ihre Mit- glieder bei strenger Klausur aus eigenen festen Einkünften er- halten zu können und nicht auf Almosen angewiesen zu sein. Nur wenn religiöse Frauengemeinschaften einen Stifter fanden, der ihnen einen genügenden Grundbesitz zur Verfügung stellte, oder wenn sich ihnen reiche Frauen anschlossen, die dem Klo- ster größere Vermögenswerte einbrachten, konnten sie die An- erkennung als Kloster und die Aufnahme in einen Orden er- reichen, und es bedurfte überdies meist noch einflußreicher Be- ziehungen, um die Inkorporation mit Erfolg zu betreiben. Seit die Dominikaner die Leitung der ihnen unterstellten Frauen- klöster endgültig übernommen hatten, stand infolge der fast überall herrschenden Überfüllung sogar ausdrücklich nur sehr einflußreichen oder sehr vermögenden Frauen der Eintritt in diese Klöster offen. Für sehr viele Frauen, die sich zum religiösen Leben in frei- williger Armut und Keuschheit entschlossen hatten, waren diese Bedingungen nicht erfüllbar, war deshalb der Eintritt in ein Ordenskloster verschlossen. Aber der Zusammenschluß zu frommen Gemeinschaften war ihnen 1216 durch Honorius III. ausdrücklich erlaubt worden, und obgleich es eine offene Frage blieb, wie diese Erlaubnis mit dem Konzils-Erlaß von 1215 ver- — 3220 — einbar war, der neue Formen der vita religiosa verbot, so waren doch zunächst jedenfalls religiöse Frauengemeinschaften, die kein reguliertes Kloster bildeten und keinem Orden angehörten, von der Kirche zugelassen. Für diese Frauen hat sich in den vierziger Jahren des 13. Jahrhunderts überall in Europa der Name Beginen eingebürgert. Das Beginentum ist also nicht eine absichtlich und planvoll geschaffene Sonderform des religiösen Lebens, sondern das Er- gebnis der religiösen Frauenbewegung, soweit sie nicht Auf- nahme fand in den neuen Orden. Einzelne Versuche zur Or- ganisierung dieser Frauengemeinschaften außerhalb der großen Orden sind zwar von anderer Seite gemacht worden. Aber nur in einem Fall hatten sie ein entscheidendes Ergebnis. Ein als Kreuzzugsprediger wirkender Hildesheimer Stiftsherr namens Rudolf hat einen besonderen Zweig der religiösen Frauen- bewegung in Deutschland zu einem Orden zusammengefaßt, dem er schon 1227 die päpstliche Anerkennung erwirkte, Dieser Ordo sororum poenitentium beatae Mariae Magdalenae — die „KReuerinnen‘, wie sie in Deutschland heißen — umfaßte haupt- sächlich, aber keineswegs ausschließlich gefallene Mädchen, die sich zum religiösen Leben in Keuschheit und Armut bekehrten. Er ist, dem Ordenserlaß von 1215 gemäß, auf eine alte appro- bierte Ordensregel verpflichtet worden, zuerst auf die Benedik- tiner-Regel und die Zisterzienser-Institutionen, fünf Jahre nach seiner Entstehung aber auf die Regel Augustins und die Kon- stitutionen von S. Sisto in Rom. Seine Anerkennung als selb- ständiger Orden verdankte er den Bemühungen seines Gründers Rudolf von Hildesheim." Als Förderer der religiösen Frauen außerhalb der Orden sind auch andere Männer aufgetreten, wie schon im Anfang der Bewegung in Belgien Jakob von Vitry, Johannes von Nivelles und Johannes von Lier, wie später Jakob Pantaleon, der als Lütticher Erzdiakon eine Regel für die Be- ginen in der Stadt und der Diözese Lüttich verfaßte,? oder Ma- 1. Vgl. A. Simon, L’ordre des PEenitentes, 1918. 2. Der spätere Papst Urban- IV. (1261/64); s. J. Greven, Anfänge S. 211. Er war seit 1234 Kanoniker in St. Lambert in Lüttich, 1243 Erz- diakon. — 21 — gister Rainer, Erzdiakon in Tongern, der um 1243 conservator et custos begginarum in Tongern war,’ oder der Osnabrücker Domherr Johannes im Erzbistum Köln.* Aber die Bemühungen solcher Männer sind nirgends über eine Förderung und Unter- stützung der Beginengemeinschaften in begrenzten Gebieten hinaus gediehen. Sie haben das Beginentum weder zu einem organisatorischen Ganzen mit gemeinsamer Regel zusammen- gefaßt noch ihm die Anerkennung als selbständige Ordensforn verschafft. Infolgedessen bildete das Beginentum eine seltsame Zwischenform zwischen den kirchlichen Ordnungen dieser Zeit, nicht eigentlich zu dem Mönchsstand der Religiosi gehörend, da es kein approbierter Orden war, aber auch nicht zu dem Laien- stand der Saeculares, da die Beginen das saeculum verließen, Keuschheit gelobten und in Gemeinschaften eine vita religiosa führten, die nicht nur durch die Erlaubnis Honorius’ III. zuge- lassen war, sondern auch durch Schutzbriefe und Privilegien von Päpsten, Legaten und Bischöfen als zu Recht bestehend anerkannt wurde, auch durch besondere Hausregeln der einzel- nen Gemeinschaften organisiert war, deren Befolgung alle Mit- slieder geloben mußten. Diese Zwitterstellung des Beginentums zwischen den kirch- lichen Ordnungen ist ihm zum Verhängnis geworden. Sie hat nicht nur zur Folge gehabt, daß sich das Urteil der Zeitgenossen nach kurzer Zeit gegen diese Erscheinung wandte, die sich dem System der kirchlichen Stände nicht einfügte; sondern sie hat 3. Vgl. J. Greven, Anfänge S. 212; Nimal, Les beguinages S. 28: 1253 wurde er vom Kardinal-Legaten Hugo von St. Cher mit dem officium visitationis et reformationis im Bistum Lüttich betraut zwecks Durch- führung der Reformstatuten des Legaten; später war er Scholaster in Ton- gern und provisor in spiritualibus des Bischofs in Lüttich, der ihm 1266 die Aufsicht und Leitung der Beginen und Begarden seines Bistums über- trug (vgl. unten Anm. 40a); im folgenden Jahr starb er und hinterließ testamentarisch Schenkungen für 17 Beginenhäuser; s. J. Paquay, Re- gesta de Renier, &colätre de Tongres (Bulletin de Il’Institut arche&ol Liegeoiss XXXV, 1905, S. 1ff.); vgl. Analectes pour servir & l’hist. eceles. de la Belgique XX S.125ff. Wahrscheinlich stammt von diesem Magister Rainer die im Jahre 1271 von Herzog Johann I. von Brabant be- stätigte Regel der Brüssler Beginen; ss. Miraeus, Opera hist.-dipl. II S. 1006. 4. Vgl. Archiv f. Kulturgesch. XXI S. 307 ff. — 32 — auch tatsächlich den Verfall des Beginenwesens verschuldet, seine Zersetzung durch moralische Mißstände und häretische Neigungen. Die Grundüberzeugung der mittelalterlichen Kirche, daß religiöse Lebensformen weiter Kreise, besonders aber bei Frauen, auf die Dauer nur durch strenge Ordenszucht und be- stimmte geregelte Formen gegen den Einbruch sittlicher, religiö- ser und dogmatischer Gefahren gesichert werden könne, hat ge- rade an der Geschichte des Beginentums ihre deutlichste Be- stätigung gefunden. Aus den Urteilen der Zeitgenossen, aus Verfügungen von Provinzialsynoden, aus päpstlichen Bullen und anderen Maß- nahmen zur Ordnung des Beginenwesens ergibt sich ein in den wesentlichen Zügen übereinstimmendes Bild von der Entwick- lung des Beginentums im 13. Jahrhundert. Im Anfang hatte es Jakob von Vitry als die große neue Hoffnung in der Kirche, als Verheißung eines neuen Aufschwungs der christlichen Frömmig- keit gepriesen.° Ungefähr in derselben Zeit, als er in seiner Beginenpredigt diese neue Form des religiösen Lebens rühmte, erklärte auch ein gelehrter und bedeutender englischer Franzis- kaner, der spätere Bischof von Lincoln Robert Grosseteste, die Lebensweise der Beginen, die nicht wie die Bettelmönche von Almosen, sondern von eigner Handarbeit leben, für die höchste Stufe christlicher Vollkommenheit, den höchsten Grad christ- licher Armut,° und nicht lange danach stellte auch der Pariser Theologe Robert von Sorbonne den Beginen das Zeugnis aus, sie würden besser als mancher gelehrte Magister, Jurist und 5. 8. 0. 8. 170£f. 6. Thomas von Eceleston, De adventu fratrum minorum in Angliam ed. A. G. Little S. 123f. (auch MG Ser. XXVIII S.558): Cum dominus Lincolniensis sancte memorie, tunc temporis actu legens apud fratres minores Oxonie, predicasset in capitulo fratrum de paupertate et men- dicitatem posuisset in scala paupertatis proximum gradum ad amplezum celestium, seorsum tamen dızit ei (einem fr. Wilhelm von Nottingham), quod adhuc fuit quidam gradus superior, scilicet vivere ex proprio labore; unde dixit, quod Begine sunt perfectissime et sanctissime religionis, quia vivunt proprüs laboribus et non onerant exactionibus mundum. — Robert Grosseteste war von c. 1229—1235 Lektor der Franziskaner in Oxford und wurde dann Bischof in Lincoln; f 1253. — 323 — Theologe beim jüngsten Gericht Rede zu stehen wissen.” Seit der Mitte des Jahrhunderts erscheint aber plötzlich das Be- ginentum im Urteil der Zeitgenossen in einem ganz andern Licht. Dabei ist allerdings zu beachten, daß der Mann, der für diese veränderte Beurteilung des Beginentums den Ton angab, kein unbefangener Beobachter der wirklichen Zustände war. Wil- helm von $S. Amour, der hartnäckige Verfechter der alten hierarchischen Ordnungen in der Kirche, hat erbittert gegen alle neuen Formen des religiösen Lebens gekämpft. Seine Polemik galt in erster Linie den Bettelorden. Als er aber dabei in einen bedrohlichen Konflikt mit der Kurie geriet, die die Bettelorden als neue Gestaltungen des mönchischen Lebens anerkannt hatte und schützte, da hat er mit einer schlauen Wendung das Ziel seiner Angriffe vertauscht und den Kampf gegen diejenigen Er- scheinungen der religiösen Armutsbewegung fortgesetzt, die sich auch in die neuen Ordnungen der Kirche nicht rechtlich-ein- deutig und unangreifbar einfügten. In der Tat waren die Beginen seinen Angriffen sehr viel empfindlicher ausgesetzt als die Bettelorden. Denn sie waren kein kirchlich anerkannter Orden, und Wilhelm von S. Amour steht völlig auf dem Boden der kirchlichen Rechtsanschauung, wenn er daraus folgert: also dür- ıen sie nicht wie Angehörige des Mönchsstandes leben, dürfen keine besondere Tracht tragen, dürfen sich nicht das Haar scheren; denn wenn Weltleute das tun, so ist es ein Verstoß gegen die Ordnung der Kirche und also Sünde und zieht die Exkommunikation nach sich.‘ Dieser formale Einwand gegen 7. Sermo de conscientia ad theologos, bei Du Boulay, Hist. Uni- versit. Paris III S. 232. 8. „Casus et articuli, super quibus accusatus fuit a fratribus Predi- catoribus, cum responsionibus ad singula“, in: Opera M. Guillelmi de S. Amore S. 92. Alle Stellen über die Beginen aus den Schriften Wil- helms auch bei J. L. Mosheim, De beghardis et beguinabus S.26ff. In den „Casus et articuli“ verteidigt er sich gegen die Anklagen, die die Dominikaner gegen ihn richteten; er betont, seine Polemik habe sich nicht gegen die Bettelorden, sondern gegen andere Erscheinungen gerichtet, die nullius sunt religionis per sedem apostolicam approbatae, darunter auch quaedam mulieres juvenes, quas appellant Beguinas, per totum regnum jam diffusae (quae nulla regula canonica coercentur; Opp. S.266). — Es war ihm auch vorgeworfen worden, er habe gesagt: qguod mulieres eristen- — 24 — die Rechtmäßigkeit des Beginentums ist aber nur der Rahmen für seine übrigen Vorwürfe und Verdächtigungen, die im wesentlichen drei Punkte betreffen: die Beginen sind jung und arbeitsfähig, aber sie arbeiten nicht, sondern wollen von Almo- sen leben; sie sind zu jung, als daß man auf ihre Keuschheits- gelübde ohne strenge Ordenszucht vertrauen könnte; und sie stehen in zu engem und lebhaftem Verkehr mit den Domini- kanern, die dabei in die Rechte des Pfarrklerus eingreifen,’ allzu häufig bei ihnen Beichte hören, ihnen predigen, mit ihnen Gespräche führen und Briefe tauschen und sie mit Almosen versorgen. Darüber hinaus ist dem reaktionären Gegner der religiösen Bewegung seiner Zeit allerdings das ganze Wesen und Treiben dieser religiösen Frauen verhaßt und verdächtig, angefangen bei dem Namen Beguinagium, den sie selbst für diese Form des religiösen Lebens brauchen, und der neuartig- besonderen Redeweise, deren sie sich bedienen,!° bis zu der tes in saeculo, mutantes habitum suum causa religionis, peccant graviter, et quae caedunt capillos suos, existentes in saeculo credentes hoc facere causa religionis, peccant, et debent istae et illae excommunicari; siquidem tales sunt, quae vocantur Beguinae. Wilhelm bestritt zwar, das gesagt zu haben, sed dizi, quod non licet viro vel mulieri saeculari vel reguları mutare habitum suae professionis in habitum alterius professionis;.. item dizi, quod si vir vel mulier gerat habitum viliorem, ut alüs dissimilis videa- tur et inter alios sanctior reputetur, peccatum est hypocrisis. Das ist aber praktisch dasselbe wie der ihm zur Last gelegte Ausspruch. 9. „Collectiones catholicae et canonicae scripturae ad defensionem ecclesiasticae hierarchiae“, Opera S. 267: Dicet forsan aliquis regularis, quod viri regulares, qui per longam ezperientiam exercitati sunt. in operi- bus castitatis, visitare debent sanctas mulieres, quae appellantur Beguinae. ut eas instruant bonis moribus et in domino consolentur, nec est timen- dum de illorum cohabitatione propter votum continentiae et observantiam parcimoniae in utrisque; dagegen wendet Wilhelm ein: Hoc non pertinet ad viros regulares sive ad monachos, sed potius ad clericos sive praelatos, quorum officium est visitare sanctas viduas et sanctas virgines, ita tamen ne ingrediantur soli domos earum. 10. Ib. S. 305: Beguini et beguinae hypocritae, ..licet non sint regu- lares proprie, tamen, ut sanctiores alis videantur et populum in se vitae novitate convertant, superstitiosas tam in habitu quam in alüs ezteriori- bus inveniunt novitates et ad eas quoscumque possunt inducunt. Paulus 1. Tim. 2, 9 habe die Frauen gelehrt suam indicare honestatem, non per — 325 — Überheblichkeit, die in dem Stolz auf ihre freiwillige Armut und ihrer Intoleranz gegen den Besitz und Reichtum anderer zum Ausdruck kommt.'' Aber Wilhelms Polemik gegen die Beginen erklärt sich nicht ausschließlich aus seiner leidenschaftlichen Abneigung gegen die neue Religiosität. Seine Vorwürfe lassen in manchen Punkten tatsächlich auf einen Wandel des Beginen- tums schließen, der auch andere Zeitgenossen, die weniger vor- eingenommen waren als der Pariser Theologe, zu einer ver- änderten Einstellung gegenüber den Beginen veranlaßt hat. Schon vor Wilhelm von S. Amour hat Gautier de Coincy in sei- nen Gedichten die Beginen nur mit Verachtung, Abneigung und Mißtrauen gegen ihre religiöse Aufrichtigkeit behandelt.” Und wenn man die französischen Dichter aus der Mitte des 13. Jahr- hunderts, vor allem Ruteboeuf, der in seinen Satiren mit Spott und Verdächtigungen gegen die Frömmigkeit und Sittlichkeit der Beginen nicht spart,'® kaum als Zeugen von selbständigem Urteil gelten lassen kann, da sie sich den Ton durch Wilhelm von S, Amour angeben ließen, so zeigen doch auch sie, mit wie anderen Augen man in der Jahrhundertmitte die Beginen be- trachtete, wie sehr sich ihr Ruf zum schlechten gewandelt hatte. Bedeutsamer aber ist es, daß auch in ganz anderen Gegen- den und in anderen Zusammenhängen Bedenken gegen die Be- ginen laut wurden wegen derselben Mißstände, die Wilhelm von S. Amour dem Beginentum vorwarf. Um dagegen Abhilfe zu schaffen, haben deutsche Provinzialsynoden verordnet, daß die Beginen nicht von Almosen leben oder gar selbst bettelnd herumziehen sollten, daß junge, sittlich wenig gefestigte Frauen talia vestimenta, non per verba superstitiosa et insueta ad instar beguina- rum, sed per opera bona; ib. S. 332: Periculose falluntur hypocritae, quia, cum peccatum suum hypocrisis, quam Bequinagium superstitioso nomine vocant, reputent esse virtutem, de remedio cogitare non possunt. 11. Casus et Articuli, Opp. 8.92: Illa superbia, quae est ex wili veste, annexam habet simulationem, propter quam maius peccatum est.. Et sciendum, quod praedicavi hoc propter beguinas et bonos valetos dicentes, quod vestis pretiosa portari non potest sine magno periculo. 12. S. u. S. 378 ff. 13. Eine Zusammenstellung literarischer Äußerungen über die Beginen in Frankreich gibt A. Hilka, Z. f. roman. Philol. XLVII S. 121 ff.; vgl. u. S. 384f, — 326 — dem Beginenstand nicht angehören und daß die Beginen sich der Aufsicht und der Seelsorge des ordentlichen Pfarrklerus nicht entziehen und keine zu engen Beziehungen zu den Bettel- mönchen anknüpfen dürften. Im Mainzer Erzbistum, dessen Gesetzgebung am besten bekannt ist, wurde schon 1233 verfügt: Frauen, die ein Keuschheitsgelübde abgelegt haben und eine besondere Tracht tragen, ohne sich auf eine bestimmte Regel verpflichtet zu haben, sollen nicht in den Dörfern herumziehen, sondern in ihren Häusern entweder von ihrem Eigentum oder, wenn sie nichts besitzen, von Handarbeit oder Dienstleistungen leben; sie sollen außerdem dem zuständigen Pfarrklerus unter- stehen und sich seiner Leitung fügen.’* Sie werden in diesen Synodalstatuten noch nicht als „Beginen” bezeichnet. Aber eine Synode in Fritzlar wiederholte 1244 diese Verordnung und ergänzte sie durch zwei Zusätze, in denen diese Frauen Beginen genannt werden, in denen auch der Grund dieser Maßnahmen schärfer hervortritt.'” Weil es zu häufig vorkam, daß junge Be- 14. C.45 der Statuten bei F. J. Mone, Z.f.d. Gesch. d. Oberrheins III, 1852, S.141 (vgl. Hefele-Knöpfler, Conciliengeschichte V S.1026 und H. Finke, Konzilienstudien S.29ff.): Item sacro approbante concilio pro- hibemus statuendo, ne muliercule, que voventes continentiam habitum quo- dammodo mutaverunt, nec tamen professioni alicuius certe regule se astrinzerunt, per vicos amodo decurrant, sed in domibus suis vivant de proprio, si hoc habent; si vero sunt pauperes, victum et alia necessaria laboribus manuum suarum vel alii serviendo conquirant. Hoc idem de virginibus deo virginitatem suam offerentibus duzimus statuen- dum. Subdite sint et huiusmodi femine suis plebanis et eorum consilio regantur. 15. Statuten dieses Konzils bei Hartzheim II S.603 unter den Statuten des Provinzialkonzils Mainz 1261; daß sie zu 1244 gehören und sich auf die Synode von 1233 berufen, zeigte H. Finke, Konzilienstudien '8S.22ff. Nach einer fast wörtlichen Wiederholung des früheren Erlasses folgt der Zusatz: Ad hoc, quia juvencularum Beginarum lapsus frequens et evidens statum religionis deformat et plurimos scandalizat, statuimus, ut nulla de cetero in earum numerum admittatur, nisi quadragesimum etatis sue annum excesserit et probate opinionis ezxistat; sexagenarium numerum, quem prescripsit Apostolus talibus assumendis (1. Tim. 5, 9), propter fragilitatem nostri temporis ad quadragenarium restringentes. — Sub pena anathematis prohibemus, ne clericus vel religiosus quispiam in domum introeat earundem, sed’si quis ex justa causa et honesta cuiguam earum loqui voluerit, hoc in ecclesia sub bono testimonio faciat manifeste, ne sinistra contra ipsum suspicio oriatur. — H. Finke, Konzilienstudien — 327 — ginen ihre Keuschheitsgelübde verletzten, deshalb verordnete das Konzil von 1244, künftig dürften nur unbescholtene Frauen von über vierzig Jahren als Beginen leben, und aus dem glei- chen Grunde wurde allen Klerikern und Mönchen der Zutritt zu den Beginenhäusern streng untersagt; nur in der Kirche war es ihnen erlaubt, mit den Beginen zu sprechen. Alle diese Maß- regeln hatten sich also hauptsächlich deshalb als nötig erwiesen, weil die sittliche Ordnung unter den Beginen nicht durch eine feste Regel mit Klausurbestimmungen und durch eine strenge Ordenszucht gesichert war. Klagen über die Mißstände, die sich daraus ergaben, wur- den um dieselbe Zeit auch von den Beginen selbst erhoben, die allerdings die Schuld daran nicht in den besonderen Verhält- nissen des Beginenwesens suchten, sondern über die Kleriker und Laien klagten, die sich die ungeschützte Lage der Beginen zunutze machten, Sie wandten sich mit solchen Beschwerden und mit der Bitte um Abhilfe sogar an die Kurie, und tatsäch- lich hat schon seit 1235 Gregor IX. mehrfach deutsche Bischöfe und Kanoniker damit beauftragt, die Beginen gegen die Belästi- gung und Verführung durch Kleriker, Mönche und Laien zu schützen und die Missetäter zu strafen.'® Auch in dem Werk der bedeutendsten Gestalt dieser reli- siösen Frauenkreise, in dem „Fließenden Licht der Gottheit’ von Mechthild von Magdeburg, haben diese inneren Schwierig- keiten des Beginentums ihre Spuren hinterlassen. Mechthild hat selbst vierzig Jahre lang unter den Beginen in Magdeburg S.35 vermutet, diese Zusätze seien schon auf einer älteren Mainzer Synode bald nach 1233 erlassen worden; aber diese Annahme scheint mir unge- nügend begründet. 16. Vgl. Arch. f. Kulturgesch. XXI S.303 ff.; Bulle vom 21. Nov. 1235 an den Osnabrücker Stiftsherrn Johannes, Kreuzprediger in der Erzdiözese Köln, zum Schutze der sorores conversae, quae Beginae vulgariter appel- lantur, ebenso am 27. Okt. 1237 an den Kölner Domscholaster, am 19. Juni 1246 an die Bischöfe von Osnabrück und Münster, s. Osnabrücker Urk.-B. II n. 378, IV n. 674 und 678. Vgl. ferner die Urkunden der Legaten Petrus von Albano (10. Nov. 1250) und Hugo von St. Cher (5. Okt. 1251) zum Schutz der Kölner Beginen bei Ennen-Eckertz, Quellen zur Gesch. der Stadt Köln II S.298 n. 295 und S.306 n. 301. — 328 — gelebt,‘ vielleicht sogar als Leiterin einer Beginengemein- schaft,'® und sie hat den geistigen Gehalt dieser Frömmigkeit am großartigsten gestaltet, aber sie war auch für ihre Gefahren nicht blind und hat mit Sorge gesehen, daß sie einerseits in Ge- wohnheit ohne inneres Erleben,” andererseits aber in eigenwillige Besonderheiten religiöser Erlebnisse auszuarten drohte, die sich nicht mehr in die christlichen Ordnungen fügten und durch 17. Die Chronologie ihres Lebens nach den autobiographischen An- gaben (vor allem Fließ. Licht IV, 2) und den Mitteilungen ihrer Bearbeiter und Übersetzer hat J. Ancelet-Hustache, Mechtilde de Magdebourg, wie mir scheint, endgültig klargestellt; danach ist sie 1207 geboren, 1230 nach Magdeburg gegangen und dort 40 Jahre lang als Begine geblieben; 1250 hat sie das Erlebnis, das sie zur Aufzeichnung ihrer Visionen be- stimmt, die um 1265 von ihrem dominikanischen Seelsorger Heinrich von Halle bearbeitet wurden (nur das 7. Buch, das in der lateinischen Bearbei- tung fehlt, ist später in Helfta entstanden). 1270 ist sie in das Kloster Helfta eingetreten und 1282 gestorben (vgl. auch A. Hauck, ZKG XXXTI 8.186 ff... Ob sie von adliger Herkunft war, ist nicht sicher erwiesen, aber trotz der Einwände Ancelet-Hustaches S.52ff. wahrschein- lich; vgl. H. Stierling, Studien zu Mechthild S.27ff. und G.Lüers, Die Sprache der deutschen Mystik S.57ff. Jedenfalls hat sie die welt, weltlich ere und allen weltlichen richtum freiwillig aufgegeben aus dem Bedürfnis, das ich ane mine schulde wurde versmähet, s. Das Fließende Licht der Gottheit I, 1 ed. Morell S.4; IV, 2 S.91; VIL 64 8.279 (ed. W. Schleussner S.123f.); Revelationes Gertrudianae ac Mechtildianae II S.436. Wahrscheinlich hatte sie in ein Kloster eintreten wollen, fand aber nirgends Aufnahme (IV, 2: Do lies mich got niergen eine). 18.. Fließ. Licht III, 5 ed. Morel S.66f. spricht Gott zu Mechthild: ich mus dich aber leren: die edeln juncfrowen kostet ir zuht vil sere, si müssent sich twingen an allen iren liden und müssent vüÜ dike vor ir zuhtmeisterine bibenen, also ist minen bruten in ertriche an irem lichamen gegeben; VI, 7 S.182 (im lateinischen Text, Revel. S.526 mit der Über- schrift: De beguina distorta moribus et conversatione): In miner geselle- schaft ist ein geistlich mensch (Rev.: quedam femina religiosa), von dem lide ich manig not dur sine bösen siten, also das mir der mensche an kei- nen dingen volgen wü. 19. Fließ. Licht IL 15 ed. Morel S.76 (vgl. Revel. S.610): O ir vil torehtigen beginen, wie sint ir also vrevele, das ir vor unserm almehtigen rihter nit bibenent wenne ir gotz lichamen so dikke mit einer blinden ge- wonheit nement. Nu, ich bin die minste under üch, ich mus mich schemen, hitzen und biben. — Auch V,11 S. 138f. (Revel. 591f.), wo sie gegen die Menschen eifert, die nur äußerlich geistlich sind, spricht sie mehrmals die liebe swester an. — 329 — keine feste Zucht vor Verirrungen und Verstiegenheiten bewahrt wurden.” Sie hat deshalb nach der Gebundenheit des religiö- sen Lebens durch Regel und Orden genau so verlangt wie es alle kirchlich Gesinnten immer getan haben, und auch ehe sie selbst in hohem Alter in ein Kloster eintrat,?' auch als sie selbst noch als Begine lebte, hat sie die Bindung durch das Gesetz und die Leitung der Dominikaner für sich anerkannt, die ihre Beicht- väter und ihre geistigen Führer waren,” 20. Fließ. Licht V,5 ed. Morel S.134 (Revel. S. 629£.) erzählt Mecht- hild von einer Begine, die aus Liebe zu Gott sich zu Tode kasteit; als Mechthild für sie betet, erschaut sie ihren Geist clar an im selber als die sunne,.. das hatte si von irme reinen herzen in getruwer meinunge, aber die Begine erklärt ihr, daß ihr alle Fürbitte nichts helfe, weil sie für ihren eigen willen ane rat büßen müsse: Ich wolte in ertriche keines menschen rat volgen nach cristenlicherordenunge. Vgl. auch das Frag- ment eines Dialogs zwischen einer waren geistlichen swester und einer weltlichen beginen, Fließ. Licht III, 24 S.88f.; die geistliche swester sprı- chet usser dem waren lihte des heligen geistes sunder herzeleit, aber die weltlich begine sprichet us von irem fleische mit lucifers geiste in gruweli- cher arbeit (der angekündigte Dialog zwischen diesen beiden Vertretern der zwöigerleie geistlicher lute uf disem ertrich folgt nicht; H. Stier- ling, Studien S. 18 und 104 sucht ihn in II, 23 ed. Morel 8.43; aber das ist ein Dialog zwischen Minne und Seele; vgl. Heinz Tillmann, Studien zum Dialog bei M. v. M., Diss. Marburg 1933 8.13). Vgl. auch Revel. S.527: De beguina in apparentia et non existentia: Femina quedam habitum religionis beguinarum induerat, sed tamen curüs dominorum secu- larium serviebat — Fließ. Licht IV, 17 S.110: Von einer vrowe die ze hove gerne was: Ein vrowe hette sich begeben und wolte dennoch ze hove dienen ..... 21. Das Kloster Helfta war keinem Orden inkorporiert, befolgte aber die Zisterzienser-Institutionen. Die Seelsorge des Klosters, in dem am Ende des 13. Jahrhunderts auch die Visionen der Mechthild von Hacke- born und der Gertrud von Helfta entstanden sind, lag anscheinend großen- teils in den Händen der Dominikaner, ähnlich wie in dem Zisterziense- rinnen-Kloster Oberweimar, wo gleichfalls Dominikaner als Beichtiger und Prediger wirkten; vgl. die Vita der Nonne Lukardis, Analecta Bollandiana XVII S.330 f., 340, 344, 347, 352, 363 u.ö. 22. Die lateinische Vorrede zum deutschen Text des Fließ. Lichts (Morel S$S.1), wahrscheinlich um 1270 von Heinrich von Halle verfaßt (s. Ancelet-Hustache S8.42f.; Ph. Strauch, Z.f. deutsches Alter- tum XXVII S.371), nennt Mechthild eine Begina, que fuit virgo sancta corpore et spiritu,.. sequens perfecte vestigia fratrum ordinis predica- torum (Heinrich von Nördlingen übersetzt das Wort begina mit swester); — 330 — Diese Mißstände und Gefahren des Beginenwesens sind also schon im zweiten Drittel des Jahrhunderts nicht nur von böswilligen Kritikern, nicht nur von kirchlichen Behörden, son- dern auch in den Kreisen der Beginen selbst deutlich empfun- den worden. Nur über die geeigneten Mittel zu ihrer Behebung Singen die Meinungen weit auseinander. Wenn die Kurie Bi- schöfe oder Kleriker mit dem Schutz der Beginen und der Be- strafung von Verfehlungen beauftragte, so ließ sich davon keine innere Umgestaltung des Beginenwesens erwarten, durch die einer Ausbreitung des Übels vorgebeugt worden wäre, Das von der Synode in Fritzlar festgesetzte Mindestalter von 40 Jahren für Beginen ist niemals eingehalten worden;”® und die Durch- führung anderer allgemeiner Vorschriften für die Lebensweise der Beginen wurde vor allem dadurch durchkreuzt, daß es Fließ. Licht I, 23 S.44 sagt in einem Dialog die Seele zur Minne: Ich bin in einem heligen orden, ich vaste, wache, ich bin ane hoptsunde, ich bin gnug gebunden (— Revel. 8.539: ego ordinem sanctum porto, jejuno, sine crimine vivo, satis ligata sum regula et conclusa). Das ist vielleicht so wenig unmittelbar autobiographisch verwertbar wie die weitere Aussage der Seele im selben Dialog: ich wone in der wollust miner mage usw., aber es ist bezeichnend für die Gesinnung. J. Ancelet-Hustache glaubt vor allem wegen dieses Ausspruchs, Mechthild sei Dominikaner- Tertiarierin gewesen; aber diese Annahme ist wenig wahrscheinlich; wir wissen nicht, ob es Tertiarierinnen schon damals in Magdeburg gab; außerdem trat Mechthild später in ein Zisterzienserinnen-Kloster ein; ihre Verehrung für Dominikus als ihren lieben Vater (Fließ. Licht II, 24) be- weist nicht, daß sie anders als viele Beginen dem Orden nahestand; Chri- stine von Stommeln, die Zeit ihres Lebens Begine blieb, stand in ganz ähnlichen Beziehungen zu den Dominikanern wie Mechthild; beide haben auch die Aufnahme ihrer Brüder in den Orden erwirkt. 23. Dieselbe Bestimmung ist noch auf der Mainzer Synode von 1310 wiederholt worden (Hartzheim IV S.200f.) Für die Frankfurter Be- ginen wurde sie 1291 auf Wunsch ihres Pfarrers durch Erzbischof Gerhard von Mainz ausdrücklich aufgehoben, weil sie aliguibus videatur onerosa, et alique puelle per huiusmodi prohibitionem a dei servicio abstrahi videantur, s. Cod. dipl. Moenofrancofurtanus ed. J. F. BoehmerTI S. 262. — Die im Jahre 1276 verfaßte Regel der drei Straßburger Beginenhäuser (die doch auch zur Mainzer Provinz gehörten) sieht auch die Aufnahme von Mädchen unter 14 Jahren vor, die bei Erreichung des 14. Lebensjahres das Beginengewand erhalten und auf die Regel verpflichtet werden, s. Urk.-B. Straßburg III S. 27 n. 78. — 331 — strittig war und niemals einhellig entschieden wurde, wem eigentlich die Aufsichtsrechte und die Befugnisse zur Seelsorge bei ihnen zuständen. Denn einerseits machte der Piarrklerus seine Ansprüche auf die Leitung und Seelsorge der Beginen als seiner ordent- lichen Pfarrkinder geltend.‘ Andererseits versuchten sich die Beginen dem regulären Pfarrverband zu entziehen, ließen sich zu diesem Zweck von päpstlichen Legaten besondere Privilegien geben oder schlossen sich an ein Stift an oder stellten eigene Pfarrer an — und sowohl Legaten als Bischöfe und selbst die Kurie haben diese Bestrebungen gefördert.” Vor allem aber 24. Die Mainzer Synoden 1233 und 1244 verlangen: Subdite sint suis plebanis et eorum consilio regantur. Eine Mainzer Synode von 1261, deren Beschlüsse noch 1310 wiederhoit wurden, verbietet bei Strafe der Exkom- munikation omnibus religiosis, ne subditos plebanorum, mazime autem Beginas et Bicornos (1310: Beghardos) aut inclusas ac alias personas huiusmodi communicent corpore domini aut alia porrigant ecclesiastica sacramenta parvulis vel adultis; nur die Beichte dürfen die subditi pleba- norum manchmal mit Zustimmung ihrer Pfarrer quibusdam religiosis ab- legen. — Die Statuten von 1261 bei Hartzheim III S.610f. (vgl. Finke, Konzilienstudien S.23) bedürfen der Verbesserung nach dem Text der Wiederholung von 1310, Hartzheim IV S.220; die Lesung Molusas statt inclusas und die von Binterim VS. 204 und Hefele-Knöpf- ler VI S.74 dazu gegebene Erklärung: „Beginen aus der Mühlhauser Ge- nossenschaft“ ist falsch. — Eine Magdeburger Synode 1261 bestimmt: De mulieribus, que Begine vocantur, statuimus, ut plebano, in cuius morantur parochia, obediant sicut ceteri parrochiales; alioquin ad id per ipsos ple- banos cum exzcommunicationis sententia compellantur; Hartzheim III S.807; zur Datierung vgl. Hefele-Knöpfler VI S.79. 25. Schon 1230 gab der Kardinal-Legat Otto den Kölner Beginen das Privileg, mit Ausnahme der drei hohen Feste auch außerhalb ihrer Paro- chie zu kommunizieren; der Kardinal Hugo von St. Cher bestätigte 1251 dieses Privileg, ss Ennen-Eckertz, Quellen z. Gesch. d. Stadt Köln II n. 295 und 301. Der Bischof von Cambrai ließ 1239 den Beginen in Valenciennes eine eigene Kapelle mit eignem Kaplan errichten, der auch für die nicht in dem Beginenhaus lebenden Beginen die Seelsorge über- nimmt, s. Miraeus, Opera dipl.-hist. II S. 8ö5f. Die Beginen in Diest erhielten 1255, weil sie ex eo, quod in diversis degunt parochüs, incom- moditates et pericula animarum patiuntur, eine eigne Kirche mit Friedhof und einem oder mehreren Priestern, s. ib. I S.768. Der Bischof von Lüttich schloß 1261 die Beginen in Aachen in ein gemeinsames Beginenhaus zusammen und gab ihnen einen eignen Pfarrer, eigne Kapelle und Fried- — 332 — haben sich viele Beginen wie die ganze religiöse Frauenbewe- gung bemüht, sich unter die seelsorgerliche Obhut der Bettel- orden zu stellen. Und obgleich der Pfarrklerus sowohl wie die Orden dem widerstrebten, haben in Frankreich wie in Deutsch- land im Laufe der Zeit die meisten Beginengemeinschaften sich mehr oder weniger eng an die Dominikaner oder Franziskaner angeschlossen. Bei den Bettelmönchen zu beichten stand den Beginen von Anfang an frei, und sie haben diese Möglichkeit in so hohem Maße ausgenutzt, daß die Bettelorden überall beson- dere Beichtiger für die Beginen anstellen und Vorschriften gegen allzu häufiges Beichthören und allzu lebhafte Beziehun- gen zwischen den Ordensbrüdern und den Beginen treffen muß- ten.” Den Beginen auch die anderen Sakramente zu reichen, hof, ut status becginarum nostre diocesis illibatus servetur, ut et quietius ac pacatius divine speculationi valeant intendere, s. Mitt. des Vereins f. Aachner Vorzeit V, 1892, S.2ff., 63f£.; W. Liese, Gesch. der Caritas II S.78. Das älteste Osnabrücker Beginenhaus unterstand dem Domstift (s. Arch. f. Kulturgesch. XXI S.307 ff.); eine Begräbnisordnung von 1278 be- stimmte, daß alle Beginen, die nicht in diesem Domschwesternhaus woh- nen, den Begräbnisrechten der Pfarrer unterstehen, denen auch die Ein- kleidung solcher Beginen zusteht. 26. Generalkapitel der Dominikaner Paris 1242, MOPH III S. 26: Priores in domibus nostris ubique conjessores beginarum instituant certos, maturos et paucos; Metz 1251 ib. S.59: Quod priores sollieiti sint dare beguinis confessores certos, discretos et maturos, et determinent tempus nec nimis rarum nec nimis frequens vacandi earum confessionibus. Ähn- liche Bestimmungen in den Statuten der Provinzialkapitel der römischen Dominikanerprovinz bei C. Douais, Acta capit. provine. II S. 486 (Rom 1243), 491 (Rom 1246), 494 (Rom 1249), 495 (Perugia 1249), 500 (Anagni 1252), 513 (Neapel 1260), 518 (Viterbo 1264). Statt biginae werden sie in diesen Akten manchmal bizocae genannt, so 1246, 1249; dieser Name ent- spricht nach Jakob von Vitry in Italien dem Wort Begine; s. Hist. Jahrb XXXV S.44f.; (in einer Urkunde über franziskanische Tertiarier in Florenz vom Jahre 1244 ist von einer domus quae dicitur Hospitale pauperum pro bizocaris, qui homines de poenitentia nuncupatur die Rede s. V. Fi- neschi, Memorie istoriche degli uomini illustri del convento di S. Maria Novella di Firenze, 1790, S.97). — Statuten der Provinzialkapitel der Dominikaner-Provinz Provence, Douais I, 1894 S. 105 (Avignon 1264) und 319 (Avignon 1288). — Undatierte Statuten der Franziskaner-Provin- zen Francia (s. AFH VII S. 452 ec. 9 $ 2, c. 10 $ 2) und Provence (AFH XIV S. 423). — 333 — Kommunion und Sterbesakramente, und also die Seelsorge bei ihnen ganz zu übernehmen, haben die Orden ihren Mitgliedern ausdrücklich untersagt.” Für die engen Beziehungen, die sich trotzdem zwischen den Bettelmönchen und den Beginen heraus- bildeten, und die Wilhelm von S. Amour den Dominikanern vorwarf, ist also jedenfalls die Ordensleitung nicht verantwort- lich zu machen. Die Beginen selbst zogen die Dominikaner und Franziskaner als Seelsorger dem Pfarrklerus vor, sie ließen sich auch meistens in der Nähe der Bettelordensklöster nieder, und schließlich erwiesen sich die neuen Orden, in erster Linie die Dominikaner, zur Leitung solcher Gemeinschaften auch am besten geeignet. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ist ihnen vielfach ganz offiziell die Aufsicht und die Seelsorge der Beginen übertragen worden, höchstens unter Vorbehalt einiger besonderer Befugnisse des Pfarrklerus.?® Wie verworren und unklar sich die Lage des Beginentums in den mittleren Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts gestaltet hatte, welche Mißstände und Klagen sich aus dem Mangel einer 27. Generalkapitel der Dominikaner Bologna 1240 (MOPH III S. 17): Monemus, ne fratres nostri amodo religiosis mulieribus sacramenta preter penitenciam administrent; unter Berufung auf eine entsprechende Bestim- mung des Generalkapitels von 1238. Generalkapitel 1242 ib. S.24; s. o. S. 245; 1245 ib. S. 32: Fratres nostri nullo modo sacramentum unctionis extreme mulieribus impendant. 28. Der Erzbischof von Köln hat um 1260 die Kölner Beginen der Auf- sicht der Dominikaner unterstellt, ss Ennen-Eckertz, Quell. z. Gesch. d. Stadt Köln II S. 445f. n. 428; die Beginenhäuser in Lüttich wurden 1274 ebenfalls der Leitung der Dominikaner unterstellt, deren Prior einen Kaplan für die Beginen zu ernennen hatte, ss Chapotin, Hist. des Do- minicains de la prov. de France S. 512ff. — 1271 verglich sich das S. Peters-Stift in S. Gallen mit den Dominikanern über die Seelsorge bei den Beginen und die entsprechenden Abgaben: die Beginen dürfen bei den Dominikanern kommunizieren, nur an den drei hohen Festen müssen sie in ihrer Pfarrkirche an Gottesdienst und Kommunion teilnehmen und ihre Gaben entrichten, und sie sind auch sonst zum Gehorsam gegen den zu- ständigen Pfarrer wie andere Pfarrkinder verpflichtet; s. Urk.-B. Basel II S.42 n.73. Vgl. auch unten S. 344 ff. — Ein anonymes Chronicon rhyth- micum aus der Zeit um 1270 (MGSer. XXV S. 357 v. 383) sagt ganz allge- mein über Dominikaner und Franziskaner: Per hos duos ordines Begine velantur. — 334 — einheitlichen Leitung und Ordnung ergaben, und wie ratlos die Kirche selbst diesen Zuständen gegenüberstand, das zeigte sich dann deutlich, als das von Gregor X. am 31. März 1272 ausge- schriebene allgemeine Konzil wiederum eine gründliche Reform des kirchlichen Lebens in Angriff nehmen wollte. Schon die Einladung zu diesem Konzil forderte Fürsten und Prälaten zur Ausarbeitung von Gutachten über die Mißstände in der Kirche und die Mittel zu ihrer Beseitigung auf, und am 11. März 1273 erteilte der Papst einzelnen Bischöfen verschiedener Länder und den Führern der großen Orden nochmals den Auftrag, sors- fältige Erkundigungen darüber anzustellen, welche Erscheinun- gen in der Kirche reformbedürftig seien und wie eine Besserung zu erreichen sei. Ein halbes Jahr vor Beginn des Konzils, das auf den 1. Mai 1274 nach Lyon berufen wurde, sollten diese Gutachten der Kurie. eingereicht werden, um als Unterlage der Reformarbeit des Konzils dienen zu können.” Drei von diesen Gutachten sind bekannt: das des Dominikanerordens, wahr- scheinlich im Auftrag des Ordensgenerals von dessen Vorgänger Humbert von Romans verfaßt; das des Franziskanerordens, ver- faßt von Simon von Tournai; und das des Bischofs von Olmütz. Diese drei Schriften sind zur Kenntnis der Gesamtlage in der Kirche im Jahre 1273 außerordentlich wertvoll. Ein südfran- zösischer Dominikaner, ein belgischer Franziskaner und ein ostdeutscher Bischof gaben gleichzeitig in Befolgung des glei- chen päpstlichen Auftrags einen Überblick über die kirchlichen Zustände, um damit den kirchenpolitischen Entscheidungen des Konzils vorzuarbeiten. Alle drei Schriften sind nun auch für die Lage der religiösen Frauenbewegung und des Beginentums in dieser Zeit sehr aufschlußreich. Humbert von Romans°° geht 29. Auer, Studien zu den Reformschriften für das 2. Lyoner Konzi! S.7ff:,;, A. Stroick, AFH XXIN S.3ff. 30. Sein Gutachten ist das sog. „Opus tripartitum‘“, ed. P. Crabbe, Concilia omnia II S.967ff.; danach bei Ed. Brown, Appendix ad Fasci- culum rerum expetendarum et fugiendarum II S. 185ff. Vgl. B. Birck- man, Die Reformschrift des Humbert de Romanis, 1916; Fr. Heintke, Humbert von Romans, 1933, 8.117 ff.; K. Michel, Das Opus tripartitum des Humbertus de Romanis, 1926; seine Gründe für die Behauptung, daß Hum- bert nicht im Auftrag der Ordensleitung schrieb (S.24ff. im Anschluß an Mortier, Hist. des Maitres Generaux de l’ordre des Freres Pr&cheurs — 335 — darauf ein im Zusammenhang mit den Mißständen der religiösen Armutsbewegung überhaupt. Nach einer Klage über die maß- lose Zunahme von Bettelmönchen, religiosi pauperes, die aller Welt zur Last fallen, vielfach nicht als Mönche, sondern als Landstreicher bezeichnet werden und das Ansehen des Mönchs- standes gefährden,®' wendet er sich gegen die mulieres religio- sae pauperes, die in Dörfern und Städten herumziehen, um ihren Lebensunterhalt zu suchen. Um diese bedenkliche und anstößige Erscheinung zu beseitigen, soll die Kirche nach sei- nem Rat nur solche religiöse Frauengemeinschaften anerkennen, die bei strenger Klausur, ohne auf Almosen angewiesen zu sein, ihre Bedürfnisse aus eigenen Mitteln bestreiten können.” Der II S.89 ff.), und daß seine Schrift nicht erst durch das Ausschreiben zum Konzil und den folgenden päpstlichen Auftrag, sondern schon früher durch einen besonderen Auftrag veranlaßt sei, sind nicht stichhaltig. 31. S. u. S. 388. 32. Opus tripartitum III, 3 bei Brown 8.224: Circa religiosos: Totus fere mundus obloquitur et scandalizatur de tanta multitudine religiosorum pauperum, qui introierunt in mundum, qui non jam religiosi, sed tru- tannii vocantur a multis, quod cedit in marimam vilipensionem religio- nis sacre. Et licet istorum status bonus possit dici et adhuc possent in huiusmodi statibus bonis multi boni inveniri, tamen non videtur expediens istos pauperes multiplicari nisi tantum quantum potest mundus commode portare et quod honor religionis servelur.... Iterum sunt quedam mulie- res religiose pauperes, que occasione querendi necessaria discur- runt per villas et castra, quod est valde indecens et etiam periculosum in mulieribus. Unde wvidetur expediens quod nulla’ religio mulierum fieret nisi haberet unde quoquo modo posset sustentari in domo sine huiusmodi discursu. — Der Auszug aus dem Opus tripartitum im Cod. Vat. Reg. lat. 880, gedruckt bei Mansi, Ampliss. Coll. XXIV S.109, hat die Stelle nicht unwesentlich verändert: Primo quod religiones mendicantium minuerentur et ezceptis religiosis approbatis et confirmatis, quorum vita exemplaris et doctrina salutaris est, alii non sustineantur. Tot enim alü sunt qui trut- tani vocantur et correctio non viget apud eos. Secundo quod nulla reli- gio mulierum sustineatur, nisi habeat unde possit sustentari in domo sine mendicitate et discursu. — Dieser Auszug ist wahrscheinlich von Bernard Gui erst im Anfang des 14. Jh. angefertigt worden, mehrfach mit willkür- lichen Änderungen; vgl. B. Birekman; L. Delisle in Bibl. de l’&cole des Chartes XXXVII S.516 n. XVI und in Notices et extraits des manu- scrits de la Bibl. Nat. XXVIL, 2 S.303ff.; K. Wenck in Hist. Ztschr. CXVIU S. 301; E.E Kraack, Rom oder Avignon S. 36; Fr. Heintke, Humbert von Romans S. 139 ff. — 336 — Grundsatz, der für die Kurie wie für die Orden und ebenso für die deutschen Synoden immer maßgebend war bei der Behand- lung der religiösen Frauengemeinschaften, bestimmt also auch Humberts Urteil: die Voraussetzung für die Vita religiosa von Frauen ist die wirtschaftliche Sicherung, die eine strenge Klau- sur ermöglicht; das Mendikantentum aber muß den Frauen ver- boten sein. Da es aber noch immer in der Kirche fortbesteht, sieht Humbert in seiner Beseitigung eine Aufgabe des Reform- konzils.. Daß es sich bei diesen Frauen um Beginen handelt, sagt er dabei nicht ausdrücklich; aber wir wissen es aus anderen Quellen. Der Bischof Bruno von Olmütz spricht in seiner Reform- schrift®* ebenfalls nicht von „Beginen”, aber auch er beschreibt gewisse Erscheinungen, deren Zugehörigkeit zum Beginentum unverkennbar ist. Er klagt über Leute, Männer sowohl als vor allem junge Frauen und Witwen, die sich, ohne einem päpstlich approbierten Orden anzugehören, als Religiosi aufführen, klei- den und bezeichnen. Sie schließen sich keinem gültigen Orden 33. Die sogenannte „Relatio“. bei K. Höfler, Abhandl. der bayr. Akad. der Wissensch. IV 3, 1846, S.27: Sunt etiam quidam et quedam apud nos religiosorum sibi habitum et nomina vendicantes, quos et quas, cum eorum non sit religio per sedem apostolicam confirmata, sectarum credimus no- mine comprehendi; qui passim, ut jugum evadant obedientie, habentes ve- lamen malitie libertatem quasi liberius domino servituri, dominos et domi- nas habere nolenies, fugientes etiam obedientiam sacerdotum seu etiam coercitionem conjugü maritalis et per aliquem ordinem se astringi, femine juvenes in statu viduitatis se ponunt, illecte forsitan ab aliquibus, per quos nubere prohibentur, contra Apostolum, qui de talibus ita dieit: „Vi- dua non eligatur nisi sexaginta annorum“; item: „adolescentiores autem viduas devita“ (1.Tim.5, 9 und 11). Volo autem huiusmodi nubere; iste enim sunt, que solent circuire domos non solum otiose, sed verbose; unde et post sathanam sepius convertuntur retrorsum. Certe iste sunt ille reli- giose, que sub nomine honestatis sicut olim contra Barnabam et Paulum seditiones contra clericos suscitare sueverunt, a quibus etiam in confessio- nibus fugiunt nec recipiunt ecclesiastica sacramenta et innuentes tacite quasi sacramenta in eorum manibus sint polluta. Consilium autem de huiusmodi aliud non damus nisi quod Apostolus dedisse dignoscitur, sicut supra, quod tales nuberent, suam dixit omnimodam voluntatem, vel in approbatis religionibus retrudantur. Der erste Satz (religiosorum sibi habitum et nomina vendicantes) läßt vermuten, daß Bischof Bruno den Namen „Beginen‘“ kennt und meint. — 3377 — an, um niemandem gehorchen zu müssen und um, wie sie mei- nen, in solcher Freiheit Gott besser dienen zu können. Sie glauben sich aber andererseits auch dem Gehorsam gegen den Pfarrklerus enthoben, bei dem sie weder beichten noch von ihm die Sakramente empfangen wollen, als seien sie in seiner Hand unrein. Sie laufen überdies müssig und geschwätzig in den Städten herum und gefährden dadurch oft genug ihren Ruf und ihre Tugend. Wie Wilhelm von S. Amour und wie die Mainzer Synode von 1244 erinnert der Bischof von Olmütz an das Pau- luswort, daß verwitwete Frauen nicht unter 60 Jahren in der Gemeinde erwählt werden dürfen, und er rät deshalb, diese Frauen vor die Wahl zu stellen, entweder zu heiraten oder aber einem approbierten Orden beizutreten. Auch in den ostdeut- schen Gebieten haben also dieselben Mißstände wie in anderen Ländern Klagen über die Auswüchse der religiösen Frauen- bewegung veranlaßt, soweit sie nicht in den approbierten Orden organisiert war. Auch dort hält man es für die Aufgabe des bevorstehenden Konzils, gegen das Beginentum einzuschreiten.’‘ Vollends deutlich spricht sich das Gutachten des Franzis- kaners Simon von Tournai,” der vor allem die Zustände in 34. Ketzerische Lehren wollte der Bischof diesen Leuten nicht zur Last legen; in unmittelbarem Anschluß an die zitierte Stelle (S.28) beant- wortet er den Auftrag Gregors X., de infidelitatibus cuiusvis secte vel ritus zu berichten, mit dem kurzen Satz: De infidelibus vero inter nos conversantibus deo teste de hereticis nihil scimus, und geht dann zu Mit- teilungen über die Juden über. Man kann also auch die Leute, gegen die er vorher polemisiert, nicht für eine „waldensische Gemeinschaft‘‘ halten (Stroiek AFH XXIH S.9), weil sie vom Klerus nicht die Sakramente empfangen wollten. Das hängt vielmehr damit zusammen, daß Bischof Bruno in der Relatio den Bettelorden die schwersten Vorwürfe macht, weil sie überall in die Rechte des Pfarrklerus eingreifen, vor allem bei der Beichte; im selben Sinn wirft er den „Beginen“ vor, daß sie nicht beim Pfarrklerus, sondern bei den Bettelorden beichten und kommunizieren; auch die Bemerkung: illecte forsitan ab aliquibus, per quos nubere proh'- bentur, spielt auf den Einfluß der Bettelmönche auf die religiösen Frauen an. 35. Die sogenannte „Collectio de scandalis ecclesiae“, zuerst veröffent- licht von J. Döllinger, Beitr. zur polit., kirchl. und Qulturgesch. Ili S.180 ff.; neue Ausgabe von A. Stroick AFH XXIV 3.33 ff., der auch den Verfasser ermittelt hat (AFH XXIII S. 15ff. und 43ff.); aus der älte- a Nordfrankreich und Belgien im Auge hat, über die Gefahren des Beginentums aus, das er auch mit diesem Namen bezeich- net. Schon die literarische Einordnung der Beginen in das Ständeschema seiner Disposition macht ihm bezeichnenderweise Schwierigkeiten. Denn er weiß nicht recht, ob er sie unter den geistlichen oder unter den weltlichen Ständen behandeln soll, weil sie weder ganz im Saeculum leben noch einem regulierten Orden angehören.” Aber über diese Zwitterstellung des Be- $ginenwesens erhebt er keine besonderen Beschwerden. Er weist dagegen auf eine ganz andere Gefahr unter den Frauen hin, „die man Beginen nennt‘. Bei ihm zum ersten Mal findet sich eine Warnung vor der häretischen Gefährdung des Beginentums. Denn unter den Beginen macht sich die Sucht nach subtilitates und novitates breit, nach grübelnder Beschäftigung mit religiö- sen und theologischen Fragen. Diese Neigungen verleiten die ren Literatur besonders J. Auer, Studien zu den Reformschriften S. 14 ff., der zuerst in der Collectio eine Reformschrift für das Lyoner Konzil er- kannte. 36. Am Schluß der Übersicht über die geistlichen Stände (AFH XXIV S.58) heißt es: Et apud nos mulieres aliae, de quibus nescimus, utrum debeamus eas vel saeculares vel moniales appellare. Partim enim utuntur ritu saeculari, partim regulari. Die Ausführungen über die Beginen ver- schiebt er dann an den Schluß seiner Übersicht über die weltlichen Stände, S. 61f. 37. AFH XXIV S. 61£.: Sed in calce subnectimus unicum, quod ver- gere potest in magnum periculum. Sunt apud nos mulieres, quae Beghi- nae vocantur, et quaedam earum subtilitatibus vigent et novitatibus gau- dent. Habent interpretata scripturarum mysteria et in communi idiomate gallicata, quae tamen in sacra scriptura exercitatis vix sunt pervia. Legunt ea communiter, irreverenter, audacter, in conventiculis, in ergastulis, in plateis. Vidi ego, legi et habui bibliam gallicatam, cuius exemplar Pari- sius publice ponitur a stationarüs ad scribendum. Haereses et errores, dubietates et inconcinnas interpretationes, quae continentur in talibus, chartae non capit exiguitas, immo vix prolizitas, et aurium capacitas in- spurcata cum sobrietate vix audit. Si morbus invaluerit, tot surgent scan- dala quot auditores, tot blasphemiae quot plateae. — Ut igitur fontibus obturatis quo facilius conquiescat huius adinventio vanitatis, exemplaria deleantur, interpretes arceantur, quae falsa inventa fuerint comburantur, ne sermo divinus a dictione vulgari vilescat, ne dicatur in angulis: Ecce hic est Christus, ecce illic, ne sanctum detur canibus, ne pretiosissimae margaritae porcorum exponantur pedibus conculcandae. — 339 — Beginen dazu, in ihren Konventikeln, in verborgenen Winkeln oder selbst öffentlich auf den Straßen religiöse Schriften in der Volkssprache, französische Bibelerklärungen und die heilige Schrift selbst zu lesen und zu erörtern. Ist nun die eigenmäch- tige Beschäftigung ungebildeter Frauen mit diesem theologi- schen Schrifttum, dessen Geheimnisse selbst von geschulten Theologen nicht leicht zu ergründen sind, an sich gefährlich, so sind überdies jene französischen Bibelerklärungen, die bei Pari- ser Buchhändlern öffentlich zum Abschreiben ausgelegt wer- den und die Simon von Tournai selbst gesehen und untersucht haben will, nach seiner Versicherung so voller Irrtümer und Ketzereien, zweifelhafter und falscher Schriftdeutungen, daß bei den Beginen, die solche Schriften lesen, unvermeidlich irrige und ketzerische Meinungen überhand nehmen müssen. Um das zu verhindern, weiß das Gutachten allerdings keinen anderen Vorschlag zu machen, als diese gefährlichen Bücher zu vernich- ten, damit nicht das Gotteswort durch die Volkssprache gemein gemacht, das Heilige den Hunden gegeben und die Perlen vor die Säue geworfen würden. Maßnahmen gegen die Auswüchse der religiösen und theologischen Grübeleien bei den Beginen selbst zieht das Gutachten Simons nicht in Betracht. Nur ein besonderes Ereignis hat noch seine Aufmerksamkeit und seine Bedenken errest. Einem verbreiteten Gerücht zufolge soll eine dieser Beginen die Wundmale Christi empfangen haben; nach Simons Meinung muß einwandfrei festgestellt werden, was daran Wahres ist. Trifft das Gerücht zu, so darf darüber nicht im Geheimen geredet, sondern es muß öffentlich bekannt wer- den; andernfalls muß man gegen die Heuchelei einschreiten.?* 38. AFH XXIV S.62: Inter huiusmodi mulierculas una est et fama surrexit jam quasi publica, quod ipsa est Christi stigmatibus insignita; quod si verum est, non foveat latebras, sed apertius hoc sciatur; si vero non est, hypocrisis et simulatio confundatur. — A. Stroick, Hist. Jahrb. L S.342 ff. hält es für wahrscheinlich, daß es sich um Elisabeth von Erken- rodt handelt; aber wir kennen auch andere Fälle von Stigmatisation unter den religiösen Frauen dieser Zeit. Ida von Löwen soll die Abbilder von Christi Wundmalen an Händen, Füßen und Seite getragen haben; weil sie das aber nicht zu verbergen vermochte, bat sie aus Demut Gott, die Zei- chen wieder von ihr zu nehmen (Stroick a.a.0. S.344f.). Die Begine Christine von Stommeln hat dem Bericht des Dominikaners Petrus von . =, Mit der Bedeutung der beiden von Simon von Tournai als Gefahren des Beginentums bezeichneten Erscheinungen, der Be- rührung mit ketzerischen Strömungen auf dem Wege über volks- sprachliche religiöse Literatur, und der Steigerung ekstatischer Erlebnisse zu wunderbaren Vorgängen, haben wir uns später zu beschäftigen. Zunächst genügt uns die Feststellung, daß auch das franziskanische Gutachten genau wie das der Dominikaner und des Bischofs von Olmütz von dem Lyoner Reformkonzil kirchliche Maßregeln gegen das Beginentum fordert. Da diese Gutachten die Unterlage für die Arbeit und die Beschlüsse des Konzils bilden sollten, ist in Lyon sicherlich darüber beraten worden, wie die in den Gutachten erwähnten Mißstände abzu- stellen seien, Über diese Verhandlungen ist allerdings nichts bekannt. Sie führten zu dem Ergebnis, daß das vom Lateran- konzil 1215 erlassene Verbot neuer Ordensformen wiederholt und durch einen Zusatz ergänzt wurde, der alle seither ent- standenen Orden, vor allem alle nach dem Konzil von 1215 ent- standenen Bettelorden, die keine päpstliche Bestätigung erlangt hatten, verbot und auflöste.’® Durch dieses allgemeine Verbot wollte das Konzil zweifel- Dacien zufolge die Stigmata getragen oder mit Unterbrechungen mehrfach erhalten, zuerst anscheinend schon 1256/57, wovon sie aber erst 1270 er- zählte, dann in den Jahren 1259/62, als das Gerücht von ihrer Stigmati- sation viele Neugierige zu ihr führte. In einem Brief von 1273/74 erwähnt Petrus von Dacien auch eine „geistliche Tochter“ in Schweden, die an jedem Freitag Verzückungen hatte und bisweilen die fünf Wundmale trug. Auch aus deutschen Dominikanerinnenklöstern des 13. Jahrhunderts sind Stigmatisationen in den Nonnenbüchern mehrfach erwähnt. 39. Mansi XXIV S. 96f. (Corp. jur. can. VI lib. 3 tit. 17 e. 1): Reli- gionum diversitatem nimiam, me confusionem induceret, generale conci- liumconsulta prohibitione vetuit. Sed quia non solum importuna petentium inhiatio illarum postmodum multiplicationem extorsit, verum etiam aliquorum presumptuosa temeritas diversorum ordinum pre- cipue mendicantium, quorum nondum approbationis meruere principium, effrenatam quasi multitudinem adinvenit, repetita constitutione districtius inhibentes, ne aliquis de cetero novum ordinem aut religionem adinveniat velhabitum nove religionis assumat, cunctas affatim religio- nes et ordines mendicantes post dictum concilium adinventos, qui nullam confirmationem sedis apostolice meruerunt, perpetue prohibitioni subjici- mus, et quatenus processerant revocamus.- ne aa los auch das Beginentum treffen,’ das ja tatsächlich keine approbierte Ordensform war, wie es auch die drei erhaltenen Gutachten betonten, und dessen von den Gutachtern bezeichnete Mißstände man auf diese Weise am gründlichsten glaubte be- seitißgen zu können, Der wirklichen Lage des Beginentums war aber dieser Beschluß so wenig angemessen, daß an seine Durch- führung nicht zu denken war. Die Beginen konnten sich dem Verbot um so leichter entziehen, als sie gar nicht den Anspruch erhoben, ein regulierter Orden zu sein, der einer päpstlichen Approbation bedurfte. Die einzelnen Beginenhäuser aber konn- ten sich vielfach auf Schutzbriefe von Päpsten, Legaten und Bischöfen berufen. Sie sämtlich aufzulösen, wie es dem Konzils- beschluß von 1274 entsprochen hätte, war nicht nur unmöglich, sondern ist damals auch gar nicht versucht worden. Ließ sich aber der Beschluß nicht grundsätzlich durchführen, so bot er auch keine Handhabe zur Bekämpfung der Schäden im Beginen- wesen. Es wäre nötig gewesen, die Fragen der Aufsicht über die Beginen, die Zuständigkeit des Klerus oder der Orden für ihre Seelsorge und vor allem die Frage, wie man die Beginen zur Klausur verpflichten, ihnen das Herumziehen und das Betteln verbieten konnte,‘ durch allgemeine Verordnungen zu regeln. Statt dessen erließ das Konzil nur ein undurchführ- bares Verbot und erreichte damit in Wirklichkeit gar nichts. 40. Der Basler Dominikaner Johannes Mühlberg zitiert am Anfang des 15. Jahrhunderts in seiner „Materia contra beghardos‘‘ den Erlaß des Kon- zils von Lyon unter der Überschrift: Hic reprobatur status beghardorum et beginarum, s. H. Haupt, ZKG VII S. 516. 40a. Der Bischof von Lüttich ordnete schon 1266 (1. August) in einem Schreiben an den Scholastikus von Tongern, Rainer, dem er damals die provisio, cura ac regimen beginarum et beggardorum übertrug (Ss. 0. S.321 Anm. 3), für seine Diözese an, quod beguinas, que habitum beguinarum deferentes, relictis curtibus et congregationibus beguinarum disciplina- tarum, singulariter in seculo manent et conversantur in detrimentum ani- marum et scandalum aliarum, per censuram ecclesiasticam compellatis et compelli faciatis, quod habitum beguinarum penitus rejiciant et deferant secularem, omnium remanentes beguinarum privilegio denudate, nisi infra terminum competentem a vobis vel ab eis, quibus id commiseritis, prefi- gendum, ad congregationes et conventus aliarum se transferant beguina- rum, prout statutum est in nostra synodo generali (!); s. Analectes pour servir & l’hist. eceles. de la Belgique XX S. 127, — 122 — Gerade einige Äußerungen aus den Jahren nach dem Lyoner Konzil lassen deutlich erkennen, daß die Verhältnisse des Beginentums viel verwickelter waren, als das schlecht beratene Konzil es bei seinem Verbot voraussetzte. In den achtziger Jahren hat sich eine Diözesan-Synode in Eichstätt mit dem Beginenwesen befaßt, und in ihren Statuten wird zum ersten Male deutlich ausgesprochen, was man 1274 in Lyon nicht beachtet hatte: das Beginentum hat sich, weil ihm die einheitliche Leitung und Organisation fehlte, zu so verschie- denen Ausgestaltungen entwickelt, daß sich allgemeine Verord- nungen für alle Beginen gemeinsam gar nicht aufstellen und durchführen lassen. Vielmehr kommt es gerade darauf an, die ehrbar und unbescholten lebenden Beginen gegen die Verdäch- tigungen und Verleumdungen, denen sie ausgesetzt sind, zu schützen, indem gegen die verdorbenen und lasterhaften Be- ginen mit schärfsten Mitteln vorgegangen wird.“ Ganz in dem- 41. Die Synode fand statt unter Bischof Reimboto (1279—1297), wahr- scheinlich vor dem deutschen Nationalkonzil von 1287, nach Hefele- Knöpfler VI S. 228 um 1284. Statuten im Pastoralblatt des Bistums Eichstätt XXXII, 1885, S. 74f. (auszugsweise auch bei J. Chmel, Die Handschriften des Hofbibl. in Wien II S. 349): Excrevit in ecclesia dei numerus feminarum, que nuncupantur Begine, inter quas nonnulle divina favente gratia honestatis sue et integritatis famam irreprehensibilem et üÜlesam conservant. Alie vero sunt, in quibus vicia se menciuntur esse virtutes, dum sub quadam conversationis specie et ficte religionis yma- gine lascivias et vanitates infinitas exercent, fornicationis et incontinentie morbo laborant et interdum, sicut ex publica fama didicimus, quamplures insolentias ac alias enormitates committunt, ex quibus fame et honestati aliarum Beginarum sepe detrahitur et scandalum in populo generatur. Quia igitur contra tales vehementer presumendum est, quod ex corrupta quadam intentione vestem religionis, gquam deferunt, assumpserint et assu- mant, videlicet (ut) excessus suos huiusmodi facilius et diutius palliare ac correctiones clericorum declinare valeant et vitare, ne forsitan hoc pre- textu penam correctionis evadant, universis ac singulis ecclesiarum rec- toribus ‘et eorum vicarüs per civitatem nostram et dyocesim constitutis districte precipiendo mandamus, quatenus si quam ammodo Beginam per singulas vestras parrochias deprehenderitis incontinentie vicio publice laborantem, ita quod excessus ipsius sit notorius, inter alia ipsam in loco communi, qui-vulgariter ‚Schreiat‘ dicitur (= Pranger), in presentia populi virgis cedi ac publicis subici verberibus faciatis. Quod si forsitan aliqua, postquam excessus eius manifestus fuerit et: detectus, pro evitanda pena Sa selben Sinn hat gleichzeitig der Erfurter Dichter Nikolaus von Bibra das Leben der „guten” Beginen als eine besonders ver- dienstliche Frömmigkeitsform geschildert, um so schärfer aber das schlimme Treiben der anderen Beginen getadelt!. Während die guten Beginen Tag und Nacht arbeitend, meistens spinnend, ein frommes und reines Leben führen, häufig zur Kirche gehen und die Messe hören, fasten, wachen und Almosen geben,‘ heißt es von den anderen: sub falsa religione ocia sectantur et per loca queque vagantur, und in der Beschreibung ihres zucht- losen Treibens mit Mönchen, Klerikern und Studenten arbeitet Nikolaus mit allen Mitteln beißender Satire. Wichtig ist hier nur, wie stark auch Nikolaus von Bibra den Unterschied betont zwischen den Beginen, die arbeitsam in ihren Häusern leben — ad aliam se parrochiam transtulerit, sacerdos ibidem ad denunciationem prioris, in cuius deliquit parrochia, eandem penam cum efficacia exequatur, ut saltem ex hoc huiusmodi delinquentes rubore suffuse et alie exemplo earum deterrite a consimili excessu discant et studeant abstinere. Quicun- que occasione inductus in parrochia sua circa penam huiusmodi exequen- dam se exhibuerit negligentem, ipsum ab officio suo tamdiu volumus ma- nere suspensum, quousque negligentiam suam purgaverit vel a nobis relazationis beneficium meruerit obtinere. 42. Carmen satiricum, ed. Th. Fischer, Gesch.-Quellen der Provinz Sachsen I,2 S. 92 f. Vers 1605 ff.: Sunt ibi Begine, quarum numerus sine fine. Quedam perverse, quedam vivunt bene per se. Ex his sunt quedam, que nec turpem neque fedam rem cupiunt scire, sed ad ecclesiam libet ire, missas audire, sincero corde redire missa completa; sic vivunt mente quieta tamquam claustrales; etenim velut estimo tales plus commendantur, quam que sub clave serantur. Quamvis absque nota Christo reddant sua vota et sine clamore, spe corde fide vel amore proficiunt plus quam si starent jugiter usquam alte cantantes modicumque boni meditantes. Quavis nempe die miseris sub honore Marie mundo corde data sit ab hüs elemo- syna grata. Jejunant, vigilant et lanea stamina filant et mala deplorant; sic nocte dieque laborant, ocia vitantes et que bona sunt operantes. Cras hodie vel heri non cessant probra fateri fratribus et nudis verbis cum fletibus udis sompnia nocturna recitant wel facta diurna. Quamvis sit rarum, tamen accidit hoc, quod earum quedam du- cuntur extra se vel rapiuntur, ut videant Christum; vulgus jubilum vocat istum. Sunt alie quedam, de quarum moribus edam, que quasi matrone sub falsa religione ocia sectantur et per loca queque vagantur. Horren- tes fusum discurrunt undique lusum; nunc adeundo forum, nunc claustra petunt monachorum, et quandoque chorum perlustrant canonicorum et fortasse thorum,; malus est jocus iste sororum etc. ER. nicht zufällig erwähnt er bei diesen auch ihre geistliche Freund- schaft mit den Bettelmönchen — und den anderen, die sich überall herumtreiben und in so schlechtem Rufe stehen, daß sie oit sogar als Kindsmörderinnen gelten, Diese Kluft zwischen den verschiedenen Wegen des Beginentums tritt auch zutage, wenn derselbe Humbert von Romans, der in seinem Gutachten von 1274 Maßnahmen gegen die herumziehenden mulieres reli- giosae pauperes verlangte, in seine nach Ständen geordnete Predigtsammlung auch eine Musterpredigt an Beginen einreiht, an die felices Beguinae et omni laude dignissimae, welche in medio perversae nationis ducunt vitam sanctissimam.“* Alle diese Zeugnisse lassen deutlich erkennen, daß sich das Beginentum damals in zwei Gruppen schied. Während ein Teil, ohne Zweifel bei weitem der größere Teil, ein geregeltes Leben in den Beginenhäusern führte, vielfach in Anlehnung an die Bettelordensklöster, und sich sein Auskommen durch Hand- arbeit erwarb, gab der andere Teil überall zu Klagen darüber Anlaß, daß die Frauen keine Klausur befolgen, sondern zucht- los herumziehen und lieber von Almosen leben als von eigner Arbeit. Diese Scheidung ist für die weitere Geschichte des Beginentums von verhängnisvoller Bedeutung geworden. Der gemeinsame Name Beginen für die beiden so verschiedenen Erscheinungsformen und der Mangel einer grundsätzlichen organisatorischen Unterscheidung zwischen ihnen hat zunächst die Maßnahmen gegen das „ungeregelte", vagierende Beginen- tum unwirksam gemacht, hat dann das geregelte Beginenwesen unverschuldet mit in die Katastrophe verwickelt und erst nach langer Krise eine Klärung der Verhältnisse zustande kommen lassen. Aus den letzten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts sind einige Beginenregeln erhalten, die einen Einblick in die Ver- hältnisse des Beginentums in dieser Zeit gestatten, soweit es den sereselten Weg zu strenger Hauszucht gegangen ist. Am wich- tissten und aufschlußreichsten sind die Statuten der drei Be- ginen-, Sammlungen“ in Straßburg, die in der Nähe des Domini- 43. „De modo prompte cudendi sermones“ L. 2 n. 5, Bibl. Max. Patı. Lugdun. XXV S. 483. er BI kanerkonvents lagen. Seit wann diese Gemeinschaften bestan- den und in welchen Formen sie vorher lebten, ist unbekannt, denn ältere Zeugnisse über sie fehlen ganz. Im Jahre 1276 haben sie sich mit Rat und Zustimmung ihres Beichtigers, des Dominikaners Friedrich von Ersteheim, gleichlautende Statuten gegeben,‘' um, wie es in ihrem Eingang heißt, „verdächtige und schädliche Lockerungen der Ordnung zu vermeiden und sich einer löblichen Zucht zu unterwerfen”, Alle Schwestern haben sich durch Handschlag auf diese Statuten verpflichtet, jede neu Eintretende hat dasselbe zu tun. Hält sich aber eine Frau län- ger als ein Jahr in der Gemeinschaft auf, so gilt sie dadurch auch ohne besondere Verpilichtung auf die Statuten als con- fessa et obligata. In erster Linie geloben alle Mitglieder, den Anordnungen der Magistra, der Subpriorin und des jeweiligen Beichtigers hinsichtlich der Ordnung und Aufsicht innerhalb des Hauses gehorsam zu sein.” Wer sich diesen Anordnungen 44. Die Regel für das Haus „zum Turm“ vom 12. April 1276 steht im Urk.-B. Straßburg III S.27f. n. 78; außer der Magistra und der Subpriorin sind 14 Schwestern genannt (meist nur Vornamen); 1314 wohnten insge- samt 13 Schwestern in dem Haus, s. ib. S. 234f. Die Regel für das Haus „von Innenheim‘ vom 14. April bei Mosheim, De beghardis S. 158 ff.; Urk.-B. Straßburg III S. 29 n. 79; es hat damals 9 Mitglieder, ebenso das dritte Haus „von Offenburg“, dessen Regel am 4. Mai datiert ist, ib. III S. 30 n. 81. Der Name Beginen kommt in den Urkunden nicht vor, sie heißen darin nur sorores; die jetzt verlorene Handschrift des 14. Jahr- hunderts, aus der Mosheim die Regel abdruckte, bemerkte dazu: Constitu- tiones domuum beguinarum Argenlinensium. — Über die Lage der drei Häuser beim Dominikanerkonvent s. ©. Schmidt, Straßburger Gassen- und Häusernamen im Mittelalter, 21888, S. 47. 45. Die Statuten beginnen: Nos... (folgen die Namen der Schwestern) ‚.volentes materiam dissolulionis suspecte et nocive diffugere et ad dis- ciplinam commendabilem coerceri, de consilio et consensu confessoris no- stri fratris Frideriei dicti de Ersteheim O.F.P. in Argentina hec inter nos ordinavimus et fide data inviolabiliter nos observaturas publice profitemur. Ordinavimus itaque et fide corporali prestita observare promisimus..,; jeder Absatz beginnt mit den Worten: /tem volumus et ordinamus et fide dato vallamus. — 8 9: Ordinamus et promittimus fide prestita, quod in hüs que circa statum nostrum ordinanda fuerint et corrigenda, obediemus magistre nostre et subpriorisse et ei, qui pro tempore nobis confessor fuerit depu- tatus, et eis nos submittimus ex presenti ordinatione quoad hec et quoad omnia supra memorata et ordinata, ita etiam quod confessor noster de a nicht fügt und die Statuten nicht befolgt oder die einträchtige Ordnung unter den Schwestern stört, ebenso wer sich eines un- sittlichen Lebenswandels schuldig macht, wird aus der Gemein- schaft ausgeschlossen; die Entscheidung darüber hat die Magi- stra, die Subpriorin und die Mehrheit der Schwestern zu fällen. Auch andere Strafen für Verfehlungen werden erwähnt, aber im Unterschied von den meisten Ordensregeln enthalten diese Statuten keine ausführlichen Strafordnungen. Die meisten Be- stimmungen der Statuten gelten vielmehr der Regelung der Ver- mögensverhältnisse.. Von einem Armutsgelübde oder Verzicht auf Privateigentum ist dabei so wenig die Rede, wie es sich bei der Verpflichtung zur Befolgung der Statuten und zum Gehor- sam gegen die Anordnungen der Oberen um ein eigentliches Gehorsamsgelübde handelt; auch von einem Keuschheits- gelübde hören wir in den Statuten nichts. Wohl aber verlieren die Schwestern beim Eintritt in die Gemeinschaft die freie Ver- fügung über ihr Vermögen. Wird eine Schwester wegen Ver- stoß gegen die Statuten ausgeschlossen, so bleibt alles, was sie mitgebracht hatte, Eigentum des Hauses, ebenso der Nachlaß von Schwestern, die im Hause sterben; Erbansprüche von Ver- wandten werden ausdrücklich abgewiesen. Wenn aber eine Schwester, nachdem sie länger als ein Jahr in der Gemeinschaft gelebt hat oder — falls sie schon als Kind in die Gemeinschaft eingetreten ist — nachdem sie das 14. Lebensjahr erreicht hat, freiwillig wieder ausscheiden will, so darf sie auch dann nur ihre Kleidung und ihr Bettzeug mitnehmen, alles andere, was sie an beweglicher und unbeweglicher Habe beim Eintritt mit- gebracht hatte, verbleibt der Gemeinschaft; nur wenn sie in ein Kloster übertritt, wird ihr außerdem noch ein bestimmter Geld- betrag von 5 Pfund mitgegeben. Der Austritt aus der Gemein- schaft war also grundsätzlich nicht unmöglich, denn er war nicht durch bindende und ewige Gelübde verwehrt, aber er zog den Vermögensverlust nach sich.** Diese Bestimmungen wären consilio prioris fratrum predicatorum possit in quolibet articulo huius cedule nobiscum dispensare, si viderit oportunum. 46. Ganz ähnlich beschreibt übrigens der Kolmarer Dominikaner- chronist (MG.Ser. XVII S. 235) die Gewohnheit in den süddeutschen Frauenklöstern, die später dem Dominikanerorden unterstellt wurden: u Ne unverständlich, wenn die Beginengemeinschaften tatsächlich, wie oft behauptet worden ist, Versorgungsstätten für unbemit- telte und unverheiratete Frauen hätten sein wollen, aus denen jederzeit der Austritt freistand, wenn sich eine günstigere Ge- legenheit zur Versorgung im bürgerlichen Leben, vor allem durch Verheiratung bot. In Wirklichkeit wird in den Straß- burger Beginenregeln der Austritt von Schwestern zu dem Zwecke, sich zu verheiraten, durch die Vermögensbestimmungen nicht nur außerordentlich erschwert; sondern unter den Gründen, die eine Schwester zum Verlassen der Gemeinschaft veranlassen könnten, wird diese Möglichkeit der Rückkehr in den Weltstand überhaupt nicht erwogen, sondern nur der Eintritt in ein Kloster, in eine Klause oder in eine andere religiöse Gemeinschaft.‘ Andererseits wird in diesen Bestimmungen nicht nur stillschwei- gend vorausgesetzt, daß alle in die Gemeinschaft eintretenden Schwestern ein Vermögen an beweglichem und unbeweglichem Gut mitbringen, sondern Frauen, die aus irgend einem Grunde nicht erbfähig sind, werden sogar ausdrücklich von der Auf- nahme in die Gemeinschaft ausgeschlossen.” Der Eintritt in Quando aliqua dominarum ad eas venire voluit, res suas mobiles et im- mobiles priorisse presentavit atque postea amplius non curavit. In ordine manendi probationis tempus habuit et si displicuit, cum rebus suis omni- bus resilivit, et si conventui displicuisset, res sibi suas totaliter reddidis- sent. Si post annum professionis apostatasset, nihil de suis habere nisi de gratia potuisset. Quamdiu pauperes fuerunt, dominas cum pecunia receperunt, quando vero ditate fuerunt, personas sine pecunia receperunt. 47. 8 2: Si.. voluntate mutata recesserit sive propter honestam causam, puta quia in reclusorio carceris permanere voluerit (d.h. wenn sie Rekluse werden will) sive alias ad societatem honestam transire voluerit, de omni- bus secum apportatis sive in mobilibus sive in immobilibus nihil secum de- portare valebit exeptis vestimentis et lectisternüs, nisi benignitas soro- rum eidem voluerit facere gratiam ampliorem. Item si claustrum intrare voluerit, quinque libras tantum de bonis suis accipiet apportatis. — Schon Mosheim wunderte sich (S.163), daß dabei die Möglichkeit des Aus- trittes zwecks Verheiratung nicht erwähnt ist, und da er überzeugt ist, daß auf diese Möglichkeit „keine Begine ganz zu verzichten pflegte“, denkt er, man dürfe bei dem Übergang in eine societas honesta auch an die Eheschließung denken. Aber die Vermögensentziehung ist damit schlecht vereinbar. 48. S 6: Preterea nolumus, quod aliqua recipiatur, quin in bonis pater- Re. er die Gemeinschaften stand also nur Frauen offen, die Vermögen mitbrachten, der Austritt dagegen hatte den Verlust dieses Ver- mögens an die Gemeinschaft zur Folge. Aus späteren Straß- burger Urkunden wissen wir, daß tatsächlich in den drei „Sammlungen“, in denen diese Statuten galten, nur Frauen des Straßburger Patriziats und des höheren Bürgertums gewesen sind.” Was das für die Eigenart des regulären Beginenwesens besagt, werden wir später erörtern. Aus den Straßburger Sta- tuten sind noch zwei wichtige Merkmale hervorzuheben. Wo- durch sich die Schwestern ihren Lebensunterhalt verschaffen sollen, ist darin nicht ausdrücklich gesagt; aber aus einer neben- sächlichen Bemerkung ersieht man, daß die Gemeinschaft auf zwei Einkommensquellen angewiesen war: auf den Ertrag aus dem Besitz, den die Schwestern in die Gemeinschaft mitbrach- ten, und auf den Ertrag aus ihrer Arbeit — das kann nur heißen, aus Handarbeit der Schwestern.” Ebenso ist über das Verhält- nis der Schwesternschaft zum Pfarrklerus und zu den Domini- kanern in den Statuten nicht besonders die Rede. Aber ein Dominikaner ist ihr Beichtiger, mit seinem Rat und seiner Zu- stimmung sind die Statuten verfaßt worden, seinen Anordnun- gen müssen die Schwestern gehorchen, er kann auch im Einver- ständnis mit dem Dominikanerprior nötigenfalls von den Sta- tuten dispensieren, die außerdem von dem Dominikanerprior mitbesiegelt worden sind. Diese Statuten galten nur für die drei Straßburger Beginen- sammlungen beim Dominikanerkonvent. Man darf ihre Be- stimmungen natürlich nicht verallgemeinern. Aber die wichtig- sten Merkmale finden sich ähnlich auch in den Satzungen ande- nis, maternis vel peculio adventicio vel profecticio vel alias ut in seculari habitu existens valeat succedere ex quacumque causa, nisi aliquo casu renuntiemus. 49. Vgl. C. Schmidt, Die Straßburger Beginenhäuser im Mittelalter; Alsatia VII 8.152; W.Kothe, Kirchliche Zustände Straßburgs S. 46, 49, 52. 50. $ 1: Wenn eine Frau vor Ablauf eines Jahres aus der Gemein schaft wieder austritt, so darf sie alles, was sie bei ihrem Eintritt mitge- bracht hat, wieder mitnehmen, aber sie muß den Aufwand des Hauses für Nahrung und Kleidung vergüten (40 Denare monatlich für den Lebens- unterhalt), und es wird ihr dabei nicht angerechnet nec opera eius nec utilitas proveniens ex his, quae attulit, vel poterat evenire. a RE rer Beginenhäuser aus dieser Zeit wieder. 1288 wurde in Worms von einem ehemaligen Schultheißen des Domstifts ein Haus für 20 „arme Schwestern oder Beginen" gegründet, dem der Stifter seinen gesamten Besitz mitsamt einem zur Wohnung der Be- sinen bestimmten Haus unveräußerlich vermachte; in dem Stiftungsbrief setzte er zugleich die Hausregel fest.”' Sie unter- stellte die Schwestern der Leitung, Aufsicht und Seelsorge der Franziskaner. Sie verlangt ausdrücklich, daß keine Frau in die Gemeinschaft aufgenommen werden darf, die sich ihren Lebens- unterhalt nicht mit ehrbaren Mitteln — das heißt wohl: aus eigenem Vermögen — oder mit der Arbeit, die sie gelernt hat verschaffen kann, sondern auf den Bettel, auf Almosen ange- wiesen ist; denn der Stifter will nicht, daß sein Vermögen in schlechte Hände kommt.’ Bei der Aufnahme in die Gemein- schaft hat jede Schwester ihren gesamten Besitz der Meisterin zu übergeben, die das Vermögen für alle verwaltet und den Franziskanern darüber Rechenschaft abzulegen hat. Nur mit ihrer Zustimmung können die Schwestern über ihr Eigentum verfügen. Diese Vorschrift wird in dem Stiftungsbrief besonders damit begründet, weil sonst die Reichen und Vornehmen unter den „armen Schwestern” sich den Ärmeren und Geringeren überlegen dünken könnten, Auch hier ist also nicht nur an die Aufnahme von bedürftigen Frauen der unteren Schichten ge- dacht, sondern an Frauen, die pauperes sorores sein wollen, 51. H. Boos, Urk.-B. der Stadt Worms I S.286ff. n. 438; auch bei Bihl, AFH XIV S.187ff., der diese pauperes sorores vel beoginae von Anfang an für franziskanische Tertiarierinnen hält. — Im selben Jahr wurde in Worms noch ein anderes Beginenhaus für 14 Schwestern ge- stiftet, ss Boos IS. 285f. n. 436; schon 1275 wurden in einem Testament 40 muliebrae bekinae in Worms bedacht, Boos S.240 n. 372. 52. Ne in usum malarum personarum convertam (bona mea), districte sine ulla dispensatione prelati volo, ut nulla in dictarum sororum consor- tium recipiatur, quam oporteat mendicare, quin aliqui modo honesto wel labore consueto et honesto valeat sibi necessaria acquirere et comparare; Krankenpflege als Quelle des Lebensunterhalts wird aber den Schwestern ausdrücklich verboten. Die Anzahl der Schwestern darf mit Zustimmung der Franziskaner nur erhöht werden, wenn die Mittel des Hauses für mehr als 20 ausreichen oder wenn sie rebus habundaverint. = Bun auch wenn sie vorher reich und vornehm waren. Wer wegen schwerer sittlicher Vergehen ausgeschlossen wird, verliert sein gesamtes Vermögen an die Gemeinschaft, beim Ausschluß wegen Verstoß gegen die Ordnungen der Gemeinschaft behält diese die Hälfte des Vermögens, ebenso aber bei freiwilligem Austritt von Schwestern, über dessen Motive hier nichts gesagt ist. So ausführliche Statuten für deutsche Beginenhäuser sind sonst aus dem 13. Jahrhundert nicht bekannt.°* Aber die über- einstimmenden Züge in den Statuten der den Dominikanern unterstellten Straßburger und der den Franziskanern unterstell- ten Wormser Beginen sind auch für einige andere Gemeinschaf- ten dieser Zeit bezeugt: Auch die Beginen in Hildesheim lassen sich 1281 urkundlich bestätigen, daß Schwestern, die freiwillig aus ihrer Gemeinschaft austreten, keinen Anspruch auf Rück- gabe des Geldes haben, das sie bei ihrem Eintritt der Gemein- schaft übergeben haben; ebenso die Beginen in Halberstadt im Jahre 1302; auch in einem 1309 in Wesel gegründeten Be- ginenhaus ist die Aufnahme von dem Besitz eigenen Vermögens 53. Ib.: Zt quoniam divites et nobiles humilioris condicionis socias contempnere consueverunt, nolo ut aligqua soror in curiam recipiatur nisi prius resignet omnem substanciam suam in manus magistre et efficiatur sicut pauperior que est intus. — — Quicquid etiam habet aliqua ultra va- lorem trium librarum, in manus magistre resignabit et tamen de eisdem bonis honeste de licentia magistre ipsius quidquid sibi expedit faciat, cui magistra licentiam non negabit. 54. Die von Herzog Johann I. von Brabant 1271 bestätigte Regel der Brüssler Beginen (Miraeus, Opera dipl.-hist. IT S.1006; vgl. oben S. 321 Anm. 3) hat die spezifisch belgische Form der Beginenhöfe mit lauter Einzelhäusern im Auge. Auch da ist die Aufnahme reicherer und ärmerer Frauen vorgesehen; im allgemeinen sollen die Frauen, puellae und viduae, sich Häuser auf eigne Kosten bauen, deren eigne Nutznießer sie Zeit ihres Lebens bleiben; nach ihrem Tod fallen diese Häuser der Gemeinschaft zu. die Verwandten der Schwestern haben keine Erbansprüche; sie sollen dann ärmeren Beginen überwiesen werden, die sich nicht aus eignem Ver- mögen Häuser bauen können. 55. Urk.-B. Hildesheim I S.182f. n. 374 von 1281: sorores que ad pre- dictam congregationem intraverunt vel intrabunt, data ad earum necessi- tates pecunia, si aligquo motu proprio ab ipsis recedere voluerint, super repetitione pecunie sive in parte sive in toto eas nullatenus audeant mole- stare. Ähnlich in einer Halberstädter Urkunde von 1302, Halberstädter Urk.-B. I S. 223 n. 294. — — 351 — oder der Fähigkeit zum Erwerb durch Handarbeit abhängig ge- macht.” Daß die Beginen in den Gemeinschaften, die sich an die Dominikaner anlehnten, von der Handarbeit lebten, zeigt auch eine Bemerkung des deutschen Provinzials Ulrich von Straßburg.” Die Statuten der Beginenhäuser des 13. Jahrhunderts legen also, soweit wir sie kennen, alle übereinstimmend den größten Wert auf die wirtschaftliche Sicherstellung der Gemeinschaften teils durch das Vermögen der Schwestern, teils durch den Er- trag ihrer Arbeit. Dieser Grundsatz ist nach zwei Richtungen bedeutsam. Einmal schließt er den Bettel und das Almosen- sammeln als Grundlage religiöser Frauengemeinschaften aus und bindet die Mitglieder möglichst weitgehend an das Haus, um das freie Herumziehen der Frauen in Straßen und Häusern zu verhindern. Andererseits ermöglicht er nur solchen Frauen den Eintritt in diese geordneten Gemeinschaften, die nicht auf Almosen angewiesen sind, sondern sich aus eigenem Vermögen oder aus eigener Arbeit erhalten können. Diese Beginenhäuser wollten und konnten weder ganz armen und bedürftigen Frauen ein Asyl bieten, noch fand in ihnen das Ideal der vollkommenen Armut nach franziskanischem Vorbild, die nicht von einem Tag auf den andern sorgt, eine Stätte. Der Gedanke an gesicherte Versorgung hat in ihnen mehr und mehr die Idee der freiwilli- gen Armut ersetzt. Ähnlich liegen die Verhältnisse auch in dem männlichen Seitenstück zu den Beginenhäusern, die seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts auftraten. Sie sind nur in Belgien zu eini- ser Bedeutung gelangt, waren aber auch dort niemals so zahl- reich wie die Beginenhäuser. Der Chronist Matthäus Paris hat schon zum Jahre 1243 vermerkt, das Beginenwesen habe in Köln auch unter den Männern, stärker allerdings unter den Frauen 56. Heidemann, Die Beginenhäuser in Wesel, Z. des Bergischen Gesch.-Vereins IV S.94. In den Beginenhäusern in Hamburg und Lübeck wird sogar ausdrücklich ein Eintrittsgeld verlangt. 57. H. Finke, Dominikanerbriefe S.83 n. 52, Ratschläge für ein visitiertes Dominikanerkloster: Vitent quoque begginarum conventicula et ibi ultra quod decuerit non morentur nec sint talibus honorosi pauper- culis, quibus labor manuum est pro censu. — 352 — erstaunlich zugenommen;” zur selben Zeit erwähnt der Brief eines französischen Klerikers guosdam novos religiosos, qui beguini vocantur, in Wiener-Neustadt.” In beiden Fällen er- fahren wir aber nichts über die Lebensweise dieses männlichen Zweiges des Beginentums. Seit 1252 aber sind in Brügge, bald danach in Diest und anderen belgischen Städten „Begarden- häuser” bezeugt, in denen ganz ähnlich wie in den weiblichen Beginenhäusern religiöse Gemeinschaften zu gemeinsamen frommen Werken lebten und auch gemeinsame Arbeit trieben, meistens auch hier die Weberei, vereinzelt aber auch Handel und selbst Ackerbau. Diese Gemeinschaften haben, wie ihre 58. Chron. major, MGSer. XXVIII S.234; vgl. auch Hist. Angl., ib. S. 417 über die beguini sive beguinae. Bei der zweiten Erwähnung des Köl- ner Beginenwesens in der Chronica major zum Jahre 1250 (ib. S. 320 und 430) spricht Matthäus Paris nur von Frauen, ebenso die aus seinen Schrif- ten schöpfende „Abbreviatio Chronicorum Angliae“ zu 1243, ib. S. 449. — In Kölner Urkunden sind Begarden zuerst 1258 genannt, s. J. Asen, An- nalen des Vereins f. Gesch. des Niederrheins CXI S.87f. — Schon vor 1237 erwähnt der friesische Prämonstratenserabt Emo v. Wittewierum in seiner Chronik (MGSer. XXIII S.517) die guwidam simplices, qui dicuntur Beggini; s. o. S. 221f. Anm. 47. 59. In dem Brief des Klerikers Ivo von Narbonne, der um 1215, weil er als Ketzer verdächtigt worden war, aus Frankreich floh und durch Norditalien über die Alpen nach Kärnten und Österreich ging, von wo er 1242 dem Erzbischof von Bordeaux über seine Erlebnisse berichtete, s. Matthäus Paris, Chron. major, MGSer. XXVII S. 230. 60. Die Angaben belgischer Historiker des 17. Jahrhunderts über ältere Begardenhäuser in Löwen und Antwerpen sind nicht verwertbar. Zuerst ist eine solche Gemeinschaft von beghuini oder beghardi in Brügge 1252 nachweisbar, als ihr die Gräfin Margarete von Flandern einen Schutz- brief ausstellte (s. L. Gilliodts-van Severen, Inventaire diploma- tique des archives de l’ancienne Ecole bogarde A Bruges, 1899). 1257 wer- den die fratres obedientes dicti Beggardi in Diest erwähnt, welche Acker- bau trieben; 12831 nahmen diese fratres Beggardi manentes in conventu eorum prope Diest die Regel des 3. franziskanischen Ordens an. — 1276 nahm Herzog Johann I. die handeltreibenden Begarden in Tirlemont unter seinen Schutz, 1277 die mit Weberei beschäftigten Begarden in Brüssel. 1284 wird ein conventus Beghardorum in Mecheln erwähnt, 1293 in Löwen, wo das Begardenhaus (ebenso wie in Brüssel) zum Versammlungsort der Weber wurde. 1298 ist das Begardenhaus in Tournai, in den nächsten Jahren weitere Häuser in St. Omer, Middelburg, Bois-le-Duc bezeugt. Vgl. G. des Marez, Les Bogards dans l’industrie drapiere ä Bruxelles (Me- — 353 — späteren Statuten und die Angaben in den Schutzbriefen der Herzöge von Brabant, die sie meist von Steuern und Abgaben befreiten, sowie ihre Beziehungen zu den Zünften zeigen, große Ähnlichkeit mit den lombardischen Humiliatenhäusern. Über ihre Anfänge und die Motive ihrer Entstehung weiß man sehr wenig, man wird aber nach der Analogie aller ähnlichen Ge- meinschaften vermuten dürfen, daß auch die Begardengemein- schaften nicht in erster Linie aus wirtschaftlichen Gründen ent- standen sind, sondern daß religiöse Motive auch hier bestim- mend waren für den Zusammenschluß und für Beschäftigung mit gemeinschaftlicher Handarbeit, vor allem der Weberei.‘ Diese Begardenhäuser hatten von Anfang an, auch als sie noch organisatorisch selbständig waren, nahe Beziehungen zu den Franziskanern oder den Dominikanern; am Ende des 13. und vollends am Anfang des 14. Jahrhunderts, als sie durch die päpstlichen Begarden-Gesetze ganz unverschuldet in Mitleiden- schaft gezogen wurden, sind sie alle zu den Franziskaner-Ter- tiariern übergegangen, ohne daß sich dadurch an ihrer früheren Lebensweise viel änderte, ohne daß sich auch ihre volkstümliche Bezeichnung als Begarden verlor. Unruhige Elemente hat es vereinzelt auch unter ihnen gegeben.” Im allgemeinen aber langes Paul Frederieq 1904) S.277ff.; J. Vann&rus, Documents con- cernants le Tiers Ordre ä& Anvers et ses rapports avec l’industrie drapi£re, und: Documents concernants les Bogards de Malines; Fr. Callaey, Les Beggards des Pays-Bas; J. van Mierlo, Het Begardisme (Verslagen en Mededeel. 1930 S. 283ff.). — Callaey und van Mierlo erwähnen folgende Namensformen für die Begarden: beghardi, beghuini, aerme Beg- harde, boni pueri, goede kinder die men heet Beggarde, bigardi, beggardi, begehardi, beginhardi; später bogardi und bogaard. 61. J. van Mierlo, Verslagen en Mededeel. 1930 S. 286 f. fragt mit Recht: „Waren zij daarom wevers van stiel vöör zij het beguinisme om- helsden? Of zijn zij het geworden na hun overgang tot het beguinisme? Door de geschiedschrijvers wordt gewoonlijk het eerste verondersteld. Toch is ’t wel zeker dat er onder de eerste beguini ook aanhangers uit den adel en uit de hoogere burgerij, zij het ook in veel geringer aantal den bij de begijnen, zijn geweest.'‘ 62. 1285 verlangte Herzog Gui de Dampierre Maßnahmen gegen ge- wisse Begarden in Brügge qui mainent vie deshonnete et veulent leur des- honnete couvrir par l’abyt des Begards, et par les fais de tels sunt li autre sans leur coupe sowvent escandelisiet, s Gilliodts-van Severen — 354 — sind diese geordneten, arbeitsamen, von den Bettelorden be- treuten Begardengemeinschaften in Belgien unberührt geblieben von den Gefahren des religiösen Radikalismus und ketzerischer Entartung, die den Bestand des Beginenwesens um die Wende zum 14. Jahrhundert bedrohten. Nur die Tatsache, daß sie den- selben Namen führten, mit dem vielfach die unruhigsten Ele- mente in der Kirche des 13. Jahrhunderts bezeichnet wurden, hat auch sie vorübergehend in die große Krise des Beginentums mit verwickelt. Das Beginentum hat also, auch ohne als ein religiöser Orden anerkannt zu sein und obgleich diese halbmönchische Lebens- form in den Ordnungen der Kirche keine eindeutige Stelle fand, zum großen Teil seinen Bestand dadurch behauptet, daß sich die einzelnen Gemeinschaften an feste Statuten banden, sich wenigstens an eine lockere Form der Klausur gewöhnten, die im wesentlichen nur zum Zweck des Kirchgangs durchbrochen wurde, nicht aber das Almosensammeln gestattete, und daß sie sich der Aufsicht der Bettelorden unterstellten. Aber diese Entwicklung zum geregelten Beginentum hat sich nicht einheit- lich und nicht vollständig vollzogen, und die Kreise religiöser Frauen, die nicht auf diese Weise in geordnete Verhältnisse einbezogen wurden, sind zu einer Gefahr für das ganze Beginen- tum geworden. Um aber die Entwicklung dieses ungeregelten Beginentums im Zusammenhang mit den freigeistigen Ketzereien verständlich zu machen, muß die Untersuchung noch einmal weit zurückgreifen bis in den Anfang des 13. Jahrhunderts. I S.7; 1286 erließ der Bischof von Cambrai eine Verordnung gegen Be- garden, die aus dem Konvent in Mecheln propter suos excessus vel ex alia causa ausgewiesen oder ausgetreten waren und, wenn sie nicht zurück- kehren, ihren habitus beggardalis bei Strafe der Exkommunikation ablegen sollten, ss Vanne&rus Bulletin de la comm. d’hist. LXXX S. 237f. VI. Die „freigeistige“ Ketzerei in der religiösen Bewegung des 13. Jahrhunderts. 1, Die Ketzereider „‚Amalrikaner" in Paris 1210. Die Ketzerei, die seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhun- derts das Beginentum in Deutschland durchsetzt und 1311 auf dem Vienner Konzil zu seiner allgemeinen Verurteilung geführt hat, ist von jeher immer wieder in Zusammenhang gebracht worden mit einer häretischen Bewegung in Paris, die um das Jahr 1210 entdeckt und durch eine Pariser Synode verurteilt worden war. Die Lehren, die damals in Paris und später unter den Beginen verbreitet wurden, berühren sich in vielen Punkten so auffällig, daß die Vermutung eines geschichtlichen Zu- sammenhangs zwischen beiden Erscheinungen unabweisbar war. Trotzdem wollte es nicht gelingen, die Wege aufzudecken, auf denen die beiden zeitlich und räumlich soweit getrennten Ketzerkreise miteinander in Beziehung standen. Außer der weitgehenden Übereinstimmung in den häretischen Lehren schien sich ein Beweis für die wirklichen Zusammenhänge nicht erbringen zu lassen. Bisher ungenutzte Quellen! über die Ketzerei in Paris im Jahre 1210 zeigen nun aber erstens, daß schon diese Ketzer in 1. In dem neuesten Buch über Amalrich von G. C. Capelle ist die Stelle aus der Chronik von Mailros zwar unter den geschichtlichen Zeug- nissen mit abgedruckt (S. 111), aber bei der Untersuchung und Darstellung selbst nicht verwertet. Da Capelle die geschichtlichen Voraussetzun- gen und Umstände der Ketzerei von 1210 überhaupt kaum berücksichtigt, sondern aus den Quellen nur das philosophische System Amalrichs und seiner Schüler (ohne zwischen beiden zu scheiden) zu rekonstruieren, auf sein Verhältnis zur philosophischen Tradition zu untersuchen und nach dem Maßstab des Thomismus zu beurteilen versucht, ist seine ganze Dar- stellung historisch unergiebig und sachlich wenig überzeugend. u en naher Beziehung zur religiösen Frauenbewegung standen, und sie geben andererseits auch einen Fingerzeig dafür, auf welchen Wegen sich die damals verurteilten Ketzerlehren durch die fol- gende Zeit erhalten und später unter den religiösen Frauen und besonders unter den Beginen in Deutschland wieder wirksam werden konnten. Bei sorgfältiger Beachtung aller Zeugnisse werden sich auch die Träger dieser häretischen Gedanken in der religiösen Bewegung des 13. Jahrhunderts entdecken lassen. Und erst aus dem Einblick in diese Zusammenhänge läßt sich dann auch die Wesensart, der geistige Gehalt und die geschicht- liche Bedeutung dieser Erscheinungen richtig verstehen. Daß sich die Verbreitung der Ketzerei, der im Jahre 1210 in Paris der Prozeß gemacht wurde, nicht auf die 14 gelehrten Kleriker beschränkte, die das Konzil damals verurteilte, wußte man schon aus den bisher bekannten Berichten über den Vor- fall. Sie hatten ihre Irrlehren an vielen Orten verbreitet, erzählt Caesarius von Heisterbach;? und er berichtet auch, daß der Ma- gister Rudolf von Namur mit seinem Begleiter, die sich als Mit- glieder der Sekte ausgaben, um sie zu entlarven, drei Monate lang mit den Ketzern in den Bistümern Paris, Sens, Troyes und Langres herumzogen und dort überall viele Anhänger der Ketzerei trafen. Der Chronist Guilelmus Brito’ erwähnt unter den Ketzern außer Priestern und Klerikern auch Laien und Frauen und bemerkt, daß die Pariser Synode nur die Führer verurteilte, die durch sie verführten und getäuschten Frauen und andere einfältise Leute dagegen verschonte. Eine bisher nicht beachtete zeitgenössische Aufzeichnung in den Annalen des schottischen Zisterzienser-Klosters Mailros gibt nun ein deutlicheres Bild von den geschichtlichen Umständen dieser Ketzerei, aus dem wir neue Züge ihrer geistigen und religiösen Eigenart kennen lernen. Die Ketzer sind in die Häuser verwit- 2. Dial. mirac. V 22 ed. StrangelIS. 304: Isti.. hereses multas et mazimas excogitaverant et jam in plurimis locis disseminaverant; S. 306 ...quam plurimos de eorum secta invenerunt. 3. De gestis Philippi I. ed. Delaborde, I 8.232: Huius secte plures sacerdotes, clerici et laici ac mulieres.. tandem detecti..; mulieri- bus autem et aliis simplicibus, qui per maiores corrupti fuerant et decepti, pepercerunt. — 357 — weter Frauen gegangen, heißt es da,‘ und haben durch falsche Auslegung der heiligen Schrift viele Unschuldige in die Irre ge- führt. Diese Bemerkung ist sehr lehrreich. Die Männer, gegen die sich dieser Vorwurf richtet, die von dem Konzil als Ketzer verurteilt wurden, waren allesamt Kleriker, die meisten schon Priester, die anderen hatten niedere Weihegrade.° Sie hatten 4. Chronica de Mailros zum Jahre 1210; ed. J. Stevenson S.109f. (= Recueil XIX S.250; J. Fell, Rer. Anglicanorum t. I S. 184; in den Auszügen aus dieser Chronik in MGSer. XXVII 432ff. steht diese Stelle nicht; ich zitiere sie hier vollständig): Eodem anno convocatis Parisius archiepiscopis et episcopis ceterisque prelatis tocius ecclesie gallicane, cum omni universitate magistrorum civitatis mazimum ibidem celebratum est concilium, precique contra supersticiosos hereticos, qui et domos viduarum penetraverantet mazimam innocentum mul- titudinem sacram scripturam sinistra interpretatione docendo latenter seduzerani, quorum errores plus expedıt reticendo dolere quam recitando docere. Qui in eodem concilio de here- tica pravitate convicti sunt et de nefanda secta magistri Amauri, cujus ossa ibidem audientibus omnibus et videntibus, ut ceteri metum habeant, ab omnibus archiepiscopis et episcopis excommunicata, extra sacram cimi- terium projici jubentur. Et ipsi heretici XV diebus ante natale domini (— 10. Dez.) in campis juxta capellam sancti Honorati coram omni populo sunt degradati et laicorum custodie mancipati, qui et post triduum pre cepto domini regis igne consumti sunt. Qui tanta pertinacitate obdurue- runt, quod nec sonitum nec tinnitum in flammis emiserunt; quos laicı Papelardos appellaverunt. Magister autem Robertus de Curcun, vir vite venerabilis et in omni doctrina perspicuus, cui a domino papa cum ceteris dignitatibus suis data est cura summa predicationis in Gallüs, pre- dictos pseudoprophetas a principio omni studio persecutus est eosque Almaricanos a predicto Almarico denominawit, vel Godinos a Godino here- siarcha eorum, qui etiam pari pena punitus interüt. Plures autem errore eorum decepti sed compuncti, perpetuo carceri sunt mancipati, prius tamen degradati a sacris scilicet ordinibus. — 5. Die Liste der Namen im Dekret von 1210 (Chartul. Univ. Paris. I S.70 n. 11) deckt sich fast völlig mit den ausführlicheren Angaben bei Caesarius von Heisterbach, Dial. mirac. V 22 (ed. Strange I S. 304), die ien hier anführe (in der Reihenfolge des Pariser Dekrets und mit dessen wich- tigeren Abweichungen in Klammern): Bernardus subdiaconus. — Wilhel- mus (de Arria) aurifer (— aurifaber) propheta eorum. — Stephanus sacer- dos de Veteri Curbuel (— Corbolio). — Stephanus sacerdos de Cella. — Johannes sacerdos de Uncinis (— Occines). — Magister Wilhelmus Picta- viensis subdiaconus, qui legerat Parisius de artibus et tribus annis stu- duerat in theologia. — (Über diese sechs sagt Caesarius zusammenfassend: Bi damals, nach ihrem Studium in Paris, fast alle schon Pfarr- stellen und Seelsorgeämter in der Provinz bezogen. Als Seel- sorger also haben sie vor allem unter Frauen’ und besonders — 358 — isti omnes in theologia studuerant excepto Bernardo). — Dudo (sacer- dos) specialis clericus magistri Almerici sacerdotis (!), qui fere decem annis in theologia studuerat. — (Dominicus de Triangulo; fehlt bei Cae- sarius). — Odo diaconus und Elinandus acolitus (clerici de S. Clodo- aldo). — (Über diese ersten 10 bestimmte das Dekret von 1210: isti degra- dentur penitus seculari curie relinquendi; sie wurden verbrannnt). — Ulri- cus sacerdos de Lueri (— Lauriaco), qui sexagenarius studuerat in theolo- gia tempore mulio. — Feirus de S. Clodoaldo sacerdos et sezagenarius, qui etiam audierat theologiam,; ..anteguam caperetur, pre timore mona- chus effectus est (= modo monachus S. Dionysiü). — Magister Garinus (= Guarinus presbyter de Corbolio), qui conventaverat Parisius de arti- bus, et hic sacerdos audierat theologiam a magistro Stephano archiepis- copo Cantuarensi (d. h. er hatte bei Stephan von Langton gehört, als er noch in Paris las). — Stephanus diaconus de Veteri Curbuelo. — (Über diese vier letzten bestimmte das Dekret von 1210: degradentur perpetuo carceri mancipandi). — Das Chronicon universale anonymi Laudunensis (ed. Cartellieri-Stechele 3.69) nennt als precipui den 3.) Stepha- nus presbyter parrochialis de Corbolio; der 15.) magister Garinus eius- dem castri capellanus, und den 1.) magister (!) Bernardus. Der Continua- tor III der großen Kölner Annalen sagt zum Jahre 1210: Hoc anno in ad- ventu domini quidam heresiarcha Bernhardus nomine cum alüs 9, quorum 4 sacerdotes erant, Parisius venientes, occulte pervertere populum nite- bantur; er zählt also die letzten vier, die nur zu Kerkerhaft verurteilt wurden, nicht mit; unter den 10 ersten sind tatsächlich vier Priester. Der Continuator II dieser Annalen sagt zum selben Jahr: Erant autem 14 tam clerici diversi.ordinis quam et laici; s. Chronica regia Colon. ed. Waitz S.230 und S.187f. Tatsächlich ist aber unter den Verurteilten kein Laie; besonders ist zu beachten, daß auch der „Goldschmied“ Wilhelm von Arria — „ihr Prophet“, wie Caesarius sagt, durch den die ganze Sache ans Licht kam — ganz ohne Zweifel Kleriker war und Theologie studiert hatte, da- ber auch wie die anderen degradiert wurde. Man kann sich also nicht auf ihn berufen, um die Beteiligung von „Handwerkerkreisen“ bei der Ketzerei zu beweisen! 6. Caesarius 9.306: non erant in civitate excepto uno Bernardo. Robert von Auxerre, Chron. (MGSer. XXVI S. 275): guorum erant aliqui sacerdotes curam animarum habentes. Zwei von ihnen waren übri- sens schon über 60 Jahre alt, das Alter der anderen ist unbekannt; Cae- sarius bezeichnet sie als viri scientia et etate magni. 7. Vgl. auch Caesarius S.307: In ipsa nocte (der Verurteilung) is, qui inter eos potior habebatur, ad ostium cuiusdam incluse (!) pul- — 359 — Witwen ihre Wirksamkeit entfaltet,‘ den Samen ihrer gefähr- lichen Überzeugungen ausgestreut. Daß sie sich dabei vor allem auf eine eigenwillige Auslegung der heiligen Schriften stützten, läßt sich, wie wir sehen werden, aus der Eigenart ihrer Lehren gleichfalls als wahrscheinlich erweisen. Das Volk nannte diese Leute „Papelarden”. Dieses Wort tritt in dem Bericht der Chronik von Mailros unseres Wissens zum ersten Male über- haupt auf, seine Bedeutung ist deshalb nicht ganz leicht zu be- stimmen. Aber später wird es als Spottname für die Anhänger der religiösen Bewegung gebräuchlich, und Jakob von Vitry be- hauptet in seiner Beginenpredist, man habe mit dem Wort Papelarden in Frankreich dieselben frommen Frauen bezeich- net, die in Brabant und Flandern Beginen, in der Lombardei Humiliaten und in Italien Bizoken genannt wurden!” Demnach ist die Anhängerschaft der Pariser Ketzer offenbar in ähnlichen religiösen Frauenkreisen zu suchen, und wir werden dafür noch andere Zeugnisse finden. Was dem naiven Beobachter an ihnen am meisten auffiel, was bei den einen Sympathie und bei den anderen Anstoß erregte, war ihr ungewöhnlich frommes Ge- haben, die sonderbare Ernsthaftigkeit ihrer religiösen Lebens- führung’ — diese Züge sollte offenbar die Bezeichnung Papelar- den verhöhnen. sans sero suum errorem confessus est, asserens se magnum hospitem esse in inferno et eternis incendis deputatum. 8. Die Worte der Chronik von Mailros: qui et domos viduarum pene- traverant, lehnen sich an 2. Tim. 3, 6 an (vgl. 0.8.36 A. 46), wo Paulus über die in den „gefährlichen Zeiten‘ vor dem Weltende auftretenden Pseudo- Propheten sagt: er his enim sunt, qui penetrant domos et captivas ducunt mulierculas oneratas peccatis; dazu erklärt die „Glossa interlinearis“‘ des Anselm von Laon (7 1117): üli penetrant domos, qui ingrediuntur domos illorum, quorum regimen animarum ad eos non pertinet — die also unbefugte Seelsorge treiben. Ganz im gleichen Sinn hat später Wil- helm von S. Amour diese Paulus-Worte mit dieser Glosse gegen die Bettelorden ins Feld geführt, De periculis noviss. temporum bei M. Bierbaum, Bettelorden und Weltgeistlichkeit an der Universität Paris. 1920, S. 7. 8a. Sermo ad virgines ed. Greven Hist. Jahrb. XXXV, S. 44f.: s. u. S. 377 Anm. 47. 9. Vgl. Robert von Auxerre, MGSer. XXVI S. 275: quibus = BOB Als man diesem Treiben auf die Spur kam, die beschuldig- ten Kleriker verhörte und ihre Überzeugungen und Lehren er- kundete, ergab sich freilich zunächst ein scheinbar ganz anderes Bild. Es stellte sich heraus, daß die angeklagten Kleriker alle studiert, mehrere sogar den Magistergrad erworben hatten, und daß sie alle Schüler eines Mannes waren, der schon vor einigen Jahren gestorben!° und in dem Pariser Kloster S. Martin des Champs begraben war: des Philosophen und Theologen Amal- rich von Bena.'! Man erinnerte sich, daß schon die Lehren Amalrichs von der Pariser theologischen Fakultät angefochten worden waren, weil sie nicht orthodox seien, und daß der Ge- lehrte nach vergeblicher Appellation an den Papst einen Wider- ruf hatte leisten müssen. Was eigentlich der Streitpunkt dieses früheren Konfliktes gewesen war, läßt sich nicht genau erken- nen. Amalrich soll, so berichtet ein Chronist,'? hartnäckig die fecerat favorem ad populum fucata species honestatis et vite gravitas superducta,; vgl. unten S. 383. 10. Im Jahre 1206, da Alberich von Troisfontaines (MG Ser. XXIH S.890) sagt, post quatuor annos sue tumulationis sei der Leich- nam Amalrichs ausgegraben und verbrannt worden. 11. Die zeitgenössischen Quellen (und viele spätere Autoren) schrei- ben den Namen entweder Almaricus, Almericus oder Amauri- eus, Amorricus, und nennen seine Schüler daher Almaricani (Chron. Mailros.), Almarici (Chron. anon. Laud., Almariciani (Thomas Aqu.) oder Amauriani (Tract.).. Erst durch die Chronik des Martinus Polonus wurde die Form Amalricus eingebürgert. 12. Guilelmus Brito ed. Delaborde I S.230, der folgende allge- meine Charakteristik Amalrichs gibt: Fuit in eadem sacra facultate studens quidam clericus Amalricus nomine de territorio Carnotensi villa que Bena dieitur oriundus. Qui cum in arte logica peritus esset et scholas de arte illa et de aliüs artibus liberalibus diu rexisset, transtulit se ad sacram paginam excolendam. Semper tamen suum per se modum docendi et dis- cendi habuit et opinionem privatam et judicium quasi sectum et ab alüs separatum. Unde et in ipsa theologia ausus est constanter asseverare, quod quilibet Christianus teneatur credere se esse membrum Christi nec aliquem posse salvari, qui hoc non crederet, non minus quam si non cre- deret Christum esse natum et passum vel alios fidei articulos, inter quos articulos ipse hoc ipsum audacter audebat dicere annumerandum esse. — Vgl. auch die Beschreibung in der anonymen Chronik von Laon (ed. Cartellieri-Stechele 8.69): Almaricus.. vir quidem subtilissimus, sed ingenio pessimus fuit. In omnibus facultatibus in quibus studebat, — %1 — Lehre verfochten haben, es sei ein heilsnotwendiges Stück der christlichen Glaubenslehre, daß jeder Christ ein Glied Christi sei. Aber allein um dieses paulinischen Satzes willen (Membra sumus corporis Christi) konnte der gelehrte Theologe schwer- lich in einen Prozeß verwickelt worden sein. Die Hintergründe seiner Lehre aber lassen sich nur ungefähr erkennen. Erstens wissen wir ziemlich sicher, daß Amalrich das philosophische Werk des Johannes Scotus Eriugena erneuert hat und von dessen neuplatonischer Philosophie stark beeinflußt war.'® Zwei- tens ist es zum mindesten wahrscheinlich, daß er unter dem Ein- fluß der naturphilosophischen Schriften des Aristoteles und sei- ner arabischen Kommentatoren stand, die kurz vorher in Paris bekannt geworden waren; denn die Pariser Synode von 1210 hat nicht nur zugleich mit der Verurteilung der Schüler Amalrichs auch die Lektüre der libri Aristotelis de naturali philosophia und der commenta dazu verboten; sondern mehrere zeitgenössi- sche Berichte bezeichnen auch als Grund dieses Verbots den Einfluß dieser Schriften auf die damals verurteilten Ketzer,‘ aliis contrarius inveniebatur. Item sciendum quod iste magister Almori- cus fuit cum domino Ludovico, primogenito regis Francorum, quia crede- batur vir esse bone conversationis et opinionis ülese. 13. Inwieweit dabei Amalrich die Gedanken Eriugenas mißdeutet hat (so P. Duhem, Le systöme du monde V S. 245ff.), oder ob diese Miß- deutung erst seinen Schülern vorzuwerfen ist, läßt sich gar nicht entschei- den, denn wir wissen nichts von Amalrichs eigenen Gedanken. Die von dem Kanonisten Heinrich v. Ostia (s. J. Huber, Joh. Scotus Erigena S. 435f.) und dem Chronisten Martinus Polonus (MGSer. XXII S. 438) ihm: zugeschriebenen Lehren sind wörtliche Zitate aus Eriugenas „De divisione naturae“; vgl. Krönlein, Theol. Stud. u. Krit. XX 1, 1847, S. 292 ff.; Ch. Jourdain, Memoire sur les sources philosophiques de l’heresie d’Amaury de Chartres et de David de Dinant, 1870. 14. Chartul. Univ. Paris. I S. 70 n. 11; S. 72 n. 12 nach dem Bericht über die Verurteilung der Amalrikaner: Horum causa quosdam libros etiam ipsis sapientibus cognovimus interdictos. — Guilelmus Brito ed. Delaborde S.233: In diebus illis legebantur Parisius libelli quidam ab Aristotele ut dicebatur compositi, qui docebant metaphysicam, delaii de novo a Constantinopoli et a greco in latinum translati, qui quoniam non solum predicte heresie sententiis subtilibus occasionem prebebant, imo et alis nondum inventis prebere poterant, jussi sunt omnes comburi et sub pena excommunicationis cautum est in eodem concilio, ne quis eos de cetero scribere, legere presumeret vel quocumque modo habere. Ro- — 362 — und es sind auch einige Lehrsätze Amalrichs überliefert, deren Herkunft aus den neuplatonischen Gedanken der arabischen Aristoteles-Erklärer sehr wahrscheinlich ist." Viel mehr wissen wir nicht über den Denker, dessen Schü- ler sich 1210 vor der Pariser Synode wegen der von ihnen ver- breiteten Lehren zu verantworten hatten. Als Schüler des Philosophen Almarich erwiesen sie sich zunächst in ihrer dia- lektischen Schulung,’ als Schüler des Theologen Amalrich in bertvonAuxerre, MGSer. XXVI 8.276: Librorum quoque Aristotelis, qui de naturali phylosophia inscripti sunt et ante paucos annos Parisius ceperant lectitari, interdicta est lectio tribus annis, quia ex ipsis errorum semina viderentur ezorta. 15. Die Magdeburger Centurien (ed. Basel 1574, Cent. XIII e. 5 S. 558) zitieren als These der Amalrikaner: Deum esse animam celi mit der Quellenangabe Thomas Aquinas, bei dem ich nichts darüber habe finden können. Gabriel Prateolus (Preau), Elenchus alphäbeticus de vitis, factis et dogmatibus omnium hereticorum, 1569, S. 22f. (und da- nach Jac. Thomasius, Origines hist. philos. et eccles., 1699, S. 112) zitiert aus Gersons Tract. 3 super Magnificat: Almaricus et similes heretici dicebant mentem contemplativi vel beati perdere suum esse in proprio genere et redire in illud esse ideale, guod habuit in mente divina; in der Gerson-Ausgabe von Du Pin (IV S.269ff.) kann ich das Zital nicht finden. — Vgl. auch die beiden anderen Angaben Gersons (De myst. theol. specul. consid. 41, Opp. III S. 394 und Epist. ad fr. Barthol. Carthus., Opp. I S. 79£.), die Krönlein, Theol. Stud. u. Krit. XX, 1 S. 291. zitiert, aber nicht benutzt, weil sich nicht erweisen lasse, daß Ger- sons Angaben über Amalrich zuverlässig sind. — Weil man diese Frag- mente fast gar nicht beachtet hat und die sonst von Amalrich und seinen Schülern bezeugten Lehren allerdings mit Aristoteles und seinen Kom- mentatoren nichts zu tun haben, hat man meist den Zusammenhang zwi- schen der Verurteilung der Amalrikaner und des Aristoteles bestritten; vgl. Haureau, Hist. la philos. scolast. II, 1 1880 S. 100f£.; O0. Barden- hewer, Die pseudoaristotelische Schrift Über das reine Gute (Liber de eausis), 1882, 8.212ff.; P. Duhem, Le systeme du monde V S.245ff.; M. Grabmann, Forschungen über die latein. Aristoteles-Übersetzungen des 13. Jahrhunderts, 1916, S.133f. Die Zuverlässigkeit dieser überlieferten Frag- mente und ihre philosophische Herkunft bleibt noch zu untersuchen. — Ob bei Amalrich auch Einflüsse der Plato-Renaissance der Schule von Chartres vorliegen (s. Haureau a.a. O. S. 8; Bernardus Sil- vester, De mundi universitate ed. Barach-Wrobel S. XIX), läßt sich kaum entscheiden. 16. Vgl. Caesarius S. 305: Habebant etiam miserrimi illi argu- menta .‚sua nullius prorsus valoris, quibus suos errores confirmare nite- — 363 — der Verfechtung jener Lehre von der Gliedschaft Christi, deren Widerruf die Pariser Theologen einst von Amalrich erzwungen hatten.” Aber auch der „Pantheismus’ der Ketzer von 1210, die Lehre von der Identität Gottes mit allem Seienden, mit der Essenz, dem Wesen aller Dinge, ist ohne Zweilel aus der Kennt- nis der von Amalrich erneuerten Philosophie Eriugenas erwach- sen.‘® Wahrscheinlich hatte Amalrichh, der Philosoph und Theolog, auch selbst sich schon die Aufgabe gestellt, die seine Schüler zu lösen suchten: die neuplatonistische Identitäts- philosophie mit Hilte der Schrift-Exegese, vor allem der Deu- bantur. Die durchaus dialektische Art dieser Argumente ist aus dem von Cl. Baeumker (zuerst im Jahrb. f. Philos. u. spekulat. Theol. VII, 1893, dann in den Beitr. zur Gesch. der Philos. des Mittelalters XXIV, 5/6, 1926) veröffentlichten Traktat Contra Amaurianos deutlich zu ersehen, der wahr- scheinlich von Garnerius von Rochefort um 1210 geschrieben ist, m.E. nach dem Prozeß. (Im Foigenden zitiert „Tract.‘“). Der Verfasser sagt daher einmal: Sed quoniam michi videor magis philosophis loqui quam theologis —nam si vere theologi essent, magis sanctorum testimoniis quam humane rationi consentirent, scientes quia fides non habet meritum, cui humana ratio prebet experimentum —ideo facultatis ratione naturalis hoc idem probare possumus. Tract. S. 32. 17. Tract. c. 8 S.24: Nemo, inquiunt, potest esse salvus nisi credat se esse membrum Christi. 18. Chartul. I S.71: Omnia unum, quia quicquid est, est deus; Trakt. e.9 S.24ff.: Deus est omnia in omnibus. Thomas von Aquin (S. theol. Iq 3a 8 c) formulierte das mit aristotelischen Begriffen: 4Alü dizerunt deum esse principium formale omnium rerum, et hec dicitur fuisse opinio Amalricianorum; aber ob die Amalrikaner selbst schon solche Formulierungen gebrauchten, ist ungewiß. — Heinrich von ÖOstia und nach ihm Martinus Polonus und Gerson bezeichneten gerade den Satz: quod omnia sunt deus, die Behauptung von der Identität zwi- schen Schöpfer und Schöpfung als den primus et summus error, den Amal- rich, aus der Schrift Eriugenas entnommen habe; vgl. die Stellen bei J. Huber, Joh. Scotus Erigena S. 435 ff. P. Duhem, Le systeme du monde V S.247f. zeigt, wie bei Amalrich oder seinen Schülern die (nach Duhems Meinung orthodoxe) Lehre Eriugenas dadurch zur Ketzerei wurde, daß sie auf die reale natura — ypvoız bezogen, was Eriugena von der idealen essentia — oıcla aussagt: ihre Seins-Einheit mit Gott. Eriugena sei also, betont Duhem, nicht verantwortlich für den Pantheismus der Amalri- kaner; ähnlich E. Gilson und G. ©. Capelle in dessen Buch über Amalrich. Aber der geistesgeschichtliche Zusammenhang besteht oft genug in „Mißverständnissen“, bewußten oder unbewußten Umdeutungen. — 364 — tung paulinischer Sätze zugleich als die wahre Theologie zu er- weisen.” Denn gerade diese Überzeugung, daß die richtige Philosophie zugleich die wahre Religion sein müsse, ist auch in Eriugenas Denken das treibende Motiv. Die Untersuchung von 1210 hat also ganz mit Recht in dem Philosophen und Theologen Amalrich den Ausgangspunkt der Ketzerei gesehen, soweit es sich dabei um die neuplatonistischen Grundlagen ihrer Gedanken und um die Berufung auf die pauli- nische Theologie handelte. Trotzdem ist er nicht in vollem Maße für das Wirken seiner Schüler verantwortlich zu machen. Denn die von Amalrich gelehrte Philosophie und Theologie ist erst in ihren Händen durch die Verbindung mit Gedanken ganz anderer Herkunft und durch ihre Auswirkung in ganz anderen Kreisen zu einer gefährlichen Ketzerei geworden. Die spekula- tiven Gedanken des Meisters wurden von Priestern, Seelsorgern, Asitatoren, die seine Schüler gewesen waren, zu „Lebenslehren” umgemünzt, wurden in religiöse Kreise ohne jede philosophische Schulung hineingetragen und als Verheißung einer Erneuerung und Erhöhung des religiösen Lebens verkündigt. Vor allem aber verband sich mit ihnen eine Geschichtslehre, die jenen Gedan- ken erst ihre ketzerisch-revolutionäre Wendung gab. Die Über- zeugung, im Anbruch einer neuen Epoche der religiösen Ent- wicklung zu stehen, die als die Zeit des Heiligen Geistes nun- mehr auf die alttestamentliche Epoche des Vaters und die neu- testamentliche Epoche des Sohnes folgen müsse, diese Über- zeugung ist bei Amalrich selbst nicht nachweisbar, ist ihm nie- mals zugeschrieben worden und ist bei ihm auch nicht sehr wahrscheinlich. Bei seinen Schülern dagegen, denen 1210 der Prozeß gemacht wurde, spielt diese Geschichtslehre eine ent- scheidende Rolle,?° nicht nur als geschichtsphilosophischer Rah- 19. Die These Amalrichs von der Gliedschaft Christi stützt sich auf Ephes. 5, 30; vgl. 1. Cor. 6, 15 und 12, 27. Seine Schüler beriefen sich für die Lehren von der Identität Gottes mit dem All, von der Ubiquität und der All-Wirksamkeit Gottes auf Römer 11, 36; 1. Kor. 15, 28 und 12, 6; Koloss. 1, 16; vgl. Traet. c.9 S.24 und 27; c.1 S.2ff.; c.2 S.9ff. Auch Berufung auf Joh. 1, 3—4 in Tract. ec. 2 8.12. Es finden sich übrigens auch Berufungen auf alttestamentliche Stellen, s. Traet. e.2 S. 12. 20. B. Haureau, Hist. de la philos. scolast. II, 1 8.92 bezeichnet = u men ihrer philosophisch-theologischen Anschauungen, sondern geradezu als treibende Kraft ihres Wirkens. Eriugena, die philosophische Quelle Amalrichs, hatte allerdings ähnliche Ge- danken gelegentlich niedergeschrieben, aber nicht in seinem Hauptwerk, aus dem Amalrich schöpfte.” Dagegen stimmen die Geschichts-Vorstellungen der Schüler Amalrichs auf- fallend überein mit der Lehre des Abtes Joachim von Fiore (7 1202). Wenn sich auch der literarische Einfluß seiner Schrif- ten auf die Pariser Ketzer um 1210 nicht über allen Zweifel sicherstellen läßt, so bleibt es jedenfalls höchst wahrscheinlich, daß die Kenntnis seiner Ideen den amalrikanischen Überzeugun- gen vom dritten Zeitalter des Heiligen Geistes zugrunde liegt.’ diese Geschichtslehre als „dogme capital de cette religion“. — Die Mei- nung E. Anitchkofs (Joachim de Flore et les milieux courtois, 191, S.275ff.), diese Geschichtslehre sei den Amalrikanern erst von späteren Chronisten zu Unrecht zugeschrieben worden, beruht auf völliger Unkennt- nis der Quellen. 21. H. Bett, Johannes Scotus Erigena S.178 nimmt an, die Amalri- kanische Geschichtsphilosophie sei ohne Einwirkung Joachims von Fiore aus der Epochenlehre Eriugenas entwickelt. Aber Eriugena erörterte diese Lehre nur in exegetischen Nebenwerken (Comment. in Evang. Johannis Migne P. |. 122 Sp. 308: Expos. super Hierarch. Eccles., ib. S. 265 ff.), nicht in „De divisione naturae“, das Amalrich unseres Wissens allein ge- kannt hat. Sachlich stimmen die Thesen der Amalrikaner mit der Lehre Joachims viel mehr überein als mit diesen Gedanken Eriugenas. Vgl. auch E. Gebhard, L’Italie mystique S.59£.: H.Grundmann, Studien über Jochim von Floris, 1927, S. 95. 22. Chartul. I S. 71: Pater a principio operatus est sine filio et spiritu sancto usque ad eiusdem filii incarnatıonem. — Pater in Abraham incar- natus. — Filius usque nunc operatus est, sed spiritus sanctus er hoc nunc usque ad mundi consummationem inchoat operari. — Trakt. c. 10 S. 30: Pater incarnatus fuit in Abraham et in aliis vweteris testamenti patribus, filius dei in Christo et in alis christianis, spiritus sanctus in ilis quos vocant spirituales. Gerade in diesem Kapitel tritt die dialektische Argu- mentation der Amalrikaner deutlich hervor. —Guilelmus Brito ed. Delaborde 5.230 ff.: Inter alios eorum errores impudenter astruere nitebantur, quod potestas patris duravit quamdiu viquit ler mosaica; et quia scriptum est: Novis supervenientibus abjicientur vetera, postquam Christus venit, aboleverunt omnia testamenti veteris sacramenta et viquit nova ler usque ad illud tempus. In hoc ergo tempore dicebant testamenti novi sacramenta finem habere et tempus sancti spiritus incepisse, quo dicebant confessionem, baptismum, eucharistiam et alia, sine quibus salus — 366 — Mit der aus Eriugena herkommenden Philosophie und der auf Paulus sich berufenden Theologie verband sich nun diese Ge- schichtslehre zu dem emphatischen Glauben, an einer epochalen Wende der Zeiten zu stehen, in der alles bisher Gültige ent- wertet, gewandelt und ersetzt wird durch die wahre Erkenntnis, die zugleich die höchste Stufe der Religion und die Offenbarung des Heiligen Geistes selbst ist. In dem kleinen Kreise der Amalrich-Schüler ist diese Wandlung zum Durchbruch gekom- men, aber sie wird nicht auf ihn beschränkt bleiben, sondern wird in kürzester Zeit alle Welt ergreifen. Ihre Lehre zu ver- breiten, aus Schul-Philosophie und gelehrter Theologie eine alle Menschen ergreifende und verwandelnde Religion zu machen, das mußte also diesen Männern geradezu als ihre weltgeschicht- liche Aufgabe erscheinen. Daß sie dabei in ihrem Wirkungs- bereich empfängliche Seelen vor allem unter den religiösen Frauen fanden, das hat ihre Gedanken und Überzeugungen wahrscheinlich in eigentümlicher Weise mitbestimmt und um- geprägt. Denn auch in der späteren Entwicklung haben sich aus der Berührung der philosophisch-theologischen Bildung neu- haberi non potest, locum de cetero non habere, sed unumquemque tantum per gratiam spiritus sancti interius sine actu aliquo ezteriori inspiratam salvari posse. — Caesarius S.305: Pater sub quibusdam formis opera- tus est in veteri testamento, scilicet legalibus; filius simiiter sub quibus- dam formis, ut in sacramento altarıs et baptismi et alüs. Sicut ceciderunt forme legales in primo Christi adventu, ita nunc cadent omnes forme, qui- bus filius operatus est, et cessabunt sacramenta, quia persona spiritus sancti clare se manifestabit in quibus incarnabitur, et principaliter per septem viros loquetur ... 23. Trakt. c.12 8.51: Dicunt, quod usque ad 5 annos omnes homines erunt spirituales, ita ut unusquisque poterit dicere: Ego sum spiritus sanc- tus. — Die speziellen Prophetien, die nach Caesarius der Amalrikaner Wilhelm Aurifaber dem Spion Rudolf von Namur mitgeteilt haben soll, betreffen Ereignisse innerhalb dieser fünfjährigen Zeit der allgemeinen Wandlung: 4 Plagen kommen über das Volk, die Fürsten, die Bürger und die prelati ecclesie, qui sunt membra Antichristi; und der französische König erfüllt seine eschatologische Rolle, die ihn zum unsterblichen Welt- berrscher macht — Prophetien, wie sie vielfach in dieser Zeit auftreten, den amalrikanischen Gedanken aber wenig organisch angegliedert sind, vielleicht auch nur von diesem Wilhelm verbreitet wurden, der sich selbst eine besondere prophetische Rolle zuschrieb. — 367 — platonischer Herkunft mit der religiösen Frauenbewegung immer wieder bestimmte geistige Tendenzen ergeben, die mit den Lehren der Pariser Ketzer eine unverkennbare Verwandtschaft haben, auch wenn unmittelbare Beziehungen zu ihnen nicht nachweisbar sind: die gleiche philosophische Haltung bildete sozusagen mit der religiösen Bewegung immer wieder ähnliche Schnittflächen. In der Ketzerei in Paris trat das zum ersten Male zutage, und deshalb vor allem verdienen auch die Einzel- heiten der damals verurteilten Lehre in unserem Zusammen- hang Beachtung. Da von selbständigen, eigenen Äußerungen der Ketzer nichts erhalten ist, kennen wir ihre Anschauungen nur aus den Feststellungen ihrer orthodoxen Gegner im Prozeß, in der Pole- mik und in der Berichterstattung. Natürlich wurden dabei vor allem und fast ausschließlich die „Unterscheidungslehren" aufge- zeichnet, die Bruchstellen zwischen der Häresie und der ge- meinkatholischen Lehre in Fragen des Dogmas und der Moral- lehre. Aber diese fragmentarischen Sätze, die nur möglichst deutlich die Abirrungen vom Kirchenglauben aufzeigen wollen, lassen doch zur Genüge erkennen, welche Gesamtüberzeugung sich in ihnen äußert. Die Ketzer haben dabei ihre philosophi- sche Herkunft nicht verleugnet. Nicht Glaube und Hoffnung, sondern allein das Wissen, die Erkenntnis ist nach ihrer eigenen Erklärung ihre Sache, gilt ihnen als ausschlaggebender, ja als alleiniger Heilsfaktor und als Heilsziel. Nicht ein beliebiges Wissen natürlich, sondern die Erkenntnis, „die sie haben” und für die Offenbarung des in ihnen inkarnierten Heiligen Geistes halten. Diese Erkenntnis ist die Auferstehung und eine andere Auferstehung gibt es nicht, sie ist das Paradies und ein anderes gibt es nicht. Das Nicht-Wissen dagegen ist die Hölle. — Die 24. Chartul. I. S. 71: Spiritus sanctus in eis incarnatus, ut dizerunt, eis omnia revelabat, et hec revelatio nihil aliud erat quam mortuorum resurrectio. Inde semetipsos iam resuscitatos asserebant, fidem et spem ab eorum cordibus ezcludebant, se soli scientie mentientes subjacere. — Tract. c.7 S.21: Er hac eadem cognitione fabulosum dicunt, quicquid magistri Parisienses de resurrectione asseverant, quia, ut aiunt, cognitio hec plena est resurrectio nec alia est expectanda; 8.39 f.: Dicunt resurrectionem corporum non esse; c. 3/4 8.13 ff.: Infernus nichil — 368 — Schüler Amalrichs glaubten sich vielleicht auch für diese Lehren auf Eriugena berufen zu dürfen, für den gleichfalls Himmel und Hölle keine Räume, sondern Bewußtseinszustände sind, ebenso wie Auferstehung und Gericht.”” Aber Eriugena hat mit solchen Deutungen die innere Einheit von Philosophie und Kirchen- glauben erweisen wollen; seine späten Adepten dagegen stellen ihre „Erkenntnis“ in scharfen Gegensatz zu dem geltenden Dogma. Ihre Überzeugung, die ihnen zuteil gewordene Erkennt- nis sei das letzte Ziel alles religiösen Lebens, richtet sich gegen die Grundlehre der Kirche, die das religiöse Ziel in die über- irdische Zukunft, ins Jenseits fixiert, alle den irdischen Men- schen erreichbare Erkenntnis für unvollkommen, uneigentlich und vorläufig erklärt” und der sakramentalen Kirche das bis zum Weltende währende Amt vorbehält, den heilsnotwendigen und ausschließlichen Zugang zur künftigen jenseitigen Seligkeit zu verwalten. Die Ketzer von Paris setzen die wahre Philo- sophie, die Erkenntnis der „Spiritualen‘ im Zeitalter des Gei- stes an die Stelle der sakramentalen Formen der Kirche, die der vorangehenden Epoche angehören. Nicht nur Heiligen-, Reliquien- und Bilderverehrung, sondern auch Taufe, Beichte und alle anderen Sakramente werden von ihrer „Erkenntnis entwertet.” Vor allem aber verliert die Eucharistie ihren Rang aliud est guam ignorantia, nec aliud est paradisus quam cognitio veritatis, quam se dicunt habere. Caesarius S. 304: Negabant resurrectionem corporum, dicentes nihil esse paradisum neque infernum, sed qui haberet cognitionem Dei in se, guam ipsi habebant, haberet in se paradisum; qui vero peccatum mortale, haberet infernum in se sicut dentem putridum in. ore. 25. Vgl. J. Huber S.405ff., 396 ff. 26. Der Verfasser des Traktats (S.17) stellt daher den Amalrikanern die Behauptung entgegen: Nec veritatis cognitio nec paradisus haberi potest in hoc exilio; cognitionem dico specificam, non enigmaticam, quia ..quoguo modo potest hic agnosci quasi per speculum in enigmate, sed specietenus cognoscemus eum in illa beatudine. 27. Caesarius 9.305 (s.o.) und 8.304: Altaria sanctis statui et sacras imagines thurificari idolatriam esse dicebant; eos qui ossa marty- rum deosculabantur subsannabant. Vgl. Trakt. c. 12 S.50: Sine omnium obligatione sacramentorum sola veritas ista confert (scil. sanctificationem in via, glorificationem in patria); e. 5 8. 17: Si judeus habet cognitionem veritatis quam habemus, non oportet ut baptizetur. — Von einer noch viel ig in ihrer pantheistischen Philosophie, die in allem Brot wie in allen Dingen gleichermaßen Gott findet, und die außerdem — wahrscheinlich wiederum ausgehend von Eriugena®” — die Lehre von der Ubiquität des Leibes Christi vertritt. Eine ein- malige und einzigartige Bedeutung konnten sie dem Mensch ge- wordenen Christus schon deshalb nicht zuerkennen, weil sie selbst beanspruchten, nicht nur als Christen Glieder Christi und nicht nur wie alle Geschöpfe ein Teil des mit Gott identischen Alls, sondern im Besonderen, als die Spiritualen des Zeitalters des Gesetzes, inkarnierter Gott zu sein wie einst Christus.’ Diesem Gegensatz zu Dogma und Sakramentenlehre der Kirche, der nicht aus rationalistischer Kritik, aus Rivalität zwi- schen Erkenntnis und Offenbarung entspringt, sondern aus dem Anspruch der philosophischen Spekulation, selbst eine religiöse weitergehenden Indifferenz gegenüber der Zugehörigkeit zur Kirche, ja zum Christentum zeugt der von Caesarius (S.304) überlieferte Satz: Sic deum locutum fuisse in Ovidio sicut in Augustino. 28. Trakt. c. 12 S.48: Sed istud, quod est principium omnium sacra- mentorum, quantum in ipsis est, evacuant, ut hoc evacuato etiam cetera sacramenta evacuanda demonstrent. Unde dicunt, quod, si aliquis esset spiritualis et haberet illam veritatis cognitionem quam se habere dicunt, et cessarent omnia sacramenta, quia sacramenta ecclesie signa sunt sicut cerimonialia in veteri lege; et sicut adveniente Christo cessaverunt, ita nunc per spiritum sanctum advenientem in eis hec signa debent cessare. — Ib. S.47: Sicut corpus domini adoratur in pane consecrato in altari, ita adoratur in pane simplici apposito comedenti. — Caesarius-S.-304: Dicebant non aliter esse corpus Christi in pane altaris quam in alio pane et in qualibet re. — Vgl. Chartul. I S.71 die komplizierteren theologischen Erörterungen über die Abendmahlslehre; ferner Trakt. e. 11 S.46 über die von einigen Amalrikanern vertretene Unterscheidung zwischen dem äuße- ren, sichtbaren Leib Christi, der ans Kreuz geschlagen wurde, und seinem „inneren Leib“, einer göttlichen, überall seienden Kraft, die mit Platos Idee identisch sei; der Verfasser des Traktates beantwortet das mit einer Polemik gegen Platos fictio philosophi. 29. Vgl. J. Huber S. 383f. — Trakt. c. 11 S.39. 30. Chartul. I S.71: Filius incarnatus, id est visibili forma subjectus. Nec aliter illum hominem esse deum quam unum ex eis cognoscere volue- runt. — Caesarius S.305: Concedebant quod unusquisque eorum esset Christus et Spiritus sanctus. — Vgl. Trakt. c. 9 S. 24 und c. 10 S.30: Ecce hucusque credidimus filium incarnatum; jam isti Christum predicant „ingo- dinatum‘‘ (eine auf den Amalrikaner Godinus anspielende Wortprägung). — 370° — Manifestation, die Offenbarung des Heiligen Geistes zu sein, entspricht auch die Haltung der Ketzer zur christlichen Moral- lehre. Die Philosophie Eriugenas ist auch dabei als Grundlage und Ausgangspunkt unverkennbar. Das Böse, die Sünde, hat in Eriugenas neuplatonistisch-optimistischem Weltbild keinen Platz unter dem wahrhaft Seienden, ist nicht wie alles Seiende von Gott gegründet und von Gott ausgehend, ist daher im strengen Sinn nicht, ein Nichts.” Eriugena hat damit nicht das Vor- handensein des Bösen und der Sünde leugnen, sondern vielmehr im Anschluß an Augustin die Sünde als einen Seins-Mangel, als eine Negation des wahren, idealen Seins ontologisch entkräf- ten wollen. Die Ketzer von 1210 dagegen haben es nicht bei solcher Spekulation bewenden lassen, sondern eine praktische Entscheidung gegenüber dem Sündenproblem daraus gewonnen. Am deutlichsten zeigt diesen Zusammenhang eine Predigt des Johannes Teutonicus, der als Abt von S. Viktor in Paris über die Lehren der Ketzer gut unterrichtet sein mußte:”” sie haben, sagt er, aus der Lehre, daß die Sünde ein Nichts sei, gefolgert, daß demnach niemand um der Sünde willen von Gott gestraft werden könne, daß also die Sünde straflos sei. Und die gleiche Folgerung aus dem Gedanken vom Nicht-Sein alles dessen, was nicht Gott ist, ist auch in der anderen Formulierung überliefert: der Mensch, sofern er Teil hat am Sein und also an Gott, könne ebensowenig sündigen wie vernichtet werden könne.°® Mit die- 31. Vgl. J. Huber S. 350ff.; H. Bett S.68ff. 32. Er gehörte zu denen, die der Mag. Rudolf von Namur zuerst über die von ihm entdeckte Ketzerei unterrichtete, ss Caesarius S.306. Die Stelle aus seinen Sermonen bei B. Haure&au, Hist. de la philos. scolast. II, 1 S. 9£.: Sunt profane novitates, quas introducunt quidam Epicuri potius quam Christi discipuli, qui periculosissima fraudulentia persuadere nituntur in occulto peccatorum impunitatem, asserentes peccatum ita nihil esse, ut etiam pro peccato nemo debeat a deo puniri. — — Sed et, quod summe dementie est et impudentissimi mendacü, tales non verentur nec erubescunt dicere se deum esse. .. Absit autem quod fons scientiarum, urbs ista perfecti decoris in sapientia hac peste fedetur. Über Johannes Teu- tonicus, seit 1203 Abt in S. Viktor, gest. 1229, s. Hist. litt. de la France XIV S. 57£. 33. Caesarius S.304f.: Maximam etiam blasphemiam ausi sunt dicere in spiritum sanctum.. Si aliquis in spiritu est, aiebant, et faciat — 371 — ser Überzeugung vom Nichtsein, der Straflosigkeit, der Irre- levanz der Sünde verband sich aber bei den Pariser Ketzern unter Berufung auf die paulinische Theologie ein dynamischer Pantheismus, der, wie in allem, was ist, Gottes Sein und Wesen, so auch in allem, was geschieht und — auch von den Menschen — getan wird, Gottes Wille und Werk erkennen und anerken- nen will. „Gott wirkt alles in allem” — aus diesem Pauluswort folgerten die Ketzer: also das Böse sowohl wie das Gute. Wer aber weiß, daß alles was er tut Gottes Wirken ist, der kann nicht „sündigen", der braucht nicht zu bereuen und nicht zu büßen:’* die wahre Erkenntnis hebt die Notwendigkeit jeder Buße auf,’® denn sie weiß, daß Gott alles wirkt, daß der Mensch nichts aus Eigenem tut, sondern daß alles und also auch die sündige Tat von Gott kommt.‘ Für den „geistigen Menschen” des letzten Zeitalters, der die wahre Erkenntnis hat und in dem der heilige Geist inkar- niert ist, gilt deshalb auch eine neue Ethik, die nichts von „Sünde" nach dem Maßstab der moralischen Normen und nichts von Reue und Buße weiß, die vor allem die bisher gültigen Ge- setze der Geschlechtsmoral außer Kraft setzt; und die Pariser Ketzer sind in dieser Beziehung offenbar nicht bei theoretischer fornicationem wel aliqua alia pollutione polluatur, non est ei peccatum, quia ille spiritus, qui est deus, omnino separatus in carne (!?) non potest peccare, et homo, qui nihil est (!), non potest peccare, quamdiu ille spiritus, qui est Deus, est in eo. — Chartul. I S. 71: Quidam eorum nomine Bernardus ausus est affirmare se nec posse cremari incendio nec alio tor- queri supplicio, in gquantum erat, quia in eo, quod erat, se deum dicebat. 34. Trakt. c. 2 S.9: Secundam eorum heresim sumunt ex auctoritate apostoli dicentis: Deus operatur omnia in omnibus; unde inferunt: ergo tam bona quam mala. Ergo qui cognoscit deum in se omnia operari, pec- care non potest. Et sic deo et non sibi attribuunt, quod peccant; et sic neminem penitentia indigere mentiuntur. 35. Trakt. ec. 6 S.18f.: Si quis a sacerdote longam succepisset peniten- tiam, si haberet eorum cognitionem, non oporteret ut ageret penitentiam. 36. Trakt. c. 2 S. 12: Qui cognoscit deum in se omnia operari, etiam si fornicationem faceret, non peccaret. Non enim sibi attribuere debet, sed totum deo quod facit. S.13: Qui aliquid sibi attribuit, quod facit, et non totum deo, in ignorantia est, que est infernus. ..Nihil habet homo de suo in suis operibus. — 372 — Betrachtung stehen geblieben." Sie haben sich damit allerdings besonders empfindlich dem moralischen Abscheu nicht nur ihrer Zeitgenossen, sondern auch der Nachwelt ausgesetzt, und oft hat man geglaubt, diese „Apologie der Sünde” für die eigent- liche Triebfeder der ganzen Ketzerei halten zu dürfen. Aber damit ist für ihr geschichtliches Verständnis nichts gewonnen. Um zu sündigen, brauchte auch im Mittelalter niemand Ketzer zu werden, und ein verderbter Lebenswandel bedurfte keiner philosophischen Bemäntelung. Die damals geltende christliche Morallehre machte es niemandem und am wenigsten dem Klerus unmöglich, anders zu leben als sie lehrte. Eine welti- anschauliche Umwertung der christlichen Moral in so en- thusiastischer Kühnheit, wie sie die Amalrikaner vollzogen, ist keinesfalls aus denselben Quellen zu erklären wie die fast allge- meine Sittenverderbnis unter dem Klerus dieser Zeit.” Auch sie ist vielmehr ein Ansatz zur Überwindung des klaffenden Zwiespalts zwischen der christlichen Lehre und den Lebens- gewohnheiten der meisten Kirchenchristen. Aber während die religiöse Armutsbewegung diese Diskrepanz überwinden wollte, indem sie die christliche Morallehre wieder als strenges Gebot für die christliche Lebensführung anerkannte, glaubten die Schüler Amalrichs mit ihrer neuen Lehre und ihrer neuen Moral die Spannung zwischen religiöser Norm und Lebenswirklichkeit geradezu aufzuheben. Ihre philosophischen Überzeugungen 37. Das sagen nicht nur die Chronisten (s. u. Anm. 40), sondern auch ein Satz wie Chartul. I, S.71£.: De meritis presumentes, gratie dero- gantes (!), mentiti sunt bonorum baptismatis non egere parvulos ex eorum sanguinibus propagatos, si sue conditionis mulieribus carnali possent co- pula commisceri, weist darauf hin. 38. Schon in dem Traktat S.12: Auctorem peccati dicunt, qui pecca- tum non fecit nec inventus est dolus in ore eius (1. Petr. 2, 22). Quare? Ut facilius flectant mulierculas in fornicationem. Ib. S.9: Quare hoc? UL inferant impunitatem peccandi et sic procliviores faciant ad peccandum mulierculas oneratas peccatis (vgl. 2. Tim. 3, 6; oben S. 359 Anm. 8). Vgl. vollends Angelo Clareno, Expositio regulae ed. Oliger S. 219 und Historia septem tribulationum ed. Ehrle ALKG I S. 130; Döllinger, Beitr. II S. 509. 39. Vgl. z. B. die Schilderung des Kolmarer Chronisten MGSer. XVII S. 232. —_— 33 — haben daran ebensoviel Anteil wie ihr Glaube an eine epochale Sendung, die gerade in den Kreisen religiöser Frauen ihren stärksten Widerhall fand. Die katholischen Beurteiler haben damals und später im wesentlichen nur die Negationen gegen- über der Lehre und den Grundsätzen der Kirche hervorgehoben. Aber manche Andeutungen lassen doch auch den positiven Ge- halt, die führenden Gedanken in diesen Ketzerlehren erkennen. Nur von göttlicher Güte, nicht von göttlicher Gerechtigkeit war bei ihnen die Rede, sagt ein Chronist, und die Kraft der Liebe, der Caritas, hob in ihren Augen die Scheidung von Gut und Böse auf und entsündigte auch die nach moralischen Maßstäben sündige Tat.‘ Am deutlichsten aber kommt die eigenartige Hochstimmung, die in diesen Kreisen lebte, vielleicht in dem Satz zum Ausdruck: Ein Mensch, der weiß, daß Gott in ihm ist, kann nie betrübt, sondern immer nur freudig sein.“ Aus solchen Äußerungen eines weltanschaulichen Optimismus’ ist über das eigentliche „Ethos" dieser Ketzerei zweifellos mehr zu ent- nehmen als aus den moralischen Entrüstungen der Zeitgenossen, zugleich aber auch über ihre geistigen Zusammenhänge mit der späteren „Minne-Mystik", die aus der gegenseitigen Durchdrin- gung von philosophisch-theologischer Spekulation und religiöser Bewegung vor allem in Frauenkreisen immer wieder verwandte häretische Gedanken gezeitigt hat wie die Ketzerei von 1210. 2. Die Voraussetzungen für die Ausbreitung der Ketzerei in den religiösen Bewegungen des 13, Jahrhunderts. Die Vermutung, daß sich die aus pantheistischer Philosophie, 40. Guilelmus Brito ed. Delaborde S.232: Caritatis virtutem sic ampliabant, ut id quod alias peccatum esset, si in virtute fieret cari- tatis, dicerent jam non esse peccatum. Unde et stupra et adulteria et alias corporis voluptates in caritatis nomine committebant, mulieribus cum quibus peccabant et simplicibus quos decipiebant impunitatem peccati promittentes, deum tantummodo bonum et non justum predicantes. — Darauf geht wahrscheinlich Martinus Polonus MGSer. XXI S.438 zurück: Dirit etiam (Almaricus) quod in charitate constitutis nullum pec- catum imputabatur, unde turpidinem libere committebant. 41. Trakt. e. 6 S. 19: Qui cognoscit, inquiunt, deum esse in se, lugere non debet, sed ridere. — 3714 — paulinischer Theologie und joachimschem Geschichtsglauben erwachsenen Anschauungen der Amalrich-Schüler erst in ihrer Berührung mit der religiösen Bewegung vor allem in Frauen- kreisen zu einer bedenkenerregenden häretischen Gefährdung ausgewirkt hatten, wird vollauf bestätigt durch die Nachwirkung der Ereignisse von 1210. Soweit es sich nur um die eigentlichen „Amalrikaner‘ handelte, die Kleriker aus Amalrichs Schule, die ihre enthusiastischen Gedanken in ihrem Wirkungskreis als Seelsorger verbreitet hatten, konnte der Vorfall mit dem Pariser Prozeß im Wesentlichen als erledigt gelten. Die Schuldigen wurden teils verbrannt, teils lebenslänglich eingekerkert. Zwei Jahre nach der Pariser Synode ist noch ein Magister Godinus in Amiens zum Feuertod verurteilt worden, der eine führende Rolle unter den Ketzern gespielt hatte.” 1215 hat der Legat Robert von Courcon bei der Neuordnung der Pariser Universi- tätsstatuten außer der Lektüre der aristotelischen Physik und Metaphysik auch „Schriften über die Lehre des Ketzers Amal- rich“ verboten,“® und im selben Jahre wurde die Verurteilung Amalrichs auch durch das Lateran-Konzil noch einmal ausge- sprochen.** Seitdem berichtet keine Quelle mehr, daß An- 42. Chron. anon. Laudun. ed. Cartellieri-Stechele S. 70 (MGSer. XXVI S. 454) zum Jahre 1212: Novissime omni (um) Almaricorum hereticorum fuit magister Godinus, qui Ambianie hereticus probatus est et ibidem igne fuit ustulatus. — Gegen diesen Godinus polemisiert der Traktat Contra Amaurianos (s. o. S. 369 A.30), und nach der Angabe der Chronik von Mailros (s. o. S. 357) bezeichnete Robert von Courgon die Ketzer von 1210 nach diesem Manne als Godini. 43. Chartul. Univ. Paris. I S. 79 n. 20: Non legantur libri Aristotelis de methafisica et de naturali philosophia, nec summa de eisdem aut de doctrina magistri David de Dinant aut Amalrici heretici. — Der Chronik von Mailros zufolge hatte Robert von Courcon von Anfang an großen Anteil an der Bekämpfung der Amalrikaner. Das ist um so wahrschein- licher, als er — wie wir von Caesarius von Heisterbach (S. 306) wissen — zu denen gehörte, die der Magister Rudolf von Namur, als er der Ketzerei auf die Spur gekommen war, zuerst darüber unterrichtete. Robert war damals Kanoniker in Paris, erst Anfang 1212 wurde er Kar- dinal, im Mai 1213 kam er als Legat wieder nach Frankreich, s. F. J. G.la Porte-du Theil, in: Notices et extraits des manuscr. de la Bibl. Nat. VIS. 176. 44. Mansi XXIII S. 986: Reprobamus etiam et damnamus perversissi- — 375 — hänger Amalrichs und seiner Schüler noch lebten und wirkten“ — seine „Sekte'' schien vernichtet. Und doch tauchten nach einigen Jahrzehnten wieder Ketze- reien in der Kirche auf, die den von der Pariser Synode verur- teilten Anschauungen auffallend verwandt waren, die wiederum pantheistische Philosophie mit enthusiastischer Vergottungs- mystik verbanden und wiederum hauptsächlich in religiösen Frauenkreisen Verbreitung fanden. War also doch der Geist der amalrikanischen Ketzerei durch das scharfe Urteil von 1210 nicht gänzlich ausgetilst worden? Hatte es doch nicht genügt, Amalrichs Schüler unschädlich zu machen, um auch das Weiter- wirken ihrer Anschauungen ein für allemal zu unterbinden? Lag die Wurzel der Ketzerei doch tiefer als die Pariser Theo- logen und Ketzerrichter dachten, als sie nur die häretischen Kleriker und ihre Irrlehren verurteilten und die Empfänglich- keit ihrer meist weiblichen Anhänger für diese Gedanken nicht weiter ernst nahmen? Man wird diese Fragen bejahen müssen, falls sich Zeugnisse dafür beibringen lassen, in welchen Kreisen, auf welchen Wegen und in welchen Formen die 1210 verurteil- ten Lehren und Anschauungen weiterleben konnten, um später wieder als „freigeistige‘ Ketzerei um sich zu greifen und offen hervorzutreten. Hat man aber erst einmal bemerkt, daß die philosophischen und theologischen Lehren Amalrichs und seiner Schüler erst in ihrer „seelsorgerischen Anwendung” in den Kreisen der religiö- sen Frauenbewegung ihre besondere häretische Wirksamkeit mum dogma Almerici, cuius mentem sic pater mendaci ezcecavit, ut eius doctrina non tam heretica censenda sit quam insana. 45. Der Kanonist Heinrich von Ostia behauptet, die Lehre Amalrichs sei 1215 bei der Verurteilung durch das Konzil deshalb nicht im einzelnen dargelegt worden, weil Almaricus iste habuit quosdam discipulos tempore huius concilii adhuc superstites, ob quorum reverentiam suppressum exitit dogma istud, quorum etiam nomina adhuc honestius est supprimere quam specialiter nominare, s. Preger, Mystik I S. 182; Denifle, Chartul. Univ. Paris I S. 82 bezweifelt die Richtigkeit dieser Behauptung ohne triftige Gründe. Aber es sind damit vielleicht Schüler des Philosophen und Theologen Amalrich gemeint, die mit der Ketzerei von 1210 nicht in Beziehung standen; denn persönliche Rücksichten der Kurie auf Ketzer dieser Art sind allerdings kaum denkbar. — 316 — und Lebendigkeit jenseits bloßer theoretischer Spekulation ent- faltet hatten, dann zeigt sich auch die Frage ihrer Nachwirkung in einem neuen Licht, und man entdeckt tatsächlich die bisher vergebens gesuchten geschichtlichen Verbindungsglieder zwi- schen den Amalrikanern und den „Freigeistern” des späteren 13. Jahrhunderts. Denn ‚„Amalrikaner" und eine von ihnen ge- gründete ‚Sekte‘ hat man allerdings nach 1215 nirgends mehr entdeckt. Aber die Kreise, unter denen Amalrichs Schüler als Kleriker und Seelsorger gewirkt hatten, blieben auch nach deren Verurteilung für diese pantheistisch-enthusiastischen Gedanken empfänglich; sie blieben den Zeitgenossen deshalb auch nachher noch verdächtig, und später ist tatsächlich unter ihnen wieder dieselbe Ketzerei zum Durchbruch gekommen, die man 1210 vernichtet zu haben glaubte. Das beweist keineswegs, daß eine amalrikanische ‚Sekte‘ mit einer festen Lehre und Organisation heimlich unter ihnen fortbestand — eine solche „Sekte” hat es sicherlich nie gegeben. Aber die neuartige religiöse Stimmung und die eigenartigen religiösen Lebensformen, aus denen sich schon am Anfang des 13. Jahrhunderts die Empfänglichkeit für pantheistische, mystische, spiritualistische Gedanken ergab, haben in der Folgezeit vor allem in Frauenkreisen fortbestanden und sich weiter ausgebreitet. Diese religiösen Kreise bildeten keine Sekte und sie waren kein Orden. Ihre spontan entstande- nen, neuartigen religiösen Lebensformen waren von der Kirche weder in aller Form anerkannt noch eindeutig verurteilt und verboten. Sie waren weder innerhalb der Kirche noch außer- halb und gegen die Kirche organisiert. Es bedurfte vielmehr erst noch der Entscheidung — der Entscheidung der Kurie wie der Entscheidung ihrer eigenen Haltung und Gesinnung — welche Stelle innerhalb oder außerhalb der kirchlichen Ordnun- gen sie einnehmen sollten. Es gab noch keinen bestimmten, ein- heitlichen Namen für sie, sondern sie wurden in verschiedenen Gegenden verschieden bezeichnet, meist nach irgendeinem auf- fälligen Merkmal. Man sprach von ihnen je nach eigener Auf- fassung freundlich zustimmend oder gehässig ablehnend, denn es war noch nicht von oben her entschieden, ob sie als löblich oder als verwerflich zu gelten hätten, und sie selbst zeigten widerspruchsvolle Wesenszüge, Erst wenn man die vielfältigen — 371 — und zerstreuten Zeugnisse, die unter verschiedenen Benennun- gen und mit zwiespältigem Urteil über diese noch unbestimm- ten, ungeregelten Erscheinungsiormen der religiösen Bewegung des 13. Jahrhunderts sprechen, zu einem Ganzen zusammenfaßt, erst dann gewinnt man ein Bild von den Kreisen, in denen sich die zuerst bei den Amalrikanern hervorgetretenen pantheisti- schen, spiritualistischen, mystischen Ketzereien fortgepflanzt und verbreitet haben, Nach dem Bericht der Chronik von Mailros wurden die 1210 in Paris verurteilten Ketzer von ihren gelehrten Richtern als „Amalrikaner” oder „Godiner", im Volksmund aber, von den Laien, als „Papelarden" bezeichnet — ein Wort, das damals überhaupt zum ersten Male bezeugt ist und ungefähr die Be- deutung von „Frömmler" haben wird. Bald danach behauptet Jakob von Vitry, wie schon erwähnt, man bezeichne in Frank- reich mit dem Wort „Papelarde‘ dieselben religiösen Frauen, die man in Flandern und Brabant „Beginen" nennt‘ — Frauen, die man im ersten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts auch in Flan- dern ihrer neuartigen religiösen Lebensweise wegen als Ketzer verdächtigt (und eben deshalb als „Beginen‘ bezeichnet) hatte.”* Man nannte also, wenn das stimmt, ebenso die Amalrikaner und ihre Anhänger wie auch die religiösen Frauen, die anderswo Beginen hießen, in Frankreich mit einem sonst noch nicht ge- 46. Vgl. Ducange, Glossar. VI S. 145; Godefroy, Dictionnaire V S.727 und X S.268. Quando autem puella virginitatem suam custodire proposuit et parentes offerunt ei maritum cum divicis, conculcet et respuat.. Sapientes autem ..huius seculi, prelati scilicet seculares et alii maliciosi homines volunt eam interficere et a bono proposito retrahere dicentes: Hec vult esse Be- guina — sic enim nominantur in Flandria et Brabancia — vel Pape- larda — sic enim appellantur in Francia — vel Humiliata — sicut dicitur in Lumbardia— vel Bizoke— secundum quod dieitur in Italia — vel Coqguenunne — ut dicitur in Theotonia; et ita deridendo eas et quasi infamando nituntur eas retrahere a sancto proposito. — Die Predigt sammt wahrscheinlich aus Jakobs Kardinalszeit 1229/40, aber ihr müssen die Erfahrungen vor 1216 zugrunde liegen, als Jakob Regular-Kanoniker in Oignies bei Namur war (seit 1207?) und dem Kreis der religiösen Frauen („Beginen“) um Maria von Oignies nahestand. 48. Vgl. o. S. 181. — 378 — bräuchlichen Wort „Papelarden“; und ein Kölner Chronist hat um 1220 sogar die in Paris entdeckten Ketzer selbst als Beggini bezeichnet.” Wenn diese Gleichartigkeit der Benennung nun nicht nur auf Irrtümern und Verwechslungen einzelner Zeitge- nossen beruhte, dann läßt sie darauf schließen, daß man die Pariser Ketzer und die religiösen Kreise der „Beginen“ als zu- sammengehörig, gleichartig und verwandt betrachtete und des- halb beide mit dem gleichen Namen belegen konnte. Wir haben deshalb zu untersuchen, ob tatsächlich im Sprachgebrauch jener Zeit die Worte Papelarden und Beginen gleichbedeutend sind und mit welchem Recht man den damit Bezeichneten Beziehun- gen zu Ketzerkreisen und Empfänglichkeit für häretische An- schauungen zuschrieb. In der Tat werden in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts zunächst in Frankreich und dann auch anderswo die Worte „Begine“” und „Papelarde” gleichbedeutend gebraucht für reli- giöse Kreise, vor allem Frauenkreise, deren Religiosität und Lebenswandel neuartig und fragwürdig und deren Rechtgläubig- keit verdächtig schien. Am aufschlußreichsten ist dafür ein Gedicht Gautiers von Coincy,° der spätestens um 1220, also 49. Der zweite Fortsetzer der Chron. reg. Colon. (ed. Waitz S. 187f.) beginnt seinen Bericht über die Entdeckung der Pariser Ketzerei mit den Worten: Cum diabolica persuasione eorum qui Beggini diceban- tur ezecrabilis doctrine semen paulatim irreperet ot iam in plures trans- Tunderetur eorum perversitas... (da beschloß Rudolf von Namur, sie zu entlarven). 50. Über Gautier de Coiney, gestorben 1236, vgl. E Lommatzsch, Gautier de Coincy als Satiriker; Gröber, Grundriß II,1 8.651. Das Gedicht „De seinte L&ocade, quifu dame de Tolete, et du saint Arcevesque“ beiBar- bazan-M&on,Fabliaux et Contes I S.270ff. (beiPoquet,Les miracles de la Sainte Vierge traduits et mis en vers par Gautier de Coiney 8.75 ff. ist der Abschnitt über Beginen und Papelarden ausgelassen, einerseits als belanglos „par l’inter&t de l’action“, andrerseits aus „motifs d’un ordre plus eleve‘!). Daß das Gedicht nicht nach 1220 entstanden sein kann, zeigen die Verse über die Franziskaner (— fratremeneur, v. 141923, s. u. S. 381 Anm. 57), die noch als neuartige und zweifelhafte Erscheinung be- trachtet werden (es ist wohl die früheste Erwähnung der Franziskaner in der französ. Literatur). Nach Petit de Julleville, Hist. de la langue et de la litt. frane. I, 1896, S. 48 hat Gautier seine nach und nach entstan- denen „Miracles de Nötre-Dame‘‘ um 1220, nach Gröber um 1223 zu- — 379 — höchstens 10 Jahre nach der Verurteilung der Amalrikaner, in eine seiner Mirakeldichtungen eine lange Betrachtung über Papelarden und Beginen einschaltet. um deren Unaufrichtigkeit und Scheinheiligkeit, deren Schliche und Heuchelei bloßzu- stellen. Obgleich Gautier selbst Mönch und Prior eines Benedik- tiner-Klosters in der Nähe von Soissons war und seine französi- schen Legenden für die Nonnen in Soissons und Fontevrault dichtete, fehlt ihm jedes Verständnis für den religiösen Geist der neuartigen Frömmigkeitsformen in den Kreisen der religiö- sen Armutsbewegung, in der er deshalb nur Scheinheiligkeit und Heuchelei zu sehen vermag, wenn nichts Schlimmeres. Er be- ginnt seine polemische Betrachtung mit der bezeichnenden Be- hauptung: „Niemand kann ganz ohne Besitz und Eigentum leben, und wer vorgibt, er könne und tue es, der ist ein gräß- licher, gottverhaßter Heuchler — und deshalb verzehre das Feuer alle Papelarden!"” Auf diesen Ton grundsätzlicher Ab- neigung gegen die Idee der religiösen Armutsbewegung ist die ganze weitere Betrachtung gestimmt, die auf die Papelarden und Beginen nicht nur gelegentlich als Beispiele für Heuchelei im allgemeinen zu sprechen kommt, sondern sich ganz aus- schließlich und sehr ausführlich mit deren Wesen, Gesinnung und Lebensweise, mit Papelardie und Beginage als einer neuen,’® weitverbreiteten,”® bedenklichen Zeiterscheinung be- sammengestellt. Der lange Exkurs über Beginen und Papelarden in der Legende vom Erzbischof von Toledo ist eine der in Gautiers Dichtungen üblichen Einschaltungen oder Anhängsel (queues) moralisch-zeitkritischen Inhalts, die mit dem Gedicht in keinem inneren Zusammenhang stehen. 51. v. 1147ff.: Nul ne puet mais nul bien avoir | fors par paraige ou var avoir, | ou par molt grant ypocrisie; | mais Dier het molt si faite vie; | mal brasiers et male flambe arde | et papelart et papelarde! 62. v. 1485/6: Pappelardie est une trueve | et une gille toute nueve. Schon daraus geht hervor, daß Gautier mit dem Wort papelardie nicht an Heuchelei im allgemeinen denkt und nicht eine „allgemeine Heuchler- satire“ schreiben will, die „auf alle jene Tartüffs im Kleriker- wie im Ordensstande“ zielt, die „in Worten und Gebärden eine erkünstelte Absichts- frömmigkeit zur Schau tragen, von der ihr Herz nichts weiß“ (Lom- matzsch S.26, 31); er meint vielmehr eine ganz bestimmte neue Zeit- erscheinung. 53. v. 1535ff.: Il en est tant des renoies, | que toz Artois en est BED. VRR faßt. Die Leute, gegen die sich diese Polemik richtet, nennt Gautier meist papelarts und papelardes, aber manchmal auch begins (v. 1391 ff.) und begars (v. 1525/7); ihre Lebensweise be- zeichnet er als papelardie oder auch als beginage (v. 1531). Er verwendet also wirklich — auf dem Grenzgebiet zwischen Flandern und Frankreich lebend — die Worte Begine und Papelarde gleichbedeutend für dieselbe Erscheinung. Einmal nennt er sie auch fruanz (v. 1349) — auch dieses Wort, das im allgemeinen soviel wie Landstreicher, auch Gauner und Be- trüger bedeutet,’ ist vor allem in seiner lateinischen Form tru- noiez. | Tout ont noie jusqu’a Noion, | se toz en Oyse nes noion, | touz ert, ce cuit ainz quatre mois | Noions noiez et Noiemois. 54. Dieses Wort ist also nicht „erst nach 1261/2 bezeugt“, wie noch Hilka, Z. f. roman. Philol. XLVII S.122 glaubt. 55. Vgl. Ducange, Giossar. VIII S.201f.; Godefroy,Dictionn. VIII S.95; Otto v. Freising, Gesta Frid., proem. (ed. Waitz-v. Simson S$.11) sagt über die während des 2. Kreuzzuges verbreitete Prophetie vom „Deus peregrinus“: Quisquis fuit ille propheta seu trotannus, qui hoc pro- mulgavit. — Eberhard von Bethune, Liber antiheresis c. 25 (Max. Bibl. Patr. Lugd. XXIV 8.1572) macht den Waldensern den seltsamen Vorwurf, sie benutzten die Wanderpredigt nur als Vorwand, um viele Länder zu sehen und zu bewundern, und nennt sie deshalb Zruianni: O mira novitas! Novum genus tritannorum, qui locorum varietates aliter videre non pote- rant aut mirari nisi se fingerent esse Christos! — Caesarius von Heister- bach Dial. I, 3 (ed. Strange I S.9) spricht von einem clericus actu trutan- nus, quales per diversas vagari solent provincias. — Die Mönche von Charroux (bei Calais) geben 1207 den bei ihnen weilenden Mönchen aus dem flandrischen Kloster Andres einen subtilis trutannus, tempore anno- sus, ordine minus morigeratus,.. eorum monachum als Reiseführer mit auf den Rückweg (MGSer. XXIV S.737), d. h. einen durch eignes Herumreisen wegekundigen Mann. — Der Bischof von Lüttich nannte den 1224 auf- tretenden falschen Grafen Balduin von Flandern einen Zrutanus (MGSer. XVI S. 358); F. Wachter in den „Geschichtsschreibern“ übersetzt das Wort sinngemäß mit „betrügerischer Landstreicher“); ebenso bezeichnet Lambert von Ardre (um 1200) den im Jahre 1176 auftretenden Pilger und Pseudoconversus, der sich für den 30 Jahre vorher in Palästina gestorbe- nen Grafen Balduin von Ardre ausgab, als Zrutannus (MGSer. XXVI S. 634). — Robert von Sorbonne, Sermo de confess. (Bibl. Patr. Paris. V S. 1472) spricht von trutanni als gaunernden Bettlern: Scis, quod trutanni infirmi et pauperes ostendunt transeuntibus membrum magis morbosum, ut eos ad misericordiam et compassionem sui alliciant; ebenso Wilhelm von $. Amour, s. u. Anm. 66; ähnlich auch Caesarius von Heisterbach, Dial. —_— 31 — fanni später, wie wir sehen werden,’ zu einer oft gebrauchten Bezeichnung für gewisse unstete Elemente der religiösen Ar- mutsbewegung geworden. An einer Stelle aber verwendet Gautier noch einen anderen Ausdruck (,guatinus“) gleichbe- deutend mit begin und papelart, der uns mit größter Wahr- scheinlichkeit vermuten läßt, daß sich wenigstens vorübergehend auch die gelehrte Bezeichnung Godini für die (von den Laien als Papelarden bezeichneten) Amalrikaner in die Volkssprache eingenistet hatte als Bezeichnung für die von Gautier befehdeten Kreise der religiösen Armutsbewegung!” Trifft das zu, dann VIII, 59 (ed. Strange II S. 131). — Albertus Magnus, Sent. IV 43, 7 nennt die, welche sich besonderen Wissens über den Termin der Endzeit rühmen, fatui et truttani. — Salimbene bezeichnet den Kölner Erzpoeten und Primas als magnus trutannus et magnus trufator et mazimus versi- ficator (MGSer. XXXII S. 83f.) und nennt auch andere Vagantendichter trutanni (S. 227, 572, 651); er wirft einmal den Kardinälen vor, daß sie scripturam truphatorie et trutannice juzta suum erroneum intellectum erponunt (S. 228). 56. S. u. S. 387 ff. 57. Gautier stellt preudome, d. h. den frommen Muster-Christen, den nach seiner Meinung falschen Formen des religiösen Lebens gegenüber. V. 1409 ff. heißt es nun: Preudome pas ne sont tot cil | qui baissent l’uel et le sorcil. / Sachiez por voir (= vrai) que preudom nus | ne set faire le quatinus, | le begin, nele pappelart, | car il ne set noient (— nient) de l’art | ne riens n’en daigneroit savoir, | car riens ne prise tel savoir. | Preudom ne set, se Diez me voie, | fors que plaine oevre et plaine voie. | Je voi, se Dier me doinst honeur, | que cil las, cil fratre- meneur, | qui par ces voies vont trenblant, | font bele chiere et bel sam- blant, | et belement as gens parolent. | Mais cil begin d’ire m’afolent; | cil pappelart, cil ypocrite | une chiere font si afflite, | que par samblant se font plus juste | ne fu la none Sainte Juste... Der Ausdruck quatinus (oder faire le quatinus) ist sonst nicht bezeugt, kommt auch im „Roman de la Rose“ nicht vor; Godefroys Dictionnaire (VI S.489) führt nur diese Stelle an, eine Anfrage bei verschiedenen Romanisten nach anderen Belegen für das Wort war ergebnislos. Quatinus ist bei Gautier gleichbe- deutend mit begin und pappelart. Da nun nach dem Bericht der Chronik von Mailros die Amalrikaner sowohl als Godini wie als papelardi bezeich- net wurden, halte ich es für höchst wahrscheinlich, daß sich die von Gau- tier gleichbedeutend mit begin und pappelart gebrauchte Wortform qua- tinus aus dem Wort Godinus gebildet hat. Die von den Theologen (Robert von Courgon, s. 0. S. 357) gebildete Bezeichnung Godini wäre also in der Umgangssprache noch eine Zeit lang geläufig geblieben, aber als ein latei- — 332 0 — haben wir hier einen sprechenden Beweis dafür, daß in den Augen der sozusagen „altgläubigen” Zeitgenossen tatsächlich alle neuartigen Erscheinungsformen des religiösen Lebens, die Amalrikaner ebenso wie die Beginen und Papelarden (und zu- nächst auch die Bettelmönche) in ein und dieselbe Kategorie verdächtiger Elemente gehörten und mit dem gleichen Miß- trauen, mit der gleichen verständnislosen Feindseligkeit be- trachtet wurden. Was Gautier im einzelnen gegen die Papelarden und Be- ginen vorbringt, bestätigt diesen Eindruck durchaus. Er weiß ihnen keinerlei bestimmte Verstöße gegen die Ordnungen und die Lehren der Kirche vorzuwerfen; er kann sie nur verdächti- gen — wie das von jeher gegen alle religiösen Sondergemein- schaften geschehen war — daß sie sich im Geheimen und unter einander schadlos halten für ihre öffentlich zur Schau getragene Enthaltsamkeit. Aber was ihn so sehr reizt an diesen Leuten nisches Gelehrtenwort empfunden und zu einem bekannten lateinischen Wort quatinus vielmehr wahrscheinlich mit pikardisch couatir = ver- halten, wäre mir nicht von etymologischen Sachkennern (W. v. Wart- burg, E. Lommatzsch, G. Cohen-Paris) erklärt worden, daß die Wortbildung quatinus aus Godinus etymologisch „nicht möglich“ sei, das Wort,guatinus vielmehr wahrscheinlich mit pikardisch couatir — ver- ‚bergen, en catimini — im Verborgenen zusammenhänge. Dann würde allerdings dem Ausdruck faire le quatinus eine historisch-spezifische Be- deutung (wie faire le begin, le papelart) fehlen. Der analoge Fall der Entstehung des Wortes Begine aus Albigenses, die von den Etymo- logen gleichfalls für „unmöglich‘‘ erklärt, aber durch historische Zeug- nisse bestätigt wird (s,0.S.181), macht es mir wahrscheinlich, daß trotz 'etymologischer Bedenken guatinus aus Godinus entstanden sein kann. — Herrn Dr. Skommodau in Paris verdanke ich die Feststellung, daß in den Pariser Handschriften Bibl. Nat. fonds frang. 22928 und 23111 (beide 13. Jh.) das fragliche Wort wie in der von Godefroy zitierten Laoner Hs. „quatinus“ geschrieben ist; andere Pariser Gautier-Handschriften ent- halten die Stelle anscheinend nicht. 58. v. 1275ff. schließt er eine lange, böswillige Polemik gegen ihr gleichermaßen Gott und der Natur widerwärtiges geschlechtliches Treiben mit den Versen: Tex genz se vont plus reponant | que gelines qui vont ponant. | Mais Diex li bons Clers qui tot set | dit qui mal fait, jor fuit et het. | Genz de mal faire costumiere | toz tans clarte het et lumiere. | Papelart sovent se reponent... Ferner v. 1351ff.: Devant la gent sont simple et goi (= quieti) | mais quant il sont en lor regoi, | assez font Er a und in immer neuen gehässigen und boshaften Wendungen über sie herziehen läßt, das ist gerade der Anspruch und die An- maßung gesteigerter Frömmigkeit in ihrem Auftreten und ihrer Lebensweise, ihr unablässiges Bemühen, besser, rechtschaffener, enthaltsamer, demütiger, friedfertiger, geistiger, weltentsagen- der — kurz: christlicher zu sein oder zu scheinen als man bis- her war und als andere sind.’® Sie laufen herum mit blassen Ge- sichtern, sanften, stillen, leidenden Mienen, gesenkten Blicken,” essen kein Fleisch und trinken keinen Wein, halten sich fern von den Freuden der Welt, als ob sie sich heilig und vollkom- men dünkten — und Gautier kann in alledem nichts anderes sehen als Heuchelei, Lug und Trug, hinter dem sich ein schand- barer Hochmut und Ehrgeiz verbirgt. Für ihn ist das alles nur ein übertriebenes und berechnendes frömmelndes Gehaben, das ———- pis que cil ne face | qui monstre au siecle riant face. | Tex fait grant senblant d’astinence | qui poior a la conscience | et plus l’a vuide, vaine ei faure, | que ter mengue bone saure | et bone char ä granz buignons. ı Se soutieument les esclignons | molt troverons en lor afaire | d’anglez de goi Dier n’a que faire. | Dier aime molt la plaine voie, | Dier velt chas- cuns ses oevres voie, | Dier aime molt communite, | Dier aime pais et charite. — Vgl. auch Gautiers Vorwurf in einem anderen Gedicht (bei Poquet S. 643 v. 594ff.; vgl. Lommatzsch S.29) gegen die sünd- haften Beziehungen der fruants zu den joennes papelardeles, mit dem bos- haften Wortspiel: Papelardiaus et papelardeles | ont a la foiz papelart d’eles. 59. v. 1158: tuit sont far, ei bon se font; v. 1288: si bon se font et si parfait; v. 1162 ff.: sor tote gent sont deceu | por la loenge de cest mont, | et por monter un poi amont | assez sueffrent travail et paine. | Le vin laissent por la fontaine, | et la char por les pois baiens: | Tex est pire que uns paiens, | qui par sa grant ypocrisie | moustre qu’il est de meillor vie; v. 1199 ff.: et par senblant molt se despisent, | por ax acroitre s’apetisent | por ar acroitre s’amenuisent; v. 1285 f.: par lor senblant au siecle s’enblent (— entziehen sich), /par lor senblant seint home sanblent. — v. 1668ff.: Nos chars nos ruevent amorter | par geunes, par absti- nences; | molt blasment noz incontinences, | noz ostraiges et noz orquelz: ' le festu voient en noz elz, | le trastre es lor ne voient mie, 60. v. 1174 ff.: simple chiere (— Gesicht) sevent bien faire, | tuit sanblent estre esperitel. | Ge sai por seint Esperit tel, | qui tant est simp- les et seriz, | ce sanble estre seinz antecriz; v. 1182f.: les sanblanz ont esperitexr | faces maigres et amorties,; v. 1410 und 1426 s. o. Anm. 57. — 384 — Eindruck machen und sich Vorteile verschaffen will — und möglichst in hohe kirchliche Ämter führen soll!* Diese völlige Verständnislosigkeit für das Wesen und die religiösen Motive der neuen Frömmigkeitsformen ist aber nicht vereinzelt. Gautier de Coincy teilt sie mit vielen Zeitgenossen vor allem im Weltklerus und im alten Mönchtum. Gegen Ver- dächtigungen von dieser Seite hatte auch Jakob von Vitry die Beginen in Schutz nehmen müssen, und gerade in Frankreich hat sich diese argwöhnische Feindseligkeit gegen alle, auch die rechtgläubigen und kirchlich zugelassenen Formen der religiö- sen Armutsbewegung länger und verstockter erhalten als an- derswo. Die davon Betroffenen aber, die verlästerten und ver- spotteten Beginen und Papelarden, die sich nicht mit der her- gebrachten Kirchenfrömmigkeit begnügten, sondern von dem Willen zu wahrhaft christlich-evangelischer Gestaltung ihres Daseins erfaßt waren, die mußten sich — solange noch nicht die Bettelorden ihre große Mission an ihnen erfüllen konnten — nur um so stärker dorthin gedrängt fühlen, wo sie Verständnis für ihre religiösen Bedürfnisse, gleiche Gesinnung und darüber hinaus die Verheißung einer philosophisch-theologischen Sinn- deutung ihrer religiösen Existenz fanden: zu den Ketzern. So erklärt sich die Empfänglichkeit religiöser Frauenkreise, der Beginen und Papelarden, für das Wirken der Amalrich-Schüler. Später sind dann die Bettelorden in die Lücke gesprungen, wo die alten kirchlichen Organe versagten, und haben die religiöse Bewegung zum größten Teil an sich gezogen und vor der Ent- gleisung aus den Bahnen kirchlicher Rechtgläubigkeit bewahrt. Aber restlos ist ihnen das auch in den nördlichen Zweigen der religiösen Armutsbewegung, unter den frommen Frauen in Bel- gien, Frankreich und Deutschland, unter Beginen und Papelar- den nicht gelungen. Nachdem es eine zeitlang so schien, als würden die von rückständigen Geistern anfangs gemeinsam be- fehdeten Kreise der religiösen Bewegung, die Bettelorden und 61. v. 1453 ff.: Zi plusieur, c’en est la voire (= Wahrheit) / font quan- quwil font par vaine gloire | por estre avant sachie (= vorgezogen) et trait; v. 1543 ff.: Li papelart le mont honissent, | papelart s’apapelardis- sent | por estre Abbe, Evesque ou Pape. — 385 — die nicht ordensmäßig organisierten Beginen, Papelarden usw. sich auch gemeinsam und Seite an Seite ihren Platz und volle Anerkennung in der Kirche erkämpfen, hat es sich dann heraus- gestellt, daß unter den Randerscheinungen der Bewegung die Neigung und Versuchung zur Ketzerei doch stärker und nach- haltiger war als die Bettelorden geglaubt haben mochten, und sie selbst sahen sich genötigt, eine scharfe Trennungslinie zwi- schen sich und den unzuverlässigen, unsteten, organisatorisch nicht erfaßbaren und dogmatisch schwer zu überwachenden Elementen zu ziehen. Bis zur Mitte des Jahrhunderts hatten sich diese Verhält- nisse noch wenig geklärt. Noch konnten an der Pariser Uni- versität zwei Theologen nebeneinander wirken, von denen der eine, Robert von Sorbonne — ähnlich wie vor ihm Jakob von Vitry — in den Beginen und Papelarden Menschen von beson- ders frommem Wesen sah, die gerade um ihrer echten, eifrigen Frömmigkeit willen von den weltlich Gesinnten verachtet und verspottet wurden,” während sein Kollege Wilhelm von S. Amour, der fanatische Kämpfer gegen alle Formen der religiö- 62. Sermo de conscıentia ad theologos, Bibl. Patr. Paris. V S. 1462: Ille qui frequentat magis scholas et diligentius magistrum audit, debet melior clericus reputari,; ergo beguini sive in seculo sive in religione (!) in libro isto scilicet conscientie sunt sapientiores, quia frequentius et plu- ries confitentur, sicut patet ad oculum; imo propter hoc dicuntur Papalerei (— Papalardi?), quia frequentant confessiones. In derselben Predigt (S 1458) eifert er gegen die Leute, die, cum sint cum papelardis viris et reli- giosis, sich einen frommen Schein gegeben, unter Weltleuten dagegen sich weltlich aufführen; die coram magnis beguinis ein geistliches Gewand tragen, coram mundanis aber weltlichen Prunk. In Roberts „ter Paradisi“ (ib. S. 1492) heißt es: Aliquis incipit agere penitentiam, irridetur ab ali- quo, qui dicit: Iste est beguinus, et tunc iste tibi dicet aliquid, quia modo aliquo tibi injuriatur; ignosce ergo ei, et aliquid lucratus es ad viam tuam. In Roberts ungedrucktem Traktat „De conditionibus matrimonü“ steht ein eremplum de illo begino, qui ultra mare locutus fuit cum rege Francorum; Genaueres läßt sich aus den Angaben bei A. Lecoy de la Marche, La chaire frangaise au MA S. 100f. und 330 nicht ersehen. — Vgl. auch die Vita b. Edmundi Cantuar. episc. (f 1242) des Zisterziensers Bertrand von Pontigny bei Martöne, Thes. nov. anecdot. III S. 1791: quaedam prostituta irridenti animo suis ait comitibus: Eamus ad papalardum illum; als sie zu ihm geht, wird sie von dem Heiligen bekehrt. — 386 — sen Armutsbewegung, seine leidenschaftlichen Schmähungen und höhnischen Verdächtigungen auch über die Beginen,*® Pape- larden und „Trutannen‘* ergoß, die ihren Armutsdünkel zur Schau tragen“ und pharisäerhaft jedem ins Gesicht speien wür- den, der heutzutage so kostbar gekleidet ginge wie Jesus in sei- nem ungenähten Rock; die aus Hang zur Müßigkeit unter dem Vorwand religiöser Ideale von Almosen leben wollen — ob- gleich sie nicht als Orden anerkannt sind und also nicht zum Mönchsstand gehören —, bettelnd herumziehen und sich dabei wohl gar krank und elend stellen, um reichlicher beschenkt zu werden. Die französischen Zeitdichter und Satiriker, an ihrer Spitze Ruteboeuf und die Verfasser des Rosenromans, haben die- sen Ton von Gehässigkeit, Verdächtigung und Verachtung gegen das fromme Treiben der Papelards und Beguins, Begards und Truands aufgenommen und verstärkt, und in der Nachfolge Gautiers von Coincy haben die Zeitgenossen Wilhelms von S. Amour, die unberührt waren von den Gedanken und Erleb- 63. Collectiones cathoiicae, Opera 8. 266f., 275, 305; auch Wilhelm von S. Amour spricht (wie Robert von Sorbonne s. o. Anm. 62) von aliguis beguinorum, sive regularis, sive secularis existat; er bezeichnet auch An- gehörige der Bettelorden mit diesem Namen. 64. Vgl. o. S. 323 ff. Casus et articuli, Opera S.91 (dazu Mosheim, De beghardis S.27) polemisiert Wilhelm gegen die trutanni validi corpore, quorum est in regno Francie multitudo infinita, die ebenso wie die Be- ginen, Boni valeti (Begarden) und Papelarden, cum sint validi ad operan- dum, parum certe aut nihil volunt operari, sed vivere volunt de eleemosy- nis in otio corporali sub pretexiu orandi, cum nullius sint religionis per sedem apostolicam approbate; vgl. u. Anm. 66. 65. Opera 8.97: Si aliquis nunc ita pretiosam vestem deferret, Pape- lardi in faciem eius spuerunt sicut pharisaei spuerunt in faciem domini Jesu Christi sic induti; vgl. Casus et articuli, Opera S. 92, den Vorwuri gegen Beguinae et Boni Valeti dicentes, quod vestis pretiosa portari non potest sine magno periculo; die boni valeti sind Begarden, s. Mosheim, De beghardis S. 37 ff. — 66. Collectiones catholicae, Opera 8.228: Propter mendicitatem etiam, qui otiose vivere volunt, multipliciter simulatores fiunt; nam ut misera- biliores appareant et ex eo eleemosynas largiores acquirant, plerumque simulant se infirmos et debiles, cum tamen sint sani et fortes, ut videmus quotidie in trutannis; plerumque autem per hypocrisin simulant se esse sanctos, cum tamen parum aut nihil sanctitatis preter speciem ezteriorem habeant, ut videmus in aliquibus papelardis. — Vgl. Wilh. Peraldus O.P — 387° — nissen der religiösen Bewegung, denen sie ein Ärgernis war oder eine Lächerlichkeit, immer neue Schmäh- und Spottverse auf die Begardie, Papelardie und Truandie gedichtet.”” Diese Namen wurden geradezu zu Schlagworten, mit denen die Ver- treter der alten kirchlichen und gesellschaftlichen Anschauun- gen ihre ganze Mißachtung des neuartigen religiösen Wesens und Gehabens zum Ausdruck brachten, während sie den reli- (vor 1260), Summarium virtutum: Caro decipit sicut papelardus, qui dieit se infirmum et pauperem, cum non sit (Ducange VI SS. 145). Robert von Sorbonne sagt dasselbe über die Zrutanni (s. o. Anm. 55), bezeichnet aber natürlich die von ihm geachteten Beginen und Papelarden nicht als trutanni! 67. Zeugnisse aus der französischen Literatur des 13. Jahrhunderts bei A. Hilka, Z. f. roman. Philol. XLVII S. 164ff.; T. Denkinger, Die Bettelorden in der französ. didakt. Lit. des MA, 1915, S. 50ff.; E. Lom- matzsch, Gautier als Satiriker S.30. Vgl. auch die Belege für das Wort papelardie bei Godefroy X S.268. Ich weise nur auf einige bemerkens- werte Beispiele hin. Schon in der Reimchronik des Philipp Mouskes (geschr. vor 1244) die Zusammenstellung li beghin et papelart (v. 30733 ed. v. Reiffenberg II S. 673): Et tout cou fisent beghin et papelart et jaco- bin. Bei Ruteboeuf vor allem das Gedicht Des ordres mit dem Refrain: Papelart et Beguin ont le siecle honi (ed. A. Kreßner 1885 S.56f.; ed. Jubinal 1839 I S. 170) und die Verse: I]! n’a en tout cest mont ne bougre ne herite (— hereticus) ne fort popelican, vaudois ne sodomite, se il vestoit l’abit oü papelarz s’abite, c’on ne le tenist ja a saint ou a hermite; auch das Dit des bequines (S. 62f.; I S. 186) und das Dit des regles (S. 63 ff.; I 194). — Bei Gautier de Metz, Mappemonde (um 1247; Ducange VI S. 145): Tels sont chil ä ces capes grans | Con doit bien appeler tru- hans (oder: trutans), qui papelart nommer se font | et ä droit, car Pape- lart sont | Adont on üd nom papelart | car avoir veulent tout le art | et le plus bel de l’autre gent | par fausse chiere et faus semblent. — Bei Gerbert de Montreuil (ed. Ch.Potvin, Perceval le Gallois VI S.201): Si parement pas ne sambloient de truande ne de beqguine. Der Wertakzent der Worte Begine und Papelarde ist im 13. Jahrhundert so schwankend, daß die Widersacher der religiösen Bewegung manchmal ausdrücklich vor fausse begine und pseudo-papelarda sprechen, um sie herabzusetzen, s. Hilka S. 164, 170. 68. Dafür besonders lehrreich das deutsche Gedicht: „Das Leben der Gräfin Jolande von Vianden“ von Bruder Hermann (ed. J. Meier S.47 v. 3882 f.): die Verwandtschaft Jolandes wirft ihr vor: ir duet uns allen schande mit üren begardien. Als 1247 Jolandes Bruder die Gräfin von Salm heiratete, bat Jolande ihre Schwägerin, ihr die Teilnahme am Tanz zu ersparen; nu was dy brut ein edel wif | hersch unde stolz, dat — 388 — giösen Kreisen selbst zum Inbegriff ihrer Lebenshaltuns wurden.‘ Bei alledem sind aber den viel geschmähten Beginen, Pape- larden und Trutannen nirgends bestimmte Ketzereien zur Last gelegt worden,’® obgleich sich wie schon am Anfang, so auch um die Mitte des Jahrhunderts einzelne Fälle von häretischer Zer- setzung in diesen Kreisen bemerkbar machten.” Erst seit den siebziger Jahren, seit das franziskanische Gutachten zum Lyo- ner Konzil zum ersten Male auf. die häretische Gefährdung des Beginentums hingewiesen hatte”? und auch das gleichzeitige Gutachten der Dominikaner darüber klagt, daß eine übergroße Zahl von religiosi pauperes die ganze Welt überschwemme, die von vielen nicht mehr als Mönche, sondern als frutanni bezeich- net würden, so daß um der Ehre und des Ansehens des Ordens willen gegen das Überhandnehmen solcher herumziehender al ir if | zur wereltvroide herze druch. | Der suster wort sy widersluch, | sy sprach: vil lyve suster min, | wilt du bi mir beginesin| ar begar- die driven, | so ganc zu sulchen wiven, | dy des gelusten, dat raden ich, | erlaiz der truandien mich. | Du solt mir spilen, lachen | und alle vroide machen (S. 57 v. 4769£f.).. — Berthold von Regensburg (A. E. Schönbach, S.-B. Wien 147, V S.22) spricht in einer Predigt von trugner, trugnerinne, trugnerius, vor deren ketzerischer doctrina anguli er warnt — wahrscheinlich will er damit das Wort irutannus übersetzen. — Vgl. auch unten S. 393 Anm. 83. 69. Vgl. vor allem die von A. Hilka veröffentlichten Gedichte: „Qui vuet droit beguinage avoir“ (S. 145ff.), „Saves que j’apiel beghinage?“ (S. 122 vollständig bei E. Bechmann, Z. f. roman. Philol. XIII S. 72 ff.), auch die „proprietes de beginage“ (S.156). 70. Nur Wilhelm von S. Amour macht Andeutungen über den häreti- schen Quietismus in Pariser religiösen Kreisen; Casus et articuli, Opera S. 91: Et extra predictas (scil. Trutanni, Boni valeti — Begardi, Beguinae) jam est quarta secta Parisius, que dicit numquam operandum manibus, sed incessanter orandum; et si homines sic orarent, plures fructus terra sine cultura afferret quam modo offerat cum cultura. — Als sectae bezeich- net Wilhelm die verschiedenen Erscheinungsformen der religiösen Armuts- bewegung, die nicht ordensmäßig organisiert sind; aber es handelt sich dabei nicht um streng gegeneinander abgegrenzte Gruppen oder gar irgendwie organisierte „Sekten“. 71. S. u. S. 394 ff. 72. Collectio de scandalis ecelesiae, AFH XXIV S.61f.; s. o. S. 337 ff. — 389 — frommer Bettler eingeschritten werden müsse;”® seit zugleich — wie wir sehen werden — in Süddeutschland zum ersten Male ein krasser Fall von Ketzerei unter den Kreisen der religiösen Bewegung ans Licht gekommen war:’* seitdem erst regt sich überall der Verdacht, daß die unstet schweifenden, noch immer nicht organisierten und den regulären Orden angeschlossenen Elemente der religiösen Armutsbewegung zu einer Gefahr für den rechten Glauben werden. Ohne noch bestimmte Fälle von Häresie und die Verbreitung bestimmter ketzerischer Lehren nachweisen zu können, trifft deshalb die Synodalgesetzgebung in den letzten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts überall Vor- kehrungen gegen jenes vagierende Religiosentum, das man so schwer mit einem eindeutigen Namen zu benennen wußte, weii es keinen Orden und keine organisierte Gemeinschaft bildete, in verschiedensten Formen auftrat und doch einen gewissen inneren Zusammenhang hatte, und das eben deshalb die Hüter der kirchlichen Ordnung und Rechtgläubigkeit so stark beun- ruhigte. Zunächst hat eine Synode in Trier, wahrscheinlich im Jahre 1277,’ Maßnahmen getroffen einerseits gegen Begarden und Konversen, denen der Klerus unter keinen Umständen erlauben soll zu predigen, weder in den Kirchen noch auf den Straßen und in den Dörfern, weil sie Irrlehren und Ketzereien im Volk verbreiten;'” andererseits gegen trutanni und andere fahrende 73. Humbert de Romanis, Opus tripartitum III, 3; s. o. S. 335. 74. S.uS. 402 ff. 75. Zur Datierung dieser Synode, deren Statuten in der einzigen er- haltenen Handschrift des 14. Jh. das Datum 1227 tragen, vgl. A. Hauck Kirchengesch. ®IV S.9 Anm. 6 und vor allem die sorgfältige Untersuchung von Fr. Arens ZKG XXXIIL 1912, S. &4 ff. 76. Statuten der Synode bei Hartzheim IU S.531 und Blattau, Statuta synodalia archidioec. Trevirensis I S.24: Precipimus firmiter et districte sacerdotibus, ne predicare permittant aliquos illiteratos, videlicet Begardos vel conversos seu alios, cuiuscumque ordinis sint, etiam extra ecclesiam videlicet in vicis vel in plateis, et sacerdotes parochianis suis precipiant, ne tales audiant, propter hereses et errores, quos seminant in populo. Die conversi sind keine besondere Genossenschaft neben den Begarden (etwa waldensische Prediger, wie K. Müller, Waldenser S. VII denkt); die Bezeichnung Begardi seu conversi findet sich auch in anderen Quellen für ein und dieselbe Sache; s. u. S. 433 Anm. 183. -- 390 — Schüler und Goliarden, denen es der Klerus verbieten soll, während der Messe und in den Gottesdiensten Lieder über das Sanctus oder das Agnus dei oder anderes zu singen, weil das die Priester im Kanon stört und die Zuhörer belästigt." In bei- den Fällen handelt es sich um herumziehende Leute, die sich unberechtigt in die Befugnisse des Pfarrklerus einmischen; die einen, die das Synodalstatut begardi nennt, indem sie sich die Predigt anmaßen, ohne dafür ausgebildet und dazu ordiniert zu sein; die anderen, die als trutanni bezeichnet werden, indem sie sich mit ihren Liedern in den Gottesdienst eindrängen. Nun sind, wie wir sahen, die unsteten Elemente der religiö- sen Bewegung vielfach in gleicher oder verwandter Bedeutung Begarden oder Trutannen gescholten worden, und noch kurz vorher hatte Humbert von Romans behauptet, die herumziehen- den pauperes religiosi würden von vielen als frutanni verun- glimpit. In den Trierer Synodal-Statuten aber werden die frulanni in einem Atem mit „anderen vagi scolares und Goliar- den‘ genannt, und man könnte zweifeln, ob es sich dabei nicht um Leute handelt, die mit der religiösen Bewegung in keinerlei Zusammenhang stehen: um das leichtiertige, weltfrohe, un- fromme Volk von Scholaren, Vaganten und Goliarden, denen man die „Vagantenlieder” zu verdanken glaubt.” Aber es weist 77. Hartzheim III S. 582; Blattau I S. 25: Iiem precipimus, ut omnes sacerdotes non permittant trutannos et alios vagos scolares aut goliardos cantare versus super Sanctus et Agnus dei aut alias in missis vel in divinis officüs, quia ex hoc sacerdos in canone quam plurimum impeditur et scandalizantur homines audientes. 78. N. Spiegel, Die Vaganten und ihr Orden, 1892, S.58 hat ın dieser Meinung den Trierer Synodalerlaß phantasievoll interpretiert: „Man hatte den Vaganten hie und da gestattet, bei festlichen Gelegenheiten (wie Primizen und Kirchweihen) den Gottesdienst durch Gesang zu verschönen, und sie benutzten diese Gelegenheit, um während der heiligen Handlung leichtfertige Lieder zu singen“, und er bemerkt dazu noch: „Man denke an Trink- und Spielmetten, sowie Umdichtungen von Hymnen (vinum bonum et suave statt verbum bonum ete.)“. Von alledem steht leider gar .nichts in den Quellen, es ist nur aus dem Vorurteil über das Vaganten-. und Goliardenwesen im allgemeinen entsprungen. — Alle wertvollen und datierbaren Dichtungen der „Vaganten-Lyrik“ stammen übrigens noch aus dem 12. Jahrhundert; die kostbaren Handschriften des. 13. Jahrhunderts, in denen diese Dichtungen gesammelt sind (Carmina burana, Hs. in St. — 391 — doch vieles darauf hin, daß es auch unter den herumziehenden Klerikern und Scholaren im 13. Jahrhundert nicht an Einflüssen jener religiösen Gedanken und Bestrebungen fehlte, die sich in den anderen Gruppen der unorganisierten Armutsbewegung auswirkten. In den Vorstellungen der Zeitgenossen wenigstens sind die vagi clerici oft mit unter dieselbe Sorte von Leuten ge- rechnet worden wie Begarden, trutanni und ähnliche Erscheinun- gen. Gegen das scharenweise ziellose Herumziehen bettelnder Vaganten ist wahrscheinlich nicht zufällig zuerst dieselbe Main- zer Synode von 1233 eingeschritten, die auch zuerst das Herum- ziehen religiöser Frauen verbot,’ und spätere Synoden trafen immer zugleich Maßregeln gegen herumziehende Beginen und gegen herumziehende Scholaren,‘’ denen dabei stets vorgeworfen Omer), sind nicht von „Vaganten“, sondern von Liebhabern dieser Poesien angelegt worden. W. Meyer, Nachr. v. d. Ges. d. Wiss. zu Göttingen 1907 S. 76 und 88 betont mit Recht, daß man in den von den Synoden des 13. Jahrhunderts gemaßregelten vagi scholares nicht die Dichter jener Lyrik suchen darf. 79. S. o. S. 326; Statuten bei Mone, Z. f. d. Gesch. d. Oberrheins III S.141 $ 46: Quia vagi scolares, qui vulgo Everhardini vocantur, deo ab- hominabilem vitam ducunt, divinum officium invertunt, unde etiam laici scandalizantur, monachis dant apostatandi materiam, quippe quos de claustris suis recedentes ei alibi in seculo receptaculum non invenientes ipsi in suum recipiunt consortium, statuit hec sancta synodus prohibendo, ne quis clericus eos recipiat vel aliquid det eisdem,; quod si fecerit, a superiori suo suspensus acriter corrigatur. Nullus etiam scolaris recipia- tur, nisi chorum et scolas frequentans. — Wörtlich dasselbe enthalten die Statuten des Magdeburger Provinzialkonzils von 1261, Hartzheim III S.807 $S 20, nur am Schluß mit dem Zusatz: sive decenti alias serwvitio deputatus. — In Fritzlar 1244 wurde das Statut von 1233 wörtlich wieder- holt und durch die Einschränkung ergänzt, es sollten dadurch nicht ehr- bare arme Scholaren betroffen werden, die notgedrungen herumwandern und betteln; die Eberhardini prefatı, qui vitam ducunt reprobam et in- /amem, sollen zu kirchlichen Weihen und Ämtern höchstens nach langer Prüfungszeit und gründlicher Besserung ihres Lebenswandels zugelassen werden. — Dasselbe wiederholt auf der Synode in Mainz 1310 mit einem weiteren Zusatz, s.u. Anm. 81; Hartzheim III S.600 $ 17 und IV S. 186. 80. Auf dem deutschen Nationalkonzil in Würzburg 1287 wurde die Aufnahme und Unterstützung der vagi scholares in engstem Zusammen- hang mit dem Verbot der „Apostelbrüder“ untersagt, die im Jahre zuvor als ein nicht approbierter Orden durch Honorius IV. ausdrücklich aufge- löst worden waren (Bulle vom 11. März 1256, s. Bullarium Romanum, — 32 — wurde, daß sie den Gottesdienst stören und dadurch auch die Laien belästigen, daß sie außerdem klosterflüchtige Mönche in ihre Reihen aufnehmen. Nun geben zwar die Synodalstatuten kein klares Bild davon, worin ihr strafbares Verhalten bestand, in welcher Weise sie die Gottesdienste störten. Aber wie ihner die Synode in Trier 1277 vorwarf, sie sängen unbefugt während der Messe religiöse Lieder, so beschwert sich später eine Main- zer Synode darüber, daß sie ohne Auftrag in Dörfern, die kei- nen eigenen Piarrer haben, Gottesdienste abhalten” Daß man in allen diesen Fällen an profane Verhöhnung und leichtsinnige Parodierung kirchlicher Bräuche und Pflichten denken darf, ist um so weniger wahrscheinlich, als sich der volkstümliche Name dieser Vaganten, die Bezeichnung Eberhardiner, deren Ursprung und Bedeutung nicht bekannt ist,” mehrfach in engem Zu- Turin 1857; IV 8.84); s. die Statuten des Konzils bei Hartzheim II S.732f. $ 34. Diese Apostoliker, vor deren intuitus religionis ac insolitus habitus Klerus und Laien gewarnt werden — ob es Anhänger dieser „Sekte‘‘ in Deutschland gab, ist übrigens gar nicht bekannt; vielleicht hai der päpstliche Legat nur den Auftrag Honorius’ IV. auf dem National- konzil erfüllt, die Aufhebung dieses Ordens in allen Ländern zu verkün- den — werden in den Konzilsstatuten mit dem seltsamen Namen Lecca- tores seu reprobati apostoli bezeichnet (bei Mansi XXIV S.863 falsch: Peccatores), Leccatores aber heißen eigentlich die fahrenden Sänger, Spielleute und Gaukler nicht-geistlichen Standes, ss. Ducange „lecator“; Die Gedichte des Archipoeta hsg. von M. Manitius (Münchner Texte 6), 1913, S.37 Str. 23; Johann von Nürnberg, De vita vagorum bei W. Grimm, Altdeutsche Wälder II S.49. Auch diese Armutsapostel tragen also einen Vagantennamen! 8. Hartzheim IV S.186 vom Jahre 1310, Zusatz zu dem Erlaß von 1233 und 1244: Quia clerici vagabundi, qui Eberhardini vocantur, quorum vita deo est odibilis, clericos et ipsos laicos scondalizant, discurrendo per terras in villis, que carent proprüs sacerdotibus, aliquando celebrare pre- sumunt seu, quod verius est, quantum in ipsis est, divina officia propha- nare, statuimus, ut tales ad mandata tum dioecesani seu loci archidiaconi teneantur in custodia carcerali, ad hoc si necesse fuerit invocando auzxi- lium brachü secularis, salvis nihilominus constitutionibus contra tales a nostris predecessoribus promulgatis. Der Wortlaut stimmt teilweise mit der Bulle Honorius’ IV. gegen die Apostelbrüder vom 11. März 1286 überein. 82. Die Ableitung von Erzbischof Eberhard von Salzburg (1200/40) als einem Gönner der Vaganten ist eine bloße Hypothese; s. Frantzen, Neophilologus V, 1920, S. 63; J. W. Muller, Tijdschrift voor nederl. — 393° — sammenhang mit anderen Erscheinungen der religiösen Be- wegung erwähnt findet;*® Berthold von Regensburg hat sogar einmal gesagt, das Wort „Scholaren‘ sei zum Ketzernamen ge- worden wie früher die Bezeichnung „die Armen” oder „Wal- denser'.“* Es ist nicht leicht, aus allen diesen Zeugnissen ein im ein- zelnen zuverlässiges Bild der Zusammenhänge zu gewinnen. Aber gerade in ihrer schwer greifbaren Vielfalt spiegelt sich deutlich der wirkliche Zustand dieser unstet fluktuierenden Elemente der religiösen Bewegung wieder, die keinen Orden bilden und keine Sekte, die keinen gemeinsamen Namen haben und nicht durch einheitliche Maßnahmen zu beseitigen sind, die bettelnd durch die Länder ziehen und die Ordnung in der Kirche, beim Gottesdienst, in der Gemeinde und auch in den Orden stören, denen man keine bestimmte Ketzerei nachweisen kann und deren Rechtgläubigkeit man doch beargwöhnt. Eine Eichstätter Provinzialsynode in den achtziger Jahren hat gleichfalls vor unbefugten Laienpredigern gewarnt, die sich "in heimlichen Versammlungen die Predigt anmaßen und damit das Volk in die Irre führen.‘® Ein bestimmter Name ist für diese Taal- en Letterk. XXXIX, 1920, S. 137; A. Hilka, Studi medievali N.F. II S.417 ff. — Die Reiserechnung des Bischofs Wolfger von Passau (ed. Zingerle, 1877, S. 26) verzeichnet zu Ostern 1203 (oder 1204) ein Ge- schenk an einen episcopus Ebberardinorum und an einen „anderen Mimen“, 83. Berthold von Regensburg spricht in einer lateinischen Predigt (Serm. spec. 33, Hs. Leipzig 496 f. 73€; s. A. E.Schönbach, S.-B. Wien 147, V S.81 und 107) über Menschen, die weder bei Gott noch bei den Menschen beliebt sind, und zählt als Beispiele auf: Pikardi (= Begardij), Everhardini, lusores, armigeri, falsi mendici et huiusmodi pauperes, falsi religiosi, qui miseri suni intus in peccatis, extra miseri semper in labore, in defectu“ etc. In der niederländischen Literatur finden sich später weitere Beispiele für die Bezeichnung Eberhardiner: in dem fragmentari- schen Volksspiel mit dem Titel „Truwanten“ (= Trutanni!) verführt eiv Bruder Everaert eine Magd zum Zruwanten, und er bezeichnet swesters, baghinen, lollaerde als seine Gesellen (ed. P. Leendertz, Middelneder- landsche dramat. Poezie, 1907, S. 132 ff.). 84. A.E.Schönbach, S.-B. Wien 147, V S.45: Sunt heretici, qui modo venerunt ante diem judici, qui se vocaverunt primo pauperes, post Waldenses, post scolares, nunc bonos homines vel „wislos“ vel „weglos“ 8. S. o. S. 342; Statuten im Pastoralblatt des Bistums Fichstätt XXXI, 1885, S. 74: Item quamvis apud deum, qui est illuminans omnem — 394 — Geheimprediger in den Synodalstatuten überhaupt nicht ge- nannt, ebensowenig werden ihnen bestimmte häretische Lehren zur Last gelegt.“ Weder einer damals bekannten Ketzersekte noch einem anerkannten Orden zugehörend, haben solche Pre- diger in der Eichstätter Diözese dieselben Beschwerden veran- laßt wie kurz vorher in Trier die Begarden und Konversen. Mit Unruhe und Argwohn sieht man überall eigenmächtige Prediger, fromme Bettler, Leute mit religiösem Gehaben und in religiöser Tracht, zu der sie keine Berechtigung haben, durch das Land ziehen, nennt sie bald Begarden, bald Trutannen, bald Scho- laren oder mit anderen Namen, und weiß sich ihrer nicht an- ders zu erwehren, als daß man vor dem Verkehr mit ihnen warnt und ihre Unterstützung verbietet. In diesem unsteten, irregulären Religiosentum haben wir die Träger und Vermittler der ketzerischen Strömungen zu suchen, die zu der großen Krise des Beginentums am Anfang des 14. Jahrhunderts führten. 3. Ketzerische Strömungen in religiösen Frauengemeinschaften Süddeutschlands. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts zeigen sich in religiösen Frauengemeinschaften Süddeutschlands die ersten Spuren häre- tischer Einflüsse und Beunruhigungen. Die Überlieferung dar- hominem venientem in hunc mundum, damnata sint opera tenebrarum et reprobata in tantum, ut apostolis suis ad predicandum missis preceperit dicens: Quod dico vobis in tenebris, dicite in luce etc., quidam tamen laiei occulta conventicula celebrantes predicationis sibi usurpant officium et, sicut timeri oportet, corda simplicium evertunt et eos in quendam cecita- tis errorem abducunt. Quia igitur in ecclesia dei ordo doctorum precipuus et principalis existit (!), non debet sibi quisquam nisi specialiter ad hoc missus predicationis officium usurpare; nam secundum apostolum quo- modo predicabunt nisi mittantur? Quam ob rem vobis universis ac sin- gulis committimus firmiter injungentes, quatenus plebisanis vestris per- suadeatis attente et nihilominus sub pena excommunicationis inhibeatis districte, ne huiusmodi predicatores immo potius deceptores aut quoslibet eorum sermones recipiant et audiant quoguo modo, alioguin qui super hoc tertio a vobis moniti ab huiusmodi predicationibus audiendis seu propo- nendis abstinere noluerint, tanguam suspectos de heresi nostris auribus deferatis. — Die Kapitelüberschrift Contra beghardos stammt vom Heraus- geber. 86. Es kann sich infolgedessen nicht um Waldenser handeln. — 395 — über ist allerdings sehr getrübt. Martin Crusius, ein Tübinger Historiker des 16. Jahrhunderts, erzählt in seinen Schwäbischen Annalen zum Jahre 1261, in einigen schwäbischen Nonnenklö- stern seien Leute aufgetreten — angeblich Fratricellen, Begar- den und Beginen genannt — die gegen die klösterliche Regulie- rung der Gemeinschaften agitiert hätten, mit der Begründung, man könne Gott besser „in der Freiheit des Geistes” dienen, ohne eine feste Regel zu befolgen. Dadurch sei ein scharfer Gegensatz entstanden zwischen den Gemeinschaften, die in dieser regellosen Freiheit leben wollten, und anderen, die sich einer geregelten Klosterzucht unterwarfen, und erst das Ein- greifen der Bischöfe habe schließlich die regelfeindlichen Ge- meinschaften unterdrückt.” Anschließend berichtet Crusius über das Kloster Kirchheim, dessen Nonnen den Konstanzer Bi- schof mehrmals vergeblich um die Gewährung der Regel Au- gustins gebeten hätten, der ihnen diese Bitte aber erst 1247 dank der Vermittlung des Kardinal-Legaten Petrus erfüllte. Und ebenso haben die Nonnen von Gnadenzell — fährt Crusius fort — quibus antea libertas illa fratricellana placuerat, schließ- lich eingesehen, daß ihre Gemeinschaft ohne die Verpflichtung auf eine feste Regel nicht gedeihen könne, und sich im Jahre 1252 gleichfalls vom Konstanzer Bischof die Annahme der Augustin-Regel bestätigen lassen.‘ Nur diese beiden Klöster 87. M. Crusius, Annales Sueviei IH, 2 c. 14 (Bd. II S. 99): Plure sunt ad 1261 annum annotanda, quae erunt monasterialia. Exztiterunt quidam adversarü regularum monasticarum (ut scribit frater Felix) in quibusdam monasterüs, qui nominabantur Fratricelli, Beghardi et Begi- nae. Hi persuadebant multis coenobüs (!), ut sine regula viverent; melius sic deo serviri posse per libertatem spiritus. Sed magnopere hoc genus hominum oderant caeteri, quibus certae disciplinae praescriptio placebat. Proinde quibusdam episcopis videbantur demolienda talia collegia, quibus Üla licentia studio esset. 88. Tunc conventus sanctimonialium Kirchensis coenobii saepe per legatos regulam S. Augustini a Constantiensi episcopo petebat, quo sem- per recusante foeminae impetrarunt eam a legato pontificio Cardinale aurei verilli (zum güldenen Fahn) Petro, qui Constantiensi praesuli prae- cepit papali auctoritate, ut illis Augustinianam regulam daret; hanc igitur acceperunt anno 1247, cum nondum esset coenobium Cellaegratiae et postea 1267 Bononiae ordini praedicatorio incorporatae fuere. Sic Gra- tiaecellenses quoque, quibus antea libertas illa fratricellana placuerat, cum — 396 — erwähnt Crusius in diesem Zusammenhang als Beispiele dafür, daß Frauengemeinschaften erst nach einigem Widerstreben ihre „Freiheit aufgaben und eine Regel annahmen. Als Quelle die- ser Nachrichten nennt er den Ulmer Dominikaner Felix Fabri (f 1502), der als Beichtiger der Dominikanerinnen in Offen- hausen-Gnadenzell im Jahre 1499 eine Geschichte dieses Klo- sters in deutscher Sprache verfaßt hatte.‘° Sie ist aber nicht er- halten, nur lateinische Auszüge daraus hat eben Martin Crusius in seinen Annalen überliefert,’ in denen aber nichts über die erwähnten Vorgänge steht, ebenso wenig wie in anderen er- haltenen Schriften Fabris. Man bleibt also, solange sich Fabris Klostergeschichte nicht wiederfindet, auf die Angaben bei Cru- sius angewiesen, die sich aber auf einen Zeugen berufen, dem das Urkundenmaterial und die Klostertradition von Gnadenzell zur Verfügung gestanden hatte. Sie lassen sich auch in einigen Punkten nachprüfen, einerseits durch Vergleich mit der Über- lieferung und der urkundlichen Bezeugung der beiden Klöster Kirchheim und Gnadenzell, andererseits durch Beachtung ihrer Zusammenhänge mit der religiösen Bewegung im allgemeinen. Über die Anfänge des Klosters Kirchheim unter Teck macht Crusius an anderer Stelle einige Angaben, deren Glaubwürdig- keit allerdings schwer zu bestimmen ist." „Vielleicht habe schon um 986 ein Frauenkloster in Kirchheim bestanden. Be- stimmter sind seine Behauptungen, daß im Jahre 1214 bereits 86 Schwestern in Kirchheim lebten, aber noch keine bestimmte jam widerent ordinem suum negligi, quod nullı regulae astrictus esset, impetrarunt et ipsae ab episcopo Constantiensi regulam s. Augustini anna 1252, in qua ipsas deinde pontifex Alexander IV. confirmavit praedicatori- busque commendatae sunt, non tamen ordini incorporatae; bullam is ipsis dedit cum multis privilegüs hoc 1261 anno. — Diese letzte Angabe ist der einzige ersichtliche Grund, warum Crusius diese ganze Erörterung zum Jahre 1261 anführt. 89. Vgl. M. Häußler, Felix Fabri 8.6; s. auch 8.65 über Fabris Arbeitsweise unter Benutzung des Urkundenmaterials. 90. Ann. Suev. III, 2 e. 8; Bd. II 8.75 ff. 91. Vgl. auch J.U.Pregizerus, Suevia sacra, Tübingen 1717, 8.73 und 78; F. Fabri, De civitate Ulmensi ed. Veesenmeyer S. 167. Die Angaben bei L.Baur, FDA N.F.II S. 36f. und H. Wilms, Verzeichnis S. 40 (und 42) sind ungenügend. — 397 — Regel befolsten. Ein reicher frommer Mann aus Augsburg namens Chelidonius soll sich damals um diese pauperculae Chri- sti sponsae in Kirchheim, die in drückender Armut lebten, sehr verdient gemacht und bei geistlichen und weltlichen Großen um Unterstützung für sie geworben haben, so daß sie sich ein Klo- ster bauen konnten. Dann habe Herzog Konrad von Teck im November 1235 das Kloster in seinen Schutz genommen und ihm ein Privileg ausgestellt; er sowohl wie jener Augsburger Bürger haben ihre Grabstätte im Kloster gefunden.” Ob diese Über- lieferung in allen Teilen glaubhaft ist,’ läßt sich schwer sagen; urkundliche Bestätigung gibt es dafür nicht. Aber sie stimmt in wesentlichen Zügen so auffallend mit der gleichzeitigen Ent- wicklung anderer Frauenklöster in Süddeutschland überein, die ebenso als arme Gemeinschaften ohne festes Kloster, ohne Be- sitz, ohne Regel und ohne Ordenszugehörigkeit begonnen haben und erst durch die Stiftungen reicher und adliger Gönner und den Eintritt reicher Mitglieder in die Lage gesetzt wurden, an den Ausbau eines regelrechten Klosters zu gehen, daß vieles für die Zuverlässigkeit jener Überlieferung spricht. Urkundlich ist diese Gemeinschaft frommer Frauen in Kirchheim erst am 23. Juni 1241 bezeugt. Damals ist ihr ein Gut in Sirnau (nördl. von Eßlingen) vermacht worden,” und ein Teil der Schwestern ist sofort von Kirchheim nach Sirnat 92. M. Crusius, Ann. Suev. IIL 1 c. 11 (Bd. II S.36). Vgl. I, 2. 15 und II, 5 ec. 3. Die Grafen von Teck galten als „Stifter“ von Kirch- heim, s. F. Fabri, Hist. Suev. ed. M. Goldast, Rer. Suev. Script., Ulm 1727, 8. 74. 93. Crusius erzählt an derselben Stelle weiter, eine reiche Adlige sei in Kirchheim eingetreten, die von Herzog Konrad die Erlaubnis erhielt. omnes eo inferre opes suas. Das wird teils bestätigt, teils berichtigt durch eine Urkunde vom 4. März 1249 (Wirtemb. Urk.-B. IV S.190 n.1125), in der Herzog Ludwig von Teck erlaubt, daß Adelheid ei guedam alie mini- steriales nostre ad locum Kyricheim deo sub regulari disciplina ibidem perhenniter militature se suaque contulerunt, dem Kloster auch eigenes Begräbnis und eigene Priester zugesteht. Damals war Kirchheim schon reguliert, s. u. 94. Wirtemb. Urk.-B. TV S.27f. n.978; die Urkunde ist in Eßlingen für die devotae in Christo dominae de Chirchein von Albert von Altbach ausgestellt; unter den Zeugen ist ein Prior frater H. de Basila, zweifellos der Dominikaner Heinrich von Westhofen (s. u. S. 460), und ein procurator frater Dietericus de Colonia. — 38 — übergesiedelt. Schon am 22. Juli 1241 nahm Bischof Heinrich von Konstanz die Priorissa et conventus sororum prius in Chil- heim commorantes, nunc vero in Sirmenowe claustrum con- struere desiderantes in seinen Schutz, erlaubte ihnen ein Kloster zu bauen und darin die Regel Augustins und die Konstitutionen der Schwestern von S. Markus in Straßburg zu befolgen, ihre Priorin frei zu wählen und einen eigenen Priester anzustellen.’ In Sirnau ist also sofort bei seiner Begründung ein regelrechtes Kloster eingerichtet worden in derselben Weise wie in anderen Frauenklöstern, die sich an den Dominikanerorden anlehnten, und vier Jahre später ist dann auch Sirnau durch Vermittlung Innozenz’ IV, dem Dominikanerorden unterstellt worden.’ Die Gemeinschaft in Kirchheim, von der die Nonnen in Sirnau ab- gezweigt waren, bestand aber währenddessen weiter, ohne die Augustin-Regel anzunehmen und ohne sich wie so viele andere Frauenklöster 1245/46 dem Dominikanerorden unterstellen zu lassen. Urkunden über die Schwestern in Kirchheim sind aus dieser Zeit nicht vorhanden. Daß dann der Kardinallegat Petrus 1247 beim Konstanzer Bischof für Kirchheim die Erlaubnis er- wirkte, die Augustin-Regel anzunehmen,” ist aber um so wahr- scheinlicher, als sie kurz darauf auch bei Innozenz IV. die Auf- nahme in den Dominikanerorden erwirkten und damals schon die Regel Augustins befolsten.” Warum aber, wie Crusius be- 95. Wirtemb. Urk.-P. IV S. 33 n. 983. 9%. Am 14. Juli 1245, ib. S. 104ff. n. 1047/48; vgl. auch III 8.109 ff. n. 1052; IV S. 137 n. 1075 und S. 168 n. 1105; vgl. o. S. 251. 97. M. Crusius nennt ihn Peirus Cardinalis aurei vezxilli und fügt die deutschen Worte zu: „zum güldenen Fahn“; so stand offenbar in sei- rer Quelle, der deutschen Klostergeschichte Felix Fabris; Crusius hat nicht ganz richtig rückübersetzt, es ist der Kardinal-Diakon $. Georgi ad Velum Aureum. Über seine Legation 1247/48 s. Böhmer-Ficker- Winckelmann, Reg. Imp. V, 2 S. 1549 ff. 98. Wirtemb. Urk.-B. VI S. 470 n. 30f., Berger, Reg. d’Innocent IV. Bd. II 8.42 n. 4834/36 die „Kommissions“-Bulle für Kirchheim vom 27. Januar 1249. Crusius macht über die Inkorporation des Klosters widersprechende Angaben; III, 1 c. 11 (Bd. II S. 36) sagt er, die Schwe- stern haben 1247 einen praedicator (= Dominikaner) nach Koblenz zu dem Legaten geschickt (der Kardinal war in der Tat im August 1247 in Koblenz) und von diesem die Dominikanerregel erhalten (also wahrschein- lich die Erlaubnis, neben der Augustin-Regel die Konstitutionen von S. — 399 — richtet, der Bischof von Konstanz den Schwestern in Kirchheim vorher mehrfach ihre Bitte, die Regel Augustins annehmen zu dürfen, abgeschlagen hat, ist aus den Urkunden nicht zu er- sehen. Trifft es zu, daß die Gemeinschaft, ehe sie sich zur An- nahme dieser Regel entschloß, eine Zeit lang der Regelung widerstrebt hat, so kann das jedenfalls nur vor 1247 geschehen sein. Es ist wohl denkbar, daß 1241 ein Teil der Schwestern Kirchheim verließ und nach Sirnau übersiedelte und dort ein reguliertes Kloster errichtete, weil in der Gemeinschaft Mei- nungsverschiedenheiten über Annahme oder Ablehnung einer Regel vorhanden waren; daß die in Kirchheim zurückbleiben- den Schwestern noch einige Zeit ohne Regel „in der Freiheit des Geistes‘ lebten; daß ihnen dann der Bischof von Konstanz nicht ohne weiteres zugestehen wollte, was sie erst verweisert hatten, und daß der Kardinal diesen Zwist beilegen mußte. Auf diese Weise läßt sich der Bericht bei Crusius mit dem urkundlichen Befund vereinigen, ohne daß freilich volle Klarheit über die Er- eignisse zu gewinnen ist. Die Anfänge des Klosters Gnadenzell, in dem der Gedanke der ungeregelten Freiheit gleichfalls eine Zeit lang geherrscht haben soll, sind noch mehr im Dunkel sehüllt. Erst 1258 ist die Gemeinschaft urkundlich bezeugt, als ihr durch ein Vermächt- nis des Grafen Heinrich von Lupfen von dessen fünf Söhnen ein Besitz in Offenhausen (bei Münsingen, reichlich 25 km südlich von Kirchheim) vermacht wurde unter der Bedingung, daß die Schwestern für immer dorthin übersiedelten.” Welche Regel die Schwestern damals befolgten, ist aus der Schenkungs- urkunde nicht zu ersehen; es ist nicht einmal zu ermitteln, an Markus oder S. Sisto zu befolgen), und das Kloster sei von Innozenz IV., Alexander IV. und Clemens IV. dem Dominikanerorden kommendiert wor- den; das ist richtig, wie die erwähnte Bulle zeigt. III, 2 c. 14 (Bd. II S. 99, vgl. o. S. 395) sagt er dagegen, Kirchheim sei erst 1267 auf dem Generalkapitel in Bologna inkorporiert worden (ebenso Chr. Besold. Virginum sacrarum monumenta S. 548), aber das ist mit den anderen Tat- sachen nicht vereinbar. 99. Wirtemb. Urk.-B. V 8.231 f. n. 1466, dat. Rottweil 1258; unter den Zeugen sind keine Dominikaner. Vgl. die Bestätigung der Schenkung vom 4. August 1262, ebd. VI S. 75 n.1673; s. Neugart, Episc. Constant. I, 2 S.271; L. Baur, FDA N.F. II S. 581. 400 - — welchem Ort die Gemeinschaft vorher wohnte,” und die Klostertradition ist für unsere Fragen ganz unergiebig, denn sie berichtet nur über die „Stifter, die den Klosterbau ermöglich- ten, aber nichts über die Vorgeschichte der Frauengemeinschaft selbst.‘ Nichts bestätigt also, nichts widerlegt aber auch die Angabe bei Crusius, der sich auf Fabri beruft, daß in der Ge- meinschaft in Gnadenzell der regelfeindliche „Geist der Frei- heit‘ geherrscht habe, ‘ehe sie 1252 durch den Bischof Eberhard von Konstanz auf die Regel Augustins verpflichtet wurde.’ Die Wahrscheinlichkeit dieser Vorgänge verstärkt sich aber, wenn man sie im Zusammenhang mit der religiösen Bewegung im allgemeinen betrachtet. Wir haben gesehen, daß umher- ziehende religiöse Asitatoren, wie sie in den schwäbischen Nonnenklöstern aufgetreten sein sollen, damals in der Tat über- all Unruhe in die kirchliche Ordnung bringen und Besorgnisse für die Erhaltung der Rechtgläubiskeit erwecken,!® und einige 100. In der Urkunde steht: magistre et conventus in Kenhusen (oder: Kerenhusen; oder: Renhusen); das ist entweder Kernhausen bei Spaichin- gen (nördl. von Tuttlingen) oder Rennehausen (jetzt Hausen ob Rottweil), vgl. Wirtemb. Urk.-B. V S.232 und G. Bossert, Württemb. Vierteljahrs- hefte f. Landesgesch. N.F. II, 1893/4, S. 111. 101. Angeblich hatten die Grafen von Lupfen, Zollern, Gundelfing und Neuffen dem Kaiser Friedrich II. bei seinem Zug nach Italien 1237 die Gefolgschaft verweigert und waren deshalb von einem Fürstengericht ir Rottweil verurteilt worden, zur Buße ein Kloster für 72 Frauen zu bauen und auszustatten. Ein Kanoniker soll den pagus Offenhusus als Baustätte vorgeschlagen haben sowie die Annahme der Augustin-Regel und die In- korporation in den Dominikanerorden. Die Dominikaner von Konstanz, Rottweil und Eßlingen sollen bei dem 1250 begonnenen Bau mitgeholfen haben; s. Crusius, Annal. Suev. III, 2 c. 8 Bd. II S.77 nach der Kloster- geschichte Fabris. Neugart, Episc. Constant. I, 2 S.271 erklärt diese ganze Gründungsgeschichte für eine Fabel. 102. Aber auch diese Verpflichtung auf die Augustin-Regel i. J. 1252 ist nur durch Crusius bezeugt, dessen Notiz über Vochezer, Gesch. des Hauses Waldburg I S.179 in die Konstanzer Regesten von Ladewig- Müller1IS. 205 n. 1791 übergegangen ist, ohne durch andere Zeugnisse Bestätigung zu finden. 103. Ob die ihnen beigelegsten Namen (gui nominabantur Fratricelli. Beghardi et Beguinae) ursprünglich sind oder erst später auf sie ange- wandt wurden, läßt sich nicht entscheiden. Daß es sich nicht um Zu- sammenhänge mit italienischen Fraticellen handeln kann, ist schon des- Zen TER Zeit später, in dem Gutachten des Bischofs von Olmütz für das Lyoner Konzil, wird religiösen Schwärmern dieser Art sogar genau dieselbe Anschauung vorgeworfen, mit der die Wider- sacher jeder Regulierung in den süddeutschen Frauengemein- schaften argumentiert haben sollen: man könne Gott besser in der „Freiheit‘' dienen, ohne zum Gehorsam einer Regel und zur Zucht eines Ordens verbunden zu sein.‘ In derselben Zeit, in der solche Irrungen in den schwäbischen Gemeinschaften ge- herrscht haben sollen, warnt David von Augsburg — bei aller Anerkennung der verinnerlichten Frömmigkeit in der religiösen Bewegung, die so oft zu Unrecht verachtet, verspottet oder ver- ketzert werde — die religiösen Kreise vor den deceptores et decepti, qui spiritum suum vel alienum pro spiritu dei sequun- tur et seducuntur;'” und sehr ähnlich hat bald danach sein Ordensgenosse Lamprecht von Regensburg in dem allegorisch- erbaulichen Gedicht „Tochter Syon‘' zwar mit Staunen und Ver- wunderung von der neuen religiösen „Kunst“ unter den Frauen in Brabant und in Baiern erzählt, die in Verzückungen und Be- gnadungen den inneren Sinn zur Schau der göttlichen Weisheit erhebe;'” aber auch er warnt zugleich vor dem Überschwang halb sicher, weil von diesen gerade die „Regel“ als streng verbindlich und unabänderlich verfochten wurde. 104. S. o. S. 336 Anm. 33. 105. De ext. et int. hominis compositione TI, 24 S. 110; wahrscheinlich geschrieben 1240/5 (s. Stöckerl, David von Augsburg S. 196): De spiri- tualibus autem delicis et gustu internae dulcedinis, quae sine compara- tione omnes mundi delicias superant sicut mel fimum, vir est jam mentio vel efficar desiderium aut studium, etiam inter ilos, qui sibi alti videntur in religione, immo despicitur, deridetur et quasi stultitia et abominatio jam habetur; et ab alis religiosis persecutionem huiusmodi patiuntur et darmoniaci reputantur et haeretici dicuntur.. Non tamen laudo vel ap- probo deceptores et deceptos, qui spiritum suum vel alienum pro spiritu dei sequuntur et seducuntur, sed probandi sunt spiritus et sie judicandi. 106. Tochter Syon ed. K. Weinhold 1880. Die Zeit der Abfassung er- gibt sich daraus, daß der (sonst nicht bezeugte) bruder Gerhart, der min- nern brüder... provincialis minister in diutschen landen oben, der die Dichtung anregte und bei ihrer Ausführung half, in der Reihe der Minister der oberdeutschen Franziskaner-Provinz nur in den Jahren 1246—52 Platz hat; s. K. Eubel, Gesch. d. oberdeutschen Minoriten-Provinz S.158f. und 24. — S. 430f.: Swie tump ich doch anders si | mir ist jedoch diu wisheit hi | daz ich wol weiz Jesum Christ | daz er diu obrist wisheit ist | diu u a und der Maßlosigkeit dieser Frauenfrömmigkeit, vor ihrer Sucht nach Ekstasen und Visionen, die Übertreibung jeder kleinen „Gnade“ zu tobender Verzückung.'” In der Tat lagen hier die Gefahrenquellen für die religiöse Frauenbewegung: dem eige- nen Geist und anderen Geistern zu glauben, als sei es Gottes Geist, und die religiösen Erlebnisse ins Maßlose zu übersteigern — diesen Versuchungen ist die religiöse Frauenbewegung er- legen, wo sie nicht durch strenge Ordenszucht und Regel in sichere Bahnen geleitet wurde, und daraus ist jener „Geist der Freiheit‘ erwachsen, der sich in den Verwirrungen süddeutscher Frauengemeinschaften zum ersten Male bemerkbar machte, der dann ungehemmt ausbrach in der Ketzerei im Schwäbischen Ries und am Ende des Jahrhunderts die ganze religiöse Bewegung durchsetzt und gefährdet hat. 4, Die Ketzerei im Schwäbischen Ries, 1270/73. In einem Gutachten, das uns erhalten ist,'® hat Albert d. Gr. nahezu hundert Aussagen von Ketzern aus dem Schwäbi- schen Ries im Augsburger Bistum zusammengestellt und auf ihren häretischen Charakter hin beurteilt, ohne dabei über die Umstände und die Zeit dieser Ketzerei, ihrer Entdeckung und Verurteilung nähere Angaben zu machen. Der Dominikaner daz herze durhgrebet | und den inren sin erhebet | in die kunst, die nieman | mit rede zende bringen kan. | vür den sin sie so hohe get | daz man sie michels baz verstet | dan man iu davon kunne sagen. | diu kunst ist bi unsern tagen | in Brabant und in Baierlanden | undern wiben ufge- standen. | herre got, waz kunst ist daz | daz sich ein alt wip baz | verstet dan witzige man? etc. 107. S. 436f. v. 2979 ff. und S. 481f. v. 2853 ff. 108. Handschrift I, 331 der Stadt-Bibl. Mainz; geschrieben Ende 13. oder Anfang 14. Jahrhundert, mit der Überschrift (fol. 62a): Hec est deter- minatio magistri Alberti gquondam Ratisponensis episcopi ordinis fratrum predicatorum super articulis invente heresis in Recia dyocesis Augusten- sis; s. H. Haupt, ZKG VII S. 556, der auch die Verbesserungen zum Ab- druck des Gutachtens bei W. Preger, Mystik I S. 461ff. gibt. Die 88. These dieser Determinatio heißt: in Recia est veritas. Der Begriff Raetia umfaßt aber damals noch mehr als das heutige Schwäbische Ries; in den Marbacher Annalen wird z.B. Augsburg als eine Stadt Rätiens bezeichnet. MGSer. XVII S. 162. — 403 — Johannes Nider teilt in seinem um 1435 geschriebenen Formicarius mit, er habe dieses Gutachten in einem eigenhändig geschriebenen „Handbuch“ Alberts selbst gelesen.'” Leider hat sich dieses „Handbuch“ noch nicht wieder auifinden lassen. Dasselbe Gutachten steht, ohne Angabe seines Verfassers, mit der Überschrift: Compilatio de novo spiritu in einem polemi- schen Sammelwerk gegen Juden und Ketzer, das früher irrtüm- lich als Werk des Dominikaners RainerSacchoni (f 1259) galt und neuerdings als „Passauer Anonymus’ bezeichnet wird.''” Dieses Sammelwerk enthält außerdem eine Liste von 29 häretischen Sätzen, die mit den von Albert d. Gr. begutach- teten Ketzerlehren in allen wesentlichen Punkten übereinstim- men, in den Handschriften als Lehren der Sekte de novo spiritu oder ähnlich, einmal aber ausdrücklich als heresis noviter in- venta apud Nordlingen bezeichnet werden, die man also zweifel- los auf dieselbe Ketzerei im Schwäbischen Ries beziehen muß.''' 109. Formicarius I 3, ed. Colvener S. 214: Repperi in libro manuali, quem pro sua persona per totum dominus Albertus manu (con)scripsit propria,.. unde puncta supradicta ac articulos plures quam hic notaverim manu propria prefatus conscripsit dominus. — Die Mainzer Handschrift ist wahrscheinlich unmittelbar aus diesem Handbuch abgeschrieben; s. Haupt ZKG VII S. 375£. und 505f. — van Mierlo scheint weder von der Mainzer Hs. noch von der Notiz Niders etwas zu wissen, sonst könnte er nicht über die 97 Thesen der Determinatio sagen: „Niets bewijst dat die zouden opgesteld zijn door Albert den Groote‘ (Het Begardisme; Verslagen en Mededeel. 1930 S. 296). 110. Seit W. Pregers Forschungen über dieses Werk (Mystik I S. 168 ff.; Abhandl. d. bayer. Akad. XIII S. 179 ff. und XVIII S.27 ff.) hielt man einen Geistlichen aus dem österreichischen Gebiet der Passauer Diö- zese für seinen Verfasser — die Gründe dafür sind aber nicht stichhaltig, s. u. S. 405. Es ist teilweise gedruckt unter den Werken des. Jesuiten Gretser, Opera XII, 1738, und in der Bibliotheca maxima vet. Patr., Lyon 1677, XXV S.262ff. Die Summa de Catharis et Leonistis des Rainer Sacchoni ist nur ein Teil des Sammelwerks, wie Gieseler 1834 in der „Commentatio critica de Raineri Sacchoni Summa“ feststellte. Vgl. auch K. Müller, Waldenser S. 147 ff. 111. Diese Artikel sind mehrfach in verschiedener Fassung gedruck:i: W. Preger, Mystik I S. 469; Döllinger, Beiträge II S. 401 (beide nach einer Münchner Hs. des 14. Jh., Clm 311); Döllinger S. 393 und Wattenbach, Sitz.-Ber. Berlin 1887 S.522 nach der Hs. Clm 4386, welche die XXIX articulos de heresi novi spiritus im Zusammenhang mit anderen —.,.xA04E == Das Sammelwerk des „Passauer Anonymus“ ist um das Jahr 1260 angelegt oder wenigstens angefangen worden. Da es nun die Compilatio de novo spiritu, d. h. das Gutachten Alberts d. Gr., und die 29 Artikel der Ketzerei de novo spiritu enthält, so hat man allgemein gefolgert, die Ketzerei im Schwäbischen Ries müsse vor 1260 aufgedeckt und von Albert d. Gr. begut- achtet worden sein. Aber diese Annahme ist falsch. Die Zu- sammenhänge zwischen dieser Ketzerei und den religiösen Be- wegungen des 13. Jahrhunderts lassen sich erst dann klar- stellen, wenn dieser irrige Zeitansatz berichtigt ist. Deshalb müssen hier zunächst einige Feststellungen über das Werk des sogenannten Passauer Anonymus folgen. Der Verfasser dieser Collatio — wie er sein Werk selbst nennt — hat Material gegen Juden und Ketzer zusammengestellt, weil nach seiner Erfahrung eine solche Materialsammlung bessere Dienste im Kampf für den rechten Glauben leisten kann als alles geistreiche Disputieren (8. die Vorrede bei K. Müller, Waldenser S. 147). Die drei ersten Teile des Werkes füllt die Polemik gegen die Juden; dann ist eine Schrift über den Antichrist eingeschaltet; und darauf erst folgt der Teil über die Ketzer. In der Polemik gegen die Juden wird zweimal betont, die christliche Lehre bestehe schon 1260 Jahre; daraus darf man schließen, daß die Schrift oder wenigstens dieser Teil um 1260 geschrieben ist (s. Preger, Abhandl. XVIII S. 19ff. gegen Müller, Waldenser S. 154f.). Es ist auch sicher, daß der Verfasser der Kapitel, die diese Zeitangabe enthalten, nicht nur den ganzen gegen die Juden, sondern ebenso den gegen die Ketzer gerichteten Teil des Werkes zusammen- gearbeitet hat (Preger S. 21ff.). Aber das Werk ist mehrfach überarbeitet und ergänzt worden. Von dem vollständigen Werk sind drei Handschriften in der Münchner Staats-Bibliothek bekannt (zahlreiche andere Handschriften enthalten nur den häresiologischen Teil, s. K. Müller, Waldenser S. 152). Die häresiologischen Texten, nicht mit dem „Passauer Anonymus“ enthält; Döllinger 8.391 ff. nach Clm 14959; Ch. Schmidt, Z. f. hist. Theol. XXII 8.247ff. nach der Straßburger Hs. B 147 vom Jahre 1404; auch in diesen beiden Hss. stehen die novae haereses de novo spiritu nicht in dem Sammelwerk des Pass. Anon., sondern als Anhang zu einem Straßburger Ketzerverhör vom Jahre 1317. Vgl. ferner H. Haupt, ZKG XXII S. 187 ff. über die Wiener Hs. 3271 (15. Jh.) des Pass. Anor., in der die Ar- tikel überschrieben sind: Hec heresis noviter inventa apud mordlingen — das soll ohne Zweifel Nördlingen heißen, denn Mordlingen gibt es nicht, Nördlingen aber liegt im Schwäbischen Ries. = A älteste davon (Clm 2714 vom Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahr hunderts) weicht von den beiden anderen (Clm 311, 14. Jh. und Cim 9558, geschrieben 1399) wesentlich ab, hat vieles kürzer, alles in anderer Ordnung und manche Stücke gar nicht. Schon Preger (Abh. XVlll S.24) hat in ihr die „erste Anlage dieses Werkes“ erkannt, während in den anderen Handschriften „manches weiter ausgeführt, manches ergänzt, manches umgeordnet“ sei. Die beiden Stellen, die die Datie- rung auf 1260 begründen, stehen schon in dieser ersten Anlage und sind in den späteren Fassungen unverändert beibehalten. Dagegen stehen folgende Stücke nicht in dieser ersten Anlage von 1260: 1. eine Liste von Ketzerorten in der Passauer Diözese, die aus den Aufzeichnungen der Inquisition in Krems vom Jahre 1266 (oder 1315/16? s. Müller, Waldenser S. 154) stammt und um derentwillen Preger die ganze Kompilation als Werk eines Passauer Anonymus bezeichnete, um derentwillen er aber auch zugeben mußte, daß nach 1266 Zusätze zu der Kompilation gemacht wurden oder so lange daran gearbeitet wurde (Abh. XVIIL S. 27£f.;, s. a Haupt, Waldensertum und Inquisition S.15); 2. eine Reihe von Auszügen aus dem Evangelium aeternum, d. h. aus den Schriften des Abtes Joachim von Fiore und der „Einleitung“ dazu von Gerardo di Borgo S. Donnino, die 1255 ver- urteilt worden waren (s. Denifle ALKG I S.70ff.); 3. das als Com- piüatio de novo spiritu bezeichnete Gutachten Alberts d. Gr. über die Ketzerei im Schwäbischen Ries, und 4. die 29 Artikel über die Ketzerei de novo spiritu. Daß diese Stücke Ergänzungen sind, die in der ersten Anlage der Kompilation von 1260 nicht vorgesehen, dem Verfasser also damals noch nicht bekannt waren, zeigt schon die Disposition des ganzen Werkes. Im 1. Kapitel des häresiologischen Teils, das über die Wal- denser handelt, behauptet der Verfasser, in seiner Zeit seien alle ande- ren Sekten vernichtet außer den Manichäern und Patarenern in der Lombardei und den ÖOrtliebern, Runkariern und Leonisten (— Walden- sern) in Deutschland; demgemäß spricht der häresiologische Teil zu- erst über die Waldenser, dann de secunda secta Runcariorum, behan- delt dann als Zertia secta die Ortlieber, als quarta secta die Katharer und Patarener und als gwinta secta die Manichäer. In dieser Disposi- tion ist kein Platz vorgesehen für die Behandlung des Evangelium aeternum und der Ketzerei de novo spiritu, denn beides hat mit keiner der 5 „Sekten“ irgend etwas zu tun; der Verfasser wußte also 1260 noch nichts über diese Ketzereien. — In den späteren Überarbeitungen der Kompilation wurden diese Abschnitte alle vor das Kapitel über die Runkarier eingeschoben; die frühere Zählung der Sekten wurde aber unverändert beibehalten; die Disposition ist also durch die Zu- sätze gestört. In einer Abschrift des häresiologischen Teils der „ersten Fassung“ (Wien Cod. 3271, 15. Jh., fol. 68v) sind die 29 Artikel der Ketzerei bei I Nördlingen am Schluß angehängt (während das Gutachten Alberts ebenso wie die Sätze aus dem Zvangelium aeternum hier noch fehlen); sie sind also als Zusatz kenntlich (ebenso wohl in der deutschen Über- setzung in der Wiener Hs. 2846). In manchen Abschriften der „späteren Fassung‘‘ dieses Teiis fehlen dagegen diese 29 Artikel überhaupt, dagegen ist das Gutachten Alberts am Schluß angehängt (Wien Cod. 812, 517, 1664). Erst in späteren, nicht vor dem 14, Jahrhundert nachweis- baren Überarbeitungen des Sammelwerks des „Passauer Anony- mus finden sich also die Zeugnisse für die Ketzerei im Schwä- bischen Ries: das Gutachten Alberts des Großen und die 29 Sätze der Ketzerei de novo spiritu bei Nördlingen. Es ist in- folgedessen aus der Aufnahme dieser Stücke in das häresiologi- sche Sammelwerk kein gültiger Schluß auf den Zeitpunkt der Ketzerei zu ziehen. Sicher ist nur, daß sie vor dem Tode Al- berts d. Gr. entdeckt worden sein muß, der ein Gutachten dar- über verfaßt hat.''? 112. Die Überschrift in der Mainzer Hs. (s. o. S. 402): Determinatio mg. Alberti gquondam Ratisponensis episcopi spricht — falls sie nicht von einem Schreiber später hinzugefügt ist — gleichfalls. für die Abfassung nach 1262; denn 1260/62 war Albert Bischof von Regensburg; seitdem unterzeichnete und siegelte er als fr. A. episcopus gquondam Ratispon., s. Analecta Bollandiana XX S. 297ff. und das Siegel im Urk.-B. Basel I S.313 n.426. — Der Versuch von F.Pelster, Z.f. kath. Theol. XLV, 1%1, S. 624, die Inquisition im Ries und Alberts Gutachten darüber auf Juni 1257 zu datieren, ist nicht beweiskräftig; erstens rechnet Pelster, von der irreführenden Datierung des „Passauer Anonymus“ ausgehend, nich: mit der Möglichkeit einer Datierung nach 1260; zweitens arbeitet er mit der falschen Annahme, Albert sei der Verfasser und sein Gutachten sei ein Anhang des Traktats de inquisitione haereticorum, den W. Preger mit überzeugenden Beweisen dem David von Augsburg zugeschrieben hat (s. gegen Pelsters Hypothese M. Bihl, AFH XVII S.143ff.). Pel- sters Behauptungen stützen sich darauf, daß ein Regensburger Domini- kaner in der Mitte des 14. Jahrhunderts schreibt, die Unwahrheit und der Widersinn der manichäischen Ketzerlehre patet intuenti vel legenti librum domni Alberti Magni de inquisitione hereticorum, quam fecit in pluribus locis Suevie (Clm 26897. 42v). Das bezieht sich wahrscheinlich auf die Determinatio, in der 13mal die haeresis Manichaei erwähnt wird. Ob man aber daraus entnehmen darf, Albert habe in mehreren Orten Schwabens eine Inquisition selbst durchgeführt, ist fraglich; der Dominikaner des 14. Jh. wußte darüber wahrscheinlich nicht mehr als wir, d. h. er kannte — 407. — Nun berichten die Annalen des Kolmarer Dominikaners, denen wir schon manche wichtige Aufschlüsse über die religiöse Bewegung in Süddeutschland verdanken, im Jahre 1270 seien zwei viri religiosi in rufis cappis namens Arnold und Tietmar nach Schwaben gekommen und hätten dort Irrlehren gegen den katholischen Glauben verbreitet; und zum Jahre 1273 er- zählt der Annalist, damals sei ein Streit zwischen Dominikanern und Franziskanern beigelegt worden, der durch die Ketzerei im Schwäbischen Ries in der Nähe von Augsburg veranlaßt wor- den war.'"® Weder über diese beiden Männer und ihre in Schwaben verbreiteten Irrlehren noch über die Ketzerei im Schwäbischen Ries und die durch sie veranlaßten Auseinandersetzungen zwi- schen den beiden Bettelorden findet man bei anderen Chroni- sten dieser Zeit weiteren Aufschluß. Die beiden Angaben der Kolmarer Annalen stehen aber wahrscheinlich in einem engen Zusammenhang miteinander: die von den beiden viri religiosi in Schwaben verbreiteten Irrlehren führten offenbar zu der Ketzerei im Ries bei Augsburg, die dann Anlaß gab zu einem Streit zwischen Dominikanern und Franziskanern. Und aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich dabei um dieselbe Ketzerei, die Albert d. Gr. in seinem Gutachten beurteilt hat und deren Lehren auch in den 29 Artikeln der bei Nördlingen entdeckten Ketzerei „vom neuen Geiste" aufgezeichnet sind. Albert d. Gr., der seit 1270/1 als Lektor in Köln lebte, war damals allerdings — soviel wir wissen''* — nicht in Süddeutsch- land, kann also an einer Untersuchung gegen die Ketzerei im Schwäbischen Ries in den Jahren 1270/73 wahrscheinlich nicht persönlich beteilist gewesen sein. Aber die Determinatio ist ja offensichtlich nicht ein Protokoll von Ketzeraussagen oder die Determinatio und interpretierte in seiner Bemerkung nur etwas un- genau deren Überschrift. 113. 1270: Viri duo religiosi, Arnaldus et Tietmarus, in rufis cappis venerunt in Sueviam et quedam contra fidem catholicam disserebant; 1273: Sopita est controversia inter predicatores et minores propter heresim, que erta fuit in Rhetia prope Augustam, MGSer. XVII S.194 und 195; in der Ausgabe von G&rard-Liblin, Colmar 1854, S.36 und 38. 114. Vgl. H. Chr. Scheeben, Albert d. Gr.; QF XXVI S. 112ff, — 408 — eine Aufzeichnung über eigene inquisitorische Tätigkeit ihres Verfassers, sondern ein Gutachten, in dem Albert d. Gr., sozu- sagen rein akademisch, sein Urteil über den häretischen Charak- ter einer Reihe ihm vorgelegter Ketzeraussagen abgibt. Viel- leicht darf man in den durch die Ketzerei im Schwäbischen Ries veranlaßten Meinungsverschiedenheiten zwischen Dominikanern und Franziskanern den Grund dafür suchen, daß Albert als der bedeutendste Theologe seines Ordens in Deutschland in diesem Fall als Gutachter herangezogen wurde. Sein Freund und Schüler Ulrich Engelberti, der seit 1272 deutscher Provinzial- minister der Dominikaner war, hat sich ja öfters in Ordens- angelegenheiten von ihm beraten lassen."® Für die Kennzeichnung der beiden Männer, die in Schwa- ben Irrlehren verbreiteten, Konventikel bildeten und im Gehei- men lehrten, wie es der erste Satz von Alberts Gutachten sagt,''* sind wir — da man in anderen Geschichtsquellen ver- geblich nach ihren Namen sucht — nur auf die kurze Bemer- kung des Kolmarer Chronisten angewiesen, der aber ein über- aus zuverlässiger Berichterstatter ist. Er nennt sie viri religiosi, hält sie also für eine Art von Mönchen. Er fügt aber hinzu, sie seien in roten Gewändern, in rufis cappis aufgetreten. Zu einem approbierten Orden gehörten sie demnach nicht, denn keiner trägt rote Ordenstracht. Wohl aber spielt die rote Mönchskutte eine seltsame Rolle in den religiösen Vorstellungen jener Zeit, von den einen als ordnungswidrig geschmäht, von anderen als Tracht eines Zukunftsordens geschildert, von den regulären Orden verboten, aber von manchen unsteten Elementen der religiösen Bewegung getragen.''"" Schon diese Tracht läßt also 115. Vgl. H. Finke, Dominikanerbriefe 8.80, 82, 84; H. Chr. Schee- ben, Albert d. Gr. S. 98ff. 116. Der erste Satz in Alberts Determinatio, bezeichnend für den Cha- rakter des Ganzen als eines theologischen Gutachtens, lautet: Conventi- cula facere et in secreto docere, contra fidem non est, sed contra modum evangelicum, ubi dicitur: ego semper palam docui (in synagoga et in lemplo et) ubi omnes Judei conveniunt, et in abscondito locutus sum nihil, ‚Joh. 18, 20; Matth. 10, 27: quod in aure auditis, predicabitur etc. 117. Das Laterankonzil 1215 $ 16 De indumentis clericorcum (Mansi XXII 8.1006) bestimmt über die Kleidung des Klerus: Pannis rubeis aut viridibus.. non utantur. Auf dem Generalkapitel der Dominikaner in = AM. vermuten, daß die beiden in Schwaben wirkenden Religiosen zu jenen Kreisen herumziehender Frommer gehörten, die auf keine Regel verpflichtet waren und zu keinem Orden gehörten, deren eigenmächtiges Wirken als Prediger und deren gegen die kirch- lichen Ordnungen verstoßendes Auftreten als irreguläre Mönche die Zeit beunruhigte. Aus denselben Jahren, in denen sie sich in Schwaben betätisten, stammen ja die Gutachten zum Lyoner Konzil, in denen die Befürchtung laut wird, solche Elemente könnten die Ordnung und die Rechtgläubigkeit in der Kirche gefährden. In den unklaren Beziehungen dieser herumziehen- den, anderwärts oft als Begarden oder als Trutanni bezeichne- ten viri religiosi zu den Bettelorden darf man ehesten eine Er- klärung dafür suchen, daß wegen der Ketzerei im Schwäbischen Ries zwischen Dominikanern und Franziskanern ein Zwist aus- brechen konnte. Die Angaben der Quellen sind zwar zu unbe- stimmt und unvollständig, um die Zusammenhänge im Einzelnen festzustellen, aber sie fügen sich in das allgemeine Bild der Zeitverhältnisse aufs beste ein. In welchen Kreisen diese nach Schwaben kommenden Pre- diger wirkten und Anhänger fanden, darüber sagt der Kolmarer Chronist nichts; es ist nur aus dem Gutachten Alberts und den übrigen Ketzeraussagen selbst zu erschließen, Die Eigenart der Landschaft, in der die Ketzerei auftrat, und des Menschen- schlags, der in ihr lebt, darf man nur mit größter Vorsicht zur Erklärung dieser religiösen Erscheinungen heranziehen. Denn das Schwäbische Ries liegt zwar heute abseits von allem moder- nen Verkehr, ein inselhaft in sich abgeschlossenes Gebiet, dessen Florenz 1257 wurde bestimmt, die Tracht der Konversen soll similis coloris capis clericorum sein, MOPH III S.84; dazu bemerkt Reichert (mit Verweis auf Humbertus de Romanis, Opera de vita regulari ed. J.J.Berthier II S.5), die Tracht der Kleriker des Ordens sei damals noch nicht einheitlich gewesen, sed alius cappa nigra indui consueverat, alius rufa, alius grisea. — Wilhelm von S. Amour sagt in einer Pre- digt (Opera S. 501): Cum aliquis clericus cum cappa rubea et foraminata vel cappa manicata inciperet vobis predicare aliqua nova, non de facili crederetur; sed si haberet cappam clausam sicut presbyter, magis credere- tur sibi. — Auch die Mönche des „letzten Ordens“ in der Endzeit-Vision der Mechthild von Magdeburg (IV 27, ed. Morel S. 121) tragen ein rotes Oberkleid. — 40° — Bewohner — dem „Strom der Zeit‘ enthoben — Sitten und Trachten früherer Zeiten bewahrt haben, und ihre Gemütsart scheint von der herben Landschaft geprägt. Wer das Ries und seine Menschen heute kennt, ist versucht, diese „Welt für sich” als einen besonders günstigen Boden für die mystische Schwär- merei religiöser Sonderlinge anzusprechen." Im Mittelalter aber hatte das Schwäbische Ries ein ganz anderes Gesicht, Es war ‘ein Knotenpunkt wichtigster Verkehrsstraßen. Die alte Brennerstraße, die von Italien her über Augsburg, Donauwörth und Nördlingen nach Dinkelsbühl, Rothenburg, Würzburg und weiter an den Niederrhein und nach Norddeutschland führte — die Straße, auf der auch die ersten Franziskaner 1221 durch Deutschland zogen — kreuzte hier im Ries die andere alte Römerstraße von gleicher Bedeutung, die von Frankreich her durch die Pfalz und Schwaben kommend, jenseits des Ries bei Ingolstadt über die Donau führte und durch Bayern weiter nach dem Osten lief — die Straße, auf der nach der Sage die Bur- gunder ins Hunnenreich, Walther und Hildegunde auf ihrer Flucht vor den Hunnen zum Rhein zogen.!"* Beide Straßen gingen mitten durch das Ries, das also damals nichts weniger als abgeschlossen von der Welt und schwer zugänglich war, 118. H.O.Bürger, Schwabentum in der Geistesgesch., 1933, S.49 meint anläßlich der Rieser Ketzerei, der „ganz ausnahmsweise Reichtum religiö- sen Lebens“ im Ries lasse sich durch eine „blutsmäßige Einwirkung vor- germanischer Bewohner“ („keltoromanischer und mit ihnen vielleicht auch ostisch-alpiner Bevölkerungsreste“) erklären. — A.Hauck, Kirchengesch. IV S.309 spricht poetisch von den Anhängern der „kühnen Mystik des namenlosen Rieser Meisters“ „in den jungen Städtlein und alten Dörfern jener eigenartigen Landschaft“, nennt den Mann, dem nach seiner Meinung alle in Alberts Gutachten enthaltenen Aussagen zukommen, einen „nach- denklichen Schwaben“. Im. Anschluß an die Darstellung der Ketzerei im Ries behauptet er allgemein (S. 910), die Ketzerei im 13. Jahrhundert „be- wegte nur die Laienwelt‘“, nur ganz vereinzelt sei die Beteiligung eines Priesters oder Gelehrten bekannt; daraus erkläre sich die dogmatische Unklarheit der häretischen Lehren, ihr Mangel an festen Formeln und kon- sequenter Durchbildung. Das alles ist ungenau und übersieht. die ganze religiöse Zwischenschicht zwischen „Priestern“ und „Laien“; übrigens waren alle verurteilten Amalrikaner Kleriker! 118a. Vgl. K. Weller, Die Nibelungenstraße, in: Z. f. deutsches Alter- tum 70, 1933, S. 49 ff.; ders., Die Hauptverkehrsstraße zwischen dem westi. und südl. Europa, in: Württembergische Vergangenheit, Festschrift 1932. — 41 — sondern dem Durchzug von Menschen und Gedanken aus allen Weltgegenden offen stand. Durch die Kolmarer Annalen wissen wir denn auch, daß die Ketzerei nicht im Ries selbst erwachsen, sondern durch herumziehende Prediger von außen hereinge- tragen worden ist, und die in Alberts Gutachten verzeichneten Anschauungen der Ketzer lassen auch erkennen, woher diese Wanderprediger gekommen waren und in welchen Kreisen sich ihre Lehren auswirkten. Für das geschichtliche Verständnis dieser Ketzerei bieten sich dabei greifbarere Anhaltspunkte in den besonderen Verhältnissen, die sich hier aus der Über- schneidung der religiösen Bewegungen jener Zeit ergaben, als in der Eigenart dieser Landschaft und ihrer Menschen. Dem Gutachten müssen Aufzeichnungen über die Aussagen mehrerer Personen zugrunde liegen. Denn manche Sätze keh- ren mit geringen Abweichungen mehrmals wieder — dieselbe Frage ist also nacheinander mehreren Leuten vorgelegt wor- den.''” Einige der Verhörten waren Frauen, denn manche Aus- 119.. In Alberts Determinatio Satz 4 und 34 über Gebetsgelübde; 9 und 41 über die Beichte; 25, 44 und 50 über Fasten und Beten; 15 und 56, 22 und 39, 28 und 49, 45 und 62, 60 und 75; auch andere Aussagen antworten offenbar auf ein und dieselbe Frage. Die einzelnen Verhöre zu trenner. und ihre Anzahl festzustellen, scheint mir nicht möglich; es wurde anschei- nend nicht immer dieselbe Fragenreihe vorgelegt. Manche Sätze klingen allerdings wie die Einleitung zu einem neuen Verhör; 10 dicitur quod familiaris fuerit suspectis et heresi infectis; 35 dicitur ne secreta verb« aliis publicentur; T1 non audet dicere id quod reputat malum apud hereti- cos. Aber wir wissen nicht, ob die ursprüngliche Reihenfolge der Aus- sagen in den Verhören in Alberts Gutachten beibehalten ist. Am häufig- sten wiederholt sich die Lehre von der Gott-Werdung, Satz 13/14, 25 und 27, 30, 36/37, 56, 58, 74. — Daß es sich um mehrere Verhöre handelt, sah schon H.Haupt, ZKG VII S.507f. Es ist unverständlich, wie A.Hauck, Kirchengesch. IV S.909 behaupten kann: „Es scheint sich um eine Unter- suchung gegen einen einzelnen Mann gehandelt zu haben, der aber in Kon- ventikeln eine offenbar nicht erfolglose Wirksamkeit entfaltete“. Es hat sich vielmehr bestimmt um eine Untersuchung gegen mehrere Frauen ge- handelt. — Auch die 29 Artikel de novo spiritu sind kein einheitliches Ver- hör, denn auch da wiederholen sich manche Sätze fast wörtlich, vgl. 108 und 115, 117 und 119 in der Zählung bei Preger, Mystik I S. 469; auch 120 und der darauf folgende (bei Preger fehlende) Satz. Im folgenden bezeichne ich das Gutachten Alberts als I, die 29 Artikel als II, und zähle die Thesen von II. gesondert, — 412 — sagen können nur von Frauen gemacht sein;'? keine Aussage dagegen ist so formuliert, daß sich eindeutig sagen läßt, sie müsse von einem Mann gemacht sein.'?' Gerade die Aussagen, bei denen es sich nur um ein Verhör von Frauen handeln kann, verraten auch am deutlichsten, in welchem geistig-religiössen Zusammenhang die Ketzerei im Ries steht. Sie sprechen nicht irgendeine dogmatisch-weltanschau- liche Ketzerlehre aus, sondern sind maßlose Steigerungen reli- giöser Erlebnisse, deren seelische Voraussetzungen sich überall in der religiösen Frauenbewegung der Zeit wiederfinden, Der krasse Ausspruch der Frauen im Ries, daß Christus sie fleisch- lich erkenne (II 28), ist nur aus dem Erlebnisbereich des Con- nubium spirituale zu verstehen. Der Gedanke der Brautschaft der Seele und des frommen Menschen, die Empfindung der Gottesminne, oft gesteigert bis zum erotisch erlebten Eins-Sein von Seele und Gott, durchdringt und beherrscht ganz allgemein die Frauenfrömmigkeit des 13. Jahrhunderts. Nur der Grad der Vergeistigung dieses Gedankens wechselt durch alle Mös- lichkeiten von bloßer allegorischer Phrase bis zu leibhaftem Wahnerlebnis. Unter den Äußerungen dieser weiblichen Minne- mystik steht die Aussage der Rieser Ketzerinnen keineswegs vereinzelt. Auch bei Mechthild von Magdeburs fanden es die lateinischen Bearbeiter ihrer Aufzeichnungen nötig, ihre erotisch-unmittelbaren Erlebnisse ins Nur-Spirituelle abzu- schwächen, Denn auch sie spricht von Gott, der die Seele mit voller maht in dem bette der minne trutet, der zu der minne- lustigen sele in das notlich brutbette wil $an.. uf das er si möhte durküssen und mit sinen bloßen armen umbevahen.'” 120. II 28: dicunt se carnaliter cognosci a Christo; in anderer Fassung: quod polluunt se corpore Christi; I 90: quod aliqua lactet puerum Jhesum cum matre usque ad lassitudinem et defectum; 1 13: dicere quod mulier facta sit deus; 1 97: quod mater quinque puerorum virgo possit esse. — Auch die Sätze I 31 und I 74, die die Vollkommenheit des Menschen an der der Jungfrau Maria messen, lassen sich wohl als weibliche Aussagen kennzeichnen. 121. Die Beteiligung von Männern an der Ketzerei geht aber aus man- chen Aussagen klar hervor (I 53 solutus et soluta; I 81 viri et mulieres soluti), und die moralischen Lehren der Ketzer setzen das ohnehin voraus. 122. Fließ. Licht II, 23 ed. MorelS. 45; VI1S.175. Vgl. G. Lüers, — 43 — Und wenn die Seele, von ihrem Geliebten in das bette der minne geladen, singt: ich bin ein vollewachsen brut, ich wil gan nach minem trut,'”° so ist das in Mechthilds Mund gewiß nicht nur Allegorie und Metaphorik, sondern erotisch-religiöses Erlebnis. Wie wenig sie damit allein steht in dieser Zeit und in diesen Kreisen, zeigt die besorgte Mahnung Davids von Augsburg, der die von der mystischen Erregung erfaßten Frauen in Süd- deutschland glaubte warnen zu müssen vor der Sucht nach dem Erlebnis von Kuß und Umarmung.'”* Selbst unter der Zucht der Klöster ist diese Brautschaft damals und später nicht weni- ger überschwänglich erlebt worden. Adelheid von Breisach, eine der ersten Schwestern in Adelhausen, lag einmal einen halben Tag lang in Verzückung unter einer umgestürzten Bütte und wurde in religiöser Verzückung vereint mit Gott, das si kam zu dem kusse, und eine Schwester aus ihrem Kloster ver- zeichnete das später als eine besondere Gnade.” Mit Adel- heid Langmann in Engelthal spielt der Herr das Minnespiel, will ihrer ein weil nit mangiln ab dem gemahilpettlein; und er umving si und druket si an sein gotlich hertz, daz sie dauht si Die Sprache der deutschen Mystik S.50, 52f., 47f. Ähnliche Wendungen vom Minnebett und Dbrutloft, der minneckliche umbehalsunge und dem mit armen umbevangen usw. finden sich allenthalben im Fließenden Licht; vgl. z.B. L 3. 4. 5. 8. 14. 19. 22. 44; II, 6. 15. 23. 26; II: 1. 2. 5. 9. 10 usf. 123. Fließ. Licht I, 44 Morel S. 21. 124. David von Augsburg, De ext. et int. hominis compositione III 66 S.359: non videtur autem pretereundum, quod quidam, decepti a seductoris spiritibus vel proprüs falsis opinionibus putant sibi apparere in visione wel ipsum Christum vel eius gloriosissimam genitricem et non solum applezibus et osculis, sed etiam aliis indecentioribus gestibus et actibus ab eis demulceri etc.; vgl. Michael, Gesch. d. deutschen Volkes III S. 142. — Vgl. auch die Erzählung Philipps von Monmirail (bei Tho- mas von Chantimpre, Bonum univ. de apibus II, 38 n. 2) über die Begine, die lange Zeit der sensibilis Sponsi visitatio entbehrt hatte und deshalb in Angst und Bangen ist, schließlich Glaube, Liebe und Hoffnung zum Sponsus schickt mit der Bitte, ihr wieder seine inestimabilis et durabilis consolacio zu schicken. 125. Chronik der Anna von Munzingen, FDA XIII S. 154f. Vgl. auch Caesarius VIII 16; Birlinger, Alemannia XI S.19; E. Schiller, Das mystische Leben der Ordensschwestern zu Töß, Diss. Bern 1903, S. 59. — 44 — klebot in im als ain wahs in ainem insigel.””* Solche Zeugnisse lassen sich häufen.'”” Aber es kommt hier nicht darauf an, viele Beispiele zu sammeln oder ihren psychologischen Gehalt zu er- schöpfen, sondern nur den Erlebnisbereich aufzuzeigen, aus dem auch die Aussage der Rieser Ketzer über die erotische Gemein- schaft mit Christus stammt und verständlich wird: den unge- zügelten Überschwang, das nicht im Geistigen verbleibende Er- lebnis der Minnemystik, wie sie sich in der religiösen Frauen- bewegung des 13. Jahrhunderts entfaltete. Dasselbe gilt aber für einen anderen Ausspruch einer der Ketzerinnen im Ries, sie habe Jesus gesäugt. Albert d. Gr. bemerkt dazu, das sei keine Ketzerei, die man widerlegen, son- dern eine Albernheit, die mit Prügeln bestraft werden müßte.’ Aber auch dieser Ausspruch ist in der religiösen Frauenbe- wegung nicht so unerhört und befremdlich, wie es auf den ersten Blick scheint.'” Denn in ihr lebt neben den Gedanken und Vorstellungen des Connubium spirituale ebenso stark das Er- lebnis der Nachfolge Marias als weibliches Gegenstück zur Nachfolge Christi, und wie jener Gedankenkreis in dem eroti- schen, so hat dieser in dem Muttererlebnis seine Tiefe und seine Gefahr. Maria nachzuleben, die das göttliche Kind getragen, geboren, gesäugt und geliebkost hat, das ist unzähligen dieser religiösen Frauen zum Wunsch und vielen zum Erlebnis gewor- den. In Träumen und Visionen fühlen sie sich als Mutter des Kindes, besonders häufig in der Weihnachtszeit, tragen es im Arm und spielen mit ihm, und es fehlt nicht an Fällen, wo 126. Die Offenbarungen der Adelheid Langmann ed. Strauch, S. 3. 21; 93,14; 67, 29. 127. Auch über die Berichte der Merin in Kirchberg sagt das .Nonnen-. buch (s. Roth, Alemannia XXI S.106), daß sie gar zertlich mit unserm herrn koset; vgl. ebenda S.118f. über Mechthild von Waldeck, die um 1270 mit 8 Jahren in Kirchberg. eintrat (} 1305), und besonders Margarethe Ebner in ihrem. Briefwechsel mit Heinrich von Nördlingen ed. Ph. Strauch S. 69£. 5 128. 1.90: Dicere quod aliqua lactet puerum Jesum cum matre usque ad lassitudinem et defectum, fatuitas est verberibus potius. quam verbis corrigenda. 129. Vgl. auch Mechthild, Fließ. Licht I 17 (ed. Morel S. 10): o du ruwender got un minen brusten. — 45 — solche Wahnerlebnisse zu leiblicher Verwirklichung in Schwan- gerschaftssymptomen geführt haben.' Diese Hinweise auf andere Fälle entkräften gewiß nicht das Urteil Alberts d. Gr. über diese fatuitates; aber sie zeigen den geschichtlichen Zu- sammenhang, der die Ketzerei im Ries mit der religiösen Frauenbewegung des 13. Jahrhunderts und ihrer mystischen Er- regung verbindet. Nun stehen diese als wahnhafte Übersteigerungen der Ge- danken des Connubium spirituale und der Nachfolge Marias zu erklärenden Aussagen freilich nicht im Mittelpunkt der Rieser Ketzerei. Sie verbinden sich vielmehr nur ziemlich locker mit den Anschauungen und Lehren, von denen die große Masse der Aussagen zeugt. Aber auch andere Lehren der Ketzer im Ries, die von wesentlicherer Bedeutung für die Gesamtheit ihrer Überzeugungen sind, fügen sich in denselben geschichtlichen Zusammenhang ein: vor allem der Glaube an die Vergottung des Menschen. Der Mensch kann Gott werden, sagen die Ketzer, und die Seele kann in der Vereinigung mit Gott göttlich werden. Dieser mit Gott vereinte, vergöttlichte Mensch steht im Brenn- punkt aller Aussagen der Rieser Ketzer." Das Erlebnis und 130. Vgl. z. B. über Schwester Willbirch von Offeningen in Kirchberg bei Roth, Alemannia XXI S.113; über die Zisterzienserin Lukardis in Analecta Bollandiana XVIII, 1899, S.195; über die Begine Agnes Blanbe- kin in Wien bei B. Pez, Agnetis Blanbekin Vita et Revelationes S. 244; Chmel, Sitz.-Ber. Wien II S.89 c. 195; über Anna von Ramsweg -in- Diessenhofen-Katharinenthal bei Birlinger, Alemannia XV S.176; über Schwester Wila und Heiltraut von Bernhausen in Weil s. das Nonnenbuch von Weil ed. Bihlmeyer S. 72 und 74; über die Begine Gertrud von Osten s. Zoepf, Die Mystikerin Margarete Ebner S.125. Zu der ganzen Erscheinung der I/mitatio Mariae s. G. Lüers, Marienverehrung mittel- alterlicher Nonnen, 1923, S. 28. Auch Margarethe Ebner (c. 1291—1351) sagt mehrfach, sie habe Jesus gesäugt (Briefwechsel ed. Ph. Strauch 8.87 und 90; vgl. S.120, 22, 27, 129), und auch sie fühlt sich vom Christuskind umfangen und geküßt (S. 91; vgl. Zoepf a.a.0. und O. Pfister, Hy- sterie und Mystik bei Margarethe Ebner, Zentralblatt f. Psychoanalyse I, 1911, S. 468 ff.). 131. I 14: homo potest fieri deus, I 56 homo potest fieri deus cum deo et ipsum penetrare,; 1 36: homo secundum voluntatem fit deus; I 25 anima unita dei deificatur; I 27 homo potest fieri equalis deo vel anima fieri di- vina; I 13: mulier facta est deus; I 30: aliquis prefertur (Christo?) et deo equatur. : — 46 — der Gedanke der Vergottung ist nun aller Mystik gemein und an sich auch mit katholischer Rechtgläubigkeit vereinbar. Das dogmatische Kriterium ist dabei die Frage, ob diese Vergottung als Gnadenerlebnis gedeutet wird, als übernatürliches Einwir- ken der Gottheit, die den Menschen zu sich und in sich zieht; oder ob eine natürliche Möglichkeit des Menschen angenommen wird, aus eigener Kraft und Leistung oder dank seiner meta- physischen Wesensgleichheit mit Gott vergottet werden zu kön- nen. Nach katholischer Lehre ist es ein Irrtum der ‚häretischen Mystik", daß der Mensch naturaliter Gott werden könne, aber ein Höhepunkt rechtgläubiger Mystik, per gratiam deificari. Unter den religiösen Frauen der süddeutschen Dominikaner- klöster ist das Erlebnis der Vergottung nicht selten gewesen, und die Nonnenbücher des 14. Jahrhunderts haben diese Er- lebnisse aufgezeichnet, ohne je wegen ihrer Rechtgläubigkeit beanstandet zu werden;'°? denn diese Vereinigung mit Gott ist da immer als „Gnade‘' empfunden und erlebt worden, wie über- haupt in ganz naiver Weise das Verlangen nach „Gnaden” und „Iröstungen‘ die religiöse Stimmung der süddeutschen Frauen- klöster erfüllte.” Dagegen hat Albert d. Gr. die Aussagen der Ketzer im Ries über die Vergottung des Menschen und der Seele alle für „pelagianische‘ Ketzerei erklärt, also für unver- einbar mit der katholischen Gnadenlehre. Ohne Zweifel sind die Ketzer selbst gefragt worden, ob sie glauben durch göttliche 132. Vgl. z. B. das Nonnenbuch von Kirchberg ed. Roth, Alemannia XXI 8.106 und 118; das Nonnenbuch von Weil ed. Bihlmeyer S.71£f.: in diser genad kom ir sel in sölch vereinunge und nißen gotez, daz sie sprach, daz sie nie höher noch got neher köm; S. 72: ..da vereinet sich got alz gar mit ir, daz sie recht derfüllet ward mit götlicher süßikeit, S. 69: „ich bin gotz vol“. Nonnenbuch von Adelhausen, FDA XIII S.160: „alles das an mir ist, das ist got“; vgl. auch 8.165; Nonnenbuch von Katharinenthal, Alemannia XV S. 178. 133. Besonders auffällig in dem Kirchberger Nonnenbuch ed. Roth Alemannia XXI S.103ff., wo ein ganzes System einzelner Gnaden aufge- führt wird, die Gnade Jubilus, die genad contemplationis usw.; ähnlich in dem Schwesternbuch von Unterlinden ed. Ancelet-Hustache S.340, 347, 439, 462, 467 usw. die immer wiederholten „Gnaden“ (gratia consola- tionis, consolationes usw.). Vgl. Lamprechts von Regensburg Warnung vor der Überschätzung jeder einzelnen kleinen „Gnade“, Tochter Syon ed. Weinhold 8.437. — 47 — Gnade „vergottet" werden zu können oder aus eigener mensch- licher Kraft. Aber die Antworten darauf sind weder einheit- lich noch eindeutig. Eine Aussage heißt zwar, der Mensch könne seinem Willen gemäß Gott werden; eine andere dagegen weicht der Frage nach der Rolle der Gnade in dem Vergottungs- erlebnis mit der paradoxen Äußerung aus: bonus homo dicere vere potest gratiam se habere et non habere,'”* erkennt also die dogmatische Scheidung von „Natur“ und „Gnade“ nicht als wesentlich an, versteht diese Alternative offenbar gar nicht als anwendbar auf das Erlebnis der Vergottung. Tatsächlich sind die Ketzeraussagen unklar und nicht eindeutig in der Stellung zum Gnadenproplem.'”* Eine grundsätzliche Entscheidung in dieser Kernfrage der katholischen Dogmatik hat sich in diesen religiösen Kreisen noch nicht vollzogen. Aber selbst in dieser Beziehung läßt sich die Gemeinsamkeit zwischen der Ketzerei im Ries und der Frauenmystik des 13. Jahrhunderts erweisen. Auch Mechthild von Magdeburg hat von der Erfahrung und dem Erlebnis der Deificatio gesprochen. Sie läßt Gott zur Seele sprechen: Frow sele, ir sint so sere genaturt in mich, das zwischent uch und mir nihtes nit mag sin,'”* und sie sagt von 134. I 2; dagegen heißt es von einem anderen Ketzer: guod aliguam receperit gratiam maiorem quam homo habuerit vel habiturus sit (I 86), aber worin diese Begnadung bestand, ist nicht gesagt. Eine andere Aus- sage (I 37) weicht der Frage durch eine moralische Interpretation der Deificatio aus: Cum corpore fit deus bonus homo, si intelligitur per equa- litatem sanctitatis. 135. Vgl. II 21: boni homines non debent viris literatis revelare boni- tatem suam et gratiam quam habent;, II 25: Quod peccata cum dolore non recogitentur, quia per hoc gratia retardatur! Vgl. vorige Anm. 136. Fließ. Licht I 44 ed. Morel S. 22; ed. Schleußner S.144. In der lateinischen Übersetzung des Fließ. Lichts sind diese Stellen immer durch leichte Veränderungen dogmatisch bereinigt; so heißt es hier: per unionem naturarum ineffabilis gratia nos conjunrit, s. Re- velationes II S.551;: vgl. G. Lüers, Die Sprache der deutschen Mystik S. 49f. — In den Auszügen aus dem Fließenden Licht in der Würzburger Handschrift, die W. Schleußner veröffentlicht hat, ist „nahezu alles Persönliche über Mechthild“, ferner „alles Historische, insbesondere alles über die Dominikaner gesagte‘ weggelassen (s. S. IV), ebenso aber auch die meisten in unserem Zusammenhang bemerkenswerten Abschnitte. — 48 — der Seele, von der das Feuer der Minne den Staub der Sünden genommen hat, daß sie wird mit got ein got, also das er wil das wil si, und si mögent anders nit vereinet sin mit ganzer einunge;"”' der Mensch, der sich im Gebet mit demütigem Her- zen, mit ellendiger sele allen Kreaturen, allen Dingen entzieht und nur für Gott allein offen ist, der ist ein götlich got mit dem himelschen vatter.” Aber wegen dieser oder ähnlicher Aus- sprüche ist auch gegen die Begine Mechthild der Vorwurf er- hoben worden, sie verstoße gegen die katholische Gnadenlehre. Wir haben es zum Glück aus ihrem eigenen Mund und nicht nur aus der Formulierung von Inquisitoren, wie sich Mechthild gegen diesen Vorwurf verteidigte. Ich sprach an einer stat in diseme buche, das die gotheit min vatter ist von nature; das verneme du nit und spreche: Alles das got mit uns hat ge- tan, das ist alles von gnaden und nit von nature. Du hast war und ich han och war. Mit einem Gleichnis versucht sie dann verständlich zu machen, was das von der Gottheit erleuchtete Auge der minnenden Seele zu sehen vermag: wie die ewige Gottheit mit ihrer Natur in der Seele gewirkt hat, sie nach sich gebildet und in sich gepflanzt hat und sich allermeist mit ir vereinet under allen creaturen; er hat si in sich beschlossen und hat siner götlichen nature so vil (in si) gegossen, das sie anders nit gesprechen mag, denne das er mit aller einunge me denne ir vatter ist.'”* Das mag dogma- tisch unanfechtbar sein, dogmatisch eindeutig ist es nicht, und von einem Ketzergericht protokolliert hätte Mechthilds Antwort vielleicht ähnlich gelautet wie die der Ketzer im Ries: homo bonus dicere potest Sratiam se habere et non habere — du hast war und ich han och war. Der tiefe Unterschied aber zwischen der Magdeburger Be- gine und den Ketzern im Ries liest — von der dichterisch-reli- giösen Gestaltungskraft und der geistigen Leidenschaft Mecht- 137. Fließ. Licht VI 1 ed. Morel S. 174; in der Übersetzung (II S. 611): fitque una cum deo, et hec est vera unio, conformitas voluntatum. 138. VI1S. 174; i. d. Übersetzung: efficitur membrum Christi; vgl. G. Lüers 8.52. 139. VI 31 ed. Morel S. 205; vgl. dazu die Bemerkung von W. Oehl, Deutsche Mystiker II, 1911, S. 197; auch Eckharts Reden d. Untersch. S. 44 | — 419 — hilds ganz abgesehen — nicht in diesen Erlebnisgrundlagen, die der ganzen religiösen Frauenbewegung gemeinsam sind, sondern in der gedanklichen Ausprägung solcher Erlebnisse im Hinblick auf die Kirchenlehre. Mechthild hat sich bewußt in die Ord- nungen der Kirche eingefügt, hat sich der geistigen Leitung ihrer dominikanischen Freunde anvertraut und ist später ins Kloster gegangen. Die Ketzer im Ries dagegen mißtrauen und ver- sagen sich der geistigen Leitung theologisch gebildeter Führer, weil diese kein Verständnis haben für die religiösen Erlebnisse, von denen sie erfüllt sind;'‘ sie mißachten das klösterliche Le- ben, weil ihnen ihre Erlebnisfrömmigkeit, die sich nicht an feste Regeln bindet, unendlich viel mehr gilt;'*" und alle Ordnungen der Kirche haben vollends für sie ihren Sinn verloren. Diese Wendung der Frauenmystik zur Ketzerei erklärt sich ohne Zweifel aus den Einflüssen, die von ganz anderer Seite her auf die religiösen Frauenkreise Süddeutschlands wirkten. Damit erst treffen wir auf den Anteil der predigenden viri religiosi an der Rieser Ketzerei, der sich in manchen Lehrsätzen der Ketzer deutlich aussondern läßt. Wenn neben Aussagen über die „Vergottung‘ des „guten Menschen“, der mit Gott ge- einten Seele andere Sätze stehen, die rein pantheistisch von der Identität Gottes mit aller Kreatur und von der Substanz-Gleich- heit der Seele mit Gott sprechen,'*? so treten darin ganz andere Gedanken zutage, die mit dem mystischen Erlebnis der Einigung mit Gott nichts zu tun haben, im Grunde sogar damit unverein- bar sind. Albert d. Gr. hat in seinem Gutachten die Lehren von der Vergottung alle als „pelagianisch' bezeichnet; diese 140. I 17: non debet queri consilium a viris litteratis sive de devotione sive de aliüs; II 21: guod boni homines non debent wiris litteratis revelare bonitatem suam et gratiam, quam habent, quia nesciunt litterati, quid sit, nec cognoverunt nisi per pellem vitulinam, ipsi vero sugunt ex deitate (divinitate). 141. I 73: Melius est hominem unum ad talem prefectionem ducere guam centum claustra constituere. 142. I 76: omnis creatura est deus; II 7: omnis creatura plene est deus: I 7: anima est sumpta de substancia dei; I 9%: anima est de substancia dei; I 95: anima est eterna cum deo; vgl. auch I 77: homo deus est et ideo non est tangendum (wohl mit Bezug auf Ps. 104, 15: Nolite tangere Chri- stos meos). — 4120 — pantheistischen Sätze dagegen hat er nicht einer bestimmten Häresie unterzuordnen gewußt. Die Behauptung von der Sub- stanzgleichheit Gottes und der Seele schien ihm manichäisch; daß die Seele ewig sei wie Gott und mit Gott, bezeichnete er als die „Ketzerei des Sokrates“; in der pantheistischen Lehre, daß alles Geschaffene Gott sei, erkennt er die Ketzerei des spätgriechischen Philosophen und Aristoteles-Erklärers Alex- ander von Aphrodisias, dessen Lehre in jüngster Zeit in Frank- reich David von Dinant erneuert habe.'* Dieser David von Dinant war zugleich mit den Schülern Amalrichs 1210 in Paris verurteilt worden; es läßt sich nicht ganz klarstellen, ob er in sachlichem und persönlichem Zusammenhang mit Amalrich von Bena und seinen Schülern gestanden hatte. Nun beweist allerdings Alberts Bemerkung keineswegs, daß die Ketzerei im Ries tatsächlich mit David und seinen Lehren unmittelbar zu- sammenhängt; denn Albert will nirgends in seinem Gutachten die Zugehörigkeit der Ketzer zu einer bestimmten Sekte fest- stellen, sondern nur jede einzelne Aussage einer bereits ver- urteilten Häresie zuordnen. Ebensowenig darf man also die Rieser Ketzer für Manichäer halten, weil Albert viele ihrer Sätze für manichäisch erklärt. Manche ihrer Sätze sind aber tatsächlich nicht aus den Gedanken der ekstatischen Frauen- mystik zu erklären, sondern einesteils mit den Anschauungen der Pariser Ketzer von 1210, andernteils mit Lehren der Ka- tharer nahe verwandt. Wie die Katharer haben die Ketzer im Ries gesagt, Christus habe bei seiner Passion nicht gelitten und sei nicht verletzt worden;'* auch über den Fall der Engel 143. I 76: Dicere guod omnis creatura sit deus heresis Alexandri est, qui dixit materiam primam et deum et noym, hoc est mentem divinam in substancia idem esse; quem postea quidam David de Dinanto secutus est, qui temporibus nostris pro hac heresi de Francia fugatus est et punitus fuisset, si deprehensus fuisset. 144. Vgl. G. Thery, Autour de decret de 1210 I und I]. 145. I 59: Christus non doluit in passione; II 2: quod nullo modo sit credendum Christum in passione fuisse (di)laceratum (oder: vulneratum) vel quicquam doluisse; I 91: dicunt Christum non laniatum fuisse in pas- sıone. Über die entsprechende Christologie der Katharer s Guiraud, Cartulaire I S. LXII; Somme des autoritess ed. Douais S. 130; Ch. Schmidt, Hist. des Cathares HI S.31ff.; E. Broeckx, Le Catharisme — 21 — haben sie ähnliche, wenn auch unter sich nicht widerspruchslose Ansichten geäußert wie die Katharer,'‘* die mit den Gedanken der Frauenmystik und mit dem Vergottungserlebnis nicht das geringste zu tun haben. Andere Anschauungen haben die Rie- ser Ketzer ebenso mit den Katharern wie mit den Amalrika- nern gemeinsam, teilweise sogar auch mit den Waldensern: sie glauben nicht an Hölle und Fegefeuer,''' halten Engel und Dä- monen nur für moralische Personifikationen menschlicher Tu- genden und Laster,'* glauben nicht an die Auferstehung, auch nicht an die Auferstehung Christi. Die Aussagen der Ketzer vor den Inquisitoren lassen niemals erkennen, in welchem Zu- sammenhang diese Anschauungen standen. Wenn derartige Lehren gewiß nicht aus der Erlebnismystik religiöser Frauen- kreise erwachsen sein können, mit der sie sich in keiner Weise verbinden, so lassen sie doch andererseits auch nicht auf die Zugehörigkeit der Rieser Ketzer zu einer bestimmten Sekte mit fest ausgeprägter Lehre schließen. Zu den Katharern gehörten sie keinesfalls, obgleich ihnen manche Anschauungen mit den Katharern gemeinsam sind und Albert d. Gr. 13 von den 97 Sätzen in seinem Gutachten für manichäisch erklärt. Denn statt der Grundüberzeugungen des katharischen Manichäismus, statt des Dualismus von Gut und Böse, Gott und Materie und der daraus gefolgerten asketischen Läuterungsethik vertreten S.82ff. Aber auch bei den Amalrikanern finden sich Andeutungen ähn- licher Lehren, s. o. S. 369 Anm. 28, die vor allem mit dem Satz I 47 über- einstimmen: divinitas separata est a corpore Christi. 146. I 60: Angeli non sunt lapsi de celo,; I 75: angelus non cecidisset, si bona intentione fecisset quod fecit; II 8: Quod angeli non cecidissent, si debito modo in conspiratione cum Lucifero perstetissent (oder: proces- sissent). 147. I 46: purgatorium et infernum non esse; II 6: quod infernus nul- latenus sit. 148. I 45: nec angelus est nec demon;, I 62: angelos non esse nisi vir- tutes et demones non esse nisi vicia; II 5: quod angeli nihil aliud sunt nisi virtutes hominum; quod non sint demones nisi vicia (et peccata) ho- minum. \Vgl. o. S. 367 f. über die Amalrikaner und Guiraud, Cartulaire I S.LXVf.; Somme des autorites ed. Douais S. 127, 132 über die Katharer. 149. I 40: resurrectio non est futura; II 12: quod non sit resurrectio (credenda); I 48: Christus non resurrezit. die Ketzer im Ries pantheistische Anschauungen und morali- schen Indifferentismus. Sie können aber ebensowenig zu einer „pantheistischen Sekte‘ gehören, die seit dem Auftreten der Amalrikaner in Paris weiterbestanden hätte und nunmehr in Schwaben eine Wirkungsstätte fand.” Die Ketzer im Ries haben zwar Aussagen von ähnlichem pantheistischen Gepräge gemacht wie die Schüler Amalrichs, aber diese wenigen Aus- sagen stehen fremd und unzugehörig neben den Äußerungen des Vergottungs-Erlebnisses der einzelnen Seele; sie haben auch spiritualistische Überzeugungen von der Wirkung des Gei- stes im Menschen und sind im Ganzen als die Ketzerei „vom neuen Geiste‘ bezeichnet worden;'”' aber die Sätze der Ketzer im Ries sagen nichts von einer Inkarnation des Heiligen Geistes oder vom Anbruch eines dritten Zeitalters des Heiligen Geistes; die theologische Geschichtsspekulation, die Amalrichs Schüler wahrscheinlich aus den Schriften Joachims von Fiore entnom- men hatten, ist in den Ketzeraussagen mit keinem Wort ange- deutet. Endlich bekennen sich zwar auch die Ketzer im Ries zu dem Gedanken, daß alles Geschehen und auch alles Tun der Menschen Gottes Werk sei und sprechen das wie die Pariser 150. Diese Vorstellung von einer „Sekte des freien Geistes“, die zuerst unter den Amalrikanern in Paris 1210, bald darauf unter dem Namen der Ortlieber in Straßburger auftauchte, trotz aller Verfolgungen immer weiter bestand und das Ziel verfolgte, „auch im Volke Boden zu gewinnen, eine besondere religiöse Genossenschaft zu bilden“, endlich im Schwäbischen Ries ihre Propaganda entfaltete, hat die ganze frühere Forschung be- herrscht, ss Preger, Mystik I S. 213; H. Reuter, Gesch. d. rel. Auf- klärung II S. 240ff.; A. Jundt, Histoire du pantheisme populaire; Wetzer-Welte, Kirchenlexikon II S. 1339 ff., Bihlmeyer, Kirchen- geschichte II S. 221 u.a. NurHermann Haupt hat schon 1897 in der 3. Auflage der Protestantischen Real-Enzyklopädie III S. 467 ff. die Zu- sammenhänge richtiger gesehen. 151. I 78: Homo debet abstinere ab exterioribus et sequi responsa spiritus intra se; 1 33: hoc non loquor ego sed spiritus in spiritu; I 5, quod alicui responderit omnium spirituum veritas (dazu bemerkt Albert: presumptionis magis et fatuitatis verbum est quam heresis); Il 27: quod libertas. quies et commodum faciunt locum spiritui sancto in homine,; un- verständlich ist mir der Satz I 57: spiritus sanctus est negotiator; das be- deute:spiritum sanctum esse servum vel ministrum, bemerkt Albert, und erklärt es als heresis Nestoris. — 4123 — Ketzer mit den paulinischen Worten aus: Gott wirkt Alles in Allem; aber auch dieser Gedanke ist bei ihnen nicht spekulativ als Aussage über das Geschehen in der Welt überhaupt, sondern erlebnismäßig als Erfahrung des vergotteten Menschen gemeint und spricht nur von dem möglichen Grad von Vollkommenheit, den ein Mensch erreichen kann.'* Kann man derart gleichsam zwei Schichten in den Rieser Ketzeraussagen feststellen, deren eine mit häretischen Speku- lationen früherer Ketzereien, vor aliem der Pariser Ketzer von 1210, übereinstimmt, deren andere dagegen auf das Vergottungs- erlebnis der Frauenmystik bezogen ist, so stimmt dieser Befund aufs beste mit unserer Feststellung überein, daß die Ketzerei im Ries aus der Einwirkung herumziehender viri religiosi auf die Kreise religiöser Frauen entstanden ist. Von einer „Sekte‘‘ im eigentlichen Sinn kann dabei nicht die Rede sein. Keine Spur einer sektenmäßigen Organisation wird sichtbar, und in den ein- zelnen Aussagen tritt nicht eine einheitliche Lehre zutage. Die inquisitorischen Aufzeichnungen haben ohnehin nur die häreti- schen „Unterscheidungslehren” in den einzelnen Katechismus- Fragen festgehalten. Aber aus ihnen läßt sich zur Genüge er- kennen: im Mittelpunkt der religiösen Anschauungen dieser Kreise steht das Erlebnis der Einigung des vollkommenen Men- schen, des „guten Menschen” mit Gott, seine Gott-Werdung; die gedanklichen Folgerungen aber aus diesem Erlebnis hinsicht- lich der Lehren und Formen der Kirche sind von Tendenzen ganz anderer Herkunft bestimmt. Gegenüber dem Gott-Sein des vollkommenen Menschen verschwindet zunächst die Bedeutung Christi nicht nur als des 152. I 15: Homo ad talem statum potest pervenire, quod deus in ipso omnia operetur,; I 56: ad hoc pervenit homo, quod deus per eum omnia operetur; 1 66: quidquid faciunt homines, ex dei ordinatione faciunt. Die beiden ersten Sätze erklärt Albert für pelagianisch über den letzten, der das All-Wirken Gottes nicht auf den vollkommenen Menschen beschränkt, sondern generell über alle Menschen aussagt, bemerkt er: heresis est eorum, qui dicunt omnia provenire ex necessitate et nihil ex permissione divina, et est error cuiusdam Alezandri — er verweist also wieder auf den Aristoteliker Alexander von Aphrodisias, dem, wie er an anderer Stelle sagt, David von Dinant gefolgt ist. — 424 — Mittlers, sondern auch als des eingeborenen Sohnes Gottes, als des einzigen mit Gott Wesensgleichen. „Der Mensch wird Gott gleich und übertrifft den Sohn‘’® oder steht ihm wenigstens gleich. Daher verliert auch die Eucharistie ihre singuläre Be- deutung; denn Christi Blut verdient nicht höhere Verehrung als das Blut des „guten Menschen“. Daß ein vollkommener, mit Gott geeinter Mensch „Gott in Gott‘ empfange, wenn er das Altarsakrament nimmt, und daß der Mensch selbst mit dem Leib des Herrn am Altar erhoben werde und also der Hostie als seinesgleichen keine Verehrung schulde,'”®” das sind nur para- doxe Formulierungen dieser Haltung gegenüber der Eucharistie: Sie wird dabei nicht eigentlich abgelehnt und verworfen, weder in ihrer kirchlichen Form kritisiert noch vergeistigt; nur ihre Ein- zigartigkeit wird ihr bestritten und ihre Heilsbedeutung für den „guten Menschen”, weil er selbst „Gott geworden” und daher dem Gottessohn zum mindesten ebenbürtig, wenn nicht über- legen sei. Damit müßte auch die Meditation über das Leiden Christi, die in den Kreisen der religiösen Armutsbewegung und gerade in der Frauenbewegung eine so wichtige Rolle spielt, ihren Sinn verlieren, und tatsächlich finden sich entsprechende Aus- sagen.” Aber daneben und scheinbar damit unvereinbar steht 153. I 59: homo equatur patri et transcendit filium. — 1 58: homo potest fieri altior filio dei. 154. I 51: sanguis boni hominis venerandus est ut sanguis Christi; Il 26: quod sanguis boni hominis vel (alia) superfluitas (corporis sui) sicut sanguis Christi est tractandus (oder: ita reverenter sit tractanda sicut corpus Christi); I 65: non oportet inclinari corpori Christi, eo quod homo deus est; I 28: homo unitus deo est venerandus ut Christi corpus; II 32: quod ita deo sunt uniti, quod sanguis eorum sit totum sicut sanguis Christi. 155. I 29: aliquis dicit se deum in deum recipere, quando recipit sacra- mentum altaris; I 42: homo elevatur cum corpore domini in aliari; II 14: dicunt se elevari cum corpore domini in missa, nec surgunt nec flectuni genua (ob reverentiam dei), quando elevatur vel portatur, nisi tantum propter homines ne scandalizentur, Il 36 dieselbe These mit der anderen Motivierung: non est assurgendum corpori domini, quia deus ubique est. 156. I 67: non est memorandum passio Christi domini; II 24: quod (boni homines et) qui volunt adipisci veram bonitatem non (oder nun- quam) debent cogitare de passione domini (oder: Christi). BE Su ein Satz, der noch ganz in den Gedankenkreis der /mitatio Christi gehört und diese Idee ebenso übersteigert wie die Lehre von der Vergsottung den Gedanken der Unio mystica: die Seele eines Menschen wird der Seele Christi gleich, wenn er dasselbe tut wie Christus.” In dieser Steigerung des Nachfolgegedan- kens — wie ihn ähnlich auch Mechthild von Magdeburg ge- äußert hat: ein jeglich mensche sölte wesen an im selben ein christus'®* — liegt gleichsam der Übergang zu der häretischen Entwertung der Person Christi als des einzigen Sohnes Gottes, und auch hier wird also wieder der Ansatzpunkt zu den Rieser Ketzerlehren in der Erlebniswelt der Frauenmystik sichtbar. Erst recht treten die besonderen Verdienste der Heiligen vor dem Anspruch des vergotteten Menschen zurück,'”’ und vor allem der Gedanke der Nachfolge Marias ist genau so umge- schlagen in das Bewußtsein, der Verehrung der Mutter Christi enthoben und in der eigenen Vollkommenheit über ihre Ver- dienste hinausgewachsen zu sein, wenn man „mit Gott vereint‘ und „Gott geworden” ist.‘ Aber auch dabei wird nicht der Heiligendienst überhaupt kritisiert und abgelehnt, etwa unter Berufung auf das Evangelium wie bei den Waldensern, oder als Götzendienst verspottet wie bei den Schülern Amalrichs; son- dern es ist immer nur gesagt, daß der „gute Mensch” so voll- kommen mit Gott geeint sein kann, daß er Verdienst und An- 157. 123: Anima alicwius etiam facientis eadem cum Christo equatur anime Christi. 158. Fließ. Licht VI, 4 ed. Morel S.180; in der Übersetzung ist auch diesen Worten die Spitze abgebrochen: verum omnis homo deberet esse Christi, s. Revel. II S. 638. 159. I 22: dieit aliquis ad hoc posse devenire, quod sanctos non opor- teat revereri; 1 39: homo unitus deo non habet sanctos revereri; II 1: guod quilibet homo, quantumcumque peccaverit, possit in uno anno precellere dignitatem et meritum sancti Nicolai et Pauli et sancte Marie Magdalene et sancti Johannis baptiste et cuiuslibet sancti vel etiam genetricis dei vel etiam ipsum Christum Jesum; II 9: quod homo unitus deo non deferat sanctis (honorem vel) reverentiam. 160. I 31: homo in devotione potest precellere beatam virginem; I 93: beata virgo digne inclinet homini; I 70: parvum est beate virginis meri- tum, eo quod homo super deum potest ascendere,; I 74: homo potest trans- cendere beate virginis meritum et fieri deus et deo non indigere. — 48 = spruch der Heiligen übertrifft und ihrer Verehrung enthoben ist; was für die anderen Menschen, die Gemeinchristen gilt, ist in den Ketzeraussagen gar nicht berührt, Beichte, Fasten und Gebete und alle priesterliche Vermitt- lung sind für den „guten Menschen“, den mit Gott geeinten Menschen gleichfalls überwundene Dinge, deren er nicht nur nicht bedarf,'“ sondern die ihn sogar hindern würden bei seinem Weg zu Gott.” Sind schon diese Aussagen außerordentlich befremdlich in den Kreisen der religiösen Frauenbewegung, in der von Anfang an Gebet, Beichte und Fasten im Mittelpunkt der Frömmigkeit gestanden hatten, so scheinen vollends die moralischen Anschauungen der Ketzer im Ries schwer verein- bar mit dem Keuschheitsideal, das immer der Leitstern der Frauenbewegung gewesen war. Aber gerade in dieser Frage sind die fremden Einflüsse am wenigsten zu verkennen. In Alberts Gutachten stehen einige Sätze, die alle Grundlagen der christlichen Moral überhaupt aufzuheben scheinen und dem 161. Die Aussagen darüber sind aber wiederum nicht einheitlich. I 44: Deo unitus non debet jejunare vel orare; I 41: Homo unitus deo non debet confiteri etiam peccatum mortale; dagegen heißt es I 9 nur: Confessio venialium non est necessaria; I 16: Homo tantum proficit, quod sacerdote non indigeat; I 64: Peccata non debent confiteri sacerdoti; I 20: jejunüs ei orationibus non est insistendum, dagegen 1 3: viginti paternoster pre- valent misse sacerdotis; I 89: orationes cedunt bonis et non peccatoribus; vgl. II 17 unten Anm. 170; I 52: licite comedantur tempore jejunü prohibita ab ecclesia sicut caseus et ova; aber II 10 heißt es nur: guod diem diei non preferunt in jejunio (oder: in jejuniorum observantüs), quia unus dies sicut alter; vgl. II 19: guod absque pavore et sine peccato in secreto comedunt quotiescumque volunt et quidquid volunt si habent, auch I 38: dicit se non comedisse cwm comedit, und I 49: Homine come- dente deus comedit, beziehen sich wohl auf das Fasten, sind aber unklar. Etwas abweichend heißt es über das Beichten: II 13: Quod bonum homi: nem non oportet peccata quantumcumque gravia nisi alteri bono confiteri, sed dicant in corde: Ego peccavi; und II 20: Quod non sit necesse nar- rare in confessione circumstancias (oder: gestus) peccatorum, sed sufficit dicere: Ego peccavi. 162. I 50: Orationes, jejunia, confessiones peccatorum impediunt bonum hominem; 1 79: Confessio impedit perfectum; Il 15: Quod homines impe- diant (et retardent) bonitatem suam per orationes suas et jejunia, flagella (et vigilias) et alia quecumque bona opera. — Vgl. noch I 4: Promisse orationes non debent solvi; ähnlich I 34. — 27 — geschlechtlichen Umgang, zum mindesten soweit er nicht die Ehe oder Gelübde verletzt, einen Freibrief gegenüber dem Sündenbegriif ausstellen. Diese Sätze haben zu den religiösen Überzeugungen und Erlebnissen der meisten anderen Aussagen keinerlei Beziehung. Dagegen findet man sie fast wörtlich wie- der in ganz anderen Zusammenhängen, teils in gewissen katha- rischen Kreisen, teils unter den Vertretern des Averroismus an der Pariser Universität.'” Weiß man aber, daß solche Anschau- ungen von herumziehenden Predigern und Agitatoren unter die religiösen Frauenkreise in Süddeutschland gebracht worden sind, dann werden auch alle anderen Aussagen der Ketzer im Ries über moralische Fragen verständlicher, die keineswegs mit jenen amoralischen Lehren völlig übereinstimmen, in denen aber sozusagen die Spannung zwischen dem Vergottungserlebnis und dem Sündenbewußtsein aufgehoben und vernichtet ist. In ihnen ist nirgends von so allgemeiner Ungültigkeit der christlichen Morallehren die Rede, sondern immer nur davon, was die Sünde dem vollkommenen, mit Gott geeinten, guten Menschen bedeute. Und nur ganz vereinzelt wird diesem Vollkommenen ausdrück- lich eine schrankenlose moralische Ungebundenheit zuerkannt.'°' 163. 163: Hoc quod fit sub cingulo a bonis non est peccatum; vgl. dazu Peter von Vaux-Cernai, Hist. Albig. c. 2 (S.10); Molinier, Revue Hist. XCV, S.3f.: Non credimus autem silendum quod et quidam heretici dice- bant, quod nullus peccare poterat ab umbilico et inferius; Ch. Schmidt, Hist. des Cathares II S. 152. — I 53: soluta concubendo cum soluto non plus peccat quam admittendo matrimonialiter conjunctum,; Albert d. Gr. bezeichnet auch diesen Satz als manichäisch; ferner I 81: oscula virorum et mulierum solutorum non sunt peccatum; vgl. dazu den im Jahre 1277 in Paris verurteilten Satz der Averroisten: Quod simplex fornicatio utpote soluti cum soluta non est peccatum (P.Mandonnet, Siger de Brabant Il S. 19 n. 205); zugleich sind dort auch die Sätze verurteilt worden: Quod non est orandum; quod non est confitendum nisi ad apparentiam. 164. II 11: Quod unitus deo possit (audacter) explere libidinem carnis per quemcumque modum licite (et religiosus in utroque sexzu sine omni peccato). Einige Sätze, die von der Erlaubtheit von Meineid und Dieb- stahl sprechen, scheinen mir nur verständlich als Antworten auf verfäng- liche Fragen, die aus dem Grundsatz der „Sündenlosigkeit‘‘ Folgerungen zu ziehen suchten; I 69 Bono homini non est peccatum periurare et men- tiri; I 43: Homo unitus deo licite potest tollere rem alienam; vgl. I 92 und II 18. 2.98 Die allermeisten Aussagen kreisen um die tiefere und weniger ärobe Frage, ob eine religiöse Vollkommenheit in diesem Leben erreichbar ist, die jenseits aller Möglichkeit der Sünde liegt. Von einer bestimmten Lehre kann man dabei nach den über- lieferten häretischen Sätzen gar nicht sprechen. In manchen wird nur das Bewußtsein begangener Sünden und die Reue als ein Hemmnis auf dem Wege zu religiöser Vollkommenheit ab- gelehnt;’° in anderen heißt es, ein vergotteter Mensch, der in eine Todsünde fiele, könne sich aus der Sünde selbst wieder zu Gott erheben;'‘ andere aber sagen, der mit Gott Geeinte kann überhaupt nicht sündigen, der Vollkommene ist sündlos.'* Diese Sätze sind miteinander schwer vereinbar, aber alle zeigen in gleicher Weise den Zwiespalt zwischen christlich-kirchlichem Sündenbewußtsein und religiösem Vollkommenheitserlebnis. Die moralischen Begriffe und Normen werden gleichsam auf- gelöst, ihres Sinnes entleert; das religiöse Erlebnis übergreift alle Fragen der Ethik und Moral und nimmt ihnen ihre eigene Geltung. Das äußert sich einerseits in unbeholfenen Para- doxien der Art, daß Sünde nicht Sünde sei, daß der Mensch sündigen könne ohne Sünde,'® andererseits aber in Andeutun- gen einer religiösen Haltung und Gesinnung, in der sich der Zu- sammenhans der Ketzerei im Ries mit der spekulativen Mystik am deutlichsten offenbart. Schon Wilhelm von S. Amour hatte auf religiöse Kreise in Paris hingewiesen, die alles äußere Werk der Hände verwarften, 165. I 87: Non est cogitandum de peccatis commissis; Il 25: Quod pec- cata commissa cum dolore non recogitentur (oder: nunguam debent cum dolore recogitari nec dies elapsi in vanitate), quia per hoc (per hanc amaritudinem) gratia magis retardatur. 166.. I 80: Homo translatus in deum et peccans mortaliter ex peccato adminiculum habet ad deum, si per se intelligitur. 167. :I1 94: Homo in vita sic proficere potest, ut impeccabilis fiat; I 21: Aliquis pervenit ad hoc, quod non possit peccare; 1 24: Homo unitus deo peccare non potest; II 4: Quod homo possit ita uniri deo, quod quidquid de cetero faciat, non peccat. 168. I 55: Peccatum non est peccatum; 1 6: Homo facit mortalis pec- cati actum sine peccato; vgl. auch I 94: Ita deificitur de salute aliquis. quod peccata ei nocere non possint; I 61: Nihil est peccatum nisi quod. reputatur peccatum. ’ I. 400. um sich ausschließlich und unaufhörlich dem Gebet hinzu- geben.” Diese Entwertung alles tätigen Wirkens zugunsten des religiösen, beschaulichen Lebens findet sich auch bei den Ketzern im Ries wieder,'”’ aber sie steigert sich bei ihnen zur Gleichgültigkeit auch gegenüber allen Werken der Tugend, die bedeutungslos werden für das religiöse Leben,''' und sie mün- det in eine Gelassenheit des mit Gott geeinten Menschen gegen- über allem, was ihm geschieht; eine Unberührbarkeit durch Gutes und Böses; eine Hingabe alles eigenen Wünschens und Wollens an den Wilien Gottes und an das Geschehen, das durch seinen Willen bestimmt ist.” Liegt es schon hier nahe, an Meister Eckharts Lehre von der Gelassenheit zu denken, die sich oft in ganz ähnlichen Aussprüchen äußert,’ so weist vollends der letzte Grad dieses Aufgehens in Gott in den Aus- 169. S. o. S. 388 Anm. 70. 170. II 66: Quod boni homines non debent insistere laboribus, sed macare et videre quam bonus et suavis est dominus; vgl. II 17: Quod ora- tiones non valent que fiunt infra opera hominum. 171. I 85: (Dicunt)... virtutibus non provehi nec peccatis impediri. 172. II 22: Quod homo de malo tantum gaudeat quantum de bono (et de omni quod acciderit ei), quia deus ita preordinavit,; II 23: Quod boni homines non (timeant nec) doleant, si incidant in peccata qualiacumque, quia deus sic preordinavit, nec talis preordinatio decebat impediri (oder: et quia predestinationem nullus debet impedire); Il 35: Quod non sit oran- dum pro serenitate vel aliis, que deus sic preordinavit; I 68: de morte patris et matris non est dolendum nec pro animabus eorum orandum, I 8: non debent suffragia fieri pro animabus determinatarum personarum, sed ülis, quibus deus cupit. 173. Ich weise nur auf wenige Stellen hin: Reden der Unterscheidung ed. E. Diederichs S. 20: Ja, der recht wer geseczt in den willen gotz, der solt nit wöllen, die sünd, da er ingevallen was, daz des nit geschehen wer; ebd. S. 6: In dem aller besten gebet, das der mensch mag gebetten, sol nit sin weder: „gib mir die tugent oder die wise“ oder: „ja, herre, gib mir dich selber oder ewigs leben“, dann: „herre, gib nit, dann das du wiltt, und tu, herre, was und wie du wilt in aller wise“. Buch der göttlichen Tröstung ed. Ph. Strauch S. 14: Ein sogetaner mensch ist so ein unt einwillig mit got, das er alles das wil das got wil unt in der wise so es got wil. unt darumb, wann got denn etliche wise wil, das ich ouch sünde han getan, so woelt ich nit, das ich si nit hetti getan. wann so wirt gottes wille in der erden, das ist in missetat, als in dem himele, das ist in wol- tunne. Vgl. den 14. Satz der Eckhart-Bulle Johanns XXII. vom 29, März 1329, ALKG II S. 636. — 30 ° — sagen der Rieser Ketzer deutlich auf die Lehren der spekula- tiven Mystik hin und wird erst aus ihnen recht verständlich. Die Vergottung des Menschen kann so weit führen, daß er „Gottes nicht mehr bedarf‘; den höchsten Grad religiöser Vollkommen- heit erreicht der Mensch erst dann, wenn er „Gott um Gottes willen läßt‘, wenn er über Gott hinauisteigt auf den „Gipfel der Gottheit"; erst in dieser letzten Vereinigung mit der „Gottheit” fallen alle Normen und Bindungen seines Tuns von ihm ab.'® Alle diese Aussagen sind in der zusammenhanglosen Form der Ketzerverhöre kaum verständlich. In den mystischen Schriften und Predigten am Anfang des 14. Jahrhunderts und besonders bei Meister Eckhart'”° finden sich dann aber ganz ähnliche Lehren wieder als Gipfelpunkte mystischer Spekulation. Man darf freilich nicht versuchen, die Aussagen der Ketzer im Ries mit Hilfe späterer mystischer Lehren zu einem zusammen- hängenden Gedankengefüge oder gar zum „Lehrsystem“ einer Sekte zu ergänzen und sie dadurch verständlich zu machen. Denn gerade das theologische System und die spekulativen Lehren der deutschen Mystiker sind eben nicht die Grundlage, der Ausgangspunkt und Quellgrund,'”° sondern die gedankliche 174. I 74: Homo potest fieri deus et deo non indigere; I 11: aliquis venit ad hoc, quod deo non indigeat; I 19: Homo non est bonus nisi dimit- tat deum propter deum; I 70: Quod homo super deum possit ascendere; II 30: Quod sunt in apice divinitatis I 72: Ei, qui admittitur ad amplexus divinitatis, datur potestas faciendi quod vult. 175. Vgl. Buch d. göttl. Tröst. S. 14f., 25; Reden der Unterscheidung 8.18: Es ist kein rat als gut, got ze finden, dann wa man got last; ebd. S.42; Pfeiffer, Deutsche Mystiker II S.310: Daz hoehste unde daz nehste daz der mensche gelazen mac, daz ist, daz er got dur got laze; ebd. S. 283 und J. Quint, Deutsche Mystikertexte I S. 37. Vgl. vollends die dem Meister Eckhart zugeschriebenen Predigten bei A. Jundt, Hist. du pantheisme populaire S. 275ff.: die geistlich Armen habent nit allein gegeben fründen und mage, ere, leib, sele und guot, me si sind zemal ledig aller guoter wercke, si haltent weder boesz noch guotes, wann das ewig Wort das würcket die werck; die göttlich Armen sind nit allain ir selbes ledige, me si sind och gotes ledige und sind sein als recht ledige, das er chain stat vindet in in, da er würcken muege.. Hie sind alle men- schen ain mensch und derselb mensch ist Cristus. 176. So meint es G. The&ry, Contribution ä l’hist. du proces du maitre Eckhart, 1926, wenn er Eckharts mystische Kühnheiten alle als dialektische ut. "oe Rechtfertigung und der Versuch einer theoretischen Einordnung und theologischen Bewältigung jener religiösen Erfahrungen, die zuerst in der Erlebnismystik der religiösen Frauenbewegung erwachsen sind. Gerade deshalb aber sind die Aussagen der Ketzer im Ries für das geschichtliche Verständnis der deutschen Mystik so wichtig, weil in ihnen bereits die Leitmotive der mystischen Spekulation aufklingen, ohne noch in ein scholasti- sches Lehrgebäude gefaßt und auf die kirchlich-rechtgläubige Theologie eingestimmt zu sein. Diese Auffassung der Ketzerei im Ries findet eine be- merkenswerte Bestätigung durch die Verurteilung der Begine Margarete Porete aus dem Hennegau. Sie hatte ein Buch ge- schrieben,'”" das um die Jahrhundertwende, vor 1305, vom Bi- schof von Cambrai verurteilt und verbrannt worden war. Sie hatte es aber trotzdem weiter verbreitet unter Begarden und andere ungelehrte Leute, hatte es auch dem Bischof von Chälons geschickt und wurde deshalb vor den dominikanischen Inquisi- tor von Paris zitiert. Ein Ausschuß von Theologen erklärte in einem Gutachten ihr Buch abermals für häretisch; ein Aus- schuß von Kanonisten stellte fest, daß sie infolgedessen als rückfällige Ketzerin zu gelten habe, und am 31. Mai 1310 wurde sie in Paris auf dem Gröve-Platz verbrannt.‘ Wir kennen leider nur zwei Sätze aus dem Buch dieser Begine, aber sie sind aufschlußreich genug. Sie sprechen von der anima annihilata, Überspitzungen scholastischer Lehren auffaßt; ähnlich H. Denifle, ALKG I S. 417ff., wenn er Eckharts Mystik aus Mißverständnissen der scholastischen Seinslehre erklärt. Beide Ansichten werden dadurch wider- legt, daß ähnliche mystische Gedanken schon vor Eckhart in religiösen Kreisen vertreten worden sind, bei denen dialektische Überspitzung. und scholastisches Mißverständnis nicht in Frage kommt. 177. Wahrscheinlich lateinisch, denn es ist nirgends erwähnt, daß es in einer anderen Sprache geschrieben sei; spätere Chronisten behaupten, sie habe auch die heilige Schrift übersetzt, s. u. S. 471 Anm. 67. 178. S. das Protokoll des Inquisitions-Urteils gegen Margarita de Han- nonia dicta Porete und das Gutachten der Pariser Kanonisten vom 30. Mai 1310 bei Frederieg IS. 156ff.; in dem Gutachten wird sie Beguina genannt und ihr vorgeworfen, sie habe ihr Buch nach der ersten Verur- teilung pluribus aliis personis simplicibus, Begardis et aliis zu lesen ge- geben. 2. SD vi die nicht mehr dem Gesetz der Tugenden untersteht, weil viel- mehr alle Tugenden ihr zu Diensten sind; die auch nicht um göttliche Gaben und Tröstungen bemüht ist, weil dadurch nur das völlige und ausschließliche Gerichtetsein der Seele auf Gott gestört würde.'”” Diese Sätze der Begine, wahrscheinlich wört- lich aus ihrem Buch entnommen, berühren sich sehr nahe mit Aussprüchen der Ketzer im Ries und gehen unverkennbar aus demselben: Gedanken hervor, daß durch das völlige Aufgehen ger Seele in Gott alle menschlichen Bindungen, auch alle ethi- schen Normen, und ebenso alle Wünsche nach irgendeinem Be- sonderen, sei es auch eine göttliche Begnadung, aufgehoben, ent- wertet, „vernichtet”‘ werden. Andererseits könnten die beiden Sätze, die — nach dem theologischen Gutachten zu schließen — den Ausschlag gaben für die Verurteilung der Begine Marga- rete, ebensogut von Meister Eckhart sein, obgleich es so gut wie ausgeschlossen ist, daß Margarete Porete eine „Schülerin Eck- harts war. Ein zeitgenössischer Chronist aber gibt die ver- urteilte Lehre mit anderen Worten wieder, wahrscheinlich nur, um sie seinen Lesern zu verdeutlichen,’ und dabei zeigt er erst recht den engen Zusammenhang dieser mystischen Spekula- tion einerseits mit der Minnemystik, andererseits mit dem Anti- nomismus der mystischen Gotterfahrung. Bei der Wiedergabe von Ketzeraussagen in Inquisitionsprotokollen und bei den Chronisten ist diese mystische Lehre stets entstellt und ver- zerrt, als habe sie alle Schranken gegen Trieb und Laster niederreissen wollen. Wo wir aber, wie bei Margarete Porete, 179. S. das Gutachten der Pariser Theologen vom 31. April bei Frede- ricq II 8.63; der Inquisitor hat den theologischen Magistern Auszüge aus Margaretes Buch vorgelegt, von denen aber das Gutachten nur zwei anführt, den ersten: Quod anima adnichilata dat licentiam virtutibus nec est amplius in earum servitute, quia non habet eas quoad usum, sed vir- tutes obediunt ad nutum; und den fünfzehnten: Quod talis anima non curat de consolationibus dei nec de donis eius, nec debet curare nec potest, quia tota intenta est circa deum, et sic impediretur eius intentio circa deum. 180. Fortsetzung der Chronik Wilhelms von Nangis, Fredericg | S. 160: Quod anima annihilata in amore conditoris sine reprehensione consciencie vel remorsu potest et debet nature quidquid appetit et desi- derat concedere. — 33 — auch nur einige Sätze aus dem Munde der „Ketzer' selbst haben, spricht aus ihnen mystischer Ernst und religiöse Lauterkeit. Die Zeitgenossen sind in den Jahrzehnten um 1300 all- mählich immer mehr auf die Verbreitung dieser mystischen Lehren aufmerksam geworden. Albert d. Gr. soll in seinem Handbuch zu dem Gutachten über die Ketzerei im Ries bemerkt haben, ähnliche häretische Anschauungen seien zu seiner Zeit auch in Köln aufgetreten;'*' aber darüber fehlen weitere Nach- richten. Auf dem Provinzialkapitel der Franziskaner in Kolmar wurden 1290 von dem Basler Minoriten-Lektor zwei Beginen und zwei Begarden festgenommen, weil sie als Ketzer verdäch- tig waren; ebenso einige in Basel.’ Wahrscheinlich bekannten sie sich zu ähnlichen Überzeugungen wie die Ketzer im Ries, wie die Begine Margarete Porete und wie die herumziehenden Begarden und Beginen, gegen deren Rechtgläubiskeit sich seit der Jahrhundertwende immer schärfer der Argwohn der Kirche richtete. Ganze Schären bettelnder Begarden fanden sich in dieser Zeit auf jedem Provinzial-Kapitel der Bettelorden ein,’ ohne in einem bestimmten Verhältnis zu den Orden zu stehen; '** 181. Johannes Nider, Formicarius III 5, ed. Colvener S. 214: Repper: in libro manuali, quem pro sua persona per totum dominus Albertus manu conscripsit propria, se eadem annotasse, videlicet quod suo tempore in Colonia fuit eadem heresis. 182. Annales Colmar. MGSer. XVII S.217 zu 1290: Lector fratrum mi- norum de Basilea fecit capi in Columbaria in capitulo suo duas beginas et duos begardos et in Basilea plures, quos hereticos reputabat. 183. Annales Colmar. ib. S. 227 über das Provinzial-Kapitel der Do- minikaner in Basel im September 1302: In hoc capitulo fuerunt conversi seu begihardi seu fratres non habentes domicilia LXXX in una proces- sione mendicantes cibaria; außerdem sollen 570 (oder nach der Ausgabe der Kolmarer Annalen von G&rard-Liblin, 1854, S. 190: 500) Brüder auf dem Kapitel anwesend gewesen sein, eine unwahrscheinlich hohe Zahl; vgl. Galbraith, The Constitution of the Dominican Order S.62ff. — Über das Minoriten-Kapitel in Kolmar im Mai 1303 sagt der Kolmarer Chronist: Comparuere illic centum quinquaginta fratres; conversi seu begi- hardi XXX bini et terni in processione per Columbariam transeuntes ely- mosinam mendicabant; so steht in der Ausgabe von G&rard-Liblin S. 196f. und Böhmer, Fontes rer. Germ. II S. 40f.; nach derselben Hs. schreibt Jaff& in MGSer. XVII S. 228 die Zahl 300 statt XXX; das ist wahrscheinlich ein Irrtum. 184. Vgl. G. Bihl, AFH XIV S. 169. — Das General-Kapitel der Do- Ba, 1.9008 aber bis in die ersten Jahre des 14. Jahrhunderts sind weder von der Kirche noch von den Orden durchgreifende Maßregeln gegen sie ergriffen worden. Dann erst, über 30 Jahre nach der Ketzerei im Schwäbischen Ries und nach dem Lyoner Konzil, schritt die Kirche gegen die bettelnd herumziehenden Begarden und Beginen ein, deren Treiben gegen die Ordnungen der Kirche verstieß und deren religiöse Lehren die Rechtgläubigkeit ge- fährdeten. Eine Kölner Synode ging 1307 mit dem Verbot voran, eine Mainzer Synode tolgte ihrem Beispiel. Der Kölner Erz- bischof hat das Verbot mit drei Argumenten weitschweifig be- gründet.'° Erstens macht er geltend, daß sie keine approbierte Regel befolgen und keinem Orden angehören, trotzdem aber in. einer eigenen Tracht eine besondere Lebensweise führen und nicht mehr wie früher von der Arbeit ihrer Hände leben, son- dern unter dem Vorwand des Armutsideals im Land herum- ziehen und Almosen sammeln, die nur den wirklich Bedürftigen zukommen sollten. Zweitens war es vorgekommen, daß sie Dominikanern und Franziskanern während der Predigt öffent- minikaner in Bologna 1302 (MOPH III S. 315) warnt ausdrücklich, ze_stu- dentes in generalibus studüs se occupent in beguinarüs aut familiaritati- bus notabilibus mulierum. 185. Das Statut bei Mosheim, De beghardis S. 211ff.; Hartzheim IV S.100ff.; Fredericq IS. 150ff. Vgl. dazu J. Asen, Annalen OXI S.105£. 186. Quidam... laici mares et femine, idiote prorsus ad illicita frena lazantes superstitiosis adinventionibus satagunt invenire novos ritus et habitus sive mores in discrimen multorum, cum scandalum et discordiam plerumque pariant novitates, novumque vivendi modum et habitum sub paupertatis umbra tenentes Beggardi et Beggarde et Apostoli videlicet vulgariter appellati, contra sanctorum. patrum et sedis apostolice sanctiones questum publicum via prohibita mendicantes, victualia manibus querere, prout consueverant, non curando, in religiosorum... discrimen christiane religionis et orthodoxe fidei detrimentum. — Wegen dieser Worte und der späteren Aufforderung des Statuts: resumpiogue priori mensis spatium habitu huiusmodi assumpto dimisso resumptoque prior: ad genus vivendi pristinum revertantur, manibus vite mecessaria justis (ut solebant) laboribus acquirentes, hat man immer geglaubt, man dürfe diese Begarden für „Handwerker und Tagelöhner“ halten. Davon kann keine Rede sein. Es ist vielmehr gemeint, die Begarden und Beginen sollen nicht mehr vom Bettel, sondern wie früher von Handarbeit leben, wie es in allen geregelten Beginen- und Begardenhäusern geschah. = lich widersprochen und sich dadurch häretisch verdächtig ge- macht hatten.’ Drittens legt er ihnen auch eine Reihe be- stimmter ketzerischer Anschauungen zur Last, die größtenteils den Anspruch der Begarden betreffen, ihre Lebensform und nur sie führe zu sündloser Gerechtigkeit und Vollkommenheit und entbinde sie dadurch vom Gehorsam gegen die Satzungen und Forderungen der Kirche.‘ Anscheinend lagen der Kölner Synode nicht bestimmte häretische Aussagen vor, Ergebnisse eines Ketzerprozesses, sondern sie wollte nur auf die unter den bettelnd herumziehenden Begarden und Beginen verbreiteten Irrlehren hinweisen, um ihrem allgemeinen Verbot größeren Nachdruck zu geben. Die Mainzer Synode von 1310 erwähnte nichts von der- artigen Ketzereien, aber sie hat ganz im gleichen Sinn bei Strafe der Exkommunikation allen Begarden und Beginen verboten, in besonderer Tracht bettelnd durch die Straßen der Städte und Dörfer zu ziehen und öffentlich oder in geheimen Versamm- lungen zu predigen.' 187. Eorum aliqui, laici litteras nescientes, Predicatoribus et Minoribus in sermonibus eorum et predicationibus publicis non sine vehementi sus- picione pravitatis heretice publice restiterunt. 188. De quibus aliqui a veritatis et fidei orthodore comperti sunt tramite deviare et errores et zizania seminare.. Mendaciter enim et falso dicunt: Qui non sequitur me, non potest salvari, quia non soleo peccare, se ex hoc divinitati similes mentientes; ..justos se esse et sine peccato jactantes; ..forte dicunt: Qui spiritu dei aguntur, non sunt sub lege; ..di- cunt quod hoc celitus sit eis revelatum. — Feruer eine These aus den An- schauungen der religiösen Frauenbewegung: Aiunt etiam, nisi mulier vir- ginitatem in matrimonio deperditam doleat et dolendo deploret, salvari non potest;..Horum etiam aliqui dicunt, quod quilibet habens uzorem legitimam, causa sequendi deum propria voluntate eam invita ea possit dimittere. Außerdem wird ihnen aber dieselbe Lehre vorgeworfen wie den Ketzern im Ries: simplicem fornicationem non esse peccatum (vgl. o. S. 427 Anm. 163). Der Satz: blasphemant deum fore in quadam perditione ist mir unverständlich. 189. Hartzheim IV S. 200f.: Sectam et habitum necnon conventi- cula suspicione mali non vacua beghardorum clamantium per vicos et pla- teas civitatum, oppidorum et villarum hoc vwulgare „Brod durch Gott“ nec- non quaslibet alias singularitates a sancta dei ecclesia non receptas colen- tium reprobamus in hoc sacro concilio et damnamus, mandantes sub pena suspensionis universis plebanis per civitates, dieceses et provinciam Mo- a Sr Als dann das allgemeine Konzil in Vienne 1311/12 unter Clemens V. wiederum die Reform der Kirche in Angriff nahm, wurde wahrscheinlich auf den Antrag der deutschen Bischöfe das Beginentum, der status beguinagii überhaupt verboten mit der Begründung, es sei kein Orden und die Beginen keine religiosae, keine Angehörigen des Mönchsstandes, weil sie weder ein Gehorsamsgelübde ablesen noch auf Privateigentum verzichten noch eine approbierte Regel befolgen; durch die unter ihnen verbreitete bedenkliche Neigung, über religiöse und theologische Fragen, über die Trinität und das Wesen Gottes, den Glauben und die Sakramente zu disputieren und zu predi- gen, werde außerdem die katholische Rechtgläubigkeit zersetzt und bedroht. Man scheint sich aber auf dem Vienner Konzil — anders als 40 Jahre zuvor in Lyon — darüber klar gewesen zu sein, daß sich die hundertjährige Entwicklung des Beginen- tums nicht einfach durch ein allgemeines Verbot ungeschehen machen ließ; man schränkte es deshalb dahin ein, es solle from- men Frauen nicht verboten sein, ehrbar in Gemeinschafts- häusern ein bußfertiges Leben zu führen.!” Andererseits wur- den in einem besonderen Erlaß Clemens’ V., gleichfalls mit Zu- stimmung des Konzils, die Irrlehren der Begarden und Beginen guntinensem constitutis, ut tales Beghardos aut Bicornos publice tribus dominicis diebus et festivis admoneant, quos et nos presentibus admone- mus, ut huiusmodi singularitalibus derelictis se teneant sicut alü Chri- stiani et quod non predicent in cameris vel alüs locis publicis vel secretis et cum Beginis se conformantibus eisdem in moribus, habitu et incessu. Alioquin extunc ipsos extra terminos suarum parochiarum per ezcommuni- cationis sententiam auctoritate huius concilü repellentes non admit- tant..(?). Idem de Beginis predictis pestiferis duximus statuendum. — Zur Datierung vgl. H. Finke, Konzilienstudien S.38f.; auf derselben Synode wurden die früheren Beginenverordnungen der Mainzer Provinz (s. o. S. 330£.) wiederholt, die sich auf die arbeitsam in ihren Häusern lebenden Beginen beziehen. 190. Clement. II tit. 11 c. 1 „Cum de quibusdam“; Mosheim, De beg- hardis S.621f£.; Fredericq I S.167f. Der Schluß heißt: Sane per pre- dicta prohibere nequaquam intendimus, quin si fuerint fideles alique mu- lieres, que promissa continentia vel etiam non promissa honeste in suis convesantes hospitis penilentiam agere voluerint et virtutum domino in humilitatis spiritu deservire, hoc eisdem liceat prout dominus ipsis in- spirabit. — 437 — in Deutschland aufgezählt und verdammt; die „Sekte der Be- garden und Beginen”, die diese Irrlehren glauben und ver- breiten, soll durch Bischöfe und Inquisitoren bekämpft werden.'"! Diese Gesetzgebung Clemens’ V. und des Vienner Konzils von 1311/12 gegen die Beginen und Begarden bedeutete keines- wegs den Abschluß der Geschichte des Beginentums, Sie war in sich so widerspruchsvoll und ließ klare Richtlinien für eine Neu- ordnung des Beginentums so sehr vermissen, daß sich erst in jahrzehntelangen Auseinandersetzungen eine Klärung und Scheidung vollziehen konnte zwischen dem rechtgläubigen Be- ginentum, das sich großenteils der Leitung und Aufsicht der Bettelorden unterstellte, und jenem ketzerischen Beginentum, das auf dem Vienner Konzil verurteilt worden war. Die Vien- ner Beschlüsse aber bilden einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der religiösen Bewegung in Deutschland. Wie hundert Jahre früher die Politik Innozenz’ III, die religiöse Armuts- und Wanderprediger-Bewegung vor die Entscheidung gestellt hatte, sich in die Ordnungen der Kirche einzufügen oder als Ketzerei dem schärfsten Kampfe der Kirche ausgesetzt zu sein, so zwangen die Maßnahmen des Vienner Konzils die Be- garden- und Beginenkreise endgültig zur Stellungnahme, ob sie aus der freien, ungeregelten Bewegung zu beständigen, geord- neten Lebensformen übergehen und sich den kirchlichen Vor- schriften fügen wollten. Diese Frage betraf aber nicht nur die Organisationsformen, sondern an ihr mußte es sich auch ent- scheiden, ob sich das religiöse Denken und die mystische Speku- lation zügeln ließ durch die theologischen Normen der kirch- lichen Orthodoxie. Wie es nicht die Aufgabe der Bettelorden gewesen war, die religiöse Bewegung in Europa und besonders in Deutschland erst zu entfachen, sondern sie in kirchliche Bah- nen zu lenken und in geordnete Formen zu fassen, so haben die Bettelordens-Theologen seit dem Ende des 13. Jahrhunderts nicht mystisches Leben erst wecken, sondern sie haben es leiten müssen in die Gleise der kirchlichen Rechtgläubigkeit. Und 191. Clement. lb. V tit. 3 c. 3 Ad nostrum; Mosheim S. 618; Fre- derieq I S.168f. Vgl. Ewald Müller, Das Konzil von Vienne, 1934, S. 577 ff. — 48 — wie im 13. Jahrhundert die Bettelorden die schärfsten Gegner der häretischen Armutsbewegung geworden sind, so haben seit dem Vienner Konzil die Vertreter der „rechtgläubigen Mystik" den heftigsten Kampf gegen die häretische Mystik der „freien Geister” aufgenommen. Immer aber werden diese Vorgänge erst dann ganz verständlich, wenn man das Gesamtbild der religiösen Bewegungen ins Auge faßt, aus deren gemeinsamer. Antrieben sich ebenso die Ketzerei wie die neuen Orden, ebenso die Irrlehren der Begarden und der „Brüder des freien Geistes” wie der Tiefsinn der „deutschen Mystik" entwickelt haben. VII. Die Entstehung des religiösen Schrifttums in der Volkssprade. Im Zusammenhang mit den religiösen Bewegungen des 13. Jahrhunderts entwickelte sich eine religiöse Literatur in der Volkssprache, die ihren Höhepunkt in der sogenannten Deut- schen Mystik am Anfang des 14. Jahrhunderts erreichte. Pre- digten und Gebete, religiöse Betrachtungen und theologische Erörterungen, Aufzeichnungen religiöser Erlebnisse und Visio- nen in der Volkssprache treten im Verlauf des Jahrhunderts vor allem in Deutschland in den Vordergrund und drängen die welt- liche Poesie, der die vorangehende Zeit gehört hatte, zurück. Die Sprache wird dabei vor neue Aufgaben gestellt und gewinnt neue Möglichkeiten, die ihren Wortschatz und ihre Ausdrucks- formen nachhaltig bestimmt und außerordentlich bereichert haben. Daß diese Entwicklung in Schrifttum und Sprache mit Wandlungen des religiösen und kirchlichen Lebens zusammen- hängt, ist nie bezweifelt worden. Will man aber diese Zu- sammenhänge aufzeigen und verständlich machen, so darf man sich nicht mit den allgemeinen Vermutungen und Behauptungen begnügen: ein „neu erwachtes religiöses Gefühl‘ habe seinen Ausdruck in der Muttersprache gesucht; oder die religiöse Welt habe damals breiteren Volksschichten erschlossen werden sollen. zu denen darüber nicht in einer ihnen fremden Sprache geredet werden konnte; oder gar: eine Abkehr von spitzfindig gelehrter Scholastik und eine Wendung zu unmittelbarer Frömmigkeit sei Hand in Hand gegangen mit einer Abkehr von der lateinischen Kirchensprache und einem Bekenntnis zur Unmittelbarkeit der Volkssprachen. Mit solchen Erfindungen mehr oder weniger a) wahrscheinlicher, aber unbestimmter und in der geschichtlichen Welt nicht aufweisbarer Beweggründe ist dem geschichtlichen Verständnis der wirklichen Vorgänge wenig gedient, Es gilt vielmehr zu fragen, aus welchen besonderen Verhältnissen die volkssprachliche religiöse Literatur erwachsen ist und was die Eigenart dieses Schrifttums bestimmt hat. Vor den Laien ist in der christlichen Kirche von jeher in der Volkssprache gepredigt worden." Im Zeitalter der liturgi- schen Frömmigkeit waren allerdings die Predigten ein nicht sehr wesentlicher Teil des Gottesdienstes. Ihr Gehalt er- schöpite sich fast völlig in der Wiedergabe und Verarbeitung patristischer Überlieferung und ihre Wirkung erschöpfte sich im gesprochenen Wort des Predigers. Sie wvurden nicht aufge- schrieben, oder doch nur von Klerikern für Kleriker, die sie bei ihrer eigenen Predigertätigkeit verwenden wollten, Sie wurden nicht verbreitet und nicht gelesen. Sie wurden nicht zu „Litera- tur”, Auch wer in der Volkssprache zu predigen hatte, bediente sich dazu lateinisch geschriebener Hilfsmittel. Sogar die Ent- würfe zu eigenen volkssprachlichen Predigten schreibt der Klerus in lateinischer Sprache nieder. Aufzeichnungen von Predigten in der Volkssprache, die wir schon aus dem 12. Jahr- hundert kennen, sind ebensowenig wie die viel zahlreicheren lateinischen Predigtsammlungen zur Lektüre für die Gläubigen bestimmt, sondern nur ein Notbehelf, um wenig gebildeten und viel beschäftigten plebeis et popularibus presbyteris die Vorbe- reitung ihrer Predigten zu erleichtern.’ 1. Vgl. C. Schmidt, Über das Predigen in den Landessprachen; Theol. Stud. und Krit. XIX, 1846, S. 243ff.; Cruel, Gesch. der deutschen Predigt S. 217, Linsenmayer, Gesch. der Predigt in Deutschland 3. 10, 14, 36ff.; Lecoy dela Marche, La chaire frangaise au Moyen Ag» Ss. 233 ff., L. Bourgain, La chaire francaise au XIIe siecle S. 169 ff. 2. 8. die lateinische Vorrede der deutschen Predigtsammlung des Priesters Konrad, des einzigen namentlich bekannten Verfassers einer solchen Sammlung aus dem 12. Jahrh. bei J. Schmidt, 9. Jahresber. d. k. k. Staatsgymn. im 3. Bez. in Wien, 1818 S.1ff.; LinsenmayerS. 286, 53ff. und 245ff. Der älteste Beleg für eine solche Sammlung ist die Notiz im Hss.-Verzeichnis von S. Emmeran in Regensburg aus dem 10. Jahrh.:: Sermones ad populum teutonice, ss Naumann, Serapeum 1841 S. 261. Me un Wie von jeher in der Volkssprache gepredigt, so ist natür- lich auch immer in der Muttersprache gebetet worden. Aber auch diese Gebete erfüllen nur das fromme Bedürfnis des Augenblicks und verwandeln sich nicht wie die lateinischen Gebete in Literatur. Wenn neben der Masse lateinischer Gebet- bücher auch einige schriftliche Aufzeichnungen deutscher Ge- bete erhalten sind, so ist das besonderen Umständen und glück- lichen Zufällen zu verdanken; das einzige deutsche Gebetbuch des früheren Mittelalters von einiger Bedeutung ist bezeich- nenderweise für eine Frau, vielleicht auch von einer Frau zu- sammengestellt worden.” In den allgemeinen religiösen Ver- hältnissen aber lag kein Bedürfnis nach volkssprachlicher Er- bauungsliteratur, nach Lektüre und frommem Gebrauch von Predigten, Gebeten, religiösen Betrachtungen begründet. Die religiöse Dichtung nimmt eine Sonderstellung ein; sie will zweifellos religiöse „Literatur an Latein-Unkundige ver- mitteln, aber nicht durch „Lektüre, sondern durch Vortras. Sie ist von Klerikern geschaifen, die den religiösen Stoff in Verse bringen, damit er in Kreisen vorgetragen werden kann, die nicht lesen, Gerade daraus wird deutlich ersichtlich, warum der lateinischen Prosaliteratur keine gleichartige, gleichwertige volkssprachliche Erbauungsliteratur zur Seite steht. Der Unter- schied der Bildungsformen zweier ständischer Schichten zeich- net sich gerade in den Vermittlungsversuchen am schärfsten ab. Wer zum Klerus und zum Mönchtum gehört, kann lesen, und das heißt: lateinisch lesen; alles was zum Lesen geschrieben wird, das heißt alle Prosa, ist daher lateinisch. Die Laien da- gegen lesen nicht, sie hören zu, und was sie hören sollen, muß in ihrer Sprache gesprochen sein. Soweit es Prosa ist — die Predigt — vergeht es mit dem Klang der Stimme; die Dichtung, der die Kreise höheren Lebensstils zuhören, bleibt erhalten, weil sie immer wieder zum Vortrag kommen soll, aber auch sie ist 3. Gebetbuch von Muri aus dem 12. Jahrh. s. Fr. Wilhelm, Denk- mäler deutscher Prosa n. XXIX S. 73 ff., dazu Kommentar S. 161f.; s. auch n. XXVIH, XXX und XXXI S. 69ff., 87ff. und 96ff., dazu Kommentar S. 157ff., 178 und 191. Auch sonst sind in deutscher Sprache aus dem 12. Jahrh. meist Frauen- und Nonnengebete erhalten, ss Ehrismann, Gesch. der deutschen Literatur II, 1 S. 169 ff. en) — nicht Lese-, sondern Vortragsliteratur. Infolgedessen gibt es keine religiöse Prosaliteratur in der Volkssprache, die der massenhaft geschriebenen und gelesenen religiös-theologischen Literatur in Latein entspräche, keine populär-theologischen Werke, keine Erbauungsschriften, keine Predigtsammlungen zur Lektüre für den Einzelnen, und keine Übertragung der heiligen Schrift. Ein volkssprachliches Schrifttum dieser Art konnte und mußte erst dann entstehen, wenn sich zwischen Laien und Klerus eine neue Schicht bildete, die wie der Klerus religiöse Schriften, Predigten, Gebete und nicht zuletzt die Heilige Schrift selbst lesen oder gar selbst schreiben wollte, aber wie die „Laien“ sie nicht in Lateinisch lesen oder schreiben konnte: die Durchbrechung der strengen Scheidung zwischen dem lateinisch gebildeten Klerus und dem Laientum in den religiö- sen Bewegungen des 12. und 13. Jahrhunderts war die Voraus- setzung und die Grundlage für die Entstehung einer religiösen Literatur in der Volkssprache.‘ 1. Wanderpredigt und religiöse Literatur. Vielfach hat man angenommen, diese Voraussetzungen seien zuerst in den Kreisen der religiösen Bewegung des 12, Jahr- hunderts erfüllt gewesen, die mit dem Anspruch der apostoli- schen Nachfolge die kirchlich-hierarchische Ordnung durch- brachen, und hätten hier zur Entstehung einer volkssprachlichen religiösen Literatur geführt. Aber der geschichtliche Befund spricht gegen diese Vermutung. Die häretischen Wanderpredi- ger, die das Amt der apostolischen Predigt für sich in Anspruch nahmen, ohne von der Kirche dazu ordiniert zu sein, standen ihren Gemeinden, den „Gläubigen”, zunächst nicht anders gegenüber als der katholische Klerus den Laien. Durch Predigt in der Volkssprache suchten sie für ihren Glauben zu werben und ihren Anhängern die wahre apostolische Lehre zu verkün- digen, Ein Lesepublikum aber, dem sie volkssprachliche Texte bieten konnten, fanden sie nicht vor. Tatsächlich ist auch nir- 4. Vgl. zum Folgenden den Überblick von H. Hajdu, Lesen und Schreiben im Spätmittelalter, 1931; auch meinen Aufsatz: Die Frauen und die Literatur im Mittelalter, der im Archiv für Kulturgesch. 1935 erschei- nen wird. BR gends bezeugt, daß die Katharer und Albigenser des 12, Jahr- hunderts eine religiöse Literatur in der Volkssprache geschaf- fen hätten, die den Gläubigen als Lesestoff und Erbauungs- lektüre diente. Eine andere Frage ist es, ob nicht die Ketzerprediger selbst, um auf Grund eigner Bibelkenntnis predigen zu können, volks- sprachliche Übersetzungen wenigstens der Heiligen Schrift brauchten. Wären diese Prediger durchweg oder größtenteils ungebildete, latein-unkundige Leute gewesen, so wären ihnen Bibelübertragungen als Grundlage ihrer Predigt unentbehrlich gewesen, Nun finden sich aber bis gegen das Ende des 12. Jahr- hunderts keinerlei Spuren solcher .Bibelübersetzungen in den Händen der Ketzerprediger. Schwerlich können sie vorhanden gewesen und benutzt worden, aber allen katholischen Beobach- tern entgangen oder von ihnen nicht erwähnt worden sein. Man darf also aus dem Mangel jedes Zeugnisses mit großer Wahr- scheinlichkeit schließen, daß die Katharer und Albigenser des 12. Jahrhunderts keine Bibelübersetzungen hatten. Ein großer Teil der katharischen Wanderprediger, der „Vollkommenen“, war zweifellos genügend lateinisch geschult, um sich eigne Bibelkenntnis ohne Übersetzungen zu erwerben. Die andern lernten vielleicht die wichtigsten Texte in den „Ketzerschulen” auswendig, wie es später von den Waldensern so oft berichtet wird.° So oft auch von der Verwendung biblischer Schriften, vor allem des Johannes-Evangeliums im Gottesdienst und bei den Riten (Consolamentum) der Katharer gesprochen wird,® nirgends ist doch dabei von Übersetzungen die Rede. 5. Kropatscheck, Schriftprinzip S. 152£., 26ff.; K. Müller, Waldenser S. 77 ff. — Man darf gewiß nicht das Vorhandensein von Bibel- übersetzungen bei den Katharern um 1178 allein daraus folgern, daß da- mals ein päpstlicher Legat nach einer Disputation mit Ketzern über deren mangelhafte Lateinkenntnis spottet (Roger von Hoveden), obgleich sie in der Bibel sehr bewandert waren; Lea-Hansen IS. 112. 6. Ch. Schmidt, Hist. des Cathares II S. 127ff.;, Döllinger, Beitr. II S.5, 28, 34, 37ff.; Guiraud, Cartulaire I S.CXX; Douais. Les heretiques du Comte de Toulouse 8. 158ff. — Berthold von Regensburg macht den Ketzern gerade daraus einen Vorwurf, daß sie nicht lesen können, sondern nur auswendig wissen, 8. A. E. Schön- bach, S.-B. Wien 147 V S. 43; 93ff. entsprechende Stellen aus Ermen- gardus Contra Catharos. Alle diese Zeugnisse stammen aus dem 19. —. ul Seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts werden freilich öfters Schriften der Katharer und Albigenser erwähnt. Aber diese Schriften sind wahrscheinlich keine Erbauungsliteratur für die „Gläubigen“, sondern ein apolosetisch-polemisches Schrift- tum, das in der Auseinandersetzung mit den katholischen Geg- nern entstanden ist,’ das daher auch lateinisch war. Nirgends ist gesagt, daß solche Schriften in der Volkssprache geschrieben waren.‘ Erhalten ist davon nichts. Von einer „ausgedehnten Jahrhundert. Erst am Anfang des 14. wird bezeugt, daß auch die Katha- rer (wie schon lange vorher die Waldenser) Bibelübersetzungen benutzen; s. Bernard Gui, Practica inquisitionis ed. Douais S. 242; ed. Mollat I S. 26: Legunt de evangelüs et de epistolis in vulgari, appli- cando et exponendo pro se et conira statum romane ecclesie. Vgl. auch die Aussagen in Inquisitionen der Jahre 1308/09 über die Evangelien und Paulusbriefe in romancio bei Molinier, Annales de la Fac. des lettres de Bordeaux V, 1883, S. 234 Anm. Die Aussage in einem anderen Prozeß i.J. 1320 über den Gebrauch des Johannes-Evangeliums de latino et ro- mano bei Molinier, Arch. des missions scientif. 3. ser. XIV, S. 290f. ist auch nieht mit Sicherheit auf Waldenser, sondern vielleicht auf Ka- tharer zu beziehen. 7. Wie z. B. in der Disputation von Montreal im Okt. 1206 der Ketzerführer, der Diakon (!) Arnald Hot, schriftliche Thesen vorlegte und dann eine Erwiderung auf die Gegenschrift Bischof Diegos von Osma verfaßte, beides sicherlich lateinisch; vgl. Petrus von Vaux-Cernai, Chron. ec. 3 (8..14f.). 8 Vgl. Molinier, Annales de la Faculte des Lettres de Bordeaux V, 1883, S. 226ff. Der Troubadour Robert, Dauphin der Auvergne und Graf von Clermont (7 1234), soll sich mit großen Kosten eine ganze Sammlung von Ketzerschriften angelegt haben, s. Stephan von Bourbon ed. Lecoy de la Marche S. 275ff. Salvus Burce in Piacenza schreibt 1235 sein Buch Supra-Stella als Gegenschrift gegen ein Ketzer: buch mit dem Titel Stella, s. Döllinger, Beitr. IIS.52.— Lucasvon Tuy (f 1249), De altera vita fideique controversiis adversus Albigenses III, 17 (geschrieben vor 1240; Bibl. max. vet. Patr., Lugdun. XXV S. 247f.) erwähnt einen französischen, in Spanien tätigen Ketzer Arnaldus als scriptor velocissimus, welcher corrupta sanctorum opuscula vendebat vel dabat catholicis und schließlich in Leon hingerichtet wurde; ferner II, 2 (S. 241) ein mit Schriftstellen und Philosophen-Zitaten argumentierendes Ketzerbuch Perpendiculum scientiarum. — Moneta, Adv. Catharos et Valdenses (geschrieben nach 1240) S. 2, 71, 79, 86, 94, 97 beruft sich für seine Kenntnis der Ketzerlehren auf ihre Schriften, besonders auf die Schriften cuiusdam heretici Tetrici nominee Rainer Sacchoni O.P,, Summa de Catharis et Leonistis (geschrieben 1250) hat ein umfangreiches . De Volksliteratur‘‘ der Katharer® kann also wenigstens vor dem 13. Jahrhundert nicht die Rede sein, selbst von dem „Keimen eines Bedürfnisses nach eigener Lektüre religiöser Schriften in der Schar der credentes‘’ ist nichts zu spüren. Man glaubt zwar eine „Katharer-Bibel” gefunden zu haben, eine Handschrift des Neuen Testaments in provengalischer Sprache aus dem Langue- doc (jetzt in Lyon), die zugleich das Bruchstück eines kathari- schen Rituals enthält (Ceremonien und Gebete). Aber dieses provengalische Neue Testament stammt frühestens aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, und die katharische Herkunft der Übersetzung steht nicht fest, höchstens die Benutzung durch Katharer läßt sich als wahrscheinlich ansprechen; auf keinen Fall aber ist die Übersetzung ohne waldensische Einflüsse in rein katharischen Kreisen entstanden und benutzt worden.'? Der Lyoner Kaufmann Waldes bleibt somit der erste, von dem wir mit Sicherheit wissen, daß er sich aus dem Bedürfnis nach eigener Bibellektüre und wegen seiner Unkenntnis des Lateinischen Übersetzungen biblischer Schriften herstellen ließ. Einer glaubhaften Überlieferung zufolge gab der Vortrag der Alexius-Legende durch einen Joculator den Anstoß zu seiner Bekehrung.'* Eine Dichtung, deren Vortrag den Laien schon unendlich oft den religiösen Stoff zur Kenntnis gebracht und zu Gemüte geführt hatte, traf plötzlich auf eine andere religiöse Haltung eines Menschen, der nicht mehr nur zuhörte, sondern den Sinn der Dichtung ernst nahm, sich von ihm ganz ergreifen und Buch des Ketzers Johaunes de Lugio in Bergamo benutzt, cuius eremplarium habeo et perlegi et ex illo errores supradictos eztrazi, 8. Martöne-Durand, Thes. nov. anecd. V S. 1773. 9. Lea-Hansen IS. 112. 10. H. Hajdu S. 6. 11. Im Facsimile veröffentlicht von Cl&edat; vgl. E. Reuss, Revue de Theologie V, 1852, S. 321 ff.; ders., Gesch. der Heiligen Schriften des Neuen Testaments S 4#5ff.; S. Berger, La Bible frangaise S. 35 ff. 12. Vgl. W. Förster, GGA 1888 S. 762ff.; Guiraud, Cartulaire I S. XXVII und CXXIf. hält die Handschrift für katharisch, aber aus einer Zeit, als die Lehrstrenge der Katharer erweicht ist und waldensische Einflüsse eingedrungen sind; E. Broeckx, Le Catharisme S. 200f. schließt sich dieser Meinung an. 13. Chron. anon. Laudun. ed. Cartellieri-Stechele S. 20. ze verwandeln ließ und zu eigner religiöser Tat durch ihn entzün- det wurde. Waldes hat dann nicht nur die Theologen gefragt nach dem vollkommensten Weg des Christen und ihrer Aus- kunft gemäß sich alles Eigentums entäußert, sondern er wollte auch selbst wissen, was in der Bibel steht. Da er nicht Latein konnte, ließ er sich auf eigne Kosten von zwei Klerikern die wichtigsten Bücher der Bibel und einige theologische Schriften übersetzen.’ Waldes wußte also auf jeden Fall nichts von älteren Übersetzungen, er hätte sonst müheloser seinen Wunsch erfüllen können. Diese Übersetzungen sind die Grundlage seiner apostolischen Predigt geworden. Aus ihnen hat er und die Ge- nossen, die sich ihm anschlossen, das Bibelwort gelernt und ver- breitet.” Als sie 1179 von Papst und Konzil die Erlaubnis für ihr apostolisches Wirken erbaten, legten sie auch diese Bibel- übersetzung vor, um sich über die Grundlage ihrer Predigt aus- zuweisen.'* Wie sich die Kurie zu diesen Übersetzungen stellte, ist nicht bekannt. Das war auch gleichgültig, da ohnehin den 14. Stephan von Bourbon ed. Lecoy de la Marche S. 291: Quidam dives rebus in dicta urbe dictus Waldensis audiens evangelia, cum non esset multum litteratus, curiosus intelligere quid dicerent, fecit pactum cum dic- tis sacerdotibus, alteri ut transferret ei in vulgari, alteri ut scriberet que üle dictaret; quod fecerunt. Similiter multos libros Biblie et auctoritates sanctorum multas per titulos congregatas, quas Sentencias appellabant. Que cum dictus civis sepe legeret et cordelenus firmaret, proposuit servare perfectionem evangelicam ut apostoli servaverant. — Stephan von Bour- bon ist hierfür ein sehr zuverlässiger Berichterstatter, weil er sowohl den Übersetzer als den Schreiber, deren Namen er nennt, gekannt hat und sich auf ihre Mitteilungen beruft. Nach einer anderen Quelle ließ sich Waldes übersetzen: Evangelia et aliquos alios libros de Biblia et etiam aliquas autoritates S. Augustini, Hieronymi, Ambrosü, Gregorü ordinatas per titulos, quas ipse et sequaces sui Sentencias appelarunt; Döllinger, Beitr. II S. 6; Bernard Gui, Pract. inquis. ed. Mollat I S. 34; vgl. David von Augsburg, De inquis. ed. Preger S$. 209. 15. Stephan von Bourbon ed. Lecoy de la Marche 8.291 f.: Officium apostolorum usurpavit et presumpsit, evangelia et ea que corde retinuerat per vicos et plateas predicando, multos homines et mulieres ad idem faciendum ad se convocando, firmans eis evangelia; quos etiam per villas circumjacentes mittebat ad predicandum. 16. Walter Map, De nugis curialium ed. James S. 60: Librum domino pape presentaverunt lingua conscriptum Gallica, in quo teztus et glosa Psalteri plurimorumque legis utriusque librorum continebantur. er -IBU Waldensern die Predigt verboten wurde, die Anerkennung der volkssprachlichen Bibel als Grundlage der Predigt also gar nicht in Frage kam. Als sich die Waldenser-Prediger auch in anderen Ländern betätigten, mußten natürlich auch Übertragungen der Bibel in andere Volkssprachen geschaffen werden." Während die katholischen Beobachter bei den Katharern nie volkssprach- liche Bibeln oder andere Schriften festgestellt haben, haben wir während des ganzen 13. Jahrhunderts zahlreiche Zeugnisse für dieses volkssprachliche Schrifttum der Waldenser. In Metz benutzten sie, wie Bischof Bertram 1199 an Innozenz III. be- richtete, in ihren Predigtversammlungen die Evangelien, die Paulusbriefe, den Psalter, die Moralia Hiob (Gresors des Großen) und mehrere andere Bücher in französischer Sprache."* Sie wurden auf Anordnung des Bischofs von Metz verbrannt.'” Drei Jahre später verordnete ein päpstlicher Legat in Lüttich, daß alle deutsch oder französisch geschriebenen „Bücher über die heilige Schrift" dem Bischof zu übergeben seien und erst nach dessen Durchsicht zurückerstattet werden sollten.” 1229 17. Vgl. W. Förster, GGA. 1888 S. 765. 18. S. o.S. 97ff. H. Suchier, Z. f. roman. Philol. VIII S. 418£f. Jostes, Hist. Jahrb. XI, 189%, S.7, 11ff.; Walther, Die deutsche Bibel- übersetzung des MA. S. 738ff. — Innozenz III. bat um Auskunft über die Männer, qui sacras scripturas taliter transtulerant, aut eorum, qui docent taliter jam translatas, quorum neutrum potest fieri sine scientia litterarum (MPL 214 Sp. 698). Weder Innozenz noch der Metzer Bischof durch- schauten den Zusammenhang der Metzer Sektierer mit den Waldensern. In Wahrheit darf man schwerlich nach einem besonderen Übersetzer fra- gen: es sind ohne Zweifel die Schriften, die sich Waldes hat übersetzen lassen, nur vermutlich ins Französische (wie später ins Deutsche) über- tragen. Von der Übersetzung der Moralia Gregors ist ein Exemplar er- halten, s. Suchier S. 422f.; S. Berger, La Bible frangaise S. 47 ff. Ob andere überlieferte Übersetzungen aus diesen Ketzerkreisen stammen, ist strittig, s. Berger S. 40ff.; Suchier S. 424. 19. Alberich von Trois-Fontaines, Chron. MGSer. XXIH S. 878. 20. 1202 Omnes libri romane vel theutonice scripti de divinis scrip- turis in manus tradantur episcopi, et ipse quos reddendos viderit reddat: s. Miraeus, Opera dipl. et hist. I S. 664; Wackernagel, Altdeutsche Predigten S. 347; Suchier a.a.0. S. 422. er gaBe untersagte eine Synode in Toulouse den Gebrauch biblischer Schriften durch Laien überhaupt, auch der lateinischen (mit Ausnahme der kanonischen lateinischen Gebetbücher) ”” Auf einem Reimser Konzil, 1230/1, das einen Waldenser verurteilte und verbrennen ließ, wurde verboten, künftig Bücher der hl. Schrift ins Französische zu übersetzen.” Bei den zur gleichen Zeit (1231) in Trier entdeckten Ketzern, unter denen auch Wal- denser waren, fanden sich deutsche Übersetzungen der Heiligen Schrift.” Die Verbote volkssprachlicher Bibellektüre durch Synoden in Tarragona (1233)”* und B&ziers (1246) waren wahr- scheinlich gleichfalls auf die Waldenserprediger gemünzt. Die katholische Ketzerpolemik des 13. Jahrhunderts stellte immer wieder fest, daß die Waldenser die Evangelien und die Apostel- briefe in der Volkssprache haben und ihrer Predigttätigkeit zu- grunde legen.” Aber diese ganze Literatur, Übersetzungen aus der Bibel und einigen theologischen Hilfsbüchern zu ihrer Deu- tung, ist nur für die Prediger, nicht als Lesestoff für die Gläu- bigen geschaffen. Denn auch die Waldenser hatten zunächst nur eine Hörerschaft, nicht aber eine Lesegemeinde. Was es im 21. Hefele-Knöpfler VS. 782 n. 14; Mansi XII S. 197. 22. Ch. H. Haskins, Studies in mediaeval culture ce XI: The heresy of Rheims, bes. S. 247 (Text einer Predigt des Pariser Universitätskanzlers Philipp de Greve: ..preceptum est in Remensi concilio ne transferantur sicut hactenus libri sacre Scripture in galliam idioma) und S. 255. 23. Gesta Trevirorum, MGSer. XXIV S. 401; Hartzheim III S.539: Plures erant secte, et multi eorum instructi erant scripturis sanctis, quas habebant in theutonicum translatas. 24. Martene-Durand, Vet. script. Ampl. coll. VII S. 123 n. 2; Hefele-Knöpfler V S. 1037. 25. Passauer Anon. (Bibl. max. vet. Patr., Lugd. XXV S. 264): Novum et vetus testamentum vulgariter transtulerunt et sic docent et dis- cunt. — David von Augsburg, De inquis, ed. Preger S. 209: Dociles inter suos complices et facundos docent verba ewangelü et dieta apostolorum et aliorum sanctorum in vulgari lingua corde affirmare ut sciant et alios informare et fideles allicere; vgl. auch 8.213. Bernard Gui, Pract. inquis. (ed. G. Mollat I S. 62; ebenso Döllinger, Beitr. II 8.13£.): Habent evangelia et epistolas in vulgari communiter et etiam in latino, quas aliqui inter eos intelligunt et sciunt legere, et interdum que dicunt (aut predicant) legunt in libro, aliquando autem sine libro, maxime illi, qui nesciunt legere, sed ea corde tenentes didicerunt. — De 13. Jahrhundert an Waldenser-Literatur gab,” diente aller Wahrscheinlichkeit nach alles demselben Zweck. Zum eigenen Lesen der Bibel und frommer Schriften forderten die Walden- ser ihre Gläubigen erst in späteren Zeiten auf,” als erbauliche Schriften in der Volkssprache schon längst auch in anderen Kreisen gelesen wurden.” Auch Waldes kann demnach nicht als Bahnbrecher einer volkssprachlichen Literatur für fromme Laien gelten. Sein Be- kehrungserlebnis weckte zwar in ihm selbst das Bedürfnis, die 26. Berthold von Regensburg (Schönbach, S.-B. Wien 147, V, S. 43) läßt in einer (lateinischen) Predigt einen Ketzer, dessen Sektenzugehörigkeit er nicht angibt, sich auf sein „Wissen ohne Bücher“ berufen: er könne das Anegenge — das ist der Anfang des Johannes- Evangeliums, den berchsalmen (vielleicht die Bergpredigt?) und die 30 gradus Augustini, ein Stück, das auch David von Augsburg (ed. Preger S. 215) erwähnt und als moralisches Lehrgedicht beschreibt. In einer andern (deutschen) Predigt erwähnt Berthold Ketzerlieder, die ein verworhter ketzer ..diu kint an der straze lerte, daz der liute deste mer in ketzerie vielen (Deutsche Predigten ed. Pfeiffer-Strob1lIS. 406). Das alles ist nur Propagandamittel zum mündlichen Gebrauch, kein Lese- stoff. Über die „Traktatenliteratur“, die man den älteren Waldensern früher unterstellte, vgl. J. Goll, MIÖG IX S. 329 ff. Ob die provengali- sche Nobla Leyczon (ed. Montet) schon aus dem 13. Jahrh. stammt, ist ungewiß; auch sie wie die späteren provengalischen Lehrgedichte sind Vortragsstoff, nicht Lesestoff, daher Versdichtungen, nicht Prosa; Hand- schriften dieser Literatur sind übrigens erst aus dem 15. oder 16. Jahrh. erhalten, s. Förster, GGA. 1888 S. 771ff. — Die früher viel umstrittene Frage, ob in einer Tepler Handschrift eine Waldenserbibel vorliegt (Lite- ratur bei W. Walter, Die deutsche Bibelübersetzung des Mittelalters I S. 8£., vgl. auch S. 154ff., 197f.) braucht uns hier nicht zu beschäftigen; die Handschrift ist vom Ende des 14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts. Aus inneren Kriterien sind solche Fragen schwerlich zu entscheiden, denn die Übersetzung eines Ketzers braucht sich von der Übersetzung eines Rechtgläubigen nicht zu unterscheiden. 27. Hajdu S. 12f.; Herzog, Die romanischen Waldenser, 1853, S. 121f£.; Montet, La Noble Legon S. 19f. und S. 521 v. 2871. 28. Aus der Frühzeit des Waldensertums, mindestens bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, finde ich keinen Beleg für die zuletzt von K. Bur- dach, Die nationale Aneignung der Bibel und die Anfänge der german. Philologie (Mogk-Festschrift 1924) S. 241 vertretene Behauptung, die Wai- denser hätten als erste die Forderung erhoben, „der breiten Masse der Laien die biblischen Schriften selbst einzuprägen und in die Hand zu geben“. EB! MEN Bibel in seiner Sprache zu lesen, um dann andern die biblische Lehre verkünden zu können. Er und die Gefährten, die mit ihm predigten, lasen oder lernten die Bibel in ihrer Mutter- sprache. Aber sie gaben sie nicht dem „Volk“ und den „Laien in die Hand. Sie förderten nicht das eigne Lesen religiöser Schriften durch die Gläubigen. Sie prägten ihnen höchstens den Bibeltext ein, damit sie ihn ihrerseits wiederum verkündi- gen konnten. So veranlaßten die Waldenser zwar die Über- setzung und Verbreitung biblischer Schriften in der Volks- sprache, aber immer nur im Dienste der Predigt. Auch ihre Gemeinschaft zerfällt in „Klerus“ und „Laien“, in predigende „Vollkommene” und hörende „Gläubige“. Und da zwischen dienen, die lehrten, und denen, die hörten, keine Schicht be- stand, die las, so fehlte auch bei ihnen die Voraussetzung für die Entstehung einer religiösen Erbauungsliteratur in der Volks- sprache. Genau so verhielt es sich aber zunächst mit den Bettel- orden. Auch bei ihnen lag anfangs kein ersichtlicher Grund vor, warum sich aus der Wanderpredigt eine volkssprachliche Erbauungsliteratur hätte entwickeln sollen. Durch das leben- dige Wort und durch das Vorbild des evangelischen Lebens und Wirkens wollten sie die Seelen bekehren. Aber ein Publikum, das lesen konnte, fehlte zunächst auch ihnen, und wir werden sehen, daß sie die Entstehung einer volkssprachlichen religiösen Literatur nicht nur nicht gefördert haben, sondern anfangs sogar zu verhindern suchten. Die deutschen Predigten Bertholds von Regensburg stehen dieser Behauptung nur scheinbar entgegen. Berthold hat wie alle Wanderprediger immer in der Sprache des Volkes ge- predigt. Aber er hat niemals seine Predigten in deutscher Sprache aufgezeichnet und als Lesestoff verbreitet. Auch seine Zuhörer schrieben die Predigten nicht deutsch nieder, um sie wieder lesen zu können. Wohl aber haben — wie es bei be- rühmten Predigern auch früher geschah — Geistliche, die Bert- holds Predigten hörten, sich Aufzeichnungen in lateinischer Sprache für ihren eigenen homiletischen Gebrauch gemacht. So sind ganze Sammlungen solcher lateinischer Niederschriften der deutschen Predigten Bertholds hergestellt und in Umlauf gesetzt — 451 — worden, die anderen Predigern als Unterlage für ihre eigenen deutschen Predigten dienen sollten. Berthold hat davon Kennt- nis gehabt, und weil er darin den Wortlaut und den Sinn seiner Predigten entstellt fand und fürchten mußte, durch derartige fehlerhafte Aufzeichnungen könnten andere Prediser in die Irre geführt werden, entschloß er sich, selbst lateinische Sammlun- gen seiner Predigten zu veröffentlichen — nicht zu erbaulicher Lektüre, sondern als Hilfsmittel für andere Prediger.” Die deut- schen Berthold-Predigten aber, wie sie in Handschriften des 14. und 15. Jahrhunderts überliefert sind, hat weder er selbst noch sein Publikum unmittelbar aufgezeichnet. Sie sind erst nach seinem Tod (1272) aus den von ihm oder seinen Hörern lateinisch aufgezeichneten Predigten ins Deutsche zurücküber- setzt und bearbeitet worden — als erbaulicher Lesestoff für ein Publikum, das wir später kennen lernen werden. Nur eine kleine Gruppe von sechs Predigten ist wahrschein- lich nicht auf diesem Umweg über das Lateinische, sondern von Bertholds Zuhörern unmittelbar deutsch aufgezeichnet worden, um zur Erbauung frommer Leser, nicht zur Benutzung durch andere Prediger zu dienen, Diese Predigten aber, deren hand- schriftliche Überlieferung auch weiter als die der anderen deut- schen Berthold-Predigten bis ins Ende des 13. Jahrhunderts zurückreicht, sind nicht Predigten für das „Volk“, sondern „Klosterpredigten” für ein Frauenkloster.”” Nur wo Berthold nicht als wandernder Volksprediger auftrat, sondern in einem Frauenkloster predigte, setzte sich seine deutsche Predigt un- mittelbar in deutsche Erbauungsliteratur um. Diese Feststellung wird sich uns ganz allgemein bestätigen: Erst wo die Bettel- orden mit der religiösen Frauenbewegung in Beziehung treten, 29. S. die Vorrede zur Bertholds Rusticanus de dominicis bei A. E.Schönbach, S.-B. Wien 152, VII S.3ff.;, Denifle, Z. f. deutsches Altertum XXVII S. 303 f. — Die Ergebnisse von Schönbachs Studien über Berthold in den Sitzungsberichten der Wiener Akad.d. Wissensch. Bd. 147 u. 151-54 (1904/06) und in seinem älteren Buch: Über eine Grazer Hand- schrift lateinisch-deutscher Predigten (1890) stehen mit meinen von ande- ren Voraussetzungen ausgehenden Untersuchungen in vollstem Einklang. 30. Deutsche Predigten ed. Pfeiffer-Strobl II S.258ff. n. 66-71: s. u. S. 468. — 42 — wächst aus ihrer Predigt eine volkssprachliche Erbauungslitera- tur hervor. Das geschah allerdings schon lange vor Bertholds Auftreten; und schon ehe sich die religiöse Frauenbewegung an die Bettelorden anschloß, keimten in ihr die ersten Ansätze zu einer religiösen Literatur in der Volkssprache. 2. Religiöse Frauenbewegung und volks- sprachliche Literatur. Ungefähr zur gleichen Zeit, als sich Waldes in Lyon die Bibel übersetzen ließ, schuf der Priester Lambert in Lüttich (ft 1177) Übersetzungen der Apostelgeschichte und der Agnes- Legende, nicht wie Waldes für sich und als Grundlage apostoli- schen Wirkens, sondern für andere zur Erbauung. Lambert hat durch Predigt und Beispiel versucht, dem weltlichen Treiben der städtischen Kultur entgegenzuwirken, Er hat vor allem Gemeinschaften frommer Laien gebildet, die der Sonntagsfeier wieder einen christlichen Gehalt geben sollten, statt sie durch Gaukler, Artisten und Komödianten, durch Trunk und Spiel, zuchtloses Singen und Tanzen und schamlose Vergnügungen zu entweihen.’' Für diese Feiertags-Gemeinden hat er seine Über- setzungen und erbaulichen Betrachtungen in der Volkssprache geschaffen: für die Frauen eine Bearbeitung der Asnes-Legende, für alle gemeinsam eine Bearbeitung der Apostelseschichte, beides mit moralischen Betrachtungen durchflochten, beides aber in Versen.” Zum erbaulichen Lesestoff für Einzelne waren 31. Vgl. Lamberts Brief an Calixt III. von 1277, bei A. Fayen, I’Antigraphum Petri S. 349 und 351. 32. Fayen S$. 352 (dazu die Korrektur von J. Greven, Anfänge der Beginen S.177£.): Unde et ego bonis eorum studiüs cooperans, virgini- bus vitam et passionem beate virginis et Christi martyris Agnetis, omnibus vero generaliter Actus Apostolorum rithmicis concrepantes modulis ad linguam sibi notiorem a latina transfuderam, multis loco congruo insertis exhortationibus, ut videlicet haberent, quo diebus festis, mundo in rebus wessimis exultante, a venenato ipsius melle sese revocare potuissent. — Von Lamberts Übersetzungen spricht auch Alberich von Troisfon- taines MGSer. XXIII S. 855: Multos libros et mazime vitas sanctorum et actus apostolorum de latino vertit in romanum; vgl. auch Vita Odiliae, Analecta Bollandiana XIII, 1894, S. 208 und danach Aegidius von Orval, Gesta episc. Leod., MGSer. XXV S. 112; die Angabe unter einem — 453 — also auch diese Übersetzungen offenbar nicht bestimmt, sondern zum Vortrag, zum Vorlesen in den frommen Gemeinschaften. Aber sie bildeten nicht wie die Übersetzungen des Waldes ein Hilfsmittel für Prediger, sondern unmittelbar einen Erbauungs- stoff für Laien, die sich an Sonntagen nach dem Gottesdienst zu gemeinsamen Betrachtungen und gemeinsamem Gesang von Psalmen, Hymnen und geistlichen Liedern versammelten.’ Dabei wurden nicht nur Lamberts eigene Übersetzungen benutzt, sondern z. B. auch Übertragungen des Psalters mit Erklärungen und exegetischen Blütenlesen, die ein flandrischer Magister ge- schaffen hatte.‘ Zum ersten Male finden sich hier in diesen Lütticher Sonntagszirkeln die wesentlichen Bedingungen für die Entstehung einer religiösen Erbauungsliteratur erfüllt: eine Laiengemeinschaft will selbst religiöse Schriften lesen und be- nutzen, ist aber nicht lateinkundig genug, um sich an die vor- handene lateinische Literatur zu halten, und deshalb geben ihr ihre geistlichen Berater volkssprachliche Übersetzungen in die Hand. Zu alledem sind hier freilich erst Ansätze vorhanden. Es sind keine ständigen, organisierten Gemeinschaften, sondern nur lockere Gelegerheits-Zusammenkünfte. Es entsteht keine volkssprachliche Prosaliteratur, sondern nur erbauliche Dich- tung zum Vorlesen. Von eigenen literarischen Schöpfungen frommer Laien ist noch nicht die Rede. Aber wo die gleichen Voraussetzungen sich weiter ausbildeten, haben sich diese An- sätze dann voll entfaltet. Lamberts Widersacher unter dem Lütticher Klerus erhoben gegen ihn wegen seiner Übersetzungen den Vorwurf, er liefere Miniaturbild Lamberts aus dem 13. Jahrh., er habe auch die Briefe Pauli übersetzt, ist fragwürdig; s. Greven, Anfänge S. 19Mf. 33. Fayen S. 352: Residuum autem diei usque ad vespertine laudis tempus, sollempnibus dico diebus, in psalmis, in ymnis et canticis spiri- tualibus expendebant, audita queque in ecclesia ruminantes et sese mutuo ad custodiendum cohortantes. 34. Fayen S. 353: Est preterea apud eos liber psalmorum cum omni- bus glosulis suis et auctoritatibus eas roborantibus, in vulgarem linguam a quodam magistro Flandrensi translatus. — Auch Waldes hatte auf dem Laterankonzil 1179 einen glossierten Psalter vorgelegt. Über die ältesten bekannten französischen Psalterien dieser Art aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts s. S. Berger, La Bible frangaise S. 64 ff. ke die heilige Schrift, das religiöse Schrifttum an Unwürdige aus.’ Er hat darauf mit dem Christuswort geantwortet: „Das Reich Gottes wird einem Volke gegeben werden, das seine Früchte bringt‘ (Matth. 21, 43). Die Früchte dieser Neubelebung christ- licher Frömmigkeit in Laien- und Frauenkreisen sind in der Tat in den folgenden Jahrzehnten herrlich gereift. Aber die Entwicklung von den ersten Keimen bis zur vollen Entfaltung können wir nicht fortschreitend verfolgen. Wie der unmittel- bare Zusammenhang zwischen den durch Lamberts Wirken in Lüttich gebildeten frommen Kreisen und dem Aufschwung der religiösen Frauenbewegung um die Jahrhundertwende fraglich und unbestimmt bleibt, so fehlen in der Überlieferung auch die Zwischenglieder zwischen Lamberts ersten Bemühungen um ein volkssprachliches Schrifttum für Laienkreise und den religiösen Werken aus der Mitte des nächsten Jahrhunderts, den Trak- taten der Beatrix von Nazareth und den Visionen der Schwester Hadewich. Man sieht sich zu der Vermutung gedrängt, daß in den religiösen Frauenkreisen Belgiens „vielleicht eine ganze mystische Literatur schon in der ersten Hälfte des 13. Jahrhun- derts bestanden hat und verloren gegangen ist". Zwei Gründe sprechen vor allem für diese Vermutung. Es ist kaum denkbar, daß Werke wie die Traktate der Beatrix und Hadewichs Visio- nen entstehen konnten, wenn nicht die Bildung ihrer Sprache und die Aneignung ihrer Gedanken durch eine volkssprachliche Erkauungs- und Übersetzungsliteratur vorbereitet war. Außer- dem sind aber in dem Verhältnis der religiösen Frauenkreise in Flandern und Brabant zu ihren geistlichen Beratern am Anfang des 13. Jahrhunderts alle Bedingungen gegeben, die auf die Entstehung einer religiösen Literatur in der Volkssprache hin- wirken mußten. Zwar waren viele dieser religiösen Frauen lateinkundig.”” Aber dadurch konnte eine Übersetzungsliteratur 35. Fayen S$. 353: Queritur iste me scripturas sacras indignis aperuisse. 36. J. van Mierlo, Revue d’Ascötique et de Mystique V S. 398 Anm. 36. 37. Vgl. z. B. über Christiane von S. Troud, AASS 24. Juli V (1868) S. 657: Intelligebat ipsa omnem latinitatem, et sensum in scriptura divina plenissime noverat, licet ipsa a nativitate litteras penitus ignoraret, et —_— 455 — nur befördert werden. Die geistlichen Berater der belgischen Frauenkreise, Männer wie Jakob von Vitry, Guido und Johan- nes von Nivelles, Johannes von Lier, Thomas von Chantimpr& haben zwar, so viel wir wissen, keine volkssprachliche Erbau- ungsliteratur für diese Frauen geschaffen, sondern nur in latei- nischer Sprache die Lebensgeschichten frommer Frauen darge- stellt, um damit Vorbilder für andere Kreise zu geben. Aber diesen Aufzeichnungen liegen anscheinend vielfach volkssprach- liche Niederschriften zugrunde, wie es sich dank einer glück- lichen Entdeckung der letzten Jahre wenigstens in einem Falle nachweisen läßt. Der Zisterzienser Wilhelm von Afflighem, der die Lebensgeschichte der Priorin Beatrix von Nazareth schrieb, hat dabei deren eigene deutsche Aufzeichnungen ihrer Visionen, Erlebnisse und Gedanken benutzt,” die vielleicht earum obscurissimas quaestiones spiritualibus quibusdam amicis, cum interrogaretur, enodatissime reserebat. Invitissime tamen ac rarissime facere voluit, dicens scripturas sanctas exponere proprium esse clericorum nec ad se huiusmodi ministerium pertinere. — Ida von L&au besuchte seit ihrem 7 Jahr die scholas literalis scientiae und lernte die scientia scrip- turarum; im gleichen Alter besuchte Beatrix con Nazareth die magistri liberalium artium; beide haben später in dem Zisterzienserinnen-Kloster La Ramee die ars scriptoria betrieben; s. AASS 29. Okt. XIII S. 110 und 113; Henriquez, Quinque prudentes virgines S. 10. 38. (Heinrich von Gent), De viris illustribus, bei Miraeus, Bibl.eccles. S. 173: Wilhelmus dictavit etiam latine quamdam materiam satis eleganter de quadam moniali cisterciensis ordinis, que teutonice multa satis mirabilia scripserat de se ipsa. Diese lateinische Vita steht bei Henriquez, Quinque prudentes virgines; dazu der Prolog in den Analectes pour servir ä l’hist. ecel&s. de la Belgique VII S. 77ff., in dem der Verfasser sagt: me solum huius operis translatorem ezistere, non auto- rem, quippe qui de meo parum admodum addidi vel mutavi; hec prout in cedula oblata suscepi illa vulgaria, latino in eloquio coloravi; für die Aufzeichnung ihrer Erlebnisse habe Beatrix zu Lebzeiten keine Mitwisser gehabt. — van Mierlo, Leuvense Studieen en Tekstuitgaven XII, 1926. S. 24ff. bezweifelt, ob Wilhelm von Afflighem die lateinische Beatrix-Vita verfaßt hat. Wenn aber der Schriftsteller-Katalog De viris illustr. von einem Mönch von Afflighem stammt, wie Pelster, Hist. Jahrb. 39, 1919, S. 253ff. wahrscheinlich macht, verdient seine Mitteilung über Wilhelm von Afflighem mehr Zutrauen als seine übrigen Angaben. In dem Auctuarium D. Caroli de Visch ad Bibliothecam Scriptorum Ord. Cist., ed. Cani- vez 1927 heißt es, die Vita der Beatrix sei scripta ab Alberico (} 1286) RE na schon um 1220 begonnen, um 1235 abgeschlossen wurden. Ein Teil davon hat sich in einer späteren Predigtsammlung wieder- gefunden:” Betrachtungen über die Grade der Minne, in ihrem Gehalt der viktorinischen Mystik nahestehend, sprachlich ein Vorklang der Visionen Hadewichs, die wahrscheinlich mit Bea- trix bekannt war. Ähnliche volkssprachliche Aufzeichnungen und religiöse Betrachtungen haben vielleicht auch für die latei- nischen Lebensbeschreibungen anderer Frauen aus den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts die Grundlage gebildet.‘” Da nichts davon erhalten oder sicher bezeugt ist, müssen wir es bei Vermutungen bewenden lassen. Seit der Mitte des Jahrhun- derts sind dann volkssprachliche Lebensbeschreibungen firom- mer Frauen in Belgien nachweisbar, teils von Frauen selbst aufgezeichnet, teils aus dem Lateinischen zurückübersetzt.‘' Aber inzwischen hatte die Entwicklung der volkssprachlichen Erbauungsliteratur in den religiösen Frauenkreisen längst von anderer Seite her einen kräftigen Auftrieb erhalten. et Victorico (j 1383) monachis Thosanis (— Doest) in Flandria, quam in Flandricam linguam translatam penes me habeo. De Visch behauptet, Beatrix habe 1239 auch ein Buch De obdservantüs regularibus in Ordine Cisterciensi geschrieben. 39. Beatrijs van Nazareth, Seven manieren van Minne, ed. L. Reypens und J. van Mierlo. Vgl. J. van Mierlo, Beatrijs van Nazareth, in: Verslagen en Mededeel. 1926 S.51ff.; s. u. S.466 Anm. 59. 40. Das vermutet J. van Mierlo, Dietsche Warande en Belfort XXV, 1925, S. 367 und Verslagen en Mededeelingen 1926 S. 71 für die lateinischen Viten der Lutgard von Tongern, Ida von Nivelles und Ida von Löwen. 41. Die Vita der Juiiane von Cornillon (} 1258) ist zuerst französisch oder wallonisch geschrieben worden, wahrscheinlich von ihrer Freundin, der Klausnerin Eva von S. Martin (f 1264), aber nur in lateinischer Über- setzung erhalten; s. AASS. April I S. 444: Que quidem per diligentiam unius valde religiose persone in lingua gallica litteris commendata.. ador- sus sum, quod gallice factum fuerat, vertere in latinum; vgl. J. Demar- teau, La premiere auteure wallone, la b. Eve de St. Martin, 1896; dazu Analecta Bollandiana XVI 8. 531f.; nach B. Fisen, Flores eccelesiae Leo- diensis, 1647, war die wallonische Vita im 17. Jahrh. noch vorhanden in der Bibliothek des Klosters Cornillon, wo Juliane Priorin gewesen war. — Vel. ferner die Übersetzung der Lutgard-Vita des Thomas von Chan- timpre in deutsche Verse: Leven van Sinte Lutgarde, ed. Fr. van Veer- deghem. — 457 — Einen Blick müssen wir zunächst noch auf die Ereignisse in Paris im Jahre 1210 werfen. Die Synode, die Amalrichs Schüler verurteilte, hat auch ein Verbot gegen „theologische Bücher“ in französischer Sprache erlassen: wer sie nicht in be- stimmter Frist den Bischöfen ausliefert, soll als Ketzer gelten. Das Verbot erstreckte sich ausdrücklich auch auf Übersetzungen des Glaubensbekenntnisses und des Vaterunsers; nur Heiligen- legenden wurden ausgenommen.‘” Die beschlagnahmten Bücher sollen verbrannt worden sein. Über die Art dieser „theologi- schen Bücher” ist nichts Näheres gesagt. Aber ihre Beschlag- nahme steht im Zusammenhang mit dem Prozeß gegen die ketzerischen Kleriker, die ihre Wirksamkeit vor allem in religiö- sen Frauenkreisen entfaltet, „durch falsche Auslegungen der Heiligen Schrift‘ das Volk und besonders Frauen irre geführt hatten.“ Die Vermutung liest nahe, daß es sich dabei um reli- siöse Schriften handelt, die von den verurteilten Klerikern ver- faßt oder übersetzt worden waren für die Laien- und Frauen- kreise, unter denen sie ihre religiösen Lehren verbreitet hatten. Denn die Verhältnisse liegen hier auffallend ähnlich wie in anderen Fällen: Wo sich Männer mit theologischer Bildung der religiösen Frauenbewegung annahmen, war der Boden für eine volkssprachliche religiöse Literatur bereitet. Wie in Lüttich zur Zeit des Priesters Lambert, so sind auch bei den Pariser Sektierern Gebete und Heilisenlegenden unter dieser Erbau- ungsliteratur, außerdem aber Bücher theologischen Inhalts, über deren Art wir leider nichts Näheres wissen. Alle diese Ansätze zu einer volkssprachlichen religiösen Literatur sind aber so wenig beständig und entwicklungsfähig gewesen wie die Verhältnisse, aus denen sie entstanden waren. Teils verboten und verbrannt, teils nicht weiterentwickelt und verkümmert, ist dieses Schrifttum nicht zu größerer Geltung 42. Chart. Univ. Paris. I S. 70: De libris theologicis scriptis in Romano precipimus, quod episcopis diocesanis tradantur, et „Credo in deum“ et „Pater noster“ in Romano, preter vitas sanctorum, et hoc infra purifica- tionem, quia apud quem inveniuntur, pro heretico habebitur. Caesarius von Heisterbach, Dial. mirac. V 22 (ed. Strange 8.307): Libri Gallici de theologia perpetuo damnati sunt et ezusti. 43. S, o. S. 357 ff. RE uynanı und Bedeutung gelangt. Dauernde Grundlagen für eine religiöse Prosaliteratur in der Volkssprache konnten nur entstehen, wo sich entsprechende Verhältnisse zu einer festen Ordnung aus- bildeten, wo religiöse Laien- oder Frauengemeinschaften ohne lateinisch-klerikale Bildung, aber mit dem Bedürfnis nach be- schaulicher Betrachtung und theologischer Belehrung sich zu einer beständigen und geregelten Lebensform organisierten und dabei die Möglichkeit hatten, sich die Schätze der lateinischen theologisch-religiösen Bildung anzueignen und vermitteln zu lassen. Nirgends sind diese Bedingungen so vollständig erfüllt worden wie in den religiösen Frauengemeinschaften, die sich an die Bettelonrden anschlossen, vor allem an den Dominikaner- orden, der den stärksten Nachdruck auf theologische Durch- bildung aller seiner Mitglieder legte und der in Deutschland, dem Hauptgebiet der religiösen Frauenbewegung, in erster Linie zur geistlichen Leitung solcher Gemeinschaften berufen war. Nirgends hat sich infolgedessen die Entwicklung einer religiösen Erbauungsliteratur in der Volkssprache stetiger und folgen- reicher vollzogen als in den deutschen Frauenklöstern des Dominikanerordens.** 44. Ich verfolge weiterhin nur die Entwicklung in Deutschland und weise hier nur im allgemeinen auf entsprechende Erscheinungen in ande- ren Ländern hin, die noch wenig untersucht sind. Man müßte erwarten, daß sich eine volkssprachliche religiöse Literatur auch in Südfrankreich (Prouille) und Italien (Rom, Bologna) aus den Beziehungen zwischen Do- minikanern und Frauenklöstern entwickelt hätte, ebenso aus den Beziehun- gen der Franziskaner zur religiösen Frauenbewegung; aber davon ist aus dem 13. Jahrhundert wenig bekannt. In der Provence scheint der älteste religiöse Prosatext von einiger Bedeutung die Vita der Douceline zu sein, der Führerin der Marseiller Beginen, geschrieben von ihrer Nachfolgerin Philippine von Porcellet um 1300 (La Vie de Ste. Douceline, ed. Al- banes 1879; ed. R. Gout 1927). Die südfranzösischen Beginen hatten auch Übersetzungen von P. J. Olivis Apokalypsen-Postille und anderen Traktaten. Der Dominikaner Venturino von Bergamo empfahl in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts einer Ordensschwester provenga- lische Erbauungsschriften als Lektüre, s. Clementi, Venturino da Bergamo II S. 107. — In Frankreich ist die Vita der Isabella, der Schwe- ster Ludwigs IX., Gründerin des Klosters Longchamps (7 1270) zu erwäh- nen, von Agnes von Harcourt (1263—1291 Äbtissin in Longehamps) verfaßt, aber von den Bollandisten (AASS August VI S. 801) nur inTWtx a Auch in dieser Frage ist freilich die Initiative nicht vom Orden selbst ausgegangen, der vielmehr nur widerstrebend die Aufgaben übernahm, vor die ihn die religiöse Frauenbewegung in Deutschland stellte. Aber aus der engen Beziehung der deut- schen Dominikaner zu den religiösen Frauenkreisen entwickelte sich von Anfang an natürlich und ungewollt ein volkssprach- liches Schrifttum. Gleich der erste Kölner Dominikanerprior Heinrich hat nicht nur als Prediger den stärksten Widerhall unter den Kölner Frauen gefunden, sondern auch an fromme Frauen erbauliche Briefe geschrieben, *° anscheinend verwand- ten Inhalts wie die lateinischen Briefe seines Freundes, des Ordensgenerals Jordan, an Diana und die Frauen des S. Agnes- Klosters in Bologna. Der Kölner Prior aber schrieb deutsch. Gleich der erste Dominikaner, den wir überhaupt in Deutsch- land wirken sehen, eröffnet also jene Kette erbaulich-mystischer lateinischer Übersetzung veröffentlicht (vgl. Sbaralea, Suppl. 1806 S.6 und Hist. Litt. de la France XX S. 98ff.). Auf französische Prosaliteratur und Dichtungen für Beginenkreise oder Frauenklöster aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts hat E. Beehmann, Z. f. roman. Philol. XIII S. 34ff. und A. Hilka ib. XLVII S. 120ff. hingewiesen; im Übrigen hat dieses Schrifttum der „altfranzösischen Mystik“ bisher wenig Beachtung gefunden. — In Italien scheint nicht vor dem Ende des 13. Jahrhunderts in religiösen Frauenkreisen eine mystische Prosaliteratur aufzutreten (Angela da Foligno, 7 1309). Die ältesten erhaltenen italienischen Briefe sind um 1260 von einem Fra Guidone d’Arezzo an seine Mitbrüder und -schwestern vom Orden der Gaudenti gerichtet (Gröbers Grundriß II, 3 S. 41). Ob die Übersetzungen von Schriften Angelos da Clareno (s. AFH XI S. 47ff.) und der Franziskus-Legende (Leggenda antiqua ed. Mi- nocchi 1905) etwa für die weibliche Gefolgschaft der Franziskaner ge- schaffen wurden, konnte ich nicht feststellen. — Venturino von Bergamo entwarf 1334 in einem Brief an die Nonnen in Unterlinden den Plan für ein musterhaftes Frauenkloster in Bologna, in dem nicht nur alle Lek- tionen, sondern sogar die Liturgie volkssprachlich sein sollte! s. Cle- menti, Venturino II S.124; B. Altaner, Venturino von Bergamo 8.76 f. 45. Vgl. o. S. 220; Jordanis, De initiis c. 52, ed. Berthier S.25£.: pach Heinrichs Tod (1225 oder 1227) habe venerabilis quedam matrona, que ipsum fratrem adhuc viventem mira devotione diligebat, sich mit sei- nen Briefen getröstet; darin fand sie auch verbum quoddam, cuius secun- dum latinam interpretationem (!) hec est sententia: „Super dulce Jesu pec- tus recumbite, et anime vestre sitim extinguite“. Jordanis hat also nicht lateinisch, sondern deutsch geschriebene Briefe im Auge. — 40 ° — Briefwechsel in deutscher Sprache, die für das religiöse Schrift- tum so große Bedeutung gewannen. Diese Kenntnis ist um so wichtiger, als erst aus viel späterer Zeit Briefe dieser Art er- halten sind.‘* Aber die zufällige Erwähnung der Briefe des Priors Heinrich durch Jordanis belehrt uns darüber, daß aus dem Verhältnis der Dominikaner zu der religiösen Frauen- bewegung in Deutschland gleich bei der ersten Berührung ein volkssprachliches Schrifttum erwuchs. Der Kolmarer Domini- kaner-Chronist erwähnt am Ende des 13. Jahrhunderts in seiner Beschreibung des Elsaß bei einer Aufzählung der literarischen Leistungen des Prediger-Ordens einen Bruder Heinrich, Prior von Basel, der deutsche Verse für fromme Frauen gedichtet habe.“ Wer dieser Prior Heinrich von Basel war, wann er lebte und was er dichtete, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen.“ 46. C. Greith, Die deutsche Mystik im Prediger-Orden S.58 behaup- tet, deutsche Gebete und Betrachtungen des ersten Kölner Dominikaner- priors Heinrich in einer Handschrift der Züricher Stadt-Bibl. (Cod. 178) gelesen zu haben. Einer Auskunft der Zürcher Zentralbibliothek zufolge ist die von Greith gemeinte Handschrift zur Zeit nicht auffindbar; viel- leicht besteht noch Hoffnung, ihr erfolgreich nachzuspüren. — Nicht damit zu verwechseln sind die Predigten eines Kölner Dominikaner-Lektors Heinrich (von Löwen), eines Zeitgenossen Taulers; vgl. Ph. Strauch, Alemannia XXI, 1893, 8.16. 47. MGSer. XXVII 8.233: Frater Henricus prior Basiliensis ordinis fratrum predicatorum fecit rithmos theutonicos bonis mulierculis ac devotis. 48. Vielleicht war es der erste Prior des 1233 gegründeten Basler Dominikaner-Konvents, Heinrich von Westhofen (f 125), der einige Jahre lang (1234;8) auch die Seelsorge der Schwestern von Unter- linden (damals in Ufmühlen) betreute; Joh. Meyer, De viris illustr. (QF XII S.27) rühmt ihn als hereticorum validissimus persecutor und sagt über ihn: in confessionibus et predicationibus multam gratiam obtinebat; aber von Dichtungen für fromme Frauen erwähnt er nichts. — Aus späte- rer Zeit kommen zwei Basler Prioren Heinrich als Dichter in Betracht: Heinrich von Marbach, Prior 1270/3 (vgl. Joh. Meyer QF Xli S.31 und L. Sutter, Dominikanerklöster der deutschen Schweiz 8.114) und Heinrich von Lauffenberg (= H. Tugendarius? s. Sutter, S. 114), Bruder einer Nonne in Unterlinden, der 1281 als Prior in Basel bezeugt ist, 1284 aber nicht mehr Prior war. J. Ancelet-Hustache, Arch. d’hist. doctr. et litt. V S. 444f. hält diesen Heinrich von Lauffen- berg für den vom Kolmarer Chronisten gerühmten Dichter und identifi- a Aber auch dieses Zeugnis weist darauf hin, wie sich aus der Be- ziehung zwischen den deutschen Dominikanern und der religiö- sen Frauenbewegung eine volkssprachliche Erbauungsliteratur entwickelt hat. Diese vereinzelten Spuren deutschen Schrifttums von Do- minikanern für fromme Frauen oder Nonnen werden ergänzt und gewinnen an Bedeutung durch den Beschluß eines General- kapitels der Dominikaner im Jahre 1242, der allen Brüdern verbietet, Predigten, Kollationen oder andere Schriften religiö- sen Inhalts aus dem Lateinischen in die Volkssprache zu über- setzen. Dieses Verbot steht in engstem Zusammenhang mit der Mahnung an die Brüder, künftig Nonnen oder anderen frommen Frauen nicht die Sterbesakramente zu reichen, sich nicht mit ihrer Organisation und Leitung zu befassen und keine Visita- tionspflichten bei ihnen zu übernehmen.“ Von Seiten des Or- ziert ihn mit einem Basler Dominikanerlektor, der ebenso wie H. von Lauffenberg Arzt war und von dem lateinische Verse erhalten sind (MG Ser. XVII S. 239f.). Aber der lateinisch dichtende, mehrfach urkundlich bezeugte Basler Lektor Heinrich (s. Urk.-B. Basel II S.82 n. 149 zu 1274: 1276 tritt unter der Regel des Straßburger Beginenhauses zum Thurm ein Heinricus de Basilea quondam lector o. fr. Pr. als Zeuge auf, s. Straß- burger Urk-B. III S. 28 n. 78) ist schwerlich mit Heinrich von Lauffen- berg und dem deutsch diehtenden Basler Prior identisch. — Auch Hein- rich von Meißen (Frauenlob) kann in der Notiz der Kolmarer An- nalen nicht gemeint sein, wie N. Spiegel meint (Gymn.-Progr. Speyer 1892 S. 44); er war zwar zwischen 1283 und 1291 eine Zeit lang in Basel, aber nicht Dominikaner-Prior. — Die Worte des Kolmarer Chronisten: bonis mulierculis ac devotis scheinen mir mehr für die Frühzeit der reli- giösen Frauenbewegung zu sprechen, nicht für die Zeit ausgebildeter Do- minikanerinnen-Klöster. Von 1234—1269 stand Unterlinden unter der Seelsorge der Basler Dominikaner, ebenso schon vor 1245 auch Husern- Klingenthal. — In einer Handschrift der Basler Universitäts-Bibliothek aus dem 14. Jahrhundert (A XI 55; s. G. Binz, Die deutschen Hss. der öff. Bibl. d. Univ. Basel I S. 289) stehen Bruchstücke deutscher Verse mit der Unterschrift: ego Heinricus feci, die — nach einer mir freundlichst mitgeteilten Vermutung W. Stammlers — von dem Basler Prior Hein- rich stammen könnten. Aber dessen Dichtung kann sich wohl nicht auf kleine erbauliche Verse beschränkt haben, wenn ihn um ihretwillen der Kolmarer Chronist der Erwähnung unter den Schriftstellern des Domini- kanerordens neben Albert d. Gr., Thomas von Aquin u. a. für würdig hält. 49. MOPH III S.24: Fratres, qui monialibus vel aliis religiosis mulieri- — 42 — dens wurde also die Entwicklung einer volkssprachlichen Er- bauungsliteratur nicht nur nicht gefördert, sondern sie sollte gehemmt und unterbunden werden. Die Predigerbrüder sollten sich nicht damit befassen, durch Übersetzungen das Bedürfnis frommer Frauenkreise nach erbaulichem Lesestoff zu befriedi- gen. Besonders aufschlußreich ist es aber, daß dabei vor allem das Übersetzen von Predigten und Kollationen in die Volks- sprache verboten wurde. Alle dominikanischen Predigten wur- den ja doch in der Volkssprache gehalten — weshalb bedurfte es da überhaupt einer „Übersetzung in die Volkssprache? Weil bis dahin die Aufzeichnung solcher Predigten immer nur in Latein erfolgte, um als Unterlage für künftige Predigten oder zum theologischen Studium zu dienen. Solche Aufzeichnungen wieder in die Volkssprache zu übertragen und sie damit zum Lesestoff für Nicht-Theologen, vor allem für religiöse Frauen- kreise zu machen, dagegen richtet sich das Verbot des General- Kapitels von 1242. Ganz in derselben Weise wie später die deutschen Predigten Bertholds von Regensburg zu Lesestoff hergerichtet wurden, war also schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts von Dominikanern volkssprachliche religiöse Lite- ratur durch Rückübersetzung lateinischer Predigtaufzeichnun- gen geschaffen worden. Andererseits verbot ein General-Kapitel in Trier 1249 den Dominikanern, sich Psalterien und andere Bücher von Nonnen oder anderen Frauen schreiben zu lassen.’ Demnach war unter den religiösen Frauen, die zu den Dominikanern in Beziehung standen, auch die Schreibkunst und damit verbunden die Latein- kenntnis nicht selten. Wir wissen auch, daß die Schwestern in manchen süddeutschen Frauengemeinschaften mit Eifer. Latein lernten. Oft war dort eine Schwester als Lateinlehrerin tätig, bus sacramentum extreme unctionis administraverunt vel prelatos earum instituerunt vel destituerunt vel officium visitacionis in earum dominibus exercuerunt, injungimus 7 dies in pane et aqua, 7 psalmos et 7 disciplinas et virtute obediencie districte precipimus, quod a talibus abstineant et eas de cetero non communicent.. Nec aliquis fratrum de cetero sermones vel collaciones vel alias sacras scripturas de latino transferat in vulgare. 50. MOPH III S. 47: Fratres non faciant sibi scribi psalteria vel alie scripta per moniales vel alias mulieres. De und das Bücherschreiben ist für viele Schwestern zur Haupt- beschäftigung im Kloster geworden.’ Als der Widerstand des Dominikanerordens gegen die Auf- nahme der deutschen Frauengemeinschaften in den Ordensver- band gebrochen war, haben sich alle diese Verhältnisse erst recht gefestigt, und ihre literarischen Folgeerscheinungen, die sich schon vorher entwickelt hatten, aber vom Orden gehemmt worden waren, wurden nun geradezu ein Teil der organisatori- schen Aufgaben des Ordens gegenüber seinen Frauenklöstern. In ihnen lebten Frauen, die Tischlektüre und erbauliche Privat- lektüre trieben wie die Mönche,” die aber dazu deutschen Lese- 51. S. z. B. H.Wilms, Das Beten der Mystikerinnen, QF XI S. 28 ff. und 31; E. Krebs, Die Mystik in Adelhausen S. 83ff. Über das Bücher- schreiben in Frauenklöstern im Allgemeinen s. AASS Okt. XIII S. 124 ff.; für das spätere Mittelalter A. Hauber, Zentralbl. f. Bibliothekswesen XXXI S.341 ff. — Die Lateinkenntnis ging in manchen Frauenklöstern schon in verhältnismäßig früher Zeit so weit, daß der Dominikaner Petrus von Verona 1244 in Adelhausen lateinisch predigen konnte und von vielen Schwestern verstanden wurde, s. FDA XII S. 134; s. Dietler, Gebweiler Chronik ed. Schlumberger S. 11. 52. S. die Konstitutionen von S. Sisto c. 3 bei A. Simon, L’ordre des Penitentes S. 144 f.: In refectorio semper ad mensam legatur et sorores cum silentio devote audiant lectionem; c. 5: Post vesperas omnes simul ad collacionem veniant, ubi legatur lectio prout in cisterciensi ordine fieri consuevit; c. 21 (S.152): Diebus festivis omnes vacent lectioni, divinis officis et orationi, mechanicis operibus pretermissis. Vgl. die Constitu- tiones sororum ord. praed. in AOP III S.340 c. 6: De collacione. — Auch in den Ritterorden ist zwar nach dem Vorbild der Benediktinerregel vor- geschrieben, daß bei Tisch vorgelesen wird, und es mußte in der Volks- sprache gelesen werden, weil niemand das Latein verstanden hätte; für die Entstehung der Ordensliteratur ist das vielleicht von Bedeutung (s. F. Karg, Das literarische Erwachen des deutschen Ostens); aber es be- stehen zwei bemerkenswerte Unterschiede gegenüber den Frauenklöstern: erstens wird nur bei der Hauptmahlzeit, nicht bei der abendlichen Collatio gelesen (G. Schnürer, Die ursprüngliche Templerregel S. 137 c. 9 und S. 137 c. 16; M. Perlbach, Die Statuten des Deutschen Ordens S. 41 c. 13 und S. 44, c. 16, wo ausdrücklich betont wird, daß bei der Kollaz der Deutschherren im Unterschied zu anderen Orden nicht gelesen wird). Und gerade die Kollazien sind für die erbauliche Lektüre oder Predigt in den Nonnenklöstern sehr wichtig geworden. Zweitens ist bei den Brü- dern der Ritterorden die Fähigkeit, selbst zu lesen, sicherlich selten ge- wesen (s. Schnürer S. 105), die Vorlesung wurde durch einen Kleriker Pe, stoff brauchten, weil ihre lateinische Ausbildung nicht zu- reichte;’® denen außerdem deutsch gepredist werden mußte wie den Laien, die aber schreiben und lesen konnten wie der Klerus. Diese Predigt für die religiösen Frauen stand unter ganz beson- deren Bedingungen. Die strenge Klausur machte den Schwe- stern die Teilnahme an allen öffentlichen Predigten unmöglich, sie waren also gänzlich auf die Predigt ihrer Seelsorger ange- wiesen, die sich in ihren Predisten in Frauenklöstern ausschließ- lich an die Schwestern wandten und auf ihre geistige Art und Fassungskraft einstellen konnten. Diese besondere Aufgabe hat der Dominikanerorden, der Prediger-Orden kat’exochen und zugleich der Orden mit der höchsten und „modernsten“ theologischen Bildung, nachdem er einmal die Seelsorgepflich- ten vor allem in den deutschen Frauenklöstern übernommen hatte, mit größtem Eifer in Angriff genommen und durchgeführt. Eine Verfügung des deutschen Provinzials Hermann von Minden aus den achtziger Jahren verlangt von den mit der Seelsorge in Frauenklöstern beauftragten Brüdern, daß sie den Schwestern, wie es ihrer Bildung entspricht, öfters durch gelehrte Brüder predigen lassen.’* Seit Denifles bahnbrechender Untersuchung gilt diese Verfügung mit Recht als wichtigster Hinweis auf die besorgt, und das Ordensleben ist dort nicht auf das beschauliche Leben gerichtet. Eine religiöse Erbauungsliteratur in der Volkssprache hat sich infolgedessen bei den Ritterorden nicht entwickelt. 53. Aus demselben Grunde mußten die Ordensgesetze den Schwestern deutsch vorgelesen werden, s. die Admonitiones des deutschen Provin- zials Hermann von Minden (1286/90) für Frauenklöster bei Denifle, ALKG II S. 644: Constitutiones secundum ordinationem.. magistri ordi- nis correctas habeant, que frequenter legantur et aliquotiens erpenentur in vulgari; auch S. 649 die Instruktion für die mit der Cura monialium beauftragten Dominikaner: Constitutiones publice legantur in refectorio per singulas ebdomadas in vulgari; das Engelthaler Nonnenbuch (ed. K. Schröder S.2) erzählt, daß schon vor der eigentlichen Kloster- sründung, als die „Beginengemeinschaft‘“ noch in Nürnberg lebte, die Meisterin in teutsche ze tisch vorlas. 54. Instruktion des Provinzials an die mit der Cura monialium beauf- tragten Dominikaner ALKG II S. 650: Providete, ne refectione careant verbi dei, sed sicut eruditioni ipsarum convenit, per fratres doctos sepius predicetur. — Nach Denifle (ALKG I S. 645) sind unter den fratres docti offenbar Magister und Lektoren der Theologie zu verstehen. rt geschichtlichen und organisatorischen Grundlagen der mysti- schen Dominikanerpredigt in Deutschland. Aber sie hat damals keine neuen Verhältnisse geschaffen, sie hat nur zur Erfüllung von Pflichten, zur Durchführung von Aufgaben gemahnt, die dem Orden aus der geschichtlichen Lage erwachsen waren und denen er sich trotz aller Bemühungen nicht zu entziehen ver- mocht hatte. Die Entfaltung der deutschen religiösen Literatur und der deutschen Mystik seit dem Ende des 13. Jahrhunderts ist aus diesen Verhältnissen hervorgegangen und nur aus ihnen ge- schichtlich zu erklären. Die theologische Gelehrsamkeit der Dominikanerprediger einerseits, die Lebensformen, der Bil- dungsgrad und die Erlebniswelt der Klosterfrauen andererseits bestimmen ihren Gehalt, ihre Literaturformen und ihre Sprache. Das wird die religionsgeschichtliche wie die literatur- und sprachgeschichtliche Forschung über die deutsche Mystik mehr als bisher beachten müssen. Ich gebe dafür im Folgenden nur noch einige Hinweise.’ Das Fließende Licht der Gottheit, das Visionen-Werk der Begine Mechthild von Magdeburg, ist das erste große Werk religiöser deutscher Prosaliteratur, das zwar nicht im Urtext, aber in einer oberdeutschen Bearbeitung aus dem 14. Jahrhun- dert erhalten ist. Es ist erfüllt von neuen Bildern und Gedan- ken, geformt in einer neuen Sprache und gefaßt in eine neue Form, in der sich Dichtung und Prosa mischt — neu alles dies in der Volkssprache, aber eng verwandt mit Sprache, Form und Gehalt der lateinischen religiösen Literatur.” Hat Mechthild das alles selbständig geschaffen, aus eignem Erlebnis geboren? Sie kann nicht Latein und sie nennt sich „ungelehrt”. Wahr- scheinlich hat sie keinerlei theologische Literatur selbst ge- 55. Vgl. meinen Aufsatz: Die geschichtlichen Grundlagen der Deut- schen Mystik: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte XII, 1934, S. 400 ff. 56. Vgl. G. Lüers, Die Sprache der deutschen Mystik des Mittel- alters im Werke der Mechthild von Magdeburg, 1926: F. Karg, Das lite- rarische Erwachen des deutschen Ostens im Mittelalter, 1932; H. Till- mann, Studien zum Dialog bei Mechthild von Magdeburg, 1933. — 46 — lesen.’ Aber sie hatte dominikanische Seelsorger, die ihr auch in ihrem literarischen Schaffen zur Seite standen. Sie hat die Predigten der Dominikaner gehört,” die sich zur Aufgabe mach- ten, theologisches Wissen in deutsche Sprache umzuformen; ja wir wissen — besonders aus dem Ordensbeschluß von 1242 — daß diese dominikanischen Predigten sich auch in ein volks- sprachliches Schrifttum niederschlugen, schon ehe Mechthild ihre Visionen niederschrieb. Sie begann also nicht auf ganz un- bestelltem Felde. Ihre Sprache und der Gehalt ihrer religiösen Erlebnisse muß gebildet sein durch die Bettelordenspredist und das Schrifttum, das sich aus ihr entwickelte. Sucht man nach den Wurzeln ihrer Mystik und ihrer Sprache, so wird man in der Dominikanerpredigt die Vermittlung sehen müssen von dem mystischen Gehalt der älteren lateinischen Literatur und von der theologisch-scholastischen Sprache zu den Wortprägungen und Gedanken im Fließenden Licht.’ 57. Fließ. Licht II 3 ed. Morel S.30: des latines kan ich nit; VIE 21 S. 237: ich selber ungeleret bin; III 1 S. 56: ich han da inne ungehörtü ding gesehen, als mine bihter (!) sagent; wa ich der schrift ungeleret bin. Vgl. G. Lüers S.33ff.; J. Ancelet-Hustache, Mechtilde de Magde- bourg S. 171. 58. Vgl. vor allem Mechthilds Vision II 1 S.55ff., in der sie in den 9 Himmelschören die Zuter geistliche megde zusammen mit den prediern schaut; daß nicht beliebige Prediger, sondern die Predigermönche — Do- minikaner gemeint sind, zeigt der Satz (S.59): Alsust singen die predier: o userwelter herre, wir han gevolget diner milten gütin in willeclichem armüte und haben dinü wizelosen schaf ingetriben, die dine gemieteten hirten ließen gan usser dem rehten wege. 59. Vor allem sollte der Zusammenhang der „Minnemystik“ in den Visionen Hadewichs, den Traktaten der Beatrix von Nazareth und dem Fließenden Licht der Mechthild mit der lateinischen Mystik der Viktoriner untersucht werden; man vgl. etwa Fließ. Licht IV 28 S. 127: dis büch ist begonnen in der minne, es sol ouch enden in der minne mit Hugo von 8. Viktor, Soliloquium de arrha animae: Ego scio, quod vita tua dilectio est, et scio, quod sine dilectione esse non potes und mit den „Seven manieren van Minne“ der Beatrix. Ich weise auf eine Einzel- heit hin, die für die engen Zusammenhänge aufschlußreich ist: der höchste ekstatische Grad der mystischen Minne ist bei Beatrix (ed. Reypens- van Mierlo S. 22) und bei Hadewich (ed. van Mierlo 8.157, 159£.) als Orewoet, bei Mechthild als windesche minne bezeichnet (III 13 8.75: vgl. I 20 S.10: du bist ein sturm mines herzen, sagt die Seele zu Gott; — 47 — Aber es fehlt auch nicht an frühen Zeugnissen dieser Über- tragung mystisch-theologischer Gedanken in die deutsche Sprache und ihres schriftlichen Niederschlags. W. Preger hat bemerkt, daß schon vor Mechthild, erst recht also vor Meister Eckhart „einzelne charakteristische Theoreme der spekulativen Mystik zumeist in gebundener Rede ins Deutsche umgesetzt und einzelne Ausdrucksweisen dadurch für die folgenden Zeiten feststehend geworden" sind; dadurch sei ein „Stamm zu dem Sprachkapital der späteren Mystik" geschaffen worden. Aber man hat diese Hinweise wenig ausgenutzt und die erhaltenen Stücke solcher religiöser Dichtungen, die wahrscheinlich noch dem 13. Jahrhundert angehören und früheste Formung mysti- scher Denkweise, erste Zeugnisse neuer Wortprägungen dar- stellen, kaum für das Verständnis der religiösen und sprach- lichen Entwicklung der „deutschen Mystik‘ verwertet. Dich- 8s. a. G. Lüers S.46, 36, 302); die lateinische Wurzel dieses Gedankens ist noch zu ermitteln. Vgl. auch G. Lüers S. 103 über die „Augen der Seele‘ bei Richard van S. Viktor, Hadewich, Mechthild. 60. W. Preger, Mystik I S. 288ff.; F. Mone, Anzeiger für Kunde des deutschen MA III S. 177 hatte auf verschiedene solche gereimte Stücke aus dem 13. Jahrh. in niederländischen Bibliotheken hingewiesen; manches davon glaubt Preger allerdings einer späteren Zeit zuweisen zu müssen. 61. Wichtig ist vor allem ein „Lied über die Dreifaltiskeit“, das Pre- ger, Mystik I S. 289ff. in Übersetzung, Bartsch, Bibl. der gesamten deutschen Nationalliteratur 37 S. 193ff., Denis, Codd. mss. theol. bibl. Vindobon. II S. 1086, v. d. Hagen, Minnesänger III S. 468 dd f. und Ph. Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied II, 1867, S. 238f. n. 445 in mittelhochdeutscher Fassung und F. Beck, Gymn.-Progr. Zeitz 1882/83 zusammen mit einem lateinischen Kommentar im Auszug veröffentlicht haben; Bartsch und Preger datieren es nach Sprache, Versbau und Inhalt in die 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts; vgl. auch Ph. Strauch, An- zeiger für deutsches Altertum IX S.121f. Das Gedicht ist aber an „mysti- schen‘ Wortprägungen so reich, daß man es deswegen dem Meister Eck- hart glaubte zuschreiben zu dürfen mit folgender Begründung: „Wie würde es sich mit einem Schriftsteller (!) von solcher Begabung und von solcher Originalität (!) wie Eckhart vertragen, wenn man annehmen wollte, daß er soviel eigenartig scheinende (!) Ausdrücke und Redewendungen dem vorliegenden Gedicht erst entlehnt habe“ (F. Beck, Gymn.-Progr. Zeitz 1882/3 S.XIV, der auch im Einzelnen viele Parallelen zwischen dem Wortschatz des Gedichts und Eckharts nachweist). Dieser Begriff von „Schriftsteller-Originalität“ ist jedoch nirgends weniger anwendbar als Zu. Zu tungen dieser Art‘” gehen schon einen Schritt weiter als die von dem Priester Lambert für die frommen Kreise in Lüttich gedich- teten Übersetzungen, versuchen eine selbständige Gestaltung religiösen Gehalts und bilden gleichsam die Vorstufe zur volks- sprachlichen Erbauungsliteratur in Prosa. Aber auch erbau- liche deutsche Prosaliteratur, Übersetzungen lateinischer Trak- tate, die zur Lektüre frommer Kreise erst geschaffen wurden, sind noch aus dem 13, Jahrhundert zahlreich bekannt. Hier erst haben die deutschen Predigten Bertholds von Regensburg ihren Platz, ebenso die deutschen Traktate Davids von Augs- burg und manches andere, was weniger beachtet worden ist. Es wurde schon früher darauf hingewiesen, daß wir nur sechs Pre- digten, die Berthold in einem Frauenkloster gehalten hat, in unmittelbarer Überlieferung des deutschen Textes, wahrschein- lich als Nachschrift besitzen;° alle anderen „deutschen Predig- auf die Prediger der deutschen Mystik; gerade daraus entspringt ja die Schwierigkeit, den Anteil einzelner „Autoren‘ zu scheiden, aber auch die Aufgabe, die Entwicklung der mystischen Literatur und der religiösen Prosasprache nicht aus „Original“-Leistungen Einzelner zu erklären, son- dern aus einer allgemeinen geschichtlichen Aufgabe: der Vermittlung der lateinischen Theologie an die religiösen Frauen in der Volkssprache. 62. Über ähnliche Dichtungen s. Preger, Mystik II S.56; A.Spa- mer, Texte aus der deutschen Mystik S. 175ff.; Ph. Strauch, Anzeiger für deutsches Altertum IX S. 121; besonders interessant das Gedicht „Tochter Syon oder die mınnende Seele“ (ed. E. G. Graff, Diutiska Ill S.3ff.; über andere Ausgaben, Handschriften und Fassungen der Tochter Syon s. W. Wichgraf, Der Traktat von der Tochter Syon und seine Bearbeitungen; Beitr. zur Gesch. d. deutschen Sprache und Lit. XLVI S. 173 ff.) und die in „Reimprosa“ geschriebene „Rede von den 15 Graden" (ed. W. Dolfel, Germania VI, 1861, S. 144ff.), von deren Verfasser auch das allegorische Gedicht „Die Lilie’‘ stammt (ed. P. Wüst, Deutsche Texte des Mittelalters XV, 1909, wo auch noch andere Gediehte gleicher Art stehen, alle ohne Zweifel für religiöse Frauen bestimmt; vgl. Ph. Strauch, Deutsche Literatur-Zeitung XXXIH, 1912, S. 994 ff... — Wir wissen übrigens auch von einer Übersetzung der Dominikaner-Regel in deutsche Verse, 1276 für die Nonnen in Marienthal bei Mersch (Luxem- burg) verfaßt wahrscheinlich von dem Bruder Hermann (von Veldenz?), der auch nach 1283 das Leben der Jolande von Vianden gedichtet hat; erhalten ist jene Übertragung nicht; vgl. J. Meier, Germanistische Ab- handlungen ed. K. Weinhold VII, 1889, S.LXXVIIf. (s. Nachtrag u. S. 475). 63. S. o. S. 451; vgl. auch K. Rieder, Der sog. St. Georgener Pre- diger S.XXII; A.E.Schönbach, S.-B. Wien 153 IV, 1906, S. 50, 59, 75. m WE ten” Bertholds sind Bearbeitungen lateinischer Vorlagen, die als erbaulicher Lesestoff dienen sollten, und manche Beobach- tungen über den Inhalt dieser Texte sprechen dafür, daß als Lesepublikum dabei in erster Linie, wenn nicht ausschließlich an Frauen gedacht war.°' Die Klosterpredigten Bertholds aber sind in Handschriften aus dem Ende des 13. Jahrhunderts über- liefert in engem Zusammenhang mit anderen erbaulichen und mystischen Traktaten, die unzweifelhaft für Frauenklöster be- stimmt sind, darunter auch die deutschen Schriften Davids von Augsburg. Es ist lange darüber gestritten worden, ob die deut- schen Traktate dieses Franziskaners“ ‚echt‘ sind, ob er also als „erster Mystiker in deutscher Sprache‘ gelten darf, der „die noch von Albert d. Gr. verschmähte deutsche Sprache für die theologische Abhandlung verwendet hat‘. Die inhaltlichen Über- einstimmungen der unter seinem Namen überlieferten deutschen Traktate mit Davids lateinischen Schriften beweisen aber durch- aus nicht, daß David selbst deutsch geschrieben hat. Sie können vielmehr genau so wie Bertholds deutsche Predigten, genau wie die volkssprachlichen Übersetzungen lateinischer Predigt- Aufzeichnungen, gegen die schon 1242 das Dominikaner-Kapitel einschritt, aus Davids lateinischen Schriften später übersetzt und bearbeitet sein, als sich das Bedürfnis nach einem erbau- lichen Schrifttum in deutscher Sprache immer stärker geltend 64. A. E. Schönbach, S.-B. Wien 153, IV, 1906, S. 73, 54, 56f., 69 u. ö.; die handschriftliche Überlieferung der deutschen Predigten Bert- holds (mit Ausnahme der 6 Klosterpredigten) geht nicht bis über das 14. Jahrh. zurück. 65. Gedruckt bei Pfeiffer, Deutsche Mystiker I, 1845, S. 308 ff. Preger, Mystik II S.9ff. erkennt nur einen Teil davon als „echt“ an; Ph. Strauch, Anzeiger für deutsches Altertum IX S. 117, hält sie da- gegen alle für „echt“ und nennt David den „ersten Mystiker in deutscher Sprache“, und D. Stöckerl, Bruder David von Augsburg S. 210 ff. ver- sucht nachzuweisen, daß alle unter Davids Namen überlieferten deutschen Schriften von ihm stammen, indem er ihre Übereinstimmung mit seinen lateinischen Schriften im Einzelnen feststellt. Dagegen nehmen die Fran- ziskaner in Quaracchi (in der Ausgabe von Davids „De exterioris et interioris hominis compositione“ S. XV) und E. Michael (Z. f. kath. Theol. XXV S. 396 und Gesch. d. deutschen Volkes III S. 133ff.) an, David habe überhaupt nicht deutsch geschrieben. — 410 — machte. Das ist um so wahrscheinlicher, als wir nichts von einer Tätigkeit Davids als Seelsorger in Frauenklöstern wissen. Für seine Ordensbrüder aber schrieb er natürlich lateinisch, auch das, was er deutsch gepredigt hatte, und aus bloßem Ge- müts- oder Sprachbedürfnis hat er keinesfalls deutsch geschrie- ben, so wenig wie irgendein Theologe seiner Zeit. Er gehört also wohl zur ersten Generation mystischer Prediger in Deutsch- land, hat aber wahrscheinlich nicht selbst deutsch geschrieben. Die deutschen Bearbeitungen seiner Traktate sind in Hand- schriften vom Ende des 13, Jahrhunderts überliefert, in denen zugleich die ältesten mystisch-allegorischen Betrachtungen stehen, die, zum Teil unter Benutzung von Davids Schriften, für religiöse Frauen und Nonnen verfaßt worden sind.° Diese viel- fach allegorische Erbauungsliteratur, deren Erforschung erst in den Anfängen steht, bildet nach den oben erwähnten Dichtun- gen eine zweite Stufe in der Entwicklung des volkssprachlichen 66. Vgl. die verschiedenen Bearbeitungen der — wahrscheinlich naclı einer lateinischen Vorlage entstandenen — Baumgarten-Allegorie in alemannischen und elsässischen Fassungen, 3. Ph. Strauch, Beitr. zur Gesch. der deutschen Sprache und Literatur XLVIII S.349 und 360; über andere Fassungen, in denen Schriften Davids von Augsburg verarbeitet sind, s. Stöckerl S. 258ff. — Nahe damit verwandt der Traktat von der Palma contemplationis, eine Allegorie über die willeklichu armut und den Aufstieg der minnenden Seele zu Gott, gerichtet an die- juncfrowen, die gottes briute wellent sin. Mehrere Handschriften dieses Traktats stam- men noch aus dem 13. Jahrhundert, einige nachweislich aus Frauen- klöstern. Er kommt in lateinischer, französischer, niederländischer, hoch- und niederdeutscher Sprache vor, s. Strauch S8.335ff.; K. Christ, Le livre du paumier (Festgabe für H. Degering 1926 S. 57 ff.) veröffentlicht den französischen Text aus einer Berliner Handschrift des 13. Jahrhunderts (um 1275°?), in der auf den Palmbaum-Traktat eine erbauliche Beginen- regel folgt: la rigle des fins amans et li ordinaires de deus beguines; Christ kennt 6 nordfranzösische Handschriften des Traktats noch aus dem 13. Jahrhundert. — Auch der Traktat von 42 tugenden, als der grosz Albertus schriben, verdient Aufmerksamkeit; vgl. Strauch a.a.0.S.309; Jostes, Meister Eckhart und seine Jünger 8. 136 n. XXXI; Hauber, Zentralblatt f. Bibliothekswesen XXXI S. 344. Ebenso der „Seelenspiegel“, eine Sammlung mystischer Predigten und Lehren für Nonnen in einer Handschrift des 13. Jahrhunderts (Karlsruhe, Cod. perg. germ. XXXVI), aus der Mone im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit IV S. 368 ff. und VIII 8.489 ff. und 612 kurze Auszüge gibt. Diese Sammlung enthält auch Stücke aus dem gleich zu erwähnenden „oberrheinischen Prediger“. dl BE — 41 — religiösen Schrifttums, Die dritte Stufe sind dann die Aufzeich- nungen von Predigten, in denen ohne dichterische oder alle- gorische Verkleidung und ohne Zuhilfenahme lateinischer Vor- lagen‘ die mystisch-theologische Lehre unmittelbar zum religiö- sen Lesestoff wird, entweder durch Nachschriften der Hörerin- nen oder durch eigene Aufzeichnungen der Prediger. Auch diese Literatur und ihre Überlieferung setzt noch im 13, Jahr- hundert vor Eckhart ein, und auch sie ist also heranzuziehen, wenn man das Gedankengut und den Sprachschatz der „deut- schen Mystik‘ geschichtlich verstehen will. Es sind Kölner Dominikanerpredigten aus dem 13, Jahrhundert für religiöse Frauen — Dominikanerinnen oder Beginen — erhalten,” dar- 67. F. Maurer, Studien zur mitteldeutschen Bibelübersetzung vor Luther S. 68ff. hat auch auf die Bedeutung der Frauenklöster des Domini- kanerordens für die Bibelverdeutschung hingewiesen; eine niederländisch- deutsche glossierte Evangelienharmonie Leven van Jezus ist wahrschein- lich im 13. Jahrhundert in Köln in dominikanischen Kreisen für religiöse Frauen oder Nonnen entstanden; vgl. Reifferscheid, Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung X, 1884, S. 33 und Anm. 52; Priebsch, Deutsche Handschriften in England II S. 236. Dabei ist daran zu erinnern, daß die häretisch-verdächtigen religiösen Frauenkreise außerhalb der Orden gleichfalls Bibelübersetzungen gefördert haben: das franziskanische Gutachten zum Lyoner Konzii 1274 erwähnt das (s. o. S. 338f.) und die belgische Begine Margarete Porete, die 1310 in Paris verbrannt wurde, soll selbst Bibelübersetzungen geschrieben haben, s. Jean d’Outremeuse: qui translatat la divine escripture; Grandes Chroniques de France: qui avait trespassee et transcendee l’escripture divine; s. Fre- derieq IS. 64. 68. Ph. Strauch, Kölner Klosterpredigten des 13. Jahrh., Jahrbuch des Vereins f. niederdeutsche Sprachforschung XXXVIL, 1911, S.21 ff. über eine Hs. des 14. Jh., die aus der Tertiarierinnen-Klause Kamp bei Boppard stammt (ebenso die Prager Hs. der „Rede von den 15 Graden“, s. Ger- mania VI S. 145); S. 27f. über die Hörerschaft der Predigten. Bemerkens- wert ist eine Stelle (S. 44) aus einer Predigt „Meister Gerhards“ (vielleicht Gerhard von Minden, den der Dominikaner Heinrich von Herford neben Ulrich von Straßburg und Dietrich von Freiberg zu den bedeutendsten Theologen des 13. Jh. rechnet; Denifle ALKG II, 240): Sumeliche spre- chint, dat die sele si gotlicher naturen, inde sprechint ouch dat sie wieder zu gode kume, also dat si alzemale niet inwerde. Dat sint unreine ketzere. Alleine die sele eweliche ın gode gewest si, so is si doch eweliche eine creature gewest, e si got ie geschufhe, inde sal also wieder ze gode kumen, dat si ein wesen in ir selver eweliche sal behalden. — 412 — unter zwei deutsche Predigten Alberts d. Gr. Vor allem aber verdient die große Predigtsammlung eines oberrheinischen, wahrscheinlich dominikanischen Predigers Beachtung, aus der eine im Jahre 1300 entstandene Sammlung erbaulicher Predig- ten und Texte viele Stücke entnommen hat, von der aber ein Bruchstück schon aus der Zeit um 1250 überliefert ist? — Kloster-Predigten, die zu einem Teile bestimmt, wahrscheinlich aber alle in Frauenklöstern gehalten’° und, wie die erhaltenen Handschriften beweisen, in Frauenklöstern gelesen wurden.” Man hat geglaubt, in der Sprache Taulers und Seuses Spuren des Einflusses dieses oberdeutschen Predigers finden zu kön- nen.” Aber es wäre ein voreiliges Unterfangen, aus dem Ver- gleich der wenigen bisher bekannten Texte aus der Frühzeit dieses religiösen Schrifttums in deutscher Sprache auf unmittel- bare geschichtliche Zusammenhänge und „Einflüsse” schließen zu wollen. Wenn der Bestand der deutschen Handschriften des Mittelalters erst einmal vollständig aufgenommen sein wird, werden noch manche Texte zum Vorschein kommen, deren Überlieferung bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht.’” Auch dann 69. K. Rieder, Der sog. St. Georgener Prediger S. XXI und 10. 70. Rieder S. XIX; sie wenden sich manchmal ausdrücklich an Schwestern eines Frauenklosters, die einer Priorin unterstehen — wahr- scheinlich also an Dominikanerinnen. 71. Ein Teil der Predigten ist in einer um 1300 geschriebenen Hand- schrift erhalten, deren ganzer Inhalt für ein Frauenkloster berechnet ist, ferner in einer Handschrift aus dem Dominikanerinnen-Kloster Adelhausen aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, s. Rieder S. XII und XIVff. — Zwei erhaltene Abschriften der vollständigen Predigtsammlung gehen auf eine im Jahre 1303 geschriebene Vorlage zurück. Die Predigten können also nicht erst „aus der ersten Zeit des 14. Jahrhunderts“ stammen, wie Preger, Mystik II S. 32 sagt. Niederländische Abschriften derselben Predigtsammlung (die sog. Limburger Sermoenen, ed. J. H. Kern) haben außerdem, wie J. van Mierlo nachgewiesen hat, Stücke aus Hadewichs Briefen und einen mystischen Traktat der Beatrix von Nazareth aufge- nommen. 72. W. Preger, Mystik II S. 32; Ph. Strauch, Anzeiger für deut- sches Altertum IX S. 117. 73. Zum Beispiel sei hingewiesen auf das Verzeichnis niederdeutscher Handschriften von Borchling in den Beiheften zu den Nachrichten der Göttinger Gesellsch. der Wissenschaften 1902 S. 139ff., 167, 206 und 1913 .. Wi wird man sich aber immer bewußt bleiben müssen, daß das er- haltene Schrifttum nur ein Teil dessen ist, was einst bestanden hat,’* und daß die Sprache und die Gedanken dieser religiösen Literatur erwachsen sind aus den konkreten Aufgaben der Pre- digt und Seelsorge, die der Dominikanerorden seit der Mitte des 13. Jahrhunderts in den Frauenklöstern übernommen hatte. Zum geschichtlichen Verständnis der mystischen Predigt und Literatur ist deshalb neben der Untersuchung von Sprache und Gehalt der überlieferten Schriften die Besinnung auf ihre ge- schichtlichen Grundlagen und Voraussetzungen ganz unentbehr- lich. Sie kann dieser Untersuchung erst die richtigen Wege weisen, und sie allein kann die Erklärung dafür erbringen, wie und warum eine deutsche religiöse Literatur in diesem Umfang und in diesen Formen der Predigt, des erbaulichen und theolo- $ischen Traktats, des Erlebnisberichtes und des Briefes über- haupt entstehen konnte. Nicht als ein Protest gegen die Fremdsprache, nicht aus einem Gemütsbedürfnis, das in der toten Sprache der Theologie kein Genügen mehr fand und kein geeignetes Mittel mehr sah zum Ausdruck lebendigen religiösen Erlebens, ist die Sprache und das Schrifttum der „deutschen Mystik" entstanden, sondern als eine durch die Verhältnisse bedingte und geforderte Folge- erscheinung der religiösen Bewegung des 13. Jahrhunderts und der besonderen Formen religiösen Lebens, die sich in Deutsch- land daraus entwickelten. Geradezu als ein „notwendiges Übel” ist noch von einem der größten Sprachkünstler unter den S.76, 177f., ferner auf die Münchner Handschriften Cgm 9, 168, 77, 99, 101, 142, 182, 186. 74. Man bedenke, daß das Werk Mechthilds von Magdeburg nur durch einen Zufall überliefert ist: hätte es nicht Heinrich von Nördlingen fast 70 Jahre nach Mechthilds Tod gefunden und in neue Sprachform umge- gossen, so wäre es für uns verloren. Von Meister Dietrich von Freiberg und einem namenlosen Lesemeister, die das bekannte Nonnengedicht neben Meister Eckhart als mystische Prediger rühmt (s. E. Krebs, Mei- ster Dietrich S. 147f.), ist gar nichts erhalten, und es ist eine ganz un- begründete Behauptung, Meister Dietrich sei der „erste, der in der Weise der deutschen Mystiker gepredigt hat“ (Denifle ALKG II S. 528; M. de Wult, Hist. de la philos. medievale °II, 1925, S. 236). — 414 — deutschen Mystikern die Verwendung der deutschen Sprache für die Erörterung und Darstellung religiöser Dinge empfunden worden. Seuse hat einmal gesagt: wenn ohnehin alles Geschrie- bene nur ein kalter, bleicher Abglanz der innerlich in der Gnade empiangenen Worte ist, als ob man süsses Saitenspiel beschrei- ben wollte, so sunderliche in tutscher zungen.” Das hätte jeder Theologe des Mittelalters sagen können, dem immer das Lateini- sche die Sprache der göttlichen Schriften war, alle deutsche Rede und Schrift aber nur ein notdürftiger Behelt$. Wer es weiß, wie viel die deutsche Sprache den mystischen Predigern verdankt, wer für die Kraft, Zartheit und Tiefe ihrer Sprache empfänglich ist, der wird sich vielleicht ungern zu der Auffassung bekehren wollen, daß sie nur als ein widerwillig- notgedrungen benutztes Verständigungsmittel gehandhabt wor- den ist, wo die lateinische Sprache und Schrift nicht verfing. Die wort-schöpferische, sprach-gestaltende Kraft der deutschen Prediger wird aber keineswegs in Frage gestellt und verliert nicht im Geringsten an Wert, wenn man die besondere, ge- schichtlich bedingte Aufgabe erkennt, vor die sie sich gestellt sahen und die von ihnen diese Neugestaltung und Umschaffung der Sprache verlangte. Einen geschichtlichen Auftrag durch große Leistungen zu erfüllen ist gewiß keine geringere Tat als aus bloßem Herzensdrang und freiem Überschwang zu schaffen. Mit alledem sollen nur die Aufgaben angedeutet sein, die der Erforschung der deutschen Mystik noch gestellt sind, und die Voraussetzungen zu ihrer Lösung geklärt werden. Die Sprache der deutschen Mystik ist die Sprache, in der seit den mittleren Jahrzehnten des 13, Jahrhunderts den deutschen Nonnen gepredigt und zu ihrer erbaulichen Lektüre geschrieben worden ist. Der geistige Gehalt der deutschen Mystik ist be- stimmt durch die Aufgabe, den religiösen Frauen die theologi- sche Lehre so zu vermitteln, wie sie ihrer religiösen Erlebnis- 75. Seuse, Deutsche Schriften ed. Bihlmeyer S$. 199. Auch Mechthild (Fließ. Licht II 3 S. 30) beklagt und bedauert, daß sie nicht Latein kann, weil das Deutsch versagt: Nu gebristet mir tüsches, des la- tines kan ich nit. G. Lüers, Die Sprache der deutschen Mystik S. 34 spricht, übertreibend, geradezu von „Niehtachtung der deutschen Sprache in den Mystikerkreisen“. — 45 — welt angemessen war. Die Gefahr der deutschen Mystik aber, die auch für ihren größten Meister wie für viele kleinere Geister verhängnisvoll geworden ist, und zugleich die Gefahr der reli- giösen Frauenbewegung überhaupt, die zu ihrer Katastrophe am Anfang des 14. Jahrhunderts geführt hat, lag darin, daß das Übermaß religiöser Erlebnisse und die aus ihnen erwachsende theologische Spekulation sich nicht restlos einfügen konnten in die Lehren und Ordnungen der Kirche. x Nachtrag zu S.468 Anm. 62: Vgl. J. B. Schoemann, Die Rede von den 15 Graden; Germanist. Studien 80, 1930 (S. 27, 61!); auch Adolf Bach, Das Rheinische Marienlob, eine deutsche Dichtung des 13. Jahr hunderts; Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 281, 1934, bes. S. XLVII. Anhang: Die Ketzerei im 11. Jahrhundert. Die Ketzer, die in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts in verschiedenen Gegenden Mitteleuropas entdeckt und von der Kirche veriolgt worden sind,' wurden von den Zeitgenossen von Anfang an als Manichäer bezeichnet.” Diese Bezeichnung be- ruht wahrscheinlich auf der Augustin-Kenntnis der katholischen Beurteiler, sie ist keine Selbstbenennung der Ketzer. Tatsäch- lich stimmen aber die Lehren und Gebräuche, die von den neuen Ketzern berichtet werden, großenteils mit manichäischen Lehren überein, sodaß an einem Zusammenhang mit älteren manichäi- schen Sekten nicht zu zweifeln ist — sei es, daß manichäische Kreise unbemerkt in Europa seit dem Ausgang der Antike weiterbestanden hatten,? sei es, daß erst seit der Jahrhundert- wende Missionare der armenischen Paulicianer oder der bul- garischen Bogomilen ihre dem Manichäismus verwandten Leh- ren aus dem Osten, den Straßen des Orienthandels folgend, wieder im Abendland verbreiteten.“ Von ketzerischen Wander- 1. Alle Quellen dafür sind angeführt bei H. Theloe, Ketzerver- folgungen S. 5ff. 2. Ademar von Chabannes (f 1034), Chron. ed. Chavanon S. 173: um 1018 exorti sunt per Aquitaniam Manichei; auch S. 185, 194; Chronik von Auxerre, Recueil X S. 271 über die Ketzer in Orleans: Acsi denuo Manichei heretici; Brief Bischof Rogers von Chälons 1043, MGSer. VII S. 226 f.: perversum Manicheorum dochma sectantes; ..heresiarche suo Mani; Hermannus Contractus ib. V S. 130 über die Ketzer in Goslar 1052: dogmata Manichea secta. h 3. Vgl. E. de Stoop. Essai sur la diffusion du Manicheisme, 1909, S. 90ff.; E. Broeckx, Le Catharisme S. 13 ff., 19 ff. 4. C.Douais, Les Albigeois, 1879, S.189ff.; Ch.Schmidt, Hist. des Cathares; A.S.Gheorghieffs, Les Bogomiles et Presbyter Kosma, 1920, S. 56. — Der Mönch Euthymius behauptet um 1050, die Bogomilen ziehen ala Mönche und Priester durch das ganze römische Reich und wenden — 41 — predigern sind im 11. Jahrhundert die Irrlehren in den europäi- schen Ländern ausgestreut worden.” Aber eine „Sekte mit organisatorischem Zusammenhalt haben sie nicht geschaffen, sondern nur einzelne, sehr verschiedenartige Kreise für ihre Überzeugungen gewonnen, Zuerst um das Jahr 1000 erfahren wir von einem Bauern in der Champagne, der die Ketzerlehren verbreitete und befolgte; 1025 wurde ein Kreis hochgebildeter, angesehener, vornehmer Kleriker in der Bildungsstadt Orleans, Lehrer der Theologie und Freunde des französischen Hofes, um dieser Lehren willen verbrannt.° Bald danach trifft der Erz- sich an alle Christen der Erde, verteilen die Länder des römischen Reichs unter sich durch das Los als Missionsgebiete und ertragen im Dienst ihrer Propaganda alle Anstrengungen; s. G.Ficker, Die Phundagiagiten, 1908, S. 63f. und 167; s. a. J. A. Ilic, Die Bogomilen in ihrer geschichtlichen Entwicklung; Diss. Bern 1923. 5. Die Ketzerei in Orleans, 1022 entdeckt, soll von einer Frau aus Italien (Rod. Glaber, Hıst. III, 8 ed. M. Prou S. 74), nach einem ande- ren Bericht von einem ungebildeten (rwsticus) Südfranzosen aus dem Perigord eingeschleppt sein (Ademar S. 184); die Ketzer selbst antwor- ten auf die Frage nach der Herkunft ihrer Lehre, sie bestehe schon seit langem, ohne entdeckt worden zu sein (Rod. Glaber S. 75). Nach Arras kamen die Ketzer um 1025 aus dem Bistum Chälons, wo Leute aus Italien die Ketzerei verbreitet hatten (Fredericq IS. 3). Die Ketzer in Monteforte bei Turin wissen ihre Gesinnungsgenossen über die ganze Welt verstreut (MGSer. VIII S. 65). 6. Ein Führer der Ketzer in Orl&ans 1022 war früher Beichtiger der Königin; er und zehn andere Karnoniker der Kathedralkirche in Orleans wurden der Ketzerei überführt. degradiert und verbrannt; schon 3 Jahre früher war der Kantor als Anhänger der Ketzerei gestorben, ss Ademar S. 184f. Der andere Führer leitete die Schule bei St. Peter; Rod. Gla ber (S. 74): qui in civitate putabantur genere ac scientia valentiores in clero; tam apud regem quam apud palatiü proceres summam obtinuerant amicitiam. Gesta synodi Aurel., ed. Gu&rard (S. 109): Apud omnes sa- pientia clari, sanctitate ac religione magnifici, elemosinis largi opinione habebantur vulgi. Fragm. Hist. Franciae, Recueil X, S. 212: Quorum alü erant presbyteri, alii levite, aliüi aliorum ordinum gradu sublimati. Chron. S. Petri Vivi Senon., Recueil X S. 224: Erant autem ipsi heretici ex melio- ribus ipsius civitatis clericis. Joh. von Fleury, Recueil X S. 498: Fecit rex Robertus vivos ardere de melioribus clericis sive de nobilioribus lai- cis (!) prope 14 eiusdem civitatis. Rob. Glaber sagt (S. 80), es seien 13 Ketzer verbrannt worden; ein Kleriker und eine Nonne (!) entgingen dem Feuertod, weil sie sich bekehrten, s. Gesta synodi Aurel. S. 115. — 413 — bischof von Mailand Bekenner dieser Lehren unter dem lom- bardischen Hochadel in der Burg Monteforte bei Turin,’ und die Gräfin von Monteforte selbst erleidet mit ihnen den Feuertod. In den vierziger Jahren klagt der Bischof von Chälons, daß quidam rustici seiner Diözese manichäische Ketzereien verbrei- ten.‘ Die soziale Stellung und die ständische Zugehörigkeit der verschiedenen Ketzerkreise ist also so ungleichartig, daß man sicherlich nicht in sozialen Motiven die Grundlage der Ketzerei suchen darf. Eine bestimmte soziale Haltung oder Tendenz, außer allgemeinen evangelischen Grundsätzen, kommt auch nirgends in den Ketzeraussagen zu Worte, selbst Polemik gegen den Klerus ist darin kaum zu finden.” Aber auch von einem organisatorischen Zusammenschluß der einzelnen häretischen Kreise zu einem Sektenverband und von dauernden Beziehun- gen zwischen ihnen kann nicht die Rede sein,!° und die Ketzer- kreise scheinen auch in sich nicht wie die Manichäer und später die Katharer in Perfecti und Credentes gegliedert zu sein.!! be- 7. MGSer. VIII S. 66; Rod. Glaber S. 94: Castrum.. plenum ex nobilioribus eiusdem gentis (Longobardorum). 8. MGSer. VII S. 2261. 9. Nur die Ketzer in Arras 1025, deren sozialer Stand unbekannt ist, die aber keine Kleriker sind, da sie nicht Latein können, begründen ihre Ablehnung der Taufe u. a. mit der vita reproba ministrorum, die kein remedium salutis vermitteln könne; sie erklären es für eine evangelisch- apostolische Norm, den Lebensunterhalt durch Handarbeit zu verdienen; Fredericgq IS. 4. Die adligen Ketzer in Monteforte wollen ihren Be- sitz mit allen Menschen gemein haben; der Bauer Leuthard predigte gegen die Abgabe des Zehnten. Sonst sind soziale und wirtschaftliche Fragen nirgends berührt. 10. Nur die Ketzer in Monteforte reden von einem umfassenderen Verband, zu dem sie gehören: AD alüs vero, qui potestatem habent ligandi et solvendi, ligari ac solvi credimus. Sie sprechen auch von ihrem „Papst“, der täglich ihre über die ganze Welt verstreuten Brüder besucht und ihnen von Gott zur Vergebung der Sünden geschickt wird; das sei der einzige wahre Papst, der freilich nicht wie der römische eine Tonsur trage. Aber das ist offenbar symbolisch auf den hl. Geist zu beziehen; s. EBroeckx, La Catharisme S. 143. 11. Nur die Ketzer in Arras 1025 bezeichnen sich als auditores ihres aus Italien stammenden Führers Gundelf, Fredericg IS. 3, aber es ist fraglich, ob man dabei an manichäische Audientes und Electi denken darf. — 49 — tätigen sich auch nicht selbst als apostolische Wanderprediger. Das einzige Zeichen, daß es sich nicht nur um Verbreitung von Lehren, sondern auch um Übertragung bestimmter häretischer Riten handelte, ist die Zeremonie der Handauflegung (später Consolamentum genannt), die zuerst 1022 bei den Ketzern in Orleans bezeugt ist und ganz wie bei den alten Manichäern durch Vermittlung des heiligen Geistes zugleich heiligende Er- leuchtung, Erkenntnis und Entsühnung wirkt." Als eigentliche Kennzeichen der Ketzerei vermerken alle Zeitgenossen immer die streng asketischen moralischen Forde- rungen — völlige Enthaltsamkeit vom Fleischgenuß'® und von geschlechtlichem Umgang, daher auch Verwerfung des Ehe- sakraments'* — und die Ablehnung der kirchlichen Sakramente und Gebräuche: Taufe, Abendmahl, Beichte, Kreuzverehrung.”® Dagegen fehlt bei den abendländischen Ketzern des 11. Jahr- hunderts jede Spur von dualistischer Spekulation und mytho- logischen Weltlehren, wie sie die Manichäer und die von ihnen 12. Gesta synodi Aurel. S. 111; Brief Bischof Rogers v. Chalons (nach 1246; MGSer. VII S. 226f.): Quadam sua sollempnitate actitantes et per sacrilegam manuum impositionem dari spiritum sanctum mentientes. Bei den Ketzern in Monteforte ist der Ritus aus dem unklaren Bericht des Rod. Glaber IV, 2S. 94f. zu erschließen; dıe Ketzer in Arras 1025 er- setzen die kirchlichen Sakramente durch guaedam justitia, die der einzige Weg zur Reinigung des Menschen sei — wahrscheinlich gleichfalls die Handauflegung; Fredericeq IS. 3. 13. Ademar S. 173 über die „Manichäer‘ in Aquitanien um 1018: abstinentes a cibis guasi monachi; Joh. von Fleury über die Ketzer in Orleans, Recueil X S. 498; MGSer. VIII S. 65 über die Ketzer in Monte- forte; ib. V S. 130 über die Ketzer in Goslar; ib. VII S. 226 über die Ketzer im Bistum Chälons. 14. Ademar ’S. 173: Castitatem simulabant, sed inter se ipsos luxu- riam omnem ezercentes. MGScer. VIII S. 65: Virginitatem pre ceteris lau- damus etc.; bei völliger Enthaltsamkeit sicuf apes sine coitu genus gig- neretur humanum. Der Bauer Leuthard verließ seine Frau quasi er pre- cepto evangelico, Rod. Glaber S. 49. Über die Ketzer in Orleans: Joh. von Fleury, Recueil X S.498: Nuptiüs detrahebant; vgl. ib. S. 212; MGSer. VHS. 226; Fredericq IS. 2 über die Ketzer in Arras: conjugatos ne- quaquam ad regnum pertinere. 15. Ademar S. 173; Fredericgq I S. 2; Gesta synodi Aurel. S. 111; Recueil X S. 498; Rod. Glaber S. 49. Das Verbot des Tötens er- wähnt nur der Brief des Bıschofs von Chälons, MGSer. VII S. 226, er. abstammenden Sekten des Orients vertreten haben. Wo über- haupt spekulative Gedanken hervortreten, stimmen sie weder mit diesen noch untereinander überein.‘ Nur die verhältnis- mäßig ausführlichen Berichte über die Ketzereien unter dem Klerus in Orleans und unter dem Adel in Monteforte deuten überhaupt den geistigen Gehalt der Häresie an. Aber dabei wird nichts von einem dualistischen Weltbild sichtbar, sondern in erster Linie ein spiritualistischer Glaube an die Erleuchtung durch den heiligen Geist, der sich den durch die Askese und die Handauflegung Gereinigten mitteilt, sie auf den Gipfel der Wahrheit und Weisheit führt und dem „inneren Auge“ die Ge- heimnisse der christlichen Lehre und der heiligen Schriften er- schließt." Die Ketzerlehren beanspruchen daher auch, die wahre Deutung des Christentums zu bringen. Sie suchen des- halb in den Worten der heiligen Schrift oder wenigstens des Neuen Testaments ihre Begründung und Rechtfertigung. Sie 16. Die Ketzer in Orleans 1022 lehren die Ewigkeit von Himmel und Erde absque auctore initü, berichtet Rod. Glaber (S. 76). Auf die Frage des Bischofs von Beauvais, ob sie nicht glauben, daß Gott im An- fang alles aus dem Nichts geschaffen hat, antworten sie: Iste ilis narrare potes, qui terrena sapiunt atque credunt ficta carnalium hominum scripte in membranulis animalium, Gesta synodi Aurel. S. 114, wo aber gleich darauf die Ketzer selbst von Gott als dem conditor omnium sprechen. Die Ketzer in Monteforte bekennen: (Pater)deus est eternus, qui omnia ut (= creavit?) ab initio et in quo omnia consistunt; MGSer. VIII S. 65. Alle anderen Zeugnisse erwähnen keine kosmologischen Vorstellungen. 17. Auf die Frage nach dem wahren Heilsweg antworten die Ketzer in Orleans: erectus in culmine totius veritatis integrae mentis oculos ad lumen verae fidei aperire cepisti. Pandemus tibi salutis hostium, quo in- gressus per impositionem videlicet manuum nostrarum ab ommi peccati labe mundaberis atque sancti spiritus dono repleberis, qui scripturarum omnium profunditatem ac veram divinitatem absque scrupulo te docebit; ..deus omnium tibi comes nunguam deerit, in quo sapientiae thesauri atque divitiarum consistunt; .. nostra doctrina a sancto spiritu tradita (Gesta syn. Aurel. S. 111); nos legem scriptam habemus in interiori homine a spiritu sancto, et nihil aliud sapimus nisi quod a deo, omnium conditore (!), didicimus (ib. S. 114). Die Ketzer in Monteforte beant- worten die Frage nach der Trinität: Filius animus est hominis a deo dilectus; spiritus sanctus divinarum scientiarum intellectus, a quo cuncta discrete reguntur. — Jesus Christus...est animus sensualiter natus ex sancta scriptura; spiritus sanctus sanctarum scripturarum cum devotione intellectus. A — setzen dabei allerdings das „geistige Verständnis” der Schrift voraus, das der heilige Geist sie lehrt.'* Versucht man, sich nach diesen Zeugnissen ein Bild von der Eigenart der Ketzerei in der ersten Hälfte des 11. Jahr- hunderts zu machen, so findet man weder eine durch soziale Mißstände oder durch den Verfall in Kirche und Klerus hervor- gerufene religiöse Bewegung noch eine organisierte Sekte. Auch die Gedanken der apostolischen Predigt und der evangelischen Armut, die seit dem Anfang des folgenden Jahrhunderts die häretische Bewegung beherrschten, treten noch nicht hervor. Worin lag also die Werbekraft der Ketzerei, die ihr Anhänger in den verschiedensten Kreisen verschaffte? Als ein Kleriker namens Herbert, der zum Studium nach Orleans gekommen war, dort für die Lehren der Ketzer gewonnen worden war, slaubte er die „Burg der Weisheit" erklommen zu haben, und nach sei- ner Heimkehr schwärmte er mit dem unbedachten Eifer des Neulings für Orleans als die Stadt, die mehr als alle anderen im Lichte der Weisheit und im Glanz der Heiligkeit strahle.'* 18. Der Bauer Leuthard sucht vor Bischof Gebuin von Chälons seine Überzeugungen aus der Bibel zu erweisen (quod non didicerat), Rod. Glaber S. 49; er behauptet, prophetas er parte narrasse utilia, ex parte non credenda, erkennt also das Alte Testament nicht als kanonisch an. Die Ketzer in Orleans tragen ihre Lehren als Bibelexegese vor, s. Gesta synodi Aurel. S. 109: cum divini verbi dulcedine ab eis debriatur mortifero nequitiae austu; auch die Erlebnisse des Mannes, der sich für ihren Schü- ler ausgab. um sie zu entlarven (ib. S. 110f.), zeigen deutlich, daß sie „pneumatische Exegese‘“ trieben; die katholischen Beurteiler stellen das freilich fast stets so dar, als verhüllten die Ketzer ihre Lehren nur anfangs unter den Worten der Schrift, vgl. auch Rod. Glaber S. 76. Die Ketzer in Arras 1025 berufen sich für ihre Lehre und Lebensweise auf die evan- gelischen und apostolischen Schriften, die sie opere et verbo zu halten behaupten, nullamque preter hanc scripturam se recipere, Fredericgq IS. 3. Dagegen sagen die Ketzer in Monteforte: Vetus ac novum testa- mentum ac sanctas canones cotidie legentes tenemus. 19. Gesta synodi Aurel. S. 109£.: testificans Aurelianum urbem pra«e caeteris urbibus coruscare luce sapientiae atque sanctitatis lampade. Das gab den Anstoß zur Entdeckung der Ketzerei durch den Ritter Arefast, in dessen Diensten der Kieriker Herbert stand; Arefast beteiligte sich aktiv an der Untersuchung; später wurde er Mönch in S. Peter in Char- tres; auf ihn geht der Bericht im Urkundenbuch dieses Klosters, die sogen. —_ 412 — Tatsächlich hatten die in Orleans verurteilten Ketzer vor ihrer Entlarvung auch bei den Außenstehenden als Männer von be- sonderer Weisheit und Frömmigkeit gegolten.”” Aber auch bei anderen Ketzern dieser Zeit spielt die Verheißung besonderer Weisheit und Heiligkeit die führende Rolle. Schon der Bauer Leuthard gewann seine Anhänger durch den Ruf seiner Fröm- migkeit und die Anmaßung höheren Wissens." Als der Bischof gegen ihn einschritt, ließen sie sich leicht wieder bekehren. Die Ketzer in Monteforte bekennen sich einerseits zu Lebensregeln einer gesteigerten Frömmigkeit nach evangelischer Strenge, andererseits zu dem Glauben an religiöse Erleuchtung durch den Heiligen Geist, der das wahre Verständnis der Schrift lehrt. Heiligkeit und Weisheit sind auch bei ihnen die Ziele ihres Ketzertums. Bei den Ketzern in Arras vollends ist die Über- zeugung, wahrhaft im Sinne der Evangelien und der Apostel zu leben, ausschlaggebend für ihre Beziehung zur Ketzerei ge- wesen, und als der Bischof von Cambrai ihnen durch seine Pre- digt diese Überzeugung nahm, kehrten sie zur Kirche zurück. Wenn also Angehörige und Missionare älterer Sekten, sei es von Italien, sei es vom griechischen Osten aus die häreti- schen Lehren seit der Jahrtausendwende verbreiteten, so hatten sie offenbar nur deshalb Erfolg, weil sie dem erwachenden Drang nach geistigem und religiösem Aufschwung im Abend- Gesta synodi Aurelianensis zweifellos zurück, verdient also volles Ver- trauen. ") 20. Vgl. o. Anm. 6; auch Ademar S. 184: qui videbantur esse religio. siores alüs; S. 185 über den Führer der Ketzer, quem rex valde dilexerat propter sanctitatem, quam eum habere credebat. Rod. Glaber 8. 75: Viri hactenus in omni morum probitate perutilissimi. — Diese Angaben entkräften zugleich die Berichte bei Ademar S. 184f. und in den Gesta synodi Aurel. $S. 112 über Teufelsanbetung, rituelle Orgien der Ketzer und Verwendung der Asche verbrannter Kinder als magischer Mittel; sie verdienen allenfalls Interesse, wenn man die Wanderung von Motiven der Ketzerpolemik aus der Patristik über Byzanz ins Abendland feststellen will; vgl. meinen Aufsatz über den Typus des Ketzers in mittel- alterlicher Anschauung, Festschrift W. Goetz, 1927, S. 104f. 21. Rod. Glaber $. 49: doctor cupiens apparere; ..cuius etiam fama quasi alicuius mente sani ac religiosi in brevi ad se traxit partem non modicam vulgi. u land entgegenkamen. Alle Lehren der manichäischen und öst- lichen Sekten, die diesem Drang nicht sichtbar und unmittelbar dienten, fanden zunächst keinen Wiederhall in den europäi- schen Ländern. Hier wirken zunächst nur die asketischen Forderungen, die sich auf das Evangelium berufen und im Wesentlichen nur eine Übertragung der Klosterethik auf die Nicht-Mönche bedeuten: Keuschheit und Enthaltsamkeit vom Fleischgenuß; ferner die Auflehnung gegen die kirchliche Sakramentsvermittlung als einer zu laxen Heilspraxis; und endlich Verheißungen und Anweisungen zu höherer, spiritueller religiöser Erkenntnis. Das erste darf man dem Willen zu ethisch-asketischer Erneuerung des mönchischen Lebens in der Klosterreform jener Zeit an die Seite stellen; das zweite dem Bestreben nach Reinigung und Erneuerung der kirchlichen Heilspraxis; das dritte endlich steht im Zusammenhang mit dem geistigen Aufbruch des Abendlandes zu neuer Erkenntnis. Die monastische Reform, die von Cluny ausgeht, die hierarchische Reform durch Gregor VII. und der Aufschwung des theologi- schen Denkens seit Anselm von Canterbury haben denn auch jene Kräfte zunächst aufgefangen, die in der ersten Hälfte des Jahrhunderts der Ketzerei zufielen. Denn plötzlich nach der Jahrhundertmitte hören alle Zeugnisse über ein weiteres Be- stehen der Ketzerei auf.” Durch mehrere Jahrzehnte wird nichts über Verurteilung von Ketzern berichtet — es sei denn der von Gregor VII. verketzerten- Simonisten —, nichts über bischöfliche Maßnahmen oder Synodalbeschlüsse gegen die Häresie. Die religiöse und theologische Erneuerung innerhalb der Kirche und des Mönchtums zog alle Kräfte in ihren Dienst. Als am Ende des Jahrhunderts die Ketzerei wieder hervortrat, hatte sie ein neues Gesicht: dann erst ist sie zu einer religiösen Bewegung geworden, deren Leitgedanken die apostolische Wanderpredigt und die evangelische Armut wurden, 22. 1056 verbot noch einmal ein Konzil in Toulouse bei Strafe der Exkommunikation allen Umgang mit Ketzern und alle Hilfeleistung für sie, ohne eine bestimmte Art von Ketzerei kenntlich zu machen; Mansi XIX S. 849 c. 13. Verzeichnis der Abkürzungen und der mehrfach erwähnten Schriften. = Acta Sanctorum. = Analecta Franciscana. AFH = Archivum Franeiscanum Historicum. ALKG Archiv für Litteratur- und Kirchengeschichte des Mittelalters hrsg. von Heinrich DENIFLE u. Franz EHRLE. Berlin 1885 ff. AOP = Analecta Ordinis fratrum Praedicatorum. Cel. — Thomas von Celano. Ep. — Epistolae Innocentii III. (MPL 214—216). FDA = Freiburger Diözesan-Archiv. Leg. = Legenda. MG Ser. = Monumenta Germaniae Historica, Scriptores. 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B — Begine. Bf = Bischoff. Bm — Bistun. — Dominikaner(in). Ebf — Erzbischof. Ebm — Erzbistum. F — Fran- ziskaner. Gr — Graf. Hg — Herzog. K -— Ketzer, meist Katharer. Kl = Klarisse. P = Praemonstratenser(in.. W = Waldenser. Z = Zisterzienser(in). Abälard 41. 48. Acto Bf. v. Camerino 269. Adelheid v. Breisach (D) 413. — Langmann (D) 413. — v. Münt- zenheim (D) 191. — v. Rhein- felden (D) 190. — v. Trochau (D) 190. Agen, Bm. 16. 24. Agnes Blanbekin (B) 415. — v. Har- court (Kl) 458. — Seiffi (Kl) 254. — v. Wangen (D) 19. Alanus v. Lille 93 ff. Alaydis (B) 18. Alberich, Kard. 45. Albert d. Gr. (D) 381. 402 ff. 433. 469 £. — Bf. v. Vercelli 76. Albigenser 26. 28. 33. 54. 71. 101f. 130. 136. 154. 172. 181. 442ff. s. Katharer. Alexander III. 32. 52ff. 59ff. 63. 65f. 74. 79. 81. 98. 110. 129. 178. Alexander IV. 106. 207. 290 £. 293 ff. 305f. 399. s. Rainald Kard. Alexander v. Aphrodisias 420. 423. — v. Hales (F) 167. Alheit (B) 224 ff. Almaricus, Amalrich v. Bena 137. 355. 360 ff. 420. 457. Amalrikaner 355ff. 374 ff. 457. Ambrosius (Z) 259. 262f. — Mas- sanensis (F) 166. Amicie v. Joigny (D) 247f. 277 ff. Amiens, Bm. 205. 374. 421 ff. Angelo da Borgo $. Sepolero (F) 165. — Tancredi v. Rieti (F) 164. Anglieus (F) 166. Anna v. Munzingen (D) 232. 413. — v. Ramsweg (D) 415. Anselm, Ebf. v. Canterbury 483. — v. Havelberg (P) 40. 42. — v. Laon 359. Antonius v. Padua (F) 134. 166. Antwerpen 184. 352. Apostel, apostolisch: imitatio apost. 14ff. 28. 39. 102. 478. 482. — successio apost. 13. 25. 45. 96. (21). — vita apost. 16f. 20. 22. 36. 40. 44f. 58. 125. — generati apostoli 20. pseudoapostoli 20. 156. Apostelbrüder 391f. Aquitanien 305. 479. Aragonien, Ebm. 106. 115£. Arefast, miles 481. Aristoteles 361. 374. Armut: paupertas voluntaria, spon- tanea 15. 17f. 28. 40. 58. 60. 109. 122. 151.162. 168f. 187. 189. 195 ff. 231. 317. 322. — pauperes Christi 17. 20. 40. (196). — paupertatis habitus regularis 160. — s. Privi- legium paupertatis; Katholische Arme. Arnald, Abt v. Citeaux 102. — Hot, (K) 26. 444. — Arnaldus (K) 407 £. — 444. Arnaldistae (K) 67. 73. a I 2 — #01 Arnolinus (K) 163. Arras, Bm. 15. 35. 177. 47T. — Synode 1183: 31. — s. Bf. Peter. Arriani (K) 31. 45. 9. %. Augustinus 17. 24. 26f. 370. 476. Augustiner-Regel 76. 78. 107. 131. 135. 141 f. 176. 210. 223. 228. 233 f. 236. 285. 302. 320. 395. 398 ff. Averroismus 427. Baiern 401 f£. Balduin v. Arde 380. — Gr. v. Flan- dern 380. Basel 433. s. Heinrich, Prior. Baumgarten-Allegorie 470. Beatrix v. Nazareth (Z) 193. 454f. 466. Beauvais, Bm. 51. 480. Begarden 33. 351 ff. 380. 386 f. 389. 409. 433 ff. Begardenhäuser: Antwerpen, Bois- le-Duc, Brügge, Brüssel, Diest, Löwen, Mecheln, Middelburg, St. Omer, Tirlemont, Tournai, Wie- ner-Neustadt 352. Köln 351. Beginen 33. 161. 173£. 177. 181 ff. 221 ff. 319ff. 355. 359. 377 ff. 433 ff. Beginenhäuser: Aachen 331. Brüssei 321. 350. Diest 331. Frankfurt a.M. 330. St. Gallen 333. Halberstadt 350. Hildesheim 350. Köln 321. 327. 331. 333. Löwen 186. Lüttich 320. Marseille 458. Osnabrück 332. Paris 193. Straßburg 345 ff. 461. Tongern 321. Valenciennes 331. Wesel 350. Worms 349f. =. Klöster. Beginen-Regeln (-Statuten) 3%. 330 ff. 345 ff. 470. Bela v. Ungarn (D) 29. Benedikte v. Mühlhausen (D) 1%. Benediktiner-Regel 47. 76. 78. 107. 130 f. 135. 141. 149. 206. 258. 261. 320. 463. Benvenutus da Gubbio (F) 165. Berengar Ebf. v. Narbonne 209. Bergamo 79. Bernhard (Bernardus) v. Clairvaux (Z) 18. 21 ff. 25£. 30 ff. 35 ff. 45f. 48. 50. 64. 174. — v. Fontcaude 51. 93ff. 162f. — Gui (D) 22. 335. 448. — Ebf. v. Narbonne 93. — Primus (W) 9ff. 106. 109. 115. 118ff. 127f. 141. 162. 19. 210. — v. Quintavalle (F) 164. — Ramundi Arrianus (K) 31. — subdiaconus (A) 3571. Berthold v. Regensburg (F) 34. 388. 3%. 444. 449f. 462. 468f. — v. Tennenbach (Z) 147. Bertram, Bf. v. Metz 97. 447. Beziers, Bm. 113. — Synode 1246: 448, Bibel-Übersetzungen 59. 97ff. 339. 443 ff. 471. Bizoken 332. 359. 377. Blanchefleur, Tochter Friedrichs I. (D) 247. Bloemardinne (K) 184. Bogomilen 476. Bologna 213. — Dominikaner-Gene- ralkapitel 1227: 218. 1240: 333. 1242: 245. 1252: 286. 1267: 399. Bonaventura (F) 132 ff. 306 ff. boni homines, boni Christiani, bons hommes, „gute Menschen“ 21 ff. 65. 169. 209. 417. 419. 423 ff. Brabant 183f. 359. 401f. 454. — s. Hg Johann 1. Brescia 79. Brunetus Oldradi 266. Bruno Bf. v. Olmütz 334. 336 f. 401. — Ebf. v. Trier 34. Bucy (bei Soissons) 17. Budapest 290. Burchard v. Ursberg 68. 90. 1251. 128. Caecilia v. Bologna (D) 235. — Ro- mana (D) 235. Caesarius v. Speyer (F) 165. 183 le — Calixt II. 44. 52. — Calixt III. 178. 452. Cambrai, Bm. 14. 33. 185. 331. 354. 431. 482. Carcassonne, Bm. 22. 113. Cataphrygae (K) 31. Chälons-s.-M., Bm. 163. 431. 477, — s. Bf. Gebuin, Roger. Champagne 477. Chelidonius 397. Chordulariae s. Minoretae Christiane v. St. Troud (B) 454. Christine v. Stommeln (B) 192 f. 339. Clemens IV. 296. 399. — Clemens V. 486 £. Cluniazenser s. Kluniaz. Cölestin II. 49. — Cölestin IV. 246. Como 79. connubium spirituale 412 ff. Conserans, Bm. 101. Coguenunne 377. Cornillon 456. — s. Juliane. credentes 23. 32. 35. 444 f. 450. 478. Cremona, Bm. 79. 119. 125. Crispinus, mag. (W) 162. Crusius, Martin 395 ff. cura monialium 202. — Dominikaner 208 ff. 274 ff. 284 ff. 329. — Fran- ziskaner 259ff. 274ff. 303 ff. — Praemonstratenser 49. 175f. 203. — Zisterzienser 203 ff. — Beginen 326. 331ff. 341. S. Damians-Orden 267ff. 279ftf. 303ff. — s. Klarissen; Klöster: S. Damian. David v. Augsburg (F) 59. 163. 401. 406. 413. 448 f. 468 ff. — v. Dinant 420. 423. deificatio 415ff. 422f. 430. 482. Diana v. Andalö (D) 213ff. 218f. 459. Diego Bf. v. Osma 26. 28. 35. 100 ff. 208 f. 444. Diemut v. Gailenhausen (D) 250. Dietrich v. Freiberg (D) 473. Discalceatae s. Minoretae. Dominicus de Triangulo (A) 358. Dominikaner(innen) 28. 122. 126. 143. 190. 208 ff. 270. 274 ff. 312 ff. 323f. 329. 332ff. 348. 350f. 353. 398. 408 f. 434. 458 ff. Dominikus 22. 28. 101f. 141. 145. 148. 208 ff. Douceline v. Digne (B) 193. 458. Drei-Zeitenlehre 364 f. 368. 371. 422. Dualismus, dualistisch 16. 23ff. 41. 96. 121. 178. 421. 479. Dudo (A) 358. Durandus v. Huesca (W) 72. 100 ff. 122. 141. 162. 19. Eberhard v. Bethune 380. — Bf. v. Konstanz 399. — Ebf. v. Salzburg 392. Eberhardini (K) 391 ff. Ebrardus (K) 34. Eckbert v. Schönau 22. 24. 26. 31. Eckhart, Meister (D) 429ff. 467. 471. Egnolf v. Stoffen (D) 316. Eichstätt, Bm. 342. 393f. — s. Bf. Friedrich, Reimbcto. Elias v. Cortona (F) 145. 166. Elinandus (A) 358. Elisabeth v. Erkenrodt (B) 339. — v. Schönau 25. — Lgr. v. Thürin- gen 196. 224. Elne, Bm. 111f. 117. 162. Elsbeth v. Stoffeln (D) 190. Emanuel v. Verona (F) 166. Emo, Abt v. Wittewierum 126. 221. Ethardus v. Reims (W) 9%. 163, Eugen II. 49. — Eugen III. 53. Eustachius de Normaneville (F) 167. Eva v. St. Martin (B) 456. Evangelien als Lebensnorm (vita evangelica) 14. 19f. 23. 26. 40. 44f. 58f. 92ff. 131ff. 187. 19. 478. 482, Evervin, Abt. v. Steinfelden 18ff. 25. 35. — 503 Everwacher (K) 35. Evrard v. Chäteauneuf, miles (K) 35. Fabri, Felix (D) 296. 396. 400. Fanjeaux 209, fautores haereticorum 32. 35. 4. Flandern 22. 31. 5öff. 75. 177£f. 183 f. 359. 454. Florenz: 332. Dominikaner-General- kapitel 1257: 291. 294. 298, 409. Fontevraldenser 47. — s. Klöster: Fontevrault. Franziskaner 122. 126. 128. 141ff. 152 ff. 164 ff. 172. 201. 244. 253 ff. 274. 277. 279 ff. 303 ff. 312. 332 ff. 349 f. 353. 407 ff, 434. 458. Franziskus v. Assisi 22. 30. 118. 17. 1418. 1538 1722.18. 1% f. 215. 253ff. 283. Fratricellen 39. Friedrich I. 67. — Friedrich II. 225. 400. — Bf. v. Eichstätt 228. — v. Ersteheim (D) 345. Friesland 184. Fritzlar 41. Synode 1244: 326. 330 f. 391. Fulko Ebf. v. Toulouse 35. 172. 209. Garinus, mag. (A) 358. Gascogne 52ff. 305. Gaucher, Galchetus (Sohn Amicies v. Joigny) 247f. 277. Gaufred (Z, Sekretär Bernh. v. Clairv.) 31f. 34. 45. 58. Gautier de Coiney 186. 378 ff. — de Metz 387. Gazari (K) 73. s. Katharer. Gebuin Bf. v. Chälons 481. Gelasius II. 41. 44. Gerardo di Borgo San Donnino (F) 405. Gerhard Ebf. v. Mainz 330. Gertrud v. Helfta 329. — v. Osten (B) 415. — v. Westfalen (D) 190. Gervasius, Abt. v. Premontre 176. Gilbert Foliot, Bf. v. London 33. 197. 325. Gilbertiner 213. Girald v. Salles 47. Gisela v. Umkirch (D) 190. Godinus, mag. (A) 374. — Godini 377. 381. — s. Amalrikaner. Goliarden 3%. Goslar 479. Gottesurteile (Wasser- und Feuer- probe) 35. 51. 138. 179f. Gottfried v. Kappenberg (P) 48. Gratianus Pisanus, Kard. 76. — de Romagnola (F) 166. Gregor VII. 13£. 483. — Gregor IX. 86. 106. 116. 151. 186. 200. 206. 208. 212. 222. 225. 230. 233. 236 f. 241. 243. 245f. 259f. 265f. 268 ff. 280 f. 284. 315. 327. s. Hugolin. — Gregor X. 334. Guibert v. Nogent 17. 24. 30. 34. 5ik: Guido Bf. v. Assisi 129. 148. 254. — de Porta ÖOrientali (Mailand) 160. — v. Nivelles 455. Guidone d'Arezzo 459. Gundelfing, Gr. v. 400. Gundolf (K) 478. Hadewich (B) 184. 4ö4ff. 466 f. Hadrian IV. 49. Handarbeit 33. 79. 90. 112. 122. 197. 322. 326. 344. 348. 351 ff. 434. 478, Hartmann Gr. v. Kiburg 234. Hedwig v. Gundolsheim (D) 191. Heiltraut v. Bernhausen (D) 415. Heinrich Il. v. England 60. — Schwester Heinrichs III. v. Eng- land (D) 247. Heinrich, Prior v. Basel (D) 460 f. — Abt v. Clairvaux 31. 4. — Vogt v. Gera 191. — v. Halle (D) 328. — Prior v. Köln (D) 220. 459. — Bf. v. Konstanz 398. — v. Lauffenberg, Prior v. Basel (D) 460. — v. Lausanne (K) 31. 40 ff. 45. — v. Löwen, Lektor in Köln (D) 460. — Gr. v. Lupfen 399. — — 504 v. Marbach, Prior v. Basel (D) 460. — v. Meißen (Frauenlob) 461. — v. Nördlingen (D) 329. 414. 473. — v. Ostia 361. 363. 375. — Ebf. v. Reims 55. — v. West- hofen, Prior v. Basel (D) 460. Helwig (B) 223. Heribert (Z, Ebf. v. Torres?) 18#f. 25. 29. 34. 58. Hermann v. Havelberg (D) 190. — v. Minden (D) 199. 297. 301Lf. 313. 316. 464. — v. Tournai 44. 48f. — Bruder H. (v. Veldenz? D) 19, 229. 387 f. 468. Hieronymus v. Ascoli (F) 310. Hildebert Bf. v. Le Mans 41. Hildegard v. Bingen 25. 32. 155f. Holland 184. Honorius II. 91. 143. 151. 154. 170. 173. 199. 212. 215. 217. 257. 319. 321. — Honorius IV. 391. Hugo v. St. Cher. (D Kard.) 2491. 286. 288 ff. 299. 303. 321. 327. 331. — Ebf. v. Rouen 26. 35f. — v. St. Viktor 466. Hugolin, Kard.-Bf. v. Ostia 132. 145f. 149. 152f. 173. 194. 200. 255. 257 ff. 306. — s. Gregor IX. Hugolin-Regel 259 ff. 280 ff. 303. Humbert v. Romans (D) 90. 158. 290. 292. 297. 300. 314. 334 ff. 344. 380. 390. Humiliaten. 33. 61. 64 ff. 72££. 107. 112. 115. 118. 125. 128£. 139. 141. 157 ff. 172. 195. 353. 395. 377. — Regel 76 ff. 83 ff. Jakob (Jacobus) Pantaleon, Erz- diak. v. Lüttich 320. s. Urban IV. — de Rondenario 75. — v. Tre- viso (F) 166. — v. Vitry, Bf. v. Accon 89f. 115. 160. 165. 170 ff. 181f. 187 ff. 1%. 256f. 320. 322. 332. 359. 377. 384f. 455. Ida v. Leau (Z) 193. 455. — v. Lö- wen (Z) 19. 339. — v. Nivelles (BZ) 191. 19. — idiotae et illitterati 29 ff. 34. 62. 162. Illuminatus (Accarino della Rocca Accarina, F) 164. Innozenz 11. 49, 53. — Innozenz Ill. 51. 638. 70 ff. 162. 170£. 175. 211. 258. 437. 447. — Innozenz IV. 86. 107. 117. 151. 244, 247ff. 259. 269 ff. 276ff. 286 ff. 296. 303 ff. 309f. 3981. Joachim, Abt v. Fiore 94. 137. 365. 405. 422. Johannes Boccamazzi, Kard.-Leg. 302. — Hg. v. Brabant 321. 350. 352. — Colonna, Kard. 130ff. — Iwyn (F) 167. — v. Lier 171. 320. 455. — de Lugio (K) 445. — Gr. v. Montfort 249. — Mühlberg (D) 341. — Nider (D) 403. 433. — v. Nivelles 320. 455.— v. Osnabrück 321. 327. — Parentis (F) 166. — v. Ravensburg (D) 191. 249. — Scotus Eriugena 361ff. — Sim- plex (F) 167. — de Uneinis — Oceines (A) 357. — v. Vercelli (D) 296. 314. — v. Wildeshausen — Teutonicus (D) 238. 242 f. 245. 250 f. 285 f. 288. 293. 370. Jolande v. Vianden (D) 1%. 1%. 229. 387 f. 468. Jordanis v. Sachsen (D) 212. 215 ff. 224. 4591. Josepini (K) 67. Isabella, Schwester Ludwigs IX. v. Frankreich (Kl) 309. 458. Julian v. Speyer (F) 166. Juliane v. Cornillon (B) 173. 185. 456. Jutta v. Weida (D) 235. Ivo v. Narbonne 352. Iwan v. Reves, miles 196. Iwers i. d. Ardennen 34. Katharer 21 ff. 29. 31. 54. 67. 80. 94. 96. 101. 123. 139. 161. 177. 17YEf. 197. 421. 427. 442 ff. 478. Katholische Arme 61. 100ff. 121 ff. 142. 153. 162. 195. 210. ei Klöster: Eschau (Aug.) 237. Fermo (Bm): S. Maria de Virgini Klara Seiffi 148 ff. 194. 253 ff. 283 f. 303. 309. Klarissen 151. 201. 259. 264. 309 ff. 314. 319. s. 8. Damians-Orden. Hugolin-Regel. Klöster: Accon, S. Michael 166. Adelhausen b. Freiburg (BD) 1%. 223. 231f. 234. 250f. 295. 315. 413. 416. 463. 472. Alessandria, S. Maria Magdalena (Kl) 270. Altenhohenau (D) 235. 251. 279. 298. Alzey i. Hessen (DZ) 227. 252. Ammerschweiler (BD) 223. Ascoli (Kl) 270. Assisi, S. Angelus de Panso (0.8.B.) 254. — S. Damian (Kl) 148 ff. 254. 258ff. 279ff. 303. 309. 314. Augsburg, S. Maria in Arena = S. Katharina (BD) 223. 251. Aywieres (Z) 189. Baindt (BZ) 227. Bastia, S. Paul (0.S.B.) 253. Bologna, St. Agnes (D) 213ff. Al ff. 279. 2%. 315. 459. Bonoeil (P) 314. Boos b. Saalgau (B) s. Baindt. Bordeaux (Kl) 270. Breslau (Kl) 304. Burgos (Kl) 270. Castello Fiorentino, S. Maria de Marca (Kl) 314. Chartres, S. Peter (0.S.B.) 481. Cronschwitz (D) 191. 235. 251. Depontio (Z) 205. Diessenhofen-Katharinenthal (BD) 1%, 223. 234. 251. 415. Dorf-Kemnaten (BD) 228. Ebenheim s. Oberehenheim. Eckbolsheim, St. Margarethe (spä- ter Straßburg, D) 249. 251. Engelthal (BD) 190. 223 ff. 235. 250 f. 298. 413, 464. bus (Kl) 270. S. Francesco (S. Thomas) de Monte Sancto (Kl) 270. Fontefroid (Z) 103. Fontenelle (Z) 187. 192. Fontevrault 43. 47. 49. 161. 379. Frauenaurach b. Erlangen (D) 223. Freiburg, S. Agnes (D) 2%. 316. St. Gallen, St. Katharina (BD) 223. Gnadenzell s. Offenhausen. Gotteszell b. Schwäb. Gmünd (D) 251. Heckenbach (Heggbach, Hepp- bach) (BZ) 227. Heiligkreuztal b. Riedlingen (Z) 206. Helfta (Z) 328. Himmelwonne - Löwenthal (BD) 191. 223. 249. 251f. Husern-Klingenthal b. Basel (D) 234. 249. 251. 298. 461. Imola, S. Dominikus (D) 279. 287. 29. Kamp b. Boppard (BF) 471. Katharinenthal s. Diessenhofen. Kernhausen b. Speichingen (B) 400. Kirchberg (D) 238. 250f. 315. 414 ff. Kirchheim (D) 234. 251. 395 ff. Klingenthal s. Husern. Koblenz (BD) 223. Köln, S. Gertrud (BD) 194. 223. 317. Konstanz (BD) 228. Paradies (Kl) 304. S. Lambrecht b. Neustadt a. d. Hardt (D) 35. 251. 294. 298. La Ramee (Z) 191. 455. Lienz (D) 29. Löwenbrücken (Z) 206. Löwenthal s. Himmelwonne, Longchamps (Kl) 309. 458. Be Klöster: Klöster: Madrid (D) 212f. 216f. 241 ff. Mailand, S. Apollinaris (Kl) .661. 266. 314. Mariaberg b. Reutlingen (BD) 223. Marienborn i. Ramsdorf (Z) 206. Marienthal b. Mersch (D) 19. 229. 251. 316. 468. S. Markus s. Straßburg. Medina del Campo (Kl) 270. Medingen (D) 251. 315. Merenbrunnen, Weißenburg i. E. (D) 251. Mersch s. Marienthal. Montargis (D) 246ff. 275ff. 294. 312. 315. Monticelli b. Florenz (Kl) 261. 314. Neidingen (BD) 228. Neuburg a. Neckar (ZD) 227. Neustadt a.d. Hardt s. Lambrecht. Niederschönenfeld b. Burgheim (BZ) 226. Noreia, S. Maria Magdalena (Kl). 270. Nürnberg, S. Katharina (D) 223. Oberehenheim i.E. (D) 249. 251. Öbermedlingen (D) 316. Oberschönenfeld (BZ) 226. Oberweimar (Z) 329. Ötenbach b. Zürich (BD) 19. 230 f. 235. 240. 242, 244f. 251. 316 £. Offenburg i. Baden (D) 248. 251. Offenhausen-Gnadenzell (BD) 298. 395 f. 399f. Offida (Kl) 270. Pantemont (Z) 205. «Paradies s. Soest. Paris, S. Martin des Champs 360. — 8. Viktor 370. Pavia, S. Maria de Nazareth (D) 279, 287: Prag, S. Agnes (Kl) 304. Premontr&e (P) 45. 48. 314. Prouille (D) 208ff. 241ff. 287. 312. 314f, 458. Regensburg, Hl. Kreuz (D) 235. 298. Rengering (Z) 207. Rennehausen (Hausen ob Rott- weil) s. Offenhausen. Ripatransone (Kl) 270. Rom, S. Sisto (D) 210. 212. 216. 228. 233. 235ff. 246. 275. 285 287. 298. 302f. 315. 320. 399, 458. Ronzano (0.S.B.) 214. Saalgau-Sießen (BD) 223. Sanseverino (Kl) 65. Schwarzhofen (D) 235. 298. Seefelden a. Bodensee s. Baindt. Sirnau (später Eßlingen; D) 234. 251. 398. S. Sisto s. Rom. Soest, Paradies (D) 238. 293. 298. Soissons 379. Stahelsberg-Zimmern (BZ) 227. Steinach (D) 298. Stetten (D) 298. Straßburg, S. Agnes (D) 248. 275ff. — S. Elisabeth (D) 250. — S. Johannes (D) 250. 316. — S. Katharina (D) 250. 316. — S. Markus (D) 229, 232 ff. 249. 275. 285. 298. 316. 3981. — S. Nikolaus u. Matthäus (S. Niko- laus in undis, zu den Hunden; D) 250. — S. Stephan (Aug.) 237. Sylo-Schlettstadt (D) 251. Tongerloo (P) 49. 175. 181. Töß b. Winterthur (D) 284. 521. Trier, S. Barbara (D) 251. — S. Martinsberg (D) 234. 237. 240. Unterlinden b. Kolmar (D) 190. 19%. 232. 236. 238. 240. 250£. 294. 416. 460. Verona, S. Maria de Campo Mar- tio (Kl) 270. Vesprim (Ungarn), Inselkloster (D) 29. Villiers (Z) 185. nn DE Klöster: Wederstede (D) 316. Weil(er) (BD) 223. 251. 317. 415 f. Wien (BD) 223. Wonnenthal b. Kenzingen (DZ) 227. 231. 251. Worms, Himmelskrone (D) 317. Würzburg (D) 251. Zamora (Kl) 270. Zimmern s. Stahelsberg. s. Beginenhäuser; Begardenhäuser. Kluniazenser 13. 15f. 30. 483. Köln, Ebm. 18ff. 5. 32. 35f. 32. 155. 186. 220. 327. 331. 333. 351. 433 f. Kolmar 433. — s. Klöster: Unter- linden. Konrad Bf. v. Hildesheim 183. — v. Hochstaden, Ebf. v. Köln 192. — v. Lauffenholz 227. — v. Marburg 196. — Hg. v. Teck 397. — Gr.v. Wasserburg 235. — Schenk v. Winterstetten 227. — v. Worms (F) 167. Konstanz, Bm. 230. 234. 238. 395 ff. — s. Bf. Heinrich; Bf. Eberhard. Krems 405. Kunigunde, Kgin v. Böhmen 225. Lambert „le Bege“, Priester in Lüt- tich 178f. 181ff. 452ff. 468. — v. Ardre 380. Lambrecht v.Regensburg (F) 401. 416. Lanfrancus, Humiliatenführer aus Lodi 75. Langres, Bm. 356. Laon, Bm. 40. 44f. 49. Laterankonzil II. 1139: 53. — II. 1179: 54. 57. 68ff. 77. 92f. 98. 453. — III. 1215: 85. 106. 115. 117. 130. 135 ff. 191. 200. 236. 254. 258. 374. 408, fr. Leo (F) 266. Leonisten s. Waldenser. Leuthard (K) 477f. 4811. Lisiard Bf. v. Soissons 51. Liudolf (Eremit) 42, Lodi 79. Lombardei 23. 65. 183. 197. 271. 359. Lombez, Synode 1165: 2, 26. Lucas v. Tuy 444. Lucius HI. 25f. 50. — Lueius II. 67 ff. 75. 137. 139. 177. Lüttich, Bm. 25f. 50. 170f. 1781. 181. 189. 320. 341. 380. 447. 453. 468. — s. Lambert „le Bege‘“; Bf. Wazo. Ludwig VI. v. Frankreich 55 f.— IX. v. Frankreich 192f. — Hg. v. Teck 397. Lukardis (Z) 329. 415. Lupfen, Gr. v. 400. — s. Gr. Hein- reich. Lutgard (Z) 189. 456. Lyon, Ebm. 57ff. 61. 65. 9%. 249. 270£. — Konzil 1274: 334. 340 ff. 388. 401. 409. — Pauperes de Lugduno s. Waldenser, 155. 172. 177. Magdeburg, Ebm. 327. — Synode 1261: 331. 391. Mailand 33. 77. 79. 90. 110. 160. 185. 478. — s. Ebf. Philipp. Mainz, Ebm. 25. — Synode 1233: 326f. 331. 391. — 1261: 331. — 1310: 330 f. 391 f. 435. — s. Ebf. Gerhard. Maiolus, Abt v. Cluny 16. Manasses (K) 3. Manes (D) 212. Manichäer 16f. 23f. 97. 31. 40 f.55. %. 178. 405f. 420f. 476 ff. Marbod Bf. v. Rennes 41ff, Marcus v. Mailand (F) 166. Margarethe Ebner (D) 414f. — Gr. v. Flandern 352. — Porete (B) 431 ff. 471. — Tochter Kg. Belas v. Ungarn (D) 29. Maria v. Oignies (B) 171ff. 182. 189. 1%. 377. Maria-Magdalenen-Orden nen) 236. 302 f. 320. Marquard Longus de Aschenburg (Reuerin- — Re (F) 167. — Parvus aus Mainz (F) 167. Masseo da Marignano (F) 165. — da Sanseverino (F) 165f. Mechthild v. Hackeborn (Z) 329. — v. Magdeburg (BZ) 327ff. 409. 412f. 417ff. 425. 465 ff. A73f. — v. Waldeck (D) 414. — v. Zim- mern (D) 250. Metz, Bm. 97 ff. 162. 447. — s. Bf. Bertram. Minden, Bm. 208. Minoretae, Minorissae, Chordulariae, Discalceatae 268. 271. 305. Monteforte 477 ff. Montfort s. Gr. Johann, Simon; Amicie de Joigny; Gaucher. Montpellier, Bm. 93. 98. 102f. — Synode 1162: 53. Montreal 26. Montwimers 25. Monza 79. Münster, Bm. 327. Narbonne, Ebm. 93. 106. 113. 1161. — Franzisk.-Gen.-Kap. 1260: 305. — s. Ebf. Berengar, Bernhard. Natalis (D) 211. Neapel, Franzisk.-Gen.-Kap. 313. Neuffen, Gr. v. 400. Neuplatonismus 27. 362 ff. 366 f. Niecolo di Guglielmo dei Pepoli (F) 166. Nikolaus IV. 296. 302. Nikolaus v. Bibra 343. — de Reno (F) 167. Nimes, Bm. 113. Nivelles 182. 184. 191. Nördlingen 403f. 406. Norbert v. Xanten 17. 40f. 43ff. Nürnberg 224f. 1316: Udo de S. Clodoaldo (A) 358. Oignies 190. — s. Maria v. O. Ordination 14. 23. 25f. 28. 63. 93H. 108. 119. Orleans 477 ff. Orsini, Johann Gaetano, Kard. 306ff. — Matteo Rosso, Kard. 311. Ortlieber (K) 405. 422, Osnabrück, Bm. 186. Otto IV. 127. Otto, Kard.-Leg. 331. — Bf. v. Paris 154. Oxfort 22. 167. 322. Pacificus (F) 166. 267. Palma contemplationis 470. Pamiers 101. 105£. 162. Pantheismus 363. 369. 371. 419f. 422. papelardi 357. 359. 377 ff. Paris, Bm. 154. 218. 240. 291. 332. 355ff. 385. 431. 457. — 3. Bf. Otto. Paschalis II. 40f. 44. passagini (K) 67. „Passauer Anonymus“ 403 ff. patareni (K) 31. 54. 65. 67. 139. 177. 405. Paulicianer 476. Paulus 33. 36. 324. 359. 361. 364 f. 371. 423. Pavia 79. Peregrino da Fallerone (F) 166. Perigord 18. 20. 25. 34. 58. 477. Perugia 150. 170. 172. 256. Petrus v. Albano 327. — Bf. v. Arras 67. — Cantor 179. — Ca- puanus, Kard. S. Marcelli 76. — de Castro Novo (Z) 102. — Cat- taneo (F) 164. — de S. Clodo- aldo (A) 358. — v. Dacien (D) 193. 339£. — Kard. S. Georgii ad velum aureum 3%. 398. — v. Verona (D) 463. Philippus Longus 30. 263f. 267. — de Greve 96. 448. — Ebf. v. Mai- land 72. 110. — v. Monmirail 183. 413. — Mouskes 387. Philippine de Porcellet (B) 458. piphles (K) 31. Pisa, Synode 1134: 45. 376 f. a ae Poitiers, Synode 1100: 43. Poneius (K) 18. Prämonstratenserinnen 47ff. 175 ff. 182. 188. 202f£. 210. 314. privilegium paupertatis 149 ff. 255. 281. 284. populicani, publicani (K) 54f. 178. 180. Predigt: Unterscheidung von Sitten- pr. (Exhorte) und dogmatischer Pr. (de articulis fidei) 61. 68. 81. 109. 124. 134. — Wanderpr. 17f. 21. 38ff. 58ff. 65f. — Predigt- verbote 61ff. 65f. 68. 97ff. 139. 154. 390. 3%f. 434f. — Predigt- erlaubnis für Humiliaten 80f. 90f. — für die Katholischen Ar- men 102. 104f. 109. 121. 123£. — für Franziskaner 134. Provence 52f. 55. Psalter 447. 453. 462. Pseudo-Apostel 20. 156. — praedi- catores 63. — Propheten 32. 155. 39. quatinus, faire le quatinus 381 f. Radulfus, Radulphus, Rodulfus, Raoul: Ardens 16. 24. — v. Cog- geshall 24. 180. — v. Fontfroid (Z) 102f. — v. Fütaie 47. — Gla- ber 15f. 477 ff. — s. auch Rudolf. Raimund v. Penaforte (D) 243. Rainald, Kard. 267. 271. 283. 303 £. 306. 5. Alexander IV. Rainer Sacconi (D) 402. 444. — v. Tongern 321. 341. — Kard. v. Viterbo 76. Ratzeburg, Bm. 208. Raymund Gr. v. Toulouse 54. Regensburg 228. Reimboto, Bf. v. Eichstätt 342. Reims, Ebm. 55 ff. 75. 178. 180. — Synoden 1119: 44. — 1148: 53. — 1157: 32. 36. — 1230/1: 163. 448. Reinlind v. Riseck (D) 190. religionis species 6. 53. 178. — reli- gio simulata 268. — falsa 343. Rheinland 22. 153. 177. Riceieri da Muceia (F) 160. Richard v. S. Viktor 467. Ries 402 ff. Rivotorto 127. Robert v. Arbrissel 17. 40ff. 46f. 49. — le Bougre 185. — Gr. v. Clermont, Dauphin d. Auvergne 444. — v.Courgon 374.— Grosse- teste, Bf. v. Lincoln 32. — v. Sorbonne 322. 380. 385 ff. Roger II. Bf. v. Chälons 52. 476. 478f. — v. Hoveden 443. — Bf. v. Worcester 33. 52. Romagna 271. Roscelin 43. Rouen, Ebm. 312. — s. Ebf. Hugo. Rudolf v. Habsburg 232. — v. Hil- desheim 320. — v. Namur, mag. 356. 366. 370. 374. Rufinus Seiffi (F) 165. Runkarier (K) 405. Rupert, Abt. v. Deutz 42. rusticani, rustici 2Iff. 478. Ruteboeuf 325. 387 f. Ruysbroeck (D) 184. Salamanca, Bm. 271. Salimbene (F) 381. Schweinach 226. Seeland 184. Seelenspiegel 470. Sempringham 213. Sens, Ebm. 356. Seuse (D) 472f. Silvester (F) 164. Simon Anglieus (F) 166. — Gr. v. Montfort 247f. — v. Tournai (F) 334. 337 ff. — Tuscus (F) 165. Soissons 17. 51. Sokrates 420. Spoleto: ordo pauperum dominarum de valle Spoleti 359tf. 266. Stephanie v. Ferrette (D) 191 — 510 — Stephanus (F) 255. 263f. — de Cella (A) 357.— Hungarus, Kard. 306 f. — diac. de Veteri Corbolio (A) 358. — sacerdos de Veteri Corbolio (A) 357f. — Straßburg 138. 234. 239f. 422. Sulz, Gräfin v. (D) 232. 250. Tanchelm (K) 35£. Tarragona, Ebm. 106. 113. 116. — Synode 1233: 448. Tauler (D) 472. texerants, textores (K) 29. 31 ff. 36. 45. Theoderich (K) 35. Thomas v. Chantimpre (D) 183. 229. 455. — Tuscus (F) 166. — v. Paria (F) 255. 263. Tietmar (K) 407f. Tirlemont 19. Torres, Ebm. 18. Toscana 257. Toul, Bm. 32. Toulouse, Ebm. 31. 34. 37. 54. 58, 101. 141. 205. Synoden 1056: 483. — 1119: 52f. — 1129: 447f. — s. Ebf. Fulko. Tours 55. 57. — Synode 1163: 53. Trier 448. — Synode 1277: 3891. 392. — Dominik.-Prov.-Kap. 1236: 234. — Dominik.-Gen.-Kap. 1246: 462. Troyes, Bm. 356. trutanni, truands 335. 380f. 386 ff. 409. UÜbertus, Ebf. v. Mailand 72. 110. Ulrich Engelberti (D) 408. — v. Königstein 225f. — de Lueri (A) 358. — v. Straßburg (D) 351. Urban II. 41. — Urban IV. 295. 306 ff. — s. Jakob Pantaleon. Uzes, Bm. 113. Vaganten 390 ff. Valenciennes, 1259: 299. Venturino v. Bergamo (D) 4581. Dominik.-Gen.-Kap. Verfeuil 37. Verona, Bm. 67. 72f. 75. 106. 177. Vezelay 52. Viboldone b. Mailand 77. Vienne, Konzil 1311: 335. 436 ff. Vitalis v. Savigny 40. 43. 46. Viterbo 137. Volkmar v. Kemnat 227. Volknand, Prior v. Straßburg (D) 234. Waldenser 21. 31f. 34. 51. 57ff. 722. 80. 91ff. 134. 139. 141. 161 ff. 195. 39. 405. 421. 425. 443 ff.;, Lombardische Arme 89f. 91; Pauperes de Lugduno 31f. 67. 73. 89. 125; „Wiedervereinig- te Lombarden“ 118. 122. 124. Waldes 28. 47. 57 ff. 92. 195£. 4451. 453. Walter Map 30. 57. 59ff. 446. Walter, Prior v. Straßburg (D) 232. 237 £. Wazo Bf. v. Lüttich 52. Wila (D) 415. Wilhelm (Wilhelmus, Guilelmus) v. S. Amour 63f. 156. 186. 323ff. 333. 337. 359. 380. 385 f. 388. 409. 428. — v. Afflighem (Z) 455. — Arnaldi (W) 118 — de Arria, aurifex (A) 357. 366. — Abt. v. St. Benigne, Dijon 16. — Gr. v. Montpellier 93. — S. Nazarii in Brovio 266. — v. Nottingham (F) 322. — Pictaviensis (A) 357. Willbirch v. Offeningen (D) 415. Williburg v. Hochberg (D) 250. Wolfger Bf. v. Passau 3%. Würdigkeit des Priesters 13f. 95. 108. Würzburg, Konzil 1287: 391. Zisterzienser(innen) 46. 48f. 140. 153. 174 ff. 182. 188f. 202 ff. 215. 218. 226f. 244. 314. 319. — Insti- tutionen 135. 206. 236f. 320. 329. Zollern, Gr. v. 400. Zürich 2341. Berichtigungen. S.40 Anm. 57 Z.3 v.u. lies: eremplo — S.64 Anm.112 Z.10 v.o.: alienis — S.73 Anm.3 Z.7 v.o.: sine (statt: sint) — S.88 Anm.33 Z.6/5 v.u.: resecare — Z.4 v.u.: obscura — S.117 Anm. 92 Z.5 v.o.: procederent — 5.185 Anm.31 Z.4 v.o.: unten S.493f. — S.187 Anm.36 Z.2 v.u.: afflictionibus — S.191 Z.9 v. o.: ce.2 — S.197 Anm.51 Z.9 v.o.: s.u. S. 378 —- 8.313 ist die letzte Zeile zu tilgen (vgl. S.315 Anm. 268). — S.347 Anm. 47 Z.5 v.o. muß es heißen: ezceptis — S. 377 nach Anm. 46 ist eine Zeile ausgefallen, mit der Anm. 47 beginnt: Sermo ad virgines. ed. Greven Hist. Jahrb. XXXV S.44f.: —S.380 Z.4 v.o. zum Wort beginage gehört Anm. 54. — S.380 Anm.55 Z.6 v.u. lies: MG Ser. XXIV (nicht: XXVI). — S.385 Anm.62 Z.5 v.o.: Papalarei — S.434 Anm.186 Z.8 v.u.: ..des Statuts: Quatenus infra unius mensis ... dimisso resumptoque priori... — 8,436 Anm.1% Z.3 v.u.: conversantes — S.448 Anm. 22 letzte Zeile: gallicum — S. 452 Anm.31 erste Zeile: 1177 (statt 1277). — S.467 Anm. 53 letzte Zeile: von — S.480 Anm. 16 Zeile 4: Iste 45M 8-37. Form 335. Duke Libraries Im DOOB26E5IN 945 F41l8H v.267 525094